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In den ersten fünf Jahren wird der Koffer des Lebens gepackt - aber nur, wenn die pädagogischen Fachkräfte ihre Arbeit professionell planen und angehen. Beobachten, dokumentieren und planen sind Kernforderungen der Bildungspläne. Dieser Leitfaden bietet hervorragendes Material für die Umsetzung - in übersichtlich aufgebauten Modulen, Kopiervorlagen und Checklisten.
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Seitenzahl: 184
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Bernd Groot-Wilken
Bildungsprozesse in Kindergarten und Kita
beobachten – dokumentieren – planen
Impressum
Titel der Originalausgabe: Bildungsprozesse in Kindergarten und Kita
beobachten – dokumentieren – planen
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2007, 2011
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: RSR Reckels & Schneider-Reckels, Wiesbaden
Umschlagfotos: Hartmut W. Schmidt, Freiburg
E-Book-Konvertierung: Integra Software Services Pvt. Ltd, Indien
ISBN (E-Book): 978-3-451-80488-5
ISBN (Buch): 978-3-451-32060-6
Inhalt
Benutzerhinweise
AEinleitung
BAnforderungen an Fachkräfte durch Bildungsvereinbarungen
CWas sind Basiskompetenzen?
C.1Beobachten – Dokumentieren – Planen
C.2Partizipation und individuelle Förderung
C.3Handlungs- und entwicklungsorientierte Themen
C.4Das Modell einer kindorientierten Pädagogik
GRUNDLAGEN UND VORÜBERLEGUNGEN
1.Entwicklung eines Konzepts von kindorientierten Bildungsprozessen
1.1Leitung als Moderation
1.2Entwicklungsprozesse als Team-, Organisations- und Personalentwicklung
1.3Dynamisches Entwicklungsmodell
1.3.1Orientierungsphase
1.3.2Findungs- und Entwicklungsphase
1.3.3Umsetzungs- und Reflexionsphase
1.4Dokumentation
1.4.1Zielformulierungen
Checkliste: Zielentwicklung
1.4.2Prozessdokumentation
BEOBACHTUNG
2.Beobachtung pädagogischer Situationen und Prozesse
2.1Allgemeines zur Beobachtung
2.2Beobachtungen in Tageseinrichtungen
2.2.1Bedeutung von Beobachtungen
2.2.2Pädagogischer Nutzen durch Beobachtungen
2.2.3Beobachtungsmethodik
2.2.4Konstruktivistische Erkenntnisse und Neurobiologie
2.2.5Ergebnisse von Beobachtungen zur Planung von Bildungs- und Erziehungsprozessen
2.2.6Beobachtung als Bestandteil der Einrichtungskonzeption
2.2.7Beobachtung und Perspektive aus Kinder- und Elternsicht
2.2.8Inhalte von Beobachtungsprozessen
2.2.9Beobachtung von sozialen, emotionalen, sprachlichen und kognitiven Fertigkeiten und Fähigkeiten
2.2.10Beobachtung von Interaktionen in der Gruppe
2.2.11Beobachtung von Spielsituationen, Spielthemen und Spielpartnern
2.2.12Beobachtung von Materialnutzung
2.2.13Partizipation und Alltagsgestaltung
2.2.14Weitere Themen von Beobachtung
Checkliste: Übersicht Beobachtungsthemen
2.3Entwicklung eines Beobachtungskonzepts
2.3.1Orientierungsphase
1. Schritt:Austausch im Plenum über Beobachtungsmodelle
2. Schritt:Kollegiale Beobachtung mit Austausch
Checkliste: Kollegiale Beobachtung
3. Schritt:Plenum zur Diskussion eines Beobachtungskonzepts
2.3.2Findungs- und Entwicklungsphase
4. Schritt:Erarbeitung und Kurzdokumentation des Beobachtungskonzepts
5. Schritt:Erprobung des Beobachtungskonzepts
6. Schritt:Erstellung des Beobachtungskonzepts
2.3.3Umsetzungs- und Reflexionsphase
7. Schritt:Implementation des Beobachtungskonzepts in den pädagogischen Alltag
8. Schritt:Reflexion des Arbeitsprozesses
9. Schritt:Ergebnissicherung und Erfolgskontrolle
Checkliste: Neun Schritte zum Beobachtungskonzept
DOKUMENTATION
3.Entwicklung eines Dokumentationskonzepts
3.1Grundlagen der Dokumentation
3.1.1Dokumentation von Beobachtungen
3.1.2Dokumentation von Gesprächen
3.1.3Dokumentation von pädagogischer Planung
3.1.4Einbezug von Kindern in die Dokumentation
3.1.5Formen der Dokumentation
Schriftliche Aufzeichnungen
Beobachtungsbögen und -formulare
Bild- und Tondokumente
Portfolio
Checkliste: Aufgaben zum Portfolio
Checkliste: Problemanalyse Portfolio
3.2Entwicklung eines Dokumentationskonzepts
3.2.1Orientierungsphase
1. Schritt:Vorstellungen von praktizierten Dokumentationsformen
2. Schritt:Austausch über Inhalte und Zweck von Dokumentationen
3. Schritt:Diskussion eines Dokumentationskonzepts
3.2.2Findungs- und Entwicklungsphase
4. Schritt:Einführung des Portfoliogedankens mit Diskussion
5. Schritt:Ausarbeitung des Dokumentationssystems in Form eines Portfolios
6. Schritt:Erprobung der Arbeit mit Portfolio
7. Schritt:Austausch in den Gruppen
3.2.3Umsetzungs- und Reflexionsphase
8. Schritt:Implementation des Dokumentationskonzepts in den pädagogischen Alltag
9. Schritt:Reflexion des Arbeitsprozesses
10. Schritt:Ergebnissicherung und Erfolgskontrolle
Checkliste: 10 Schritte zum Dokumentationskonzept
Checkliste: Dokumentation
PÄDAGOGISCHE PLANUNG
4.Entwicklung eines pädagogischen Planungskonzepts
4.1Grundlagen der Planung
4.1.1Planungsmodelle
Wochen-, Monats- oder Jahrespläne
Jahresrhythmusorientiertes Planen
Projektplanung
Checkliste: Zehn Schritte zum Planungskonzept
4.1.2Lebensweltorientierte pädagogische Planung als dynamischer Prozess
Planung des pädagogischen Alltags
Planung von Freispielphasen
Planung von Angeboten und Aktivitäten
Planung individueller Förderung
Planung von Partizipation
Planung von Bereitstellung von Materialien
Planung von Raumgestaltung
Planung von Elterngesprächen/Entwicklungsgesprächen
Planung der Gestaltung von Übergangsprozessen
4.2Entwicklung eines lebensweltorientierten Planungskonzepts
4.2.1Orientierungsphase
1. Schritt:Vorstellung von praktizierten Planungsmethoden
2. Schritt:Diskurs über die Planungsmethoden in der Einrichtung
3. Schritt:Erarbeitung eines Projektes zum ausgewählten Thema
4. Schritt:Überarbeitung des Themas mit der Projekt-Methode
4.2.2Findungs- oder Entwicklungsphase
5. Schritt:Modell einer Erprobung des ausgewählten Themas
6. Schritt:Darstellung des Projektes für Kinder und Familien
7. Schritt:Durchführung des Projektes
4.2.3Umsetzungs- und Reflexionsphase
8. Schritt:Reflexion des Projektes
9. Schritt:Reflexion des Arbeitsprozesses
10. Schritt: Ergebnissicherung und Erfolgskontrolle
Fazit
Literatur
Benutzerhinweise
für den »Leitfaden für pädagogisches Handeln«
Der Leitfaden ist ein Verfahren zur Unterstützung von Fachkräften, die sich im Bereich der Basiskompetenzen Beobachten – Dokumentieren und pädagogische Planung weiterqualifizieren möchten. Der Leitfaden beschreibt auf einer sehr praxisnahen Ebene ein methodisches Vorgehen für eine systematisch gesteuerte und zielgerichtete Entwicklung in den drei genannten Bereichen. Es handelt sich bei diesem Leitfaden nicht um ein fertiges Konzept, welches Einrichtungen nur noch adaptieren müssen. Vielmehr leitet dieses Buch Teams an, gemeinsam ein eigenes Konzept mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu entwickeln.
Das Thema »Bildungsprozesse in Kindergarten und Kita beobachten – dokumentieren – planen« ist in 4 Module aufgeteilt.
Grundlagen und Vorüberlegungen
Beobachtung
Dokumentation
Pädagogische Planung
Innerhalb der Module finden Sie immer wiederkehrende Symbole, die zur schnellen Orientierung dienen:
Leitfragen zum Thema
Methoden
Beobachtung und Dokumentation
Auswertung und Reflexion
Praxisbeispiel
Die Entwicklungsprozesse werden methodisch beschrieben, ohne einen bestimmten Inhalt zu favorisieren. Die inhaltlich fachliche Ausgestaltung liegt in der Verantwortung der Leiterinnen und der Teams.
Jede Basiskompetenz wird in einem fachlichen Teil eingeführt und um einen methodischen Teil zur systematischen Erarbeitung ergänzt. Alle drei Teile sind unabhängig voneinander zu bearbeiten. Die Intention des Leitfadens ist es allerdings, die drei Basiskompetenzen als eine dynamisch zusammenhängende Einheit zu verstehen, die in ihrer praktischen Umsetzung ein bestimmtes Bild pädagogischer Orientierung widerspiegelt.
Der Entwicklungsprozess innerhalb dieses Systems, das heißt, Einrichtungen, die nach diesem Modell arbeiten möchten, sollte 1,5 bis 2 Jahre Bearbeitungszeit einplanen. Diese Zeitspanne ergibt sich aus zwei Gründen: Zum einen lassen die personellen und zeitlichen Ressourcen nur bedingt die Arbeit an zusätzlichen Themen zu und zum anderen ist dem Modell ein Wechselspiel von theoretischer Entwicklung und praktischer Erprobung zugrunde gelegt.
Der Leitfaden führt und begleitet Teams in einem längeren Prozess ein System der Beobachtung – Dokumentation und pädagogischer Planung zu entwickeln, das eine optimale Bildung, Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen ermöglicht.
Adressaten dieses Leitfadens sind Leiterinnen und Fachberaterinnen, die den Prozess der Entwicklung als Moderatorinnen begleiten und moderieren. Die methodischen Hinweise sind für diesen Personenkreis gedacht. Der Leitfaden ist somit ein Handwerkszeug für die Moderatorin im Entwicklungsprozess.
An einigen Stellen im Entwicklungsprozess wird deutlich, dass die Moderatorin und das Team zusätzliche Literatur benötigen, um den Prozess weiter durchlaufen zu können. Deutlich wird das z.B. bei der Recherche nach gängigen Beobachtungsverfahren, dem Portfolio oder auch den Ausführungen zur Projektarbeit in Tageseinrichtungen. Im Rahmen dieses Leitfadens ist es nicht möglich, diese Aspekte so darzustellen, dass sie umfassend für Teams nutzbar sind. Die Arbeit mit Literatur ist zudem eine Aufgabe von pädagogischem Personal, die in der Arbeit in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen sollte. So liegt die Chance für Teams, die mit diesem Leitfaden arbeiten, darin, sich mit den Verfahren der Aneignung von Fachliteratur bereits innerhalb dieses Prozesses auseinanderzusetzen.
Zum Abschluss dieses Kapitels sollen noch einige wichtige Verfahrenshinweise gegeben werden:
Zur Vorbereitung
1.Bevor sich ein Träger oder eine Einrichtung für dieses Projekt entscheidet, sollte dieses im Team vorgestellt werden. Alle Fachkräfte müssen im Vorfeld wissen, welche Aufgaben auf sie zukommen und was mit diesem Projekt erreicht werden soll.
2.Wenn sich ein Team auf dieser Grundlage für dieses Projekt entscheidet, muss als erstes geklärt werden, wer die Aufgabe der Moderation übernimmt. Es empfiehlt sich dabei an die Leiterin zu denken, da die Person Vorbereitungsund Auswertungszeiten benötigt.
3.Nachdem festgelegt wurde, wer die Moderation übernimmt, werden die »Spielregeln« vereinbart, nach denen gearbeitet wird. Zusätzlich werden Kompetenzen festgelegt, die der Moderatorin übertragen werden, damit sie handlungsfähig bleibt.
Im Prozess
4.Die erste Aufgabe der Moderatorin in jedem Modul besteht darin, die theoretischen Vorüberlegungen in einer Teamsitzung vorzustellen. Diese sind in diesem Buch jedem Modul vorgeschaltet. Es ist hierbei ausreichend, wenn die Fachkräfte einen Überblick über die wichtigsten Inhalte bekommen.
5.Nach dieser Vorstellung kann der Entwicklungsprozess im jeweiligen Modul mit dem 1. Schritt beginnen.
6.Die Moderatorin kann einzelne Teilaufgaben an Kolleginnen delegieren. Sie sollte dabei immer auf Freiwilligkeit achten. Mit dem Fortschreiten des Prozesses wird die Bereitschaft Aufgaben zu übernehmen wachsen.
7.Einige Kolleginnen werden sich sehr aktiv am Geschehen beteiligen, andere eher passiv verhalten. Die Moderatorin sollte darauf achten, dass sie eine möglichst ausgewogene Verteilung der Beteiligung anstrebt. Verschiedene Methoden ermöglichen auch stilleren Kolleginnen, ihren eigenen Beitrag zu leisten.
Zur Dokumentation
8.Zu jedem Schritt des Entwicklungsprozesses wird ein Ergebnisprotokoll angefertigt. Dazu wird eine Person im Vorfeld ausgewählt. Es ist für alle Fachkräfte eine gute Erfahrung, wenn es ein rotierendes System gibt und jeder einmal drankommt. Es ist sinnvoll, dass sich Teams im Vorfeld über eine bestimmte Form der Protokollführung verständigen, das erleichtert das Lesen ungemein.
9.Sämtliche Protokolle werden in einem Projektordner abgeheftet und dienen der Prozessdokumentation. Darüber hinaus bekommen alle Fachkräfte möglichst umgehend eine Kopie des Protokolls für die eigene Dokumentation zugeleitet.
10.In einigen Schritten entstehen zusätzliche Produkte, diese werden ebenfalls im Projektordner archiviert.
11.Es bietet sich an in diesem Prozess mit Bildund Tondokumenten zu arbeiten. Arbeitsschritte des Teams können fotografiert werden oder fachliche Gespräche auch einmal auf einem Tonband mitgeschnitten werden.
12.Darüber hinaus empfiehlt es sich, dass jede Fachkraft eine persönliche Dokumentation des eigenen Entwicklungsprozesses anlegt. Diese Dokumentation ist privat und nicht zugänglich.
13.Die Moderatorin sollte ebenfalls ein Protokoll über die Vorbereitungsaufgaben führen und zu jedem Arbeitsschritt eine Einschätzung über das erreichte Ergebnis abgeben. Diese Aufzeichnungen sind ebenfalls privat. Sie können allerdings als Unterstützung für Gespräche mit Kolleginnen dienen oder auch in Reflexionsrunden sehr hilfreich sein.
14.Alle Beteiligten dokumentieren, wann sie wie lange mit welchem Thema im Entwicklungsprozess beschäftigt waren. Es ist ausreichend, dies in eine Tabelle mit den folgenden Überschriften kurz zu notieren.
Datum Dauer Thema
15.Prinzipiell nehmen erst einmal alle Fachkräfte am Entwicklungsprozess teil. Wenn bestimmte Aufgaben anderes erfordern, ist dieses jedes Mal vermerkt.
Zum Abschluss
16.Am Ende jedes Moduls sollten die Teams auf jeden Fall eine Reflexion beginnen. Für fortlaufende Prozesse gibt es nicht Wichtigeres, als eine gute Rückschau zu halten und dabei die positiven sowie die negativen Erfahrungen zu bewerten.
17.Diese Ergebnisse müssen fixiert werden und vor Beginn einer neuen Phase nochmals ins Bewusstsein rücken, damit gleiche Fehler nicht wiederholt werden und günstige Dynamiken genutzt werden.
18.Teams sollten zwei Dinge keinesfalls vergessen:
Präsentieren Sie auf jeden Fall so vielen Menschen wie möglich ihr Arbeitsergebnis und die damit verbundene Steigerung der Güte ihrer pädagogischen Arbeit.
Feiern Sie sich selbst. In diesem Fall ist es unbedingt erlaubt. Sie haben einen anstrengenden, aber erfolgreichen Weg hinter sich gebracht und können stolz auf Ihre Arbeit zurückblicken. Vielleicht ergibt sich während der Feier ja ein neues herausforderndes Projekt.
A
Einleitung
Mit diesem Leitfaden liegen erstmals Arbeitsmaterialien vor, die Teams gezielt bei der Entwicklung einer effizient gesteuerten pädagogischen Planung unterstützen. Durch die Bildungsvereinbarungen der Länder mit kommunalen und freien Trägern, werden seit einigen Jahren klare Anforderungen an die pädagogische Fachpraxis formuliert. An pädagogische Fachkräfte wird verstärkt die Anforderung gestellt, in bildungspolitisch zentralen Bereichen, wie beispielsweise Sprachentwicklung, Bewegungsförderung, kognitive und sozial-emotionale Entwicklung, gezielt und individuell zu fördern. In der Geschichte der Kleinkindpädagogik sind diese Forderungen nicht neu, jedoch stellen die strukturellen Anforderungen und die durch die Vereinbarungen erzeugte Verbindlichkeit eine neue Herausforderung dar, z.B. bei der Erstellung von Schuleingangsprofilen oder Entwicklungsgesprächen mit den Eltern.
Träger, Einrichtungsleitungen und pädagogische Fachkräfte sondieren seit einiger Zeit Fachpublikationen auf der Suche nach unterstützenden Arbeitsmaterialien. Es gibt zurzeit sehr viele Checklisten zur Feststellung von Leistung und methodisch-didaktische Hilfen, die auf verschiedenen Ebenen Unterstützung geben. Neben den klassischen Instrumenten zur Bestimmung und Messung meist kognitiver, sprachlicher, sozial-emotionaler oder motorischer Fähig- und Fertigkeiten, sind mit der Nationalen Qualitätsinitiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vermehrt auch Arbeitsmaterialien zur Qualitätsentwicklung verfügbar. Diese verfolgen im Gegensatz zu den klassischen Instrumenten zur Messung von Kompetenzen einen deutlich systemischeren Ansatz. Von der Annahme ausgehend, dass die Verbesserung und Optimierung pädagogischer Prozesse und Aktivitäten auch Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder hat, setzen diese Programme grundlegend an den Entwicklungspotentialen der pädagogischen Fachkräfte in den Einrichtungen an.
Dieses Buch knüpft an diese noch junge Tradition an. Es unterstützt Fachkräfte und Teams darin, pädagogische Prozesse und Aktivitäten auf der Grundlage einer systematischen und kontinuierlichen Beobachtung für eine effektive pädagogische Planung zu nutzen. Teams können mit Hilfe dieser Arbeitsmaterialien in einen selbstbestimmten und -gesteuerten fachlichen Prozess eintreten, an dessen Ende ein Konzept effizienter pädagogischer Planung steht, welches die Bedürfnisse, Interessen, Wünsche sowie Fähig- und Fertigkeiten aller Kinder in den Fokus stellt.
B
Anforderungen an Fachkräfte durch Bildungsvereinbarungen
In den Bildungsvereinbarungen der Länder sind je nach Bundesland unterschiedlich detailliert und gewichtet Bildungsprozesse und -bereiche sowie Lernfelder und methodische Zugänge beschrieben. Allen ist gemeinsam, dass sie Bildung und Erziehung als eine Einheit verstehen, die sich auf einen kontinuierlichen Prozess im sozialen Kontext beziehen. Die Konstruktion von Sinn und die Aneignung von Weltwissen finden immer in sozialen Kontexten statt, d.h., dass Kinder sich in einer stetigen Interaktion mit ihrer Umwelt befinden. Kinder entdecken die Welt eigenständig und werden dabei gezielt durch Fachkräfte begleitet und gefördert. Dabei stehen die Vermittlung von grundlegenden und übergreifenden Kompetenzen ebenso im Vordergrund wie die Entwicklung und Stärkung der individuellen Persönlichkeit.
Einen besonderen Stellenwert hat in den Bildungsvereinbarungen die Projektarbeit. Da es in der Kleinkindpädagogik keinen Fächerkanon wie in der Schulpädagogik gibt, was auch nicht wünschenswert ist, kommt der ganzheitlichen Förderung eine große Bedeutung zu. Diese schließt eine kindorientierte Angebotsstruktur ebenso wie eine auf die Lebenswelt und -inhalte abgestimmte Prozessgestaltung ein. Dabei knüpfen Bildungs- und Erziehungsinhalte an den Fähig- und Fertigkeiten, Interessen, Fragen und Bedürfnissen der Kinder an. Hierzu zählt auch, dass Kinder lernmethodische Kompetenzen erwerben, also selbstbestimmt und -gesteuert lernen, intra- und interkulturelle Bildung erfahren, partizipieren können und individualisierte Aktivitäten wahrnehmen können – auch in Bezug auf die Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen.
In allen Bildungsvereinbarungen finden sich sechs zentrale Bildungsbereiche wieder. Diese sind …
Sprache und Kommunikation,
soziale und emotionale Entwicklung,
Bewegung und Gesundheit,
naturwissenschaftliches Wissen,
musische Bildung und Förderung von Kreativität und
Kultur- und Umgebungswissen.
Sie werden in den Bildungsvereinbarungen zwar unterschiedlich bezeichnet, aber im Kern umfassen die Bildungsvereinbarungen diese Bildungsbereiche.
Die folgenden Ausführungen basieren auf dem mehrperspektivischen Verständnis von Bildungsprozessen (in Anlehnung an den »Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für badenwürttembergische Kindergärten«).
Das Kind ist Akteur seiner Bildungsprozesse. Es erschließt sich aktiv die Welt und eignet sich Wissen an und gestaltet seine eigenen Lernprozesse.
Von der Geburt an lernen Kinder aktiv.
Bildung vollzieht sich immer in der Auseinandersetzung mit Anderem und Anderen, also in Interaktionsprozessen. Kinder lernen gemeinsam mit den Menschen ihrer Umwelt, also den anderen Kindern und den erwachsenen Erziehungspersonen.
Fachkräfte in Tageseinrichtungen sind Beobachter, Begleiter und Akteure. Sie übernehmen eine zentrale, aktive und verantwortungsvolle Rolle, insbesondere des Arrangements der Lernumgebung und als zentraler Interaktionspartner der Kinder. Sie haben somit maßgeblichen Einfluss auf die Ergebnisse und die Qualität von Bildungs- und Erziehungsprozessen.
Fachkräfte sind verlässliche Partner, die eine anregende Lernumgebung schaffen und Kindern genügend emotionale Sicherheit bieten. Sie stehen den Kindern für Fragen, Gespräche und als Beziehungsperson zur Verfügung. Sie unterstützen die Kinder und geben Hilfestellungen.
Bildung ist der Zusammenhang von Lernen, Wissen, Wertebewusstsein und Handlungsmöglichkeiten. Kinder müssen lernen zu lernen, und dafür stellt die Fachkraft die Möglichkeiten bereit. Bildung ist nicht nur Wissen, sondern auch die Kompetenz, Haltungen zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen.
Die Betrachtung von Bildung in diesem mehrperspektivischen Verständnis zeigt deutlich, welche Aufgaben den Fachkräften zukommen und welche Rolle sie in den Bildungs- und Erziehungsprozessen einnehmen. Um diesen Aufgaben nachkommen zu können und die Rolle möglichst professionell umzusetzen, sind einige methodische und inhaltliche Aspekte zu berücksichtigen. Aus allen Bildungsvereinbarungen lassen sich im Wesentlichen vier zentrale Aspekte hinsichtlich der Aufgaben von Fachkräften lesen:
Beobachtung
Eine kontinuierliche Beobachtung wird in allen Bildungsplänen als professionelle Handlungskompetenz von Fachkräften vorausgesetzt und als unabdingbar für die Gestaltung von Bildungs- und Erziehungsprozessen angesehen. Wissen über Fähig- und Fertigkeiten, Interessen, Bedürfnisse, Themen und Wünsche der Kinder wird überwiegend aus den Beobachtungen im Alltag gewonnen. In einigen Bildungsplänen, z.B. NRW, wird explizit das Beobachten herausgestellt.
Dokumentation
Beobachtungen und deren Ergebnisse müssen dokumentiert werden, so dass sie für die Planung und Umsetzung von Bildungs- und Erziehungsprozessen sowie für Gespräche mit Eltern und Schulen nutzbar sind.
Pädagogische Planung
Wenn in den Bildungsvereinbarungen von Bildungs- und Erziehungsprozessen gesprochen wird, so ist damit nicht nur die Planung gemeint, sondern immer die Umsetzung in Handlung. Das setzt voraus, dass die Prozesse und Aktivitäten geplant werden. Somit kommt der Planung von Prozessen und Aktivitäten eine neue Bedeutung zu, sie ist eindeutig auf Bildungs- und Erziehungsprozesse abgestimmt und gewährleistet eine individuelle Förderung der Kinder.
Zusammenarbeit mit Familien und Grundschulen
Für eine optimale Gestaltung von Bildungs- und Erziehungsprozessen ist die Kooperation der an diesem Prozess beteiligten Personen und Institutionen notwendig. Im Verlauf eines Besuches einer Tageseinrichtung ist eine intensive Kooperation mit den Familien notwendig. Familien sind genauso Partner im kindlichen Bildungsprozess wie die Fachkräfte in den Tageseinrichtungen. Familien wissen über ihre Kinder eine Menge, was der Gestaltung von Prozessen sehr förderlich ist. Außerdem haben Familien ein Recht, über die Entwicklung der Kinder im Austausch mit der Familie zu stehen. Darüber hinaus wird zum Ende der Kindergartenzeit für die Familien und Kinder die institutionelle Kooperation zwischen der Tageseinrichtung und den Grundschulen wichtig. Im Sinne eines optimalen Übergangs in die Grundschule (Transition) gehört auch diese Form der Kooperation zu den Aufgaben der Leitungen und Fachkräften in Tageseinrichtungen.
C
Was sind Basiskompetenzen?
C.1Beobachten – Dokumentieren – Planen
Im vorhergehenden Kapitel sind aus den Bildungsvereinbarungen vier zentrale Aspekte des professionellen Handelns von Fachkräften abgeleitet worden. In diesem Buch wird hauptsächlich auf die Aspekte ›Beobachten – Dokumentieren und Planen‹ eingegangen. Im Folgenden sollen diese drei Aspekte als Basiskompetenzen bezeichnet werden.
Warum wird das ›Beobachten – Dokumentieren – Planen‹ als Basiskompetenz von pädagogischen Fachkräften in Tageseinrichtungen verstanden?
Optimale Förderung und Begleitung von Kindern in Bildungs- und Erziehungsprozessen ist nicht intuitiv und zufällig möglich. Eine gezielte, auf Fähig- und Fertigkeiten, Interessen und Bedürfnisse von Kindern abgestimmte Förderung bedarf einer ebenso gezielten und detaillierten pädagogischen Planung. Dabei müssen Fachkräfte im Planungsprozess auf Wissen über die Kinder und deren Lebenswelt zurückgreifen können. Dieses Wissen über die Kinder kann unterschiedliche Quellen haben, beispielsweise ist durch Gespräche mit Eltern einiges über Kinder zu erfahren. Aber noch viel ergiebiger sind die eigenen Beobachtungen und Erfahrungen der Fachkräfte. Diejenigen, die sich bei ihrer pädagogischen Planung nicht an ihren Adressaten orientieren, verpassen die Möglichkeit einer optimalen Förderung und Begleitung.
Einer pädagogischen Planung geht also in der Regel eine Situationsanalyse voraus, die sich im Wesentlichen auf Beobachtungen der Fachkraft bezieht. Damit kommt der Beobachtung eine zentrale Rolle im Bildungs- und Erziehungsgeschehen zu. Die Ergebnisse von Beobachtungsprozessen bilden die Grundlage für eine gezielte pädagogische Förderung und Begleitung sowie für die Gestaltung eines optimalen Lernumfeldes. Beobachtung kann dann kein zufälliges Handeln im Alltag von Fachkräften sein, sondern muss Bestandteil der Konzeption eines professionellen pädagogischen Handelns bzw. Ansatzes sein. Beobachtung ist ebenso wie die pädagogische Planung …
kein zufälliges Produkt, das aus dem Alltag resultiert,
kein Ergebnis spontaner Ideen,
nicht abhängig von Jahreszeiten, Festen oder Feiertagen oder
nicht das Ergebnis eines Top-down-Prozesses, also einer neuen Handlungsweise durch Anweisung des Trägers oder aus der Verpflichtung der Bildungsvereinbarung heraus.
Beobachtung und Planung sind professionelle Handlungskompetenzen, Basiselemente für eine effiziente und effektive Pädagogik.
Dokumentation ist nicht einfach nur die schriftliche Fixierung von Beobachtetem oder Geplantem. Vielmehr wird durch eine gute Dokumentation der individuelle Blickwinkel der Fachkräfte um die Perspektiven von anderen Beteiligten, wie beispielsweise Kinder und deren Eltern, erweitert. Dokumentation ist ein lebendiger und methodenreicher Prozess, Geschehnisse und Personen in einer multiperspektivischen und methodenreichen Art über einen langen Zeitraum festzuhalten bzw. zu beschreiben und für die weitere pädagogische Arbeit nutzbar zu machen. Über einen langen Zeitraum ist keine Fachkraft in der Lage, sich Details über Kinder, Geschehnisse oder Entwicklungsverläufe angemessen zu merken. Eine geeignete Form der Dokumentation stellt hierbei das Portfolio (Modul 3) dar.
Zwar stellt die Zusammenarbeit mit Familien einen wichtigen Bereich der pädagogischen Arbeit und Kooperation in Tagesstätten dar. Sie ist auch in vielerlei Hinsicht wichtig, um Kinder in ihrer Bildungsgeschichte optimal begleiten zu können, dennoch ist es zunächst einmal wichtiger, die zentralen Basiskompetenzen von pädagogischen Fachkräften zu betrachten und professionell weiterzuentwickeln.
C.2Partizipation und individuelle Förderung
Das Zusammenspiel von ›Beobachtung – Dokumentation und pädagogischer Planung‹ ermöglicht eine kindorientierte Pädagogik, d.h. eine an den Fähig- und Fertigkeiten, Interessen, Wünschen und Bedürfnissen orientierte Pädagogik, die eine gezielte individuelle Förderung und Begleitung von Kindern in sozialen Strukturen (Kindergruppe etc.) ermöglicht und somit bestmögliche Voraussetzungen für gelungene Bildungsprozesse schafft.
Mit individueller Förderung ist hier nicht gemeint, dass Kinder nur einzeln gefördert werden sollen. Individuelle Förderung meint hier vor allem, das einzelne Kind gut zu kennen, dessen Entwicklungsstand und Interessen, und dieses Wissen als wertvolle Informationsquelle und Grundlage für die pädagogische Planung von Prozessen und Aktivitäten zu nutzen. Die Balance entsteht bei der Berücksichtigung von partizipatorischen Prozessen – also der Einbindung der Kinder in Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse. Wenn Kinder an ihren eigenen Bildungsprozessen verantwortlich beteiligt werden und wenn sie eigene Lernstrategien und -ziele entwickeln – zu Beginn eher noch intuitiv –, dann ist die Beteiligung an der Gestaltung und Entscheidung über Lerninhalte zwangsläufig. Beteiligung ist nicht immer nur ein demokratischer Prozess in verbalisierter Form, wie beispielsweise in Gesprächsrunden oder Einzelgesprächen. Beteiligung bedeutet auch, dass die Ergebnisse der Beobachtungen durch die Fachkräfte als Grundlage für die pädagogische Planung von Prozessen und Aktivitäten dient. Diese Art der »passiven« Mitbestimmung setzt allerdings eine Grundhaltung der Fachkräfte voraus, die sich aus dem Folgenden ergibt.
Pädagogische Fachkräfte verstehen Kinder als …
aktiv Lernende, die selbstständig handeln,
Konstrukteure ihres Lernens, die als aktive Beobachter, Teilnehmer und Gestalter der Welt agieren,
Menschen, die in sozialen Zusammenhängen interagieren und lernen,
Menschen, die durch ihre Handlungen und insbesondere durch das Spiel lernen,
Menschen, die selbstbestimmt entscheiden können und wissen, was sie interessiert und beschäftigt,
Menschen, die ihr Lernumfeld mitgestalten, das ihren Fähig- und Fertigkeiten, Interessen, Wünschen und Bedürfnissen entspricht,
individuelle Wesen, die ihre eigenen Ausdrucksformen und Vorstellungen haben und diese mitteilen können.
Pädagogische Fachkräfte verstehen sich dabei als …
Begleiterinnen, die Kindern emotionale Sicherheit und Zuwendung in festen sozialen Beziehungen bieten,
Dialog- und Interaktionspartnerinnen der Kinder,
Gestalterinnen eines anregenden Lernumfeldes sowie von herausfordernden und angemessen Prozessen und Aktivitäten.
C.3Handlungs- und entwicklungsorientierte Themen
Kindorientierte Pädagogik orientiert sich an den Themen, die die Kinder mitbringen und in sich tragen. Dabei sind nicht nur oberflächliche Themen wie beispielsweise Feuerwehr, Dinosaurier oder Tiere gemeint oder Fragen wie: Warum scheint die Sonne? Wie kommt das Baby in Mamas Bauch? Warum können Autos fahren?