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Überlassen Sie es nicht denjenigen, die in Verhandlungsführung geschult sind, den besseren Deal zu machen. Lassen Sie sich nicht mehr über den Tisch ziehen durch dominante Verhandler. Verhandeln Sie zukünftig professionell und erkennen Sie Manipulationen. Jutta Portner ist internationale Verhandlungsexpertin. Sie zeigt die neuesten und zeitgemäßen Verhandlungstechniken anhand vieler Beispiele und Übungsmöglichkeiten. Das Buch unterscheidet sich von herkömmlichen Verhandlungsbüchern durch praktische Übungen und den Ansatz des Selbsttrainings.
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Seitenzahl: 432
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JUTTA PORTNER
DAS TRAININGSBUCH
Auf ein Wort
1. Wie Sie lernen, besser zu verhandeln
Worum geht es beim Verhandeln grundsätzlich?
Das Harvard-Konzept
Wann sprechen wir von einer Verhandlung?
Wie kann man den Erfolg einer Verhandlung messen?
Die größten Fehler, die man beim Verhandeln begehen kann
Die drei Dimensionen des Verhandelns
2. Gut gerüstet an den Start – die richtige Vorbereitung ist der halbe Erfolg
Mangelnde Vorbereitung – die häufigsten Fehler
Wie Sie Ihre Macht realistisch einschätzen können
Planning Tool 1: Fragenkatalog zur guten Vorbereitung
Planning Tool 2: SMARTe Ziele
Planning Tool 3: BATNA – die beste realistische Alternative
Planning Tool 4: ZOPA – Zone der Übereinkunft
Planning Tool 5: Informationsmatrix
Planning Tool 6: Konzessionsmatrix
Planning Tool 7: Komplexe Verhandlungen planen
Planning Tool 8: core concerns – wie Sie sich emotional vorbereiten
3. Verhandeln als Prozess verstehen
Die drei Ebenen des Verhandelns
Der Verhandlungsprozess
Die Helikopter-Perspektive
4. Grundlagen der Verhandlungstaktik
Gewusst wie – taktische Klassiker
Wie der Anfang, so das Ende – die Bedeutung des richtigen Starts
Wie Sie zum Ergebnis kommen – viele Wege führen zum Ziel
Wie Sie klar, eindeutig und präzise formulieren
Wie Sie gekonnt Einspruch erheben
Warum Sie Pausen machen sollen
Wie Sie professionell Konzessionen machen
Wie Sie den richtigen Zeitpunkt für den Abschluss erkennen
Sonderfall: Koalitionen bilden
5. Psychologie der Beeinflussung
Die Zügel in der Hand behalten
Reziprozität – das Geheimnis von Geben und Nehmen
Commitment und Konsistenz – die Power der inneren Überzeugung
Soziale Bewährtheit – von Vormachern und Nachahmern
Sympathie – Gewinn durch innere und äußere Attraktivität
Autorität – vom Schein und Sein des Expertentums
Knappheit – Mangelware ist Qualitätsware
6. Kompetitives Verhandeln zum Durchsetzen der eigenen Ziele
Was ist kompetitives Verhandeln?
Zehn Regeln des kompetitiven Verhandelns
Die Komplexitätsmethode
Die Hartnäckigkeitsmethode
Die große Kiste der »Dirty Tricks«
7. Harvard-Konzept I – Getting to Yes
Kooperatives Verhandeln nach dem Harvard-Konzept
Prinzip 1 des Harvard-Konzeptes
Prinzip 2 des Harvard-Konzeptes
Prinzip 3 des Harvard-Konzeptes
Prinzip 4 des Harvard-Konzeptes
Prinzip 5 des Harvard-Konzeptes
8. Harvard-Konzept II – Getting Past No
Wie Sie einen Verhandlungsabbruch verhindern
Das Verhandlungsdilemma
Tit for Tat
Problem 1: Unsere eigenen Emotionen kochen hoch
Problem 2: Die Emotionen der Gegenseite kochen hoch
Problem 3: Die gegnerische Sturheit
Problem 4: Die Unzufriedenheit der Gegenseite mit möglichen Lösungen
Problem 5: Die Macht der Gegenseite zu blockieren
9. Leiten und Steuern – Aufgaben des Verhandlungsleiters
Gut gerüstet an den Start – wie Sie sich als Verhandlungsleiter vorbereiten
Aufgaben bei Verhandlungsbeginn
Wie Sie den Verhandlungsprozess steuern
Holen Sie alle ins Boot – wie Sie Arbeitstechniken professionell nutzen
Alle Klippen umschiffen – wie Sie mit Störungen umgehen
Sicher in den Hafen einlaufen – wie Sie eine Verhandlung professionell beenden
Tipps für Verhandlungen am Telefon
10. Rollen im eigenen Verhandlungsteam
Alleine oder im Team verhandeln
Die vier Hauptaufgaben
Die wichtigsten Rollen
Unter Dach und Fach bringen – Protokollführung
11. Die Macht der Sprache
Positive phrasing – die Macht der Sprache nutzen
Die acht Regeln für geschickte Argumentation
Der Aufbau einer Argumentation
Wer fragt, der führt – Fragetechniken in Verhandlungen professionell nutzen
Schlagfertigkeit in Verhandlungen
Friedens- und Kampfdialektik
12. Körpersprache und Intuition
Natural tools: Mimik, Gestik, Haltung
Vom Scheitel bis zur Sohle – die zehn wichtigsten Vokabeln der Körpersprache
Der Ton macht die Musik – so setzen Sie Ihre Stimme richtig ein
Wie der Bauch dem Kopf beim Verhandeln hilft – Intuition beim Verhandeln
Drei klassische Verhandlungsszenarien
Die wichtigsten Worksheets
Literatur
Über die Autorin
Bildnachweise
Danke Jannic, Julien und Justin für euer Verständnis für die fehlende Zeit!
Danke Andre, mein Sparringspartner und Lehrmeister im»Verhandeln live«!
Danke Petra für das kritische Korrekturlesen!
Danke Stephan für den Mut, jahrelang im Training zu experimentieren,und die Freude daran!
Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
Was war das Wichtigste, das Ihnen bisher in Ihren Verhandlungen zu einem Erfolg verholfen hat? In den letzten Jahren habe ich vielen Teilnehmern in meinen Verhandlungstrainings diese Frage gestellt – mit der Bitte, ihre Erfahrungen in einem einzigen Wort zum Ausdruck zu bringen. Herausgekommen ist eine bunte Sammlung an Begriffen. Finden Sie sich darin wieder?
Aktiv zuhören. Alternativen. Aufmerksamkeit. Aufrichtigkeit. Ausdrucksstärke. Austausch. BATNA: Beyond Reason. Dialog. Direkter Kontakt. Disziplin. Ehrlichkeit. Einbezug. Einsatz. Empathie. Erlebnis. Ernst nehmen. Experimentierfreude. Feedback. Feuer. Flexibilität. Fokus. Fragen. Freude. Fruchtbare Ergebnisse. Führung. Fun. Gemeinsam am Ziel arbeiten. Getting to Yes. Getting Past No. Glanz in den Augen. Glaubwürdigkeit. Hartnäckigkeit. Information. Intensität. Interessen. Klare Ziele. Klarheit. Kooperation. Kultur. Lachen. Lob. Merkwürdigkeiten. Miteinander. Motivation. Mut. Nachdenken. Nachhaltigkeit. Objektive Kriterien. Offenheit. Öffnung. Passion for Success. Rapport. Regeln. Respekt. Richtungen. Souveräne Führungskräfte. Spannung. Spaß. Spiel. Spinnen. Spirit. Strategien. Streitkultur. Tatkraft. Teamarbeit. Teamgeist. Tiefe. Überraschungen. Veränderungswille. Verbindlichkeit. Verständnis. Vertrauen. Wert. Wertschätzung. Widerworte. Wille. Zeit. Zuhören. Zusammenhalt.
Wenn Sie wissen wollen, was genau sich hinter diesen spannenden Begriffen verbirgt und wie Sie in Ihrem nächsten Workshop, Ihrer nächsten Familienkonferenz, Ihrem nächsten Kundengespräch besser verhandeln können, dann gönnen Sie sich ein paar Stunden Muße zum Lesen dieses Buches. Mehr müssen Sie gar nicht tun.
Viel Vergnügen und Erkenntnis bringende Aha-Momente wünschen Ihnen
Jutta Portner & das C-to:be The Coaching Company Team
Wann haben Sie das letzte Mal verhandelt? Heute früh mit Ihrem Lebenspartner bei der Planung des gemeinsamen Wochenendes? Mit Ihrem jugendlichen Sohn, der der Meinung ist, er bräuchte einen neuen, viel schnelleren PC? Mit Ihren Kollegen, die zur gleichen Zeit Urlaub nehmen möchten wie Sie? Mit Ihrem Vorgesetzten über eine Gehaltserhöhung, die Sie Ihrer Meinung nach schon längst verdient haben? Mit einem schwierigen Kunden, der anspruchsvoll ist und dessen Forderungen immer unverschämter werden?
Verhandeln ist unser tägliches Geschäft. Wir tun es tagein, tagaus. Denken Sie in der Regel vorher darüber nach, wie Sie verhandeln werden? Nein? Sie können beruhigt sein. Das geht den meisten Menschen so. Normalerweise wird in alltäglichen Verhandlungen auf unreflektierte und intuitive Weise vorgegangen.
Nach dem Lesen dieses Buches …
• kennen Sie die Grundlagen, Prinzipien und Besonderheiten des kooperativen Verhandelns im Vergleich zum kompetitiven Verhandeln,
• haben Sie Ihr persönliches Verhandlungsverhalten reflektiert und verbessert und
• können Sie schwierigen Verhandlungspartnern und unfairen Strategien professionell begegnen.
Dieses Buch ist ein Trainingsbuch – hier unterscheidet es sich von herkömmlicher Literatur zum Thema Verhandeln. Die meisten Kapitel beginnen mit einem Self-Assessment. Hier können Sie eine erste Einschätzung Ihrer Kenntnisse über den Inhalt des jeweiligen Kapitels vornehmen. Die Auflösung der Selbsteinschätzung finden Sie jeweils am Ende des Kapitels. Darüber hinaus finden Sie zu den jeweiligen Schwerpunktthemen Verhandlungssimulationen (Case Studies). In diesen Fallstudien können Sie das jeweilige Thema üben. Fundierte Hintergrundinformation hilft Ihnen außerdem, ein tieferes Verständnis der Inhalte zu bekommen.
SELF-ASSESSMENT
SELF-ASSESSMENT 1.1
Niels van der Reuven hat Nele kennengelernt. Sie gefällt ihm sehr gut. Er ist schon ein paar Mal mit ihr ausgegangen. Für heute Abend hat er sie in die Oper eingeladen und anschließend möchte er sie noch zu sich nach Hause auf ein Glas Wein bitten. Den Wein hat er schon besorgt, jetzt braucht er noch für seinen iPod eine Docking Station. Er steht im Elektrofachgeschäft und hat ein interessantes und formschönes Gerät entdeckt.
VERKÄUFER: »Das System überzeugt durch ein elegantes Design und besteht aus der S-AIR iPod-Docking-Station mit einem integrierten Radio-Tuner sowie zwei Satelliten-Lautsprechern. Ein schönes Gerät haben Sie sich da ausgesucht. Das wären dann 589 Euro.«
NIELS: »Ganz schön teuer. Wie sieht es denn mit einem Preisnachlass aus?«
VERKÄUFER: »Die Docking Station ist ohnehin schon reduziert. Da haben Sie sich ein richtiges Schnäppchen ausgesucht. Regulär kostet die Station 70 Euro mehr. Sie werden viel Freude damit haben.«
NIELS: »Ich habe doch erst vor einem Monat eine neue Waschmaschine und einen neuen Herd bei Ihnen gekauft. Ich finde, dass mir da ein ordentlicher Rabatt zusteht.«
VERKÄUFER: »Ich kann Ihnen da leider nicht entgegenkommen. Wir handeln grundsätzlich nicht (zeigt auf ein entsprechenden Hinweis an der Wand).«
NIELS: »Das glaub ich nicht! Also hören Sie mal, Sie können jetzt ein gutes Geschäft mit mir machen, oder wollen Sie, dass ich die Docking Station im Internet bestelle?«
VERKÄUFER: »Nein, nein. Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich möchte ich Ihnen das Gerät verkaufen. Es ist nur eben so, dass wir generell keinen Nachlass gewähren. Tut mir leid.«
WIE BEURTEILEN SIE NIELS VERHALTEN?
Hätte ich auch so gemacht!
Beharrlichkeit führt zum Ziel.
Das hätte Niels besser machen können.
Lesen Sie am Ende des Kapitels die Expertenmeinung.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig strategisch und unüberlegt Menschen an ihre Verhandlungen herangehen. Folgende Verhaltensweisen sind dabei an der Tagesordnung:
• Sie verwechseln echtes Verhandeln mit der klassischen Basar-Technik.
• Sie glauben, es geht nur um die Sache, und vernachlässigen die Beziehung zum Verhandlungspartner.
• Sie glauben, dass eine Verhandlung gescheitert ist, wenn sie in einer Sackgasse stecken.
• Sie glauben beharrlich zu verhandeln, dabei sind sie oft nur dickköpfig.
• Sie meinen nachzugeben, wenn sie gemeinsam mit den Verhandlungspartnern nach Lösungen suchen.
• Sie erkennen Fehler nur bei anderen und sind blind gegenüber ihrem eigenen Verhandlungsstil.
• Sie erkennen weder Manipulation, noch schmutzige Tricks und wenn sie sie erkennen, sind sie oft hilflos.
• Sie sehen Unterbrechungen oder ein Vertagen als Zeichen der Schwäche an.
• Sie haben keine Vorstellung davon, welche Wirkung ihre Ausdrucksweise und Körpersprache auf das Ergebnis der Verhandlung haben.
Das Ergebnis des intuitiven Verhandelns sieht dann so aus, dass wir oft frustriert sind. Gefühle sind hochgekocht, wir haben Dinge gesagt oder getan, die wir nicht mehr zurücknehmen können, die uns später leid tun. Die Beziehung zum Verhandlungspartner hat einen Knacks bekommen. Wir sind über den Tisch gezogen worden oder aber das Ergebnis ist nicht tragfähig, sodass wir über kurz oder lang nachverhandeln müssen.
Hilfreich ist es also, zukünftig nicht intuitiv, sondern rational zu verhandeln. Erst überlegen und dann agieren. Erst überlegen und dann reagieren. Wissenschaftler der renommierten US-amerikanischen Harvard University haben hierzu ein pragmatisches und seit vielen Jahren bewährtes Konzept entwickelt, das Harvard-Konzept. Das Harvard-Konzept versteht sich als ein Modell des rationalen Verhandelns und ist unter dem Titel »Getting to Yes. Negotiating an Agreement Without Giving In« 1981 erschienen. Die Autoren Roger Fisher, William Ury und später auch Bruce Patton veröffentlichten damit das heute weltweit bekannte Standardwerk des rationalen, sachgerechten Verhandelns. Der Bestseller ist in über 20 Sprachen übersetzt und mehr als zwei Millionen Mal verkauft worden.
EXKURS
DAS HARVARD NEGOTIATION PROJECT
Das Harvard Negotiation Project ist ein Forschungsprojekt, das sich mit dem Thema Verhandlungsführung in all seinen Facetten beschäftigt. Es ist Teil des PON (Program on Negotiation), welches wiederum zur Harvard Law School gehört. Das Konsortium umfasst Lehrende und Projekte der Harvard University, des MIT (Massachussetts Institute of Technology) und Tufts University (Fletcher School of Law and Diplomacy). Die Aktivitäten umfassen bis heute vier Bereiche:
Theory Building – PON entwickelt Theorien und Modelle, wie beispielsweise das Harvard-Konzept, so wie es heute bekannt ist und auch als Marke geschützt ist.
Education and Training – Das Projekt bietet Programme und Ausbildungen für Menschen an, die sich professionell mit Konfliktlösung, Verhandlungsführung und Mediation beschäftigen (wie beispielsweise Diplomaten, Gewerkschaftsführer, Anwälte, Regierungsvertreter).
Publications – Das Program on Negotiation Clearinghouse bietet vielfältige Materialien wie Checklisten, Fallstudien, Rollenspiele, Videos und Bücher zu Lehr- und Trainingszwecken an.
Action Research – Aktuelle Krisenherde werden von professioneller Seite begleitet und deren Beteiligte auf Wunsch bei der Konfliktlösung unterstützt.
Wie können selbst schwierige Verhandlungen zu einem Ergebnis geführt werden, ohne dass eine Partei ihr Gesicht verliert? Unter welchen Prämissen ist trotz konträrer Standpunkte eine partnerschaftliche Einigung möglich? Diesen Leitfragen widmete sich 1979 ein interdisziplinäres Forschungsteam unter Leitung von Roger Fisher, William Ury und Bruce Patton. Das daraus entstandene Harvard-Konzept ist weniger eine Theorie als vielmehr ein praktisches Vorgehen hin zu einem für beide Seiten erfolgreichen und sachgerechten Verhandlungsergebnis. Sehr geläufig ist der Begriff der Win-Win-Situation als angestrebtes Ziel einer Verhandlung. In diesem Fall sprechen wir vom kooperativen Verhandeln.
Wenn es Ihnen gelingt, gemeinsam mit Ihrem Verhandlungspartner ein Ergebnis zu erzielen, mit dem beide Seite zufrieden sind, dann ist das ein großer Gewinn. Der Gewinn ist noch größer, wenn es Ihnen gelingt, dadurch die Basis für langfristige vertrauensvolle Kooperationen zu legen. Das Harvard-Konzept bietet Ihnen hierfür einen bewährten Leitfaden. »Das Harvard-Konzept schärft Wahrnehmung zum Verhandlungsprozess. Die damit verbundene Bewusstseinserweiterung ist ein erster wichtiger Schritt zur Festigung der Verhandlungskompetenz. Es erlaubt den Parteien ›das Visier‹ zu öffnen […] Ob für Anfänger oder alte Hasen: Der Umgang mit Risiken und Unsicherheiten zeigt, wie Sie sach- und menschengerecht verhandeln können« (Ulrich Egger, Verhandlungsberater, im Vorwort der deutschen Ausgabe des Harvard-Konzeptes).
Bevor Sie anfangen, dieses Buch über Verhandlungsführung zu lesen, lassen Sie uns ein paar grundlegende Begriffe klären: Wann sprechen wir überhaupt von einer Verhandlung? Ist jedes Gespräch, jede Diskussion, jede Besprechung automatisch auch immer gleich eine Verhandlung? Wie lässt sich der Erfolg einer Verhandlung messen und was sind die schlimmsten Fehler, die beim Verhandeln auftauchen können?
Wir sprechen im klassischen Sinne von »Verhandeln«, wenn Personen beziehungsweise Parteien unterschiedliche Interessen haben und miteinander kommunizieren, um zu einer Einigung zu kommen.
Dazu sind bestimmte Bedingungen nötig:
• wechselseitige Abhängigkeit
• Interessenkonflikt
• ungefähr gleiche Machtverhältnisse
• eine Übereinkunft wird als Ziel der Verhandlung gesehen
CASE STUDY
CASE STUDY: SPEEDY GONZALES
Carlos Gonzales eilt sein Ruf voraus. Er ist als harter Verhandelnder bekannt. Er ist der neue Einkaufschef eines großen Automobilkonzerns und vereinbart einen Verhandlungstermin mit einem wichtigen, allerdings finanziell angeschlagenen Zulieferer. Ziel der Verhandlung ist es, die Konditionen für einen zukünftigen Großauftrag zu verhandeln. Mit dem Zulieferer besteht seit vielen Jahren eine intensive Geschäftsbeziehung. Carlos Gonzales hat den Zulieferer zu sich ins Haus bestellt. Die Gäste warten. Mit 20 Minuten Verspätung erscheint Señor Gonzales, in seiner Hand einen Scheck. Er zückt seinen Montblanc-Füller, schreibt eine Zahl auf den Scheck, legt diesen verdeckt auf den Tisch, steht auf, fixiert seinen Verhandlungsgegner und sagt: »Sie haben bis morgen Zeit sich zu überlegen, ob Sie unser Angebot annehmen.« Er dreht sich um und verlässt ruhig und gelassen sowie erhobenen Hauptes den Raum.
AUFGABE
Überlegen Sie, ob es sich hier um eine Verhandlung nach unserer Definition handelt?
REFLEXION
Analysieren wir die in der Case Study beschriebene Situation, so werden Sie schnell sagen: »Nein!« Natürlich handelt es sich hier nicht um eine Verhandlung im klassischen Sinne. Die Frage nach der wechselseitigen Abhängigkeit können wir dabei nicht beantworten. Wir wissen nicht, ob der Zulieferer weitere Kunden hat beziehungsweise Señor Gonzales weitere Zulieferer. Die Frage nach dem Interessenkonflikt lässt sich eindeutig mit »Ja« beantworten. Beide Seiten haben etwas, was der andere braucht (Produkt/Dienstleistung versus Auftrag).
Die Frage nach den ungefähr gleichen Machtverhältnissen können wir dagegen eindeutig mit »Nein« beantworten. Der Einkaufschef eines großen Automobilkonzerns ist in der mächtigeren Position als der angeschlagene Zulieferer. Diese Machtposition nutzt er zu seinen Gunsten aus. In diesem Fall sprechen wir von der »Friss-oder-stirb-Strategie«. Es handelt sich also eindeutig um ein Diktat der Bedingungen und nicht um ein Geben und Nehmen zum wechselseitigen Nutzen.
Den Wunsch nach einer Übereinkunft als potenzielles Ziel scheint es zu geben, ansonsten wären beide Parteien nicht zu dem Termin erschienen. Als Fazit können wir festhalten, dass es sich nicht bei jedem Gespräch mit konträren Interessen auch immer um eine klassische Verhandlung handelt.
Im Folgenden wird gezeigt, welche Faktoren darüber entscheiden, ob eine Verhandlung erfolgreich ist oder nicht.
CASE STUDY
CASE STUDY: SKISTATION EDELWEISS
Sie leben im Süden Münchens; es ist Mitte Februar, ein sonniger Samstag, es hat frisch geschneit – 20 Zentimeter Pulverschnee. Sie sind begeisterter Skifahrer und planen ganz spontan mit Ihrer Freundin einen Tag am Brauneck in den bayerischen Alpen auf der Piste zu verbringen. Da Sie beide Langschläfer sind, reicht es Ihnen, wenn Sie einen halben Tag fahren. Jetzt stehen Sie um Punkt 12 Uhr an der Skistation »Edelweiß«. Auf der Informationstafel steht, dass eine Tageskarte (gültig von 8 bis 17 Uhr) 36 Euro kostet, eine Halbtageskarte (gültig von 13 bis 17 Uhr) 21 Euro. Und plötzlich werden Sie von einem Skifahrer angesprochen, ob Sie ihm seine übertragbare Tageskarte abkaufen wollen.
AUFGABE
Spielen Sie das Verhandlungsgespräch zum Kartenkauf für sich oder mit einem »echten« Gesprächspartner durch. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis? Ist Ihr Verhandlungspartner ebenfalls mit dem Ergebnis einverstanden? Welche Kriterien ziehen Sie heran, um Ihr Verhandlungsergebnis zu messen?
REFLEXION
Zählt für Sie die gewonnene Stunde von 12 bis 13 Uhr, die Sie zusätzlich fahren können?
Sind Sie froh um jeden Euro, den Sie weniger zahlen, als für die Halbtageskarte?
Ist Ihnen wichtig, dass Sie so schnell wie möglich loskommen, und das ist es Ihnen sogar wert, mehr als für die Halbtageskarte zu bezahlen?
Finden Sie den Verkäufer so charmant, dass Sie sich mit ihm auf der Piste zu einer Brotzeit treffen, und der Preis ist Ihnen dabei ziemlich egal?
Versuchen Sie die mathematisch gerechteste Lösung zu finden, indem Sie den Preis/Stunde ausgerechnet haben?
Es gibt nicht die eine richtige Lösung, sondern das perfekte persönliche Ergebnis.
Die Qualität der Verhandlung bemisst sich nach:
• ihrer Effektivität (Qualität des Resultats)
• ihrer Effizienz (Zeitökonomie)
• dem Verhandlungsklima (Qualität der Beziehung)
Ein gutes Verhandlungsergebnis ist:
• klar – eindeutig in der Auslegung
• realisierbar – kein Luftschloss
• fair – niemand wird übers Ohr gehauen
• nützlich für die beteiligten Parteien – basierend auf dem Win-Win-Prinzip
• nachhaltig – es wird von beiden Seiten getragen
Bei einmaligen Verhandlungen wie der beim Kauf der Skikarte (siehe Case Study) wird Ihnen der Preis wichtiger sein, als die Qualität der Beziehung zum Verhandlungspartner. In den meisten beruflichen Situationen allerdings heißt es: »Man sieht sich immer zwei Mal im Leben.« Wann immer Sie also länger und öfter mit jemanden Verhandeln, lohnt es sich, den kooperativen Stil anzuwenden und nach dem Harvard-Konzept vorzugehen. Wir werden in diesem Buch beide Stile beleuchten. Den kooperativen und den kompetitiven Verhandlungsstil. Beide Stile sind im echten Leben existent. Ein guter Verhandelnder beherrscht beide.
SELF-ASSESSMENT
SELF-ASSESSMENT 1.2
Nele Nelson ist in die Oper eingeladen. Zu ihrem traumhaften Abendkleid braucht sie die passenden High-Heels. Sie entdeckt ihr Wunschpaar, silberne Riemchensandalen, im angesagtesten Fashion-Laden der Stadt. 240 Euro soll das Paar kosten. Da sie ihr Budget schon beim Abendkleid ausgereizt hat, heißt es verhandeln!
NELE: »Ich hätte diese Schuhe gerne. Entschuldigung, aber ist bei dem Preis eventuell noch ein kleiner Nachlass drin?«
…
NELE: »Klasse die Schuhe. Für 180 Euro nehme ich sie mit!
…
NELE: »Also Ihre Preise hier sind wirklich total überhöht. Entweder Sie machen mir einen vernünftigen Preis oder ich kaufe beim Schuh-Discounter.«
…
NELE: »Nächsten Monat brauche ich noch neue Winterstiefel. Wie viel Nachlass bekomme ich bei Ihnen, wenn ich jetzt gleich beide Paare mitnehme?«
…
MIT WELCHEM EINSTIEGSSATZ WÜRDEN SIE AN NELES STELLE DIE VERHANDLUNG BEGINNEN?
Lesen Sie am Ende des Kapitels die Expertenmeinung.
Interessanterweise gibt es typische Merkmale, die Verhandlungssituationen häufig zum Scheitern bringen. Sicher haben Sie schon die eine oder andere Situation erlebt, in der Verhandlungen gescheitert sind. Haken Sie die Punkte in der folgenden Praxisübung ab, wenn Sie sie kennen:
PRAXISÜBUNG
Druck auf den Schwächeren ausübenSolange einer der Partner dem Anderen überlegen ist, neigt er in der Regel dazu, das bewusst oder unbewusst auszunutzen.
Fehlende FlexibilitätÄndert sich die Situation, sind die Beteiligten nur schwer in der Lage, sich dieser Situation anzupassen.
VerbissenheitJe mehr ein Verhandlungspartner darauf angewiesen ist, sein Ziel zu erreichen, desto eher wird er unbedacht reagieren, desto größer ist das Risiko aggressiver Reaktionen, die eine gute Strategie zwischen Partnern, die sich auf Augenhöhe begegnen, verhindern.
EskalationDruck erzeugt Gegendruck; es entsteht eine Eskalationsspirale, aus der die Verhandelnden oft nicht alleine herauskommen.
NachgiebigkeitAus Angst vor Konflikten sind Verhandlungspartner oft zu defensiv und gefügig; sie machen Zugeständnisse ohne etwas dafür zu erhalten.
Unangemessene VorbereitungDer strategische Aufwand steht oft in keinem sinnvollen Verhältnis zum Wert des Ziels.
Der Begriff der 3D-Verhandlung wurde von David A. Lax und James K. Sebenius geprägt. David A. Lax kommt von der Harvard Business School, war davor Investmentbanker und leitet heute gemeinsam mit James K. Sebenius das Beratungsunternehmen LaxSebenius LLC, das sich auf Verhandlungscoaching spezialisiert hat. 20 Jahre Verhandlungserfahrung flossen in das von ihnen entwickelte 3D-Konzept ein.
Das 3D-Modell besagt, das es drei Dimensionen des effektiven Verhandelns gibt. Erfolgreiche Verhandelnde stecken viel Energie in die dritte Ebene, die oft von althergebrachten Verhandlungsschulen vernachlässigt wird. Die umfangreichen Erfahrungen von LaxSebenius LLC als Berater bei Fusionierungen, in der Beschaffung, im pharmazeutischen Bereich, bei diplomatischen Verhandlungen und Verhandlungen mit Gewerkschaften hat die Wirksamkeit des 3D-Ansatzes unterstrichen.
Die drei Dimensionen sind:
• die eigentliche Verhandlung am Tisch: der Prozess
• das Verhandeln am Zeichenbrett: die Inhalte skizzieren
• Vorverhandlungen führen: Handlungsspielräume ausloten
Wenn die meisten Menschen an Verhandeln denken, dann denken sie an den eigentlichen Verhandlungsprozess. Dabei spielen Aspekte wie die Kommunikation, das Verhalten, die Körpersprache und die Verhandlungstaktik eine große Rolle. In diesem Buch werden Sie Informationen zu diesen Themen finden (Kapitel 2, 3 und 4); sie gehören definitiv zum Verhandeln dazu. Sie repräsentieren jedoch nur eine von drei Dimensionen. Diese Ebene ist manchmal sogar weniger bedeutend hinsichtlich des Einflusses auf das Ergebnis, als die anderen beiden Dimensionen. Sogar erfahrene Verhandelnde sind oft gut geschult in der ersten Dimension und schwächer in den beiden unten aufgeführten Dimensionen.
Viele Bücher über Verhandlungsführung propagieren den »Win-Win«-Ansatz. Sie leiten Verhandelnde an, kreative Lösungen zu entwickeln, von denen beide Seiten profitieren. Wir werden diesen hilfreichen Ansatz genauer unter die Lupe nehmen und Ihnen in diesem Buch im Kapitel 7 statt genereller Hinweise konkrete Handlungsanweisungen an die Hand geben. Verhandelnde werden Vorschläge entwickeln können, die sie selbst wenig kosten und der Gegenseite viel bringen.
Die Chancen beim Verhandeln zu verbessern, bedeutet oft schon vor der eigentlichen Verhandlung, die Rahmenbedingungen zu verbessern oder die Handlungsspielräume zu erweitern. So kann die von Ihnen vorgeschlagene Lösung für die Gegenseite attraktiver sein als deren Ausstiegsszenario. Hinter dem interaktiven Prozess (Erste Dimension) und den Inhalten (Zweite Dimension) bedeutet die Dritte Dimension die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt an den Verhandlungstisch zu bekommen und dort die richtigen Themen zu verhandeln sowie die richtigen Ausstiegsszenarien zu präsentieren. Diese dritte Dimension ist strategischer als die anderen beiden. Sehr erfolgreiche Verhandelnde investieren sehr viel mehr Energie in diese Dimension. Im Kapitel 2 werden Sie Informationen zu dieser Dimension erhalten.
Dimension
Kernpunkte
Ort
Fokus
Ziele
Erste Dimension
Strategie und Taktik
»am Tisch«
auf beteiligte Personen, auf den Prozess
Verhandlungstechnik verbessern, Vertrauen aufbauen, unfairen Tricks begegnen
Zweite Dimension
Design der Verhandlung (Vorplanung)
»am Zeichenbrett«
auf Werte, Inhalte und Ergebnisse
Übereinkünfte zum beidseitigen Nutzen entwickeln, nachhaltigere Lösungen entwickeln
Dritte Dimension
Vorverhandlung, Feinplanung
»abseits des Tisches«
auf größeres Gesamtkonzept
Handlungsspielraum bestmöglich vorbereiten, Vorgespräche führen
US-Präsident Obamas Plan zur Gesundheitsreform ist auf Basis des 3D-Negotiation-Ansatzes vorbereitet worden. Auch wenn man nicht genau weiß, ob Barack Obama persönlich das Buch von Lax und Sebenius gelesen hat, so ist auf jeden Fall aber die Gesundheitsbehörde, die das Reformpaket entwickelt hat, mit dem Konzept vertraut. Am 17. Juni 2009 erhielt ich folgende E-Mail vom Program on Negotiation aus Harvard:
»Das erste Geheimnis von ›3D-Negotiation‹ ist es, den Tisch vorzubereiten – das bedeutet, die richtigen Bedingungen für einen Erfolg zu schaffen, bevor überhaupt mit der Verhandlung begonnen wird. Der Präsident hat Monate damit verbracht, den Tisch vorzubereiten – zuerst wurde jede erdenkliche interessierte Partei zu Diskussionsrunden eingeladen, dann wurden erste Ideen festgehalten, denen alle zustimmen konnten, wie das Automatisieren der Gesundheitsdaten und die Verstärkung präventivmedizinischer Maßnahmen.
Anschließend wurde in der richtigen Reihenfolge vorgegangen. Nachdem die Parteien miteinander ins Gespräch und in gute Stimmung gebracht worden waren, übergab der Präsident den Ball, den er ins Spiel gebracht hatte, dem Kongress. Der Kongress tat, was ein Kongress zu tun hat. Er spielte den Ball hin und her, während der Präsident von der Zuschauertribüne herab ab und zu nickte und ein Lächeln der Zustimmung gab.
Wir sind kurz davor, das Endstadium einer klassischen 3D-Verhandlung zu erreichen, wo Verhandelnde sicherstellen, dass die Diskussion auf die richtigen Themen fokussiert ist und die richtigen Interessen verfolgt werden. So trat der Präsident zum Beispiel vor die American Medical Association, einen der wichtigsten Interessenvertreter, und teilte ihnen mit, dass er jetzt offener gegenüber einer Kontrolle von Gerichtsprozessen ist, die ärztliche Fehler verfolgen, solange die Mediziner ihn weiterhin unterstützen.
Wird der Präsident unsere 3D-Strategie weiter verfolgen? So könnte es aussehen: Er wird sicherstellen, dass er am richtigen Tisch verhandelt – an dem Ort, an dem sein gewünschtes Ergebnis verabschiedet werden kann, dem Kongress. Und er wird zeigen, dass er den Tisch wechseln kann, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, und er wird dann vielleicht vor das Fernsehen treten und zum amerikanischen Volk sprechen. Der Präsident wird die Konsequenzen kennen, die es nach sich zieht, wenn er die Verhandlungen abbricht, und die anderen Parteien werden wissen, dass er nicht blufft.«
SELF-ASSESSMENTS
AUFLÖSUNG DER SELF-ASSESSMENTS
SELF-ASSESSMENT 1.1
VERKÄUFER: …
NIELS: »Ganz schön teuer. Wie sieht es denn mit einem Preisnachlass aus?« (Der Kommentar »Ganz schön teuer« ist geschickt. Er wirkt so, als überlege Niels noch, ob er das Gerät kaufen will oder nicht. Nach dem Preisnachlass fragt Niels offen – das ist okay. Alternativ hätte er nach einem konkreten Preisnachlass fragen können.)
VERKÄUFER: …
NIELS: »Ich habe doch erst vor einem Monat eine neue Waschmaschine und einen neuen Herd bei Ihnen gekauft. Ich finde, dass mir da ein ordentlicher Rabatt zusteht.« (Niels verweist auf vorhergehende Einkäufe und baut damit beim Verkäufer Druck auf, ihm einen Nachlass einzuräumen, um ihn als treuen und umsatzstarken Kunden zu behalten.)
VERKÄUFER: …
NIELS: »Das glaub ich nicht! Also hören Sie mal, Sie können jetzt ein gutes Geschäft mit mir machen, oder wollen Sie, dass ich die Docking Station im Internet bestelle?« (Der Verkäufer, der sich leider auf starre Vorgaben bezieht, irritiert Niels. Hätte Niels genau beobachtet, wäre ihm beim Verweisen des Verkäufers auf das Schild aufgefallen, dass dieser nicht der richtige Ansprechpartner ist. So fühlt sich Niels gezwungen, härtere Geschütze aufzufahren und mit dem Internetkauf zu drohen. Leider erfolglos.)
VERKÄUFER: …
SELF-ASSESSMENTS
AUFLÖSUNG DER SELF-ASSESSMENTS
SELF-ASSESSMENT 1.2
Antwort 1:Hier geht Nele sehr zaghaft vor. Sie zeigt ihre Kaufwilligkeit eindeutig und kombiniert sie mit einer schüchternen, zaghaften Frage. Vermutlich wird der Verkäufer mit »Leider, kann ich Ihnen keinen Nachlass geben« antworten und Nele wird die Schuhe trotzdem nehmen. Sie agiert von Anfang an zu nachgiebig.
Antwort 2:Hier antwortet Nele sehr forsch. Sie gibt den Preis klar vor. Das Risiko liegt darin, dass es keinen oder einen sehr geringen Verhandlungsspielraum gibt. Nele muss sich im Vorfeld überlegen, was sie tun kann, um glaubwürdig zu wirken, wenn der Verkäufer nicht mitzieht.
Antwort 3:Hier provoziert Nele durch Übertreibung (»total überhöht«). Sie kombiniert ihren Angriff mit einer Drohung. Vermutlich wird der Verkäufer darauf emotional reagieren: »Dann kaufen Sie die Schuhe doch wo anders. Diesen Ton brauche ich mir nicht gefallen zu lassen.«
Antwort 4:Hier reagiert Nele rational. Sie weiß, dass Menge ein starkes Argument ist und das Geschäft ebenfalls davon profitiert, wenn sie zwei Paar Schuhe kauft. Damit wird der Anreiz, ihr Nachlass zu gewähren, größer. Beide Seiten werden hier profitieren. Die Verhandlung kann beginnen!
ZUSAMMENFASSUNG
ZUSAMMENFASSUNG: WIE SIE LERNEN, BESSER ZU VERHANDELN
Wann sprechen wir von einer Verhandlung?
wenn eine wechselseitige Abhängigkeit der Parteien vorliegt
wenn ein Interessenkonflikt besteht
wenn ungefähr gleiche Machtverhältnisse existieren
wenn eine Übereinkunft als Ziel der Verhandlung gesehen wird
Mit welchen drei Faktoren wird die Qualität der Verhandlung gemessen?
Effektivität des Ergebnisses (Qualität des Resultats)
Effizienz des Verhandlungsprozesses (Zeitökonomie)
Verhandlungsklima unter den Beteiligten (Qualität der Beziehung)
Welche Kriterien gelten für ein gutes Verhandlungsergebnis?
Ein gutes Verhandlungsergebnis ist:
klar – also eindeutig in der Auslegung
realisierbar – also kein Luftschloss
fair – also niemand wird übers Ohr gehauen
nützlich für die beteiligten Parteien – also basierend auf dem Win-Win-Prinzip
nachhaltig – also es wird von beiden Seiten getragen
Warum handelt dieses Buch vom Harvard-Konzept?
Wissenschaftler der renommierten US-amerikanischen Harvard University haben hierzu ein pragmatisches und seit vielen Jahren bewährtes Konzept entwickelt: das Harvard-Konzept. Es versteht sich als ein Modell des rationalen Verhandelns und ist unter dem Titel »Getting to Yes. Negotiating an Agreement Without Giving In« 1981 erschienen. Die Autoren Roger Fisher, William Ury und später auch Bruce Patton veröffentlichten damit das heute weltweit bekannte Standardwerk des rationalen, sachgerechten Verhandelns. Der Bestseller ist in über 20 Sprachen übersetzt und mehr als 2 Millionen Mal verkauft.
Viele Verhandlungsteams versäumen es, bei der Vorbereitung einer Verhandlung ihre verschiedenen internen Standpunkte zu diskutieren und festzulegen, welche gemeinsame Strategie nach außen vertreten werden soll und wer welche Funktion im Verhandlungsteam übernimmt. Die Gegenseite wird durch Diskussionen während der Verhandlung dann interessante Dinge über die Partei erfahren: wer welchen Standpunkt vertritt, wer zögerlich ist, wer Verbündeter werden könnte. In der Regel kann die Gegenseite einen strategischen Vorteil daraus ziehen.
SELF-ASSESSMENT
SELF-ASSESSMENT 2.1
Niels van der Reuven sitzt im Bewerbungsgespräch. Er hat sein Studium als Wirtschaftsingenieur vor zwei Jahren erfolgreich abgeschlossen und anschließend in einem Hamburger Unternehmen, bei dem er auch schon seine Diplomarbeit geschrieben hat, erste Erfahrungen als Junior Manager gesammelt. Jetzt sucht er eine neue Herausforderung in München, wo seine neue Freundin lebt. Er bewirbt sich als Projektmanager bei einem Unternehmen der Luft- und Raumfahrttechnik. Das Vorstellungsgespräch läuft gut – bis der Personalleiter eine entscheidende Frage stellt.
PERSONALLEITER: »Herr van der Reuven, was stellen Sie sich finanziell vor?«
NIELS: »Was zahlen Sie denn Berufsanfängern mit zwei Jahren Erfahrung so?«
PERSONALLEITER: »Jetzt antworten Sie doch nicht mit einer Gegenfrage. Mich interessieren erst einmal Ihre Gehaltsvorstellungen.«
NIELS: »Also … weniger als bisher will ich eigentlich nicht verdienen.«
PERSONALLEITER: »Was verdienen Sie denn zurzeit, Herr van der Reuven?«
NIELS: »Momentan verdiene ich 2500 Euro (leiser und ohne Blickkontakt). Etwas mehr sollte es schon sein. Verschlechtern möchte ich mich nicht (errötet und lacht verlegen).«
PERSONALLEITER (atmet hörbar aus und zieht die Augenbrauen nach oben): »Sprechen Sie jetzt von Brutto oder Netto? Und wie sieht ihr bisheriges Gehalt denn im Detail aus? Bekommen Sie ein 13. Monatsgehalt? Wie sieht es mit Bonuszahlungen aus? Und … (mit leicht genervtem Unterton) … sind die variablen Bestandteile da schon mit drin?«
NIELS: »Ähm, ja also … Weihnachtsgeld haben wir nicht bekommen. Und wie viel das jetzt genau brutto ist? (zögert) … Aber wie gesagt, ich will mich auf jeden Fall ein bisschen verbessern.«
PERSONALLEITER (hält Blickkontakt, schweigt und wartet): …
NIELS: »Na ja, ich habe so auf wenigstens 10 Prozent mehr gehofft. Meinen Sie, das ist möglich?«
Niels bekommt eine Woche später ein Angebot des Unternehmens. Allerdings konnte er sich mit seinen Gehaltsforderungen nicht durchsetzen. Er freut sich über die Zusage. Abends sitzt er mit seiner Freundin Nele am Küchentisch bei einem Glas Rotwein und die beiden überlegen, was wohl beim Thema Gehalt schiefgelaufen ist.
WAS GENAU HAT NIELS IN SEINER GEHALTSVERHANDLUNG VERKEHRT GEMACHT? NENNEN SIE SECHS PUNKTE!
Und lesen Sie am Ende des Kapitels die Auflösung.
Die Vorbereitung auf eine Verhandlung birgt auch ein verführerisches Risiko in sich. Schnell sind wir im Vorfeld geneigt, den Verlauf der Verhandlung mit eigenen Fantasien auszuschmücken und für wahrscheinlich zu halten. Die Psychologie benutzt in diesem Zusammenhang den englischen Terminus »over-estimated power« (Selbstüberschätzung). Das kann zu überheblichem Verhalten führen und gilt als einer der häufigsten Fehler, der im Rahmen von Verhandlungen beobachtet wird. Was dann passiert, ist Folgendes: Da der Verhandelnde nicht einkalkuliert hat, dass alles auch ganz anders kommen kann als in seiner Planung, gerät er strategisch und emotional vollkommen aus der Bahn. In der Regel existiert keine Strategie für alternative Vorgehensweisen. Der Verhandelnde wird von einer eskalierenden Situation überrollt und ist mangels Alternativen erpressbar.
Beinahe genauso oft geschieht es allerdings in Verhandlungen, dass Verhandelnde im Nachhinein realisieren, dass sie ihre Macht unterschätzt haben. So denken die Verkäufer, dass die Macht in den Händen der Einkäufer liegt und die Einkäufer denken, dass die Macht in den Händen der Verkäufer liegt.
CASE STUDY
CASE STUDY: WOHNUNGSSUCHE
Nele und Niels kennen sich seit zwei Monaten. Sie beschließen zusammenzuziehen. Sie wissen, dass das früh ist, wollen es aber versuchen. Im Internet sind sie auf eine zauberhafte kleine Altbauwohnung in der Nähe des Englischen Gartens in München gestoßen. »Mensch, die kriegen wir doch nie«, befürchtet Niels. »Da sind doch bestimmt Hunderte von Bewerbern. So ein Sahnestückchen will doch jeder haben. Da brauchen wir gar nicht erst anzurufen.« »Quatsch«, unterbricht ihn Nele. »Aber keiner ist so nett wie wir. Wir sind doch Traummieter für jeden Wohnungsbesitzer. Haben beide einen Job. Keine Kinder. Verdienen gut. Das kann sonst kaum jemand bieten.«
FRAGE
Wo überschätzen beziehungsweise unterschätzen Nele und Niels hier ihre Verhandlungsmacht?
ANTWORT
Während Niels davon ausgeht, dass die ganze Welt in einer Altbauwohnung im 4. Stock ohne Aufzug wohnen möchte, geht Nele davon aus, dass es außer ihnen in der Singlestadt München keine solventen Besserverdiener ohne Kinder gibt. Beide Verhalten sind stark durch die persönliche Wahrnehmung und die subjektive Interpretation der Situation geprägt.
Wie groß die Verhandlungsmacht ist, hängt zuerst einmal vom Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ab. Selbst der geschickteste Verhandlungsprofi bleibt an dieses Kräfteverhältnis gebunden. Wer etwas anzubieten hat, was viele wollen, weil es rar ist, kann auswählen, wer den Zuschlag erhält und hat damit viele Alternativen. Umgekehrt gilt dies natürlich genauso. Bieten Sie etwas an, das es im Überfluss gibt, das niemanden interessiert oder das niemand brauchen kann, sind Sie in einer unbequemen Position.
Verhandeln hat also etwas mit Märkten und dem Tausch von Waren auf diesen Märkten zu tun. Der Begriff Markt kommt aus dem Lateinischen von mercatus (= Handel) und merx (= Ware). Unter einem Markt kann man auch das Zusammenführen von Angebot und Nachfrage verstehen. Wobei nicht nur materielle Ware als solche angeboten oder nachgefragt wird, sondern auch Dienstleistungen und Rechte. Stellen Sie sich den Gebrauchtwagenmarkt einmal vor. Das ist ein Markt, auf dem es viele Käufer und Verkäufer gibt, sowie für jedermann leicht zugängliche Informationen über Gebrauchtfahrzeuge und die zu erzielenden Preise. Sie brauchen nur ins Internet zu gehen, dort erhalten Sie auf den gängigen Plattformen alle gewünschten Fakten. Typische Merkmale eines solchen Marktes sind:
• Der Markt ist liquide. Es gibt viele Käufer und Verkäufer, die untereinander Geschäfte abschließen wollen.
• Der Markt ist transparent. Die Käufer und Verkäufer wissen, wer zu welchem Preis welches Produkt anbietet.
• Der Markt ist homogen. Für alle Anbieter und Nachfrager herrschen die gleichen Bedingungen. Es gibt keine sachlichen, räumlichen, zeitlichen oder persönlichen Präferenzen.
• Der Einzelne hat keinen Einfluss auf das Marktgeschehen, zum Beispiel den Preis.
Je stärker diese Bedingungen erfüllt sind, desto vorhersehbarer ist das Ergebnis des Marktgeschehens. In der Regel ist die individuelle Macht des Einzelnen unter solchen Bedingungen stark begrenzt. Das heißt, ein Käufer beziehungsweise Verkäufer eines Gebrauchtfahrzeugs hat durch die Liquidität, Transparenz und Homogenität des Marktes wenig Einflussmöglichkeit. Doch diese Marktverhältnisse sind eher die Ausnahme.
Die allermeisten Märkte sind »unvollkommen«. Sie sind wenig liquide: Die Anzahl der Käufer und Verkäufer ist limitiert – bis hin zu Monopolstellungen. Die Märkte sind intransparent: Anbieter und Nachfrager wissen nicht, wer was zu welchem Preis verkauft und kauft. Und sie sind inhomogen: Für unterschiedliche Parteien herrschen unterschiedliche Bedingungen, zum Beispiel bekommen Großkunden mehr Rabatt als Kleinkunden. Genau diese Merkmale allerdings beeinflussen ganz erheblich die Verhandlungsmacht des Einzelnen.
TIPP
Je unvollkommener der Markt ist, desto größer ist das Potenzial, dass Sie durch professionelle Verhandlungsführung ausschöpfen können.
Um das Potenzial unvollkommener Märkte zu nutzen, ist es wichtig, schon in der Vorbereitung Ihrer Verhandlung viele Informationen über den Markt im Allgemeinen und die Gegenseite im Speziellen zu erfahren. Nutzen Sie hierzu folgende Quellen:
• Internet – Suchmaschinen und Homepages der Gegenseite
• Pressearchive – Marktanalysen in Fachzeitschriften
• Studien – Präzedenzfälle, Expertenmeinungen, Forschungsergebnisse
• persönliche Erfahrungen – eigene Vorerfahrungen und die anderer
• Gutachten – Analysen von Sachverständigen
Unbestritten ist, dass Macht eine entscheidende Rolle in Verhandlungen spielt. In gewissem Sinne gibt es in jeder Verhandlung eine Balance der Macht zwischen den Parteien. Das Problem ist, dass wir selten alle Informationen haben, die wir bräuchten, um die reale Verteilung der Macht festzustellen. Also versuchen wir die Macht mit Hilfe der uns zur Verfügung stehenden Mittel einzuschätzen. Wir vermuten, glauben, befürchten, dass …
• Macht ist, was wir glauben, dass sie sei.
• Macht ist, was die Gegenseite glaubt, dass sie sei.
• Macht ist, was wir glauben, was die Gegenseite glaubt, dass sie sei.
So gesehen dienen viele Manöver, die wir während einer Verhandlung unternehmen dazu, die Wahrnehmung der Gegenseite von deren oder unserer Macht zu beeinflussen. Vermutlich gibt es kaum eine treffendere Definition für Verhandlungstaktik.
• Verhandlungsmacht zu haben, bedeutet, die Möglichkeit zu haben, »Nein« zu sagen.
• Verhandlungsmacht zu haben, bedeutet, eine gute Alternative zu besitzen.
• Verhandlungsmacht zu haben, bedeutet, den Deal weniger notwendig zu brauchen als die Gegenseite.
Die Vorbereitung ist also der erste Schritt der Verhandlung. Schon hier steigen Sie in das Geschehen ein, Sie blicken in die Zukunft und kreieren ein möglichst realistisches Szenario der potenziellen Verhandlung. Je mehr Energie Sie in die Vorbereitung gesteckt haben, desto entspannter werden Sie sich in der Verhandlung selbst verhalten. Noch haben Sie die Gelegenheit, Ihre Energie ganz auf die Analyse und Verbesserung Ihrer Ausgangssituation zu legen. Gehen Sie zukünftig vor jeder Verhandlung für sich die in der folgenden Checkliste aufgeführten Fragen durch.
Nele sitzt mit ihrer Chefin in der Cafeteria. Die beiden gehen ein aktuelles Angebot durch, das sie einem neuen Kunden vorstellen möchten. Nele wird die Präsentation halten, Fleur, ihre Vorgesetzte, wird das Verhandlungsgespräch führen. Fleur ist erst seit sechs Monaten in Deutschland. Die 34-jährige US-Amerikanerin war zuletzt in Genf eingesetzt, wo das europäische Headquarter des Unternehmens ist, und hat die letzten Jahre viel Erfahrung gesammelt im Führen von internationalen Teams.
Schon in den ersten Kundengesprächen ist Nele aufgefallen, wie professionell Fleur verhandelt. Nele fragt Fleur, ob sie nicht Lust hat, ihr als Mentorin zur Seite zu stehen, was Fleur gleich herzlich anbietet. »Was wäre für dich das Schlimmste, das dir ein Verhandlungspartner antun könnte?«, fragt Nele neugierig. »Das Schlimmste wäre für mich, wenn er mein erstes Angebot annehmen würde«, entgegnet Fleur ganz spontan. »Und warum?«, fragt Nele. »Überleg doch mal!« Fleur blickt ihr in die Augen. »Weil das für mich bedeuten würde, dass ich viel mehr hätte bekommen können. Ich würde mich immer fragen, was noch möglich gewesen wäre. Ich wäre einfach nicht ambitioniert genug rein gegangen.« »Du meinst Ehrgeiz?«, fragt Nele nach, weil sie nicht wirklich versteht, was Fleur damit sagen will.
»Ja, gewissermaßen. Wir nennen das aspiration. Aspiration ist unser ganz persönliches Ziel. Das Ergebnis, was wir ganz im Inneren erreichen wollen. Es ist sozusagen eine dritte treibende Kraft neben der Verhandlungsmacht und den Fertigkeiten, über die ein Verhandelnder verfügt. Willst du wissen, wie dieser »aspiration-Effekt« funktioniert? Die Menschen, die in Verhandlungen und in allen anderen Bereichen des Lebens am meisten erreichen, setzen sich ambitionierte, aber realistische Ziele. Wenn wir uns ein Ziel stecken, das zu hoch ist, dann bleibt es meistens ein bloßer Wunsch. Allerdings zeigt die Realität, dass es meistens eher umgekehrt ist. Viele Menschen stecken sich zu niedrige Ziele. Vielleicht sind sie nicht selbstbewusst genug oder sie trauen sich einfach nicht, ich weiß auch nicht.«
Fleur wartet, ob Nele ihr folgen kann. »Du meinst, sie handeln nach dem Motto ›Pessimisten sind niemals enttäuscht‹«, lacht Nele. »Genau, in den Staaten gibt es einen Verhandlungsexperten, Chester Karrass, der lange Zeit für Howard Hughes gearbeitet hat und Gesetzmäßigkeiten hinter der Verhandlungsführung erforscht hat. In einem seiner Experimente – bekannt als Karrass-Experiment – mit 120 professionellen Verhandelnden aus der Luft- und Raumfahrtindustrie fand er heraus, dass Verhandelnde mit hohen realistischen Erwartungen immer zu besseren Ergebnissen kamen. Sie setzten sich immer gegen Verhandlungspartner mit niedrigen Zielen durch, selbst wenn diese mehr Macht und bessere Fertigkeiten besaßen.« »Wow«, zeigt sich Nele beeindruckt. »Dann werde ich ab jetzt mein Verhandlungsziel entsprechend vorbereiten!« »Gute Idee – zum Beispiel mit dem SMART-Modell«, nickt Fleur zustimmend.
Beim Modell der SMARTen Ziele handelt es sich um ein Akronym, das den Verhandelnden bei der Formulierung eines klaren, realistischen und ehrgeizigen Ziels unterstützt. Die einzelnen Buchstaben stehen hier für Eigenschaften, über die sauber formulierte Verhandlungsziele verfügen. Je mehr Eigenschaften ein Ziel nach den SMART-Kriterien abdeckt, umso präziser und griffiger wird es. Gewöhnen Sie sich an, vor jeder Verhandlung noch einmal einen zweiten kritischen Blick auf das von Ihnen formulierte Ziel zu werfen und zu überprüfen, wo es noch korrigiert werden kann.
»Nele, du willst doch mit Niels im Februar Urlaub machen. Hast du nicht erzählt, du willst zum Skifahren und er zum Tauchen? Überleg doch mal, wie du dein Ziel SMART formulieren würdest?« Fleur sieht Nele erwartungsvoll an. »Hm, ich werde vorschlagen, dass wir die Faschingswoche im Februar (terminiert) nach Livigno in Italien fahren (spezifisch), wo wir einen Bekannten haben, der dort als Skilehrer arbeitet und uns angeboten hat, bei ihm zu wohnen. Die Region ist schneesicher, weil sie so hoch liegt (beides attraktiv). Der Skipass kostet 110 Euro, wir bekommen sogar 10 Prozent Ermäßigung über unseren Bekannten (messbar). Realistisch ist das Ganze auch, ich will ja nicht nach Kanada zum Heli-Skiing.« »Klingt gut! Bei der Messbarkeit empfehle ich dir, diese nicht so sehr am Preis festzumachen, sondern zum Beispiel auch daran, dass ihr schnell dorthin kommt. Ich frage dich im März, ob ihr wirklich in Livigno wart«, lacht Fleur.
Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einem Flohmarkt und wollen einen alten Plattenspieler verkaufen. Ihr Wunschpreis beträgt 50 Euro. Kurze Zeit später schlendert ein gewiefter Interessent und bietet Ihnen 30 Euro mit dem Hinweis, am Nebenstand hätte er ein ähnliches Gerät für 40 Euro gesehen. Vermutlich werden Sie sich, je nach Verhandlungsgeschick, auf einen Preis zwischen 35 und 45 Euro einigen. Als professioneller Verhandelnder haben Sie sich jedoch im Vorfeld überlegt, was Sie tun werden, sollte niemand an dem Plattenspieler interessiert sein. Sie wollen ihn dann Ihrem Vater zum Geburtstag schenken, der früher schon einen ähnlichen hatte und bei Ihnen – ob der alten Zeiten – ins Schwärmen geraten ist. Die 40 Euro für Fußballkarten, die sie ihm sonst geschenkt hätten, können Sie sich dann sparen. Da Sie Ihre BATNA kennen, werden Sie also auf keinen Fall unter 40 Euro gehen.
• Erstellen Sie eine Liste Ihrer Alternativen.
• Bleiben Sie nicht bei dem, was Ihnen zuerst einfällt.
• Denken Sie »out of the box« – werden Sie kreativ.
• Überdenken Sie jede Alternative.
– Ist die Alternative wirklich realistisch?
– Ist die Alternative es wert, sie weiter zu verfolgen?
• Wählen Sie Ihre BATNA.
• Überlegen Sie auch, welche BATNA Ihr Verhandlungspartner hat.
• Wenn Sie eine gute BATNA haben, zeigen Sie der Gegenseite Ihre Alternative.
• Wenn Sie eine schlechte BATNA haben, zeigen Sie der Gegenseite Ihre Alternative nicht.
• Wenn Sie glauben, dass die Gegenseite eine gute BATNA hat, dann werden Sie vermutlich wenig Wert darauf legen, darüber zu sprechen – wahrscheinlich im Gegensatz zu Ihrem Gegenüber. Überlegen Sie stattdessen, wie Sie Ihr Angebot vorteilhaft verkaufen können. Damit wird die BATNA der Gegenseite für diese unattraktiver.
• Wenn Sie vermuten, dass die Gegenseite eine schlechte BATNA hat, dann versuchen Sie sie dazu zu bringen, darüber zu sprechen.
• Stimmen Sie nur dann einer Verhandlungslösung zu, wenn diese besser als die BATNA ist.
• Drohen Sie dem Verhandlungspartner nicht mit der eigenen BATNA, sondern teilen Sie diese allenfalls als eigenes Entscheidungsproblem mit.
• Beziehen Sie die zweitbeste Alternative aller Parteien als Option in die Verhandlung mit ein.
TIPP
Eine schlechte Alternative wird Sie in Ihren Verhandlungen nicht unterstützen. Eine schlechte Alternative gibt Ihnen keine Verhandlungsmacht. Stärken Sie deshalb Ihre BATNA unbedingt, bevor Sie in die Verhandlung gehen!
CASE STUDY
CASE STUDY: FAHRGEMEINSCHAFT
Niels hat beim Luft- und Raumfahrtunternehmen, bei dem er sich beworben hatte, zugesagt. Er hat seinen neuen Job vor zwei Wochen angetreten. Das Unternehmen liegt 20 Kilometer außerhalb Münchens. Zwar verdient er nicht mehr als bisher, er kann aber dafür in einem neuen Aufgabengebiet internationale Erfahrungen sammeln. Die neuen Kollegen sind ihm von Anfang an sehr sympathisch. Er teilt sich ein Büro mit Karim, der aus Frankreich kommt und auch noch recht neu im Unternehmen ist. Bald schon finden die beiden heraus, dass Sie nicht weit weg voneinander wohnen. Karim schlägt Niels vor, ihn mit seinem BMW mit zur Arbeit zu nehmen und sich dafür die Benzinkosten zu teilen. Niels findet die Idee gut und sagt zu.
Nachmittags fährt er mit dem Shuttle-Bus der Firma zurück an den Ostbahnhof, von wo aus die weiterführenden Züge gehen. Er überlegt, ob er nicht zu schnell zugesagt hat. Ohne eine Analyse seiner Alternativen kam es zu keiner wirklichen Verhandlung, Karim hat Niels überrumpelt. In seiner Spontaneität hatte Niels vergessen, einen Vergleich mit seiner BATNA vorzunehmen.
FRAGE
Welche BATNA hat Niels?
ANTWORT
Er kann den Shuttle-Bus benutzen – der ist kostenfrei.
Er kann in seinem eigenen VW Golf fahren. Das tut er gern und er lernt dort mit Hörbüchern Spanisch.
Im Sommer kann er als Triathlet auch mal mit dem Fahrrad fahren, um sich für Wettkämpfe fit zu halten.
Er weiß nicht, wie lange er noch in der alten Wohnung leben wird, da er mit seiner Freundin ein neues Domizil sucht. Dann werden sich unter Umständen ganz neue Fahrtmöglichkeiten ergeben.
Am nächsten Tag bittet er Karim kleinlaut zu einem weiteren Gespräch und zieht seine schnelle Zusage mit vielen Erklärungen zurück. Karim ist etwas sauer, weil er sich darauf gefreut hatte, nur noch die Hälfte der Benzinkosten zu tragen.
In der Regel hat ein Verhandelnder ein Gespür für die mögliche Zone der Übereinkunft. Die Zone der Übereinkunft wird in der Verhandlungsführung als ZOPA bezeichnet (Zone of Possible Agreement). Wollen Sie Ihr Haus verkaufen, werden Sie sich im Vorfeld überlegen, was Sie realistischerweise für Ihr Haus bekommen werden. Sie werden Kriterien zur Bewertung hinzuziehen und eine Spanne erhalten.
Nehmen wir an, Jan de la Moliere hat von seiner Großmutter ein Haus im Süden Münchens geerbt. Er selbst lebt in Köln, will dort gerne bleiben und plant den Verkauf des Hauses. Die kleine Villa wurde in den 1930er-Jahren gebaut und ist gepflegt; der Grund beträgt 1200 Quadratmeter; die Wohngegend ist ruhig; der durchschnittliche Preis für ein Haus dieser Kategorie in der Gemeinde liegt bei 800000 Euro. Allerdings ist das Angebot im Moment sehr gering und viele Menschen wollen in den Süden Münchens ziehen. Es handelt sich also um einen günstigen Verkäufermarkt. Gleichzeitig befinden wir uns im Jahr 2010 und alle Welt spricht von der Wirtschaftskrise, die potenziellen Käufer halten ihr Geld zusammen und entscheiden sich weniger spontan. Die Eckpfeiler für Jans ZOPA werden durch folgende Überlegungen festgelegt:
• Er wird das Haus für 780000 Euro auf jeden Fall an einen Interessenten verkaufen können.
• Wenn er mehr als 820000 Euro verlangen wird, wird der potenzielle Käufer attraktivere Angebote auf dem Markt finden.
• Seine ZOPA liegt also zwischen 780000 und 820000 Euro.
Die Festlegung der Eckpfeiler einer Verhandlungsspanne im Sinne eines Limits schützt viele Verhandelnde. Wenn Sie Ihre ZOPA kennen, werden Sie dem Druck und der Versuchung des Augenblicks leichter widerstehen. So kann kein Makler oder Kunde Sie dazu drängen, eine Entscheidung zu treffen, die Sie später bereuen werden.
Wenn Sie im Team verhandeln, verhindert die ZOPA außerdem, dass ein einzelnes Teammitglied alleine vorprescht und Vereinbarungen trifft, die mit den anderen nicht abgesprochen sind. Ein weiterer Vorteil der ZOPA ist, dass, wenn Sie die Verhandlungsführung delegieren, beispielsweise an einen Makler, dessen Verfügungsmacht dadurch eingeschränkt wird.
Eine bewährte Vorgehensweise die ZOPA festzulegen ist es, das BATNA-Konzept zu Hilfe zu nehmen. Unsere BATNA definiert das ungeliebte Ende unserer ZOPA. Und durch unsere Vermutung, was die BATNA der Gegenseite sein könnte, erhalten wir ein mögliches »Walk-away-Limit« der anderen, dass unser oberes Ende der ZOPA darstellt, für uns unser maximales Ziel, von dem wir träumen, es zu erreichen.
Hier gibt es keine eindeutige Antwort, es gibt ZOPAs, die sehr schmal und präzise sind, und es gibt ZOPAs, die sehr weit und offen am Ende sind. Ein Beispiel für eine enge ZOPA ist dieses: Sie verkaufen ein Massenprodukt wie Shampoo; es gibt viele Shampoohersteller, der Markt ist saturiert, jeden Tag werden Hunderttausende von Shampoos weltweit von Hunderttausenden von Konsumenten gekauft. Hier handelt es sich um einen nahezu perfekten Markt. In diesem Fall wird der Preis für Ihr Shampoo gar nicht oder nur um Centbeträge verhandelbar sein. Eine Beispiel für eine weite oder offene ZOPA dagegen ist dieses: Sie verkaufen einen 30 Jahre alten Sportwagen. Es gibt von diesen Oldtimern nur noch sehr wenige; es handelt sich beinahe schon um ein Sammlerstück. Weder Sie als Verkäufer noch Ihr potenzieller Käufer haben Erfahrung im Verkaufen von Oldtimern. Hier handelt es sich um einen unvollkommenen Markt. Demnach wird auch in dieser Situation ein weit größerer Spielraum für Verhandlungen sein.