Bille und Zottel Bd. 01 - Pferdeliebe auf den ersten Blick - Tina Caspari - E-Book

Bille und Zottel Bd. 01 - Pferdeliebe auf den ersten Blick E-Book

Tina Caspari

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Beschreibung

Bille liebt ihre Pferde über alles. Für ihre Lieblinge ist ihr kein Opfer zu groß. Wer würde sonst freiwillig um fünf aufstehen, um im Stall zu arbeiten? Als ihr das Pony Zottel in Pflege gegeben wird, ist Bille das glücklichste Mädchen der Welt!

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TINACASPARI

Pferdeliebe

auf den ersten Blick

Bille hat Probleme

„Kannst du nicht ein bisschen schneller fahren?“, jammerte Bille und duckte sich hinter Karlchens breiten Rücken.

„Wenn ich den Karren in den Graben fahre, kriege ich ihn von meinem Bruder nie wieder!“ Karlchen bremste so scharf, dass das Moped schlingerte und quer auf der Fahrbahn zum Stehen kam. „Außerdem ist es sowieso zu spät. Sieh mal, da!“

„Mist!“

Da vorne bog Mutschs klappriger Kombi um die Ecke und hielt mit quietschenden Bremsen vor dem windschiefen Strohdachhaus. Wie jeden Morgen kam sie aus Neukirchen, wo sie auf dem Großmarkt Frischware für ihr kleines Lebensmittelgeschäft besorgt hatte. Warum musste sie ausgerechnet heute so pünktlich sein!

„Was mach ich denn nun bloß? Wäre eure blöde Kiste gleich angesprungen, wäre uns das nicht passiert!“, maulte Bille.

„Und wärst du nicht so verrückt darauf, morgens um fünf schon heimlich in den Pferdestall zu gehen, dann bräuchte ich mich jetzt nicht von dir anmeckern zu lassen. Hab ich das nötig?“, gab Karlchen zurück.

„Hast ja recht, entschuldige.“

Bille sah so todunglücklich aus, dass Karlchens Herz dahinschmolz wie ein Eis am Stiel in der Sonne.

„Also gut – schleich dich durch den Garten nach oben. Ich versuche sie abzulenken.“

„Das ist super von dir! Danke!“ Bille boxte Karlchen liebevoll in den Rücken und schlich sich im Schutz der Büsche davon.

„Bis später!“, rief Karlchen ihr leise nach, dann fegte er mit einem Kavaliersstart die Straße hinunter auf Frau Abromeit zu, die gerade damit begann, ihre Waren auszuladen.

„Morgen, Frau Abromeit!“, hörte Bille ihn rufen.

„’n Morgen, du alter Krachmacher, geht’s nicht ein bisschen leiser?“

Bille kletterte von dem Holzstoß hinterm Haus auf die Garage, und von dort über den Birnbaum aufs Dach und in ihr Mansardenfenster hinein. Drinnen blieb sie stehen und lauschte.

Verdammt! Mutsch kam schon die Treppe herauf!

Mit einem Satz war Bille im Bett – so wie sie war, in Stiefeln, Jeans und Pulli. Sie zog sich die Bettdecke bis über die Nasenspitze und tat, als schliefe sie fest.

„Bille! Aufstehen – es ist schon halb sieben!“

Mutsch öffnete die Tür und sah ins Zimmer.

„Nun los, Kind, du musst dich beeilen, raus aus den Federn!“

Bille markierte lautes Gähnen.

„Schon gut, Mamutschka, ich komm schon …“

Im Stillen schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel, ihre Mutter möge nicht auf die Idee kommen, neben ihrem Bett stehen zu bleiben, bis sie sich erhob, oder ihr gar die Decke wegzuziehen. Aber nein, ihr Gebet wurde erhört.

„Ich muss wieder runter, den Wagen fertig ausladen. Putz dir die Zähne gründlich“, sagte Frau Abromeit und schloss die Tür hinter sich.

Puh! Das war noch mal gut gegangen. Bille wartete sicherheitshalber, bis sie ihre Mutter unten mit den Gemüsekisten hantieren hörte, dann sprang sie aus dem Bett, zog sich aus und lief ins Bad hinüber. Nur gut, dass Mutsch den intensiven Pferdestallgeruch heute nicht bemerkt hatte. Bille war ganz schön heiß geworden unter der Bettdecke. Egal. Hauptsache, Mutsch hatte sie nicht erwischt. Das hätte wieder ein Theater gegeben!

Karlchen war doch einsame Spitze!

Eigentlich war er wie ein Bruder, überlegte Bille, während sie den Wasserhahn aufdrehte und den Schwamm drunterhielt. Wie der Bruder, den sie sich immer gewünscht hatte: ein Jahr älter und ein richtig guter Freund, auf den man sich verlassen konnte. Bille hatte zwar eine Schwester, aber die war zwölf Jahre älter als sie und genau der Typ, der einem ewig als leuchtendes Beispiel vor die Nase gehalten wird. Bille ließ sich das kalte Wasser über Gesicht, Hals und Schultern laufen. Ah, das tat gut!

Mit Karlchen hatte sie gespielt, seit sie laufen konnte. Mit ihm konnte man jeden Blödsinn machen, und wenn es nötig war, hatte er sich auch mal für sie geprügelt.

Als Bille frisch gewaschen und angezogen in ihr kleines Zimmer zurückkehrte und ans Fenster trat, sah sie drüben bei Brodersens Karlchen am Fenster, der gerade seine Bücher in die Schultasche stopfte.

„Alles gut gegangen!“, signalisierte Bille ihm hinüber, und Karlchen winkte zurück: „Verstanden!“ Sie hatten seit Langem ihre geheime Zeichensprache.

Karlchen verschwand vom Fenster. Bille lehnte sich hinaus. Wenn sie sich ein wenig vorbeugte, konnte sie links bis nach Groß-Willmsdorf hinübersehen. Dort lagen die breiten Wirtschaftsgebäude des Gutshofs, und da vorne das Ziel all ihrer Träume und Wünsche: der Pferdestall. Da hatte sie vor einer Stunde noch mit Karlchen frisches Stroh in den Boxen verteilt, bis sie merkte, dass ihre Uhr stehen geblieben war.

Hubert, Karlchens älterer Bruder, der gemeinsam mit dem alten Petersen die Arbeit im Pferdestall besorgte, hatte nicht lange gefackelt: Er hatte Karlchen sein Moped geliehen, damit Bille noch pünktlich nach Hause kam. Jetzt waren Petersen und Hubert sicher dabei, die Pferde für die Morgenarbeit zu satteln. Wie schön wäre es, statt in die Schule zu fahren, in dem Versteck in der großen Kastanie zu sitzen und von dort aus Herrn Tiedjen, dem berühmten Springreiter, zuzuschauen, wie er den jungen Fuchshengst Patrick ritt oder mit einem der anderen Pferde für den Preis der Nationen trainierte!

„Bille! Wo bleibst du denn! Komm frühstücken!“, hörte sie Mutsch auf der Treppe ärgerlich rufen.

Seufzend ergriff Bille ihre Schultasche, holte schnell noch das Englischbuch unter ihrem Kopfkissen hervor und rannte die Treppe hinunter.

In der geräumigen Küche, die zugleich als Hinterzimmer und Lager des kleinen Ladens diente, hatte ihr Mutsch das Frühstück hingestellt. Eine Scheibe Schwarzbrot mit Schinken und ein Butterbrötchen mit selbst gemachter Erdbeermarmelade warteten auf dem Teller, Tee und Milch dampften in der Tasse. Bille hatte einen Riesenhunger. Schließlich war sie seit halb fünf Uhr auf und hatte kräftig gearbeitet.

„Hm, danke, das sieht ja super aus!“ Bille biss gierig von dem Schinkenbrot ab.

„Nun schling nicht wieder so. ’s nimmt dir ja keiner weg!“ Mutsch trank ihre Teetasse leer und räumte ihr Gedeck weg. „Ich hab Karlchen Brodersen vorhin getroffen, er kam schon von der Arbeit. Tüchtiger Junge. Nicht so ’n Langschläfer wie du!“

„Och der …“, sagte Bille gleichgültig und dachte bei sich: Wenn du wüsstest!

„Will sich Geld verdienen für ein eigenes Moped, hat er mir erzählt.“

„Blöd“, murmelte Bille.

„Ich kann das nicht blöd finden, wenn einer mit vierzehn schon sein eigenes Geld verdient – neben all der Arbeit für die Schule.“

„So meine ich das ja nicht. Was ich blöd finde, ist, dass er im Pferdestall arbeitet und sich überhaupt nicht für Pferde interessiert. Ihm geht’s bloß ums Geld, die Tiere sind ihm egal“, sagte Bille verächtlich. „Wenn ich es wäre – ich würde noch mein ganzes Taschengeld dazugeben, wenn man es von mir verlangte, um Herrn Tiedjens Pferde versorgen zu dürfen!“

„Ach ja“, stöhnte Mutsch, „da wären wir denn ja wieder beim Thema. Hätte mich auch gewundert, wenn mal eine Mahlzeit vorübergeht, ohne dass du davon anfängst. Na, ich muss jetzt in den Laden. Vergiss bitte nicht – was ist denn das?“, unterbrach sie sich.

Mutsch hatte im Vorbeigehen das Englischbuch hochgenommen und einen Blick hineingeworfen. Dabei musste sie entdecken, dass darunter ein Pferdebuch lag.

„Mädchen, Mädchen! Was soll denn das nun wieder …“ Mutsch schüttelte verzweifelt den Kopf.

Steter Tropfen höhlt den Stein, dachte Bille. Eines Tages musst du doch nachgeben und mich reiten lassen!

Zum Glück ging jetzt die Ladenklingel und Mutsch hatte keine Gelegenheit mehr, ihr eine Gardinenpredigt zu halten.

„Morjn, Olga!“, hörte Bille jemanden sagen.

Das konnte nur Onkel Paul sein. Bille spitzte die Ohren.

„Na, wie geht’s uns denn immer so?“

„Äh …“, machte Mutsch unbestimmt. „Wie immer?“, fragte sie dann, um Onkel Paul abzulenken.

„Wie immer.“

Bille hörte, wie Mutsch für Onkel Paul die Brötchen in die Tüte füllte und über den Ladentisch schob.

„Schlechte Geschäfte, wie?“

„Ach, wenn’s nur das wäre. Aber die Lütte mit ihrem Pferdefimmel, das macht mich reineweg verrückt! Wo soll das bloß hinführen! So was Nutzloses. Und nix anderes im Kopp!“ Mutsch redete sich richtig in Zorn. „Reiten lernen! Als ob wir uns das leisten könn-ten – das wär ja noch schöner! Als wenn wir reiche Leute wären – und keine anderen Sorgen hätten!“, ereiferte sie sich.

„Na, na, nun mal langsam, Olga. Also erstens ist die Lütte doch ganz in Ordnung. Hat sie nicht bis jetzt immer gute Zeugnisse nach Hause gebracht?“

„Das schon, aber …“

„Und zweitens: Was den Pferdefimmel betrifft, da kann ich mich gut an eine junge Dame erinnern, der man vor dreißig Jahren – noch keine zwölf war sie! – vorgeworfen hat, sie würde sich mehr um die Pferde als um die Menschen kümmern. Die lieber im Stall geschlafen hat als in einem Bett, die …“

„Ach, hör doch auf!“, unterbrach ihn Mutsch. „Das war was ganz anderes damals, das ist doch alles vorbei und vergessen. Die Zeiten haben sich geändert!“

Bille kaute vor Aufregung immer schneller. Hochinteressant, was man da zu hören bekam! Dass Mutsch in ihrer Jugend auch so ein Pferdenarr gewesen war, hatte sie Bille bisher wohlweislich verschwiegen! Nur gut, dass Onkel Paul Mutsch schon als kleines Mädchen gekannt hatte.

Sie waren damals in Ostpreußen Nachbarskinder gewesen. Später waren ihre Familien auf der Flucht in einem Treck hier nach Wedenbruck gekommen und hatten sich eine neue Existenz aufgebaut. Mutsch hatte einmal erzählt, dass auf dem Treck auch ein paar wertvolle Trakehnerstuten mitgeführt wurden, die nach Groß-Willmsdorf kamen und deren Nachfahren jetzt unter Herrn Tiedjens erfolgreichsten Springpferden zu finden waren.

„Meine Große, die Inge“, fuhr Mutsch drüben fort, „die hat nie solche Flausen im Kopf gehabt. Die hat von Anfang an gewusst, wo ihr Platz im Leben ist – und nicht so rumgesponnen wie unser Küken da. Wenn wenigstens ihr Vater noch lebte – der hätte ihr die Dummheiten schon längst ausgetrieben. Aber auf mich hört sie ja nicht.“

„Aber Olga, was ist denn daran nun so Schlimmes, wenn man Pferde liebt und gerne reiten möchte! Du kannst doch deiner Tochter nicht was verbieten, was du haargenauso gemacht hast! Von wem hat sie’s schließlich?!“

„Sieh mal einer an!“, sagte Bille.

„Das war ganz was anderes!“, entgegnete Mutsch heftig. „Wir waren Bauern, für uns waren die Pferde damals lebenswichtig. Heute ist das doch nur noch Luxus.“

Für mich sind Pferde auch lebenswichtig, dachte Bille. Sie hätte sich allmählich auf den Weg machen müssen, Karlchen wartete sicher schon. Aber dieses Gespräch konnte sie sich auf keinen Fall entgehen lassen.

„Nur weil du damals einen dicken Strich unter deine Reiterträume gemacht hast, kannst du deiner Tochter doch nicht verübeln, dass sie die gleichen Träume hat!“, sagte Onkel Paul.

„So verrückt war ich nie!“

„Du warst noch verrrückter.“

Mutsch schwieg betroffen. Dann flüsterte sie, Bille konnte nicht verstehen, was sie sagte. Wahrscheinlich machte sie Onkel Paul darauf aufmerksam, dass ihr Gespräch mitgehört wurde. Jedenfalls räusperte sich Onkel Paul übertrieben laut und Bille sah ihn in Gedanken vor sich, wie er über das ganze Gesicht grinste.

„Ich kann ihr den Luxus jedenfalls nicht bieten“, sagte Mutsch bestimmt. „Sie soll sich man beizeiten um einen ordentlichen Beruf kümmern. Wer weiß, was alles noch kommt. Der Laden geht immer schlechter, jeder will heute nur noch in Supermärkten kaufen, wo er ’ne Riesenauswahl hat und alles zu Sonderpreisen kriegt. Da kann ich nicht mehr mithalten. Wir Kleinen gehen alle kaputt an euch großen Haien. Ja, ja – sieh mich nicht so an, du gehörst auch dazu mit deinem Spar-Markt. Und so jung bin ich auch nicht mehr …“

„Nu hör aber auf“, brummte Onkel Paul.

„Jedenfalls werde ich froh sein, wenn für das Küken gesorgt ist. Große Extrawürste sind da nicht drin.“

Drüben wurde die Tür aufgerissen, die Ladenklingel schellte.

„Ist Bille noch nicht fertig?“, fragte Karlchen atemlos.

„Ich komme schon!“, rief Bille, ehe Mutsch antworten konnte. Sie sprang auf, packte das Pferdebuch zusammen mit dem Pausenbrot in die Schultasche, trank im Stehen schnell den letzten Schluck Tee und rannte durch den Laden.

„Tschüss, ihr beiden Streithammel!“, rief sie übermütig und zog Karlchen mit nach draußen.

Ihr Fahrrad stand noch in der Garage. Karlchen fuhr ungeduldig im Kreis herum, bis sie es endlich an Mutschs Wagen vorbeigeschoben hatte und auf der Straße stand.

„Nun beeil dich schon, wir sind verdammt spät dran!“

„Weiß ich doch.“

Als sie draußen auf der Landstraße waren, fragte Karlchen plötzlich: „Warum hast du das vorhin gesagt?“

„Was denn?“

„Na, das mit den Streithammeln!“

„Ach …“, keuchte Bille, sie mussten kräftig gegen den Wind anradeln, der von der Ostsee herüberkam und ein wenig nach Salz schmeckte, „weißt du, sie haben sich ewig in der Wolle. Onkel Paul wirft Mutsch vor, dass sie so eigensinnig an dem Laden hängt, wo sie doch anderswo viel mehr verdienen könnte und nicht so schwer arbeiten müsste. Und Mutsch wirft Onkel Paul vor, dass er drüben in Leesten den Spar-Markt bauen will, weil sie dann noch mehr Kunden verliert, und dass er abends so oft im Krug am Stammtisch sitzt. Und dann meckert er wieder zurück, dass sie sich seit dem Tod von Vater nicht mehr hübsch zurechtmacht – und all so was.“

„Aber er geht doch dauernd zu ihr hin? Und da tun sie nichts weiter als streiten?“

„Verrückt, nicht?“

„Ich weiß nicht. Sie müssen sich gewaltig lieben …“, meinte Karlchen philosophisch.

„Wie kommst du darauf?“

„Bei meinen Eltern ist das so. Den ganzen Tag streiten sie sich, immer die gleiche Litanei, aber wehe, du sagst selbst mal was von dem, was sie sich so vorwerfen! Dann kannst du was erleben – dann gehen die richtig in die Luft!“

„Da ist Helga!“, unterbrach Bille Karlchens Überlegungen.

„Wer ist Helga?“

„Unsere Neue.“

Aus der Seitenstraße, die aus dem Nachbarort auf die Hauptstraße zulief, bog ein zierliches schwarzhaariges Mädchen ein und gesellte sich zu ihnen. Bille machte sie mit Karlchen bekannt. Karlchen bekam große Augen, als die hübsche Helga ihm gerade ins Gesicht sah, und seine Ohren nahmen unversehens die Farbe seiner brandroten Haare an.

„Wann habt ihr heute aus?“, fragte Karlchen.

„Halb eins“, antwortete Bille.

„Schade“, seufzte Karlchen. „Ich erst um halb zwei.“

Ein Sturz mit glücklichen Folgen

„He, Bille, wo willst du denn so schnell hin?“, rief Heike.

„Lass sie. Seit die nur noch die Pferde im Kopf hat, ist sie ein hoffnungsloser Fall“, sagte die pummelige kleine Elli und stopfte den Rest ihres Pausenbrots in den Mund.

Heike band gerade ihren Pferdeschwanz zusammen und suchte unter der Bank vergeblich nach der Haarspange.

„Ja, ich glaube auch, die können wir abschreiben“, sagte sie seufzend, wobei nicht ganz klar war, ob sie die Spange oder Bille meinte. „Seit Wochen ist sie nicht mehr mit zum Schwimmen gekommen. Ich versteh sie nicht.“

„Ich schon“, mischte sich Helga ein, die eigentlich ein bisschen traurig war, dass Bille nicht auf sie gewartet hatte. „Pferde sind doch was Wunderbares. Und Reiten. Aber wer kann sich das schon leisten.“

„Bille Abromeit sicher nicht!“, sagte Elli spitz.

Bille war wie immer als Erste draußen gewesen. Noch während die Schulglocke durch die Gänge schrillte, rannte sie über den Hof. Sie feuerte ihre Mappe mit gezieltem Griff auf den Gepäckträger, sprang aufs Rad und flitzte die Straße hinunter.

Wenn sie vor dem Mittagessen noch an der Koppel vorbeiwollte, musste sie sich beeilen.

Drei Kilometer nach Niendorf, dem Ort, in dem das Schulzentrum für sämtliche umliegenden Dörfer lag, bog sie von der Chaussee ab und fuhr auf einem Feldweg zur Stutenkoppel hinüber.

Heute waren nur Donau und Iris hier draußen, die beiden, die noch nicht gefohlt hatten. Die Köpfe gesenkt, standen sie in der Mitte der Koppel und rupften bedächtig die saftigsten Grasbüschel heraus. In ihren Mähnen spielte der Wind und Donaus fuchsrotes Fell leuchtete in der Mittagssonne, als hätte man sie in flüssiges Gold getaucht. „Donau! Iris!“ Bille kramte in ihrer Tasche nach den mitgebrachten Karotten. „Kommt her, meine Schönen, ich hab was für euch!“

Donau und Iris trotteten langsam heran, die gerundeten Bäuche schwer von dem bald zu erwartenden Nachwuchs. Als Erste streckte Donau ihren Kopf über den Zaun. Sie war jahrelang das erfolgreichste Springpferd in Herrn Tiedjens Stall gewesen. Nun hoffte er, dass sie ebenso erfolgreiche Kinder bringen würde. Dieses war ihr erstes Fohlen, in zwei Wochen sollte es so weit sein.

Donau nahm zart eine Möhre aus Billes flach ausgestreckter Hand. Wie weich ihr Maul war, wie hübsch die großen dunklen Augen, die schmale Blesse auf dem zierlichen Kopf, die kleinen Ohren! So ein Pferd einmal reiten zu dürfen – Bille bekam Herzklopfen, wenn sie nur daran dachte!

Inzwischen war auch Iris herangekommen. Sie war etwas kleiner als Donau, eine Rappstute mit einer weißen Flocke auf der Stirn und ein wenig scheu und kapriziös.

„Na, Gnädigste, gibst du mir heute die Ehre?“

Die Ohren der Stute spielten unruhig. Ganz lang machte sie den Hals, um Billes Hand zu erreichen. Bille spürte den warmen Hauch ihrer Nüstern, als sie prüfend die darauf liegende Mohrrübe beschnupperte.

„Aber, aber – wer wird denn so misstrauisch sein! So ist es gut, siehst du? Das schmeckt, nicht wahr?“

Iris war ein hervorragendes Springpferd. Trotzdem hatte sie wenig Erfolg gehabt, denn ihre Nervosität bei zu laut klatschendem Publikum oder ungewohnten Geräuschen ließ sie immer wieder Hindernisse verweigern oder unkonzentriert springen. Nun wollte Herr Tiedjen versuchen, ob die Mutterfreuden sie ruhiger machten.