Bestien der Nacht - Michael Katz Krefeld - E-Book
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Bestien der Nacht E-Book

Michael Katz Krefeld

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Beschreibung

Eine Jägerin, die zur Gejagten wird: Der düstere Kopenhagen-Thriller »Bestien der Nacht« von Michael Katz Krefeld jetzt als eBook bei dotbooks. WENN DU SIE KOMMEN SIEHST, IST ES ZU SPÄT Eine Reihe bestialischer Frauenmorde erschüttert Dänemark und versetzt die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Die Morde scheinen mit einem ungeklärten Vergewaltigungsfall verknüpft zu sein und von einer grausamen Männergruppe ausgeführt zu werden. Ihr Motiv? Tief verwurzelter Frauenhass, der kein Erbarmen kennt. Schnell stößt Hauptkommissarin Cecilie Mars mit ihrem kompromisslosen Ermittlungsstil an die Grenzen des Gesetzes – und schafft sich dadurch mehr Feinde als Freunde. Ihre Ermittlungen in Kopenhagen werden für sie zum Minenfeld der Gefahr. Ein Schritt in die falsche Richtung könnte ihren Tod bedeuten … »Bestien der Nacht« ist die eigenständige Fortsetzung des hochgelobten Bestsellers »Dunkle Wut«. Die Thriller-Reihe rund um die hart gesottene Cecilie Mars wird Fans von Stieg Larsson und Håkan Nesser begeistern! Die Hörbücher der Reihe sind bei SAGA Egmont erschienen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 406

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Über dieses Buch:

WENN DU SIE KOMMEN SIEHST, IST ES ZU SPÄT

Eine Reihe bestialischer Frauenmorde erschüttert Dänemark und versetzt die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Die Morde scheinen mit einem ungeklärten Vergewaltigungsfall verknüpft zu sein und von einer grausamen Männergruppe ausgeführt zu werden. Ihr Motiv? Tief verwurzelter Frauenhass, der kein Erbarmen kennt. Schnell stößt Hauptkommissarin Cecilie Mars mit ihrem kompromisslosen Ermittlungsstil an die Grenzen des Gesetzes – und schafft sich dadurch mehr Feinde als Freunde. Ihre Ermittlungen in Kopenhagen werden für sie zum Minenfeld der Gefahr. Ein Schritt in die falsche Richtung könnte ihren Tod bedeuten …

»Bestien der Nacht« erscheint außerdem als Hörbuch bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über den Autor:

Michael Katz Krefeld (1966) gehört zu Dänemarks erfolgreichsten Spannungsautoren. Für seine Thriller-Reihe rund um Kommissar Ravn und seine neuste Reihe um Kommissarin Cecilie Mars erhielt er zahlreiche Preise. Auch international erlangte er durch die hochgelobten Übersetzungen seiner Werke Bekanntheit. Katz Krefelds Schreibkarriere nahm ihren Anfang als Drehbuchautor – ein Einfluss, der in seinen spannungsgeladenen Thrillern und Krimis auch heute noch spürbar ist.

Bei dotbooks veröffentlicht der Autor seine erfolgreiche Cecilie-Mars-Thriller-Reihe mit den Einzelbänden »Dunkle Wut« und »Bestien der Nacht«, die bei SAGA Egmont auch als Hörbuch erhältlich sind. Weitere Titel sind in Vorbereitung.

Die Website des Autors: www.michaelkatzkrefeld.dk/en/

Der Autor auf Instagram: michaelkatzkrefeld/

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eBook-Ausgabe Juni 2024

Die dänische Originalausgabe erschien erstmals 2020 unter dem Originaltitel »Nattens udyr« bei Lindhardt og Ringhof Forlag A/S, Kopenhagen.

Copyright © der dänischen Originalausgabe 2020 Michael Katz Krefeld und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2024 Michael Katz-Krefeld und SAGA Egmont

Copyright © der eBook-Ausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Karol Kinal unter Verwendung von shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fe)

ISBN 978-3-98952-152-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Michael Katz-Krefeld

Bestien der Nacht

Ein Cecilie-Mars-Thriller, Band 2

Aus dem Dänischen von Roland Hoffmann

dotbooks.

Widmung

Für Lis, meine schöne Gattin und beste Freundin

Teil I

Pferde galoppieren am Nachthimmel

künden vom Kommen des Todes.

Messer, Wörter in wahnwitzigem Gewimmel.

Keiner am Leben, wenn das Spiel vorbei ist.

Kapitel 1

Kopenhagen

Der Nymindevej im Stadtteil Vanløse lag ruhig im Schimmer der aufgehenden Sonne, bis ein Walkie-Talkie schnarrte und eine Amsel in die Flucht schlug. Weiter vorn in der Villenstraße hielten die Streifenwagen hinter dem rot-weißen Absperrband der Polizei. Am ersten Rettungswagen standen ein paar Leute vom Rettungsdienst in neonfarbenen Jacken, und vor dem Auto des Einsatzleiters hatte sich eine Gruppe schwer bewaffneter Beamter versammelt. Noch hatte keiner der Bewohner der Straße sich blicken lassen, und die Beamten waren nur gezwungen gewesen, vor ein paar Stunden einen Zeitungszusteller wegzuschicken, der früh unterwegs war. Unter den Beamten befand sich Hauptkommissarin Cecilie Mars von der Mordkommission, die eben angekommen war. Sie trug eine schwarze Lederjacke über ihrer schusssicheren Weste und eine eng sitzende Jeans, die bereits mehrere der Beamten dazu gebracht hatte, ihrem Hintern lange Blicke hinterherzuwerfen. Cecilie strich sich mit der Hand durch ihr kurzes, blondes Haar und richtete ihren Blick auf den Einsatzleiter Niels P.

»Wie viele Tote?«, fragte sie.

Niels, der kräftig und etliche Köpfe größer als Cecilie war, blickte auf sie herab. »Ein bestätigter.«

»Wie viele Verletzte?«

»Das wissen wir nicht.«

»Wie viele Täter?«

»Einer ist bestätigt, aber vielleicht sind es mehrere.«

»Also habt ihr überhaupt keine Ahnung, wie viele Personen sich dort drin aufhalten?« Sie sah hinüber zu der Villa aus rotem Backstein auf der anderen Straßenseite.

»Lebende?«

»Ja, lebende Personen, Niels.«

»Sichtkontakt haben wir nur in eines der Zimmer und in die Küche.« Niels P. deute mit seiner behandschuhten Hand zum nächsten Giebel. »Im Rest des Hauses sind die Gardinen zugezogen. Die Scharfschützen haben Bewegung im Wohnzimmer ausgemacht, ohne jedoch Anzahl und Status feststellen zu können. Also, ob es der Täter ist oder Geiseln …«

»Verstehe. Wie lange geht das schon?«

»Der Notruf kam so um 2.30 Uhr, aber da war der Mord bereits passiert.«

»Und da steht ihr immer noch hier draußen rum und wartet?«, fragte Cecilie und runzelte die Stirn.

»Wir warten auf einen Geiselunterhändler. Im Präsidium ist was schiefgelaufen. Der erste war krank, und den nächsten in der Reihe haben sie eben erst erreicht, also …«

»Auf den können wir nicht warten«, sagte sie und knöpfte den Riemen ihres Pistolenholsters an der Seite auf.

Der Mund von Niels P. öffnete sich im Takt, wie seine Augen größer wurden. »Ich … ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist, dass wir jetzt reinstürmen. Die Situation kann schnell eskalieren und weitere Verluste nach sich ziehen.«

»Wer hat wir gesagt?« Sie drehte sich halb um und rief: »Troels!«

Troels, der an dem zivilen Streifenwagen lehnte, sah sie schlaftrunken an. Mit seinen sommersprossigen Wangen und blonden Haaren sah er aus wie einer, der eben von der Polizeischule gekommen war. Was nicht weit von der Wirklichkeit entfernt war. Troels schob sich vom Fahrzeug weg und ging mit raschen Schritten zu ihr. »Ja?«

»Mitkommen«, sagte sie.

»Wo… hin? Da… rein?« Er nickte in Richtung Haus.

»Sollen wir nicht auf den Unterhändler warten, Cecilie?«, fragte Niels P. »Ich bin mir sicher, dass er jeden Augenblick hier sein kann.«

»Was wäre, wenn deine Familie dort drin wäre? Würdest du dann auch einfach dastehen und warten, Niels?«

Ehe Niels antworten konnte, überquerte Cecilie bereits die Straße, Troels folgte ihr auf den Fersen. Als sie das weiß gestrichene Gartentor erreichte, warf sie einen raschen Blick auf den Briefkasten daneben. Oben stand »Irene & Jørgen Olsen« und darunter »Nicklas Olsen«. Das Tor quietschte, als sie es aufdrückte und einen Schritt in den Garten machte. Vor ihr lag die Villa, die sich nicht nennenswert von den anderen Häusern im Viertel unterschied. Dennoch war es, als ob die Fenster mit den zugezogenen Gardinen tot zurückstarrten.

»Zieh deine Waffe, Troels, und halte dich hinter mir«, sagte sie ruhig und ging zur Haustür.

Troels holte seine Glock aus dem Holster und entsicherte die Pistole.

Cecilie nahm den Türklopfer und klopfte hart an. Als nichts passierte, begann sie loszuhämmern. Nach einer Minute war aus dem Flur ein Rascheln zu hören. Cecilie machte einen Schritt weg von der Tür, die geöffnet wurde.

Ein junger Mann sah sie mit blutunterlaufenen Augen an. Sein bleiches Gesicht war übersät mit Akne, und das halblange, fettige Haar hing ihm geteilt in die Stirn. Cecilie betrachtete die eingetrockneten bräunlichen Flecken auf dem zerknitterten T-Shirt des Mannes. Sie vermutete, dass es entweder Pizzasoße oder Blut war.

Sie lächelte ihn vorsichtig an. »Guten Morgen. Mein Name ist Cecilie Mars, ich bin von der Polizei, und das hier ist mein Partner Troels«, sagte sie und deutete hinter sich.

Der Mann blickte träge zurück, ohne etwas zu sagen.

»Wir sind gekommen, um zu hören, ob hier alles in Ordnung ist?« Der Typ kratzte sich am Hintern. »Es … ist alles gut.«

»Bist du Nicklas?«

»Ja, ja …«

»Ist jemand bei dir, Nicklas?«

»Ja, ja …«

»Dürfen wir reinkommen?«

»Warum? Wer seid ihr?«, fragte er näselnd.

»Wir sind von der Polizei, mein Name ist …«

»Ach ja, krass, total hardcore«, sagte er und nickte.

»Kommt rein, aber beeilt euch, ich bin grad am Gamen.« Nicklas drehte sich um und verschwand.

Cecilie zog ihre Waffe und schob die Tür weit auf.

»Ist der vollkommen auf Drogen, oder was?«, flüsterte Troels.

Sie betraten den lang gestreckten Flur, der im Halbdunkel lag. Aus dem Zimmer ganz vorn strömte Licht.

»Nicklas?«, rief Cecilie, während sie durch den Flur gingen. Als sie die offene Tür erreichten, die in das dunkle Wohnzimmer führte, blieb Cecilie stehen und sah rasch hinein. Unmittelbar war hier niemand zu sehen. Sie gingen weiter den Flur entlang in Richtung des letzten Zimmers. Mit jedem Schritt nahm der Lärm von Schüssen und Schreien zu.

Im Zimmer hatte Nicklas sich mit dem Rücken zur Tür vor einen Ultrawide-Bildschirm gesetzt und spielte »Call of Duty«. Der konkave Bildschirm bedeckte die Wand vor ihm und platzierte ihn direkt auf dem Schlachtfeld. Rechts von ihm stand ein offener Laptop, wo er einen Videochat mit vier anderen Nutzern am Laufen hatte.

Cecilie und Troels betraten das Zimmer. Sie erblickten die Leiche einer Frau, die links von der Tür auf einem Bürostuhl saß, in ihrem Schädel steckte ein Fleischerbeil. Sie war Ende fünfzig und trug einen sonnengelben Morgenmantel, auf dem Krusten von geronnenem Blut klebten. Troels schnappte nach Luft und musste mit seinem Speichel kämpfen. Cecilie ging zu der Leiche und legte ihr zwei Finger an den Hals, um den Puls zu überprüfen, auch wenn das Ergebnis schon klar war.

»Troels, gibst du auf ihn acht, während ich den Rest des Hauses absuche?« Cecilie deutete mit der Pistole auf Nicklas, der in sein Computerspiel versunken war.

Troels nickte abwesend. »Du … du willst, dass ich hierbleibe?«

»Gern, danke«, sagte Cecilie und verließ das Zimmer.

Sie ging zur Küche, in der Unordnung herrschte. »Hallo«, rief sie in die Dunkelheit. Es kam keine Antwort. Es würde sie nicht wundern, wenn sie auf Jørgen, den Vater von Nicklas, stieß, aber er wäre wohl nicht mehr am Leben. Sie durchquerte die Küche und ging am Esstisch vorbei, auf dem sich leere Cola-Flaschen und Pizzaschachteln um den Platz stritten.

»Cecilie?!«, brüllte Troels aus dem Zimmer. »Cecilie? Hast du was gefunden?«

Sie antwortete nicht, sondern öffnete die Tür, die ins Schlafzimmer führte, in dem Haufen von Kleidung rund um das große Doppelbett verstreut lagen. Cecilie bemerkte, dass nur eine Hälfte des Betts gemacht war. Sie ging zum Kleiderschrank und schob die Schiebetür zur Seite. Die Hälfte des Schranks war wie das Bett gähnend leer. Vielleicht wohnte Papa-Jørgen gar nicht mehr hier? Sie ging hinaus und überprüfte das Badezimmer und stellte fest, dass niemand sonst im Haus war als Nicklas und die tote Frau. Cecilie kehrte zurück in den Flur, an dessen anderem Ende Troels stand.

»Hast du etwas gefunden?«, fragte er.

»Hast du ihn unter Kontrolle?«, sagte sie überrascht.

Im selben Moment tauchte Nicklas in der Tür hinter Troels auf. Er hob den Arm, und ein Fleischerbeil wurde sichtbar. Die scharfe Klinge reflektierte das Licht vom Computerbildschirm. »Hinter dir!«, rief sie.

Troels versuchte sich umzudrehen, traf in der Bewegung jedoch den Türrahmen mit der Pistole, die ihm aus der Hand fiel. Die schwarze Glock landete schwer auf dem Boden, und Troels streckte sich fieberhaft nach ihr.

»Stirb, Dämon, stirb!«, rief Nicklas und machte einen Schritt auf Troels zu, während er das Fleischerbeil schwang.

Die drei Schüsse, die folgten, trafen Nicklas mitten in die Brust. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte in das Zimmer, wo er den Computerbildschirm mit sich auf den Boden riss.

Cecilie senkte langsam ihre Pistole. Der Lärm von den Schüssen bimmelte in ihren Ohren, während der Nebel aus Pulverrückständen einen metallischen Geschmack in ihrem Mund auslöste. Sie ging zu Troels, der in der Türöffnung kauerte. »Bist du okay?«, rief sie zu ihm hinunter. Er nickte, und sie zwängte sich an ihm vorbei. Auf dem Boden lag Nicklas zu Füßen seiner verstorbenen Mutter.

Mit einer Hand hielt er ihren nackten Knöchel fest. Ein heiseres Röcheln war zu hören, während ihm eine purpurrote Wolke aus Blut aus dem Mund schoss. »Sabels … Abels … Abel …« Sein Griff wurde schlaff, und er atmete nicht mehr.

Cecilie steckte ihre Glock zurück ins Holster. Sie konnte hören, wie aus dem Flur die Bereitschaft hereingestürmt kam.

Kapitel 2

Es war Vormittag geworden, als Cecilie zusammen mit Troels in die Räumlichkeiten der Mordkommission auf Teglholmen, einer Halbinsel im Südhafen, fuhr. Sie hatte den Tatort den Kriminaltechnikern und dem Gerichtsmediziner überlassen, die mit ihren Untersuchungen begonnen hatten. Es würde sie wundern, wenn jemand von ihnen wegen der Todesfälle Überstunden machen müsste.

Es begann zu nieseln, und sie schaltete die Scheibenwischer des Golfs ein. Troels saß schweigend auf dem Beifahrersitz, immer noch in schusssicherer Weste, und blickte leer zur Windschutzscheibe hinaus. Er war leichenblass und schien unter Schock zu stehen.

Cecilie warf ihm einen Blick zu. »Warum, zum Teufel, konntest du dich nicht ans Protokoll halten?«

»Tut … mir leid. Ich hab’s vermasselt.«

»Und wie. Man kehrt einem Verdächtigen nie, NIEMALS, den Rücken zu! Und schon gar nicht einem, der seiner Mutter gerade den Schädel mit einem Beil eingeschlagen hat.« Sie schüttelte den Kopf. »Verflucht nochmal …«

»Ent… schuldige.«

»Entschuldige hilft nicht viel, wenn es dem Idioten gelungen wäre, dich niederzustrecken.« Sie umfasste das Lenkrad so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden.

Troels machte ein paar Schluckbewegungen. »Ich dachte … ich meine, er saß ja da und spielte am Computer.«

»Ja, und jetzt ist also game over. Getötet in unserem Gewahrsam. Klasse.« Sie schüttelte den Kopf.

»Ent… schuldige …«

Sie starrte die allzu große schusssichere Weste an, in der er zu ertrinken schien. »Warum, verdammt, hast du immer noch deine Weste an? Du siehst aus wie einer der Deppen, die im Netto beim Einkaufen ihren Fahrradhelm aufhaben.«

»Ent… schuldige«, murmelte Troels wieder und begann an den Klettverschlüssen der Weste zu ziehen.

»Und hör auf, dich laufend zu entschuldigen. Schalte lieber dein Hirn ein«, sagte sie und fuhr bei Rot über die Ampel.

Cecilie fand einen Parkplatz vor dem Abteilungsgebäude in der Teglholm Allé. Es war inzwischen Jahre her, dass die Mordkommission vom alten Polizeipräsidium in eines der anonymen Bürogebäude gezogen war, aber sie hatte sich immer noch nicht an die Umgebung gewöhnt. Als sie die Straße in Richtung Haupteingang überquerte, blickte sie zurück zu Troels. »Wenn wir bei Karstensen landen, lässt du mich das Wort führen. Wenn es etwas gibt, was der Leiter der Mordkommission hasst, dann sind es Leute, die das Protokoll nicht befolgen, okay?«

Troels nickte beklommen.

Fünf Minuten später standen sie in Karstensens Büro, das ganz hinten in der Abteilung für Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit lag. Das Büro war ziemlich anonym, hatte aber eine beeindruckende Aussicht auf die Hafenfront. Karstensen grüßte Cecilie kurz, ohne von dem Gefrierbeutel mit Karotten aufzusehen, den er aufzubinden versuchte. Auf dem Schreibtisch vor ihm standen Bilderrahmen mit Porträts seiner Enkelkinder. Cecilie hatte den Eindruck, dass in letzter Zeit noch mehr hinzugekommen waren.

»Stimmt es, dass er seine Mutter mit einem Fleischerbeil getötet hat?«, fragte Karstensen.

»Du bist also schon benachrichtigt worden?«

»Ihr seid das Tagesgespräch in der ganzen Polizeibehörde. Auch im Büro des Polizeipräsidenten.« Karstensen sah sie mit stechendem Blick an. Es schien ihm nicht zu gefallen. »Also, wie ist die Sache da draußen gelaufen?«

Troels blickte zu Boden, während Cecilie erzählte, wie die Bereitschaft dagestanden und auf das Unterhändlerteam gewartet hatte, das verspätet war. »Da niemand mit Sicherheit wusste, wie viele Geiseln sich im Haus befanden oder wie ihr Zustand war, entschied ich mich, einzugreifen.«

»Das ist verdammt nochmal typisch. Wieder einmal muss die Mordkommission die Sache regeln. Was ist mit dem verstorbenen Täter?«

»Achtundzwanzig Jahre. Wohnte zu Hause bei seiner Mutter. Wir sind dabei, seinen Hintergrund und die Umstände des Mordes zu untersuchen, also vielleicht taucht da noch etwas mehr auf.«

»Und die Anzeige?«

»Die ging heute Nacht ein. Anonym, von einem Chatroom-Nutzer, der zusammen mit ein paar hundert andren mit Nicklas online war, als er den Mord live beging.«

»Kranker Typ«, rief Karstensen aus. »Und die Aktion selbst, wie ist die verlaufen?«

Cecilie sah kurz zu Troels, ehe sie fortfuhr. »Der Täter hat uns selbst geöffnet. Danach fanden wir das Opfer, das auf einem Stuhl in seinem Zimmer platziert war.«

»Mit dem Fleischerbeil im Kopf«, sagte Karstensen.

»Das ist korrekt. Ich habe anschließend den Rest des Hauses sondiert, während Troels den Täter zurückhielt. Als ich nach ein paar Minuten zurückkehrte, setzte sich der Täter zur Wehr.«

»Hattet ihr ihm keine Handschellen angelegt?«

Cecilie schüttelte verneinend den Kopf. »Er wirkte psychotisch und sehr manisch, als wir ankamen. Am vernünftigsten war es, eine Eskalation der Situation zu vermeiden und ihn bloß sein Computerspiel spielen zu lassen, während wir nachsahen, ob sich noch andere im Haus aufhielten.« Cecilie räusperte sich. »Leider stieß ich gegen einen Tisch, als ich die Küche absuchte. Das hat Troels alarmiert, der sich vergewisserte, dass bei mir alles okay war. Was der Täter ausnutzte, um sich seine Waffe zu packen.«

Karstensen runzelte seine buschigen Augenbrauen. »Er zog das Fleischerbeil aus dem Schädel seiner Mutter?«

»Ja. Um anschließend zum Angriff auf Troels überzugehen«, sagte Cecilie und breitete die Arme aus. »Zum Glück war Troels so geistesgegenwärtig, sich zu ducken, sodass ich zum Schuss kommen konnte.«

Troels warf ihr einen Blick zu, ohne etwas zu sagen.

»Ich konnte den Täter mit drei Schüssen stoppen. Er verstarb unmittelbar danach.«

»Cecilie!«, stöhnte Karstensen.

»Ja?«

»Kannst du nicht eben mal …?« Er reichte ihr resigniert den Gefrierbeutel mit den Karotten. Cecilie versuchte den festen Knoten mit ihren Nägeln zu lockern. »Wer hat dich auf Diät gesetzt?«

»Doktor Mengele. Mein hiesiger Arzt und Sadist. Er sagt, dass ich mich in der Risikozone befinde, Diabetes 2 zu bekommen.« Karstensen tätschelte sich den Bauch. »Ketty lässt ebenfalls nicht locker, bis sie mich mit denen da ins Grab gebracht hat.«

Cecilie bekam den Knoten auf und gab ihm den Beutel zurück. »Bitte sehr.«

Karstensen angelte sich eine der Karotten heraus. Er steckte sie sich zögerlich in den Mund und sah wie ein zum Tode Verurteilter aus, als er zu kauen begann. »Und jetzt?«

»Wir müssen die Angehörigen benachrichtigen. Danach warten wir die Berichte der Gerichtsmediziner und der Techniker ab. NC3 hat den Computer des Täters erhalten. Ich gehe davon aus, dass ich Ende der Woche einen zusammenfassenden Bericht für dich fertig habe und wir den Fall dann abschließen können.« Karstensen nickte rasch, und Cecilie wusste, dass er ihren Bericht niemals lesen würde. Er würde sich damit zufriedengeben, dass die Abteilung mit einem Fall weniger belastet war.

»Ja, ja. Eine ganz schöne Feuertaufe, was, Troels?«, sagte Karstensen.

»Ja«, antwortete Troels und wurde rot. »Eine ganz schöne Feuertaufe.«

»Aber es scheint, dass du die Aufgabe zufriedenstellend bewältigt hast.«

Troels schielte zu Cecilie.

»Troels war der Grund, dass die Sache so ausgegangen ist.«

»Ja, es ist natürlich bedauerlich, wenn wir die Waffe ziehen müssen«, sagte Karstensen und nahm eine weitere Karotte in Angriff. »Trotz allem aber lieber die als wir. Wenn es schon sein muss.«

Cecilie nickte. »Lieber die als wir.«

Karstensen legte den Beutel mit den Karotten zur Seite. »Ich denke, dass es nicht lange dauert, bis die Unabhängige Dienstaufsicht vorbeischaut und Fragen stellt.«

»Das ist ja auch deren Aufgabe«, antwortete Cecilie leichthin. »Wir stehen zur Verfügung. Arbeitet John Nyholm immer noch dort?«

Karstensen lächelte. »John ist dort nach wie vor. Kriegerischer als je zuvor.« Karstensen deutete mit dem Karottenstummel auf sie. »Bei deinem Glück kümmert er sich wohl persönlich um die Sache. Aber da gibt es ja nichts zu bemängeln.«

Der Kommentar durfte in der Luft stehen bleiben.

Kapitel 3

»NEIIIIN«, schallte es in einem gemeinsamen Gebrüll durch den lang gestreckten Raum des Pub & Sport. Die Sportbar war brechend voll, und die meisten drängten sich um die Großleinwände, die von der Decke hingen. Es war die »hiesige Mannschaft«, die ein wichtiges Qualifikationsspiel hatte und gerade beinahe in Führung gegangen war.

Cecilie war kein großer Fußballfan und sah nur mit halbem Auge hin. Stattdessen versuchte sie, sich auf den Stoß zu konzentrieren, den sie gerade machen sollte. Die vielen Jägermeister und Biere brachten den Billardtisch vor ihren Augen zum Schwimmen. Sie stieß gegen die weiße Kugel und verpatzte den Stoß. »Verdammte, verfickte Scheiße!«, rief sie und richtete sich auf. »Du bist dran, Heino.«

Heino erhob sich unsicher vom Stuhl. Er hatte sich ebenso viel wie Cecilie hinter die Binde gegossen, und so war das Handicap, mit dem sie spielten, gleichmäßig verteilt. Heino war der Inbegriff eines Hipsters, im Holzfällerhemd und mit einem Vollbart, der zur Perfektion getrimmt war.

Gemeinsam mit einer Handvoll von Ermittlern aus der Abteilung waren sie direkt von der Arbeit in die Sportbar gegangen, um sich das Spiel anzusehen. Cecilie bereute es, das Abendessen ausgelassen zu haben, und schnappte sich die Schale mit Erdnüssen aus Henriks Händen.

»He, he«, sagte er gutmütig und wischte sich die Hände an seiner Cordhose ab. Henrik war der Zweitälteste in der Abteilung und näherte sich dem Pensionsalter. »Habt ihr bei dem Täter heute was gefunden?«, fragte er näselnd.

»Nicklas Olsen?« Sie schüttelte den Kopf, während sie den Mund leer kaute. »Nicht sehr viel. Doch wir hatten ihn bereits 2015 am Wickel.« Sie schwankte leicht. »Besitz von Kinderpornos.«

»Pfui Teufel«, sagte Henrik und trank von seinem Bier.

»Ja, pfui Teufel. Also werden die Kollegen vom Zentrum für Cybersicherheit NC3 schon was finden, wenn sie sich seinen Computer vornehmen.«

»Wisst ihr, warum er seine Mutter getötet hat?«

»Nee. Noch nicht. Wir haben heute Nachmittag seinen Vater aufgesucht und mit ihm gesprochen. Ohne mehr zu erfahren. Seine Frau und er haben sich vor Jahren schon getrennt, und er war gewiss mehr damit beschäftigt, sich um seine neue Familie zu kümmern, als um die alte.«

»Ich hasse es, die Angehörigen zu benachrichtigen«, sagte Henrik, und dabei überliefen ihn Kälteschauer. »Daran gewöhnt man sich nie. Wie hat er es aufgenommen?«

»Na, was glaubst du, Henrik? Er bekam natürlich einen Schock.«

Henrik nickte. »Hast du ihm erzählt …«

»Was erzählt?«

»Ja, dass du es warst, die …«

»Nein, ich habe ihn nicht darüber informiert, dass ich persönlich seinem Sohn drei Schüsse in die Brust gefeuert habe. Ich dachte mir, dass er auf diese Info wohl verzichten könnte.«

»Gott bewahre.«

Sie nahm ihr Glas und leerte es. Im selben Moment knallte Heino die schwarze Kugel in das Loch. »Game over, Chefin!«

Sie zeigte ihm einen ausgestreckten Mittelfinger und überließ Henrik das Billardqueue. »Wärst du so nett, ihn fertigzumachen?«

Cecilie zwängte sich durch den vollbesetzten Raum mit den bunten Fußballtrikots und weiter zu den Toiletten. Dies war einer der wenigen Orte in der Stadt, wo die Männer am Klo anstehen mussten, wohingegen sie selbst direkt auf die Damentoilette gehen konnte. Sie stellte sich vor das Waschbecken und blickte in den schmierigen Spiegel. Verfickter Scheißtag. Sie drehte den kalten Hahn auf und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Sie betrachtete erneut ihr Spiegelbild. Das kalte Wasser hatte nicht gerade geholfen, sondern nur die Mascara ein wenig verlaufen lassen. Verdammter, verfickter Scheißtag. Sie versuchte, die Mascara mit einer Papierserviette zu korrigieren, doch ihre Finger zittern zu sehr, als dass es gelingen wollte. Sie warf die Serviette weg und drehte sich zu den WC-Kabinen um. Die drei Türen standen weit offen, und sie ging in die erste Kabine und verriegelte die Tür. Sie zog die Tüte mit Koks heraus und sniefte ein paar Linien direkt vom Deckel des Spülkastens. Danach ging sie zum Spiegel zurück. Sie überprüfte, dass keine Reste am Nasenloch saßen, und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Verdammte Scheiße, sagte sie und lächelte gut gelaunt.

Sie kehrte in die Bar zurück, in der die Stimmung jetzt gedämpft war. Der Spielstand zur Pause war anscheinend nicht günstig, und die meisten versuchten, etwas zu bestellen, ehe die zweite Halbzeit angepfiffen wurde. Cecilie erblickte Troels, der allein am Ende der Bartresens saß. Sie zwängte sich zu ihm durch, doch ehe sie zu ihm hinkam, stieß sie auf Jesper und einen seiner Kollegen. Sie waren beide vom SEK und hatten diese selbstgefällige James-Bond-Attitüde. »Lange her, Cecilie. Hab gehört, du warst heute im Feuer.« Jesper warf ihr ein Lächeln zu, das einem Daniel Craig würdig war.

»Leider, ja.«

»Schon mal darüber nachgedacht, zum SEK zu kommen?«

»Ich hab in der Mordkommission reichlich zu tun.«

Der Kollege, der mehr als Jesper getrunken hatte, lächelte sie an. »Wir können dich auch an vielen anderen Orten gebrauchen. Bist du Single … wenn man fragen darf?«

Cecilie schüttelte den Kopf. »Ich habe XL-Bob zu Hause, er sorgt für reichlich Befriedigung.«

Jesper brach in ein Gelächter aus. »Du bist schlimm, Cecilie. Wirklich schlimm.«

»Bis bald, Jungs«, sagte sie und zwängte sich zu Troels durch.

Als sie ihn erreichte, bekam sie Blickkontakt zum Barkeeper und bestellte eine Runde für sich selbst und die anderen am Billardtisch. »Troels, was ist mit dir? Was möchtest du?«

Troels sah sein halbes Bier an, das ziemlich schal aussah.

»Nein, danke. Ich bin fertig.«

»Bist du sicher? Du siehst aus wie jemand, dem es guttäte, mit einem Flying Hirsch durch die gesamte Bar zu fliegen.«

»Danke, aber ich bin am Gehen.«

Der Barkeeper kam zurück mit den Getränken, die Cecilie bezahlte. Sie kippte den zusätzlichen Jägermeister herunter, den sie gekauft hatte, und knallte das leere Glas auf den Bartresen.

»Das heute bedaure ich wirklich«, sagte Troels.

Sie hob den Zeigefinger und schüttelte den Kopf. »Kein Bedauern, Troels. Beim nächsten Mal machst du es einfach besser, okay?«

»Natürlich. Es wird nicht wieder passieren. Aber …«

»Aber was?«, fragte sie und nahm die vollen Biergläser.

»Ich möchte dir gern danken. Dass du mir das Leben gerettet hast.« Cecilie lächelte. »Das wäre eine kurze Partnerschaft gewesen, wenn ich zugelassen hätte, dass er dir das Beil in den Schädel schlägt.«

Er nickte beklommen.

»Das sind die Art von Zwischenfällen, die man abschütteln muss. Bis bald«, sagte sie und versuchte, einen Weg aus der Bar zu finden.

»Cecilie?«

Sie drehte sich halb zu Troels um. »Ja?«

»Danke, dass du … zu Karstensen gesagt hast, was du gesagt hast.«

»Ich habe ihm erzählt, was passiert ist, oder etwa nicht?« Er blickte zu Boden.

»Denk daran, wenn du mit den Scheißkerlen von der Unabhängigen sprichst.«

»JAAAAHAH!!!!« Der FC Kopenhagen hatte getroffen, und alle um sie herum drehten durch.

Als es halb eins war, befand sie sich vor der geschlossenen Sportbar. Henrik und Heino waren schon längst nach Hause gegangen, und das galt auch für den Großteil der Gäste. Übrig waren nur ein paar betrunkene Fußballfans, die den Rest ihrer Stimme nutzten, um ihren Siegesrausch auszusingen. Cecilie ging die Vester Voldgade hinunter und spürte, dass der Alkohol über den Koks gesiegt und ihre Beine gummiartig gemacht hatte. Sie überlegte, ein Taxi nach Hause zu nehmen, konnte aber ihren Dienstwagen nicht stehen lassen. Fünfzig Meter vor ihr gingen ein Mann und eine Frau schwankend einher. Sie stritten sich lauthals, und der Mann, der um einiges größer als die Frau war, begann sie zu stoßen. Die Frau schubste zurück, und die Situation begann sich zu entwickeln. Cecilie ging schneller. Im selben Moment winkte der Mann einem Taxi, das an der Seite anhielt. Er öffnete die hintere Tür und stieß die Frau auf den Rücksitz. »Schau, dassu reinkommst, Alte!«

»He!«, rief Cecilie dem Mann zu.

»Fick dich, Fotze«, rief er zurück und setzte sich hinein.

Als sie das Taxi erreichte, knallte er die Tür zu. Cecilie packte den Türgriff, doch das Taxi fuhr los, und sie musste loslassen. Der Mann zeigte ihr einen ausgestreckten Finger, während das Taxi verschwand.

Verdammte Scheiße, dachte sie, während sie den roten Rücklichtern des Taxis in der Nacht hinterhersah. Die verdammte Scheißwelt kann mich mal. Es war an der Zeit, nach Hause zu gehen.

Kapitel 4

Es war fast zehn Uhr morgens, ehe Cecilie die Räumlichkeiten der Mordkommission im zweiten Stock betrat. Sie sah aus wie jemand, der aus dem Bett gestürzt war, was ja nicht ganz falsch war. Als Schutz vor der Welt und dem Sonnenlicht, das durch die Panoramafenster hereinknallte, behielt sie ihre schwarze Ray-Ban auf. Als sie zu Henriks Platz kam, warf er ihr ein müdes Lächeln zu.

»Du siehst heute aber nicht sehr hübsch aus, Henrik.«

Cecilie warf ihre Tasche auf den Schreibtisch und setzte sich schwer auf ihren Stuhl. Sie nahm ein Röhrchen Treo-Schmerztabletten aus der Tasche ihrer schwarzen Lederjacke und hielt Ausschau nach etwas, woraus sie trinken konnte. Sie fand eine schmutzige Kaffeetasse, in die sie Wasser aus ihrer Wasserflasche goss. Erst jetzt bemerkte sie, dass der Stuhl von Troels gegenüber leer war. »Ist Troels noch nicht aufgetaucht, Henrik?« Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und sah sich um.

»Schon längst. Er sitzt in Besprechungsraum 2.«

»Okay. Sind die Nerds von NC3 schon wieder da?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, die kommen erst gegen Mittag. Troels ist zur Vernehmung bei der Unabhängigen, die vorbeigekommen ist.«

Cecilie ließ die Treo in die Kaffeetasse fallen. »Okay. Weißt du, wen sie geschickt haben?«

Im selben Moment zeigte Troels sich in Gesellschaft eines Mannes mittleren Alters mit schütterem Haar. Der Mann trug einen zerknitterten schwarzen Anzug, der ihn zusammen mit seiner bleichen Gesichtsfarbe wie einen Totengräber aussehen ließ. Einen von der ärmlichen Sorte. »Cecilie Ma-ars«, sagte er und lächelte kühl.

»John«, grüßte sie distanziert. Sie kannte ihn als einen übereifrigen und rachsüchtigen kleinen Satan. Und bei den vielen scharfen Fällen der Mordkommission war John Nyholm ein häufiger Gast in der Abteilung.

»Wenn die Hauptkommissarin bitte folgen würde.«

Cecilie erhob sich und leerte ihre Kaffeetasse. Die Treo war nicht ganz aufgelöst, und sie zerdrückte den letzten Rest, während sie hinüber zu Troels sah.

Troels wich ihrem Blick aus und setzte sich.

Cecilie folgte John zum Besprechungsraum. Sie fand, dass in seinem Gang etwas Triumphierendes lag, und sie machte sich Sorgen, was Troels wohl gesagt hatte. Als sie den Besprechungsraum erreichten, hielt John ihr die Tür auf, und Cecilie trat ein. Sie grüßte seinen Kollegen Allan Svare, der neu in der Abteilung war. Allan erinnerte mit seiner bleichen Haut und dem schütteren Haar an John, aber er hatte sich noch nicht Johns arrogante Attitüde zugelegt. Susan von der Polizeigewerkschaft war ebenfalls anwesend. Sie hatte vorstehende, aufgespritzte Lippen, mit denen sie wie eine Ente aussah. Susan diente den Beamten als Beistand bei internen Ermittlungen, doch Cecilie wartete immer noch darauf, sie etwas Vernünftiges sagen zu hören. Und sie kannte Susan inzwischen seit vielen Jahren.

Cecilie begann, ihre Aussage zu machen, die sich in nichts von dem unterschied, was sie Karstensen am Tag zuvor gesagt hatte. Allan Svare fragte nach ein paar Details, während John zurückgelehnt auf dem Stuhl saß. Noch hatte er sein schwarzes Notizbuch nicht aufgeschlagen, wie er es sonst immer zu tun pflegte. Nach einer Viertelstunde machte sich John endlich bemerkbar. Er rieb sich die Nase und rutschte auf dem Stuhl nach vorn.

»Gehen wir doch eben mal den eigentlichen Schusswechsel durch.«

»Gern.« Sie versuchte, die anderen anzulächeln.

»Schildere uns den Verlauf doch einfach mit deinen eigenen Worten.«

Sie zögerte und nahm einen Schluck Wasser aus dem Glas, das Susan ihr hingestellt hatte. Wenn sie dabei erwischt wurde, gegenüber der Unabhängigen Dienstaufsicht zu lügen, würden sie ein Disziplinarverfahren eröffnen und sie sofort feuern.

Sie stellte das Wasserglas hin und erzählte, wie Troels sich heroisch geduckt hatte, sodass sie selbst zum Schuss kommen und den Täter neutralisieren konnte.

Sowohl Allan als auch John fragten nach, inwieweit der Täter aufgefordert worden war, die Waffe wegzulegen, ob ein Warnschuss abgegeben worden war und wie viele Schüsse abgefeuert worden waren, um ihn zu stoppen. Das alles waren Routinefragen, aus denen sie sich herausreden konnte. Ihr fiel auf, dass John während der gesamten Sitzung noch nichts in sein kleines Scheiß-Heft geschrieben hatte.

Kurz darauf dankten sie ihr für ihre Zeit, und Cecilie erhob sich.

»Was für ein Erlebnis für deinen neuen Partner«, sagte John und sah zu ihr hoch. »Er wirkt immer noch erschüttert.«

»Troels hat es gut gemacht.«

»Ja, ja, es ist ja auch nicht sein erster Mordfall, oder?«

»Nein«, antwortete Cecilie. »Troels ist seit etwa einem Jahr in der Abteilung, also …«

Sie alle blickten zu John, der sein Notizbuch öffnete und darin blätterte, bis er fand, was er suchte. »Genau, ja. Gerade aus Hobro gelandet und gleich an seinem ersten Tag eine Tötung im Stadtteil Nordvest, nicht wahr?«

»Du erinnerst dich besser als ich«, antwortete Cecilie. Was nicht stimmte.

»Gutes Gedächtnis«, lächelte John zurück. »Hassan Amir. In die Brust geschossen. Draußen in deiner eigenen Nachbarschaft. Kanntest du Hassan eigentlich?« Cecilie steckte die Hände in die Taschen und starrte auf John herab.

»Alle kannten Hassan und die Bande, deren Mitglied er war. Warum?«

»Ja, John, hat das hier irgendeine Relevanz?«, fragte Susan und übertraf damit ihren eigenen Rekord für scharfsinnige Fragen.

John schloss sein Notizbuch und machte eine bedauernde Geste mit der Hand. »Überhaupt keine. Wie ich bereits sagte, ist es nur mein gutes Gedächtnis. Ich habe mich bloß an den Fall … und all die Gerüchte von damals erinnert. Und dass es der erste Fall von Troels war.«

»Was für Gerüchte?«, fragte Cecilie.

John lachte still. »Wie Susan so richtig hervorgehoben hat, hat dies keine Relevanz. Danke für deine Zeit und deine Kooperation.« Er gab ihr mit einem kleinen Nicken zu verstehen, dass das Treffen beendet war.

Auf dem Weg zurück in die Abteilung dachte Cecilie daran, was John da eigentlich am Laufen hatte. Er war offensichtlich nicht nur gekommen, um die Umstände von Nicklas’ Tod zu untersuchen. Wenn das der Fall gewesen wäre, dann wäre er ganz anders zu Werke gegangen. Dann wäre sie nicht so leicht davongekommen.

»Alles in Ordnung?«

Troels drehte sich halb auf seinem Stuhl um und sah zu ihr hoch. »Ja klar. Es lief gut, denke ich … oder etwa nicht?« Er biss sich auf die Lippe.

»Keine Probleme.« Sie ging um den Tisch und setzte sich an ihren Platz. Cecilie schaltete den Computer ein, während sie nachdachte. John würde jede Lüge erkennen können, die Troels aus dem Mund kam. Aber er hatte es durchgehen lassen. So wie er sie auch dieselbe Lüge hatte erzählen lassen, ohne eine Miene zu verziehen. Stattdessen hatte er geduldig gewartet, bis er seine Chance sah, das Gespräch dahin zu lenken, weswegen er in Wirklichkeit gekommen war. John hatte ihre Reaktion sehen wollen, wenn er den alten Hassan-Fall erwähnte. Nur um zu klären, ob die Gerüchte, die er aufgeschnappt hatte, wahr waren. Er hatte bekommen, weshalb er gekommen war. Sie hatte das Gefühl, dass das hier nur der Anfang von etwas war, das für sie schlimm enden konnte.

»NC3 ist auf dem Weg hierher«, sagte Henrik, der mit dem Telefon in der Hand dasaß.

Cecilie nickte und fand ein paar Panodil-Schmerztabletten, damit sich die Treo nicht so allein fühlten.

Kapitel 5

Ismail von NC3 kam in die Abteilung und schleppte einen großen schwarzen Koffer. Er war leicht übergewichtig und nicht besonders groß.

»Hallo, Cecilie«, sagte er außer Atem und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich hätte den Aufzug nehmen sollen. Habe meine eigene Kraft überschätzt«, sagte er mit einem Lächeln.

»Schön, dich zu sehen, Ismail. Habt ihr viel zu tun?«

»Unterbesetzt bis zum Abwinken, aber das kennt ihr wohl auch?« Er grüßte Troels rasch.

»Ich sehe, du hast die ›Movie-Box‹ mitgenommen«, sagte Cecilie und deutete auf seinen Koffer. »Wollen wir uns ein ruhiges Plätzchen suchen?«

Cecilie nahm Ismail und Troels mit in den nächstgelegenen Besprechungsraum am Gang. Als sie im Raum waren, stellte Ismail den Koffer auf den Tisch und öffnete ihn. Darin lag etwas, das wie die Antwort des Computers auf einen Hummer aussah. Es war ein tragbares BGAN-Terminal, das neben einer enormen Rechenkapazität ein integriertes Satellitensystem besaß, sodass der Computer über einen direkten Link mit dem Hauptrechner des NC3 kommunizierte. Man konnte ihn unmöglich hacken, und ein Witzbold bei NC3 hatte ihn Vegas getauft. Cecilie hatte bereits erklärt, warum: What happens in Vegas stays in Vegas.

Ismail schob sich seine runde Brille mit dem Zeigefinger zurecht. Er schaltete den Computer ein, und ein leises Summen war zu hören.

»Also habt ihr etwas auf Nicklas Olsens Computer gefunden?«

»Sowohl auf dem als auch auf den beiden anderen externen Festplatten, die wir bekamen. Nicklas hat aus seiner ersten Verurteilung offensichtlich nichts gelernt.«

»Kinderpornos?«

Ismail nickte. »791 Fotos und 18 Videosequenzen. Mehrere davon aus Kategorie 3.«

»Was ist Kategorie 3?«, fragte Troels.

»Vergewaltigung, Drohungen, Zwang und schwere Gewalt gegen Minderjährige. Die Dateien waren nicht einmal verschlüsselt, sondern frei zugänglich. Ich habe eine Kopie für euch dabei«, sagte er und deutete auf den Bildschirm, auf dem eine Reihe von Ordnern zu sehen war.

»Hat er davon etwas selbst produziert?«

»Nein. Das Material an sich ist altbekannt. Es befinden sich auch keine neuen Opfer darunter. Wir sind aber dabei, die Personen zu finden, mit denen er das hier geteilt hat. Was einige Zeit dauern wird.«

»Sonst noch etwas?«

»Ja, ja«, antwortete Ismail und tippte weiter. Eine Bildschirmanzeige mit neuen Ordnern öffnete sich. »Wir haben auch etliche Filme und Fotos gefunden, die das Foltern und Töten von Frauen zeigen. Wieder ist es altbekanntes Material. Vieles ist frei zugänglich im Internet zu finden. Einiges davon hat er sicherlich über Google gefunden.«

»Krank«, sagte Troels.

»Es gibt auch zehn Videos, die Nicklas in den Wochen vor der Tötung seiner Mutter aufgenommen hat. Darin beschreibt er seinen Hass auf sie. Man sieht auch, wie sie in sein Zimmer kommt und sie sich streiten.«

»Über etwas Konkretes?«

»Räum auf, such dir eine Arbeit, ich bin nicht dein Diener, du bist immer hinter mir her, verschwinde aus meinem Zimmer, so etwas«, erklärte Ismail und streckte sich auf dem Stuhl. »Ich habe nicht alles durchgesehen, mir bloß einen Überblick verschafft.«

»Was ist mit dem besagten Tag?«, fragte Cecilie. Troels warf ihr einen raschen Blick zu. »Gibt es davon irgendein Video?«

Ismail nickte. »Nicklas nahm den Live-Stream von der Tötung seiner Mutter auf, wenn es das ist, was du meinst. Wollt ihr es sehen?«

Cecilie nickte.

Ismail suchte die Aufnahme heraus. Sie zeigte Nicklas, der im Schein einer Schreibtischlampe auf der Tastatur tippte. Die Aufnahme war ohne Ton. »Es gibt verschiedenen Gruppen, in denen er schrieb und aktiv war, aber das hier ist eine von denen, die er regelmäßig besucht hat.«

»Okay, wie viel Videomaterial haben wir von ihm?«

»Etliche Stunden.«

»Vielleicht könnten wir dann vorspulen.«

Ismail drückte auf die Tastatur, und die Videosequenz lief in rasendem Tempo über den Bildschirm. Ab und zu wurde die Tür hinter ihm geöffnet, und seine Mutter trat in ihrem Morgenmantel ein. Ihre Gestik und Gesichtsmimik zeigten den eskalierenden Streit. Irgendwann, als Nicklas allein war, erhob er sich und verließ das Blickfeld der Kamera. Als er zurückkehrte, hatte er das Fleischerbeil in der Hand.

»Mach langsamer«, sagte Cecilie.

Zu dritt betrachteten sie Nicklas, wie er das Beil vor die Kamera hielt, um es zu zeigen. Kurz darauf legte er es auf den Tisch und fing wieder an zu chatten.

»Wir haben eine Kopie des gesamten Gesprächs. Das Forum ist ziemlich groß, und bisher haben wir über zweihundert Nutzer im Zeitraum der Tötung registriert. Die meisten verwenden einen Tor-Browser und sind anonym.«

»Worüber chattet er mit denen?«, fragte Troels.

Ismail sah ihn ernst an. »Ziemlich viele haben ihn aufgefordert, entweder sich selbst oder seiner Mutter etwas anzutun. Nur ganz wenige baten ihn, zu stoppen.«

»Können wir all diejenigen, die ihn aufgefordert haben, drankriegen?«, fragte Troels.

Cecilie schüttelte den Kopf. »In Dänemark ist es nicht illegal, online zu mobben. Die Aufforderung muss direkt sein und über längere Zeit gelaufen sein. Kannst du bis zur Tötung vorspulen, Ismail?«

Ismail spulte bis zu der Stelle im Video vor, an der Nicklas’ Mutter zur Tür eintrat. Die schlechte Beleuchtung ließ die Aufnahme wie einen Ausschnitt aus einem Horrorfilm aussehen. Nicklas saß mit dem Rücken zur Mutter, die in der Türöffnung stand. Er hielt das glänzende Fleischerbeil gegen seine Brust gedrückt. Die Mutter war unverkennbar erregt und schimpfte. Ohne Vorwarnung drehte Nicklas sich auf dem Stuhl herum und erhob sich. Im nächsten Moment hieb er seiner Mutter das Beil in den Kopf.

»Pfui T…« Troels griff sich an den Mund.

Auf dem Bildschirm sahen sie, wie Nicklas seine Mutter zu einem Bürostuhl zog, in den er sie setzte. Das Blut lief der leblosen Frau über Gesicht und Morgenmantel. Nicklas kehrte zurück zu seinem Stuhl und setzte sich vor den Computer. Er bedauerte seine Abwesenheit und schrieb weiter.

»Wie lange läuft die Kamera?«

»Er chattet noch eine Weile. Einige der Nutzer loben ihn, während andere offensichtlich geschockt schreiben.«

»Und Nicklas?«

»Er kommentiert die Tötung kaum. Es macht den Eindruck, als wäre er mehr daran interessiert, das Online-Spiel zu diskutieren, das gleich beginnen soll.« Ismail spulte weiter, bis der Bildschirm schwarz wurde.

»Danke, Ismail. Gute Arbeit.«

»Das war einfach. Gibt es was, an dem ich in Bezug auf den Mordfall weiterarbeiten soll?«

Cecilie schüttelte den Kopf. »Ich schließe ihn ab, sobald die Techniker mit ihrem Bericht fertig sind.«

Ismail packte seinen Computer zusammen.

»Wissen wir, wer von den Chat-Nutzern den Mord angezeigt hat?«, fragte Cecilie.

Ismail schüttelte den Kopf. »Der Anruf war anonym.«

»Ist unter denen, die den Mord gesehen haben, einer, der sich Abel nennt?«

»Abel? Nein, auf diesen Namen bin ich nicht gestoßen. Die meisten Nutzernamen in dieser Art von Gruppen sind anonym und generiert aus willkürlichen Buchstaben- und Zahlenkombinationen. Warum?«

»Egal«, antwortete sie, während sie an die letzten Worte von Nicklas dachte.

Kapitel 6

Bellahøjs Betonsilos zeichneten sich schlank gegen den Abendhimmel ab und wirkten majestätisch in dem schwindenden Licht. Die heruntergekommenen Gebäude waren ursprünglich Teil eines Prestigeprojekts aus den 1960er-Jahren, doch jetzt stand das gesamte Viertel ganz oben auf der Ghetto-Liste – einer Liste, die seit 2010 jedes Jahr von der jeweiligen Regierung veröffentlicht wird und solche Wohngebiete als »Ghettos« oder neuerdings als »Parallelgesellschaften« ausweist, die sich durch besonders hohe Kriminalität, Arbeitslosigkeit und einen hohen Migrationsanteil kennzeichnen.

Cecilie gondelte durch das Viertel zu dem Mietshaus, in dem sie wohnte. Sie hatte den Arm aus dem offenen Seitenfenster hängen, während sie zu den leeren Fußwegen zwischen den Gebäuden sah. Die meisten Bewohner blieben nach Anbruch der Dunkelheit klugerweise drinnen. Cecilie erblickte einen Burschen, der auf seinem Trial-Bike davonflitzte. Das war einer der Gangsta des Viertels, die die Augen offenhielten für ein paar größere Gangsta, welche er jetzt sicherlich warnte, dass die Bullensau zurück war. Nach der nicht aufgeklärten Erschießung von Hassan hielten all die kleinen Fische sich in sicherer Distanz zu ihr.

Hassan war ihr Anführer gewesen. Der König der Fußwege, auf denen sich niemand im Viertel sicher fühlen konnte. Die Gangsta hatten versucht, sie aus Bellahøj zu verscheuchen, und hatten sie sogar überfallen. Das hatte sowohl für sie, aber auch für Hassan und ein paar der anderen schlimm geendet. Sie hatte den Zwischenfall nicht angezeigt, stattdessen hatte sich zwischen ihr und den Gangsta ein Waffenstillstand eingefunden. Unglücklicherweise war Hassan kurze Zeit darauf volles Mitglied der NV-Brothers geworden. Sie hatte ihn aus gutem Grund gefürchtet, bis zu der Nacht, in der er in einen Hinterhalt unter der Schnellstraße Bispeengbuen gelockt worden war. Ein Ort, an dem es weder Zeugen noch Videoüberwachung gab. Ein Ort, an dem Hassan drei Schüsse in die Brust bekam, abgefeuert von einem unbekannten Täter, der weder seine DNA noch eine Tatwaffe zurückgelassen hatte. Sie hatte den Fall selbst übernommen und ihn anschließend tief begraben.

Das Gerücht, das sie involviert gewesen war, hatte im Viertel schnell die Runde gemacht. Doch bis auf Weiteres hatten die Brothers nichts unternommen, was wahrscheinlich daran lag, dass sie im Krieg mit den Amager-Rebels lagen, die Einzug in den Stadtteil hielten.

Cecilie parkte ihren schwarzen Golf und stieg aus, die Pizzaschachtel in der einen Hand. Sie inhalierte die kühle Abendluft, während sie das Auto abschloss. Über das Dach des Autos betrachtete sie den angebrannten Asphalt zehn bis fünfzehn Meter weiter vorn. Der schwarze Fleck erinnerte an die Autobombe, die vor ein paar Wochen hochgegangen war. Die Explosion hatte einem Rebels-Mitglied das Leben gekostet und das Auto zu einem Haufen Schrott verwandelt.

Cecilie ging über den dunklen Weg zu ihrem Hauseingang. Sie nahm den Aufzug, in dem es nach Pisse stank, in das oberste Stockwerk und schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf. Als sie das Wohnzimmer betrat, erblickte sie eine muskulöse Gestalt, die an der Balkontür stand. Cecilie schaltete das Licht ein. »Hallo, Bob. Hast du mich vermisst?«

Sie warf die Pizzaschachtel auf den Sofatisch und streifte die schwarze Lederjacke ab. Die mannshohe Kampfsportpuppe starrte sie schweigend an. Das Gesicht von XL-Bob war zerfurcht, und er sah aus wie eine Kreuzung zwischen Kim Bodnia und einem Boxer aus dem letzten Jahrhundert. Bob hatte weder Arme noch Unterschenkel, sondern stand auf einer verstellbaren Säule. Dafür verfügte sein nackter, muskulöser Latextorso über ein beneidenswertes Sixpack und eine Beule im Schritt, die zeigte, dass er ein richtiger Mann war.

Cecilie setzte sich auf das Sofa und öffnete die Pizzaschachtel. Der Inhalt war wie üblich eine Nummer 8 von dem Venezia unten an der Ecke. Die Pizzeria wurde von drei Kurden betrieben, was für sie authentisch genug war, da sie sie immer mit Shawarma bestellte.

»John fucking Nyholm hat heute vorbeigeschaut, Bob«, sagte sie und zog ein Pizzastück heraus. Sie faltete es in der Mitte und machte einen ordentlichen Bissen. »Nur um in dem alten Hassan-Fall herumzuschnüffeln.« Sie nahm eine Serviette und wischte sich den Mund ab. »Nicht offiziell, aaaber …« Sie blinzelte Bob zu. »John kann uns an den Arsch kriegen. Und wenn es mich erwischt, dann auch dich, Bob.« Sie verschlang ein weiteres Stück Pizza. »Was mir am meisten Sorgen macht, ist, wie es ein Gerücht aus dem Viertel bis zur Unabhängigen und John schafft. Alle in der Gegend sind normalerweise ebenso schweigsam wie du, Bob. Dennoch hat jemand das Maul aufgerissen. Es sei denn, John führt eigene Ermittlungen durch. Die sich ausschließlich darum drehen, mir was anzuhängen.« Sie schob die leere Pizzaschachtel über den Tisch und wischte sich ihre Finger ab. »Wir müssen aufpassen, Bob. Es sind gefährliche Zeiten.« Cecilie griff nach ihrer Jacke und holte das kleine leere Koksröhrchen aus der Tasche. Sie schraubte den Deckel ab und klopfte das Röhrchen gegen ihren Handrücken. Es reichte nicht einmal für eine einzelne Linie, und sie entschied sich dafür, die kläglichen Reste auf dem Zahnfleisch zu verreiben. Der Effekt war minimal, reichte aber aus, dass sie vom Sofa aufstand. Sie zog ihr T-Shirt aus und entledigte sich ihrer Schuhe. Nur in Jeans und einem Sport-BH begann sie Bob mit Schlägen zu traktieren. Sie machte ein paar schnelle Schläge gegen den Kiefer und setzte mit einem schweren Nierenschlag nach. Die Schläge wurden immer schneller ausgeteilt. Gegen den Körper. Den Kopf. Die Eier. Bob ließ alles mit sich machen. Zehn Minuten später war sie schweißgebadet und lehnte sich außer Atem gegen Bob. Sie versuchte, wieder Luft zu bekommen. Die Pizza steckte ihr im Hals, und sie ging auf den Balkon, um frische Luft zu schnappen.

Hier oben im 14. Stock herrschte ein kräftiger Wind, der ihren verschwitzten Körper schnell abkühlte. Sie lehnte sich gegen das Geländer und blickte über Kopenhagen, das wie ein leuchtender, glitzernder Teppich dalag. Von ihrem Balkon hatte sie freie Aussicht über die gesamte Hauptstadtregion. An der Oberfläche ein hübscher Anblick, aber sie wusste, welche Verderbtheit sich darunter verbarg. Jeder einzelne Stadtteil hatte seine Mordfälle, der eine bestialischer als der andere. In Wirklichkeit war es ein Sumpf aus Bosheit, den sie da anglotzte.

Kapitel 7

Cecilie war dabei, letzte Hand an den Bericht zum Fall Nicklas Olsen zu legen. Oder besser gesagt zwei Finger, mit denen sie auf die Tastatur einschlug. Im Schreiben würde sie nie Expertin werden, und auch mit der Rechtschreibung haperte es bei ihr. Dennoch war es befriedigend, mit dem letzten Punkt den Fall abzuhaken.

»Cecilie«, rief Heino von der Tür her.

»Nicht jetzt, Heino, ich muss das hier noch eben zu Ende bringen.«

»Nicht ich brauche dich, sondern Karstensen.«

»Kannst du ihm nicht sagen, dass der Bericht unterwegs ist? Ich brauche noch ein halbes Stündchen.«

»Er sagt, jetzt sofort.« Heino senkte die Stimme. »Er ist ziemlich angepisst.«

Cecilie ließ von der Tastatur ab und lehnte sich auf dem Stuhl zurück.

»Dann ist alles, wie immer.«

»Troels, du bist auch eingeladen«, sagte Heino.