Betriebliches Gesundheitsmanagement: Ein Leitfaden für kommunale und öffentliche Verwaltungen - Michael Koop - E-Book

Betriebliches Gesundheitsmanagement: Ein Leitfaden für kommunale und öffentliche Verwaltungen E-Book

Michael Koop

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Beschreibung

Gesundheit ist ein kostbares Gut. Eine effiziente Gesundheitsförderung in Unternehmen lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres aus dem Hut zaubern, sondern muss von der Führungsebene gewollt und gefördert werden. Ist dies der Fall, lassen sich Fehlzeiten senken. Um dies zu erreichen, ist ein Betriebliches Gesundheitsmanagement Pflicht. Dieses Werk sensibilisert für das Thema und richtet sich an Verantwortliche in der öffentlichen Verwaltung. Es gibt wertvolle Impulse durch wissenschaftliche Darstellungen, erweist sich aber auch als kompetenter Leitfaden für die Praxis.

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Herausgegeben vom

Kommunale Hochschule

für Verwaltung in Niedersachsen

Wielandstr. 8

30169 Hannover

www.nsi-hsvn.de

Maximilian Verlag

Hamburg

SCHRIFTENREIHE

KOMMUNALE HOCHSCHULE FÜR VERWALTUNG IN NIEDERSACHSEN

Michael KoopUlrike Potratz

BETRIEBLICHES GESUNDHEITSMANAGEMENT: EIN LEITFADEN FÜR KOMMUNALE UND ÖFFENTLICHE VERWALTUNGEN

Vorliegende Ausgabe erscheint als Band 14 in der Schriftenreihe der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen, herausgegeben von Prof. Dr. Michael Koop und Prof. Holger Weidemann.

eISBN 978-3-7869-0988-0

© 2015 by Maximilian Verlag, Hamburg

Ein Unternehmen der Tamm Media

Alle Rechte vorbehalten

Produktion: Nicole Laka

Druck und Weiterverarbeitung: Druckhaus Köthen, Köthen

Printed in Germany

Inhalt

1Einleitung

2Grundlagen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

2.1Das Ziel der gesunden Verwaltung

2.1.1Was ist Gesundheit?

2.1.2Zunehmende Arbeitsbelastung auch in der Verwaltung

2.2Aufgaben und Struktur des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

2.3Kosten und Nutzen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

2.3.1Kosten durch Absentismus

2.3.2Kosten durch Präsentismus

2.3.3Kosten des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

2.3.4Betriebliches Gesundheitsmanagement – Lohnt sich das?

2.4Demografischer Wandel und BGM

2.5Rechtliche Rahmenbedingungen

3Betriebliches Gesundheitsmanagement in der öffentlichen Verwaltung

3.1Fehlzeitenanalyse in der öffentlichen Verwaltung

3.2Empirischer Überblick

3.2.1Vergleichende Studien zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement in der öffentlichen Verwaltung

3.2.2Betriebliches GesundheitsManagement in niedersächsischen Kommunalverwaltungen

4Eckpfeiler des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

4.1Betriebliche Gesundheitsdiagnostik

4.1.1Gefährdungsbeurteilung

4.1.2Analyse von Arbeitsunfähigkeitsdaten – Gesundheitsberichterstattung . . .

4.1.3Gesundheits-Checks

4.1.4Mitarbeiterbefragungen

4.2Aufbau- und Ablauforganisation eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements

4.2.1Struktur des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

4.2.2Akteure und Verantwortlichkeiten

4.2.3Ressourcen

4.2.4Kommunikation im Betrieblichen Gesundheitsmanagement

4.2.5Besonderheiten bei der Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements

5Instrumente des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

5.1Betrieblicher Arbeitsschutz

5.2Betriebliches Eingliederungsmanagement

5.3Verhaltens- und Verhältnisprävention

5.4Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Führungskultur

5.5Optimierung der Arbeitsgestaltung

5.5.1Arbeitsorganisation

5.5.2Arbeitszeit

5.6Qualitätskriterien für das Betriebliche Gesundheitsmanagement

5.6.1Integration

5.6.2Partizipation

5.6.3Projektmanagement

5.6.4Ganzheitlichkeit

5.7Maßnahmen der konkreten Gesundheitsförderung

5.7.1Handlungsfeld Bewegung

5.7.2Handlungsfeld Ernährung

5.7.3Handlungsfeld »Umgang mit Stress«

6Externe Partner

6.1Beratung

6.2Finanzielle Förderung

7Literaturverzeichnis

8Anhang

8.1Tabellenverzeichnis

8.2Abbildungsverzeichnis

8.3Weiterführende Informationen

8.3.1Herausgeber von Gesundheitsberichten (Auswahl)

8.3.2Netzwerke des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (Auswahl)

8.3.3Fort- und Weiterbildungen zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement (Auswahl)

8.3.4Weiterführende Informationsquellen (Auswahl)

8.3.5BGM-Zertifizierungen (Auswahl)

1 EINLEITUNG

Neue Arbeitsformen, zunehmende Flexibilisierung, technologischer Fortschritt, demografischer Wandel, erhöhter Wettbewerbsdruck und hohe Qualitätsansprüche – die Liste der Entwicklungen, mit denen sich die Beschäftigten in Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung konfrontiert sehen, ist lang und vielfältig. Eine zunehmende Arbeitsverdichtung durch Personalabbau bei gleichzeitigem Aufgabenzuwachs ebenso wie steigende Anforderungen an die fachlichen und persönlichen Kompetenzen und immer schneller ablaufende Umstrukturierungsprozesse verlangen den Mitarbeitern einiges ab. So stehen beispielsweise die Ansprüche an eine bürgerfreundliche Verwaltung zunehmend im Gegensatz zu den vorhandenen Ressourcen. Diese Entwicklungen bleiben für die Beschäftigten häufig nicht folgenlos: Vermehrt werden negative Auswirkungen auf die Gesundheit beklagt; physische und psychische Belastungen bedingen gesundheitliche Risiken.

Dieser Entwicklung gilt es gezielt entgegenzutreten, besteht doch Einigkeit darüber, dass gesunde und engagierte Mitarbeiter eine wichtige Voraussetzung für höhere Produktivität und damit den Erfolg von Organisationen darstellen. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es leistungsbereiten Mitarbeitern ermöglichen, bis zum Ruhestand (und darüber hinaus) leistungsfähig zu bleiben. Eile dabei ist auch deshalb geboten, weil es für Verwaltungen und Unternehmen infolge der demografischen Entwicklung zunehmend schwieriger wird, geeignetes Personal zu finden. Qualifizierte Fachkräfte suchen sich heute mehrheitlich ihren Arbeitgeber aus – nicht mehr umgekehrt. Führungskräfte und Mitarbeiter wechseln zu Arbeitgebern, die auch ein Mehr an Lebensqualität bieten. Der Erfolg und die Zukunftsfähigkeit von Verwaltungshandeln hängen maßgeblich auch davon ab, wie motiviert und leistungsfähig die Mitarbeiter sind. Mithilfe eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements können diese Ziele – Gesundheit und Arbeitszufriedenheit zu steigern und Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten bzw. zu verbessern – aktiv verfolgt werden.

Eine effiziente Gesundheitsförderung lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres aus dem Hut zaubern: Gesundheitsförderung ist eine Führungsaufgabe, die gewollt und gefördert werden muss. Sie bedarf einer spezifischen, auf die jeweiligen Belange abgestimmten Ausgestaltung und einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Mit einem Wort: Betriebliche Gesundheitsförderung braucht professionelles Handeln, ein Betriebliches Gesundheitsmanagement. Hohe Fehlzeiten und sinkende Produktivität werden in wesentlichem Maße durch Präsentismus, körperliche und psychische Beeinträchtigungen, Demotivation und eine mangelhafte Work-Life-Balance mitverursacht. Diese haben ihren Ursprung unter anderem in betrieblichen Abläufen und Arbeitsprozessen. Ein um dieses Wissen erweitertes Verständnis von Betrieblicher Gesundheitsförderung erfordert die Abkehr von unspezifischen, singulären gesundheitsfördernden Maßnahmen. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement formuliert für alle Personalverantwortlichen und Führungskräfte die Aufgabe, das eigene Führungs- und Gesundheitsverhaltens zu reflektieren und gezielt weiterzuentwickeln, denn die Art der Führung und die betriebliche Kultur des Umgangs miteinander haben einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit von Mitarbeitern. Ein von Wertschätzung, Transparenz und Kooperation geprägter Führungsstil hat nicht zu überschätzende Auswirkungen auf die Motivation, Kreativität und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten und wirkt damit mindernd auf die Zahl von Erkrankungen und Fehlzeiten.

Diese Verständnis- und Verhaltensänderungen erfordern in der praktischen Umsetzung ein komplexes Zusammenspiel von Unternehmensführung und Mitarbeitern, Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen. Alle Tätigkeiten, die die Gesundheit in einer Organisation betreffen, gilt es zu systematisieren und zur Managementaufgabe zu machen. Mittels moderner Managementinstrumente soll im System »Betriebliches Gesundheitsmanagement« das Ziel Gesundheit umgesetzt werden. Für die betriebliche Praxis erfordert dies, dass das Thema Gesundheit in die unterschiedlichen bereits existierenden Managementsystemeder Organisation eingebettet wird, wie in das Personalmanagement und das Qualitätsmanagement. Darüber hinaus ist die Mitarbeitergesundheit in Unternehmenskultur und Leitbild zu integrieren.

Die Ziele, die dieses Buches verfolgt, sind mehrschichtig. Es will alle, die mit dem Thema Gesundheit in der Arbeitswelt direkt oder indirekt konfrontiert sind, für die langfristige und strategische Bedeutung des Themas sensibilisieren. Es liefert eine Bestandaufnahme der gesellschaftlichen, rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen für das Betriebliche Gesundheitsmanagement, stellt Optionen für seinen Aufbau und seine Organisation dar und gibt entsprechende Umsetzungsempfehlungen. Während die Darstellungen wissenschaftlich fundiert sind, geht es dem Buch im Sinne eines Leitfadens um Anwendungsorientierung und Praxisnähe. Entsprechend bilden das umfangreiche Literaturverzeichnis und die Informationen im Anhang die Grundlage für eine Vertiefung von Spezialfragen.

Dieser Leitfaden richtet sich insbesondere an Verantwortliche in der öffentlichen Verwaltung, gleich, ob es sich um die Kernverwaltung, Eigen- oder Regiebetriebe oder Beteiligungen handelt. Bei der Implementierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements in der öffentlichen Verwaltung sind dabei besonders die im Vergleich zu Unternehmen der Privatwirtschaft vorhandenen Unterschiede in den rechtlichen Rahmenbedingungen, z. B. im Personalvertretungsrecht, die in der Regel geringere Planungsflexibilität und langfristigeren Planungshorizonte genauso zu berücksichtigen wie auch die erheblich begrenzteren Finanzierungsmöglichkeiten. Gleichwohl gilt, dass auch unter diesen schwierigeren Rahmenbedingungen das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) sowohl für die Gesundheit der Beschäftigten in den Verwaltungen als auch für die erfolgreiche Bewältigung der Verwaltungsaufgaben eine lohnende Investition darstellt.

2GRUNDLAGEN DES BETRIEBLICHEN GESUNDHEITSMANAGEMENTS

2.1Das Ziel der gesunden Verwaltung

Wie in anderen Dienstleistungsunternehmen sind auch in der öffentlichen Verwaltung die Mitarbeiter zentraler Produktionsfaktor. Wenngleich im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien erheblicher Kapitaleinsatz vonnöten ist und wie etwa bei Grünflächenämtern und Bauhöfen in einigen Aufgabenbereichen Maschineneinsatz notwendig ist, bleibt doch insbesondere bei den Aufgaben der Kernverwaltung das Personal der entscheidende Faktor. Damit der Produktionsfaktor Personal auch zum Erfolgsfaktor wird, bedarf es vor dem Hintergrund arbeitsorganisatorischer Entwicklungen, des demografischen Wandels und Veränderungen gesellschaftlicher Werte und Normen einer gezielten Strategie, die Mitarbeiter leistungsfähig und leistungswillig zu erhalten. Plastisch formuliert, bedeutet dies: Nur eine gesunde Verwaltung ist eine gute Verwaltung.

2.1.1WAS IST GESUNDHEIT?

Wenn die Gesundheit der Mitarbeiter ein zentraler Erfolgsfaktor für eine leistungsfähige Verwaltung ist, muss zunächst geklärt werden, was unter dem Begriff Gesundheit zu verstehen ist. Wegweisend bei der Begriffsklärung ist bereits die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1948:

»Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.«

Präambel des Statuts der Weltgesundheitsorganisation vom 7. April 1948

Kritisiert wird an dieser Definition insbesondere, dass Gesundheit als Zustand – als Momentaufnahme – verstanden wird (Ulich, Wülser 2012). Inzwischen dominieren in der wissenschaftlichen Literatur prozessorientierte und zusätzliche Aspekte umfassende Definitionen, etwa die der Ottawa-Charta von 1986:

»Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verändern können.«

Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung,verabschiedet anlässlich der 1. Internationalen Konferenzzur Gesundheitsförderung der WHO am 21.11.1986

In dieser Begriffsbestimmung wird Gesundheit (a) als Prozess verstanden, und es erfolgt (b) ein Wandel von der »Freiheit wovon« hin zu einer »Freiheit wozu«. Nicht die »Freiheit von Krankheit« zu einem bestimmten Zeitpunkt steht im Mittelpunkt, sondern die Freiheit, bei umfassendem körperlichem, seelischem und sozialem Wohlbefinden Wünsche und Hoffnungen zu erfüllen und die Umwelt zu meistern und zu verändern.

Dieser Wandel im Verständnis von Gesundheit spiegelt sich auch darin wider, dass der lange vorherrschende Ansatz der Pathogenese – der Suche nach den Ursachen für Erkrankungen – durch salutogenetische Gesundheitsmodelle abgelöst wurde. In salutogenen Modellen, die auf Arbeiten von Antonovsky (1997) zurückgehen, steht die Frage im Mittelpunkt, welche Prozesse Gesundheit erhalten und fördern. Danach reagieren Menschen auf physische, psychosoziale oder biochemische Stressoren in unterschiedlicher Weise. Ob diese Stressoren zu einer Gesundheitsschädigung führen, hängt davon ab, in welchem Umfang die Betroffenen mit sog. Ressourcen oder Widerstandsressourcen ausgestattet sind. Solche Ressourcen können physischer, psychischer oder materieller, aber auch familiärer, sozialer und kultureller Natur sein (Ulich, Wülser 2012). Vereinfacht ausgedrückt ist und bleibt ein Mensch gesund, solange seine unterschiedlichen Ressourcen ausreichen, die Herausforderungen zu meistern, die seine Umwelt ihm stellt. Für das BGM lassen sich daraus zwei sehr breit angelegte Strategien ableiten. Zum einen können die Herausforderungen, mit denen ein Mitarbeiter in seiner Arbeitswelt konfrontiert wird, verringert werden (Verhältnisprävention), zum anderen können auch die Ressourcen, die Mitarbeitern zur Verfügung stehen, verbessert werden (Verhaltensprävention).

Ganz im Sinne dieses salutogenetischen Ansatzes ist auch Ilmarinens (2012) Bild vom »Haus der Arbeitsfähigkeit« zu verstehen. Die vier Stockwerke Gesundheit, Kompetenz, Werte (Einstellungen, Motivation) und Arbeit (Arbeitsumgebung, Führung) tragen gemeinsam das Dach Arbeitsfähigkeit. Defizite in jedem einzelnen Stockwerk, aber auch in der Umgebung des Hauses (Familie, Region, Gesellschaft) können das Haus und damit auch das Dach der Arbeitsfähigkeit ins Wanken oder zum Einsturz bringen. Für das BGM impliziert dies, dass Maßnahmen an ganz unterschiedlichen Stellen des Arbeitslebens ansetzen können und müssen und dass »BGM-Programme von der Stange« weder einzelnen Mitarbeitern noch Organisationseinheiten gerecht werden und somit insgesamt keinen großen Nutzen versprechen.

2.1.2ZUNEHMENDE ARBEITSBELASTUNG AUCH IN DER VERWALTUNG

Die Arbeitswelt befindet sich seit den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts in einer Phase tiefgreifenden Wandels. Im 21. Jahrhundert haben Quantensprünge in der Informations- und Kommunikationstechnologie diesen Wandel weiter beschleunigt. Kaum ein Unternehmen oder eine Verwaltung kommt heute noch ohne einen eigenen Internetauftritt aus. Smartphones und Tablets haben stationäre Kommunikations- und Arbeitsmedien verdrängt. Selbst die »Produktion« von Dienstleistungen ist mithilfe von Onlinelösungen in Teilen auf den »Nachfrager«, also den Bürger oder Konsumenten, übertragen worden. Diese Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie haben offenkundig auch vor der öffentlichen Verwaltung nicht halt gemacht, in der aber mindestens drei Entwicklungen zu weiteren Veränderungen in der Arbeitswelt geführt haben:

•Der Paradigmenwechsel weg von der rechtlich orientierten Ordnungsbehörde hin zu einem effizienzorientierten Dienstleistungsunternehmen bzw. einem aktivierenden Partner der Bürger hat zu massiven Änderungen geführt. In der Form z. B. des (nicht mehr so) Neuen Steuerungsmodell der Kommunen wurden Aufbau- und Ablauforganisation verändert. Im Laufe dieser Umstrukturierungen wurden die Anforderungen an die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung komplexer, und die Halbwertszeit von Fachwissen ist gesunken. Multidimensionale Flexibilität hat den traditionellen »Behördentrott« verdrängt.

•Die inzwischen chronischen Finanzierungsengpässe der öffentlichen Haushalte haben Personalabbau und damit einhergehende Arbeitsverdichtung befördert. Darüber hinaus weisen Richter, Buruck, Nebel, Wolf (2011) darauf hin, dass ein »Downsizing«, also ein Personalabbau, zu deutlichen Stressreaktionen und Motivationsverlust bei den »survivors« führt.

•Ausgliederungen, formelle und materielle Privatisierungen haben insgesamt zu sehr viel komplexeren Strukturen der öffentlichen Verwaltung geführt und damit auch die Arbeitsverhältnisse und -bedingungen der Mitarbeiter weiter aufgefächert.

In den Sozialwissenschaften werden die beschriebenen Prozesse unter der Überschrift Entgrenzung diskutiert (Ducki 2012). Verstanden als Auflösung »…von ehemals für sicher gehaltenen Grenzziehungen und Zuordnungen …« (Sauer 2012, S. 7), kann Entgrenzung in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens beobachtet werden, insbesondere aber auch in der Arbeitswelt. Tabelle 1 zeigt exemplarisch, in welchen Bereichen eine Entgrenzung zu beobachten ist.

TABELLE 1: Dimensionen der Entgrenzung

Erosion von GrenzenHistorischer ReferenzzustandEntwicklungstendenzenZwischen Unternehmen und MarktDominanz der Produktions- über die Marktökonomie; Abschottung der Organisation gegenüber dem MarktVermarktlichung und Vernetzung; Finanzialisierung und indirekte Steuerung; Permanente Reorganisation Zwischen Arbeits- und LebensweltInstitutionelle und kollektive Standardisierung von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitszeit; strikte Trennung von Erwerbsarbeit und privater LebensweltFlexible Erwerbsformen (Entsicherung und Prekarisierung); flexible (informelle und individuelle) Arbeitszeiten; Verschränkung von Arbeit und LebenZwischen Unternehmen und ArbeitskraftTrennung von Planung und Ausführung; Hierarchische Anweisung und Kontrolle; Kollektive und standardisierte Leistungsregulierung; Sinnperspektiven in Freizeit und KonsumHierarchieabbau; Delegation von Verantwortung; verstärkte Nutzung von lebensweltlichen Ressourcen von Arbeit; Selbstbestimmung und Selbstgefährdung

Quelle: Sauer 2012, S. 5

Ohne auf die Details näher eingehen zu wollen, macht Tabelle 1 deutlich, dass viele der beschriebenen Entwicklungstendenzen auch in der öffentlichen Verwaltung zu beobachten sind. Sie wirken als Stressoren, denen die Mitarbeiter ausgesetzt sind und die sie mit ihren individuellen Ressourcen bewältigen müssen:

•Flexible Arbeitszeiten mit ständiger Erreichbarkeit, Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit, Mehrarbeit, Wochenendarbeit

•Häufige Arbeitsunterbrechungen

•Übernahme neuer / zusätzlicher Aufgaben, häufige Versetzungen, Mitarbeit in wechselnden Projektteams

Begleitet werden diese originär arbeitsweltlichen Phänomene durch Wandlungen des gesellschaftlichen Umfeldes. So werden in einer Kombination aus Personalabbau und demografischem Wandel die Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung immer älter (Altis, Koufen 2011). Zudem schenkt die Generation Y ihrer Work-Life-Balance sehr viel mehr Beachtung, als das vorhergehende Generationen getan haben, und Werte wie Selbstverwirklichung und Sinnhaftigkeit der Arbeit stellen Arbeitgeber innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes vor neue Herausforderungen (Eisner, Schubert 2014).

2.2Aufgaben und Struktur des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

Mit einem Betrieblichen Gesundheitsmanagement verfolgen Organisationen grundsätzlich das Ziel, die Mitarbeiter langfristig gesund und damit leistungsfähig und leistungswillig zu erhalten. Um dieses Globalziel nachhaltig zu erreichen, ist es notwendig, Teilziele und entsprechende Teilaufgaben zu definieren und zu verfolgen. Dies geschieht zum Teil aufgrund gesetzlicher Vorgaben, zum Teil aus eigenem Antrieb und Interesse. Im Folgenden wird das Betriebliche Gesundheitsmanagement als Gesamtprozess definiert, der sich aus drei optimalerweise eng miteinander verzahnten Teilaufgaben zusammensetzt (vgl. Kap. 5):

•Der Betriebliche Arbeitsschutz (BAS) hat die Aufgabe, Mitarbeiter vor berufsbedingten Gefahren und schädigenden Einflüssen zu schützen, insbesondere Arbeitsunfälle zu verhüten und dem Erleiden von Berufskrankheiten vorzubeugen.

•Aufgabe des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) ist es, die individuelle Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit nach längerer Erkrankung wiederherzustellen.

•Während BAS und BEM vom Gesetzgeber vorgeschriebene Aufgaben sind, handelt es sich beim dritten Standbein des BGM, der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF), in der Regel und überwiegend um freiwillige Aufgaben und Maßnahmen, die dazu dienen, (a) die Arbeitsbedingungen im weitesten Sinne weniger gesundheitsgefährdend zu gestalten (Verhältnisprävention) und (b) die Mitarbeiter besser zu befähigen, mit arbeitsbedingten Herausforderungen umzugehen (Verhaltensprävention).

In Studien zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement hat sich bisher keine einheitliche Terminologie durchgesetzt. Häufig wird die Teilaufgabe der Betrieblichen Gesundheitsförderung mit dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement gleichgesetzt. Gelegentlich wird etwa die Gestaltung altersgerechter Arbeitsplätze als weitere Aufgabe definiert, obwohl diese im Rahmen der Verhältnisprävention anlassbezogen Aufgabe von BAS, BEM oder BGF ist. Unabhängig von solchen terminologischen Differenzierungen, ist es wichtig, noch einmal festzuhalten, dass es sich beim Betrieblichen Gesundheitsmanagement um einen dauerhaft angelegten, integralen Bestandteil der Personal- und Organisationsentwicklung handelt, dessen Ziel es ist, die Gesundheit und Motivation aller Mitarbeiter nachhaltig sicherzustellen.

2.3Kosten und Nutzen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

Die Einführung oder Ausweitung eines BGM erfolgt häufig auf der Grundlage ethischer Überlegungen, einer moralischen Verantwortung der Leitung für ihre Mitarbeiter. Da die Durchführung von Maßnahmen des BGM für die betreffenden Institutionen aber auch mit Ressourcenverbrauch verbunden ist, ist die Frage nach der ökonomischen Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen durchaus angemessen. Denn gleich, ob die für das BGM eingesetzten Ressourcen aus Unternehmenserlösen oder aus Steuereinnahmen finanziert werden, entstehen Opportunitätskosten in dem Sinne, dass ein für das BGM verwendeter Euro nicht mehr für alternative Verwendungen zur Verfügung steht. Entsprechend kann eine BGM-Erfolgsrechnung sowohl Anreiz und Rechtfertigung für die Einführung eines BGM sein als auch eine wertvolle Argumentationshilfe bei der internen Zuweisung von Ressourcen. Nicht zuletzt kann eine solche Erfolgsrechnung als Entscheidungshilfe bei der konkreten Maßnahmenplanung hilfreich sein.

Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die Kosten der Arbeitsunfähigkeit von Mitarbeitern gegeben, gefolgt von einem Überblick über Kosten, die Organisationen dadurch entstehen, dass Mitarbeiter zur Arbeit gehen, obwohl sie gesundheitlich beeinträchtigt und damit nur eingeschränkt leistungsfähig sind. Schließlich werden Ergebnisse von Studien präsentiert, in denen versucht wird, den ökonomischen Erfolg des Betrieblichen Gesundheitsmanagements zu messen.

2.3.1KOSTEN DURCH ABSENTISMUS

Dass Absentismus, also das krankheitsbedingte Fehlen am Arbeitsplatz, Kosten verursacht, ist offenkundig. Sollen diese Kosten der Arbeitsunfähigkeit jedoch quantifiziert werden, ergeben sich einige konzeptionelle und empirische Probleme. Zum einen ist zu fragen, in welcher Höhe welche Kostenarten entstehen und wer diese Kosten zu tragen hat. Zum anderen ist zu klären, in welchem Umfang diese Krankheitskosten durch arbeitsbedingte Faktoren verursacht werden und ob diese Faktoren durch Prävention verringert oder vermieden werden können.

Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE 2015) erfasst für die Versicherten der GKV im Jahr 2013 (2012) insgesamt 40,5 (37,7) Millionen AU-Fälle mit gut 522 (495) Millionen AU-Tagen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA 2014) schätzt den mit den 2012 etwa 1,4 Millionen ausgefallenen Erwerbsjahren einhergehenden Produktionsausfall (gemessen anhand der Lohnkosten) auf etwa 53 Mrd. Euro bzw. 1,9 vH des Bruttonationaleinkommens. Da bei Arbeitsunfähigkeit jedoch die Bruttowertschöpfung – von der die gezahlten Löhne nur einen Teil ausmachen – zurückgeht, ist der Ausfall an Bruttowertschöpfung ein besserer Indikator für die volkswirtschaftlichen Kosten der Arbeitsunfähigkeit. Mit diesem Indikator schätzt das BAUA die Kosten der Arbeitsunfähigkeit für 2012 auf etwa 92 Mrd. Euro oder 3,4 vH des Bruttonationaleinkommens.

Allerdings sind die geschätzten volkswirtschaftlichen Kosten der Arbeitsunfähigkeit nicht gleichzusetzen mit dem Kostensenkungspotenzial durch Betriebliches Gesundheitsmanagement. So tragen Unternehmen und Verwaltungen nur einen Teil dieser Kosten. Direkte Kosten, also Kosten der Krankheitsbehandlung, fallen in der Regel nicht bei Unternehmen, sondern bei den Sozialversicherungsträgern und den Erkrankten selbst an. Darüber hinaus kann auch nur ein Teil der Erkrankungen auf arbeitsbedingte Faktoren zurückgeführt werden, und eine vollständige Vermeidung dieser Faktoren durch Präventionsmaßnahmen ist nicht realistisch. Folglich stellen die indirekten Krankheitskosten, also der Ausfall von Bruttowertschöpfung, nur die theoretische Obergrenze für das Nutzenpotenzial des Betrieblichen Gesundheitsmanagements dar. Die BKK (2008) schätzt die indirekten Kosten bei arbeitsbedingten vorübergehenden Krankheiten auf 15,7 Mrd. Euro, die indirekten Kosten arbeitsbedingter Frühberentungen auf 9,6 Mrd. Euro. Mithin belief sich die Obergrenze für das Kosteneinsparpotenzial auf rund 25 Mrd. €. Weitere auch erst mittelfristig zum Tragen kommende Faktoren sind in diesen aggregierten Daten nicht berücksichtigt. So kann eine schlechtere Qualität erbrachter Leistungen zu einem möglichen späteren Korrekturbedarf führen. Auch können Domino-Effekte, z. B. die Anschluss-Erkrankung von Kollegen oder die Kündigung als Reaktion auf das krankheitsbedingte Fehlen von Mitarbeitern, nicht ausgeschlossen werden.

2.3.2 KOSTEN DURCH PRÄSENTISMUS

Während die unterschiedlichen Kostenfaktoren krankheitsbedingter Fehlzeiten, des Absentismus, bekannt sind und die Ursachen dafür seit Langem bekämpft werden, ist im letzten Jahrzehnt ein verwandtes Problem verstärkt in den Blickpunkt gerückt: der Präsentismus. Wenn sich auch für das Phänomen Präsentismus noch keine einheitliche Definition durchgesetzt hat, wird darunter in der Regel verstanden, dass Mitarbeiter trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen zur Arbeit gehen. Entsprechend kreisen die in wissenschaftlichen Studien behandelten Fragestellungen häufig um die Ursachen des Präsentismus. Demgegenüber definiert insbesondere die anglo-amerikanische Fachliteratur Präsentismus eher als Produktivitätsverluste infolge beeinträchtigter Gesundheit (Hemp 2004) und fokussiert damit stärker auf die Folgen von Präsentismus, d. h. die Kosten.

In einer Reihe von Studien, in der Regel Befragungen von Arbeitnehmern, sind die Ursachen für Präsentismus erforscht und in ihrer Bedeutung abgeschätzt worden. Dabei sind drei Ursachenbereiche zu unterscheiden (Initiative Gesundheit und Arbeit 2013):

•Krank zur Arbeit zu gehen, ist zunächst eine individuelle Entscheidung, die vor dem Hintergrund persönlicher Einflussfaktoren (Alter, Geschlecht, soziales Umfeld) getroffen wird.

•Daneben beeinflussen auch gesellschaftliche Faktoren wie die konjunkturelle Lage, die Situation am Arbeitsmarkt oder der Umfang des Strukturwandels die Entscheidung, bei Krankheit zur Arbeit zu gehen.

•Schließlich beruht die Entscheidung, trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen zur Arbeit zu gehen, häufig auf unternehmens- und/oder arbeitsplatzspezifischen Einflussfaktoren wie Zeit- und Termindruck, Unternehmens- und Führungskultur, Umgang mit Fehlzeiten, Existenz oder Vermeidung von Konflikten mit Kollegen (iga 2013). Der DGB (2009) und Vogt, Badura, Hollmann (2009) kommen sogar zu dem Schluss, dass solchen unternehmens- und arbeitsplatzspezifischen Problemen eine größere Bedeutung zukommt als persönlichen Problemen oder gesellschaftlichen Faktoren.