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"Diese Frau hat etwas Besseres verdient!", schießt es dem Privatdetektiv Jackson Rush durch den Kopf, als er die schöne Braut sieht. Kurzerhand entführt er die ahnungslose Crista direkt vor der Kirchentür. Nur zu gern erfüllt er seinen Auftrag, ihre Hochzeit zu verhindern. Denn er weiß: Sie ist kurz davor, einen skrupellosen Verbrecher zu heiraten, der es nur auf ihr Geld abgesehen hat und sie außerdem mit einer anderen betrügt. Aber wie kann er sie davon überzeugen, dass er nur die besten Absichten hat? Jackson versucht es mit Verführung …
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Seitenzahl: 196
IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2016 by Barbara Dunlop Originaltitel: „His Stolen Bride“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1963 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Peter Müller
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 02/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733723590
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Krachend schloss sich die schwere Metalltür hinter Jackson Rush. Seine Schritte hallten vom Boden wider. Die Betonwände, gesicherte Türen, das flackernde Neonlicht – das Ganze wirkt wie eine Kulisse für einen Gefängnisfilm, dachte er. Nur dass es in diesem Fall Realität war. Bittere Realität: das Riverway-Staatsgefängnis in Illinois.
Sein Vater Colin Rush saß hier seit fast siebzehn Jahren ein. Das Gericht hatte ihn zu der langen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er gutgläubige Investoren mit einer Art Schneeballsystem um insgesamt fünfunddreißig Millionen Dollar betrogen hatte.
Ausgerechnet auf der Party zu Jacksons dreizehntem Geburtstag hatte die Polizei zugeschlagen und seinen Vater festgenommen. Die Gäste hatten in Panik aufgeschrien, als die bewaffneten Staatsdiener plötzlich die Feier stürmten. Die Geburtstagstorte war in dem Tumult vom Tisch gestürzt und als Haufen Matsch auf dem Boden gelandet, an dieses Detail konnte Jackson sich noch sehr plastisch erinnern.
In der ersten Zeit nach der Festnahme hatte sein Vater noch standhaft seine Unschuld beteuert. Jackson und seine Mutter hatten keinen Prozesstag ausgelassen, um dem geliebten Vater und Ehemann im Gerichtssaal durch ihre Anwesenheit seelischen Beistand zu leisten. Doch schon bald stellte sich heraus, dass Colin Rush schuldig war. Er war kein brillanter Geldanlagestratege – sondern ein Betrüger.
Als einer der geprellten und finanziell ruinierten Anleger aus Verzweiflung Selbstmord beging, wendete sich die öffentliche Stimmung vollends gegen Colin Rush. Er wurde zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Seit dem Tag der Urteilsverkündung hatte Jackson seinen Vater nie wiedergesehen.
Der Besucherraum sah wesentlich gemütlicher aus, als Jackson erwartet hatte – wenn man so etwas über einen solchen Ort überhaupt sagen konnte. Er wirkte fast wie die Cafeteria in einer Highschool, mit einigen Unterschieden natürlich. Die Stühle an den Besuchertischen waren festgeschraubt, in den Ecken standen Wächter. Sie schwiegen und blicken gelangweilt drein. Bei den Besuchern schien es sich ausschließlich um Familienangehörige der Häftlinge zu handeln.
Ein Mann in Gefängniskleidung erhob sich von seinem Tisch und suchte Augenkontakt zu Jackson. Jackson brauchte einen Moment, um seinen Vater wiederzuerkennen. Colin war erschreckend gealtert. Tiefe Ringe lagen unter seinen Augen, sein Gesicht war blass, seine Wangen eingefallen. Seine Haare waren dünn, seine Körperhaltung die eines gebrochenen Mannes. Aber er war es eindeutig. Er lächelte zögernd.
Jackson erwiderte das Lächeln nicht. Er war nur widerstrebend gekommen und wusste nicht, was sein Vater eigentlich von ihm wollte. Immer wieder hatte Colin flehentliche Briefe geschrieben und um diesen Besuch gebeten. Eigentlich war Jackson nur hier, damit die ständige Bettelei endlich aufhörte.
Er würde es kurz machen. „Hallo, Dad“, sagte er emotionslos und streckte die Hand aus. Lieber ein kurzer Händedruck als die peinlichste Vater-Sohn-Umarmung aller Zeiten!
„Hallo, mein Sohn“, erwiderte Colin und ergriff Jacksons Hand. In dem Griff steckte mehr Kraft, als Jackson erwartet hatte. Colin war sichtlich bewegt.
Argwöhnisch musterte Jackson den anderen Häftling, der neben seinem Vater am Tisch saß. Warum war dieser Mann hier? Seine Anwesenheit störte Jackson, machte ihn aber auch neugierig.
„Wie schön, dich nach so langer Zeit wiederzusehen“, sagte Colin.
Jackson schwieg.
Colin räusperte sich verlegen und ließ Jacksons Hand los. „Darf ich dir Trent Corday vorstellen? Trent und ich sind seit einem Jahr Zellengenossen.“
Das erklärte immer noch nicht, warum der Mann hier mit am Tisch saß. Aber letztendlich war es Jackson auch egal.
Prüfend musterte er seinen Vater. „Was willst du?“
Vielleicht hatte Colin einen Antrag auf Bewährung gestellt und wollte, dass sein Sohn ein gutes Wort für ihn einlegte. Doch da konnte er lange warten! Colin hatte noch drei Jahre abzusitzen, und nach Jacksons Ansicht hatte er jede Minute davon verdient.
Seine gemeine Betrugsmasche hatte Dutzende von Menschen ins Unglück gestürzt – nicht zuletzt auch Jacksons Mutter. Nach dem Gerichtsurteil war sie am Boden zerstört gewesen. Sie hatte Trost im Alkohol gesucht und viel zu viele Tabletten geschluckt. Nie hatte sie ihr Lachen wiedergefunden. Und dann, fünf Jahre später, war sie gestorben. Gerade als Jackson die Highschool beendete.
„Bitte setz dich doch“, forderte Colin Jackson auf und nahm ebenfalls Platz. Dann fuhr er fort: „Trent hat ein Problem.“
Im Stillen fragte Jackson sich, was ihn das anging. Doch er sagte nichts, sondern wartete schweigend ab.
„Es geht um meine Tochter“, begann Trent zu erklären. „Ich sitze jetzt seit drei Jahren hier ein. Eigentlich ist das Ganze nur ein riesiges Missverständnis, weil ich nämlich …“
„Sparen Sie sich die Rechtfertigungen“, unterbrach Jackson ihn.
Vor siebzehn Jahren hatte er sich einen ähnlichen Sermon wieder und wieder von Colin anhören müssen. Er sei in Wirklichkeit unschuldig, man habe ihn hereingelegt, der Prozess sei ungerecht und so weiter und so fort. Jackson hatte keine Lust auf solche Ausflüchte und Lügen. Wenn es nach den Häftlingen ging, saßen wahrscheinlich neunundneunzig Prozent von ihnen unschuldig hinter Gittern!
Demonstrativ blickte er auf die Armbanduhr.
„Ich sehe, Sie haben wenig Zeit“, beeilte sich Trent zu sagen. Er wirkte dabei fast unterwürfig. „Wie gesagt, es geht um meine Tochter. Sie hat sich, sagen wir, einwickeln lassen. Haben Sie schon mal von der Familie Gerhard gehört?“
Jackson nickte kurz.
Trent zog ein Foto hervor und legte es auf den Tisch. „Das ist meine Tochter. Ist sie nicht eine Schönheit?“
Jackson musterte das Bild. Ja, die junge Frau war wirklich wunderschön. Sie mochte so um die Mitte zwanzig sein. Kastanienbraunes Haar, betörende grüne Augen, ein bezauberndes offenes Lächeln. Aber was spielte das in dieser Situation für eine Rolle?
„Sie will Vern Gerhard heiraten“, berichtete Trent weiter. „Nach außen hin macht die Familie Gerhard einen seriösen Eindruck. Aber das ist alles nur Fassade. Eine Menge Leute hier im Gefängnis wissen es besser. Vern ist ein Betrüger, ein Verbrecher. Das Gleiche gilt für seinen Vater. Und davor schon für seinen Großvater.“
Eine Frau, die auf den falschen Mann hereinfiel – für Jackson war das nichts Neues. In seiner Position als Inhaber einer Detektei war ihm so etwas schon oft untergekommen. Aber was hatte dieser konkrete Fall mit ihm zu tun?
Er sah seinen Vater an. „Was genau willst du von mir? Warum hast du mich hergebeten?“
„Wir beide möchten, dass du die Hochzeit verhinderst“, antwortete Colin.
„Was?“, fragte Jackson ungläubig. „Warum sollte ich das tun?“
„Vern Gerhard ist nur hinter ihrem Geld her“, sagte Trent.
Jackson warf wieder einen Blick auf das Bild. „Sie ist erwachsen. Sie kann tun und lassen, was sie will.“
Sie mochte sechsundzwanzig sein, vielleicht auch schon siebenundzwanzig, aber bestimmt noch keine dreißig. Wer als Frau so gut aussah und vielleicht obendrein noch Geld hatte, zog unter Umständen auch die falschen Männer an. Aber wenn sie das nicht rechtzeitig erkannte, konnte Jackson ihr auch nicht helfen.
Erneut ergriff Colin das Wort. „Nach allem, was Trent mir erzählt hat, ist sie grundehrlich und hochanständig. Wenn sie die Wahrheit über die Familie Gerhard wüsste, würde sie nichts mit Vern Gerhard zu tun haben wollen.“
„Dann soll dein Freund sie gefälligst aufklären. Das kann doch nicht so schwer sein.“
„Doch, ist es aber“, mischte Trent sich ein. „Sie will nichts von mir wissen, sie traut mir nicht. Sie würde mir nicht glauben.“
Jackson zuckte mit den Schultern.
„Sie müssen noch etwas wissen“, berichtete Trent weiter. „Vor einem Jahr habe ich ihr etwas überschrieben. Anteile an einer Diamantenmine.“
„Schön für sie.“
„Ja, nicht wahr? Aber der Haken an der Geschichte ist – sie weiß nichts davon.“
Ungläubig blickte Jackson seinen Gesprächspartner an. „Sie weiß nicht, dass sie eine Diamantenmine besitzt? Beziehungsweise Teile davon?“
Trent schüttelte den Kopf.
Wieder musterte Jackson das Foto der jungen Frau. Sie wirkte weder naiv noch dumm, im Gegenteil, sie machte einen intelligenten Eindruck.
„Hier im Gefängnis hört man so einiges“, fuhr Trent fort. „Und die Familie Gerhard ist gefährlich.“
„Sagt ein verurteilter Straftäter“, kommentierte Jackson spöttisch.
„Was immer man mir vorwirft, ich bin kein Gewalttäter“, erwiderte Trent. „Das ist mehr, als ich über die Gerhards sagen kann. Sei es, wie es sei – die Familie hat die Geschichte mit der Diamantenmine rausbekommen.“
„Wissen Sie das genau?“, fragte Jackson.
„Ja.“
„Und woher?“
„Über den Freund eines Freundes. Es ist jetzt ein Jahr her, dass man in der Borezone-Mine auf ein äußerst vielversprechendes Diamantenvorkommen gestoßen ist. Nur Tage später hat sich Vern Gerhard an meine Tochter rangemacht. Die Werteinschätzung des Diamantenvorkommens hat sich etwas hingezogen, wird aber in Kürze bekannt gegeben. Und dann wird der Wert der Mine in ungeahnte Höhen schießen.“
„Ist das Unternehmen, dem die Mine gehört, börsennotiert?“, wollte Jackson wissen.
„Nein, es ist in Privatbesitz.“
„Woher sollen die Gerhards dann überhaupt von der Entdeckung wissen?“
„Freunde, Branchenkontakte, Gerüchte, was weiß ich? So etwas lässt sich immer irgendwie rausbekommen.“
„Es könnte ein Zufall sein, dass Vern Gerhard Ihre Tochter kennengelernt hat.“
„Ganz bestimmt nicht“, widersprach Trent erregt. „Die Gerhards sind geldgierig und berechnend. Glauben Sie mir, sobald die Tinte auf der Heiratsurkunde getrocknet ist, werden sie meine geliebte Tochter um ihren Besitz bringen.“
„Aber Sie haben keine Beweise dafür“, warf Jackson ein. „Vielleicht liebt Vern Gerhard Ihre Tochter ja wirklich. Schließlich ist sie sehr attraktiv …“
„Für die Beweise brauchen wir ja dich“, schaltete Colin sich erneut ein.
„Bitte decken Sie die miesen Tricks der Familie auf“, bat Trent. „Und berichten Sie dann meiner Crista darüber. Überzeugen Sie sie davon, dass sie im Begriff ist, einem Schwindler auf den Leim zu gehen, und verhindern Sie die Hochzeit.“
Crista. Sie hieß also Crista. Ein schöner Name. Er passte irgendwie zu ihr.
Unwillkürlich begann Jackson zu überlegen, wie viel Zeit es ihn wohl kosten würde, diese dubiose Familie Gerhard unter die Lupe zu nehmen. Seine Detektei Rush Investigations lief dank seiner geschulten Mitarbeiter momentan fast wie von selbst; in der Niederlassung in Chicago wurde er zurzeit nicht benötigt. Eigentlich hatte er einen Abstecher zur Filiale in Boston machen wollen, um Expansionsmöglichkeiten auszuloten. Aber etwas Zeit für diese Geschichte würde er sich schon noch freischaufeln können.
Die junge Frau war nämlich wirklich sehr, sehr hübsch. In der Niederlassung in Boston sah niemand so gut aus. Wenn das kein Argument war …
„Und, machst du es?“ Fragend sah Colin ihn an.
„Auf jeden Fall werfe ich mal einen Blick auf die ganze Angelegenheit“, antwortete Jackson und steckte das Foto ein.
Trent wollte protestieren – wahrscheinlich war es das einzige Foto, das er von seiner Tochter besaß –, besann sich aber schnell eines Besseren.
„Du hältst uns auf dem Laufenden?“, fragte Colin.
Einen Augenblick lang argwöhnte Jackson, dass das Ganze vielleicht nur eine List seines Vaters war, um wieder regelmäßigen Kontakt zu seinem Sohn aufzubauen. Schließlich besaß Colin ein außergewöhnliches Talent dafür, Leute zu täuschen …
„Die Hochzeit ist am Samstag“, erklärte Trent plötzlich.
„Was, schon diesen Samstag?“, fragte Jackson erschrocken.
„Ja.“
Das war in drei Tagen! Was sollte er in dieser kurzen Zeit denn noch erreichen? „Warum habt ihr nicht eher bei mir nachgefragt?“
„Habe ich ja versucht“, erklärte Colin ganz ruhig.
Jackson presste die Zähne aufeinander. Das stimmte natürlich; sein Vater hatte schon seit Wochen Kontakt zu ihm gesucht. Jackson hatte es ignoriert, wie er schon seit Jahren alle Kontaktversuche ignoriert hatte. Weil er das Gefühl hatte, dass er seinem verbrecherischen Vater gegenüber zu nichts verpflichtet war.
Er erhob sich. „Viel Zeit bleibt ja nicht gerade, aber ich schaue mal, was ich rausbekommen kann.“
„Sie darf ihn auf keinen Fall heiraten“, rief Trent fast flehentlich.
„Sie ist erwachsen und für ihre Handlungen selbst verantwortlich“, betonte Jackson.
Er würde die Gerhards unter die Lupe nehmen. Aber wenn Crista Corday sich wirklich in einen miesen Typen verliebt hatte – dann gab es wohl kaum eine Möglichkeit, sie von ihren Hochzeitsplänen abzubringen.
Crista Corday hatte ihr Hochzeitskleid angezogen, musterte sich im großen Spiegel und konnte es immer noch kaum glauben. Sie, die kleine Schmuckdesignerin, deren Geschäft noch in den Kinderschuhen steckte, würde einen der begehrtesten Junggesellen von Chicago heiraten! Es war wie ein wahr gewordener Aschenputteltraum …
Plötzlich klopfte es an der Tür.
„Crista?“
Die Stimme gehörte Verns Cousin Hadley, einem der Trauzeugen des Bräutigams.
„Komm ruhig rein, Hadley.“
Sie mochte ihn. Er war ein paar Jahre jünger als Vern, ein lockerer, freundlicher Typ, der Spaß verstand. Wesentlich unverkrampfter als der Großteil der Familie.
Normalerweise wohnte er in Boston, nicht in Chicago, aber er kam oft zu Besuch. Manchmal wohnte er dann in der Familienvilla der Gerhards, manchmal aber auch im Hotel. Crista vermutete, dass er sich immer dann ein Hotelzimmer nahm, wenn er ein Date hatte. Verns Mutter Delores war eine Frau mit strengen Moralvorstellungen und hätte es nicht zugelassen, dass Hadley einen weiblichen Übernachtungsgast mitbrachte.
Die Tür öffnete sich, und Hadley betrat das luxuriös ausgestattete Gästezimmer. Hier hatte Crista die Nacht verbracht, während Vern in seinem Apartment in der Innenstadt geschlafen hatte. Möglicherweise war es auf den Einfluss von Delores zurückzuführen – aber jedenfalls hatte Crista in einem Anfall von altmodischer Sittsamkeit darauf bestanden, dass Vern und sie bis zu den Flitterwochen nicht das Bett teilten. Vern hatte nur widerwillig zugestimmt.
„Du siehst wirklich umwerfend aus“, lobte Hadley.
„Das will ich auch hoffen“, gab Crista lächelnd zurück. „Hast du eine Ahnung, was dieses Hochzeitskleid kostet? Ein kleines Vermögen. Nein, sogar ein großes.“
Hadley grinste. „So will es Tante Delores nun mal haben.“
„Ich komme mir wie eine Hochstaplerin vor“, murmelte Crista.
„Warum?“
„Weil ich aus der Lower Westside komme. Nicht gerade der beste Teil von Chicago.“
„Deine Herkunft und unsere Familie – du glaubst, das passt nicht zusammen?“
„Meint deine Familie denn, dass es passt?“
„Wenn du es willst, dann schon.“
Ihre Blicke trafen sich im Spiegel.
„Andererseits – noch ist es nicht zu spät“, sinnierte Hadley.
„Zu spät für was?“
„Das Ganze abzublasen.“ Er sagte das ganz ernsthaft, aber es konnte doch wohl nur ein Scherz sein!
„Doch, dafür ist es zu spät“, gab sie zurück. Aber sie hatte doch auch überhaupt kein Interesse daran, die Hochzeit platzen zu lassen. Wie waren sie nur auf dieses abwegige Thema gekommen?
„Du wirkst irgendwie verängstigt“, kommentierte er.
„Ja, vor der Hochzeit habe ich auch Angst. Bestimmt bin ich so nervös, dass ich auf dem Weg zum Altar stolpere. Aber die Ehe – die macht mir keine Angst.“
Schließlich heiratete sie Vern. Den klugen, höflichen Vern. Den Mann, der in ihr kleines Schmuckdesign-Unternehmen investiert hatte, der sie vieles aus der höheren Gesellschaft gelehrt hatte, der sie auf ein Wochenende in New York City und sogar auf eines in Paris eingeladen hatte. Was konnte man sich mehr wünschen?
„Und deine zukünftigen Schwiegereltern?“, fragte Hadley.
Crista lächelte gequält. „Angst habe ich nicht vor ihnen. Aber sie wirken schon ganz schön einschüchternd.“
Hadley nickte zustimmend.
Manfred Gerhard war ein humorloser Workaholic. Anderen Menschen gegenüber gab er sich fordernd und brüsk. Seine Frau Delores wirkte verkniffen, benahm sich überkorrekt und war der Meinung, etwas Besseres zu sein. Vor ihrem Mann schien sie geradezu Angst zu haben, begegnete ihm diensteifrig, ja, fast demütig und las ihm jeden Wunsch von den Augen ab.
Zum Glück war Vern ganz und gar nicht wie sein Vater; ein solches Verhalten hätte sie sich auch nicht bieten lassen.
„Dein zukünftiger Mann hat ein sehr gutes Verhältnis zu seinen Eltern“, sagte Hadley und musterte sie prüfend. Fast kam es Crista vor, als könnte er ihre Gedanken lesen.
„Er überlegt, ob er sich ein Apartment in New York zulegt.“ Der Gedanke gefiel ihr. Je mehr Meilen zwischen ihm und seiner Familie lagern, desto besser. Sie hatte ja Verständnis dafür, dass er seine Eltern liebte, aber jeden Sonntagabend in der Familienvilla zuzubringen – das war für Crista eine Horrorvision.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Vern wirklich nach New York ziehen würde“, kommentierte Hadley.
„Du wirst schon sehen. In New York kann ich auch mein Geschäft besser ausbauen.“
„Du willst die Hochzeit also nicht absagen?“, fragte Hadley nach.
„Nein, natürlich nicht.“ Sie musterte ihn skeptisch. „Was soll das? Warum fragst du das andauernd?“
„Vielleicht möchte ich dich ja für mich haben.“
„Sehr witzig.“
Er zögerte einen Moment. Dann zuckte er mit den Schultern. „Also, ich glaube, ich würde in diese Familie nicht einheiraten wollen.“
„Zu dumm, dass du schon Bestandteil der Familie bist.“
Er sah ihr tief in die Augen. „Du bist dir also sicher …?“
„Zum hundertsten Mal: Ja, ich bin mir sicher. Ich liebe Vern. Und er liebt mich. Das ist die Hauptsache. Alles andere passt dann schon. Irgendwie.“
Er nickte. „Okay. Dann kann ich dich von der Heirat wohl nicht mehr abbringen. Ach so, eigentlich bin ich gekommen, um dir zu sagen, dass die Limousinen jetzt da sind.“
„Dann geht es also los“, murmelte sie und bekam ein beklommenes Gefühl in der Magengegend.
Diese Reaktion ist normal, sagte sie sich. Sie würde vor den Altar treten, beobachtet von Hunderten Menschen, darunter ihre zukünftigen Schwiegereltern und viele reiche und berühmte Hochzeitsgäste aus der feinen Gesellschaft Chicagos. Da war es doch wohl nicht verwunderlich, dass man nervös wurde …
„Du bist gerade ganz blass geworden“, stellte Hadley fest.
„Ich habe doch schon gesagt: Ich habe ein bisschen Angst, dass ich auf dem Weg zum Altar stolpere.“
„Soll ich dich führen? Zum Altar geleiten?“
„Nein, vielen Dank. So haben wir es beim Probedurchlauf schließlich auch nicht gemacht.“
Cristas Vater saß im Gefängnis, also konnte er sie nicht zum Altar geleiten. Ein anderer passender Ersatzmann war ihr nicht in den Sinn gekommen, deshalb hatte sie sich entschlossen, den Weg unbegleitet zu gehen. Und dabei sollte es jetzt auch bleiben.
„Ist der Brautstrauß auch schon geliefert worden?“, fragte Crista. „Mir wäre ein kleinerer ja lieber gewesen, aber Delores hat auf so einem Riesending bestanden …“
„Ja, er ist da. Sie warten alle unten auf dich, um noch schnell ein paar Fotos zu machen, bevor es mit den Autos zur Kirche geht.“
„Na schön, dann wollen wir mal“, murmelte Crista und gab sich einen Ruck.
„Letzte Chance“, mahnte Hadley. „Noch könnten wir durch den Hinterausgang abhauen …“
„Hör endlich auf damit!“
Er grinste. „Okay. Das war mein allerletzter Versuch. Versprochen!“
Ja, Crista würde heute heiraten. Sicher, das Ganze war ein bisschen schnell gegangen. Und die Hochzeit war viel pompöser aufgezogen, als es ihr lieb war. Obendrein war die große Familie ihres Bräutigams ein wenig erdrückend. Aber sie brauchte ja nur einen Fuß vor den anderen zu setzen, zum richtigen Zeitpunkt „Ja, ich will“ zu sagen und freundlich zu lächeln.
Anschließend war sie dann Mrs. Gerhard. Und morgen um die gleiche Zeit wäre sie dann schon auf ihrer Hochzeitsreise im Mittelmeer.
Sie und ihr Ehemann würden in einem Privatjet nach Europa fliegen. Und das Mittelmeer würden sie auf einer eleganten Jacht bereisen. So wie es dem Status der Familie Gerhard angemessen war.
Hadley öffnete ihr die Tür, und sie ging hindurch. „Wir sehen uns dann in der Kirche“, sagte er.
Ihr Herz schlug heftig. Aber sie würde das schon schaffen. Es war doch alles gut. Oder? Wünschte sich so etwas nicht jede Frau? Vom armen Aschenputtel zur reichen Ehegattin …
Jackson trug sonst nie einen Smoking. Zumindest nicht, wenn es sich vermeiden ließ. Aber heute ging es nicht anders.
Er stand vor der Kirche und tat so, als wäre er einer der Hochzeitsgäste. Natürlich war er nicht eingeladen, aber das brauchte ja niemand zu wissen.
In den vergangenen drei Tagen hatte Jackson viel über Crista in Erfahrung gebracht. Dass sie wunderschön war, hatte er ja schon auf dem Foto sehen können. Nun wusste er obendrein, dass sie künstlerisch begabt und fleißig war.
Sie war in einem eher armen Viertel von Chicago groß geworden. Ihre Eltern waren geschieden, und sie war bei der Mutter aufgewachsen. Ihr Vater, Trent, hatte ein Besuchsrecht und unterstützte Mutter und Tochter finanziell, soweit es sein Einkommen zuließ. Sie hatte das Community College besucht und einen Abschluss in bildender Kunst gemacht. Gerade zu dieser Zeit war ihre geliebte Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Nach ihrem Abschluss arbeitete sie zunächst als Textilverkäuferin in einem Kaufhaus. Jackson vermutete, dass sie schon zu dieser Zeit nach Feierabend an ihren Schmuckentwürfen herumgewerkelt hatte.
Bis zu diesem Punkt war ihr Lebenslauf also keineswegs ungewöhnlich. Das Bemerkenswerteste war noch, dass ihr Vater wegen Betrugs verurteilt worden und ins Gefängnis gekommen war. Aber vielleicht war nicht einmal das wirklich bemerkenswert. Schließlich genoss Chicago den Ruf einer Verbrecherstadt, und Jacksons Vater saß ja ebenfalls im Gefängnis …
Der größere Teil seiner Nachforschungen hatte jedoch Vern und der gesamten Familie Gerhard gegolten, und da war es schon etwas schwieriger geworden. Die Familie schien ihr öffentliches Image gut im Griff zu haben, ja, es geradezu zu kontrollieren. Der Ursprung des Familienunternehmens Gerhard Incorporated lag in einer Eisenwarenhandlung, die Verns Urgroßvater während der Depressionszeit gegründet hatte. Inzwischen war aus der Firma auf einigen Umwegen ein florierendes Immobilienunternehmen geworden.
Jackson hatte nichts finden können, was auf illegale oder auch nur moralisch fragwürdige Machenschaften hinwies. Allerdings schien die Familie ein ungeheures Gespür zu haben, was günstige Gelegenheiten anging. Auffällig oft hatten die Gerhards Gebäude oder Grundstücke günstig gekauft, die nur Monate später durch Stadtentwicklungsprojekte oder neue Bebauungspläne enorm an Wert gewannen.
Auch wies nichts darauf hin, dass die Familie dunkle Pläne verfolgte, was Crista anging. Vielleicht war Trent einfach zu misstrauisch, und Vern und Crista liebten sich wirklich.
„Eingleisig fahren ist doch langweilig“, vernahm Jackson da plötzlich eine Stimme. Sie kam von einem der Hochzeitsgäste, der sich mit ein paar anderen unterhielt.
Er entschloss sich, unauffällig zu lauschen. Vielleicht konnte er noch etwas Interessantes in Erfahrung bringen …
„Ich hätte es ihr in der Villa fast verraten“, sagte ein anderer. Er hatte braune Augen wie fast alle Gerhards, war aber größer als die meisten anderen und deutlich jünger als Vern. Mit seiner auffälligen Frisur wirkte er wie das Mitglied einer Boygroup.
„Du hättest es ihr fast verraten?“, fragte ein Dritter. Dieser Mann war kleiner, und sein Haar war schon schütter. „Warum, du Spielverderber?“
„Findest du nicht, dass sie es wissen sollte?“, fragte der Jüngere.
„Mir doch egal. Auf jeden Fall ist die Braut ganz schön heiß.“
„Hat einen richtigen Knackarsch“, kommentierte der Erste.
„Sehr nett“, murmelte Jackson vor sich hin. Die Gerhards mochten reich sein – viel Niveau besaßen sie jedoch offensichtlich nicht.
„Bei so einer Frau braucht er doch Gracie nicht mehr“, sagte der jüngere Mann und blickte sich hilfesuchend in der Gruppe um. „Er sollte mit ihr Schluss machen, jetzt, wo er heiratet.“
„Ein Mann braucht Abwechslung“, erwiderte der Gast mit dem schütteren Haar. „Du willst ja auch nicht immer nur Vanilleeis essen.“
„Und das für den Rest deines Lebens“, warf der Erste ein.
„Manchmal ist mir eben mehr nach Maracujaeis“, sagte der Dritte lachend.
„Deshalb schläfst du ja nebenher mit Lacey Hanniberry.“
„Genau. Für den kleinen Hunger zwischendurch ist die immer gut.“
Die anderen lachten anzüglich.
„Vern hat auf jeden Fall das große Los gezogen“, sagte der erste Mann und machte unanständige Hüftbewegungen.