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Spiritualität und Alltag stehen oft unverbunden nebeneinander. "Ora et labora" – bete und arbeite –, die 1500 Jahre alte Lebensformel der Benediktinermönche, weist einen Weg, beide Seiten des Lebens zu vereinen. Die Regel Benedikts zeigt, wie wir mit unserer inneren Quelle in Berührung kommen und aus ihr heraus Kraft schöpfen können. Mit den Ratschlägen aus dem Regelwerk des Mönchsvaters Benedikt kann es gelingen, Spiritualität auch in den eigenen Arbeitsalltag zu integrieren. Denn man muss nicht die Welt hinter sich lassen, um zu Gott zu gelangen.
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Seitenzahl: 117
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Printausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024
ISBN 978-3-7365-0554-4
E-Book-Ausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024
ISBN 978-3-7365-0628-2
Überarbeitete Neuausgabe der 1982 unter gleichem Titel erschienenen »Münsterschwarzacher Kleinschrift« (Band 17).
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher
Gestaltung: Dr. Matthias E. Gahr
Illustration: Elli Bruder
www.vier-tuerme-verlag.de
Anselm Grün Fidelis Ruppert
BETE UND ARBEITE
Eine christliche Lebensregel
Vier-Türme-Verlag
EINLEITUNG
Die Beziehung zur Arbeit ist heute von einer zwiespältigen Haltung geprägt. Immer mehr Menschen leiden daran, dass sie keine Arbeit finden oder ihre bisherige Arbeitsstelle verloren haben. Sie erfahren die Arbeitslosigkeit als Entwertung ihrer Würde. Mit der Arbeit haben sie oft auch ihr Selbstwertgefühl verloren, und sie sind aus ihrem Rhythmus herausgefallen. Jetzt erst spüren sie, wie die Arbeit ihr Leben geordnet und es in einer gesunden Spannung gehalten hat.
Andere, die im Arbeitsprozess stehen, stöhnen unter der Last der Arbeit. Da wird die Arbeit immer mehr durchorganisiert. Jede Minute wird verplant. In einer immer kürzeren Arbeitszeit hat man immer größere Leistungen zu erzielen. Die Arbeit wird vor allem am Ergebnis gemessen. Da werden von der Firmenleitung Richtzahlen ausgegeben, die man erfüllen muss. Diese Richtzahlen werden sogar schon zum Maßstab für die Arbeit in der Kranken- und Altenpflege. Vielen, die früher gerne alte und kranke Menschen gepflegt haben, wird damit die Motivation genommen. Alles dreht sich nur noch um das Geld und um die Berechenbarkeit der Arbeitsleistung. Viele leiden an Überforderung. Sie fühlen sich gestresst.
Was hat in dieser modernen Arbeitssituation ein alter Text wie die Benediktsregel zu sagen? Vor 1500 Jahren herrschten andere Arbeitsverhältnisse. Da ging es vor allem um den Erwerb des eigenen Lebensunterhaltes. Für uns Autoren ist die Regel nach wie vor Richtmaß für unsere eigene Arbeit und unseren Versuch, die Arbeit aus einer anderen Quelle heraus zu leisten. Diese andere Quelle wird durch den Gegenpol der Arbeit, durch das Gebet, angesprochen. Das Gebet möchte uns mit der inneren Quelle in Berührung bringen, aus der all unser Tun strömen sollte. Es ist die Quelle des Heiligen Geistes, der in uns ist. Aber oft genug sind wir von dieser inneren Quelle abgeschnitten. Stattdessen arbeiten wir aus trüben Quellen. Da ist etwa die Quelle des eigenen Ehrgeizes. Wir wollen uns durch die Arbeit selbst beweisen. Eine andere trübe Quelle ist der Druck, unter den wir uns selbst setzen. Wir wollen alles perfekt machen, damit uns niemand kritisieren kann. Oder aber wir benutzen die Arbeit als Flucht vor der eigenen Wahrheit, der wir uns nicht stellen möchten, weil sie uns zu einer Änderung unseres Lebensstils zwingen würde.
Getrübt wird die Quelle, aus der wir arbeiten, durch unsere Lebensmuster. Da ist zum Beispiel eine Frau, die bei aller Tätigkeit immer von zwei Lebensmustern bestimmt wird: »Hoffentlich gibt es keinen Streit. Hoffentlich schaffe ich alles, was von mir erwartet wird.« Wenn ich von solchen Lebensmustern bestimmt werde, bin ich bald erschöpft und ausgebrannt. Ein Therapeut meint oft bei Priestern, die sich ausgebrannt fühlen: »Wer viel gibt, der braucht auch viel.« Wer viel gibt, weil er viel Zuwendung und Bestätigung braucht, der ist bald erschöpft. Wer gibt, weil er immer wieder empfängt, und weil er aus der inneren Quelle schöpft, der kann geben, ohne zu erschöpfen. Er wird in seinem Geben auch viel zurückbekommen. Aber er ist darauf nicht angewiesen. Daher kann er genießen, was er empfängt.
Ob jemand aus der Quelle des Heiligen Geistes oder aus den trüben Quellen seiner unbewussten Lebensmuster heraus arbeitet, das spürt man an der Ausstrahlung, die er mit seiner Arbeit verbreitet. Wenn einer aus der Quelle des Heiligen Geistes heraus arbeitet, dann hat er selbst Lust an der Arbeit, und er wird nicht so leicht erschöpft werden. Und um ihn herum wächst und gedeiht etwas. Die Arbeit fließt aus ihm heraus. Andere, die aus dem Lebensmuster ihres Perfektionismus oder ihres Ehrgeizes heraus arbeiten, verbreiten mit ihrer Arbeit eine Atmosphäre von Aggressivität und Unzufriedenheit, von Härte und Bitterkeit.
Die Regel Benedikts zeigt uns Wege, wie wir mit unserer inneren Quelle in Berührung kommen, und wie wir aus dieser Quelle heraus arbeiten können. Dabei kennt auch Benedikt die Müdigkeit, die durch die Arbeit entsteht. Aber es ist nicht die Erschöpfung, die einen innerlich zerreißt. Es ist vielmehr eine Müdigkeit, die einem trotz allem inneren Frieden schenkt. Denn man spürt, dass letztlich Gott selbst einen in der Arbeit gefordert hat. Wenn Gott mich fordert und nicht mein krankes Lebensmuster, dann bin ich trotz äußerer Müdigkeit innerlich im Frieden.
Im Folgenden halten wir uns bewusst an die Regel Benedikts. Manche Anweisungen und Regeln mögen für den modernen Leser auf den ersten Blick fremd erscheinen. Ursprünglich hatten wir mit diesem Buch mehr die Ordensleute im Blick, die die Arbeit als Gegenteil zum Gebet und zur Meditation erlebten. In den Klöstern haben wir zwei Strömungen beobachtet: einmal die Forderung, weniger zu arbeiten, damit man mehr Zeit zum geistlichen Leben hätte. Aber die Erfahrung zeigte, dass die Ordensleute, die ihr Arbeitspensum wesentlich reduziert haben, dadurch nicht geistlicher geworden sind. Im Gegenteil – sie wurden eher narzisstisch. Sie kreisten um ihre Bedürfnisse und nicht um Gott, dem sie sich hingeben wollten. Die andere Tendenz besteht darin: die Arbeit ständig zu vermehren und sich hinter der Arbeit zu verstecken, so dass das geistliche Leben leidet. Es sind dann fromme Arbeitstiere, aber keine Mönche, die angetreten sind, wahrhaft Gott zu suchen. Es ist nicht selbstverständlich, dass die Ordensleute das richtige Gleichgewicht zwischen Gebet und Arbeit finden.
Die Erfahrung der Ordensleute scheint uns aber nicht allzu weit entfernt zu sein von dem, was heute viele erleben, die in modernen Firmen arbeiten. Auch in unserer Gesellschaft gibt es ja die beiden Tendenzen. Erstere: die Arbeitszeit immer mehr zu verringern und die Arbeitslast zu erhöhen. Doch die Reduzierung der Wochenarbeitszeit hat nicht automatisch zu einer besseren Lebensqualität geführt. Es entstand eine eigene Freizeitindustrie, die die nicht arbeitenden Menschen unterhält. Statt sich zu erholen, wird der Mensch zum zappelnden Nichtstuer. Die andere Tendenz unserer Zeit besteht im Zwang, immer mehr zu arbeiten. Selbständige Unternehmer und leitende Angestellte, Ärzte und Rechtsanwälte stöhnen unter der Last einer Arbeit, mit der sie nie fertig werden. Sie möchten sich Zeit nehmen für Konzert und Theater, zum Wandern und Meditieren. Aber sie finden keinen Weg, die Arbeit zu reduzieren.
Im Folgenden werden keine Patentrezepte gegeben. Vielmehr suchen wir in der Regel Benedikts und in der Tradition des frühen Mönchtums nach den Wegen, wie sie die Spannung zwischen Arbeit und Gebet, zwischen Tun und Lassen, zwischen Handeln und Horchen auf kreative Weise gelebt haben. Dabei wird deutlich, dass unsere moderne Trennung zwischen den beiden Polen von Gebet und Arbeit bei Benedikt nicht zu finden ist. Bei Benedikt geht es darum, mitten im Alltag aus dem Gebet heraus zu leben und zu arbeiten. Beides, Gebet und Arbeit, möchten mich zu Gott führen, möchten mich herausfordern, mich in den Dienst Gottes zu stellen und mich Gott hinzugeben.
Was Benedikt mit seiner Formel ora et labora –bete und arbeite – wollte, hat in unserer Zeit der Münchner Psychotherapeut Albert Görres neu zur Sprache gebracht, indem er auf die Alltäglichkeit als den geistlichen Ort hingewiesen hat. Die Alltäglichkeit darf von geistlich suchenden Menschen nicht verlassen werden, sie muss vielmehr von Gebet und Meditation durchdrungen und verwandelt werden.1 Auf diesem Weg könnte das benediktinische Leitmotiv des ora et labora eine Hilfe sein zu einem geistlichen Leben, das die Welt nicht hinter sich lassen muss, um zu Gott zu gelangen, sondern Gott in allen Dingen findet, oder um mit Benedikt zu sprechen, die das menschliche Leben gerade in seiner banalen Alltäglichkeit so gestaltet, »dass in allem Gott verherrlicht werde« (RB 57,9)2.
I. DER RHYTHMUS VON GEBET UND ARBEIT
Zum Stellenwert von Gebet und Arbeit
Wenn wir die Regel Benedikts durchlesen, so entdecken wir zahlreiche Anordnungen bezüglich Gebet und Arbeit. Gebet und Arbeit prägen den ganzen Tag. Dabei wird dem Gebet die eindeutige Vorrangstellung zugebilligt:
Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden.RB 43,3
Die Gewichtigkeit dieses Grundsatzes erläutert Benedikt durch die Anordnung, wenn das Zeichen zum Gottesdienst ertönt, solle man sofort die Arbeit aus der Hand legen und zum Gottesdienst herbeikommen (RB 43,1). Trotzdem fordert Benedikt nicht ein Höchstmaß an Gebetspensum, sondern er legt ein vernünftiges Mittelmaß fest, verglichen mit früheren oder auch späteren Übertreibungen. Gebet ist für ihn das Wichtigste, aber nicht das Einzige.
Auch die Arbeit nimmt im Alltag der Mönche einen breiten Raum ein, rein zeitlich gesehen sogar einen breiteren Raum als Gebet und Lesung, die anderen Pole des geistlichen Lebens. Benedikt fordert von allen Mönchen, dass sie arbeiten. Er denkt dabei an verschiedene Formen von Arbeit: Dienstleistungen innerhalb der Gemeinschaft wie Küchendienst, Tischdienst, Pfortendienst, Krankenbetreuung, Verwaltung, Arbeit auf dem Feld, in den verschiedenen Werkstätten und auf dem Bau. Benedikt rechnet damit, dass die Arbeit manchmal so anwachsen kann, dass der Einzelne mit seiner Aufgabe nicht mehr fertig wird, dass er sich überfordert fühlt (RB 7,35f), oder dass die Arbeit auf dem Feld so beschwerlich wird, dass der Abt das Maß von Speise und Trank erhöhen muss, damit seine Mönche wieder zu Kräften kommen (RB 39,6). Alle sollen arbeiten, ja sogar hart arbeiten, doch niemand soll überfordert werden. Daher ist Benedikt darauf bedacht, zu große Belastungen für Einzelne zu vermeiden und jedem nötige Hilfen zu geben, damit niemand unzufrieden und deprimiert wird (RB 31,7; 53,18).
Die Arbeit ist für Benedikt so selbstverständlich, dass er sie sogar am Sonntag von denen fordert, die mit der Lesung nichts anfangen können. Er sieht offensichtlich kein Problem darin, dass der Sonntag durch die Arbeit entheiligt werden könnte, oder dass die Arbeit die Mönche vom Gebet und von der Meditation abhalten würde. Gebet und Arbeit stehen bei ihm kaum in Widerstreit, sondern scheinen eine vernünftige Ergänzung zu sein. Zum geistlichen Leben eines Mönches gehört jedenfalls beides. Ja, Benedikt prüft die Novizen, ob sie zu beidem bereit sind, ob sie Eifer für den Gottesdienst haben und für harte Arbeit (RB 58,7). »Opprobria« heißt es an dieser Stelle der Regel. Das übersetzt man oft mit Verdemütigungen und meint, es seien künstliche Hindernisse, die man dem Novizen in den Weg legen soll, um ihn auf seine Demut zu testen. Doch offensichtlich ist hier die Bereitschaft zu harter Arbeit und zu niedrigen Diensten gemeint.3
Ob jemand wahrhaft Gott sucht, das erkennt Benedikt daran, dass er sich auch in der Arbeit fordern lässt. Ohne die Bereitschaft zur Arbeit wäre die Gottsuche nur ein narzisstisches Kreisen um sich selbst. Beide Pole sind für das geistliche Leben wichtig: Gebet und Arbeit. Mit dieser Auffassung steht Benedikt in einer langen Tradition monastischer Spiritualität.
Die Notwendigkeit der Arbeit für das geistliche Leben
Die ersten Mönche gingen um 250 n. Chr. in die Wüste, um unablässig zu beten und zu meditieren und sich ganz frei für Gott zu machen. In diesem Streben nach der ständigen Ruhe in Gott gab es auch Tendenzen, sich von der Arbeit zu dispensieren und nur dem Gebet zu obliegen. Doch diese Tendenzen werden von den erfahrenen Altvätern zurückgewiesen. Ein Väterspruch4 zeugt nicht von dieser Auseinandersetzung:
Man erzählte vom Altvater Johannes Kolobos, dass er einmal zu seinem älteren Bruder sagte: »Ich möchte sorglos sein, so wie die Engel sorglos sind, und nichts arbeiten, sondern ununterbrochen Gott dienen.« Und nachdem er das Gewand ausgezogen hatte, ging er in die Wüste hinaus. So verbrachte er eine Woche, dann kehrte er zu seinem Bruder zurück. Als er an die Tür klopfte, hörte der ihm zu, bevor er öffnete, und sagte: »Wer bist du?« Der aber sagte: »Ich bin Johannes, dein Bruder!« Und er antwortete ihm und sagte: »Johannes ist ein Engel geworden und ist nicht mehr unter den Menschen.« Der aber bat ihn und sprach: »Ich bin es.« Aber er öffnete ihm nicht und ließ ihn bis zum Morgen in der Bedrängnis. Später öffnete er ihm und sagte: »Du bist ein Mensch und hast es nötig, wieder zu arbeiten, um dich zu ernähren.« Da warf der sich ihm zu Füßen und sprach: »Verzeihe mir.«APOPHTHEGMATA 317
Verschiedene Gründe werden in der monastischen Literatur für die Notwendigkeit der Arbeit aufgeführt. Der erste ist der auch im zitierten Väterspruch genannte: die Arbeit ist notwendig für den eigenen Lebensunterhalt. Das ist nicht nur eine äußere Notwendigkeit, sondern hier erfährt der Mönch seine »condition humaine«, die Schwäche und Brüchigkeit seiner menschlichen Natur. Die harte Arbeit, im Schweiße seines Angesichtes sein Brot zu essen (vgl. Genesis 3,19), gehört wesentlich zum Menschen, und dem ist auch der Mönch nicht enthoben. Benedikt verweist hier auf das Beispiel der Apostel, die sich von der eigenen Hände Arbeit ernährten:
Denn erst dann sind sie wahre Mönche, wenn sie von der Arbeit ihrer Hände leben wie unsere Väter und die Apostel.RB 48,8