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Seitenzahl: 101
Max Frisch
Lektüreschlüssel XL für Schülerinnen und Schüler
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
Max Frisch: Biedermann und die Brandstifter. Ein Lehrstück ohne Lehre. Mit einem Nachspiel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 232020.
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Lektüreschlüssel XL | Nr. 15505
2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2023
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962098-5
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015505-9
www.reclam.de
1. Schnelleinstieg
2. Inhaltsangabe
3. Figuren
Gottlieb Biedermann
Babette Biedermann
Josef Schmitz
Willi Eisenring
Dr. Phil.
Anna
Die Eheleute Knechtling
4. Form und literarische Technik
5. Quellen und Kontexte
6. Interpretationsansätze
Mythos Feuer
Intertextuelle Bezüge
7. Autor und Zeit
8. Rezeption
9. Wort- und Sacherläuterungen
10. Prüfungsaufgaben mit Lösungshinweisen
11. Literaturhinweise/Medienempfehlungen
12. Zentrale Begriffe und Definitionen
Autor
Max Frisch (1911–1991)
Veröffentlichung
1957/58 (Hörspielfassung/Drama), Uraufführung am 29. 3. 1958 am Schauspielhaus Zürich
Gattung
Drama mit dem Untertitel »Ein Lehrstück ohne Lehre«, das vom Autor auch als Parabel bezeichnet wird
Epoche
Nachkriegsliteratur, Literatur nach 1945
Ort und Zeit der Handlung
Kammerspielartige Beschränkung desHandlungsortes auf die Wohnstube (Ebene 1) und den Dachboden (Ebene 2) des Hauses, in dem der Fabrikant Gottlieb Biedermann mit seiner Frau Babette lebt. Konkrete Hinweise zu Wohnort, Landschaft und Land fehlen.
Eine datierbare historische Zeit ist ebenfalls nicht gegeben; Indizien wie elektrisches »Licht« (S. 18 u. ö.), »Armbanduhr« (S. 21) und Automobil (S. 40) weisen auf die technische Moderne hin, die Erwähnung des Liedes Lili Marleen (1938) auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs und auf die Nachkriegszeit nach 1945.
Handlung und Werkaufbau
Thema: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – Konformismus und Opportunismus als Möglichkeitsbedingungen des Bösen
Szene 1Exposition
Später Abend vor dem eigentlichen Beginn des Dramas. Auftritt der Feuerwehr als antiker Chor mit Chorleiter. In Anwesenheit des vermögenden Haarwasserfabrikanten Biedermann warnen die Männer in Feuerwehruniform vor Bränden, bevor sie die Nachtwache antreten.
Vorabend und erster Tag der Handlung
Biedermann empört sich über die Zeitungsmeldung von einem Brandanschlag, lässt aber den mutmaßlichen Täter Josef Schmitz aus Furcht vor dessen bedrohlichem Aussehen in sein Haus und duldet nahezu widerstandslos dessen Anwesenheit und Aufdringlichkeit. Anstatt gegen den verdächtigen Serientäter vorzugehen, zieht es Biedermann vor, ihn reichlich zu bewirten und ihm auf dem Dachboden Unterschlupf zu gewähren. Zur gleichen Zeit verweigert Biedermann ein persönliches Gespräch mit Herrn Knechtling, einem langjährigen und zuverlässigen Angestellten seines Unternehmens, der um die Rücknahme seiner Kündigung bittet. Dieser hatte die finanzielle Beteiligung an einer von ihm gemachten Erfindung gefordert und war daraufhin von Biedermann entlassen worden.
Szene 2Steigerung
Chor und Chorführer berichten in Anwesen-heit von Biedermanns Ehefrau Babette, die sich angesichts verdächtiger Hinweise auf fremde Personen im Haus besorgt zeigt, von ihrer Wache in der Nacht zwischen dem ersten und zweiten Tag.
Morgen des zweiten Tages; Nacht zwischen dem zweiten und dritten Tag
Biedermann geht aus dem Haus. und überlässt es seiner Frau Babette, dem nächtlichen ›Gast‹ ein Frühstück zu servieren. Ihr macht die Anwesenheit des Fremden Angst, doch wahrt sie ihm gegenüber die Formen freundlicher Höflichkeit und geht sogar so weit, dass sie auf Schmitzens provokante, aber zutreffende Unterstellung, dass sie ihn für einen Brandstifter halte und ihn »los sein« (S. 23) möchte, mit relativierenden Beschwichtigungen reagiert und schließlich verstummt. In diesem Augenblick meldet das Dienstmädchen die Ankunft eines weiteren Fremden. Es handelt sich um den ehemaligen Oberkellner Willi Eisenring, der, wie Babette auf ihre Frage nach dessen Identität erfährt, ganz offenbar ebenfalls ein Brandstifter ist.
Szene 3Steigerung
In einem kurzen Zwischenspiel in der Nacht vor der folgenden Szene kommentieren Chor und Chorführer mit sorgenvollen Worten die mysteriösen Vorgänge im Hause Biedermann.
Morgen des dritten Tages
Die Schwerverbrecher treffen auf dem Dachboden alle Vorbereitungen für einen Brandanschlag. Biedermann fordert in äußerster Wut Einlass, um Schmitz aufgrund nächtlichen Lärms in der Nacht des Hauses zu verweisen. Sein Zorn steigert sich, als er den zweiten Mann bemerkt, von dessen Anwesenheit ihm seine Frau offenbar nicht berichtet hat. Obwohl ihm bewusst sein muss, dass es sich bei den im Raum befindlichen Behältern um Benzinfässer handelt, unterlässt er es, einen inzwischen eingetroffenen Polizisten, der ihm über die Selbsttötung Knechtlings Bericht erstattet, über die kriminellen Handlungen der Fremden aufzuklären.
Szene 4HöhepunktPeripetie
Chor und Chorführer zeigen sich zwar beruhigt, dass es in der Nacht keinen Feueralarm gab, geben sich aber äußerst besorgt angesichts der Tatenlosigkeit Biedermanns. Dieser verwahrt sich gegen die gegen ihn gerichteten Vorwürfe der Feuerwehr und bagatellisiert die unheimlichen Geschehnisse in seinem Haus.
Vierter Tag
Während die Brandstifter ihre Vorbereitungen für einen Brandanschlag fortsetzen, gibt Biedermann, der ausdrücklich das vermeintliche Risiko einer Anzeige gegen die beiden scheut und sich stattdessen mit ihnen arrangieren möchte, seiner Frau und dem Dienstmädchen Anweisungen für die Vorbereitung eines gemeinsamen Abendessens.
Im folgenden Gespräch auf dem Dachbo-den zeigt er sich gegenüber Eisenring, der währenddessen ganz unverblümt die Arbei-ten zur Durchführung des geplanten Attentats fortsetzt, als höflicher und fast unterwürfiger Gastgeber; er bespricht mit dem Verbrecher sogar fachliche Details zur Vorbereitung einer Brandstiftung und leistet praktische Hilfe, bevor er schließlich die Einladung zum gemeinschaftlichen Abendessen ausspricht.
Nachdem Biedermann wieder nach unten in seine Wohnung zurückgekehrt ist, verlässt der bislang verborgene Initiator des Atten-tats, Dr. Phil., sein Versteck. Wenig später bittet dieser darum, von Biedermann gehört zu werden, um sich von dem terroristischen Vorhaben zu distanzieren.
Szene 5Fallende Handlung
Chor und Chorführer, die sich nun bereits im Alarmzustand befinden und die nötigen Maßnahmen zur Brandabwehr ergreifen, äußern sich in einem knappen Kommentar zu dem verbrecherischen Treiben dieses Mannes, der als »Weltverbesserer« (S. 48) und Chefideologe im Hintergrund des Attentats agiert.
Abend des vierten Tages
Um die beiden Männer, einen arbeitslosen Ringer und einen ehemaligen Kellner nicht zu brüskieren, entfernt Biedermann vor dem gemeinsamen Abendessen alle Insignien bürgerlichen Reichtums vom Tisch. In einer kurzen, an das Publikum gerichteten Ansprache während des Mahls, das mit »Grölen und Lachen« (S. 53) den Charakter eines Gelages hat, gibt Biedermann sich resigniert und ratlos bezüglich der Möglichkeiten zur Abwendung der Katastrophe.
Szene 6Katastrophe
Nacht vom vierten auf den fünften Tag
Im Gegensatz zu seiner zurückhaltenden, gleichwohl aber mit ihm kooperierenden Frau, setzt Biedermann alles daran, das Verbrechen durch totale Selbstunterwerfung zu verhindern: Obwohl die ›Gäste‹ offen von ihren mörderischen Absichten sprechen, behandelt er die gespenstische Situation als spaßhafte Unterhaltung, beschwört seine Freundschaft mit den Verbrechern und gibt ihnen am Ende die Streichhölzer, mit denen das Feuer entzündet wird.
Währenddessen weist Dr. Phil. die Verantwortung für das nun hereinbrechende Inferno von sich.
In einem letzten und kurzen Auftritt konstatieren Chor und Chorführer die Unabwendbarkeit und Sinnlosigkeit der allgegenwärtigen Katastrophe.
In seiner Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, einem Essay aus dem Jahre 1784, definiert der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) nicht nur das Wesen der Aufklärung – in einer berühmt gewordenen Formel – als »Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit«, sondern er benennt auch konkret »Faulheit und Feigheit« als diejenigen »Ursachen, Selbstentmündigung des Menschen warum ein so großer Teil der Menschen […] gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht ward, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen«.1
Auch Gottlieb Biedermann, der negative Held des Lehrstücks Biedermann und die Brandstifter, scheint nur äußerlich ein selbstbestimmtes Leben als freier Bürger und erfolgreicher Unternehmer zu führen, denn in der extrem angstbesetzten Grenzsituation, in die ihn die plötzliche Belagerung seines Hauses und seines Familienlebens durch zwei notorische Gewalttäter versetzt, zeigt er sich Fehlende Zivilcourage unfähig und unwillig, dem Unrecht zu trotzen und für den weiteren Lauf der Ereignisse Verantwortung zu übernehmen. Stattdessen verzichtet er auf mutigen Widerstand und wird so selbst zum Spielball einer nihilistischen Macht, die ihn aus schierer Lust an Gewalt und Tod zum Selbstauslieferung willigen Erfüllungsgehilfen am Werk einer gigantischen Zerstörung werden lässt.
Ihren konkreten historischen Ausdruck findet die philosophische und psychologische Diagnose eines derartigen menschlichen und gesellschaftlichen Scheiterns in zahllosen Beispielen des Schweigens und der Beispiel Nationalsozialismus Tatenlosigkeit in historischen Zeiten der psychosozialen Destabilisierung. Ausprägungen des individuellen und kollektiven Opportunismus etwa werden immer wieder in der komfortablen Anpassung von Menschen an bestehende oder behauptete Herrschaftssysteme sichtbar. Die Ausstellung »Eine Stadt macht mit – Frankfurt und der NS« (9. Dezember 2021 bis 11. September 2022) im Historischen Museum der Stadt Frankfurt am Main dokumentierte so etwa das ungeheure Ausmaß des Mitläufertums und des Mittuns, durch das sich die große Mehrzahl der großstädtischen Bürgerinnen und Bürger in der Zeit des nationalsozialistischen Dritten Reichs in den Jahren 1933 bis 1945 in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur bei der Ausgrenzung, Verfolgung und Mitschuld an Verbrechen Ermordung von Jüdinnen und Juden schuldig gemacht hatte. Dass Max Frischs Theaterstück ausdrücklich auf den geschichtlichen Hintergrund der Hitler- und NS-Diktatur und auf das Mitläufertum der meisten Deutschen Bezug nimmt, ergibt sich zumindest indirekt nicht nur aus seiner zeitlichen Nähe zu dem unvorstellbaren Zivilisationsbruch des nationalsozialistischen Deutschland, sondern auch aus kulturellen Versatzstücken dieser Zeit, so etwa aus dem damals populären Lied Lili Marleen, das einer der Brandstifter wie eine Erkennungsmelodie wiederholt pfeift und singt.
Formen der Kollaboration mit den Mächten des Bösen waren und sind aber nicht nur in Phasen des Bestehens totalitärer Ideologien verbreitet, sondern jederzeit auch in unserer Gegenwart im öffentlichen und privaten Raum des alltäglichen Miteinanders von Menschen und Gruppen möglich, die aus Furcht vor dem Risiko einer Gefährdung ihrer selbst oder des Kollektivs den Schulterschluss mit dem Unwahren und Falschen suchen. So berichten die Verrat an Gewaltopfern Opfer sexualisierter Gewalt auch von dem Schweigen der eigenen Familienmitglieder und der örtlichen Mitbewohner, die von den jahrelangen pädophilen Vergehen wissen, aber nicht einmal die eigenen Kinder schützen.
Was die Erhitzung des Planeten Erde durch den fortgesetzten Ausstoß von Kohlendioxid betrifft, so Begünstigung von Katastrophen hindert schon die Sorge um den Verlust des finanziellen Wohlstands und materiellen Wohllebens viele daran, ihr eigenes Konsumverhalten in Frage zu stellen und durch Verzicht ein persönliches Zeichen gegen die Maßlosigkeit der Überflussgesellschaft zu setzen. Passivität, Gleichgültigkeit oder gar die Leugnung der Notwendigkeit von Maßnahmen zum Schutz von Natur und Umwelt und zur Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts beherrschen trotz aller wissenschaftlichen Warnungen vor den katastrophalen Folgen die Haltung und das Verhalten einer Vielzahl von Menschen, die erst dann erschrocken reagieren, wenn das eigene Leben und der eigene Besitz bedroht sind. Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit Die Loyalität, die Gottlieb Biedermann zwei Kriminellen gegenüber bis zur Selbstaufgabe an den Tag legt, entspricht heute unserem instinktiven oder vorsätzlichen Beharren auf den schlechten Gewohnheiten der Vergangenheit, auf der Sicherung des Bestehenden und auf der Abwehr von Veränderungen.
Verantwortungslosigkeit Die in Max Frischs Lehrstück dargestellte Kollaboration eines ›biederen‹ Bürgers mit Brandstiftern ist ein metaphorischer Ausdruck für das amoralische Einverständnis von Mitläufern. Biedermann und die Brandstifter seziert die Gründe und Auswirkungen dieser Haltung, in welcher der Mensch zwar um die Differenz von Recht und Unrecht, von Unschuld und Schuld, von Scham und Schamlosigkeit weiß, sich gleichwohl aber wider besseres Wissen und gegen das eigene Gewissen mit dem gemein macht, was letztlich nicht nur sein Zusammenleben mit anderen, sondern auch seine eigene körperliche, seelische und geistige Unversehrtheit bedroht und Selbstzerstörung zerstört. Im äußersten Fall handelt es sich hierbei um den Ausdruck sublimierter Todessehnsucht, im gewöhnlichen Fall jedoch um eine mehr oder minder große willentliche Preisgabe der eigenen Glaubwürdigkeit und damit der eigenen Identität. Mit seinem Opportunismus ist Gottlieb Biedermann der personifizierte Ausdruck einer totalen Selbstentfremdung, eines Selbstverlusts, der hier im mutmaßlichen Feuertod eine buchstäbliche Form annimmt.
Absage an Handlungsfreiheit Das Motiv für den Verzicht des Individuums auf ein Nein und auf Widerstand gegen eine feindliche Macht besteht, wie Frischs Biedermann und Brandstifter zeigt, paradoxerweise darin, die Furcht vor der eigenen Vernichtung durch totale Anpassung an die, die es vernichten werden, zu bannen.
Biedermann und die Brandstifter, der Titel des Schauspiels, ist seit dessen Veröffentlichung eine geläufige Redewendung Redewendung zur Bezeichnung einer solchen Haltung geworden (siehe Kapitel 6, S. 105–107).