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Mit einem Vorwort von Gerald Hüther
Die Natur ist das beste Mittel gegen Zivilisationsleiden wie Stress, Herz-Kreislaufprobleme und depressive Verstimmung. Im Wald stärken wir unser Immunsystem und unsere Organe bis zu den Zellen. Aber wie die heilende Kraft der Natur in der Stadt erleben? Waldbaden in der City? Clemens Arvay ist optimistisch. Der Biologe zeigt, wie und warum sich naturnah gestaltete Großstädte positiv auf die Gesundheit des Einzelnen und auf das gesamtgesellschaftliche Wohlbefinden auswirken. Die biophile Stadt der Zukunft besteht aus einem Netzwerk von Ökokorridoren, garantiert verbesserte Luftqualität und bietet Naturerfahrung für jeden. Mit Tipps, wie Stadtbewohner die Heilkraft der Natur schon jetzt effizient nutzen können.
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Seitenzahl: 434
Buch
Die Natur ist erwiesenermaßen das beste Mittel gegen Zivilisationsleiden wie Stress, Herz-Kreislauf-Probleme und depressive Verstimmung. Im Wald stärken wir unser Immunsystem und unsere Organe bis zu den Zellen. Aber wie die heilende Kraft der Natur in der Stadt erleben? Waldbaden in der City? Clemens Arvay ist optimistisch. Der Biologe zeigt, wie und warum sich naturnah gestaltete Großstädte positiv auf die Gesundheit des Einzelnen und auf das gesamtgesellschaftliche Wohlbefinden auswirken. Sein Konzept der »biophilen Stadt der Zukunft« rückt mit der Kraft der Bäume auch gegen Dieselabgase an. Mit praktischen Tipps, wie Stadtbewohner die Heilkraft der Natur schon jetzt aktivieren und nutzen können.
Weitere Informationen zu Clemens G. Arvay finden Sie am Ende des Buches.
Clemens G. Arvay
Biophilia in der Stadt
Wie wir die Heilkraft der Natur in unsere Städte bringen
Mit einem Vorwort von Gerald Hüther
OriginalausgabeDer Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.HinweisDa Sachbücher ein hohes Maß an Übersichtlichkeit und Lesbarkeit beanspruchen, wurde beim Verfassen des vorliegenden Buches weitgehend auf geschlechtsneutrale Formulierungen verzichtet. Sofern es aus dem Kontext nicht anders hervorgeht, sind stets Frauen und Männer gleichermaßen gemeint und angesprochen.
1. AuflageCopyright © 2018by Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: UNO Werbeagentur MünchenUmschlagmotiv: Masterfile/Ikon Images; FinePic®, MünchenRedaktion: Judith MarkSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-22493-6V002www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz
»Sogar ein New York City Girl braucht eine Verbindung mit der Natur.«1
Mark Hoelterhoff, Psychologe, Universität von Cumbria, England
INHALT
VORWORT von Gerald Hüther
EINLEITUNG Wir sind geborene Biophiliacs
I. Das heilsame Trio des Waldes Die Erforschung des Biophilia-Effekts geht weiter
Wildwasser als Medizinlabor
Wasserfall-Plasma: ein »kosmisches« Gesundheitselixier steigert die Abwehrkräfte
Erstaunlich wirksam: Wildwasserkur gegen Asthma
Wasserfallmäuse – Placeboeffekt ausgeschlossen
Wasserfälle als Antidepressiva ohne Nebenwirkungen
Stadtluft: keine Spur von gesundem Plasma
Gesundheitskur aus der Erde
Der Kosmos im Boden
Mit dem Biophilia-Bakterium das Immunsystem trainieren
Doping für die Psyche: das Biophilia-Bakterium im »Darm-Hirn«
Hilfe aus der Erde bei Depression und psychischen Erkrankungen
Die Botschaft des Biophilia-Bakteriums an die Stadtbewohner
Die Waldluftapotheke
Die »Sprache« der Bäume
Wie Botenstoffe von Bäumen das Immunsystem der Stadtbewohner stärken
Waldbaden fördert die Anti-Krebs-Geschütze unseres Körpers
Auf die Terpene kommt es an
Natürliche Team-Player
II. Biophilia in der Stadt der Gegenwart Der Biophilia-Effekt für Stadtbewohner im Hier und Jetzt
Waldbaden für Stadtbewohner
Als ich mit der Straßenbahn ins Gebirge fuhr
Das Gute liegt so nah: die grünen Lungen der Stadt
Im Großstadtdschungel: Waldbaden in der Stadtmitte
Stadtwälder als Refugien der »Ur-Natur«
Wie Stadtwälder unsere Psyche heilen
»Wegsein«: Auszeit für Stadtbewohner
Naturfaszination – Modus der geistigen Regeneration
Das urbane Wald-Büro zum Aufklappen
Wie George in einem Stadtwald in London seelische Heilung fand
Die Neurobiologie des urbanen Waldbadens
Gesund, clever, geschickt: die neuen Waldkinder der Stadt
Virtuelle Matrix statt Naturkontakt?
Kindheitserinnerungen: Aufwachsen als urbaner Biophiliac
»Rain Man« im Wald
Wie Kinder schon heute von Stadtwäldern profitieren
Die Eckpfeiler der Naturpädagogik
III. Die biophile Stadt der Zukunft Was Wolkenkratzer und Termitenhügel gemeinsam haben
Die Natur kehrt zurück
Die Stadt neu denken: das urbane Ökosystem
Die Termitenstadt
Das große Gesundheitspotenzial der Stadtbäume
Bäume in die Stadt einladen
Der »Urbanophilia-Effekt«
Mehr Öko statt System
Das heilsame Trio des Waldes in die Stadt holen
Die Befreiung unserer urbanen Flüsse
Biophilia-Korridore
Öko-Psychosomatik in der Stadt
Biophile Architektur: Bauen für das »Reptiliengehirn«
Wo die Wolkenkratzer der Zukunft wachsen
Nehmen und Geben – Stadtplanung im Einklang mit der Natur
Den Häusern neues Leben einhauchen
Stadt aus Lehm
Jenseits von drinnen und draußen
Indoor-Biophilia
Urbanes Gärtnern: unterwegs zur biophilen Stadt der Zukunft
Kuleana: unsere Verantwortung für die Erde
Urbane Gemeinschaftsgärten: eine globale Biophilia-Bewegung
Die Stadt als Chance für den Ökolandbau
Grüne Stadt – soziale Stadt
IV. Stadt der Zukunft, Stadt der Menschen Ein Ausklang
DANKE!
ANHANG
Was ist Öko-Psychosomatik?
Wo ist der nächste Stadtwald?
Wie finde ich einen urbanen Waldkindergarten?
ANMERKUNGEN
REGISTER
VORWORT von Gerald Hüther
Sicher kennen Sie diesen etwas sarkastischen Witz, in dem ein fremder Planet unserer Erde mit den Worten begegnet: »Du schaust aber gar nicht gut aus«. »Ach ja«, sagt die Erde, »ich habe Menschen«. »Das geht vorüber«, ruft ihr der andere zu und fliegt weiter.
Stimmt es, dass alle Menschen dabei sind, der in Jahrmillionen entstandenen Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten ein jähes, globales Ende zu bereiten? Oder sind das nicht vielmehr nur diejenigen, die ihren Bezug zu unserer natürlichen Lebenswelt verloren haben? Deren Zahl steigt allerdings schon seit einigen Generationen in bedenklicher Weise an. Und sie leben fast alle in Städten. Sie leben von dem, was überall dort, wo einst die natürlichen Lebensräume dieser lebendigen Vielfalt waren, inzwischen industriell angebaut, gemästet und produziert wird.
Wer nicht völlig einfältig ist, weiß, dass es so nicht weitergehen kann. Ratlos machen sich deshalb die ersten fertig für den Flug zum Mars. Andere sägen unbekümmert weiter an dem Ast, auf dem sie sitzen, offenbar hoffend, dass er noch bis zu ihrem Ableben hält. Und den meisten ist wohl gar nicht bewusst, wie sehr sie von dieser Natur abhängig sind, die sie zerstören, weil sie keinen Bezug mehr zu ihr haben.
An diese vielen Menschen wendet sich Clemens G. Arvay mit diesem Buch, und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Die Marsflieger sind keine geeignete Zielgruppe für seine Botschaften, und an den Ignoranten prallen alle Argumente ab. Aber die meisten Menschen, die in unseren Städten leben und Gefahr laufen, ihre Verbundenheit mit der Natur zu verlieren, sind durchaus bereit, sich wieder auf die Natur und ihre lebendige Vielfalt einzulassen. Jedenfalls dann, wenn es dafür überzeugende Argumente gibt.
Dass dort oben, im Gehirn, bis ins hohe Alter neue Netzwerke gebildet, neue Verknüpfungen aufgebaut und somit neue Lernerfahrungen verankert werden können, ist ja eine der wichtigsten Erkenntnisse der Gehirnforscher im 21. Jahrhundert. Aber solche Umbauprozesse kommen eben nur dann in Gang, wenn Menschen etwas erfahren, das sie für ihr Leben als wichtig erachten. Genau hier setzt Arvay an, indem er auf unterhaltsame und verständliche Weise erklärt, was die Natur an wunderbaren Heilmitteln für Stadtmenschen bereithält.
Wer »Mykorrhiza« bisher eher für den Namen einer neuen Girls-Band gehalten hat, dem wird angesichts der gesundheitsfördernden Leistungen dieses unterirdischen Pilzgeflechts der Atem stocken und der Mund offenstehen. Gut so! Jede erfreuliche Veränderung beginnt mit einem Staunen. Und die größte Faszination bieten uns die Wunder der lebendigen Natur. Danke, lieber Herr Arvay, für diesen Augenöffner!
Aber was nützt alles Wissen, das uns staunen lässt, wenn wir das Erstaunliche nicht selbst, am eigenen Leib erleben? Wie gut also, dass dieses Buch nicht nur deutlich macht, was für Schätze die Natur für uns bereithält, sondern auch zeigt, wo wir sie finden: Mitten in der Stadt, vor unserer Haustür, überall, wenn man beginnt, den Blick weg von Asphalt und Beton und hin auf all diese kleinen natürlichen Lebensräume der Stadt zu richten. Und wer so, also wieder mit dem Herzen zu sehen gelernt hat, beginnt sich nicht nur mit seinem Verstand, sondern auch mit seinem Gefühl mit der Natur zu verbinden. Solche Stadtbewohner achten dann auch darauf, dass die natürlichen Lebensräume nicht nur erhalten, sondern erweitert werden – in ihrer Stadt und auch außerhalb, überall in der Welt.
Das also hat der fremde Planet offenbar gemeint, als er die Erde mit seiner Bemerkung, »das geht vorüber« zu trösten versuchte: Wenn endlich immer mehr Menschen ihre lebendige Verbundenheit mit der Natur wiederentdecken, kann die Erde auch wieder gesunden.
Gerald Hüther
Göttingen, im Frühling 2018
www.gerald-huether.de
www.akademiefuerpotentialentfaltung.org
EINLEITUNG Wir sind geborene Biophiliacs
Auf der Suche nach dem Biophilia-Effekt in der Stadt nahmen meine Abenteuer für dieses Buch im Frühjahr 2017 ihren Anfang. Mit »Biophilia-Effekt« meine ich ein Naturerlebnis mit äußerst positiven Auswirkungen auf unsere körperliche Gesundheit und unser psychisches Wohlbefinden. Diese Auswirkungen lassen sich wissenschaftlich mit modernen Methoden nachweisen. Ich habe in meinen früheren Büchern bereits darüber berichtet. Der Biophilia-Effekt kann sogar ernsthafte chronische Erkrankungen in der Stadt zurückdrängen und eine biologische Verjüngungskur der Stadtbewohner in Gang setzen. Urbane Wälder haben das Potenzial, die Gehirnentwicklung unserer Kinder zu fördern. Auf all das werde ich im Verlauf dieses Buches noch zurückkommen und zugleich Antworten auf die Frage geben, die mir in den letzten Jahren am häufigsten gestellt wurde: Wie können Stadtbewohner in den Genuss der Heilkräfte der Natur kommen? Oder anders gefragt: Wie können wir Biophilia in der Stadt erleben?
Schon Erich Fromm, der große deutsch-amerikanische Psychoanalytiker und Menschenfreund, wusste, dass die Liebe zur Natur bei jedem oder zumindest fast jedem Menschen zu finden ist. Malerische Landschaften sowie das rege Leben und Wachstum von Pflanzen und Tieren ziehen uns wie magisch an und machen uns glücklich. Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, wie sich Biophilia anfühlt. Dazu brauchen wir beispielsweise nur an die Glücksgefühle zu denken, die jedes Jahr mit dem Frühling ins Land ziehen, wenn die Vegetation zu neuem Leben erwacht und überall die Frühjahrsblüher aus dem Boden schießen. Dann zieht es Millionen von Städtern in die Waldgebiete am Stadtrand oder in die florierenden Parks. Auch das ist ein Biophilia-Effekt. Fromm schrieb 1964 in seinem Aufsatz The Heart of Man, der später unter dem Titel Die Seele des Menschen übersetzt wurde, dass es uns lebendig und gesund erhält, wenn wir die biophilen Kräfte in uns aktivieren.2 Das geschieht, indem wir mit der Natur in Kontakt kommen.
Wir Menschen sind geborene »Biophiliacs«, also geborene Natur-Freaks. Zwar verhalten wir uns als Gesellschaft eher naturzerstörerisch – und das reicht weit in die Menschheitsgeschichte zurück –, aber der einzelne Mensch findet im Regelfall großen Gefallen an der Natur. Dieser Widerspruch lässt sich aufheben, wie ich in diesem Buch zeigen werde. Ich bin davon überzeugt, dass persönliche Heilung sowie die Heilung unserer Gesellschaft nur dann nachhaltig möglich sind, wenn wir die Natur wieder zurück in unser Leben und in unsere Lebensräume holen – auch oder vor allem in der Stadt. Wir Menschen sind ja Naturwesen und werden es für immer bleiben. Unsere Spezies hat sich in einem langwierigen Evolutionsprozess im ständigen Austausch und Wechselspiel mit Pflanzen, Tieren und Ökosystemen entwickelt. Wir tragen die Handschrift der Natur in jeder unserer Zellen und tief in unserer Psyche. Jeder Mensch sollte durch seine Geburt als Homo sapiens ein Recht auf Zugang zu gesunden, ökologisch intakten Lebensräumen haben, egal, wo er wohnt oder arbeitet. Denn die Trennung von der Natur lässt uns körperlich und psychisch krank werden, während Naturkontakt uns gesund hält oder unsere Heilung unterstützt. Die wissenschaftlichen Belege für diese Aussagen mehren sich. Sie beruhen auf anerkannten Forschungsmethoden der Biologie, Medizin, Psychologie und der Sozialwissenschaften. Beispielsweise nimmt für Stadtbewohner die Gefahr einer Herz-Kreislauf-Erkrankung nachweislich ab, wenn rund um ihre Wohnungen Bäume gepflanzt werden. In Waldgebieten sinkt die statistische Häufigkeit von Krebserkrankungen, was ein starkes Argument für mehr Stadtwälder ist. Naturspaziergänge wirken sich äußerst positiv auf unser Immunsystem aus, während Stadtspaziergänge diese Wirkung nicht haben.3 Derzeit bekommen im Vergleich zum ländlichen Raum achtmal mehr Stadtkinder Asthma.4 Stadtbewohner erkranken, je nach Größe der Stadt, mit 68 bis 77 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit an einer Psychose. Ob wir in einer Stadt leben oder auf dem Land, hat sogar einen stärkeren Einfluss auf unser statistisches Schizophrenie-Risiko als die genetische Veranlagung.5 Auch das Risiko einer Depression nimmt durch die Urbanisierung zu, während der Kontakt zur Natur die Heilung der genannten psychischen Beschwerden unterstützt.
Der Biophilia-Effekt hilft Stadtbewohnern dabei, ihre körperliche und psychische Gesundheit zu schützen. Die Begrünung von Städten schwächt Aggressionen ab und führt zu einer friedlicheren Koexistenz in Ballungsräumen.6 Opfer von Gewalt, Krieg und traumatischen Ereignissen profitieren von urbanen Therapiegärten, und das Zusammenleben zwischen Migranten und der einheimischen Bevölkerung lässt sich durch Integrationsgärten deutlich verbessern.7
Dieses Buch befasst sich ausführlich mit den Zusammenhängen zwischen Natur und Gesundheit und zeigt auf, was Stadtbewohner jetzt schon tun können, um in den Genuss der Heilkraft der Natur zu kommen. Dazu brauchen Sie das Stadtgebiet nicht zu verlassen, und ich beschreibe nur solche Zugänge zur Natur, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. Ich liefere Ihnen zahlreiche konkrete Beispiele aus dem deutschsprachigen und internationalen Raum. Denn das gesundheitsschützende »Waldbaden« ist in allen unseren Metropolen jederzeit möglich. Im Original heißt das Waldbaden »Senlinyu« und ist eine alte Tradition aus China, die sich mehr als 2500 Jahre zurückverfolgen lässt. Der chinesische Ursprung ist im Westen unbekannt. Hingegen hat sich eine Variante unter dem Namen »Shinrin Yoku« aus Japan bis nach Europa und in die USA verbreitet. »Shinrin Yoku« ist eine japanische Übersetzung aus dem Chinesischen, die erst 30 Jahre alt ist. In diesem Buch erfahren Sie mehr über die eigentliche Herkunft des Waldbadens und lernen das größte offizielle Resort für Waldbaden kennen. Es befindet sich – thematisch passend – am Rand von Taipeh, einer Millionenstadt.
Ich lege außerdem konkrete Pläne vor, wie wir den Biophilia-Effekt in unseren Metropolen verankern können und unsere Städte zu Ökosystemen werden lassen, die unserer körperlichen und psychischen Gesundheit zugutekommen und zugleich zur Gesundung des Planeten beitragen. Ich löse den scheinbaren Widerspruch zwischen Stadt und Natur auf. Die lebensfreundliche Stadt der Zukunft wird von einem Netzwerk aus »Biophilia-Korridoren«, wie ich sie nenne, durchzogen sein wie von grünen, organischen Adern. Sie erfahren, was wir von Termiten über Architektur lernen können und wie die Wolkenkratzer der Zukunft gebaut sein werden, damit unser evolutionär geschultes Gehirn uns bei ihrem Anblick in den Modus der Entspannung und Regeneration versetzt. Ich erkläre anhand neurobiologischer Erkenntnisse, wie sich unsere Siedlungen und Bürokomplexe nach dem Vorbild der Farben und Formen der Natur verändern sollten, weil sich dadurch der Gehalt an Stresshormonen im Blut senken lässt. In der biophilen Stadt der Zukunft werden die Grenzen zwischen drinnen und draußen verschwimmen. Auf diese Weise werden wir wieder an den natürlichen Rhythmus der Natur angeschlossen, auf den unser Organismus seit Hunderttausenden von Jahren geeicht ist. Die Chronobiologie zeigt uns, dass wir wesentlich gesünder wären, wenn sich unsere biologische Uhr wieder einpendeln würde.
Hausfassaden werden von vertikalen Gärten bewachsen sein. Natürliche Baumaterialien werden in der Stadt eine Renaissance erleben. Der Ökolandbau wird in den Metropolen der Zukunft ein Refugium finden, in dem er sich ohne den Druck von Agrokonzernen zu einer wirklich nachhaltigen Biolandwirtschaft entwickeln kann. Städte werden sogar die Rettung unserer Bienen darstellen. Sie sehen: Es geht mir nicht darum, das Stadtleben zu verteufeln. Unsere Städte sind Orte der Begegnung und verfügen über ein reges kulturelles Leben, vielfältige Bildungsangebote und eine gute Infrastruktur. Mein Anliegen ist es, die Vorteile der Stadt und die Vorteile der Natur miteinander zu verbinden und unsere Metropolen an das pulsierende, lebendige Netzwerk der Natur anzuschließen.
Erich Fromm schrieb in The Heart of Man, dass Krankheit entsteht und unsere ganze Gesellschaft krank wird, wenn wir uns von der Natur entfernen. Diese schädliche Abkehr von unseren Wurzeln nannte er »Biophobie«. Dabei handelt es sich um den zerstörerischen Gegenpart der biophilen Kräfte, der am ehesten mit Sigmund Freuds Todestrieb »Thanatos« vergleichbar ist. Doch dieses Buch handelt ja glücklicherweise vom Gegenteil, nämlich von unserer grünen Zukunft und der heilsamen Zuwendung zur Natur – in Kleinstädten genauso wie in den größten Metropolen der Erde.
I. Das heilsame Trio des Waldes Die Erforschung des Biophilia-Effekts geht weiter
Wildwasser als Medizinlabor
»Wasser ist der perfekte Reisende, denn auf seiner Reise wird es selbst zum Weg.«8
Mehmet Murat Ildan, türkischer Schriftsteller
Es war Juni 2017, und es war heiß. Die Sonne lockte mich, einen begeisterten Biophiliac, in Richtung Südeuropa. Ich wollte ein Ökosystem von Weltrang besuchen – den Nationalpark Plitvicer Seen in Kroatien. Für mich als Biologen und Balkan-Freund ist dieser Ort bedeutungsvoll, weil es sich um den ältesten Nationalpark Südosteuropas handelt. Er besteht seit 1949. Außerdem sind die Plitvicer Seen ein UNESCO-Weltnaturerbe. Dort wollte ich mich auf die Suche nach drei besonderen Kräften der Natur begeben, die ich »das heilsame Trio des Waldes« nenne. Diese drei bioaktiven Natursubstanzen sind in ökologisch gesunden Waldgebieten immer zu finden, aber auch in anderen Naturlandschaften, wie wir noch sehen werden. Sie bilden die Grundlage des Biophilia-Effekts, wenn es um die messbare medizinische Wirkung der Natur auf unsere Organe, Zellen und das Immunsystem geht.
Von Wien aus überquerte ich nach drei Stunden Autofahrt die kroatische Grenze. An jeder Autobahnraststätte wurde ab diesem Zeitpunkt Burek, ein gefülltes Blätterteiggericht mit türkischen Wurzeln, angeboten – ein deutliches Zeichen dafür, dass ich auf dem Westbalkan angekommen war. Vorbei an Kroatiens Hauptstadt Zagreb, wohin mich meine Suche nach Biophilia in der Stadt auf dem Rückweg noch führen sollte, steuerte ich meinen Wagen weiter in den Süden. Zwei Stunden später erreichte ich mein Ziel im hügelreichen Karstgebiet Mittelkroatiens. Die Plitvicer Seen liegen nur wenige Kilometer von der Grenze zum Bundesstaat Bosnien und Herzegowina entfernt und sind in dichte Wälder mit einer Ausdehnung von 23000 Hektar eingebettet. Das entspricht 230 Quadratkilometern. Die ältesten Bäume, die dort wachsen, sind 700 Jahre alt. Die Wälder sind auch das Zuhause von gefährdeten Tierarten wie Wölfen, Luchsen, Braunbären und Steinadlern.
Der Himmel war tiefblau, und es war keine einzige Wolke zu sehen. Die Mittagssonne schien glühend auf mich herab, als ich meinen Fuß auf den Nationalparkboden setzte. Ein Pfad führte mich über einen felsigen Steilhang zu den berühmten »hängenden Seen« hinunter, die auf natürlichen Terrassen neben- und übereinander angeordnet sowie durch unzählige kleine und große Wasserfälle miteinander verbunden sind. Das Wasser glitzerte smaragdgrün. Während des Abstiegs in die erste Schlucht hatte ich einen exzellenten Blick über die Seen. Weiter unten tauchte ich in die unberührte Naturidylle ein und fand mich umringt von knorrigen Eichen und niedrigen Rotbuchen. Die krummen Bäume konnten dort aufgrund des kargen und teilweise felsigen Untergrundes nicht weiter in die Höhe wachsen. Doch auf einem Felsvorsprung über mir thronten drei aufrechte Kiefern, als würden sie »ihre« Schlucht bewachen.
Ich bewegte mich auf einem schmalen, steinigen Pfad zwischen See und Felsen entlang und blieb neben einem Wasserfall stehen, der den Steilhang herabstürzte und die Wassermassen des darüberliegenden Sees in den unteren abfließen ließ. Im freien Fall war das Wasser wild und ungestüm. Es schäumte und färbte sich silbern. Kaum im See angekommen, fügte es sich jedoch rasch in den ruhigen Wasserkörper ein, der so kristallklar war, dass man jedes Detail am Grund gestochen scharf erkennen konnte. Für die smaragdgrüne Färbung der Seen sind mikroskopisch kleine Algen verantwortlich. Am Ufer, halb im Wasser, wuchsen Moose auf dem kalkhaltigen Untergrund. Dieselben Moose fand ich auch in den Bereichen, die durch das herabstürzende Wasser ständig benetzt wurden. Diese Urpflanzen mochten es nass und ließen sich in den starken Wasserströmen sowie in den plätschernden Rinnsalen umspülen.
Die Luft rund um den Wasserfall war feucht und angenehm kühl, was mir an diesem heißen Tag willkommen war. Ich atmete mehrmals tief ein und stellte fest, dass die Luft eine wohltuende, vitalisierende Wirkung auf mich hatte. Auch viele andere Menschen hatten mir geschildert, wie sie an Wasserfällen und rasanten Wildflüssen intuitiv spürten, dass die dortige Luft ihnen sehr guttat. Manche beschrieben das als »reinigend« oder »befreiend«, andere sprachen von einer »Wildwasserkur«. Wieder andere schwärmten von der Luft am Meer, die sie immer dann als besonders wohltuend empfanden, wenn die Wellen im Sturm unbändig gegen die Küste schlugen. Wie so oft, wenn es um die heilsamen Wirkungen der Natur auf uns Menschen geht, also um den Biophilia-Effekt, bestätigen auch in diesem Fall immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse, was viele von uns intuitiv spüren: Wasserfälle, Flüsse und das Meer geben gesundheitsfördernde Wirkstoffe an die Luft ab. Die moderne Forschung hat in den letzten Jahren viele unterschiedliche und ausgesprochen positive Wirkungen auf die Organe, Zellen und auf die Psyche des Menschen nachgewiesen, die vom »Medizinlabor Wildwasser« ausgehen.
Ich packte ein Messgerät in der Größe einer kleinen Schuhschachtel aus und hielt es nahe am Wasserfall in die Luft. Nach einiger Zeit erschienen auf dem Display Zahlen, die sich von Sekunde zu Sekunde veränderten, sich jedoch im ungefähren Bereich von 50000 einpendelten.
Wasserfall-Plasma: ein »kosmisches« Gesundheitselixier steigert die Abwehrkräfte
In der Nähe von Wasserfällen bildet sich ein kostbarer Stoff, der auf der Erde selten ist. Es handelt sich um eine Substanz, die zum heilsamen Trio des Waldes gehört. Während die Wasserpartikel durch die Luft geschleudert werden sowie durch Reibung beim Aufprall der Wasserpartikel am Boden oder an umgebenden Felswänden entsteht die sogenannte »Wasserfallelektrizität«. Auf ganz natürliche Weise werden elektrische Kräfte freigesetzt, die wir nicht bewusst wahrnehmen können. Dieses Phänomen findet sich nicht nur an Wasserfällen, sondern auch an natürlichen Flüssen und Meeresküsten – also überall dort, wo das Wasser noch wild sein darf und seine Partikel unbändig durch die Luft schleudert. Auch heftige Regengüsse erzeugen Wasserfallelektrizität. Ein regulierter, begradigter, toter Fluss ist nicht mehr in der Lage, diese elektrisierende Wirkung zu erzielen.
Die natürlich entstandenen elektrischen Kräfte führen zur massenweisen Bildung von negativ geladenen Sauerstoffteilchen. Chemiker nennen sie »Anionen«. Überall auf der Erde wimmelt es rund um Wasserfälle geradezu davon. Die Zahl 50000, die mein Messgerät an den Plitvicer Seen anzeigte, gab die Anzahl der Anionen pro Kubikzentimeter Luft an. Im Nahbereich herabstürzender Wasserfälle enthält die Luft oft sogar 70000 Anionen pro Kubikzentimeter.9 An besonders mächtigen Wasserfällen können es noch mehr sein. Beispielsweise zeigten Messgeräte an Europas größtem Wasserfall mit einer Fallhöhe von insgesamt 385 Metern, den Krimmler Wasserfällen im Nationalpark Hohe Tauern in den österreichischen Alpen, zu besonders günstigen Messzeitpunkten 300000 Anionen pro Kubikzentimeter Luft an.10 Die Schwankungen können hoch sein, wie auch meine eigenen Felduntersuchungen ergaben. In unmittelbarer Nähe von Wasserfällen schwirren aber in jedem Kubikzentimeter Luft immer einige Zehntausend Anionen umher. Zum Vergleich: In einem Wald ohne Wasserfall lassen sich durchschnittlich etwa 5000 Anionen pro Kubikzentimeter messen. Das ist noch immer eine vielfach höhere Konzentration, als wir in der Stadtluft finden.
Die Anionen, die sich rund um Wasserfälle massenweise aufspüren lassen, gehören zur selben Art von Materie, aus der auch die Sterne bestehen. Astrophysiker sprechen von »Plasma« – das ist ein Gemisch aus elektrisch aufgeladenen Teilchen. Plasma kennen wir tatsächlich vor allem aus dem Weltall. Die gesamte Sonne und alle anderen Sterne befinden sich in einem Plasmazustand, der auch als vierter Aggregatszustand neben flüssig, fest und gasförmig bezeichnet wird. Ein weiteres Beispiel für Plasma ist der Sonnenwind, ein Strom aus geladenen Teilchen, die ständig von der Sonne abgegeben werden. Das Plasma der Sonne und der Sterne besteht natürlich nicht aus harmlosen Sauerstoffteilchen wie bei Wasserfällen, sondern vorwiegend aus Helium und Wasserstoff. Im Weltraum ist Plasma stark verbreitet. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die sichtbare Materie im Kosmos zu mehr als 99 Prozent aus Plasma besteht.11 Auch Blitze bestehen aus Plasma. Auf der Erdoberfläche entsteht Plasma auf natürliche Weise nur im Feuer und eben durch die elektrisierende Wirkung von ungezähmtem Wildwasser in einer für uns völlig harmlosen Form.
Somit haben wir einen Namen für den Stoff gefunden, der mich im Juni 2017 an den Wasserfällen der Plitvicer Seen umgab und den ich als vitalisierend empfand. Nennen wir ihn »Wasserfall-Plasma«. Zwar handelt es sich dabei um meine eigene Wortkreation und nicht um einen Begriff aus der Wissenschaft; nichtsdestotrotz ist die Bezeichnung physikalisch zutreffend, da eben ein Gemisch aus elektrisch geladenen Teilchen als »Plasma« bezeichnet wird.
Das Wasserfall-Plasma beeinflusst unsere Gesundheit dank seiner Anionen bereits Sekundenbruchteile nach dem Einatmen positiv, und zwar noch bevor es in der Lunge angekommen ist. Studien zeigten, dass die im Plasma enthaltenen Anionen bei Kontakt mit den Nasenschleimhäuten die Bewegungen der Flimmerhärchen beschleunigen, indem sie die elektrische Energie an diese abgeben. Die wichtige Aufgabe der Flimmerhärchen besteht darin, unsere Atemwege zu reinigen und Krankheitserreger ebenso wie krankmachenden Staub und Schadstoffe wie auf einem organischen Förderband zum Rachen zu transportieren. So werden Erreger und Schadstoffe daran gehindert, in die Lunge einzudringen und unseren Körper zu schädigen. Sobald sie im Rachen angekommen sind, verschlucken wir sie und scheiden sie über den Verdauungstrakt aus. Die Magensäure tötet viele Krankheitserreger ab. Bakterien schaffen es zwar oft bis in den Darm, doch dort unterscheiden die Abwehrzellen im Lymphgewebe zwischen »gefährlich« und »harmlos« und schalten die gefährlichen Keime aus. Indem Wasserfall-Plasma die Bewegungen der Flimmerhärchen beschleunigt, können diese effizienter arbeiten und ihre Aufgabe besser erfüllen.12 Die Anionen des Wasserfall-Plasmas unterstützen also unser Immunsystem bei seiner täglichen Arbeit.
Die Funktion der Flimmerhärchen ist durch Abgase, Feinstaub und Zigarettenrauch bei vielen Menschen gestört, das heißt, ihre Bewegung ist verlangsamt. Das ist einer der Gründe für chronischen Husten und Entzündungen der Atemwege als Folge von Umweltbelastungen. Stadtbewohner sind durch die Abgase und den Feinstaub aus Verkehr und Fabriken besonders betroffen. Wasserfälle, Flüsse und die Meeresbrandung können ein gesundes Gegengewicht zur schlechten Stadtluft darstellen. Deswegen werde ich später in diesem Buch erläutern, wie wir das Wildwasser wieder in unsere Ballungszentren einladen können, nachdem wir es in der Vergangenheit durch exzessive Flussregulierungen und Kanalisierungen aus der Stadt verbannt haben.
Erstaunlich wirksam: Wildwasserkur gegen Asthma
Asthma und die allergiebedingte chronische Nasenschleimhautentzündung, »Rhinitis« genannt, nahmen in den Industrienationen und speziell in Großstädten in den vergangenen Jahrzehnten stark zu. Im Alter von sechs Jahren sind bereits 15 Prozent der Stadtkinder asthmakrank.13 Allergien kommen bei Schulkindern in Städten insgesamt dreimal so häufig vor wie auf dem Land, Asthma sogar achtmal so häufig.14 Der Zusammenhang zwischen schadstoffbelasteter Stadtluft und Asthma zeigte sich 1996 während der Olympischen Sommerspiele in Atlanta, der Hauptstadt des amerikanischen Bundesstaates Georgia, sehr deutlich. Die Stadt hat etwa 400000 Einwohner. Während der internationalen Sportveranstaltung nahm 17 Tage lang der Straßenverkehr um 22 Prozent ab, da viele Menschen bei den Sommerspielen waren oder diese über das Fernsehen mitverfolgten. Das hatte zur Folge, dass die Ozonkonzentration in Atlanta um 22,5 Prozent sank und die Anzahl an akuten Asthmaanfällen, die medizinisch behandelt werden mussten, im Zeitraum der Sommerspiele bei Kindern um 44 Prozent zurückging.15 Wer könnte da noch behaupten, der Feinstaub und die Abgase in der Stadt machten uns nicht krank?
Im Jahr 2009 führten Forscher der medizinischen Paracelsus-Universität in Mozarts Geburtsstadt Salzburg an den bereits genannten Krimmler Wasserfällen eine klinische Studie mit 54 Kindern im Alter von acht bis vierzehn Jahren durch, die an mittelschwerem Asthma und allergischen Atemwegserkrankungen litten.16 Die Kinder waren drei Wochen lang in einem Hotel in der Nähe der Wasserfallgiganten untergebracht und wurden per Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe hielt sich täglich für eine Stunde nahe an den Wasserfällen auf. Die zweite Gruppe blieb immer mindestens sechs Kilometer von den Wasserfällen entfernt, hielt sich aber ebenfalls im Nationalpark Hohe Tauern im Wald auf. Es zeigte sich, dass die Asthma-Symptome bei beiden Gruppen signifikant zurückgingen – bei der Wasserfallgruppe noch deutlicher als bei der Waldgruppe. Auch die Lungenfunktion nahm bei allen Kindern stark zu, während der Entzündungsgrad im Laufe der Studie um 40 Prozent abnahm, was ein ausgesprochen positives Ergebnis ist. Der Aufenthalt in der Natur ist also bei Asthma generell gesundheitsfördernd.
Den Kindern der Waldgruppe, die nie näher als sechs Kilometer an die tosenden Wassermassen herankamen, ging es zwei Monate nach ihrer Rückkehr in die Stadt wieder so wie vor der Studie. Die Asthma-Symptome waren zurückgekehrt, die Lungenfunktion hatte sich wieder verschlechtert, und der Entzündungsgrad schnellte erneut in die Höhe. Das war in der Summe kein negatives Ergebnis, denn es bedeutete, dass die Wirkung des Waldes immerhin zwei Monate lang anhielt. Wirklich beeindruckend war aber die Langzeitwirkung der Wasserfälle. Bei den »Wasserfallkindern« hielten die positiven Wirkungen des Naturaufenthalts noch vier Monate nach ihrer Rückkehr in die Stadt an und nahmen erst danach wieder ab. Das heißt, die Wasserfälle hatten die Wirkungsdauer der Naturtherapie verdoppelt.
Alles in allem lernen wir aus diesen Ergebnissen, dass jeder längere Naturaufenthalt eine wirksame heiltherapeutische Maßnahme bei Asthma und allergischen Atemwegsentzündungen darstellt und dass die stärkende Wirkung der Natur auf das Immunsystem nachhaltig ist. Wir lernen aber auch, dass die Wirkung wesentlich länger anhält, wenn die Naturtherapie mit einem Aufenthalt an einem Wasserfall verbunden ist. Die Kombination der Anionen im Wasserfall-Plasma mit der hohen Luftfeuchtigkeit hat ein überraschend großes Gesundheitspotenzial, das wir bei der Gestaltung unserer Lebensräume unbedingt berücksichtigen sollten. Dieses Beispiel für einen Biophilia-Effekt verdeutlicht sehr einprägsam, wie stark derzeit der Unterschied zwischen Stadt und Natur ist und wie wichtig es für Stadtbewohner wäre, im Alltag mehr Biophilia zu erleben. Könnten wir die Heilkraft des Wassers und der Natur auch in der Großstadt regelmäßig genießen, so ließe sich dadurch ein dauerhaft besserer Gesundheitszustand von Menschen mit Asthma und allergischen Atemwegsentzündungen erreichen. Hinzu käme die generelle Stärkung des Immunsystems auch bei allen anderen Stadtbewohnern. Städtische Krankenhäuser, in denen Asthma, Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen und Lungenkrankheiten behandelt werden, sollten in Zukunft über eigene Wasserfälle verfügen, an denen die Patienten Zeit verbringen können. Das Potenzial für neues Wildwasser in der Stadt liegt tief unter unseren Straßen begraben. Bei der Versiegelung und Bebauung wurden in den meisten Städten der Erde viele kleine und große Flüsse kanalisiert und in Rohre gezwungen. An der Oberfläche erinnert jetzt nichts mehr an die einstigen Ökosysteme. Diese Gewässer sollten wir in Zukunft wieder befreien und ans Tageslicht holen, um neue Flüsse und Wasserfälle in Stadtgebieten und in der Nähe von Krankenhäusern entstehen zu lassen. Dadurch können wir die gesunden Anionen auf nachhaltige Weise wieder in die Stadt bringen.
Wasserfallmäuse – Placeboeffekt ausgeschlossen
Die soeben genannte klinische Studie an den Wasserfällen war an ein zweites Experiment gekoppelt. Es handelte sich um einen Tierversuch, weshalb ich mit einem weinenden Auge darüber berichte. Nachdem die Ergebnisse für unsere Betrachtungen des Biophilia-Effekts aber interessant sind, habe ich mich entschieden, das Tierexperiment nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Forscher der medizinischen Paracelsus-Universität und der Paris-Lodron-Universität Salzburg machten Mäuse im Labor mittelschwer bis stark asthmakrank – in meinen Augen kein besonders biophiler Forschungsansatz. Einen Teil der Tiere setzten sie drei Wochen lang täglich für eine Stunde in Käfigen dem Einfluss der Krimmler Wasserfälle aus. Eine andere Gruppe von Mäusen verblieb während der gesamten drei Wochen an der Paris-Lodron-Universität im urbanen Salzburg.
Wie die Kinder zeigten auch die asthmakranken Mäuse, die täglich an den Wasserfall gesetzt worden waren, eine deutliche Linderung ihrer Symptome sowie eine Verbesserung der Lungenfunktion. Je stärker die Mäuse erkrankt waren, desto stärker gingen ihre Beschwerden – in Prozentpunkten gemessen – zurück. Und wie bei den Menschen hielten die Wirkungen des Wasserfalls wochen- bis monatelang an.17 Anders als bei den »Wasserfallmäusen« trat bei den »Stadtmäusen« keine Besserung ein. Sie waren die großen Verlierer dieses Experiments.
Ich habe mich vor allem deswegen entschieden, diesen Tierversuch zu schildern, weil dadurch ausgeschlossen wurde, dass die therapeutischen Wirkungen von Wasserfällen auf den Placeboeffekt zurückzuführen sind. Zweitens sieht man an den Ergebnissen auch, dass der heilsame Biophilia-Effekt bei Tieren genauso wie bei Menschen eintritt. Ich hoffe, dass sich die Biophilia-Forschung in Zukunft auch in der Veterinärmedizin verbreiten wird. Und drittens veranschaulicht diese Studie sehr deutlich den Unterschied zwischen Stadt und Natur in Bezug auf die Gesundheit der Atemwege, der gegenwärtig sehr groß ist. Das sollte sich in der Stadt der Zukunft ändern. Nichtsdestotrotz möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass weitere Tierversuche nicht erforderlich sind, um die Heilkräfte der Wasserfälle, Flüsse oder Meere zu beweisen, da es bereits viele andere positive Studienergebnisse gibt, die auf sorgfältig ausgewählten wissenschaftlichen Methoden basieren.
Übrigens werden inzwischen Geräte angeboten, die die Zimmerluft mit gesunden Anionen anreichern sollen. Sie arbeiten elektrisch und nicht mit der natürlichen Kraft des Wassers. Dennoch beziehen sich die Hersteller häufig auf die Erkenntnisse der Wasserfallforschung und nutzen diese, um ihre Produkte zu bewerben. Während es für die Wirkung des Wasserfall-Plasmas auf unser Immunsystem und unsere Atemwege eindeutige wissenschaftliche Belege von überall auf der Welt gibt, sind mir bisher keine Studien untergekommen, aus denen hervorgeht, dass elektrische »Anionen-Maschinen« in Innenräumen einen ebenso positiven medizinischen Nutzen für uns haben wie die Anionen aus dem Wasserfall-Plasma. Experimente zeigten, dass die Nachahmung dieser Substanz durch gängige technische Geräte nicht zur Linderung von Lungenerkrankungen oder zur Verbesserung der Immunabwehr beiträgt, auch wenn die Hersteller dies versprechen.18 Maximilian Moser, Professor für Physiologie und Chronobiologe an der Medizinischen Universität Graz, war der erste Wissenschaftler im deutschen Sprachraum, der die Gesundheitswirkung von Wasserfällen erforschte und mit den Wirkungen elektrisch erzeugter Ionen verglich. »Elektrisch generierte Anionen kommen in ihrer Wirkung bei weitem nicht an die durch Wasserzerstäubung generierten Anionen heran«, schlussfolgerte er aus seiner wissenschaftlichen Arbeit.19 Hier wird einmal mehr deutlich, dass der Mensch die Natur durch Technik nicht ersetzen kann. Die Gesundheitswirkungen der Natur können nicht einfach durch industrielle Patente ausgetauscht werden, wenn wir unsere Ökosysteme erst einmal zerstört haben. Die Wirkung von Wasserfällen ist – so wie alles in der Natur – viel zu komplex, um sie nachbilden zu können.
Die enorme Konzentration von Anionen, die ein Wasserfall in seinem Umkreis entstehen lässt, kann durch Zimmergeräte nicht einmal annähernd erreicht werden. Hinzu kommt, dass wir mit dem natürlichen Plasma auch die Feuchtigkeit des Wasserfalls aufnehmen, die dieser in Form von mikroskopisch kleinen Tröpfchen in seiner Umgebung verteilt. Generell ist die Luftfeuchtigkeit im Nahbereich von Wasserfällen extrem hoch und kann bei besonders großen Exemplaren auf nahezu 100 Prozent ansteigen. Die Anionen heften sich häufig an feinste Wassertröpfchen in der Luft. Dabei bilden sich sogenannte »Elektro-Aerosole«, also winzig kleine schwebende Wasserpartikel, die Anionen transportieren.
Die Anionen beschleunigen die Bewegung und die Funktion der Flimmerhärchen wie beschrieben. Zugleich werden die Schleimhäute befeuchtet, was die Elimination der Krankheitserreger und Schadstoffe zusätzlich unterstützt, weil das organische Förderband besser »geschmiert« ist. Zu diesem Wirkstoffgemisch aus der Natur gesellen sich bioaktive Substanzen aus der Pflanzenwelt sowie Mikroben aus der Erde, die ebenfalls unsere Gesundheit stärken. Das sind die beiden anderen Zutaten des heilsamen Trios des Waldes, auf die ich noch zurückkommen werde. Denn auch sie können die Stadtluft bereichern.
Neben den positiven Einflüssen auf unser Immunsystem und unsere Atemwege haben Anionen noch weitere nachgewiesene Gesundheitswirkungen. Diese betreffen unser psychisches Wohlbefinden und unsere geistige Leistungsfähigkeit.
Wasserfälle als Antidepressiva ohne Nebenwirkungen
»Generell verbessern negative Ionen die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn, was in erhöhter Aufmerksamkeit, verringerter Müdigkeit und mehr mentaler Energie resultiert«, sagte Pierce Howard, Forschungsdirektor des Zentrums für Angewandte Kognitionswissenschaften in Charlotte, North Carolina, gegenüber dem medizinischen Online-Magazin Web-MD.20 Der Neuropsychologe schreibt den Anionen sogar zu, eine Art natürliche Glücksdroge zu sein. Zwei von drei Menschen reagieren laut Howard auf Anionen in der Luft psychologisch besonders positiv. Die Teilchen lösen bei ihnen Gefühle der Glückseligkeit und Unbeschwertheit aus. »Negative Ionen können uns das Gefühl geben, auf Wolken zu laufen«21, umschreibt Howard diesen psychischen Zustand. Hat er Recht?
Wissenschaftliche Laborexperimente bestätigen diese Aussage. Die Symptome der klinischen Depression ließen sich in einer Studie an der Columbia-Universität in New York durch Anionen in der Luft signifikant reduzieren. Namni Goel, Professorin für Psychologie und Psychiatrie, behandelte die Versuchspersonen, die unter einer Major Depression litten, also unter einer schweren Form der Erkrankung, mehrere Wochen lang regelmäßig mit negativ geladenen Luftionen. Die Patienten atmeten unter Laborbedingungen Anionen ein, die künstlich erzeugt wurden. Eine Gruppe bekam die Ionen in höherer Konzentration verabreicht als die zweite Gruppe. Goels Mitarbeiter überwachten den psychologischen Gesundheitsstatus der Versuchsteilnehmer laufend, wobei ein international anerkannter Standard zur Diagnose der Depression zum Einsatz kam.22 Bereits nach einer Woche trat eine Verbesserung des Befindens der Patienten um durchschnittlich 25 Prozent ein. Danach verbesserte sich der Gesundheitszustand der Teilnehmer, die eine eher niedrige Konzentration von Anionen einatmeten, nicht mehr wesentlich. Hingegen verbesserte sich der psychische Zustand der anderen Gruppe, die höhere Konzentrationen verabreicht bekam, bis zur fünften Behandlungswoche um 50 Prozent, was ein äußerst bemerkenswertes Ergebnis ist. Die Forscher führten den Versuch zu allen Jahreszeiten durch, und das positive Ergebnis erwies sich als unabhängig davon. Die Teilnehmer selbst berichteten ebenfalls von einer für sie spürbaren deutlichen Verbesserung ihres psychischen Befindens. Auch die Universität Cambridge veröffentlichte die Studienergebnisse in einer ihrer Fachzeitschriften.23 Studienleiterin Namni Goel schlussfolgerte: »Negative Luftionen sind in der Behandlung von chronischer Depression effizient.« 24
Der Medizinwissenschaftler Dominik Alexander nahm am privaten Forschungsinstitut EpidStad in Ann Arbor, Michigan, mehrere Studien über die psychologische Wirkung von Anionen unter die Lupe und wertete sie aus. Auch er kam zu dem Ergebnis, dass Anionen in der Luft Depressionen entgegenwirken und dass eine umso stärkere Wirkung eintritt, je mehr Anionen pro Kubikzentimeter in der Luft messbar sind.25
Hohe Konzentrationen von Anionen wirken also stärker positiv auf unsere Psyche ein als niedrigere. Doch in keinem Labor der Welt können die extrem hohen Anionen-Konzentrationen simuliert werden, die im natürlichen Wasserfall-Plasma vorhanden sind. Wir können also durchaus vermuten, dass das psychologische Potenzial eines echten Wasserfalls noch höher als in einem Labor ist, zumal in der Natur wie gesagt ein vielfältiger Cocktail aus Anionen, Elektro-Aerosolen, Pflanzenstoffen, Mikroben und anderen bioaktiven Substanzen auf uns einwirkt. Diesen extrem komplexen »Cocktail-Effekt« können wir durch technische Apparate nicht nachbilden. Dennoch: Die Experimente zeigen, dass die psychologischen Wirkungen von Anionen bis zu einem gewissen Grad tatsächlich auch durch Geräte in Räumen erzielt werden können – anders als die medizinischen Wirkungen der Anionen auf Immunsystem und Lungenfunktion. Diese wurden, wie schon erwähnt, nur für natürliche Gewässer nachgewiesen.
Mit steigender Anzahl von Anionen in der Luft nimmt auch unsere Konzentrationsfähigkeit zu und wir werden besser im logischen Schlussfolgern. Sogar unsere sprachliche Ausdrucksfähigkeit verbessert sich. Das hat der Universitätsprofessor Hans-Peter Hutter vom Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien gemeinsam mit seinen Mitarbeitern in wissenschaftlichen Laborversuchen bewiesen. Die Versuchsteilnehmer schnitten unter Einfluss von Anionen bei entsprechenden psychologischen Tests signifikant besser ab als ohne die Zufuhr von Anionen.26 »Die Studie zeigte«, so fasste Hutter die Ergebnisse zusammen, »dass eine höhere Konzentration an Luftionen eine vitalisierende, aktivierende und leistungssteigernde Wirkung hat. Zudem konnte eine positive Wirkung auf das vegetative Nervensystem und damit auf das Herz-Kreislauf-System nachgewiesen werden.« 27
Ähnliche Evidenzen kommen aus Indien. Die Psychologin Chitra Andrade führte gemeinsam mit ihren Kollegen in Mumbai eine Studie durch, in der sie Testpersonen in zwei Gruppen einteilte. Einer Gruppe wurden über die Raumluft künstlich erzeugte Anionen verabreicht, die von elektrischen Generatoren abgegeben wurden. Bei der anderen Gruppe liefen zwar ebenfalls solche Generatoren, jedoch nur zum Schein. Sie gaben keine Anionen ab. Dadurch konnten die Forscher ausschließen, dass die Erwartungshaltung der Teilnehmer das Studienergebnis durch den Placeboeffekt verfälschte. Andrade konnte belegen, dass mehr Anionen in der Luft zu einer deutlichen Verbesserung unserer Gedächtnisleistung führen. Die Versuchspersonen stellten unter Einfluss von Anionen bei entsprechenden Testverfahren außerdem eine gesteigerte Kreativität unter Beweis und konnten Denkaufgaben schneller und besser lösen als die Teilnehmer der Kontrollgruppe, denen keine Anionen verabreicht wurden. Diese Erkenntnisse sind vor allem für die Gestaltung unserer Arbeitswelt äußerst bedeutsam. In einem späteren Kapitel werde ich daher Vorschläge machen, wie wir die Kraft des Wassers und generell der Natur in die Architektur der Stadt und ihrer Gebäude integrieren können.
Stadtluft: keine Spur von gesundem Plasma
Ich habe Messungen und Felduntersuchungen durchgeführt, die zeigten, dass die Luft in Städten und in industriellen Gebieten besonders wenige von den gesunden Anionen beinhaltet, die wir im Wasserfall-Plasma massenweise finden. Die Anionen-Messwerte in der Stadt liegen nicht nur weit unter den Werten an Wasserfällen, sondern auch unter den Ergebnissen in Wäldern und anderen Naturlandschaften. Das liegt daran, dass städtische Abgase die Anionen aus der Luft an sich binden. Dadurch verlieren sie ihre elektrische Ladung und ihre bioaktive Gesundheitswirkung. Auch Computer sowie andere Elektrogeräte, Bildschirme und Leuchtreklamen auf der Straße sind echte »Anionenfresser«. Sie absorbieren die wertvollen Teilchen und berauben sie ihrer elektrischen Ladungen. Dasselbe geschieht an der Oberfläche von Plastik und anderen Kunststoffen, die dazu neigen, sich elektrisch aufzuladen. Solche Oberflächen ziehen die empfindlichen Anionen an und eliminieren sie durch ihre elektrisierende Wirkung. Sogar Betonflächen schlucken Anionen oder machen sie nutzlos.
In Wäldern finden sich durchschnittlich 5000 Anionen pro Kubikzentimeter Luft – ein Vielfaches der Anionen-Werte in der Stadt.28 Im Ökosystem Wald entstehen Anionen durch Wasserfälle, wilde Flüsse oder auch durch Bäche, die über Steine plätschern. In diesen Fällen steigt ihre Konzentration weit über 5000. Aber auch dann, wenn solche Gewässer nicht zu finden sind, lädt sich Waldluft mit Anionen auf und enthält daher Wasserfall-Plasma. Denn die Anionen des Waldes entstehen vor allem bei heftigen Gewittern und Regenfällen. Unwetter und herabfallende Wassermassen lassen durch Reibung Elektrizität entstehen, und so können sich Sauerstoffteilchen genau wie an Wasserfällen negativ aufladen und zu Anionen werden. Jeder von uns hat sicher schon die Erfahrung gemacht, dass Waldluft nach einem Regenguss besonders wohltuend auf uns wirkt. Sie vitalisiert uns und belebt uns körperlich sowie psychisch in besonders hohem Maße. Das liegt unter anderem daran, dass die Konzentration der Anionen in der Luft höher ist als an Tagen ohne Regenfall. Je mehr es gestürmt und gewittert hat, desto mehr Anionen treffen wir im Wald an. Das Besondere im Ökosystem Wald ist, dass die Anionen dort – im Gegensatz zur Stadt – nicht durch Abgase, Feinstaub, Leuchtreklamen, Beton und Kunststoffe zerstört werden. Der Wald sorgt dafür, dass die Teilchen im Waldesinneren bleiben, denn das Kronendach der Bäume hält die Substanzen zurück und verhindert, dass sie sich verflüchtigen. So kann sich Waldluft von Regenguss zu Regenguss mit dem gesunden Plasma anreichern und dauerhaft eine relativ hohe Konzentration halten. Meine Messungen im Wald ergaben immer mindestens 3000 Anionen pro Kubikzentimeter Luft. Damit sind wir auf ein wichtiges Argument für die Pflanzung von Stadtbäumen, ja sogar von urbanen Wäldern gestoßen. Bäume und Wälder in Städten würden nicht nur die Entstehung von Anionen bei Regengüssen fördern, sondern diese durch ihr Kronendach auch zurückhalten.
Im Vergleich mit Wildgewässern bleiben Ballungszentren noch weiter abgeschlagen zurück als im Vergleich mit Wäldern. Zur Erinnerung: An Wasserfällen werden bis zu 70000 und an besonders großen Wasserfällen gelegentlich sogar bis zu 300000 Anionen pro Kubikzentimeter Luft gemessen. Im Bereich naturnaher Flüsse und Meeresküsten herrschen Konzentrationen von einigen Tausend bis Zigtausend Anionen pro Kubikzentimeter. In Städten und Industriegebieten sinkt die Anionen-Konzentration in der Luft auf etwa 200 bis 300 Teilchen pro Kubikzentimeter. Städte sind also im Vergleich zu Naturlandschaften regelrecht leergefegt von Anionen. Auch das ist höchstwahrscheinlich einer der Gründe für die Zunahme von chronischen Atemwegserkrankungen, Immunschwäche und Depressionen in urbanen Ballungsräumen sowie generell in der Industriegesellschaft. Hinzu kommt, dass in der Stadt anstatt der negativ geladenen Anionen mehr positiv geladene Teilchen in der Luft zu finden sind als in der Natur. Man nennt sie Kationen. Kationen verschlechtern zusätzlich zu den Schadstoffen die Funktion der Flimmerhärchen auf unserer Nasenschleimhaut, indem sie deren Bewegungen langsamer machen.29 Dadurch können wesentlich mehr Erreger und Schadstoffe in unsere Lunge und von dort in die Blutbahn vordringen. Die positiv geladenen Kationen, von denen unsere Metropolen dominiert werden, verschlechtern also unseren Gesundheitszustand. Das heißt nicht, dass Kationen generell etwas Schlechtes sind, aber das Verhältnis zwischen Anionen und Kationen ist in der Stadt einfach zu stark aus dem Gleichgewicht geraten. Solche Zusammenhänge werden bislang von Politikern und Gesundheitsexperten noch nicht beachtet. Viele Entscheidungsträger wissen von diesem Phänomen gar nichts.
Dass Feinstaub und Abgase schlecht für uns sind, ist allgemein bekannt. Doch erst durch die Biophilia-Forschung bekommen wir langsam einen Eindruck davon, wie schädlich die Trennung von der Natur tatsächlich für uns ist. Wir schneiden uns durch Industrie und städtische Betonwüsten immer mehr von gesunden Natursubstanzen wie den Anionen ab und begünstigen dadurch Zivilisationserkrankungen. Diese komplexen Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Natur, zwischen Krankheit und Naturentfernung, gehen weit über populäre Kontroversen wie zum Beispiel die Klimawandel-Diskussion hinaus. Unsere Art zu leben und zu wirtschaften frisst die Natursubstanzen von unserem Planeten, die wir brauchen, um gesund zu bleiben oder es wieder zu werden. Gleichzeitig verpesten wir unsere Lebensräume mit Schadstoffen, Giften, Lärm und Unmengen an künstlichem Licht.
Apropos Lichtverschmutzung: Jüngste Erkenntnisse aus der Onkologie zeigen, dass diese sogar für die Zunahme verschiedener Krebserkrankungen wie Prostata- und Brustkarzinom mitverantwortlich ist. Abendliches und nächtliches Kunstlicht in der Stadt und in unseren Wohnungen bringt unsere innere biologische Uhr durcheinander und führt so zu Störungen im Hormonhaushalt, die die Entstehung von Krebs begünstigen.30 Denn unser Biorhythmus steuert auch das Absterben und die Neubildung von Zellen. Ist er gestört, steigt das Risiko, dass sich ältere Zellen, anstatt den neuen Platz zu machen, zu einem Tumor entwickeln. Wer hätte das noch bis vor kurzem gedacht? Die gesamte Biophilia-Forschung, die unser Verhältnis zur Natur beleuchtet, ist eine einzige große Mahnung an uns Menschen, umzudenken. Denn es sind bei weitem nicht nur die Anionen, die wir durch Flussbegradigung, durch Bändigung von Wildgewässern und durch die Kontamination der Umwelt aus unserer Atemluft entfernen.
Wir sind erst am Anfang unserer Betrachtungen. Im nächsten Teil wenden wir uns einer weiteren Substanz im heilsamen Trio des Waldes zu, die gegenwärtig in der Gesundheitspolitik und Stadtplanung genauso wenig beachtet wird wie Wasserfälle und Flüsse mit ihren Anionen. Sie stammt aus dem Erdboden.
Gesundheitskur aus der Erde
»Die Vorstellung, dass uns ein Bakterium, das im Erdboden zu finden ist, vor schweren psychischen Erkrankungen schützen kann, mag weit hergeholt klingen, aber Bakterien können sowohl auf unsere körperliche als auch auf unsere psychische Gesundheit eine profunde Wirkung haben.«31
Graham Rook, Professor für Mikrobiologie, Universitäts-College London
Zurück in den Westbalkan. Ich packte mein Anionen-Messgerät wieder ein und atmete noch einmal tief durch, ehe ich meine Wanderung zwischen den Wasserfällen der Plitvicer Seen fortsetzte. Ein Weg führte mich aus der Schlucht heraus und an anderen Gewässern vorbei in den Randbereich der paradiesischen Wasserlandschaft. Nach einiger Zeit gelangte ich in ein schattiges Waldstück mit einem türkis leuchtenden Waldsee. Die Vegetation kroch bis ganz ans Ufer heran, und hohe Gräser säumten den See. Einige krumme, aber majestätische Eichen streckten lange, ausladende Äste mit urtümlichen Wuchsformen über den Wasserrand. Ich hatte das Gefühl, mitten in einem Dschungel gelandet zu sein. Am gegenüberliegenden Ufer begrenzte eine steile, fast senkrechte Felswand den versteckten Ort im Wald, und mehrere Wasserfälle stürzten von oben herab. Das Wasser strömte über ein Bett aus herabhängenden Moos-Kolonien, ehe es im freien Fall herunterkam. Ich blickte mich um und sah, dass es auch hier einige Kiefern und Tannen gab, die in diesem Buch noch eine wichtige Rolle spielen werden.
Ich ging das Ufer am Waldrand entlang. Hier herrschte ein besonderes Kleinklima. Die Felswände an der gegenüberliegenden Seite des Gewässers beschatteten den Bereich, in dem ich mich befand. Der Boden war feucht. Die »hängenden Seen« sind zwar sonst vorwiegend von kargen Böden umgeben, doch an diesem Ort spürte ich weichen, tiefgründigen Humus unter meinen Füßen. Die Humusschicht war von teilweise vermodertem Laub, Eicheln, abgestorbenen Pflanzenteilen und ein paar Zapfen von Nadelbäumen bedeckt. Bodenlebewesen verarbeiten dieses Material allmählich zu neuem Humus.
Der Kosmos im Boden
Ich schob die Streu ein wenig zur Seite und grub mit der Hand ein Loch in den Humusboden. Dabei kamen haarfeine weiße Fäden zum Vorschein, die das Erdreich durchzogen. Es waren Pilzfäden, die von Biologen als »Hyphen« bezeichnet werden. Sie umspinnen die Wurzeln von Bäumen und anderen Pflanzen und verbinden sich mit ihnen zu einer Symbiose. Waldpilze sind vorwiegend unterirdische Lebewesen und erstrecken ihr reich verzweigtes Netzwerk über große Flächen. Die Hüte, die wir im Herbst zu sehen bekommen, sind nur ihre Fruchtkörper, die sie über die Erde strecken, um ihre Sporen zu verbreiten und sich zu vermehren. Die Pilze vernetzen Bäume im Wald oft über Quadratkilometer miteinander und versorgen sie mit Wasser, denn durch ihr extrem weitläufiges Geflecht können sie enorme Mengen davon aus dem Boden aufnehmen. Im Gegenzug dazu versorgen die Bäume ihre Pilzpartner mit einer Zuckerlösung, also mit Kohlenhydraten, die sie durch Photosynthese selbst hergestellt haben. Unter Biologen gilt die unterirdische Symbiose aus Pilzen und Pflanzenwurzeln, die als Mykorrhiza bezeichnet wird, als sicheres Zeichen für einen gesunden Kosmos im Boden und wird geradezu als Markenzeichen der Bodengesundheit gewürdigt. Die Mykorrhiza hat es sogar bis in die internationalen Massenmedien geschafft und wird auf Englisch »Wood Wide Web« genannt, also »Internet des Waldes«, da die Pilzfäden als Leitung für biologische Botschaften und Signale dienen, die Bäume untereinander austauschen, um das Ökosystem Wald mit vereinten Kräften zum Beispiel vor Schädlingen zu schützen. Wegen ihrer großen Bedeutung in unserer Umwelt beginne ich meine Betrachtungen des Ökosystems Boden mit der Mykorrhiza. Schon zu meiner Studienzeit interessierte ich mich sehr für diese Lebensgemeinschaft aus Pilz und Pflanze, und ich suchte an verschiedenen Orten auf dem Land und in der Stadt danach. In naturnahen Wäldern wurde ich immer fündig. In Fichtenplantagen, die irrtümlicherweise oft für Wälder gehalten werden, fand ich diese Symbiose fast nie. Auf ökologisch bewirtschafteten Äckern mit Mischkulturen, in denen unterschiedliche Pflanzenarten nebeneinander kultiviert wurden, erzielte ich häufig Treffer. In konventionellen Monokulturen suchte ich stets vergebens. Unter dem Mikroskop lässt sich in Bodenproben, die Mykorrhizen beinhalten, sehr gut sehen, wie die Pilzfäden mit den Pflanzenwurzeln verbunden sind und in sie hineinwachsen, um den Stoffaustausch zu ermöglichen.
Vergleichen wir einen intakten Waldboden mit dem versiegelten und asphaltierten Boden der Stadt, so wird sofort klar, dass wir in urbanen Ballungszentren in der Regel nicht von einem »Ökosystem Boden« sprechen können. Meine Suche nach Mykorrhizen verlief – wenig überraschend – auch auf städtischen Grünflächen nur in Ausnahmefällen erfolgreich, wenn man von Wäldern am Stadtrand absieht. Einbetonierte Stadtbäume können kaum Symbiosen mit Pilzen eingehen oder sich durch Mykorrhizen miteinander vernetzen. Auch in Parks ist das nur sehr eingeschränkt möglich, denn herkömmliche Parkanlagen sind keine komplexen Ökosysteme. Die Bäume stehen einzeln und werden in erster Linie nach ästhetischen Gesichtspunkten ausgewählt. Es entsteht keine natürliche Dynamik in der Vegetation. Viele Parkbäume stammen aus weit entfernten Klimaregionen oder sind das Produkt gärtnerischer Kreuzungen, die in der freien Natur nicht überlebensfähig wären. In den meisten Parks befinden sich zwischen den Gehölzen weitläufige Rasenflächen, auf denen nichts anderes als Gras wächst. Aufkommende Büsche und junge Bäume werden sofort entfernt, der Rasen regelmäßig gemäht. Zwar können auch herkömmliche städtische Parks eine positive Wirkung auf unsere Gesundheit haben, wie wir noch sehen werden, jedoch haben ihre Böden nicht die Chance, zu einem ebenso vielschichtigen und zusammenhängenden Ökosystem zu werden wie ein intakter Waldboden. Folglich entwickelt sich keine reichhaltige Bodenflora und nur wenig Mykorrhiza. In urbanen Parkanlagen entstehen allerdings durchaus einzelne und verteilte Bodenökosysteme, zum Beispiel unter Bauminseln, wo sich manchmal auch eine intakte Bodenflora bilden kann. Das hat unter anderem eine Studie der israelischen Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv ergeben.32 Wir sollten den Mut haben, unsere Parks zu »wilderen« Orten werden zu lassen und dadurch in der Stadt mehr Leben im Boden und vor allem mehr zusammenhängende Ökosysteme entstehen zu lassen.
Symbiosen mit Pilzen im Boden sind nicht nur für die Gesundheit der Pflanzen selbst von Vorteil, sondern auch für die menschliche Gesundheit. Die Biologieprofessorin Miranda Hart an der Universität von British Columbia in Kanada und der Biologieprofessor Pedro Antunes an der Algoma-Universität in der kanadischen Provinz Ontario untersuchten, wie sich die Mykorrhiza im Boden auf die Inhaltsstoffe von Nahrungspflanzen auswirkt. Sie stellten fest, dass Ackerpflanzen mit Pilzpartnern deutlich mehr sekundäre Pflanzenstoffe bilden als Ackerpflanzen ohne Pilzpartner.33 Die Pflanzenstoffe, die durch den Pilz gefördert werden, stärken unsere Gesundheit, wenn wir sie über die Nahrung aufnehmen. Darunter sind zum Beispiel Polyphenole, die den Blutdruck regulieren, die Blutfettwerte verbessern und Gefäßverkalkungen vorbeugen, von denen die Gefahr eines Herzinfarkts ausgeht. Die Symbiose der Pflanzen mit den Pilzen erhöht noch weitere sekundäre Pflanzenstoffe in unserer Nahrung, wie zum Beispiel Carotinoide. Diese Stoffe verbessern die Kommunikation zwischen unseren Zellen und können dadurch die Funktion unseres Immunsystems optimieren. Sie haben auch eine antioxidative Wirkung. Das heißt, sie machen freie Radikale, die im menschlichen Körper Krebs auslösen können, unschädlich. Die Pilzsymbiose erhöht außerdem den Gehalt an Flavonoiden in unseren Nahrungspflanzen, die Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen bieten. Antunes und Hart geben aufgrund ihrer Forschungsergebnisse im Hinblick auf die menschliche Gesundheit zu bedenken: »Es dürfte notwendig sein, konventionelle landwirtschaftliche Praktiken wie die schwere Bodenbearbeitung und den Anbau in Monokulturen zu überdenken, da dadurch die Vielfalt und die Funktion der Bodenorganismen beeinträchtigt werden.«34
Mykorrhizen auf unseren Äckern und in unseren Gärten können also über die Ernährung einen Beitrag dazu leisten, chronische Krankheiten zurückzudrängen. Gerade urbanes Gärtnern bietet eine Möglichkeit, auch auf kleinen Flächen gezielt Mischkulturen und Pilzpartner in die Stadt einzuladen, die die Entstehung der Mykorrhiza unterstützen. Wie ich in einem späteren Kapitel noch schildern werde, bergen Ballungszentren ein enormes Potenzial für den ökologischen Anbau von Lebensmitteln. Stadtbauernhöfe werden in Zukunft sogar wirtschaftlich tragfähig sein und eine wichtige Rolle bei der Versorgung der Stadtbevölkerung mit gesunden, regionalen Lebensmitteln spielen. Urbane Ökogärten werden zu Keimzellen für Bodenpilze und andere wertvolle Organismen in der Erde.
So wie Ackerpflanzen werden natürlich auch Waldbäume von ihren Pilzpartnern positiv beeinflusst. Die Biologieprofessorin Manuela Giovannetti bestätigte in ihren Analysen gemeinsam mit ihrem Team an der Universität Pisa, dass die Mykorrhiza generell die Bildung von bioaktiven Pflanzenstoffen fördert, die auch für uns Menschen gesund sind.35