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Abschied im Purple Rain Am 21. April 2016 wurde Prince leblos in seinem Haus in Minnesota gefunden - er wurde 57 Jahre alt. Die Zahl der Nachrufe und trauernden Statusmeldungen in den sozialen Netzwerken zeigte: Prince Rogers Nelson hat mit seinen Songs, seiner Attitüde, seiner sexuell aufgeladenen Bühnenshow und seinem genialen Spiel mit den verschiedensten Musikrichtungen ein Gesamtwerk geschaffen, das für viele Musikfans zum Soundtrack ihres Lebens geworden ist. Mick Jagger bezeichnete den Sänger und Multiinstrumentalisten als "einen der einzigartigsten und spannendsten Künstler der letzten dreißig Jahre", und Elton John sprach von "einem wahren Genie, musikalisch allen anderen weit voraus." Seinen Durchbruch hatte Prince nach ersten mehr oder minder erfolgreichen musikalischen Gehversuchen Anfang der Achtziger: Schon auf "1999" machte er 1982 mit einem einzigartigen Blend aus Funk und Rock auf sich aufmerksam, und zwei Jahre später eroberte er mit "Purple Rain" die ganze Welt. Genregrenzen schien es für ihn nicht zu geben - er band Jazzelemente in seine Songs ebenso mit ein wie Gitarrensoli, die Jimi Hendrix zur Ehre gereicht hätten, war dabei aber auch beeinflusst von George Clinton oder James Brown. Die Medien bauten ihn als die sinnlichere, gefährlichere und leidenschaftlichere Ausgabe des blitzsauberen Michael Jackson auf, dabei waren beide eigentlich gar nicht mit einander zu vergleichen: Während Jackson sich stets von kompetenten Producern inszenieren ließ, machte Prince alles selbst. Er schrieb die Songs, spielte - obwohl er live auf eine überragende Band zurückgreifen konnte - im Studio oft genug alle Instrumente selbst und saß auch als letzte Kontrollinstanz an den Mischpultreglern, wenn er eine Platte produzierte. Trotz seines enormen kommerziellen Erfolgs - er verkaufte weit über 100 Millionen Tonträger - haderte Prince in den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens mit den Strukturen des Musikgeschäfts und fiel bei seinen Versuchen, sich daraus zu befreien, oft durch bizarre Aktionen auf. Genie und Besessenheit schienen nahe beieinander zu liegen - wie nahe, das untersucht Prince-Fan, Journalist und Anwalt Alex Hahn in seiner Biografie. Kritisch schildert Hahn die psychologische Achterbahnfahrt zwischen Lust am Erschaffen großartiger Musik und dem oft zerstörerischen Bedürfnis nach totaler Kontrolle. "Besessen" ist das Porträt einer widersprüchlichen Persönlichkeit mit all ihren Stärken und Schattenseiten, das Psychogramm eines Ausnahmetalents, das auch für andere Künstler Welthits wie "Manic Monday" oder "Nothing Compares 2 U" schrieb, aber im privaten Umgang mehr als schwierig sein konnte. "Besessen - Das turbulente Leben von Prince" wurde komplett überarbeitet und um weitere Kapitel ergänzt.
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Seitenzahl: 820
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Besessen
Das turbulente Leben von Prince
Alex Hahn
Aus dem Englischen von Kirsten Borchardt
www.hannibal-verlag.de
Impressum
Der Autor
Alex Hahn schreibt seit vielen Jahren für US-amerikanische Zeitungen wie den Boston Globe und den San Francisco Chronicle. Als Rechtsanwalt hat er sich auf zivilrechtliche Strafverfolgung spezialisiert. Hahn lebt in Boston, Massachusetts.
Titel der amerikanischen Originalausgabe: „Possessed“
© 2003, © 2005 (Update), © 2016 (Update) by Alex Hahn
This edition is published by arrangement with Watson Gutpill
New York, USA. All rights reserved.
© 2016 der deutschen Ausgabe:
Koch International GmbH/Hannibal, A-6600 Höfen
Lektorat: Hollow Skai
Übersetzung: Kirsten Borchardt
E-Book: Thomas Auer, www.buchsatz.com
Coverfoto: © Henrietta Butler/Camera Press/picturedesk.com
ISBN 978-3-85445-611-7
Auch als Hardcover erhältlich: ISBN 978-3-85445-610-0
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne eine schriftliche Genehmigung nicht verwendet oder reproduziert werden. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Inhalt
Widmung
Vorwort zur überarbeiteten Neuauflage
Vorspiel
Erster Teil: Aufstieg 1958–1988
1.: Zuhause
2.: Im Alleingang
3.: Der große Sprung
4.: Der Impresario
5.: Seine lila Majestät
6.: Katerstimmung
7.: Gegenrevolution
8.: Traumfabrik
9.: Alleingang
10.: Die Schwarze
Bildstrecke
Zweiter Teil: Fall 1988–2005
11.: Kampf und Ehrgeiz
12.: Hit
13.: Taktische Spiele
14.: Auf dem Kriegspfad
15.: Flucht
16.: Abgrund
17.: Larry
18.: Comeback
19.: Der Moralist
Nachwort: Wiedergeburt
Nachwort 2016: Vermächtnis
Diskografie
Quellen und Danksagungen
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Widmung
Für meine Mutter, Nicole Hahn Rafter
1939–2016
Deine Weisheit, Inspiration und Liebe
werden immer bei uns sein
To my mother, Nicole Hahn Rafter
1939–2016
Your wisdom, inspiration, and love
will be with us always
Vorwort zur überarbeiteten Neuauflage
21. April 2016. Still Raining, Still Dreaming.
Wie viele Bands auf der Welt haben wohl an diesem 21. April 2016 „Purple Rain“ oder einen anderen Song von Prince gespielt, an den verschiedensten Orten, in großen Hallen oder in kleinen Clubs? Wahrscheinlich Tausende.
Am 22.April brachte Bruce Springsteen eine leidenschaftliche und authentische Version von „Purple Rain“. Pearl Jam taten es ihm wenig später nach. DannfolgteJimmyBuffett.Auf dem Coachella Music Festival am 23.April interpretierte der eigenwillige Folkmusiker Sufjan Stevens den Song auf seine ganz eigene Art. Ebenfalls auf diesem Festival, noch am gleichen Abend, fräste sich das TechnoProjekt LCD Soundsystem durch eine schmerzerfüllte, pulsierende Versionvon„Controversy“undschuf damiteineCoverVersion,diePrincevielleicht am ehesten wirklich gerecht wurde.
Es schien, als wollte sich jeder Musiker der Welt von ihm verabschieden.
Mich selbst erreichte die Nachricht von seinem Tod gegen halb zwei am frühen Nachmittag, als ich in Cambridge, Massachusetts, in einem Coffee Shop saß und schrieb. Es war mein 50. Geburtstag. Der Künstler, der so sehr wie kein anderer mein Leben beeinflusst hatte, war von uns gegangen. Schon lange hatte man Prince mit dem Ausdruck „lebende Legende“ bezeichnet – jetzt konnte man nur noch von „Legende“ sprechen.
Eine Legende. Aber was für eine.
Sein Tod und die weltweite Trauer, die er auslöste, unterstrichen nur noch einmal, welche enormen Leistungen Prince als Songwriter, als Liveund Studiomusiker und letztlich als KulturIkone vollbracht hatte. Ein derart einflussreicher und bedeutender Musiker ist vielleicht seit John Lennon nicht mehr für immer von der Rockbühne abgetreten.
Wie aber soll man bestimmen, in welcher Hinsicht Prince den größten Eindruck hinterließ? Waren es die Konzerte, bei denen er in 40 Karrierejahren immer wieder seine Fähigkeiten, seine Hingabe und seine Energie unter Beweis stellte, ohne jemals nachzulassen? Als Schöpfer des Albums und RockFilms Purple Rain, dessen Bedeutung in der RockGeschichte bis heute einzigartig ist? Als MultiInstrumentalist, der Gitarre, Synthesizer, Klavier, Schlagzeug und Bass gleichermaßen souverän beherrschte? Als Komponist unzähliger PopHits, die nicht nur dem Zahn der Zeit erfolgreich widerstanden haben, sondern längst selbst zeitlos geworden sind?
Fans und Musikfreunde haben darauf alle eine eigene Antwort. Und jede davon ist richtig.
Die Beatles setzten Maßstäbe, was den Einsatz von Melodien in Rock und Pop betraf. Jimi Hendrix nutzte die Gitarre auf eine unnachahmliche, bahnbrechende Weise. Aber ebenso groß war die Bedeutung von Prince, dessen Stilmix die Popmusik neu definierte. Er vermischte verschiedene Elemente – den Funk eines James Brown, die Synthesizer und Drumcomputer der New Wave, die Melodien des HitparadenPop, die Energie des Hard Rock und sogar die beklemmende Spannung des Punk. Und das auf eine bislang noch nie dagewesene Weise. Die ersten 90 Sekunden von „Controversy“ – vielleicht der erste definitive Ausdruck seiner Vision – reichten aus, um der Popmusik eine neue Richtung aufzuzeigen.
In den folgenden Jahrzehnten wuchs der Einfluss dieses Sounds exponentiell. Es besteht kein Zweifel daran, dass Prince die Musik des ausgehenden 20. Jahrhunderts maßgeblich veränderte. Aber auch im 21. Jahrhundert stehen nicht nur einige wenige, sondern ein Großteil der zeitgenössischen Künstler in seiner Schuld.
Eine solche Entwicklung war wohl kaum vorhersagbar gewesen. Zum Vergleich: Michael Jackson hatte bereits Grundlagen geerbt, die viel eher erwarten ließen, dass eines Tages ein Star aus ihm würde. Die Beatles waren mit einem solchen Talent für Melodien gesegnet, dass auch ihre bedeutende Entwicklung gewissermaßen zwangsläufig erschien. Der Weg von Prince verlief anders und war weit weniger offensichtlich. Nichts war diesem schüchternen, schwarzen Jungen aus Minneapolis in die Wiege gelegt worden, diesem dürren motherfucker mit der hohen Stimme und der riesigen Afrofrisur. Er hatte Erfolg, weil sein bereits enorm großes Talent noch von seiner Arbeitsmoral und seiner unaufhaltsamen Energie übertroffen wurde.
Zwar ist es bisher niemandem gelungen, auf ähnliche Weise zum Superstar aufzusteigen, aber dennoch hat Prince eine Richtschnur vorgegeben, die scheinbar für jeden hätte funktionieren können. Man brauchte sich nur einen MehrspurRekorder zuzulegen, um damit die eigenen Ideen aufzunehmen, und eine Band zu gründen, in der männliche und weibliche, schwarze und weiße, homound heterosexuelle Musiker gleichermaßen vertreten waren. Jeden willkommen heißen – und alles zulassen.
Aber Prince lehrte uns auch noch etwas anderes: Wenn man Musik aufnimmt, dann kann man das ganz allein tun. Man sollte es sogar. Ganz und gar auf die eigene Kraft vertrauen und die eigene Vision umsetzen, ohne einen Mittelsmann zwischen sich und dem Mischpult. Ein Musiker muss ein einsames Leben führen, ebenso wie Dichter oder Schriftsteller, allein mit seiner Kunst.
Von diesen Grundsätzen ist Prince niemals abgewichen. Höchstwahrscheinlich hat kein anderer Musiker seit der Einführung der Tontechnik so viele Stunden allein mit dem Aufnehmen und Songwriting zugebracht. Seine Lektion für aufstrebende Musiker war stets diese: Man muss sich von niemand anderem abhängig machen.
Natürlich gibt es auch Bereiche in seinem Vermächtnis, die eine kritische Auseinandersetzung erfordern. Das betrifft vor allem seine umstrittenen Werke aus der Zeit zwischen 2001 und 2016, die vor allem eine Frage aufwerfen, die schon seit Jahren diskutiert wird: Hat er in dieser Zeit Herausragendes erschaffen – oder hat hier ein großer Künstler lediglich eine sehr mittelmäßige Leistung abgeliefert? Dieser Frage widme ich mich im Nachwort zu diesem Buch, das ebenfalls nach dem Tod von Prince verfasst wurde. Aber zunächst ist einmal festzuhalten, dass der ursprüngliche Untertitel der englischen Originalausgabe, „Aufstieg und Fall“, nicht nur aktuell unangemessen zu sein scheint, sondern in vieler Hinsicht nicht mehr zutrifft. Vor allem seine Auftritte in den letzten 15 Jahren haben klar gezeigt, dass er sich zumindest in diesem Bereich eher steigerte, als nachzulassen.
Tatsächlich gab Prince gerade in den letzten Monaten seines Lebens einige der beeindruckendsten Konzerte seiner Karriere. Bei diesen Shows saß er allein am Klavier, präsentierte Songs aus seinem umfangreichen Gesamtwerk und überraschte das Publikum mit seinem ausdrucksvollen Spiel. Nicht nur die HardcoreFans, auch die Gelegenheitshörer waren von seinen Interpretationen von „Purple Rain“, „Condition Of The Heart“ und „Strange Relationship“ oft zu Tränen gerührt. Dass die Konzerte in legendären Hallen wie dem Sydney Opera House stattfanden, unterstrich die bewegende Einmaligkeit vieler dieser Events.
Tatsächlich sollten sie einmalig bleiben.
Und dann war da noch die Art, wie er Gitarre spielte. Von Anfang war das eine seiner stärksten Qualitäten gewesen, und in diesem Bereich konnte er sich in den letzten zehn Jahren seines Lebens sogar noch steigern, gehärtet durch mehr Disziplin und Feeling.
Direkt nach seinem Tod erinnerten Presse und Fernsehen oft an sein Solo bei „While My Guitar Gently Weeps“, das er bei einer Veranstaltung der Rock And Roll Hall Of Fame 2004 abgeliefert hatte. Er war Teil einer Supergroup
gewesen, die Tom Petty zu Ehren George Harrisons zusammengerufen hatte, der posthum von der Hall Of Fame gewürdigt wurde. Prince selbst wurde an diesem Tag ebenfalls in diesen erlauchten Kreis eingeführt, aber sein Solo vermittelte vor allem eine gefühlsmäßige Botschaft: formale Bestätigung ist bedeutungslos, verglichen mit der instinktiven Erschaffung von Musik. George Harrison wäre mit der werkgetreuen Präsentation seiner wehmütigen Komposition sicherlich zufrieden gewesen – auch wenn sie ihn in anderer Hinsicht geradezu von der Bühne fegte.
In den Tagen nach seinem Tod erinnerten sich Fans und Kritiker auch gern an seinen Auftritt beim Super Bowl 2007, einem der größten EntertainmentEvents in den USA, den Prince in jenem Jahr absolut beherrschte. Ein Journalist schrieb später: „Das FootballSpiel haben alle inzwischen längst vergessen. An den Regen aber erinnern sie sich noch – an den purple rain.“
Und vielleicht werden die Jahre von 2000 bis 2016 als eine Zeit in Erinnerung bleiben, in der Prince sich als Entertainer für ein Massenpublikum profilierte, aber so, dass es seinen Ruf als Musiker eher stärkte, als von ihm abzulenken. Ob er in dieser Zeit neue Klassiker einspielte, spielt möglicherweise überhaupt keine Rolle.
Mit 17 saß ich niedergeschlagen in einem Kino, das es inzwischen längst nicht mehr gibt, und dachte deprimiert an ein Mädchen, das mir einen Korb gegeben hatte, um mit einem anderen Jungen auszugehen. Von der Leinwand kam aus einer Wolke leicht rosafarbenen Rauchs ein Schrei, der mich aus meiner Starre riss. Prince wälzte sich erst auf einem Klavier, dann auf einem drekkigen Badezimmerfußboden. Die Schreie wurden mit jeder Sekunde lauter.
„The Beautiful Ones“ verlieh den Qualen, die ich fühlte, den perfekten Ausdruck. Als Prince diesen Song in Purple Rain sang, erlebte ich Musik so direkt und persönlich wie nie zuvor.
Aber meine Geschichte ist nur eine von vielen. Es ist auch nur eine sehr unbedeutende, verglichen mit denen jener Millionen von Menschen, die auf ähnliche Weise von Prince Rogers Nelson berührt wurden. Wenn Musik eine Sprache ist, die uns die eigenen Emotionen zu erklären vermag, dann war Prince einer unserer größten Übersetzer und wird es auch bleiben.
Während Großereignisse wie der Super Bowl verdeutlichten, dass Prince längst ein Entertainer von Weltrang geworden war, waren es die berühmten „Afterpartys“, bei denen er eine besonders enge Verbindung mit seinen Fans einging. Meistens erschien Prince nach seinen großen Stadionkonzerten gegen drei Uhr morgens noch in einem kleinen, sehr kurzfristig ausgewählten Club. Dieses anstrengende Programm war dann wohl auch der Grund dafür, dass er seine Mitmusiker und RoadManager so schnell verschliss. Aber Prince, der aus der Energie seiner Fans seine eigene Kraft schöpfte, gab gerade bei solchen Gelegenheiten einige seiner intensivsten, bewegendsten Shows.
1988 hatte ich in Boston einmal die Gelegenheit, einen solchen Auftritt mitzuerleben. Der Club war gerammelt voll mit Fans, die kurzfristig von dem „Geheimkonzert“ erfahren hatten. Prince witzelte: „Ich dachte, das sollte eine kleine, entspannende Afterparty werden.“ Wir flippten alle total aus. So viel dazu.
Wie üblich hatte Prince an diesem Abend ein wissendes, leicht arrogantes Lächeln auf den Lippen. Aber einen kurzen Augenblick lang sah ich noch etwas anderes – einen Hauch von Verletzlichkeit in seinem Gesicht und Dankbarkeit in seinen Augen. Er genoss sein Leben, liebte seine Arbeit und wusste es zu schätzen, von seinen treuesten Fans umgeben zu sein.
„Ich hatte noch nie so viele Kumpel“, sagte Prince.
Damit hatte er recht.
Alex Hahn, Juni 2016
Vorspiel
21. April 1996, Chanhassen, Minnesota
Die Probleme im Leben von Prince hatten sich zu einem derartigen Berg aufgetürmt, dass auch sein legendäres Talent, seine Energie und seine Leidenschaft davor kapitulierten. Die Kontrolle – das zentrale Thema in seinem Leben, von dem er geradezu besessen war – drohte ihm an den verschiedensten Fronten zu entgleiten.
Seine Finanzen waren in einem chaotischen Zustand. Nur zwei Tage zuvor hatte er sich gezwungen gesehen, den größten Teil seines Mitarbeiterstabs der Paisley Park Studios, seines Aufnahmekomplexes in Chanhassen, zu entlassen. Dabei war er ausschließlich selbstverschuldet in die roten Zahlen geraten; Prince produzierte ständig teure Musik und Videoprojekte, veröffentlichte sie dann aber anschließend nicht. Zahlreiche lokale und überregionale Unternehmer – Studiobesitzer, Modedesigner, Videoregisseure und andere – mussten feststellen, dass es Prince kaum noch möglich war, ihre Rechnungen zu bezahlen. Prince hatte nicht einmal mehr eine Band. Im März hatte er den Musikern seiner Begleitband, der Power Generation, unvermittelt eröffnet, sie stünden nicht mehr auf der Gehaltsliste.
Zudem stand Prince, der lange ein überzeugter Junggeselle gewesen war, kurz davor, Vater zu werden. Seine junge Frau Mayte Garcia, die er einige Monate zuvor am Valentinstag geheiratet hatte, war schwanger und sollte im November ihr Kind bekommen. Nachdem er sich öffentlich zu Werten wie Monogamie und Familie bekannt hatte, stand Prince nun unter dem enormen Druck, sich an einen Lebenswandel zu gewöhnen, der sich völlig von dem unterschied, dem er sich sein ganzes Erwachsenenleben lang hingegeben hatte.
Seine wichtigste Geschäftsbeziehung, die seit achtzehn Jahren bestehende Bindung an Warner Bros. Records, stand vor dem Ende. In den Jahren zuvor hatte sein fanatisches Bestreben, seine Karriere und seine Musik ausschließlich selbst zu kontrollieren, zu einem bitteren, von den Medien weltweit mit großem Interesse beobachteten Rechtsstreit mit dem Label geführt. Er verglich die Geschäftsführer mit Sklavenbesitzern und hatte sich bei öffentlichen Auftritten das Wort „slave“ – Sklave – auf die Wange gemalt. Während er nun in Chanhassen saß und wartete, waren seine Anwälte in Los Angeles damit beschäftigt, in angespannten Gesprächen mit den Warner-Vertretern darüber zu diskutieren, wie man die Verbindung, die für beide Seiten unproduktiv und peinlich geworden war, am besten beenden könnte. Der Vertrag, der Prince für jedes Album, das er ablieferte, eine Million Dollar garantiert hatte, würde damit null und nichtig werden.
In den letzten Monaten hatte Prince öfter unangenehmes Herzklopfen und gelegentlich heftige Brustschmerzen gespürt, und er begann sich ob seiner Herzprobleme zu sorgen. Da er gelesen hatte, Aspirin sei gut fürs Herz, nahm er nun mindestens vier am Tag. In jeder anderen Hinsicht behielt er sein anstrengendes Leben bei. Er arbeitete weiterhin ohne Unterlass, nahm zu jeder Tageszeit Musik auf und gab Konzerte, die erst um fünf oder sechs Uhr morgens zu Ende gingen.
Am Morgen des 21. April wurde das Herzklopfen schlimmer, und Prince trank Wein, um den Schmerz zu betäuben. Er trank eine ganze Flasche, und bei seinem leichten Körperbau und seinem schnellen Stoffwechsel setzte der Rausch recht schnell ein. Er nahm außerdem einige Aspirin ein. Ob er auch etwas aß, weiß man nicht, aber abgesehen davon, dass er schon immer nur sehr wenig zu sich genommen hatte, war er nun auch noch Veganer geworden und hatte alle tierischen Produkte aus seiner Ernährung gestrichen. Die Kombination aus Alkohol, Aspirin, Stress und Schlafmangel wirkte sich auf seinen schmalen, nur eins achtundfünfzig großen und siebenundfünfzig Kilo schweren Körper verheerend aus. Ihn überwältigten Wellen von Übelkeit, und er musste sich übergeben.
Prince wurde in die Notaufnahme des Fairview-Southdale-Krankenhauses im nahe gelegenen Vorort Edina gebracht, wo ihn die Ärzte mit Fragen bombardierten: Hatte er Depressionen gehabt? Hatte er Drogen genommen? Waren schon einmal Herzprobleme festgestellt werden? Trotz seiner schlechten Verfassung war Prince klar genug bei Bewusstsein, um all das zu verneinen, aber für die Ärzte klangen seine Antworten einstudiert, ausweichend und unvollständig.
Zwar war Prince zwei Jahrzehnte lang ein Workaholic gewesen, aber ansonsten hatte er weit gehend solide gelebt, und daher hätte man annehmen können, dass er von den Stars seiner Generation wohl einer der unwahrscheinlichsten Kandidaten war, wenn es darum ging, den Pfad zur Selbstzerstörung zu beschreiten. Sicher, er war bekannt für seine oft bizarren Aktionen – was die Tatsache, dass er seinen Namen in ein unaussprechliches Symbol geändert hatte, unzweifelhaft bewies –, aber er zählte zu den diszipliniertesten Persönlichkeiten in der Geschichte der Popmusik.
Und dennoch saß er nun hier, in der Notaufnahme eines Krankenhauses, war berauscht und musste sich übergeben. Irgendwie hatte Prince die Kontrolle verloren.
Erster Teil: Aufstieg 1958–1988
1.: Zuhause
Als er fünf Jahre alt war, nahm Prince Roger Nelsons Mutter, Mattie Shaw, ihren kleinen Sohn in ein Theater in Minneapolis mit, wo sein Vater, John L. Nelson, bei einer Musikrevue Klavier spielte. Nachdem er und seine Mutter ihre Plätze eingenommen hatten und darauf warteten, dass die Show begann, sah Prince den hunderten von Menschen zu, die in das Theater strömten, und er fragte sich, was wohl als Nächstes passieren würde. Auf einen Schlag gingen die Lichter aus und hüllten ihn und das übrige Publikum in Dunkelheit. Dann wurde hinten im Saal ein helles Spotlight eingeschaltet, das die Aufmerksamkeit aller auf die Bühne richtete. Der Vorhang bewegte sich, und hinter ihm trat ein lächelnder John Nelson hervor, der sich zu herzlichem Applaus ans Klavier setzte.
Als Nelson zu spielen begann, nahm sein Gesicht einen konzentrierten Ausdruck an, und seine Hände flogen über die Tasten. Das Publikum sah ihm gebannt zu. Prince schien es, als habe sein Vater besondere Fähigkeiten, mit denen er hunderte von Menschen in Trance versetzen konnte.
Hinter Nelson bewegte sich der Vorhang erneut. Eine Gruppe äußerst attraktiver, knapp bekleideter Frauen – die Chormädchen – trat zu ihm auf die Bühne. Prince sah zu, wie sie um seinen Vater herumtanzten, der ihr verführerisches Lächeln erwiderte.
Nach dieser Show ließ Prince diese Szene wieder und wieder in seinem Kopf Revue passieren. Er rief sich seinen Vater ins Gedächtnis, wie er vorn an der Bühne stand, von Lichtern angestrahlt, die hell die Dunkelheit durchdrangen. Aber während er sich all das erträumte, änderte sich das Drehbuch ein wenig. Jetzt saß Prince selbst am Klavier und badete in der Bewunderung der Menge. Nun war er umgeben von schönen Frauen, die zu den Rhythmen tanzten, die er erschuf.
Der junge Prince entwickelte eine Besessenheit für die Macht der Musik. In den folgenden Tagen und Wochen begann er zu erforschen, wie Instrumente klangen und wie man sie spielen konnte. Sein Vater hatte ein Klavier im Wohnzimmer stehen, und Prince begann, jeden Tag darauf herumzuklimpern, während Nelson in der Arbeit war. Er war ein Naturtalent: Es dauerte nicht lange, und er konnte dem Instrument eine zusammenhängende Melodie entlocken. Beim Einkaufen in den großen Kaufhäusern rannte Prince sofort in die Abteilung mit den Musikinstrumenten. Er spielte mit Radios, Orgeln und Klavieren – mit allem, was Geräusche von sich gab. Weil er klein und daher nicht leicht zu sehen war, folgte seine Mutter manchmal nur den Geräuschen, um ihn wieder aufzuspüren.
Prince, der stets ein ruhiges Kind gewesen war, das am liebsten allein spielte, schien die perfekte Ausdrucksmöglichkeit für sich gefunden zu haben. Seine neu erwachte Begeisterung für die Musik beschäftigte ihn nun mehr als alles andere. Er zog sich von der Welt zurück und stürzte sich in die Musik – ein Muster, das sein Leben fortan prägen sollte.
In Minnesota, dem amerikanischen Bundesstaat, in dem Prince geboren wurde und auch später stets lebte, ziert die Nummernschilder der Autos der Spruch „Land der zehntausend Seen“. Dieser Ausdruck lässt an ein halbmythisches Land im Herzen des amerikanischen Mittelwestens denken – eine gesunde und ordentliche, wenn auch vielleicht etwas langweilige Gegend, mit der man in den USA Protestantismus, schlichte Vanillearomen und bürgerliche (und zudem weiße) Moralvorstellungen assoziiert. Die Region wurde 1640 von einem calvinistischen Pfarrer namens Pater Louis Hennepin entdeckt, der bei seinen Reisen auf die beeindruckenden Saint-Anthony-Wasserfälle stieß, die sich in den Mississippi ergießen. Die Metropole dieses Bundesstaats, Minneapolis, wurde um 1840 von frühen Industriellen gegründet, die entlang dem Fluss und unterhalb der zur Energiegewinnung genutzten Wasserfälle Sägewerke und Getreidemühlen errichteten, aber dennoch hat sich die Stadt eine überraschende Unverdorbenheit und große landschaftliche Schönheit erhalten, die sich auch im Namen des Staats spiegelt, der in der Sprache der Dakota-Indianer ein „Wasser“ bedeutet, „das den Himmel spiegelt“.
Es ist wenig verwunderlich, dass ein solches Gebiet einen ehrlichen Folksänger wie Bob Dylan hervorgebracht hat, einen typisch amerikanischen Schriftsteller wie F. Scott Fitzgerald oder einen populistischen Politiker wie den Demokraten und Nixon-Herausforderer Hubert H. Humphrey. Man würde jedoch nicht erwarten, dass dies die Heimat eines getriebenen, messianischen, afroamerikanischen Popmusikers mit einer kometenhaften Karriere sein würde – eines ehrgeizigen, vielgestaltigen Talents, das mit einer derartigen Geschwindigkeit berühmt wurde, dass ihm zu seinen besten Zeiten allenfalls Michael Jackson oder Madonna ebenbürtig schienen. Selbst nachdem er ein internationaler Superstar geworden war, entfernte sich Prince selten weit von diesem kalten Staat im mittleren Westen. In Minneapolis hat er schon an den verschiedensten Orten gewohnt: als junger Mann in einer kleinen Wohnung in der Innenstadt, dann in einem hübschen gemieteten Haus am Ufer des Lake Minnetonka, wo er das überaus direkte Album Dirty Mind einspielte, und in einem lila angestrichenen Haus am grünen Kiowa Trail. Später nutzte er den Überfluss, den ihm der enorme Erfolg des Albums und Films Purple Rain von 1984 eingebracht hatte, um in Edina, einem exklusiven Vorort von Minneapolis, ein Haus mit Swimmingpool und Tennisplatz zu kaufen und sich ein paar Kilometer entfernt in Chanhassen den ausgedehnten Studiokomplex Paisley Park bauen zu lassen. Das Studio stand zwar zunächst auch anderen Künstlern offen, aber schon bald wurde es sein privates, abgeschottetes Universum, das niemand außer ihm, seinen Angestellten und einigen auserwählten Freunden und Mitarbeitern betreten durfte.
Zwar trat Prince in der ganzen Welt auf, aber den größten Teil seines Lebens verbrachte er in kleinen, ruhigen Vororten in der Nähe der Gegend, in der er aufgewachsen war. Diese Umgebung wurde schließlich zur Metapher für sein Einsiedlertum und sein Misstrauen gegenüber Außenstehenden. „Ich werde immer in Minneapolis leben“, sagte Prince 1996 Oprah Winfrey. „Da ist es so kalt, dass es die bösen Menschen abschreckt.“
John Nelson, der Sohn kleiner Farmpächter, dessen Großeltern noch Sklaven gewesen waren, zog 1956 aus Louisiana nach Minneapolis, nachdem er sich von seiner ersten Frau Vivienne hatte scheiden lassen. Ihn lockten die starke Wirtschaft des Industriestandorts und die Tatsache, dass die Stadt Minderheiten gegenüber als sehr tolerant galt, und er ließ sich mit seinen zwei Töchtern Lorna und Sharon sowie seinem Sohn John Jr. im Norden von Minneapolis nieder, einer Arbeitergegend, in der viele Afroamerikaner lebten und die allgemein Northside genannt wurde. Nelson war klein – nur etwa eins sechzig, aber gut aussehend und stets perfekt gekleidet. Er fand eine Stelle bei Honeywell Electronics, wo er Plastikteilchen formte, und blieb bei dieser Firma, bis er dreißig Jahre später in Rente ging. Er war der ideale Arbeitnehmer: Er war ruhig, sprach nicht viel, war ordentlich, hatte feste Gewohnheiten und war enorm diszipliniert.
Nelsons wahre Leidenschaft galt der Musik. Er war ein talentierter Pianist und passte daher perfekt auf die Northside, wo es zahlreiche Jazzclubs und Bluesbars gab. Nelsons gute Konstitution ermöglichte es ihm, jeden Tag bei Honeywell zu schuften und dann bis in die frühen Morgenstunden in diesen kleinen Clubs vor Ort aufzutreten. Seine Band, das Prince Rogers Trio (das nach seinem Bühnennamen benannt war), erspielte sich in der Umgebung einen guten Ruf.
Nelson war ein zurückhaltender Mann mit einem sehr lebendigen Sinn für Humor. Er wirkte ruhig und selbstbewusst, aber viele Menschen fanden ihn seltsam; ein Mitarbeiter von Prince in den Neunzigern verglich Nelson mit Chauncey Gardiner, dem geheimnisumwitterten Helden des Films und Romans Willkommen, Mr. Chance. Gelegentlich jedoch traf Nelson auf einen der seltenen Menschen, die seine Art der Kommunikation perfekt verstanden. Dazu gehörte beispielsweise der große Trompeter und Bandleader Miles Davis, den er 1987 bedingt durch den Ruhm seines Sohnes kennen lernte. „Sie waren beide ein wenig exzentrisch und verrückt – sie verstanden einander sehr gut“, erinnerte sich Susan Rogers, die lange Zeit als Tontechnikerin für Prince tätig war. Als sie sich in dem Aufnahmestudio trafen, in das Prince Miles eingeladen hatte, sah Nelson ihn genau an und sagte beiläufig: „Ich mochte diese Hosen, diese gestreiften, die Sie bei den Grammy Awards getragen haben.“
Miles dachte darüber nach und sagte dann: „Ich habe keine gestreiften Hosen.“
„Doch, sicher, ich habe Sie doch damit gesehen“, erwiderte Nelson unbeirrt.
Nachdem sie sich an diesem Thema festgebissen hatten, diskutierten die beiden Jazzer hin und her, ob es die gestreiften Hosen nun gab oder nicht. Prince hielt sich im Hintergrund, beobachtete den bizarren Wortwechsel und musste sich das Lachen verkneifen.
Schließlich erinnerte sich Miles an das fragliche Kleidungsstück. „Ja, jetzt fällt es mir ein. Ich habe gestreifte Hosen“, sagte er. „Sie sind aus Aalhaut gemacht. Aalhaut, wie in Vietnam!“
Nelson lächelte; er schien genau zu wissen, was Miles meinte.
Musikalisch konnte er Miles (und auch seinem Sohn) zwar nicht das Wasser reichen, aber Nelson war dennoch ein talentierter Jazzpianist. Das Prince Rogers Trio spielte nicht nur Standards, sondern auch einige von Nelsons eigenen Kompositionen, bei denen es sich um abstrakte, nicht lineare Stücke handelte, die gelegentlich an Thelonious Monk oder Duke Ellington erinnerten. Nelsons Musik war, wie er selbst, eine Herausforderung, wenn man sie richtig verstehen wollte. „Es waren ausufernde Balladen, sehr unstrukturiert, mit vielen Pausen und seltsamen Phrasierungen“, sagte Rogers, die auch einmal eine Session für Nelson mitschnitt.
1956 traf Nelson, als er bei einer Tanzveranstaltung in Northside aufspielte, die Jazzsängerin Mattie Shaw. Auch sie stammte eigentlich aus Louisiana und war mit ihrer Zwillingsschwester Edna Mae in den Fünfzigern nach Minneapolis gezogen. Ihre Stimme erinnerte viele Zuhörer an Billie Holiday. Sie war Anfang zwanzig und hatte schon eine Ehe hinter sich, aus der ein Sohn, Alfred, hervorgegangen war. Der sechzehn Jahre ältere Nelson bat sie, seiner Band beizutreten, und das tat sie: Wenig später waren sie auch privat ein Paar, und sie heirateten 1957. Die ganze Familie zog nach Northside in ein bescheidenes Häuschen in der Logan Avenue 915.
Prince, ihr erstes gemeinsames Kind, kam am 7. Juni 1958 im Mount-Sinai-Krankenhaus im Zentrum von Minneapolis zur Welt. Sein ungewöhnlicher Name war dem Künstlernamen seines Vaters entlehnt und spiegelte auch die hohen Erwartungen, die wohl alle Eltern mit ihren Neugeborenen verknüpfen. „Ich nannte meinen Sohn Prince, weil ich wollte, dass er all das verwirklicht, was ich mir je vorgenommen hatte“, sagte Nelson 1991 in der TV-Show A Current Affair.
Ein zweites Kind, Tyka, kam 1960 zur Welt. Jetzt war die Familie komplett – Vater, Mutter und sechs Kinder (aus drei verschiedenen Ehen), die von Nelsons bescheidenem Einkommen lebten. Doch irgendwie gelang es ihnen, nicht in Armut zu versinken. Charles Smith, ein Cousin zweiten Grades von Prince, hat das Haus der Nelsons als makellos sauber und sogar recht nobel in Erinnerung, jedenfalls im Vergleich zum Haus seiner eigenen Eltern. Nelson baute in die Wohnzimmerwand schließlich sogar einen Fernseher ein, und das erschien Smith, der seinen Vater leider nicht dazu überreden konnte, es ihm gleichzutun, als Merkmal äußersten Wohlstands. Smith berichtet zudem, dass Nelson die ganze Nachbarschaft mit seinem geschniegelten Äußeren beeindruckt habe. „Seine Schuhe passten stets zu seiner Kleidung, und er war immer sauber und ordentlich“, sagte Smith. „Wir gingen immer zu ihm und bettelten darum, dass er seinen Schrank öffnete und uns seine Anzüge zeigte.“ Seinem Sohn war Nelson in jeder Hinsicht ein Vorbild: Prince bewunderte seine musikalische Kreativität, seine extravagante Kleidung und seine Disziplin.
Shaw, die ihren Ehemann in der Regel Prince nannte, gab ihrem Sohn den Spitznamen Skipper, der sich auch einprägte. Über Jahre hinweg bestand er darauf, dass er von Familie und Freunden so genannt wurde, und er wurde bockig, wenn man Prince zu ihm sagte. Mit sieben Jahren konnte er bereits recht fließend auf dem Klavier seines Vaters spielen, und es war klar, dass die Musik in seinem Leben eine bedeutsame Rolle spielen würde. Dennoch hatte er andere Interessen – typisch für einen Jungen in seinem Alter: Sport, vor allem Tischtennis und Basketball. Smith erinnert sich, dass Prince in beiden Sportarten recht gut und überaus ehrgeizig war. Er liebte es zu gewinnen und tat das auch immer. Mitte der Achtziger, bei einem Treffen mit Michael Jackson, forderte Prince seinen Erzrivalen zu einer Partie Tischtennis heraus. Um den selbst ernannten King of Pop von vornherein einzuschüchtern, schmetterte Prince den Ball wütend quer über die Platte, seinem Gegner entgegen.
Zwar sollte ein fester Glaube in seinem Leben später eine große Rolle spielen – auf den Dankeslisten der Albumcover stand Gott jedes Mal ganz oben –, aber das lag nicht unbedingt daran, dass man ihn von Kindesbeinen an mit Religion indoktrinierte. Die Nelsons waren praktizierende Adventisten des Siebten Tags, und Prince besuchte den Bibelunterricht. In späteren Interviews beklagte er sich, dass ihm bei den Gottesdiensten, die er als Kind besuchen musste, lediglich der Chor gefallen habe. Während er jedoch keine Affinität für irgendeine organisierte Religion entwickelte, absorbierte er mit Sicherheit die grundsätzliche christliche Lehre, die auf ihn einen großen Eindruck machte. Die Vorstellung eines allmächtigen Gottes, der gute Taten belohnen und das Böse bestrafen würde, war in seinem Bewusstsein fast immer fest verankert.
Prince besuchte zunächst die John-Haye-Grundschule in Northside. Er hatte Probleme damit, dass er ein ganzes Stück kleiner war als seine Klassenkameraden. In seinen Songs und auch in Interviews ließ er sich später häufig darüber aus, dass er viele Hänseleien ertragen musste. 1996 sagte er im Gespräch mit Oprah Winfrey, dass die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit, darunter auch die Schikanen seiner Mitschüler, dazu geführt hätten, dass sich in ihm eine zweite, abgespaltene Persönlichkeit entwickelte. „Jüngste Untersuchungen haben ergeben, dass es vermutlich zwei Personen in mir gibt“, sagte er ohne jeglichen Anklang von Ironie. „Ich bin nicht nur vom Sternzeichen her Zwilling. Und wir haben noch nicht festgelegt, welches Geschlecht diese andere Person hat.“
Glücklicherweise brachte ihn der Spott auf dem Schulhof nicht dazu, sich weiter in sich selbst zurückzuziehen. Stattdessen entwickelte er mit neun oder zehn ein komisches Talent und begann, mehr Freunde zu finden. Vor allem wenn er mit Menschen zusammen war, die er kannte, konnte er sich schnell von einem scheuen, introvertierten Kind in einen ausgelassenen, lustigen Jungen verwandeln. „Er war genau wie wir alle – er war lustig und machte Späße“, berichtete Smith.
Auch war Prince kein Außenseiter unter seinen Altersgenossen. Er war schick, aber konservativ angezogen (darauf achtete sein Vater) und hatte sich noch nicht das kryptische Gemurmel angewöhnt, das viele seiner Interviews prägte, nachdem er berühmt geworden war. Dennoch wollte Prince mehr als nur zu einer Gruppe zu gehören: Nach und nach entwickelte er den Wunsch, andere zu überraschen, zu verblüffen und zu schockieren. Dieser Charakterzug wurde noch bestärkt durch eine eigentümliche und etwas zwielichtige Figur in seinem direkten Umfeld: seinen Halbbruder Alfred Nelson, den ersten Sohn von Mattie Shaw. Er war einige Jahre älter als Prince, hatte ebenfalls musikalisches Talent – er sang bei seiner großen Sammlung von James-Brown-Platten voller Inbrunst mit, und er war zudem ebenso schrill und unkonventionell; er trug eine verrückte Frisur im Stil von Little Richard und warf mit Geldscheinen um sich, die wer weiß woher stammten. „Wir glauben, dass er ein Zuhälter oder so was war“, erinnerte sich Smith. Alfred, der gegen Disziplin völlig immun war, kroch gelegentlich spätnachts aus seinem Schlafzimmerfenster und schlich sich aus dem Haus, um später auf demselben Weg zurückzukehren. Manchmal überraschte er dann Prince und Smith, die oft zu ihm kamen, um seine wilden Outfits anzuprobieren und James Brown zu hören.
Zwar ist wenig über Alfreds musikalisches Talent oder seinen diesbezüglichen Ehrgeiz bekannt, aber es ist auffällig, dass sich viele seiner Eigenheiten – ein seltsam schräger Stil bei Kleidung und Frisur, die Begeisterung für James Brown und eine eigenwillige Beziehung zum Essen – auch bei Prince zeigten. Aber Alfred verstand sich letztlich weniger darauf, seine eigenartigen Impulse zu kontrollieren oder in sinnvolle Bahnen zu lenken. Smith zufolge drehte er schließlich durch und landete in einer psychiatrischen Anstalt in Minneapolis.
Während es für Prince in der Schule und mit seinen Altersgenossen allmählich einfacher wurde, verschärfte sich die Situation in der Familie. John Nelson und Mattie Shaw hatten völlig unterschiedliche Charaktere und kamen oft nicht gut miteinander zurecht. „Sie war diejenige, die ausflippte, nicht er“, berichtete Smith. „Ich glaube, dass Nelson wirklich sehr viel an Princes Mutter lag und dass sie nicht oft genug in ihre Schranken gewiesen wurde.“ Es war nicht ungewöhnlich, dass es zu lauten Streitereien kam, bei denen Shaw in Tränen ausbrach. Dazu kam, dass sie ihre Karriere auf Eis gelegt hatte, um sich um die Kinder zu kümmern, während Nelson nach wie vor nachts in den Clubs auftrat. Diese konfliktbeladene Situation war beängstigend und verwirrend für Prince, der in seinem quasi autobiografischen Film Purple Rain ein düsteres Porträt seiner Familie zeichnete. 1996 erzählte er Oprah Winfrey, die Szene, in der seine Mutter weint, nachdem sein Vater sie geschlagen hat, sei der Moment des Films gewesen, der am authentischsten aus seinem Leben erzählt hatte. Die Streitereien gingen weiter, und seine Eltern trennten sich, als er zehn Jahre alt war; später ließen sie sich scheiden.
Als Nelson auszog, ließ er sein Klavier da, und Prince spielte weiter begeistert darauf. Shaw heiratete wenig später Hayward Baker aus Minneapolis, der somit sein Stiefvater wurde. Prince, der kurz vor der Pubertät stand, lehnte es ab, dass nun ein weiterer Mann in sein Leben eindrang, und er geriet häufig mit Baker aneinander. Jahre später beschrieb Prince ihn als distanziert und materialistisch. „Ich konnte ihn von Anfang an nicht leiden“, sagte er 1981der Zeitschrift Musician. „Er brachte uns ständig Geschenke, statt sich mal hinzusetzen, um mit uns zu reden und uns ein Freund zu sein.“
Mit zwölf Jahren bat Prince seinen Vater, ihn wieder zu sich zunehmen. Nelson war dazu bereit, aber dieses Arrangement war nicht von Dauer. Smith zufolge erwischte Nelson Prince mit einer Freundin im Bett und warf seinen Sohn zur Strafe raus. Wie er 1985 in einem Interview mit dem Rolling Stone erzählte, flehte er seinen Vater an, bleiben zu dürfen, und bat auch seine Schwester Tyka, sich für ihn einzusetzen. Als er Nelson schließlich telefonisch erreichte, musste Prince erfahren, dass der immer noch an seinem Nein festhielt: „Ich saß zwei Stunden lang heulend in der Telefonzelle. Das war das letzte Mal, dass ich geweint habe.“
Sie sollten nie wieder zusammen wohnen, aber ihre Beziehung war abwechselnd geprägt von intensiver Zuneigung und zorniger Distanz, bevor Nelson 2001 starb. Prince versuchte als Erwachsener wiederholt, sich Nelson wieder anzunähern – er nannte ihn als Autor für Songs, mit denen sein Vater gar nichts zu tun gehabt hatte, lobte ihn in den Medien in den höchsten Tönen und stellte ihn Größen wie Miles Davis vor. Ganz offensichtlich hatte er den Wunsch, ein enges Band zu seinem Vater zu knüpfen und alte Wunden zu heilen.
Was aber waren das für Wunden? Als hätte es nicht schon gereicht, dass der Vater die Familie verließ und Prince dann später auf die Straße setzte, bestrafte Nelson seinen Sohn zudem auf eine Weise, die emotionale Narben hinterließ. In Purple Rain spielt Prince einen aufstrebenden jungen Musiker, der von seinem launischen, unberechenbaren Vater körperlich gezüchtigt wird. Als Oprah Winfrey ihn 1996 fragte, ob ihn sein Vater je „misshandelt“ habe, antwortete Prince: „Er hatte so seine Phasen.“ Im Song „Papa“ (auf dem 1993 erschienenen Album Come) flüstert Prince: „Misshandelt die Kinder nicht, sonst werden sie so wie ich.“
Allerdings war Prince diesbezüglich nicht immer konsequent – eine Tatsache, die sicherlich auch die widersprüchlichen Gefühle in Bezug auf seinen Vater widerspiegelt. 1999 sagte er Larry King, sein Vater habe ihn nicht „hart“ behandelt, und Misshandlungen erwähnte er nicht. „Ich meine, er war sehr streng, wenn es um Bestrafungen ging, aber das waren alle Väter“, sagte Prince. „Ich habe den Unterschied zwischen Recht und Unrecht gelernt, daher erscheint mir das nicht so hart.“
Nelson selbst verneinte stets vehement, seine Kinder misshandelt zu haben. Charles Smith, der zwar nicht kategorisch ausschließen wollte, dass Prince auch körperlich gezüchtigt worden war, bemerkte zumindest keine Spuren systematischer Gewalt. „Ich habe nie miterlebt, dass Prince oder Tyka besonders schlecht behandelt worden wären“, sagte er.
Nachdem er von seinem Vater auf die Straße gesetzt worden war – an sich im Grunde bereits ein Fall von Kindesmisshandlung –, wurde sein Leben noch schwerer als vorher. Er blieb kurze Zeit bei seiner Tante, Olivia Nelson (John Nelsons Schwester), aber sie wollte oder konnte seine Erziehung nicht langfristig übernehmen. Monatelang pendelte er zwischen verschiedenen Familienmitgliedern und Freunden hin und her. „Ich fand es nicht schön, so herumgeschubst zu werden“, sagte er 1980 der Los Angeles Times. Und zum ersten Mal in seinem Leben lernte er auch wirkliche Armut kennen. Er stellte sich damals sogar oft vor die Tür eines McDonald’s, um das Bratfett zu schnuppern und davon zu träumen, dass er sich einen Burger leisten könnte.
Schließlich kam Prince dauerhaft bei Bernadette Anderson unter, der Mutter seines engen Freundes André. Mistress Anderson, die wie die Nelsons ebenfalls zu den Adventisten des Siebten Tags gehörte, war eine jener Frauen, wie man sie in den ärmeren afroamerikanischen Vierteln öfter antraf und welche die Probleme ihrer Gemeinde als ihre eigenen betrachteten. Zwar hatte sie sechs eigene Kinder, aber sie nahm Prince wie einen Sohn bei sich auf und kümmerte sich für den Rest seiner Teenagerjahre um seine Erziehung. „Sie war jedem eine Mutter“, sagte Smith. „Wenn sie mit dem Auto vom Einkaufen kam, dann teilte sie alles mit jedem.“
Nachdem er nun wieder das dringend nötige Gefühl verspürte, einen festen Halt im Leben zu haben, konzentrierte sich Prince auf den Unterricht an der Bryant Junior High School. Er kam in die Basketballmannschaft der Schule und freundete sich eng mit einem Mitspieler namens Duane an, der bald den Namen Duane Nelson tragen und sein Stiefbruder werden sollte, als John Nelson wieder heiratete. Von Anfang an spielte ein gewisses Konkurrenzdenken in ihrer Freundschaft eine große Rolle, weil Duane, der höher aufgeschossen war und besser aussah, größere Chancen bei den Mädchen hatte. (Prince thematisierte in dem Song „Lady Cab Driver“ auf 1999, wie sehr ihn diese Situation damals frustrierte.)
In der Highschool wurde Prince schnell klar, dass seine Stärken nicht unbedingt auf sportlichem Gebiet lagen. Er begann auf der Central High immer mehr, sich mit Musik zu beschäftigen, und er besuchte eine Reihe verschiedener Kurse. Sein Talent blieb dabei nicht unentdeckt. Sein Lehrer John Hamilton schloss während der Mittagspause das Musikzimmer ab, damit Prince ungestört auf dem Klavier und den anderen Instrumenten üben konnte. Außerdem besuchte Prince auch einen eher ungewöhnlichen Kurs, den Hamilton „Musikbusiness“ nannte und in dem die Schüler die juristischen und finanziellen Grundsätze lernten, nach denen die Musikindustrie vorging. Der Lehrer gab Prince zudem Einzelunterricht an Klavier und Gitarre. Mark Brown, ein anderer Central-Schüler, der ähnlich von Hamilton gefördert wurde (und der später sein Bassist wurde), beschreibt seinen Lehrer als sowohl ermutigend als auch streng. „Er wollte, dass ich Noten lesen lerne, und da stimmten wir überhaupt nicht überein“, sagte Brown. „Aber er war ein toller Lehrer, und er hat einen wirklich vorangetrieben.“
Sein Freund und Ersatzbruder André Anderson (der später den Namen André Cymone annahm) interessierte sich ebenfalls für Musik, und die beiden begannen regelmäßig im Keller von Andrés Mutter zu jammen. Etwa zu dieser Zeit kaufte John Nelson – vielleicht als Friedensangebot in ihrer schwierigen Beziehung – Prince eine Gitarre. Anderson lernte Bass, und Smith brachte ein kleines Schlagzeug mit, um seinerseits zu dem Lärm beizutragen. „Ich sagte Prince, dass er auf keinen Fall Gitarre spielen könnte, weil er doch eigentlich Pianist war“, erinnert sich Smith. „Er bewies, dass ich völlig Unrecht hatte, indem er im Handumdrehen Gitarre lernte.“ Den Gesang in dieser spontan zusammengestellten Truppe übernahm zunächst Smith.
Oben im Haus teilte sich Prince mit Anderson ein Zimmer. Sie waren zwar gute Freunde, aber das enge Miteinander brachte dennoch Probleme: Auf Andersons Zimmerseite lagen überall Sachen herum, während es bei Prince so aufgeräumt war wie in einem Armeespind. Obwohl er nicht mehr bei seinem Vater lebte, schien dessen disziplinierte Lebenseinstellung doch großen Einfluss auf Prince zu haben, der nun in den Keller zog, weil er dort besser Ordnung halten und auch mehr Privatsphäre genießen konnte. Bernadette Anderson hat dieser Darstellung widersprochen, wohl weil sie auf keinen Fall den Eindruck aufkommen lassen wollte, dass ihr Ziehsohn nicht gut behandelt wurde, aber Prince hat das immer wieder betont.
Im Keller hatte er zudem seine Instrumente gleich zur Hand; Prince hatte bereits begonnen, die Grenze zwischen Zuhause und musikalischer Arbeitsstätte zu verwischen. Der Keller wurde zudem so etwas wie ein privates Universum – ein kleiner Ausschnitt der Welt, in dem er alles komplett unter Kontrolle hatte. Es war zwar ein dunkler Raum ohne allzu viel natürliches Licht, aber dennoch fühlte er sich hier am wohlsten, und es war ein erstes Modell für die isolierten Aufnahmestudios, in denen er den größten Teil seiner wachen Stunden in den nächsten dreißig Jahren verbringen sollte.
Man schrieb nun das Jahr 1974, und Auseinandersetzungen über eine ganze Reihe gesellschaftspolitischer Themen erschütterten die Städte der USA. Vornehmlich ging es dabei um den Vietnamkrieg und um die Rassenfrage, ein Thema, das sich in den Siebzigern vor allem daran entzündete, dass per Gerichtsbeschluss häufig schwarze Kinder in weiße Viertel zur Schule geschickt wurden und umgekehrt. So wurden auch weiße Kinder der vor allem von Afroamerikanern besuchten Central High zugewiesen, und Mitte des Jahrzehnts war das Verhältnis weißer und schwarzer Schüler dort beinahe ausgewogen. Bei einem Ehemaligentreffen 1996 erinnerten sich frühere Schulangestellte kaum an eine angespannte Lage, wie sie in anderen amerikanischen Großstädten die Regel gewesen war. „Meiner Meinung nach war die Central zwischen 1971 und 1981 eine der Schulen in Minnesota, bei denen die Integration ausgesprochen friedlich verlaufen war“, wusste die ehemalige Musiklehrerin Bea Hasselmann der Minneapolis Star Tribune anlässlich dieses Events zu berichten.
Von anderer Seite wird diese rosarote Darstellung angezweifelt. Mark Brown, der dort auch noch in den späten Siebzigern zur Schule ging, als Prince bereits seinen Abschluss gemacht hatte, erinnert sich an „sehr viele Spannungen und viele Kämpfe“ zwischen Schwarzen und Weißen. „Eine Trennung bestand trotzdem: Schwarze trafen sich mit Schwarzen und Weiße mit Weißen.“
Aber falls die Rassendiskriminierung wirklich den Alltag an der Central High School prägte, dann hatte das auf Prince offenbar insofern wenig Einfluss, als er keine Bitterkeit gegen Weiße entwickelte. Als er einige Jahre später seine erste Profiband zusammenstellte, wählte er bewusst sowohl weiße als auch schwarze Musiker. Auch bot seine Hautfarbe ihm während seiner Teenagerzeit keine starke Identifikation; zwar war er hauptsächlich mit schwarzen Freunden aufgewachsen, und seine Eltern waren schwarz, aber während der ersten zehn Jahre seiner Karriere bestritt er ganz bewusst, eine von seiner Rassenzugehörigkeit geprägte Identität zu haben. (In frühen Interviews gab er fälschlicherweise an, seine Eltern seien ein gemischtrassiges Paar gewesen.) Erst ab Mitte der Neunziger, als er seinem Plattenvertrag zu entkommen suchte, den er mit Sklavenhalterei verglich, stellte Prince sich selbst als unterdrückter schwarzer Amerikaner dar. Und selbst da führte er eher die allgemeine wirtschaftliche und soziale Unterdrückung ins Feld, um sein eigenes schweres Los zu illustrieren.
Auch die antiautoritäre Haltung, die von den gesellschaftskritischen Bewegungen der Sechziger und Siebziger propagiert wurde, hatte wenig Einfluss auf Prince – oder vielleicht war es eher so, dass dieser Einfluss sich verspätet bemerkbar machte. Zwar galt Prince zwischen zwanzig und dreißig als selbst gestylter Kulturrebell, aber auf der Highschool war er weder Unruhestifter noch Agitator. Smith erinnert sich, dass Prince die Schule sehr diszipliniert anging und seine Hausaufgaben oft schon vorab, immer aber rechtzeitig machte. Diese Einschätzung bestätigt auch seine Toningenieurin Rogers, die Mitte der Achtziger auf eines seiner Zeugnisse stieß und sich erinnert, er habe zwei Zweien und eine Eins bekommen und sei als „ruhiger, fleißiger, gehorsamer Schüler mit Respekt für die Obrigkeit und seine Lehrer“ beschrieben worden.
Aber seine wahren Interessen lagen außerhalb des Unterrichts. Jeden Tag nach der Schule zogen sich Prince, Anderson und Smith in den Keller zurück und jammten stundenlang. Sie spielten dabei nicht nur ihre eigenen Songs – hauptsächlich unstrukturierte Instrumentals –, sondern auch eine Reihe von Coverversionen. Sie brachten sich die Titel bei, die sie von Santana, Grand Funk Railroad oder anderen Bands im Radio hörten.
Der Keller der Andersons, der Prince als Schlafzimmer und Probenraum diente, stand zudem für seinen ersten Versuch, eine alternative Community zu gründen, bei der die Musik und vielleicht auch Sex eine große Rolle spielten. Jahre später erinnerte Prince sich in Interviews an ein hedonistisches Wunderland, in dem er und Anderson sich ersten Liebesspielen mit verschiedenen Freundinnen hingaben. Smith meint zwar, dass er dabei aus Publicitygründen übertrieb – eine Tatsache, die Prince selbst bestätigte, als Familienmitglieder wegen dieser Enthüllungen peinlich berührt reagierten –, andere wiederum glauben, dass diese Geschichten der Wahrheit recht nahe kommen. „Ich hatte den Eindruck, dass es da in diesem Keller viele Mädchen gegeben hat“, sagt Howard Bloom, der in den Achtzigern als Presseagent für Prince tätig war. „Er ist in den Sechzigern aufgewachsen, als die Botschaft Make love, not war lautete. In diesem Keller strebte er der Befreiung entgegen, und er sah es als sein Recht an, jede Art von Sexualität, Spaß und Vergnügen auszuleben.“
Dennoch erscheint es unwahrscheinlich, dass Bernadette Anderson, die sich so viel Mühe gab, ihren Kindern eine disziplinierte Umgebung zu bieten, derartig ungebremste Exzesse gestattet hätte. Pepé Willie, ein Freund und Musikerkollege, erinnert sich, dass Mistress Anderson Prince, der damals sechzehn war, einmal eine Tracht Prügel verabreichte, als sie entdeckte, dass er die Schule geschwänzt hatte, um stattdessen im Keller mit einem Mädchen herumzuschmusen. „Sie verdrosch ihn, noch während ich dabeistand“, berichtete Willie. „Er war nicht wütend, er versuchte nicht, zurückzuschlagen oder dergleichen, er nahm es einfach hin, dass er eine Tracht Prügel bezog.“
Dennoch ging es in jenem Keller in erster Linie um Musik – nicht um die Verbesserung der eigenen Fähigkeiten, sondern auch darum, etwas über andere Musiker zu erfahren. Prince und seine Freunde hörten viel Radio und waren denselben weichgespülten Hits jener Zeit ausgesetzt wie alle anderen: Tony Orlando & Dawn, Paul McCartney & Wings, America und John Denver. Allmählich entdeckten sie aber auch den Rhythm & Blues, eine Richtung, die sich mehr und mehr in den Mainstream einschlich, als Hits von Künstlern wie Stevie Wonder („Superstition“ und „You Are The Sunshine Of My Life“ aus dem Jahr 1973), Sly & The Family Stone („Family Affair“, 1971) und den Temptations („Just My Imagination“) bis auf den ersten Platz der Charts vordrangen.
Aber es war nicht so einfach, in Minneapolis etwas über dieses vielfältige musikalische Erbe herauszubekommen. Nur ein Radiosender, KUXL, spielte regelmäßig R & B, war aber nur tagsüber auf Sendung. Verglichen mit anderen Großstädten war Minneapolis eine echte Wüste, wenn es um schwarze Musik ging, und die lebendige Jazz- und Bluesszene, die es in den Fünfzigern und Sechzigern noch gegeben hatte, war inzwischen fast ganz verschwunden. Jellybean Johnson, der als Teenager nach Minneapolis zog und sich auf der Lincoln Junior High mit Prince anfreundete (der diese Schule für kurze Zeit besuchte, bevor er auf die Bryant wechselte), erlebte beinahe einen Kulturschock. „Ich hatte zuvor in Chicago gewohnt, wo man rund um die Uhr nichts anderes hörte als schwarze Musik“, erklärte Johnson, der später bei The Time, einem Nebenprojekt von Prince, mitwirkte.
Dennoch war es für junge schwarze Musiker, die in Minneapolis aufwuchsen, nicht nur von Nachteil, dass sie anderen Klängen ausgesetzt waren. Zwar war Prince vor allem von R&B-Musikern wie James Brown und Sly Stone begeistert, aber ihm gefielen auch Popgruppen wie Fleetwood Mac oder Rockbands wie Santana. Als er später eigene Songs zu komponieren begann, machten sich auch diese Einflüsse bis zu einem gewissen Grad bemerkbar.
Prince, Anderson und Smith nannten ihre Band Grand Central. Sie holten den Nachbarsjungen Terry Jackson als Perkussionisten dazu, unter anderem auch, weil er Zugang zu einem Kellerraum hatte, der nicht so feucht war wie jener der Andersons und in den man ausweichen konnte, wenn Bernadette Anderson das Gefühl hatte, den Krach nicht länger aushalten zu können. Inzwischen übernahmen auch Prince und Anderson gelegentlich den Gesang: Die Bandmitglieder teilten sich den Job des Sängers und führten ihre Band auf recht demokratische Weise. Eigentümlicherweise nutzte Prince, der auf seinen ersten drei Alben fast ausschließlich im Falsett singen sollte, bei Grand Central vor allem die tieferen Lagen seines Stimmumfangs. „Wenn wir Sachen von Sly Stone spielten, sang Prince genau wie Sly“, erinnerte sich Smith.
Stone, der eigentlich Sylvester Stewart hieß, entwickelte sich allmählich zum wichtigsten musikalischen Einfluss von Prince und sollte das auch für viele Jahre bleiben. Mehr als jeder andere Künstler kann er als Prototyp für sein Bemühen in den Achtzigern gesehen werden, R & B mit Rock und Pop zu vermischen. Sly gründete seine Band, The Family Stone, in den Sechzigern in San Franciscos Haight-Ashbury, einer Szene, die stark von Marihuanaqualm und überbordendem Idealismus umnebelt war, und er verkörperte die Widersprüche dieser Bewegung und dieser Zeit besser als irgendjemand sonst. Er war enorm talentiert, aber gleichzeitig selbstzerstörerisch und chronisch unmotiviert: In seinen Texten drängte er seine Hörer, nach Erfolg zu streben, aber er selbst tat im Grunde alles, um die guten Startbedingungen ungenutzt verpuffen zu lassen, die ihm seine musikalischen Fähigkeiten ermöglichten. Dennoch gab es eine kurze Zeit in den späten Sechzigern und den frühen Siebzigern, als Stones Kreativität die Leistungen eines jeden anderen R&B-Musikers hell überstrahlte. Die perfekte Kombination aus Rhythmus, Melodie und schierer Energie, die sich in Songs wie „Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin)“, „Sing A Simple Song“ und „Dance To The Music“ offenbarte, wurde in der Rock- und Popmusik seither kaum je wieder erreicht. Bei den sanfteren Songs wie „Family Affair“ oder „Time“ bewies Sly zudem, dass er zu den größten Sängern seiner Generation gehörte.
Die Musik von Sly & The Family Stone entsprach genau dem, was Prince gern selbst erreichen wollte: Sie vereinte die besten Elemente aus Funk, Rock und Pop und schuf daraus eine neue und originelle Sprache. Aber während Prince Stones musikalisches Können bewunderte, stießen ihn dessen Drogenmissbrauch und Disziplinlosigkeit ab; er hielt sich lieber an James Brown, den man als den „am härtesten arbeitenden Mann im Showgeschäft“ bezeichnete. Smith gegenüber verkündete Prince einmal: „Ich will nicht wie Sly werden, ich werde mir beim Üben den Hintern abarbeiten wie die Band von James Brown, und ich werde alles so gut im Griff haben, dass niemand mir deswegen irgendetwas vorwerfen kann.“ Zu einer Zeit, als der Drogenkonsum in den amerikanischen Highschools sehr verbreitet war, führte Prince einen auffällig soliden Lebenswandel; er trank nicht mal gelegentlich Bier. Während viele seiner Klassenkameraden versuchten, die pubertäre Suche nach der eigenen Identität durch wilde Partyexzesse voranzutreiben, war er von Musik besessen und interessierte sich für wenige andere Dinge, außer vielleicht noch für die Mädchen, die ihn in seinem Keller besuchten.
Wenn Sly Stone sein größter musikalischer Einfluss war, James Brown gleich danach an zweiter und Stevie Wonder an dritter Stelle lag, dann folgte als Nächste eine völlig andere Künstlerin, die jedoch seine Texte entscheidend prägte: Joni Mitchell. Sowohl Prince als auch Mitchell haben sich in verschiedenen Inter-views daran erinnert, dass Prince im Alter von zehn Jahren eines ihrer Konzerte besuchte und dabei in der ersten Reihe saß. Er fiel ihr vermutlich auf, weil junge Afroamerikaner in ihrem Publikum selten waren – vor allem in überwiegend von Weißen bewohnten Städten wie Minneapolis –, aber wohl auch, weil er sie mit seinem seltsamen, intensiven Blick während der ganzen Show unverwandt anstarrte. Mitchells Texte, die stark auf Allegorien und visuelle Beschreibungen aufbauen (bei denen Verweise auf Farben eine große Rolle spielen), durchdrangen seine eigene Herangehensweise derart, dass er sich sogar komplette Satzfragmente bei ihr ausborgte. Zwar zeigte sich der Einfluss ihrer Texte und ihrer lebendigen, vielseitigen Musik erst wesentlich später, aber es ist deutlich, dass Prince bereits in sehr jungen Jahren von Mitchells Arbeit sehr beeindruckt war.
Grand Central übten, wann immer es nur ging, und begannen bald, in den kleinen Tanzhallen der Stadt aufzutreten. Das Repertoire der Band enthielt dabei auch einige eigene Songs, obwohl keiner davon besonders erinnerungswürdig war. Aber jedes Bandmitglied hatte musikalisches Talent, und Grand Central erspielten sich in der kleinen, aber feinen R&B-Szene von Minneapolis alsbald einen guten Namen. Zu den weiteren nennenswerten Bands zählten Flyte Tyme, bei der die späteren Starproduzenten Terry Lewis und Jimmy Jam mitwirkten (die auch bei The Time spielten) und eine weitere spätere R&B-Größe, Alexander O’Neal. Die Bands standen in freundlicher, aber intensiver Konkurrenz zueinander. Eine Truppe, die sich The Family nannte (und die von Sonny Thompson geführt wurde, der in den Neunzigern zur Band von Prince gehörte), versuchte beispielsweise, besonders einschüchternd zu wirken, indem die Musiker mit langen schwarzen Jacken auf die Bühne gingen, als trügen sie die Farben einer Gang. „Wir versuchten ja nicht, einander umzubringen“, sagte Jellybean Johnson. „Wir wollten die anderen nur von der Bühne schießen.“
Als Grand Central allmählich bekannter wurden, rangen sich Prince und Anderson zu einer unsentimentalen Entscheidung durch. Da sie sich darüber ärgerten, dass sich Charles Smith stark im Footballteam der Schule engagierte und seine Trainingszeiten sich mit den Proben für die Band überschnitten, beschlossen sie einmütig, ihn durch Morris Day zu ersetzen, einem weiteren Freund aus der Nachbarschaft. Als Smith eines Tages im Keller aufkreuzte, musste er feststellen, dass man sein Schlagzeug beiseite geräumt hatte, um Platz für ein anderes zu machen. Obwohl er darüber sehr enttäuscht war, blieb er dennoch lange Jahre eng mit Prince verbunden.
Mit Day erwarb die Band größere Professionalität, unter anderem, weil sich Days Mutter LaVonne Daugherty erbot, als eine Art Managerin für die Gruppe zu agieren. Der Bandname wurde zudem in Champagne geändert, weil Smith darauf bestand, dass der Ausdruck „Grand Central“ seine Idee gewesen war. (Prince, Anderson und Day wollten zudem vermeiden, dass man sie mit Graham Central Station verglich, einem Soloprojekt von Larry Graham, dem Bassisten von Sly & The Family Stone.)
Daugherty, die zwar Ehrgeiz, aber wenig Erfahrungen in der Musik-industrie hatte, wurde von Pepé Willie unterstützt, einem New Yorker, der 1974 nach Minneapolis gezogen war, nachdem er Shauntel Manderville, eine Cousine von Prince, geheiratet hatte. Willie war ein Songwriter, der mit der R&B-Gruppe Little Anthony and The Imperials gearbeitet hatte, und er beantwortete viele der geschäftlichen Fragen, die Daugherty und Prince an ihn herantrugen. Hauptsächlich aus dem Gefühl heraus, der Familie wegen dazu verpflichtet zu sein, begann Willie, zu den Proben der Band zu kommen, bei denen sich Prince schnell als Frontmann von Champagne herauskristallisierte. „Er brach einen Song in der Mitte ab und sagte: ‚Kleinen Moment mal‘, und dann ging er zum Keyboarder und zeigte dem, was er gern hören wollte“, erinnerte sich Willie.
Als Willie Ende 1975 mit seiner eigenen Band, 94 East, ins Studio ging, heuerte er Prince als Sessiongitarristen an. Bei den Proben lernte er dann auch dessen Arbeitsethik kennen: Während die Band Pause machte, um ein Bier zu trinken, gesellte sich Prince nicht zu den Musikern, sondern übte weiter. „Wir kamen dann später wieder, und er lachte uns aus, weil wir rote Augen hatten“, berichtete Willie. „Wir hielten ihn für ein bisschen spießig.“ Bei diesen Sessions, die im Cookhouse in Minneapolis stattfanden, bekam Prince das erste Mal einen Einblick in ein Aufnahmestudio. (Willie, der aus seinem Ruhm ein wenig Kapital schlagen wollte, veröffentlichte einige dieser Demos 1986, 1995 und 2002 unter dem Namen 94 East auf seinem eigenen Label.) Prince war am Songwriting für das Projekt beteiligt und fand es offenbar ziemlich aufregend, seine eigene Musik auf Band zu hören. Wenn er damit begann, einen Titel zu entwickeln, dann hörte er nicht eher auf, als bis die Nummer komplett war, egal, wie spät es darüber wurde. „Manch einer hätte gesagt: ‚Was soll’s, ich hau mich erst mal hin.‘ Aber er war da anders“, sagte Willie. „Wenn er loslegte, dann musste er die Sache auch zu Ende bringen.“
War ein Song abgeschlossen, spürte Prince ein absolutes Hochgefühl. Willie erinnert sich, dass er einmal um vier Uhr morgens von einem Telefonanruf geweckt wurde, als Prince gerade den Text zu „Just Another Sucker“, einem Song von 94 East, fertig gestellt hatte: „Er hatte gerade etwas vollbracht – er war sehr stolz und glücklich, und das musste er jemandem erzählen.“
Nach dieser Erfahrung war Prince umso stärker daran interessiert, mehr von seinen eigenen Songs aufzunehmen, und Anfang 1976 nahmen Champagne ein Demo im ASI Studio auf, einem engen, primitiven Sechzehnspurstudio auf der Northside. „Das Studio war total heruntergekommen“, erinnert sich David Z. Rivkin, der bei diesen Sessions als Toningenieur dabei war und auch später noch häufig mit Prince arbeiten sollte. Die Band, für die Daugherty die Studiozeit bezahlte, spielte sechs eigene Songs ein, darunter das von Prince komponierte „Machine“ (von dem er später sagte, es ginge dabei um die „Körperteile einer Frau“) sowie Andersons „39th Street Party“. Die Aufnahmen dieser Session sind heute vermutlich alle verschollen.
Wenig später gab Prince der Schülerzeitung Central High Pioneer sein erstes Interview. Mit einer gewissen Großmäuligkeit beklagte er sich darüber, dass es für eine Band aus Minneapolis schwer sei, weitab von den großen Unterhaltungszentren New York und Los Angeles nach oben zu kommen. Er behauptete, wenn seine Band in einer dieser Städte lebte, „dann hätten wir unseren Durchbruch schon längst gehabt“.
Prince und Anderson schrieben beide weiter Songs, und im Frühjahr 1976 mietete sich die Band in einem weiteren Studio ein, in dem billigeren Moonsound, das nur über Achtspurtechnik verfügte. Der Eigentümer des Studios, ein großer, schlaksiger Engländer namens Chris Moon, war als Teenager nach Minneapolis gekommen, als sein Vater in der Stadt Arbeit gefunden hatte, und er eröffnete das Studio kurz nach seinem Highschoolabschluss. Hauptsächlich stellte er dort Werbejingles für eine örtliche Werbeagentur her, aber an den Abenden und Wochenenden vermietete er die Einrichtung, sodass Lokalbands wie Champagne eine kostengünstige Möglichkeit bekamen, eigene Aufnahmen zu erstellen.
In seiner Freizeit schrieb Moon, ein verkappter Songwriter, reihenweise Texte. Er fand es jedoch schwierig, die dazugehörige Musik zu komponieren, und er hoffte schon seit Langem, eines Tages auf einen Instrumentalisten zu treffen, der ihm dabei helfen konnte. Während der Champagne-Sessions fiel ihm Prince sofort auf. Der junge Mann machte einen ruhigen und schüchternen Eindruck, und auf den ersten Blick schien er keine Fähigkeiten zu besitzen, die ihn von der Gruppe abgehoben hätten, aber seine Leidenschaft und seine Disziplin ließen dann doch erkennen, dass bei ihm mehr dahintersteckte. Prince erschien bei jeder Session stets früher als die anderen, um allein noch ein wenig zu proben – nicht nur auf der Gitarre, sondern auch auf dem Klavier und auf dem Bass.
Eines Nachmittags, als sie allein im Studio waren, nahm Moon Prince beiseite.
„Ich suche jemanden“, erklärte er, „mit dem ich Musik zu den Texten schreiben kann, die ich verfasst habe.“
Prince sagte nichts; während der Sessions hatte er bisher auch kaum je gesprochen.
„Ich suche außerdem nach einem Musiker, der bei mir freie Studiozeit bekommen würde, um mit ihm ein Projekt aufzubauen und die Musik rauszubringen“, fuhr Moon fort. Prince erkannte, was Moon ihm hier offerierte – im Gegenzug bekam er die Möglichkeit, als Solokünstler und nicht nur als Teil einer Band zu arbeiten.
Er dachte eine Weile über das Angebot nach und brummte dann etwas. Es klang nicht wie eine klare Antwort, aber Moon beschloss, es als ein Ja zu interpretieren.
„Darauf geben wir uns die Hand“, sagte Moon, und Prince schlug ein. Anschließend erhielt er einen Schlüssel für das Moonsound Studio.
Als Anderson und Day davon erfuhren, waren sie etwas verstimmt, dass Prince eine derartige Sonderbehandlung bekam. Aus verletztem Stolz stellten sie ihm ein Ultimatum: Er musste sich zwischen Moon und Champagne entscheiden. Äußerst hin- und hergerissen rief Prince bei Moon an; er war sich nicht sicher, ob er sich von seinen Freunden trennen wollte. Der Studiobesitzer drängte ihn auch nicht, sondern sagte vielmehr, er solle sich für das entscheiden, was ihm am besten schien. Zwei Stunden später meldete sich Prince erneut: Er wollte mit Moon zusammenarbeiten.
Da Moon tagsüber in der Werbeagentur beschäftigt war, hatte Prince das Studio am Nachmittag in der Regel für sich. Er arbeitete mit den Texten, die Moon ihm hingelegt hatte, und versuchte, am Klavier Melodien zu den Worten zu erschaffen. Moon zeigte seinem neuen Partner, wie die Gerätschaften im Studio funktionierten, und es dauerte nicht lange, da konstruierte Prince bereits komplette Songs, indem er ein Instrument nach dem anderen einspielte. An den Wochenenden, wenn Prince frei von seinen schulischen Pflichten war, arbeitete er praktisch rund um die Uhr im Studio. Ähnlich wie sein Vater brauchte auch er nur wenig Schlaf, um sich zu erholen. Während der nächsten Wochen setzten sie ihre Sessions fort, und er begann sich Moon gegenüber ein wenig zu öffnen. Dennoch arbeitete er weiterhin wie besessen; wenn Moon mal einen Joint rauchte oder sich ein Bier aufmachte, warf Prince ihm missbilligende Blicke zu und bestand darauf, dass sie mit den Aufnahmen weitermachten.