Bin ich wirklich schuld? - Anna Ziegler - E-Book

Bin ich wirklich schuld? E-Book

Anna Ziegler

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Beschreibung

Ich bin in Schweinfurt geboren. Dort lebte ich die ersten Jahre glücklich bei meiner Oma. Dann zog ich mit meinen Eltern nach Berlin. Wir wohnten in einer Hauswartwohnung. Dort gab es immer das gleiche Essen und den Kuchen genoss mein Vater alleine. Durch sein kaputtes Funkgerät lernten wir Anton kennen. Er und mein Vater verstanden sich gut, sodass uns Anton immer besuchte, wenn er in Berlin war. Und so kam es, wie es gekommen ist. Mit dem Einzug bei Anton begann meine Hölle auf Erden... In meiner Geschichte geht es um einen jahrelang anhaltenden sexuellen Missbrauch, den ich erfahren habe, dem Umgang aller Beteiligten damit und wie ich mich dabei fühlte. Ich fragte mich sehr oft, ob ich schuld daran war.

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»Dieses Buch ist nichts für Zartbesaitete. Es macht betroffen. Die Autorin beweist Mut und große Stärke, ihre sehr private Geschichte zu erzählen und sich auf die Fahne zu schreiben, dem Thema sexueller Missbrauch mehr Öffentlichkeit zu geben. Aus meiner Sicht ist es dringend notwendig, die Schleier des Tabus zu lüften.«

Klana Mahani

»Das Buch ist eine Autobiografie und macht auf ein Tabuthema aufmerksam, körperliche und seelische Gewalt im Kindesalter. Die Geschichte nahm mich mit und hielt mich gefangen. Ich konnte gut mit Anna mitfühlen, obwohl ich in meiner Kindheit keinen sexuellen Missbrauch erlebte. Dieses Buch erzählt aber nicht nur ihre Geschichte, sondern zeigt auch Wege, wie sich ein junger Mensch mit seiner Vergangenheit konstruktiv auseinandersetzt und heute - trotz schockierender Erfahrungen - ein glückliches Leben führt.«

Elena Schulze

»Das Buch hat mich so gefesselt, dass ich es an einem Tag durchgelesen habe. Ich litt mit dem jungen Mädchen, das sich im Laufe des Buches zur jungen Frau entwickelte, in jedem Kapitel mit. Was mich sehr berührte, war ihre wiederkehrende Frage, ob und inwieweit sie selbst schuld an ihrem Missbrauch hatte.«

Claudia H.

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

EINLEITUNG

MEIN LEBEN IN SCHWEINFURT

DAS LEBEN BEI MEINER TANTE ELFRIEDE

DAS LEBEN BEI MEINEN ELTERN

DIE ERSTEN JAHRE BEI ANTON

MEINE BESTE FREUNDIN?

DIE ERSTEN BEIDEN FAHRTEN IM LKW

DIE REAKTION MEINER MUTTER

DIE NÄCHSTEN TOUREN

ANTONS ARBEITSLOSIGKEIT

DIE KÜNDIGUNG MEINER MUTTER

DIE ARBEITSLOSIGKEIT MEINER MUTTER

FAMILIE GERHARD

INES

DER KAMPF UM DIE ERLAUBNIS ZUR KLASSENFAHRT

ÄRGER MIT MEINEN KLASSENKAMERADEN

DIE KLASSENFAHRT

BESCHWERDE BEIM JUGENDAMT

ÖSTERREICH

DIE ANKUNFT

GESAMTSCHULE

DIE KONFIRMATIONSZEIT

DIE ARBEIT BEI FRAU ZIMMER

WIE ES NICOLE ERFUHR

DER KRANKENBESUCH

NICOLES VERDACHT

DIE TOUR

DAS BETATSCHEN IM HAUSFLUR

ANGST

ALKOHOL

DIE PROBESTUNDE

DIE ERSTEN TRAININGSSTUNDEN

DAS TREFFEN MIT JANINA

BLÖDE HAUSAUFGABEN

WIE WIR ZUSAMMENGEKOMMEN SIND

UNSER ERSTES TREFFEN

MEIN LEBEN MIT EINEM FREUND

MEIN SIEBZEHNTER GEBURTSTAG

FIX UND FERTIG ZUM SPORT

DIE NÄCHSTEN TRAININGSEINHEITEN

DAS TREFFEN MIT JANINA

DER LETZTE VERSUCH ABZUHAUEN

DER NÄCHSTE TAG

DAS ZWEITE GESPRÄCH BEIM JUGENDAMT

DIE SUCHE NACH EINEM HEIMPLATZ/ BETREUTEN WOHNPLATZ

ABHOLEN EINIGER SACHEN

DIE ZEIT IM BETREUTEN WOHNEN

MEIN ERSTER RICHTIGER URLAUB

EINLADUNG ZUM MITTAGESSEN

BRAUCHE ICH WIRKLICH EINE THERAPIE?

DIE ERSTEN THERAPIESTUNDEN

MEIN ACHTZEHNTER GEBURTSTAG

WOHNUNGSSUCHE

MEINE ERSTE WOHNUNG

THERAPIE

DAS ERSTE MAL

AUSBILDUNG

DIE TRENNUNG

MEIN LEBEN ALS SINGLE

DIE ANZEIGE

BEGINN MEINER NEUEN AUSBILDUNG

NICO

ANRUFE

SINGLE-PARTY

MEIN ERSTES DATE MIT NICO

MEIN ZWEITES DATE

DAS NÄCHSTE TREFFEN MIT NICO

MEINE NÄCHSTEN THERAPIESTUNDEN

DIE NÄCHSTEN TREFFEN MIT NICO

DIE ZEIT OHNE NICO

AUSMUSTERUNG

DIE PARTY

NICO ERFÄHRT ALLES

DER UMZUG

DIE ERSTEN MONATE BEI NICO

SEINE MUTTER

UNSERE WOHNUNG

DER PROZESS STARTET

DER ERSTE GERICHTSTERMIN

DIE WEITEREN GERICHTSTERMINE UND DIE BEZIEHUNG ZU NICO

SCHLUSSWORT

HIER BEKOMMST DU HILFE

VORWORT

Jahr für Jahr gibt es alleine in Deutschland laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) weit über 10.000 erfasste Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch. Im Jahr 2022 waren es 15.520. Die Dunkelziffer ist weit höher.

Bei jedem Fall, der in die Öffentlichkeit kommt, reagieren wir schockiert.

»Wie konnte das passieren?«

»Warum hat niemand etwas gemerkt?«

»Der Nachbar war doch immer so nett und zuvorkommend. Das hätten wir niemals für möglich gehalten.«

Doch es ist möglich und es passiert jeden Tag!

So entsetzlich die sexuellen Übergriffe und Vergewaltigungen für Kinder sind, haben die meisten Kinder zusätzlich permanent die quälenden Gedanken, warum ihnen niemand glaubt, niemand hilft und ob sie womöglich selbst daran schuld sind.

In ihrer Autobiografie nimmt uns die Autorin Anna Ziegler mit in ihre Kindheit und Jugend, die sie selbst als Hölle auf Erden bezeichnet. Ein Familienleben, das an emotionaler, körperlicher und sexueller Gewalt kaum vorstellbar ist. Sie erlaubt uns tiefe Einblicke in ihre damalige Gefühlswelt, mit all ihrer Verzweiflung, ihrem Ekel und ihrem andauernden Schrei nach Hilfe, der viel zu lange auf taube Ohren stieß.

»Mama, warum glaubst du mir nicht?«

Endlich, kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag, schafft sie mit ihrem Auszug den Schritt heraus. Sie beginnt eine Therapie und begibt sich auf den langen und mühsamen Weg aus der Opferrolle heraus, hin zu einer selbstbewussten, starken, betroffenen Frau, die sie heute ist. Dabei gehört die Aufarbeitung und das Schreiben mit zu ihrem Prozess.

Doch Anna Ziegler möchte mehr. Für sie sind die jährlichen Opferzahlen der PKS nicht nur bloße Statistik, sondern jede Zahl steht für ein Kind, wie sie es selbst war.

Zugegeben, dies ist kein leicht zu lesendes Buch, das man kurzweilig nebenbei zur Hand nimmt. Es berührt einen zutiefst, macht einen stellenweise unsagbar traurig und auch wütend. Dann gibt es wieder zarte und sogar fröhliche Momente, die wieder Hoffnung machen.

Schließlich aber ist da so viel Kraft und Mut eines Mädchens - einer jungen Frau, die endlich selbst den Entschluss fasst, ihr Leben zu ändern. Anna Ziegler öffnet uns die Augen, die wir am liebsten vor der Gewalt verschließen, bis wieder etwas Schlimmes passiert.

All die unzähligen Übergriffe, die unzählige Kinder mitten unter uns erleiden und die wir so gekonnt verdrängen, ganz nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Wenn wir wirklich etwas zum Wohl der Kinder verbessern wollen, müssen wir uns dieser Realität stellen. Es geht darum, Hintergründe zu verstehen, Zusammenhänge zu begreifen und mutig anzusprechen, wenn uns etwas seltsam vorkommt.

Es gilt Schutzkonzepte in Kindergärten, Schulen, Sportund Freizeiteinrichtungen fest zu etablieren, Fachkräfte weiterzubilden und Eltern aufzuklären. Besonders sinnvoll sind Selbstwert- und Präventionskurse für Kinder in Kitas und Schulen, wo speziell dafür ausgebildete Trainer*innen Kinder gegenüber Grenzüberschreitungen stärken.

Liebe Anna, ich danke dir von ganzem Herzen für deine Kraft und deinen Mut, dieses Buch zu schreiben und für deine Arbeit in der Aufklärung.

Panja Acksel, Gründerin der Stiftung »Glückliche Kinder - Starke Menschen« und dem Institut für Prävention & Achtsamkeit.

EINLEITUNG

In diesem Buch erzähle ich meine Geschichte über den langjährigen sexuellen Missbrauch, den ich erfahren musste. Ich schreibe darüber, wie meine Umwelt darauf reagierte, wie ich mich gefühlt habe und wie es mir gelungen ist, dem Teufelskreis zu entfliehen. Alles, was ich über mein Leben erzähle, ist tatsächlich passiert. Meine Vergangenheit ist schockierend und manches klingt vielleicht unglaublich. Doch ich versichere, dass ich das, was ich niederschrieb, genauso erlebt habe.

Ich möchte mit meiner Geschichte zeigen, dass man, egal was man erlebt hat, etwas Positives aus seinem Leben machen kann. Ich möchte Betroffenen Mut machen zu kämpfen und sich gegebenenfalls Hilfe zu holen. Auch möchte ich der Scham entgegensteuern, die Betroffene davon abhält, sich Hilfe zu holen.

Auf der anderen Seite will ich denjenigen, die keine schrecklichen Erfahrungen gemacht haben, die Augen öffnen, was alles möglich sein kann. Ich veröffentliche meine Geschichte, um das Thema mehr in die Öffentlichkeit zu bringen, da es sich in meinen Augen nach wie vor um ein Tabu-Thema handelt.

Aus Sicherheitsgründen habe ich alle Namen geändert. Wenn ein Name genannt wird, der dir bekannt vorkommt, ist das nicht beabsichtigt, sondern rein zufällig.

MEINLEBENINSCHWEINFURT

Mein Name ist Anna Ziegler. Ich bin in Schweinfurt geboren. Ich habe zwei Brüder, mit denen ich aber nicht aufgewachsen bin und daher kaum kenne. Die ersten sechs Jahre habe ich bei meiner Oma, Vaters Mutter, gelebt. Dort ging es mir richtig gut, denn ich bekam alles, was ich haben wollte. Meine Großeltern kümmerten sich sehr gut um mich. Ich war Opas Lieblingsenkelin und genoss die Zeit mit ihm sehr. Er arbeitete als Taxifahrer und unternahm viele schöne Dinge mit mir. Wir gingen auf den Spielplatz, in den Streichelzoo, Schwimmen und machten viele andere Ausflüge. Jeden Abend las er mir eine Geschichte vor.

Im Kindergarten hatte ich, wie meine Oma mir später erzählte, eine Kindergartenliebe, an die ich mich gut erinnere. Mit meinem Freund habe ich täglich gespielt und auch viel Zeit außerhalb des Kindergartens verbracht. An seinen Namen erinnere ich mich nicht mehr, wohl aber daran, warum diese Freundschaft endete. Wir bewarfen uns gegenseitig mit kleinen Kieselsteinen. Wer diese Idee hatte, weiß ich nicht mehr. Dieses Spiel endete damit, dass meine Oma mit mir ins Krankenhaus fuhr, da mich ein Stein zwischen Nase und Mund traf. Es blutete stark und musste genäht werden. Seit diesem Tag habe ich nie wieder mit ihm gespielt.

Zurück zu meinen Brüdern. Meine Brüder kamen im Alter von ein und zwei Jahren zu Pflegeeltern. Da ich mit meinen drei Jahren bereits bei meiner Oma lebte, betraf mich das nicht. Aufgrund einer Kinderschutzmeldung kam das Jugend amt zu meinen Eltern. Da meine Brüder viele blaue Flecken hatten, wurden sie meinen Eltern weggenommen.

Meine Eltern, meine Oma und ich gingen sie manchmal besuchen. Ich erinnere mich deutlich an einen Besuch; wir spielten auf dem Hof und ein fremder, unbekannter Mann näherte sich uns. Ich beobachtete, dass mein ein Jahr jüngerer Bruder seine Fäuste ballte und dem Mann zurief, er solle mich in Ruhe lassen. Das zeigt deutlich, dass wir Geschwister damals eine Bindung zueinander hatten.

Eines Tages verboten uns die Pflegeeltern die Beiden zu besuchen, zumindest haben mir das meine Eltern erzählt.

Meine Großeltern, meine Mutter und ich waren häufiger in Venedig. Ich erinnere mich, wie gerne ich auf dem Platz die Tauben gefüttert habe und wie verwundert ich war, dass die Häuser dort auf langen Holzstäben stehen. Ich glaube, ich habe sehr viele Fragen gestellt.

Erinnerungen habe ich auch an ein Weihnachtsfest mit vielen Verwandten. An Heiligabend kam der Weihnachtsmann und brachte uns Geschenke. Sehr deutlich in Erinnerung ist mir geblieben, dass eine meiner Tanten mit der Rute ein paar Schläge auf ihren Popo erhielt. Ich weiß nicht mehr, was ich in diesem Moment dachte.

Bei einem anderen Ausflug - wohin es ging, weiß ich nicht mehr - habe ich ein Eis gegessen. Das ist an sich nichts Besonderes, wenn ich nicht eine Biene mitgegessen hätte. Denn während ich mich mit meinem Opa unterhielt, achtete ich nicht auf mein Eis. Plötzlich bekam ich keine Luft mehr, da mich eine Biene in den Hals gestochen hatte. Während meine Mutter nichts unternahm, reagierte mein Opa sofort. Schnell fuhren wir in die Notaufnahme. Ein Arzt holte die tote Biene aus meinem Hals und versorgte die Stichwunde.

Das nächste, woran ich mich erinnere, war der Auszug meines Opas. Keiner erklärte es mir. Plötzlich hatte mein geliebter Opa keine Zeit mehr für mich. Ich schien ihm egal zu sein, deshalb war ich sehr traurig und enttäuscht. Was ist denn bloß passiert? Warum hatte Opa keine Zeit mehr für mich? Habe ich etwas falsch gemacht? Ich hatte unzählige Fragen. Die meisten Fragen konnte mir meine Oma nicht beantworten, doch sie gab mir Halt und versuchte mich aufzufangen. Schon in diesem Alter kam bei mir die Frage der eigenen Schuld auf.

Mit sechs wurde ich eingeschult. Ich bekam eine schöne Schultüte mit vielen Süßigkeiten und Schulsachen. Es war ein schöner Tag. Ungefähr drei Monate später zog Oma bei meiner Mutter ein. Wo mein Vater zu diesem Zeitpunkt war, kann ich nicht sagen. Ich erinnere mich nicht mehr daran, ob er da oder abwesend war.

Meine Mutter brachte mich täglich zur Schule. Im ersten halben Schuljahr lernte ich, wie alle anderen auch, die ersten Buchstaben und Zahlen; ich las die ersten Worte. Dann wurde ich krank und musste ins Krankenhaus. Dort verbrachte ich ein halbes Jahr, denn es bestand der Verdacht auf eine Hirnhautentzündung. Was ich wirklich hatte, habe ich nie erfahren. Deshalb ist mir unbekannt, warum ich so lange im Krankenhaus gelegen hatte.

Die Ärzte hatten mich an meinen Händen und Füßen ans Bett festgebunden. Seitdem habe ich Angst vor Krankenhäusern. Ich hoffe, dass ich mich richtig daran erinnere, da ich mir jetzt als Erwachsene nicht vorstellen kann, im Krankenhaus gefesselt worden zu sein. Angst vor Krankenhäusern habe ich dennoch. Als ich aus dem Krankenhaus herauskam, zogen meine Eltern mit mir nach Berlin.

Den genauen Grund, für den Umzug nach Berlin, weiß ich nicht mehr. Es könnte aber sein, dass mein Vater zurück nach Berlin wollte, da er dort geboren wurde.

DASLEBENBEIMEINERTANTEELFRIEDE

In Berlin zogen wir übergangsweise zu Tante Elfriede und Onkel Hans. Tante Elfriede empfahl meinen Eltern, mich auf eine Grundschule mit Förderschwerpunkt Sprache zu schicken, weil wir aus Schweinfurt kamen und ich einen sehr starken fränkischen Dialekt sprach. Diesem Rat sind meine Eltern gefolgt. Wie genau das möglich war, kann ich nicht sagen, heute weiß ich, dass man dazu einen Förderschwerpunkt benötigt. Am Tag meiner zweiten Einschulung wurde ich von meinen Mitschülern ausgelacht, weil ich keine Schultüte hatte. Daher hatte ich am ersten Schultag keinen Spaß, sondern war sehr verletzt und traurig darüber. Doch im Laufe der Zeit lebte ich mich ein und verstand mich gut mit meinen Klassenkameraden.

Ich hatte sogar eine beste Freundin, die Vivien hieß. Doch kommen wir wieder auf das Leben bei meiner Tante zurück.

Jeden Abend mussten Nick und ich uns gründlich waschen und gründlich die Zähne putzen. Wer Nick ist? Nick ist mein Cousin, also der Sohn meiner Tante. Er war damals ein Jahr älter als ich, also acht Jahre alt.

Nach dem Waschen und Zähneputzen durften wir uns noch einen Videofilm ansehen. Doch dazu kam es nur selten, weil Nick oft behauptete, dass ich mir nicht die Zähne geputzt habe. Ich war jedes Mal sehr sauer auf meinem Cousin und gleichzeitig traurig, da ich keinen Film gucken durfte. Stattdessen musste ich noch einmal ins Bad und mir die Zähne putzen. Als meine Eltern eine Wohnung gefunden hatten, zogen wir um.

DASLEBENBEIMEINENELTERN

Unsere Wohnung hatte zwei Zimmer, ein Wohnzimmer und mein eigenes Zimmer. Im Flur stand das Bett meiner Eltern hinter einem Vorhang verborgen. Meine Eltern hatten eine Hauswartwohnung und waren dafür zuständig, den Hausflur und Hinterhof sauber zu halten. Von nun an war unser Essen einfallslos, denn es gab immer dasselbe. Montags bis freitags gab es immer Spaghetti, samstags immer Eierkuchen und sonntags immer Eierkuchensuppe. Da mein Vater meinen Teller jedes Mal auffüllte, nachdem ich aufgegessen hatte, schaffte ich mein Essen nicht. Doch er verlangte von mir aufzuessen, daher musste ich oft brechen.

Wenn es ab und zu Kuchen gab, aß ihn mein Vater immer alleine. Er nahm keine Rücksicht darauf, ob ich und meine Mutter etwas abhaben wollten. Ich hörte jedes Mal ein »Nein«, wenn ich ihn fragte, ob auch wir ein Stück Kuchen essen dürfen. Das machte mich sehr traurig. Nach den Hausaufgaben musste ich immer ins Bett. In den Ferien bestand meine Aufgabe darin, die Aufgänge sauber zu halten. Dann gab es Essen und im Anschluss daran musste ich wieder ins Bett.

Mein Schulweg war nun länger und ich fuhr ohne meine Mutter zur Schule. Ab der U-Bahn-Station Möckernbrücke fuhr ich meistens gemeinsam mit Vivien und in der Prinzenstraße trafen wir auf Bärbel. Da Bärbel keine Fahrkarte hatte, kamen wir auf die geniale Idee, einfach die Monatskarte zu teilen. Damals gab es auf den Monatskarten noch keine Fotos, sondern nur Aufkleber, aus welchen hervorging, welche Linien man fahren durfte. Meine Monatskarte schmückten drei Aufkleber, die es mir erlaubten, mit der U7, U1 und einer Buslinie zu fahren.

Wir drei Mädchen stiegen also in den Bus. Zuerst stieg Vivien ein, dann ich und zum Schluss Bärbel. Nachdem ich kontrolliert wurde, steckte ich Bärbel hinter meinem Rücken das Ticket zu. Meistens merkten die Busfahrer nicht, dass es sich um dasselbe Ticket handelte. In den ganzen Jahren, wurden wir nur zwei Mal erwischt und gefragt, wem denn die Karte wirklich gehöre. An diesen Tagen sind wir zu Fuß zur Schule gelaufen. Der Fußweg war nicht wirklich weit; ca. zehn Minuten lief man von der U-Bahn zur Schule. Ja, ich weiß, das war wirklich nicht in Ordnung, aber damals als Kind dachte ich nicht darüber nach. Auch ich habe Dummheiten gemacht.

Einen weiteren Kinderstreich, den ich spielte, fand ich im Nachhinein ziemlich lustig. Meine Mutter ging einkaufen und vergaß ihren Wohnungsschlüssel. Als sie zurückkam, klingelte sie. Ich fragte: »Wer ist da?« Meine Mutter sagte: »Ich bin es, deine Mama.« Ich erwiderte: »Das kann ja jeder sagen. Schließlich bringen einem die Eltern bei, dass man keine Fremden in die Wohnung lassen darf. Man soll auch nichts annehmen oder mit Fremden mitgehen.« Meine Mutter sagte, ich solle aus dem Fenster schauen, sie würde ein Stück zurückgehen, dann könne ich sehen, dass sie die Person ist, für die sie sich ausgibt.