Biotopschutz in der Praxis - Jörg Bergstedt - E-Book

Biotopschutz in der Praxis E-Book

Bergstedt Jörg

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Beschreibung

Wer Biotope wirksam schützen will, muss deren Funktion verstehen. Auch wenn der der hohe Wert von natürlichen Lebensräumen für das ökologische Gleichgewicht der Erde lange bekannt ist, hat es die Natur nach wie vor schwer, sich angesichts des immer größeren Flächenverbrauchs durch den Menschen zu behaupten. Doch mit dem richtigen Handwerkszeug können intakte Biotope selbst dort entstehen, wo man sie kaum vermutet: am Rande von intensiv genutzten Ackerflächen, auf Abraumhalden oder mitten in der Großstadt.
Dieser Ratgeber enthält das nötige Hintergrundwissen für den Schutz und die Neuanlage von Biotopen. Er zeigt, worauf es wirklich ankommt - von den ökologischen Grundlagen bis hin zu konkreten Schutzmaßnahmen und bestehenden Fördermöglichkeiten. Rund 30 der wichtigsten Lebensräume werden vorgestellt und ihre Bedeutung für das ökologische Landschaftsgefüge erklärt. Zahlreiche Schemata und Beispielbilder veranschaulichen die konkreten Maßnahmen für den praktischen Biotopschutz, ohne die Komplexität der Ökosysteme dabei auszublenden.
Alles was man zum Schutz und bei der Neuanlage von Biotopen wissen muss. Ideal für Unterricht, Jugendarbeit und für alle Praktiker im Biotopschutz.

Weiteres Material finden Sie unter www.biotopschutz.de.vu

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Inhaltsverzeichnis

Abdeckung

Die Hälfte Titelseite

Titelblatt

Copyright-Seite

Vorwort

Kapitel 1: Tiere, Pflanzen, Lebensräume

1.1 Natur – unbegreiflich, komplex, dynamisch

1.2 Lebensräume im Verbund

Kapitel 2: Handeln – aber wo, wann und wie?

2.1 Erstmal gucken: Vom Blick via Satellit bis zum Gang ins Gelände

2.2 Aus Alt mach’ Neu: Vom Leitbild zum Detailplan

2.3 Recht, Ökologie und kreative Ideen bei der Umsetzung

2.4 Tu Gutes und rede darüber!?

2.5 Kommunalpolitische Initiativen

Kapitel 3: Biotopschutz in Ämtern und Paragraphen

3.1 Handlungsmöglichkeiten nach Naturschutzgesetz

3.2 Wenn andere agieren: Naturschutz als Begleitplanung

3.3 Durchblicken: An die Akten rankommen …

Kapitel 4: Lebensräume und ihr Schutz

4.1 Wo das Wasser regiert…

4.2 Die Welt der Spezialisten: Trockene, magere Landschaften

4.3 Vor lauter Bäumen: Wald, Hecken und Feldgehölze

4.4 Kühe, Pflüge, Mähwerke: Acker und Grünland

4.5 Wo die Bagger wüten: Bodenabbaugebiete

4.6 Dorf und Stadt

A Anhang

A.1 Struktur

A.2 Standort/Milieu

A.3 Dynamik

A.4 Verbund

A.5 Planungsschritt 1: Leitbilder

A.6 Planungsschritt 2: Biotopfunktionskarte

A.7 Planungsschritt 3: Biotopfunktionsplan

Literatur

Literatur zu Kapitel 1 bis 3

Literatur zu Kapitel 4

Sachregister

Herausgegeben von Jörg Bergstedt

Biotopschutz in der Praxis

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Herausgeber

Jörg BergstedtProjektwerkstattLudwigstr. 1135447 Reiskirchen

1. Auflage 2011

Alle Bücher von Wiley-VCH werden sorgfltig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren, Herausgeber und Verlag in keinem Fall, einschließlich des vorliegenden Werkes, für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung

Bibliografische Informationder Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2011 Wiley-VCH Verlag & Co. KGaA, Boschstr. 12, 69469 Weinheim, Germany

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche markiert sind.

Print ISBN: 978-3-527-32688-4ePDF ISBN: 978-3-527-63930-4oBook ISBN: 978-3-527-63928-1ePub ISBN: 978-3-527-63929-8Mobi ISBN: 978-3-527-63928-1

Vorwort

„Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen“, sagte Hermann Hesse. Dies soll mit diesem Buch geschehen. Das Unmögliche ist, die Komplexität und Dynamik von Natur und ihren Ökosysteme in praktisch verwendbare Handlungstipps zu gießen, wie Biotope und ihre Arten geschützt werden können. Es ist also nur ein Versuch, die vielen kleinen und größeren praktischen Hinweise in einen Kontext zu stellen mit dem, was Natur auszeichnet. Gesetzestexte, Landschaftspläne und Förderprogramme hadern mit ähnlichen Problemen – und nicht selten ist einfach auch schlecht, was da geschieht. Für alle PraktikerInnen im Biotopschutz heißt das, immer wieder den Kopf anzuschalten und die ungeheure Vielfalt, die mitunter rasante Dynamik und die faszinierende Komplexität mitzudenken. Biotopschutz darf nicht zum Basteln an der Natur verkommen oder dort verharren. Den Spagat zwischen praktischen Tipps und dem Plädoyer, der Natur Raum zu schaffen und nicht immer nur die einfachen Lösungen anzustreben, müssen alle meistern, die für den Schutz der Ökosysteme aktiv werden oder zuständig sind. Dieses Buch ist eine Hilfeleistung und der Appell, nicht im „Pritzelkram“ (Hermann Löns) zu versinken, sondern Dynamik, vielfältige Struktur und Vernetzung in jeder Einzelmaßnahme zum Ausdruck zu bringen.

Dafür kann ich zum Eingang dieses Buches nur den nötigen Mut und die Beharrlichkeit, aber auch Phantasie und Lust am komplexen Denken wünschen.

Reiskirchen-Saasen, am 24. März 2011

Kapitel 1

Tiere, Pflanzen, Lebensräume

Es begab sich aber zu der Zeit, als der Computer erfunden wurde. Die Fachwelt feierte Professoren der Landschaftsplanung, die nun digitale Verfahren zur Berechnung der Natur entwickelten. Es galt die Natur in Planquadrate zu zwängen, sie maschinenlesbar und berechenbar zu machen. Mit Zunahme der Leistungsfähigkeit wurden diese Quadrate immer kleiner bis zu dem Punkt, an dem sie auf dem Bildschirm kaum noch erkennbar waren und sich so Quadratsammlung und Geländerealität anzugleichen schienen. Aber das Denken hinter der neuen Technik blieb das alte, welches schon seit Jahrzehnten den Naturschutz prägte: Tiere, Pflanzen und Lebensräume wurden als Einzelteile eines Systems betrachtet. Solch eine Natur war plan- und verplanbar. BiotopmanagerInnen kamen und gingen, Ökokonten verwandelten Bäume in geldwerte Leistungen. Doch den komplexen, lebendigen Zusammenhängen außerhalb der Büros und Labore wurden diese Vorstellungen kaum gerecht.

Natur ist dynamisch. Entsprechend den natürlichen oder vom Menschen überprägten Standortbedingungen bieten alle Orte komplexe und ständig im Fluss befindliche Vegetations- und Lebensraumabfolgen, Nachbarschaftswirkungen, Stoffflüsse, Populationsschwankungen und Artenwanderungen – sofern der Mensch sie lässt. Das Geschehen auf einer Windwurffläche im vorher geschlossenen Hochwald zeigt das: Zunächst fördern die Lichtverhältnisse besonders lichtbedürftige Pflanzen, was zur Entwicklung einer entsprechenden Artengemeinschaft führt. Bei fortschreitendem Höhenwachstum im Wettbewerb der Arten um das Licht nimmt die Beschattung des Waldbodens wieder zu und begünstigt in der Folge schattentolerante Arten. Die Folge: Es kommt zu einer dynamischen Verschiebung der Artenzusammensetzung – ständig fortschreitend. Wenn der Biotopschutz typische Lebensräume und Lebensgemeinschaften bewahren will, muss er landschaftliche Dynamik und Komplexität erfassen, schützen oder regenerieren – sonst verbleibt er im statischen Denken und verkommt zum „Pritzelkram“.1) Wer sich für Tiere, Pflanzen und den Erhalt der Lebensgrundlagen engagieren und in der Landschaft „mitbasteln“ möchte, sollte also den Kopf anstrengen, um wenigstens ansatzweise die Abläufe und verschiedenen Wechselwirkungen in der Natur zu berücksichtigen. In diesem Buch sollen daher einleitend grundlegende Zusammenhänge in und zwischen Ökosystemen, Tier- und Pflanzenpopulationen dargestellt werden, bevor es im Hauptteil um die konkreten Maßnahmen für den Biotopschutz geht.

1.1 Natur – unbegreiflich, komplex, dynamisch

Charakterisierende Merkmale eines jeden Ökosystems sind die vier Faktoren Milieu, Struktur, Dynamik und Verbund. Sie schaffen die jeweiligen typischen Bedingungen eines Standortes, der aufgrund der Vielzahl von Wechselwirkungen mit der Umgebung ein offenes System darstellt. Jeder Fleck dieser Erde ist dem Eintrag von Stoffen durch Regen, Überschwemmung und Anwehung sowie von Energie wie Wind, Sonnenlicht und -wärme ausgesetzt. Hinzu kommen Tierwanderungen und Ansiedlungsversuchen tausender Arten. Die Standortbedingungen können vom Menschen aufgrund seiner technischen Fähigkeiten heute fast beliebig verändert werden – bis hin zu einem Zustand, der kaum noch Ähnlichkeit mit den ursprünglichen landschaftlichen Verhältnissen hat. Kurzfristiges „Profitdenken“ hat vielerorts über eine intelligente Nutzung natürlicher Prozesse und Verhältnisse (Allianztechnologie2) ) gesiegt. Ob landwirtschaftliche Flächen, Dörfer, Städte, Verkehrsachsen oder Tagebau – sie alle haben die Landschaft vollständig oder weitgehend überprägt, kaum einer der vier wirkenden Faktoren ist in seiner ursprünglichen Form auch nur annähernd erhalten geblieben.

Daraus resultiert eine große Aufgabe für den Biotopschutz. Der Artenreichtum der heimischen Tier- und Pflanzenwelt ist nur zu bewahren, wenn es gelingt, ihre typischen Lebensräume in ausreichender Größe und Qualität zu erhalten und, wo nötig, zu regenerieren.

Doch muss das die Ausgrenzung des Menschen aus der Natur bedeuten? Die Standortbedingungen weiter Teile Mitteleuropas begünstigen den mitteleuropäischen Buchenwald, deshalb würde er, ohne den Einfluss des Menschen, heute weite Teile der Landschaft prägen, er stellt dort die so genannte potenziell natürliche Vegetation dar. Die reale Vegetation hingegen ist die tatsächliche, in Mitteleuropa größtenteils durch den Einfluss des Menschen geprägte Vegetation. Bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts förderte der Mensch durch Ackerbau und Viehzucht den Strukturreichtum der Landschaft und damit die Artenvielfalt. Das folgt Thienemanns Grundgesetzen der Lebensgemeinschaften:

1) Je vielseitiger die Umweltbedingungen, desto höher ist die Zahl der Arten.

2) Je einseitiger die Umweltbedingungen, desto geringer ist die Zahl der Arten.3)

Unvollständig ist dieses Bild hinsichtlich der Frage, wieweit sich daraus ein Leitbild ergibt. Denn eine maximale Anzahl der Arten ist kein Selbstzweck. Vielmehr ist die landschaftsgemäße Artenzusammensetzung für einen an den jeweiligen Bedingungen orientierten Biotopschutz wichtig – dann allerdings jeweils möglichst vollständig. Die zunächst entstandene kleinbäuerliche Kulturlandschaft zeichnete sich durch ein vielfältiges, kleinräumiges Mosaik verschiedener Nutzungen und damit unterschiedlicher Lebensräume für wildlebende Tier- und Pflanzenarten aus (z. B. Äcker, Wiesen, Weiden, Hecken und Hutungen). Im 18. Jahrhundert erreichte die Artenvielfalt in Mitteleuropa ihren Höchststand, trugen doch die Lebensgemeinschaften sowohl der ausreichend verbliebenen ursprünglichen Lebensräume als auch die der neu entstandenen kleinräumigen Kulturlandschaft des Grünlandes und der zwischen Äckern und Wiesen verstreuten Kleinstrukturen zu dieser Artenvielfalt bei. Heute sehen wir die Folgen des seit den 1950er-Jahren andauernden Strukturwandels der Landwirtschaft: durch Flurbereinigung ausgeräumte Landschaften, großflächige Monokulturen. Es sind „grüne Wüsten“ industrieller Landwirtschaft entstanden, die aufgrund ihrer Uniformität und des massiven Einsatzes von Düngern, Pestiziden und der umfangreichen Entwässerungen ihre ursprüngliche Prägung und Vielfältigkeit verloren und darüber hinaus Barrieren zwischen den verbliebenen Lebensräumen bildeten (Abb. 1.1). Biotopschutz widmet sich der Aufgabe, den Artenbestand zu erhalten oder ihm, soweit er nicht unwiederbringlich, d. h. auch im gesamten umgebenden, mitteleuropäischen Raum vernichtete wurde, die Chance zur Wiederkehr und Regeneration zu geben.

Abbildung 1.1 Artenvielfalt im Verlauf der Jahrhunderte. Menschliche Nutzung hat die Artenvielfalt zunächst wesentlich erhöht, da neue Lebensräume entstanden und Arten zuwandern konnten. Ausräumung, Veränderung der Standorte und Gifteinsatz haben in den letzten Jahrzehnten jedoch einen gewaltigen Einbruch in den Artenzahlen verursacht (verändert nach Sukopp, 1985).

Da der Mensch Teil der Natur und seit langer Zeit gestaltendes Element ist, macht das vor einigen Jahrzehnten noch verbreitete Gedankenmodell, die „Wildnis“ vor dem Menschen zu schützen, keinen Sinn. Einige Wirkungen menschlicher Tätigkeit sind ohnehin von keinem Ort der Welt mehr abzuhalten (z. B. Klimawandel, Luftverschmutzung, Einbringung gentechnisch veränderter Organismen und global erhöhte radioaktive Strahlung). Zeitgemäß wäre es, uns als Teil der Natur zu begreifen, unser Verständnis für die Gesetzmäßigkeiten des Lebens zu schulen und die Vielfalt zu nutzen, statt sie zu zerstören.

Tiere und Pflanzen sowohl der naturnahen als auch der genutzten Lebensräume haben sich an die jeweiligen Standortbedingungen angepasst. Es gab eine lange Evolution der Anpassung an natürliche ökologische Bedingungen, danach eine kürzere der Anpassung an vom Menschen genutzte Lebensräume und -bedingungen. Die Arten können nur dann überleben, wenn die Faktoren Milieu, Struktur, Dynamik und Verbund in der für die Landschaft jeweils typischen Weise erhalten bleiben.

Jede Verfälschung der natürlichen vertikalen Schichtung, Lebensstätten und -nischen, der Boden- und Wasserverhältnisse sowie des Kleinklimas, der periodischen Standortschwankungen, Vegetationsentwicklungen und Bodenreife und des natürlichen Verbundes aus Nachbarschaftseinflüssen und Artenaustausch verändert die Lebensbedingungen und verdrängt dort typische Arten. In den folgenden Abschnitten sollen daher die Begriffe Struktur, Milieu, Dynamik und Verbund mit ihrer Bedeutung für den Biotopschutz näher vorgestellt werden.

1.1.1 Milieu: Was Tiere und Pflanzen direkt umgibt

Die Artenzusammensetzung einer Lebensgemeinschaft hängt sowohl von den biotischen als auch den abiotischen Bedingungen des Lebensraumes ab und spiegelt diese deshalb wider. Unter ähnlichen Standortbedingungen bilden sich folglich ähnliche Lebensgemeinschaften aus. Dies ermöglicht die Typisierung von Lebensräumen auf Grundlage der dominierenden Faktoren. Da sich jedoch weder die Standortfaktoren noch die einzelnen Arten der Lebensgemeinschaften synchron ändern, sind je nach Blickwinkel verschiedene Grenzziehungen und damit Typisierungen möglich.

„Obwohl vermutlich kein natürliches Ökosystem wegen seiner außerordentlichen Komplexität jemals in allen seinen Wechselbeziehungen vollständig erfasst und dargestellt werden kann, ist für die Naturschutzpraxis eine ordnende Gruppierung der Vielfalt der Natur nach möglichst natürlichen Gegebenheiten unverzichtbar“ (Blab, 1993).

Der Biotopschutz braucht den Blick für das Besondere des Standortes und den Mut, der Natur die Möglichkeit zu geben, sich selbst in der Form zu entfalten, die am jeweiligen Ort passend ist. Nicht der sorgsam gebastelte Bachmäander mit allen Schikanen des Biotopschutz-Einmaleins ist das Ziel, sondern der dynamische Wasserlauf, dem Platz gegeben wird, sich selbst zu erschaffen und weiter zu verändern. Das mag manche Biotopschützer und Planer wenig erfreuen, die sich mit ihren Naturschutzmaßnahmen ein eigenes Denkmal setzen wollen oder nach Bausumme bezahlt werden. Doch es wäre erfreulich, wenn das „statische Naturdenken“ überwunden würde, zugunsten eines Blickes und Verständnisses für die Einmaligkeit jeder Situation, der Komplexität und Vergänglichkeit dynamisch erwachsender Zustände.

Viele Tier- und Pflanzenarten sind an den speziellen Lebensraum4) angepasst und von ihm abhängig. Die Bindung beruht vor allem auf dem Nährstoff- und Wasserhaushalt im Boden sowie den kleinklimatischen Verhältnissen, angefangen vom Luftfeuchtegrad über die Durchschnittstemperaturen und Sonneneinstrahlung (z. B. der Unterschied zwischen Nord- oder Südhang) bis zur Windexposition einer Fläche. Dieser Komplex, ergänzt durch Sonderbedingungen wie extreme Hängigkeit, dauernde Abtragung oder Ablagerung usw., entsteht als Folge der Entwicklung des gesamten Faktorengefüges. Zentrale sowie gut erfassbare Einflussgrößen sind Relief und der geologische Untergrund als Ausgangsgestein der Bodenentwicklung.

Auch wenn jede Landschaft dieser Erde, jedes Ökosystem und jedes Habitat5) einmalig ist und daher hinsichtlich der dort lebenden Arten immer ein bisschen variiert, lassen sich Typen bilden. Denn je nach Ausprägung der verschiedenen Faktoren finden sich die dazu passenden Arten ein. Die Unterschiede im Detail verhindern nicht, wiederkehrende Pflanzengesellschaften und Biotoptypen zu beschreiben. Pflanzen, die unter den speziellen Standortbedingungen konkurrenzstark sind, gehören zum typischen Arteninventar, sofern der Wuchsort für diese Art erreichbar ist. Die durch die Pflanzensoziologie definierten Vegetationseinheiten sind nach besonders charakteristischen Arten benannt worden.

Beispiel: Heckenrose (Rosa canina)

Lichtzahl 8: bedeutet hohen Lichtanspruch.Temperaturzahl 5: bedeutet auf der Skala von 1 bis 9 einen „Mäßigwärmezeiger“.Kontinentalitätszahl 3: 1 bedeutet ozeanisch, 9 bedeutet extrem kontinental.Feuchtezahl 4: bedeutet einen Zeiger für leichte Trocknis bis mäßige Frische.Reaktionszahl x: Die Rose verhält sich bezüglich des pH-Wertes des Bodens indifferent.Stickstoffzahl x: Auch hier verhält sich die Rose indifferent, ist also an keinen besonderen Stickstoffgehalt des Bodens gebunden. Stickstoff- und Basengehalt zeigen zusammen den Nährstoffhaushalt des Bodens an.

Aufgrund besonders enger Standortansprüche eignen sich bestimmte Pflanzenarten als Indikatoren für bestimmte Standortverhältnisse. Von Heinz Ellenberg6) wurden Zeigerwerte für Pflanzen in einer Skala von 1 bis 9 festgelegt.

Die höchste „Auflösung“ bietet jedoch die gesamte Pflanzengesellschaft eines Standortes. Sie integriert alle auf sie wirkenden Faktoren über die Zeit. Mithilfe dieses Wissens sind Rückschlüsse von der Lebensgemeinschaft auf den Standort möglich.

Jede Erfassung des Milieus an einem Standort ist nur eine Momentaufnahme. Denn die Standortfaktoren variieren über die Zeit. So sind die Biotope und Lebensgemeinschaften z. B. Schwankungen der Temperaturen im Tages- und Jahresverlauf sowie dem Wechsel von Regen und trockenem Wetter ausgesetzt.

Durch Düngung, Ent- und Bewässerung sowie Überbauung haben Menschen in die landschaftlichen Bedingungen eingegriffen und hierdurch die meisten der heute gefährdeten Tiere und Pflanzen verdrängt. Standorte, die nicht den Normansprüchen entsprachen, wurden künstlich auf diesen Standard gebracht – oder, wenn zum Wohngebiet geeignet, mit Straßen, Häusern, Beton und Vorgärten aus dem Katalog überzogen.

Was nun heißt das für den praktischen Biotopschutz? In der gesamten unbebauten Landschaft (genutzt und ungenutzt), nach Möglichkeit auch innerhalb bebauter Bereiche, müssen die naturgemäßen Milieubedingungen erhalten bleiben oder wieder neu entwickelt werden (Renaturierung). Zu diesen Bedingungen gehören die Standortbedingungen (ursprünglicher Wasser- und Nährstoffhaushalt) und die Möglichkeit, dass sich aus diesen Einflüssen und der Wirkung vorhandener Vegetation ein Kleinklima bilden kann, welches zum Standort passt. Schematische Lösungen widersprechen der natürlichen Dynamik, dennoch gilt es, möglichst viel der standorttypischen Prägung zu sichern.

Nutzungen sollten zumindest den typischen Wasser- und Nährstoffbedingungen im Boden entsprechen. Vorhandene Abweichungen sind rückgängig zu machen, insbesondere in zusammenhängenden Landschaftsräumen besonderer Prägung, wie z. B. Täler, Höhenzüge, Ufer und Küsten. Es gibt Standortverhältnisse, auf die ein besonderes Augenmerk gelegt werden sollte. Denn wer in die Roten Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten schaut, stellt fest, dass fast alle dort aufgeführten Arten aus landschaftlichen Bereichen stammen, die durch folgende Faktoren geprägt sind:

Feuchtigkeit,magerer Boden, meist auch trocken,hohe Dynamik, z. B. durch Erosion in Auen und/oderbesonderes Kleinklima, vor allem Warm- und Trockenhänge.

Die meisten Orte solcher Prägung sind verschwunden. Ein Grund hierfür ist, dass insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft das Bestreben besteht, einen einheitlichen, den Produktionsbedingungen angepassten Standort zu schaffen. Wo es zu feucht ist, wird entwässert. Wo es zu trocken oder zu mager ist, wird bewässert bzw. gedüngt usw. Zum Teil gibt es diese Entwicklung auch in der Forstwirtschaft, wo Düngung und Bodenbearbeitung immer häufiger zum forstbaulichen Alltag gehören bzw. die Entfaltung der typischen Baumarten durch Pflanzung fremder Gehölze unterdrückt wird. Zu alledem überdecken Neubaugebiete und Industrieflächen die Bereiche besonderer landschaftlicher Prägung, da hier kein Widerstand seitens der Landwirtschaft besteht (Abb. 1.2).

Abbildung 1.2 Hangoberkante eines größeren Höhenrückens: An dieser Stelle bildet sich der neben Kuppen trockenste Bereich. Die Nutzung ist entsprechend extensiv, Trockengebüsche breiten sich aus.

1.1.2 Struktur

In der Natur entwickeln sich Schichten des Lebens über- und nebeneinander. Das gilt auch im Boden mit dem Ausgangsgestein in der Tiefe, darüber aufgeschwemmten oder angewehten Sedimenten und schließlich humosen Oberschichten. Die kleinräumige Reliefierung des Geländes mit Mulden, kleinen oder großen Böschungen, Abbruchkanten, herumliegenden Steinen oder Felsen, Laubanwehungen und vielen kleinräumigen Besonderheiten bildet die Vielfalt des Übergangs zwischen Boden und Luftraum. Darüber folgen, je nach landschaftlicher Situation, Nutzung und Stadium der Selbstentwicklung, mehrere Ebenen von Vegetation übereinander – z. B. im Wald die Krautschicht, Strauchschicht und der Kronenbereich. Die in einer Landschaft typischen Arten können dann überleben, wenn auch die Struktur der Lebensräume der Landschaft entspricht, d. h. natürlich oder naturnah ist. Auf flachgründig-trockenen Böden fehlen Bäume, mitunter ragt der nackte Fels in die Luft. Aber auch dort, wo Wald dominiert, wäre jeglicher Gedanke von Einheitlichkeit fehl am Platze. Entlang von Flüssen sind meist reich strukturierte Auwälder typisch. Ebenso weisen die Eichen-Hainbuchenwälder auf feuchten Böden viele Stockwerke auf. Auf den Lehmen des Berg- und Hügellandes hingegen besteht der Rotbuchenwald oft nur aus der bodennahen Krautschicht und etwa gleich hohen Bäumen. Ein „Besser“ oder „Schlechter“ gibt es nicht – für den Biotopschutz gilt, die an einem Ort jeweils typische und passende Struktur herauszufinden und zu entwickeln. Die Struktur ist nicht statisch, sondern dynamisch, d. h., sie verändert sich im Laufe der Sukzession.

Ohne menschliche Eingriffe entwickelt sich eine standortgemäße Struktur von selbst, bei genutzten Flächen sollte die Art der Bewirtschaftung den natürlichen Strukturen angepasst werden (im Falle der Forstwirtschaft hieße dies, den standorttypischen Waldaufbau zu berücksichtigen und z. B. bei vielstufigen Wäldern Plenterwirtschaft zu betreiben, bei Buchenhallenwäldern aber auch abschnittsweise Kahlschläge mit anschließender Selbstentwicklung). Bei Acker- und Grünland gelingt dieses nur teilweise, aber wildkrautreiche Unter- und Zwischensaat, Ackerrandstreifen und eine hohe Dichte an Kleinstrukturen können auch hier wenigstens einige standorttypische Strukturen nachahmen.

Für die konkrete Planung und Umsetzung von Biotopschutzmaßnahmen bedeutet das Ziel einer landschaftsgemäßen Struktur, dass jeder einzelne Lebensraum detaillierten erfasst und bewertet werden muss (Abb. 1.3 und 1.4).

Abbildung 1.3 Vielfältiger Wald: Vor allem auf trockenen, feuchten, überschwemmungs- oder spätfrostgefährdeten Böden kann sich die Buche nicht oder nur schlecht durchsetzen. Die Waldformen sind in der Regel sehr vielfältig strukturiert. Das Foto zeigt einen Eichenmischwald auf feuchtem Boden.

Abbildung 1.4 Buchenwald: Zielbild des Naturschutzes muss die jeweils standorttypische Waldform sein. In vielen Fällen wäre das ein Rotbuchenwald, der neben einer Krautschicht eine relativ gleichmäßige Kronenschicht aufweist. Naturnah wäre eine Forstwirtschaft, die kleine Kahlschläge schafft, auf denen dann wieder eine Selbstentwicklung stattfindet.

1.1.3 Dynamik

Natur ist im Wandel, starre Formen kennt sie nicht. Wandel kann fortschreitend sein wie z. B. bei der Verlandung von Gewässern und bei der Bodenbildung, immer wiederkehrend wie bei Ebbe und Flut, oder aber einmalig wie beim Entstehen von Geröllhalden durch einen Bergsturz. Entwicklungen können über lange Zeiträume erfolgen oder sich im Jahresverlauf wiederholen. Die Vielfalt von Lebensräumen und Arten ist eine Folge dieser Dynamik, die ständig neue Formen schafft, nie einen endgültigen Zustand belässt. Viele Arten brauchen die durch Erosion oder andere Einflüsse entstehenden Freiflächen, Dynamik ist die Überlebensgrundlage dieser Erstbesiedler (Pionierarten). Es gibt in Mitteleuropa mehr Arten, die in den Sukzessionsstadien der Vegetationsentwicklung leben (einschließlich der naturnah genutzten Flächen, die künstlich solchen Zwischenstadien ähnliche Lebensbedingungen aufrechterhalten), als solche, die in den Klimax-Pflanzengesellschaften leben. Dynamische Prozesse sind:

1) Zerfallsphasen im Alterungsprozess von Vegetationseinheiten, z. B. steigender Totholzanteil in Wäldern,

2) periodische Abläufe wie Hochwasser und Geschiebe-Umlagerungen in Fließgewässern und Auen, aber auch Jahreszeiten,

3) Einzelereignisse mit massiver Störwirkung wie Windbruch, Lawinen und Bergrutsche, Massenvermehrung von Fraßinsekten mit anschließendem Anfall von toter Pflanzenmaterie oder Kalamitäten, die zur Entstehung von Totholz oder offenen Flächen im Wald führen,

4) Reifungsprozesse wie die Verlandung von Gewässern oder das Wachstum von Hochmooren,

5) kontinuierliche Erosionsprozesse wie das Mäandern von Bächen, Sedimentation und Abtrag an Prall- und Gleitufern der Flüsse und Bäche.

Diese Störungen stellen entscheidende Ausgangsgrößen für die anschließende Sukzession dar und sind in fast allen Lebensräumen typisch, viele Tiere und Pflanzen haben sich darauf eingestellt. Prozessschutz erfordert Gebiete und Zeiträume, die so großflächig und dauerhaft gesichert sind, „dass permanent sämtliche Entwicklungsphasen des Ökosystems … präsent sind, dass auch Habitatspezialisten langfristig überleben können“. (Jedicke, 1995) Solche Ziele können auch durch menschliche Nutzung erreicht werden, wenn die Nutzung Stadien der natürlichen Sukzession simuliert, z. B. durch den Eingriff des Försters. Dazu muss dieser die natürliche Dynamik der Pflanzengesellschaften, des Wasserhaushaltes und der Bodenentwicklung zum Vorbild nehmen.

Es ist wichtig, Nutzung so zu denken und zu planen. Denn ursprüngliche Natur besteht nur dort, wo die vier Landschaftsfaktoren Milieu, Struktur, Dynamik und Verbund ohne Beschränkung durch den Menschen vorkommen. Das ist heute in Mitteleuropa nirgends mehr großräumig der Fall. In den dicht besiedelten Landschaften Mitteleuropas sind die Möglichkeiten des Zulassens dynamischer Prozesse begrenzt. Neben den Küsten bieten vor allem Wälder und Fließgewässer und ihre Auen vergleichsweise günstige Voraussetzungen. Gerade Wälder nehmen fast ein Drittel der Landesfläche Deutschlands ein. Prozessschutz betrifft vorrangig Elemente der Naturlandschaft, darüber hinaus aber auch Sukzessionsprozesse auf anthropogen veränderten bzw. beeinflussten Standorten, die zu naturnäheren Stadien führen. Nicht zuletzt kann auch die wilde Gartenecke oder das weniger intensiv gepflegte öffentliche Grün eine Dimension von Dynamik sein (Weiger und Margraf, 2002).

Biotopschutz muss „Prozessschutz“ beinhalten. Ziel ist der Schutz von Entwicklungsmöglichkeiten und das Zulassen möglichst ungestörter Prozesse (Abb. 1.5–1.8). Biotopschutz zielt nicht allein auf den Schutz von Zuständen, sondern auch auf das Zulassen ständiger Veränderungen – allerdings nicht beliebiger. Prozesse, die die natürlichen Standortbedingungen durch künstliche ersetzen, gehören nicht dazu. Also weder die Eutrophierung von Gewässern durch künstlichen Nährstoffeintrag noch die Erosion, Versalzung oder Vergiftung von Böden durch rücksichtslose Nutzung.

Abbildung 1.5 Überschwemmung: Eine typische Form natürlicher Dynamik ist der Wechsel des Wasserstandes. Genauso wie die Überflutung größerer Bereiche im Frühjahr kann auch das Trockenfallen kleiner Bäche oder Stillgewässer natürlich sein.

Abbildung 1.6 Dynamischer Bach: Bäche verändern ihre Gestalt oft und sichtbar. Veränderungen aber prägen jeden Lebensraum, soweit er nicht vom Menschen gestört wird. Die jeweils typischen Arten haben sich daran angepasst und sind von der Dynamik abhängig.

Abbildung 1.7 Vegetationsdynamik: Ausbreiten von Schlehen am Rande eines Trockengebüsches. Etliche Arten, z. B. der Segelfalter, brauchen solch einen Gehölzbewuchs. Starre Nutzungsschemata als Trennung zwischen genutzter und geschützter Fläche sind wenig sinnvoll, mehr dagegen Sukzessionsflächen sowie das Beseitigen zugewachsener Flächen zum Ausgleich der durch den Neuaufwuchs verringerten Nutzfläche.

Abbildung 1.8 Kahlschlag: Etliche Arten sind an die Kahlschlagsituation angepasst. Sie haben eine hohe Verbreitungstendenz, um die neu entstehenden Freiflächen schnell zu besiedeln. Brand, Erosion, Steinschlag, Erdrutschungen und Windwurf gehören zur natürlichen Dynamik des Waldes. Forstwirtschaft muss dieses nachahmen, soll der Artenbestand erhalten werden.

Sukzession

Das Vorkommen einer Pflanzengesellschaft ist aber nicht allein abhängig von dem jeweiligen Standort. Vielmehr passen zu jedem Standort mehrere Gesellschaften, deren tatsächliches Vorkommen von weiteren Einflüssen abhängig ist. Zu diesen Einflüssen gehören insbesondere die zeitliche Entwicklung der Pflanzengesellschaften (Sukzessionsstadium), sowie die Nutzungsart und Nutzungsintensität.

Die Aufeinanderfolge von Pflanzengesellschaften nach einer Zerstörung der Vegetation wird Sukzession genannt. Sie gehört zur natürlichen Dynamik einer Naturlandschaft. Mitteleuropa war nie vollständig von Waldflächen, den Klimaxstadien der Sukzession, überzogen. Vielmehr erhielten Faktoren wie Windwurf, Brand und Erosion ein dynamisches Mosaik verschiedenster Sukzessionsstadien aufrecht. Viele Pflanzen- und Tierarten leben nur in bestimmten Zwischenstadien, sind also auf deren Wiederkehr angewiesen. Die oft Jahrhunderte dauernden Zyklen der Sukzession tragen zur Vielfalt der Lebensräume bei.

Sukzession aber bedeutet oft auch eine bleibende Veränderung. Ein Beispiel dafür wäre die Bodenentwicklung (z. B. vom Rohboden über Braunerde bis hin zum Podsol). Im Laufe dieser Entwicklung ändern sich die Standorteigenschaften, wie z. B. der pH-Wert, sodass es zu einer Verschiebung der Artenzusammensetzung kommt. Deutliche Veränderungen dieser Art können sich zum Beispiel an Seeufern ergeben, wo die verschiedenen Sukzessionsstadien im Laufe der Verlandung von Seen aufeinander fußen. Die verschiedenen Pflanzengesellschaften erhöhen durch den Bestandsabfall den Untergrund. Die Folge sind trockenere Standortverhältnisse und eine damit einhergehende Artenverschiebung. Alle Stadien können auch nebeneinander vorkommen – wiederum ein natürlicher Zustand und damit eine Form, an die sich Tiere und Pflanzen angepasst haben, ohne die sie nicht überleben können.

Die menschliche Nutzung hat sich durch den Einfluss verschiedener Faktoren wie Mahd, jährliches Umpflügen, oder Verbiss und Tritt durch Weidetiere auf die Artenzusammensetzung der Lebensgemeinschaften ausgewirkt. So entwickelten sich je nach Nutzungsart und -intensität unter den natürlichen Gegebenheiten eines Standortes bestimmte Lebensgemeinschaften. Bestimmte, natürlicherweise auf diesem Standort vorkommende Pflanzen wurden durch diese Faktoren verdrängt, andere gefördert. Bestimmten Arten wurde auf diese Weise die Besiedlung bestimmter Standortes überhaupt erst ermöglicht, da sie unter natürlichen Bedingungen zu konkurrenzschwach waren. Dennoch blieben es die Pflanzen, die den typischen Landschaftsfaktoren Relief, Boden, Wasser und Kleinklima angepasst waren. In ihrem Gefolge wanderten auch Tiere in die genutzten Flächen neu ein.

Eines der wichtigen Ziele und Aufgaben des Naturschutzes in Deutschland muss sein, die natürlichen dynamischen Prozesse in der Landschaft wieder zu ermöglichen und deshalb den Anteil von Gebieten zu erhöhen, in die der Mensch nicht eingreift. Dies ist erforderlich, um die gesamte Vielfalt an Arten und Lebensgemeinschaften sowie an Funktionen der Ökosysteme zu sichern. Natürliche dynamische Prozesse sind heute selten geworden und mit ihnen viele (spezialisierte) Tier- und Pflanzenarten. Nicht jeder Prozess allerdings ist schutzwürdig, zum Beispiel der Prozess der Eutrophierung; Prozessschutz muss deshalb die endogenen Faktoren zulassen und darf nicht die Akzeptanz für negative exogene Faktoren erhöhen (Weiger und Margraf, 2002).

Wo das kleinräumige Mosaik der bäuerlichen Kulturlandschaft, diese Mischung natürlicher und genutzter Lebensräume, als Leitbild für unsere Umwelt akzeptiert wird, gehören natürliche Dynamik und natürliche Pflanzengesellschaften ebenso dazu wie die neu entstandenen oder genutzten Flächen. Niemals jedoch kann eine Verfälschung der Landschaftsfaktoren Relief, Boden, Wasser und Kleinklima sinnvoll sein, werden doch dadurch nicht nur die typischen natürlichen, sondern ebenso die typischen genutzten Lebensräume vernichtet. Damit verschwindet der gesamte typische Artenbestand.

Diese Erkenntnis und ein konsequentes Wirken in die richtige Richtung sind das „Erfolgsrezept des Naturschutzes“. Es kann nunmehr nur noch Ziel sein, einen typischen Zustand der Faktoren einer Landschaft zu erhalten oder wieder herzustellen. Dieser ist eine Kulturlandschaft, in der natürliche und genutzte Lebensräume in sinnvoller Verknüpfung und in – für die jeweiligen Lebensgemeinschaften – ausreichenden Größen vorkommen. Sie alle müssen aber die typischen Standortbedingungen voll aufweisen. Nur so kann den Tier- und Pflanzenarten ein Überleben dauerhaft gesichert werden.

1.1.4 Verbund

Lebensräume verschiedener Ausstattung liegen nebeneinander: Wald, Gewässer, Trockenbiotope und viele mehr. Ihre Abfolgen sind nicht zufällig, sondern entstehen aus den natürlichen Bedingungen einer Landschaft. Entlang des Talraumes, am Hang oder Seeufer, zwischen Wald und Moor oder Trockenrasen und an vielen anderen Stellen bilden sich Übergänge, die für die Natur und für die naturnahe Kulturlandschaft typisch sind. An die Nachbarschaft der Lebensräume haben sich viele Tiere angepasst und wechseln zwischen ihnen.

Viele Tiere haben eigene Fortbewegungsmöglichkeiten. Sie können die Lebensräume oder Habitate, in denen sie sich aufhalten, wechseln.

Im Laufe der ökologischen Evolution sind viele Formen des Habitatwechsels entstanden, die es zu sichern oder wieder neu zu schaffen gilt, um ein dauerhaftes Überleben der Lebensgemeinschaften zu erreichen.

1) Tierwanderungen im Tagesverlauf: Viele Tierarten sind schon nach ihrer Aktivität im Tagesverlauf nicht auf einen Biotoptyp festlegbar, sondern benötigen für Ruhe-, Nahrungs- oder z. B. Brutplätze sehr unterschiedliche Strukturen. Diese müssen daher aneinander grenzen oder durch Strukturen verbunden sein, die als Wanderwege dienen.

2) Tierwanderungen im Jahresverlauf: Sommer- und Winterquartiere vieler Tierarten sind sehr verschieden, auch Brutgebiete können ganz andere sein als die anschließenden Aufenthaltsorte. Die Entfernungen zwischen den Teillebensräumen variieren von Art zu Art. So wandern z. B. die Erdkröten relativ kurze Strecken zwischen Laichtümpel und Winterquartier, im Vergleich zu den Zugvögeln, die oft Tausende von Kilometern lange Flugstrecken zwischen Brut- und Winterquartier zurücklegen.

3) Lebensraumwechsel in der Entwicklung: Viele Tierarten besiedeln in verschiedenen Entwicklungsstadien auch unterschiedliche Lebensräume. So z. B. die Bachlibellen, die zunächst im Quellgebiet ihre Eier ablegen, als Larve in tiefer gelegene Bachabschnitte hinab gespült werden, um nach dem Schlüpfen wieder zurück zum Quellgebiet zu fliegen.

Die genannten Formen des Wechsels von Tieren zwischen Lebensräumen betreffen jeweils das Individuum, das Lebensräume wechselt. Dabei sind unterschiedliche Lebensräume für das Überleben notwendig, d. h., eine Naturschutzplanung muss unterschiedliche Bereiche sinnvoll miteinander verbinden, sei es wiederum durch Nachbarlage oder durch geeignete Wanderwege. Welche Lebensräume zu vernetzen sind, ist dabei nicht zufällig, sondern aus den gesamtlandschaftlichen Beziehungen herauszulesen.

Eine zweite Form des Habitatwechsels bezieht sich auf den Wechsel von einzelnen Tieren (Individuen) zwischen zwei Populationen derselben Art, z. B. also zwischen zwei benachbart liegenden, gleichen Lebensräumen.

1) Genetischer Austausch: Lebt die Population einer Art von anderen Populationen in einem gleichen, aber entfernt liegenden Lebensraum getrennt, kommt es zur Inzucht, was zur Einschränkung der Variabilität des Genpools der Population führt. Die Anpassungsfähigkeit der Population an wechselnde Lebensbedingungen ist dadurch geschwächt, sodass Schwankungen der Lebensbedingungen zum Zusammenbruch der Population führen können. Wäre das Erbgut vielfältiger, bestände dagegen die Chance, dass mindestens ein Teil der Population auch an diesen Schwankung angepasst wäre und überleben könnte. Nur die Vernetzung verschiedener Populationen kann den Prozess der genetischen Verarmung verhindern.

2) Ersatz von Populationen: Durch Schwankungen der Lebensbedingungen, Naturkatastrophen und vor allem heute durch den Eingriff des Menschen kann ein Lebensraum so verändert werden, dass eine Art dort ausstirbt. Bliebe der Lebensraum anschließend besiedelbar, müsste eine Zuwanderung von außen erfolgen, damit die Art dort wieder auftritt. Um diese Zuwanderung zu ermöglichen, muss der Lebensraum mit anderen, in denen die Art vorkommt, verbunden sein.

3) Neubesiedlung von Lebensräumen: Ähnliches gilt für neu geschaffene Lebensräume, die in isolierter Lage sinnlos sind, sondern eingebunden sein müssen in einen Verbund der Lebensräume einer Landschaft. Nur so können die dort typischen Arten auch wirklich einwandern und Populationen aufbauen. Die Betrachtung einzelner Lebensräume ist im Naturschutz daher aus ökologischer Sicht unhaltbar!

4) Generationswechsel: Insbesondere bei Reviere bildenden Arten werden Nachkommen der Revierinhaber zunächst in die Umgebung ausweichen müssen. Durch den Tod der älteren Generation wird dieses Revier jedoch wieder frei. Zur Neubesiedlung ist ein Verbund zu benachbarten Revieren von großer Bedeutung.

5) Ökologisches Gleichgewicht: Die zwischenartlichen Beziehungen, die zur Steuerung der Populationen beitragen, werden durch die Räuber-Beute-Systeme beschrieben. Dieses Wort ist hier im umfassenden Sinne benutzt, umfasst also nicht nur die direkten Fressbeziehungen, die ja als solches schon sehr vielfältig sind, sondern auch Krankheiten und Parasitismus, die in vielen Fällen weit wirksamer die Dichte einer Population regeln als das „Fressen und Gefressenwerden“. Je vielfältiger die Beziehungen sind, desto weniger anfällig ist eine Lebensgemeinschaft gegenüber Schwankungen und Einflüssen von außen. Durch den Austausch von Arten, hier vor allem auch das zeitweise Einwandern von Tieren in einen ihnen eigentlich fremden Lebensraum, wird das Nahrungsgefüge umfassender und stabiler.

6) Vergrößerung des Lebensbereiches: Die individuellen Territorien mancher Arten, insbesondere die großer Jäger, umfassen große Flächen. Daraus ergibt sich ein besonders hoher Flächenbedarf zur Erhaltung dieser Arten, da für ein dauerhaftes Überleben stabile Populationen einer Art notwendig sind. Unterschreitet diese eine Mindestgröße, so werden die Fortpflanzungsmöglichkeiten eingeschränkt und die Art stirbt früher oder später aus. Ausreichende Größen von Lebensräumen sind also notwendig. Die Gesamtfläche kann auch durch den Verbund kleinerer Teilflächen erreicht werden, sofern das Tier/die Art zwischen ihnen wechseln und so z. B. das Nahrungsangebot beider Teilflächen nutzen kann.

Dieser Austausch gilt für Tiere ebenso wie für Pflanzenarten, deren Samen durch Wind oder vor allem durch Tiere in andere Lebensräume verfrachtet werden und dort die genetische Vielfalt stabilisieren.

Bei der Ausweisung von Schutzgebieten wurde lange Zeit zu wenig beachtet, dass durch den fortschreitenden Verlust naturnaher Lebensräume auch die gesamtlandschaftlichen ökologischen Zusammenhänge zerrissen wurden. Ein ehemals eng verwobenes Gesamtsystem wurde in isolierte Einzelteile zerlegt und wichtige Vernetzungsbeziehungen gingen verloren. Die scharfe räumliche Trennung zwischen der intensiv genutzten Landschaft und den verbleibenden, meist kleinflächigen Inseln naturnaher bzw. weniger intensiv genutzter Landschaftsausschnitte verhindert oft den notwendigen genetischen Austausch zwischen den Populationen der Habitatinseln und die Ausbreitung der Arten. Arten mit einem hohen Raumanspruch bzw. solche mit einer zeitlich und/oder räumlich komplexen Habitatbindung werden hierdurch besonders beeinträchtigt. Nur wenn es gelingt, die verbleibenden „Biotopinseln“ wirksam zu schützen und in ein kohärentes System einzuordnen sowie die Landschaft insgesamt durchgängiger für Dispersions- und Migrationsprozesse zu machen, können die Bedingungen für einen langfristigen Erhalt überlebensfähiger Populationen vieler heimischer Tier- und Pflanzenarten geschaffen werden. Die bisher geschützten „Biotopinseln“ können diese Funktion alleine nicht mehr erfüllen. Daher wurde bereits seit den 1970er-Jahren in der Wissenschaft die Forderung nach Schaffung eines wirksamen Biotopverbunds in Deutschland laut. Zentraler Bestandteil eines wirksamen Biotopverbunds aber ist ein kohärentes Schutzgebietssystem. Dieses muss durch geeignete Verbundelemente und eine generelle Extensivierung der Flächennutzung auf der Gesamtfläche ergänzt werden (vgl. Finck, 2002).

Um stabile und somit dauerhaft gesicherte Populationen aufbauen zu können, benötigen alle Arten einen ausreichend großen Lebensraum und den Austausch mit Populationen derselben Art in anderen Lebensräumen. Darüber hinaus sind viele Tierarten im Tages-, Jahres- oder Lebensrhythmus auf verschiedene Lebensräume angewiesen. Eine Planung, die die notwendigen Größen und die Vernetzung der Lebensräume berücksichtigt, ist für den Schutz der Arten unumgänglich. Diese Anforderungen folgen aus der Ökologie der Arten. Im Naturschutzrecht ist der Aufbau eines Biotopverbundsystems als besonderes Ziel formuliert: „Der Biotopverbund dient der dauerhaften Sicherung der Populationen wildlebender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensstätten, Biotope und Lebensgemeinschaften sowie der Bewahrung, Wiederherstellung und Entwicklung funktionsfähiger ökologischer Wechselbeziehungen“.7) Für Überlegungen und Planungen zum Biotopschutz sind die verschiedenen Funktionen von Lebensräumen, das Nebeneinander samt Übergängen sowie die Vernetzung von herausragender Bedeutung. Deshalb soll dem Biotopverbund ein gesondertes Kapitel gewidmet werden.

1.2 Lebensräume im Verbund

Aufgabe eines wirksamen Biotopschutzes ist es, die Ansprüche von Tieren und Pflanzen an die Struktur und Größe ihrer Lebensräume, an die Standortbedingungen, einschließlich einer natürlichen Dynamik, durch die Verknüpfung der Lebensräume zu erfüllen. Ein genauer Plan des Biotopverbundes bildet das Fundament für die Praxis, damit Einzelmaßnahmen nicht zum unüberlegten „Basteln“ in der Natur verkommt. Da die meisten Tiere und Pflanzen ein bestimmtes Milieu bevorzugen, finden sich Gendrift und Wanderbewegungen vor allem innerhalb der durch gleiche oder ähnliche Faktoren geprägten Landschaftsräume, z. B. entlang eines Talraumes oder Höhenzuges. Innerhalb dieser sind die Verbundsysteme folglich vorrangig zu entwickeln, damit die dort typischen Lebensräume in ausreichender Qualität, Größe, Dichte und Vernetzung vorhanden sind. Zwischen unterschiedlich geprägten Landschaftsräumen müssen naturnahe, d. h. für die Landschaft typische Vegetationsabfolgen erhalten oder wieder entwickelt werden.

Jede Biotopverbundplanung muss die gesamte Landschaft erfassen, weil jede Fläche Auswirkungen auf den Verbund hat. Einige dienen als Regenerations- oder Lebensraum, andere als Schutzzone, Vernetzungslinie oder sogar als Hindernis im Verbund, als Barriere oder trennende Struktur. Auch wenn Schadstoffe oder andere Störungen aus einer Fläche in die Umgebung wirken, ist das eine Funktion innerhalb des Biotopverbundes – keine erfreuliche, aber eine zu beachtende, d. h. auch eine solche Fläche muss mit ihrer Wirkung berücksichtigt werden.

Innerhalb jedes Landschaftsraumes muss ein Kernbereich gebildet werden (Hochmoor, See, Waldbereich), innerhalb langgezogener Räume wie Höhenzüge, Täler, Küsten oder auch großer Waldbereiche sind weitere Bereiche nötig, um Regenerationsräume zur Verfügung zu stellen, aus denen sich Tier- und Pflanzenarten in die genutzte Landschaft ausbreiten können. Der Kernbereich muss durch breite Pufferzonen vor schädigenden Einflüssen geschützt werden, diese Zonen können auch wertvolle Ergänzungen sein, z. B. durch ähnliche Prägung und Strukturen oder wichtige Übergangs- und Nachbareffekte. Die genutzte Landschaft muss durch Kleinstrukturen und vernetzende Elemente möglichst engmaschig durchzogen sein, um einen Artenaustausch zu ermöglichen. Die Bewirtschaftung aller Flächen muss der Anforderung nach schonendem Umgang mit dem Boden und der Abwendung von Gefahren für Grundwasser und angrenzende Gebiete gerecht werden. Das ist in der Regel nur im kleinflächigen, biologischen Anbau zu erreichen (Abb. 1.9).

Abbildung 1.9 Schema eines vollständigen Verbundsystems. Der Kernbereich als zentrales Element, geschützt durch Saumzonen, ist eng in das Netz von Kleinstrukturen und linearen Elementen eingebunden.

1.2.1 Kernbereiche

Als Kernbereich wird eine Fläche innerhalb eines Landschaftsraumes bezeichnet, die die typischen Strukturen in ausreichender Größe und Abschirmung enthält und in der daher – idealtypisch – die in der Landschaft heimischen Tier- und Pflanzenarten langfristig überleben können. Ihm kommt eine doppelte Bedeutung zu. Zum einen ist er Lebensraum der Arten und trägt unmittelbar zu ihrem Erhalt bei. Zum anderen ist er Regenerationsraum für die umgebende Landschaft, denn vom Kernbereich wandern die Arten auch in andere Lebensräume und Nutzflächen, wenn die Lebensräume an den Kernbereich angeschlossen sind, d. h. ein vollständiger Biotopverbund besteht.

Die Kernbereiche stellen – wie der Name schon sagt – das Grundgerüst eines Biotopverbunds dar und sollen den heimischen Arten stabile Dauerlebensräume sichern. Sie sind der Lebensort der für eine Landschaft typischen Lebensgemeinschaft, ohne für alle Arten bereits auf Dauer ein Überleben sichern zu können, da hierzu noch ein Verbund der unterschiedlichen Lebensräume notwendig ist. Die Größe des Kernbereiches führt aber zu stabilen Populationen. Sie ist berechnet nach den anspruchsvollsten Arten der Lebensgemeinschaft.

Der Kernbereich fasst die typischen Ökosystemtypen einer Landschaft zusammen, d. h. er verbindet in einer geschlossenen Fläche große Natur- oder Kulturbiotope mit den Kleinstrukturen auf einer ausreichend großen Fläche und an der Stelle in einer Landschaft, an der die dort typischen Faktoren (Wasser, Nährstoffhaushalt, Kleinklima) in besonderer Weise ausgeprägt sind. Diese Zusammenfassung kann geschehen in:

einem Kernbereich, der alle Bereiche aufweist,zwei oder mehreren Kernbereichen, die jeweils die unterschiedlichen Elemente aufweisen, da eine Zusammenfassung in einem Bereich aus der jeweiligen Situation nicht möglich ist.

Weitere Merkmale von Kernbereichen, die als Funktionen im Biotopverbundplan einzutragen sind, lauten:

1) Flächengröße: Die Arten, die auf die typischen Verhältnisse in einer Landschaft angewiesen sind, benötigen zum Aufbau stabiler Populationen (also den miteinander in ständigem Kontakt stehenden Individuen) eine ausreichende Fläche. Die für ein dauerhaftes Überleben einer Lebensgemeinschaft notwendige Fläche richtet sich nach dem Anspruch derjenigen Arten, die für den Erhalt einer stabilen Population den höchsten Platzanspruch bei enger Bindung an die natürlichen Bedingungen haben. Dieses sind oft Vögel oder große Säuger, die an der Spitze der Nahrungskette stehen. So benötigt z. B. der Brachvogel offene Wiesenlandschaften, die Hohltaube oder der Schwarzspecht große Naturwaldparzellen. Können solche Arten überleben, gilt das auch andere Arten dieser Landschaft (Tab. 1.1).

2) Strukturen: Auch wenn der Kernbereich durchgehend naturnah sein soll, können in ihm unterschiedliche Strukturen vorhanden sein: Kleine Gehölze, genutzte Flächen und Kleinbiotope. Der Kernbereich soll die typischen Strukturen einer Landschaft in der jeweils notwendigen Größe umfassen. Mitunter ist es nötig, zwei oder mehrere Kernbereiche auszuweisen, z. B. Abschnitte des Flusses mit Auwald und Abschnitte mit Feuchtwiesen entlang eines Tales.

3) Zentren des Biotopverbundes: Kernbereiche dienen als Regenerationsraum, d. h. in ihnen leben stabile Populationen, von denen eine Besiedlung auch in die Umgebung hinein stattfinden kann. Solche Wanderbewegungen sind bei vielen Tierarten aber auf geringe Entfernungen begrenzt. Größere Landschaftsräume, z. B. über viele Kilometer reichende Täler, benötigen daher in ihrem Verlauf immer wieder Ausbreitungszentren für die jeweils umgebenden Flächen. Diese müssen mit den Kleinstrukturen der Umgebung vernetzt sein, um ihre Rolle einnehmen zu können.

4) Lage: Kernbereiche sollen die natürlichen Bedingungen und die in einer Landschaft typischen Strukturen widerspiegeln. Sie müssen dort festgelegt werden, wo die für eine Landschaft typischen Bedingungen am deutlichsten ausgeprägt sind oder nach ihrer Wiederherstellung wären. Der Kernbereich sollte prägende Lebensräume, z. B. im Tal das Fließgewässer, einschließen, da dort besonders viele Wanderbewegungen in die Umgebung stattfinden werden. Unterschiedliche Bedingungen in einer Landschaft wie der Fluss und die Randsenken in einem Tal oder trockengeprägte Bergzüge und anschließende Hänge in trockengeprägten Landschaften müssen in einem Kernbereich oder durch die Ausweisung von mehreren Kernbereichen erfasst werden.

5) Nutzungen: Naturlebensräume wie Au- oder Bruchwälder, Trockengebüsche oder Hochmoore können genauso Teil von Kernbereichen sein wie die vom Menschen geprägten Wiesen, Weiden oder Äcker. Entscheidend ist, dass sie zur landschaftlichen Prägung passen. Für Natur- und Nutzflächen gilt gleichermaßen, dass sie die in einer Landschaft herrschenden Bedingungen auch selbst widerspiegeln. Sie sind dann auch Teil von Kernbereichen, da dieser für die Arten aller landschaftstypischen Lebensräume ein Rückzugs- und Regenerationsraum sein soll. Für die konkrete Umsetzung bedeutet die Einbeziehung von Nutzflächen, dass vertragliche oder andere Nutzungsregelungen mit den LandwirtInnen erforderlich sind. In vielen Fällen sind umfangreiche Veränderungen der aktuellen Nutzung nötig. Dann kann ein (vereinfachtes) Flurbereinigungsverfahren zum Zweck des Naturschutzes eingeleitet werden.

Tabelle 1.1 Kernbereiche und ihre Größen

LandschaftstypBeschreibungGrößeWald/GehölzprägungWald ist in seiner natürlichen Form frei von menschlichen Eingriffen. Als Kernbereich dient also eine große Naturwaldparzelle. Zieht sich ein Wald über verschiedene Standorte hinweg, so muss der Kernbereich diese umfassen oder es müssen mehrere geschaffen werden.Naturwaldparzellen sollten mindestens 10, besser 20 Hektar und mehr groß sein, umgeben zudem von einem breiten Gürtel mit naturnaher Waldwirtschaft ohne Einsatz chemischer Stoffe und Veränderungen im Wasserhaushalt.FeuchtniederungIn gehölzreichen Niederungen wären naturnahe Auwälder (bei Flüssen), Sumpf- und Bruchwälder mit ihren typischen Strukturen als Kernbereich passend. Bei landwirtschaftlicher Nutzung prägen extensiv genutzte Wiesen oder Weiden die Flächen – bei Erhalt des landschaftsgemäßen Wasserhaushalts. Der Kernbereich sollte durchsetzt sein mit den Kleinstrukturen feuchter Niederungen, z. B. Gewässer, Röhrichte, Bruchwälder und Sümpfe.Seen: 5 bis 10 km durchgehend naturnahes Ufer mit mindestens 200 m Schutzzone zur Seemitte hin.Feuchtwald: Auenwälder müssen mindestens je 10 Hektar beidseitig des Flusses umfassen, wünschenswert sind größere Flächen.Offene Feuchtwiesenlandschaften brauchen 70–100 Hektar Kernzonen, die zusammen mit weiteren naturnah gestalteten und bewirtschafteten Grünländereien 500 Hektar zusammenhängende Niederungsbereiche umfassen sollten. In Tälern sind 10 bis 15 km naturnahe Fluss- oder Bachstrecken Teil dieser Kernbereiche.Röhrichtflächen ab 2 Hektar bilden einen eigenständigen Regenerationsraum für diese Struktur. Seggenrieder auf Niedermoor sollten wie Hochmoore sogar 200 Hektar Größe oder mehr erreichen. Angesichts der Gefährdung natürlich gebildeter Hochmoore sind aber schlicht alle verbliebenen oder renaturierbaren großen Flächen als Kernbereiche zu schützen.TrockenbereichMager und trocken geprägte Bereiche können genutzte Flächen in Form von Wiesen oder Schafweiden enthalten, aber auch lichte Gebüsche und naturnah genutzte oder nutzungsfreie Wälder. Je nach Form der Landschaft müssen solche Strukturen in einem oder mehreren Kernbereichen zusammengefasst werden.Mager- bis Trockenrasen: Kernbereichsflächen an Trockenhängen oder -bügeln sollten 50–200 Hektar groß sein. Reicht die Fläche der Trocken- und Halbtrockenrasen nicht aus, ist ein Gesamtgebiet mit weiteren extensiv genutzten Grünlandflächen oder Gehölzbereichen zu wählen.Landwirtschaftliche PrägungLandwirtschaftlich dominierte Landschaften ohne besonderen Gehölzreichtum oder besonders feuchte bzw. trocken-magere Prägung haben als Lebensraum für Tiere und Pflanzen nur eingeschränkte Bedeutung. Um schädigende Wirkungen in die Umgebung zu minimieren, ist eine naturnahe Nutzung vorteilhaft. Zudem können für die angepassten Arten Zonen mit hohem Anteil an Acker- und Wiesenbrachen, Wildkrautstreifen im und am Acker und hoher Kleinstrukturdichte festgelegt werden.Dorf und StadtDorf und Stadt sind keine Räume einheitlicher Prägung. Oft liegen sie in Tälern oder Trockenbereichen, dann sind die dazu passenden Lebensräume auch innerörtlich zu sichern. Kernbereiche oder größere, naturnahe Flächen sind nur in Stadtwäldern, Parks oder auf großen Brachflächen möglich. Fast immer bilden dabei Gehölze (Wald oder Sukzessionsstadien) und Wildkrautfluren in Selbstentwicklung die typische Struktur.

In Kernbereichen herrscht absoluter Vorrang der Naturschutzziele, sowohl auf den der natürlichen Entwicklung überlassenen Flächen als auch in Form landschaftstypischer Nutzungen ohne Veränderung der Standortbedingungen. Zudem sollten Kernbereiche in den Biotopverband der Gesamtlandschaft eingebettet sein (Abb. 1.10 und 1.11).

Abbildung 1.10 Kernbereich „feucht“: Blick in eine Senke, die teilweise mit Wasser, teilweise mit anmoorigen Böden bedeckt ist. Solche Flächen sollten als Kernbereiche im Verbund mit den umgebenden Niederungen besonders geschützt werden.

Abbildung 1.11 Kernbereich „trocken“: Auf Buckeln, Bergrücken sowie an den Hangoberkanten entstehen auf Trockenzügen die Bereiche, in denen die trockenmagere Prägung am deutlichsten hervortritt. Diese Bereiche sind als Kernbereiche zu entwickeln.

1.2.2 Kleinstrukturen

Tümpel, Feldgehölze, kleine Röhrichte, bewachsene oder felsige Böschungen und viele andere Lebensräume oder Habitate können die Landschaft mehr oder minder dicht überziehen. Diese Kleinstrukturen beherbergen wegen ihrer geringen Größe nur einen Teil der typischen Lebensgemeinschaft. In enger Verknüpfung mit dem Kernbereich kommt ihnen aber eine große Bedeutung im Biotopverbund zu. Sie können Trittsteine auf den Wanderwegen von Tierarten sein. Bewegungen im Jahresverlauf oder die für Genaustausch und Neubesiedlungen wichtigen, allmählichen Wanderungen finden dann von einer Kleinstruktur zur anderen statt. So können größere Entfernungen überwunden werden. Jede Kleinstruktur hat, da niemals exakt identische Standortbedingungen vorliegen, eine spezifische Bindungskraft für die Arten, sodass deren Vielfalt auch – im Austausch mit anderen Kleinstrukturen und dem Kernbereich – in der gesamten Landschaft die Vielfalt der Gene und Populationen langfristig erhält. Dafür müssen aber die Abstände für möglichst viele Tierarten überwindbar bleiben. Hecken, Krautstreifen oder Fließgewässer, Sumpfstreifen oder andere, zur jeweiligen Landschaft passende Vernetzungselemente zwischen den Kleinstrukturen und zur Anbindung an den Kernbereich verbessern den Austausch zusätzlich.

Die Form der Kleinstrukturen kann sehr unterschiedlich sein (Tab. 1.2). In jedem Fall sollten sie in ihren Formen die typischen Bedingungen wie Feuchtigkeit, Trockenheit oder Gehölzreichtum widerspiegeln. Anders als der Kernbereich, der die Fülle der verschiedenen Lebensräume einer Landschaft zusammenfasst, stellen die Kleinstrukturen meist nur einen Typ dar, z. B. einen Tümpel, ein Gebüsch oder eine trockene Hangkante mit Krautbewuchs. Wichtig bleibt auch hier der Schutz durch eine ausreichende Saumzone.

Tabelle 1.2 Kleinstrukturen und ihre Größen

LandschaftstypBeschreibungGrößeWald/GehölzprägungIm Wald, ob Kernbereich oder nicht, sind viele Kleinstrukturen denkbar: Einerseits die vielen Elemente der Waldentwicklung und des Zerfalls (Sukzessionsflächen, Tot- oder Altholz), andererseits im Wald eingeschlossene Biotope mit den Übergängen zum Wald hin (Tümpel, Lichtungen mit Krautflächen, Felsen, Sümpfe, Quellen usw.).Mindestgrößen für Kleinstrukturen machen keinen Sinn, weil die tatsächlich vorhandene Fläche den Ausschlag gibt.FeuchtniederungDie typischen Kleinstrukturen spiegeln den Landschaftstyp wider, hier vor allem den dominierenden Faktor Wasser: Kleingewässer, Quellen und Sümpfe, Röhrichte, feuchte Mulden in Wiesen oder Weiden, Altarme und besondere Uferbereichen am Fließgewässer. Wo Au-, Bruch- oder andere Feuchtwälder dominieren, sollten Gewässerufer mit Bäumen und Büschen bewachsen und die weitere Landschaft mit Hecken und Feldgehölzen durchzogen sein.Für Feuchtwälder ist ein feucht-kühles Innenklima typisch. Dies gelingt nur ab einer Mindestgröße von 1 Hektar, wenn zudem durch einen gestuften Gehölzrand die Durchwehung verringert wird.TrockenbereichIm Kernbereich und im gesamten trockengeprägten Landschaftsraum ist eine hohe Dichte lichter Gehölze und Hecken, vorzugsweise mit breiten Krautsäumen, ebenso sinnvoll wie extensiv genutzte oder der Selbstentwicklung überlassene Wiesen, Weiden (gut verbindbar mit Streuobst), Raine und Brachen.Von Natur aus gehölzfreie Bereiche auf Sonderstandorten wie Felsen oder kargem Boden sollten vollständig aus der Nutzung genommen werden. Flächen mit geringem Gehölzaufwuchs (Halbtrockenrasen, Magerwiesen) können durch extensive Schafbeweidung oder sporadische Mahd als offene Trockenbiotope erhalten bleiben.Landwirtschaftliche PrägungKleinbiotope wie Feldgehölze, Hecken und Raine sollten alle landwirtschaftlichen Flächen durchziehen und sind, wo noch vorhanden, in jedem Fall schützenswert. Sie müssen durch entsprechende Trittsteindichte und lineare Strukturen vernetzt sowie durch Saumzonen vor Schadstoffeintrag geschützt werden.Dorf und StadtDie künstliche Vielfalt der Lebensbedingungen in Dorf und Stadt kann mit durch Kleinstrukturen in Parks, zwischen Häusern, Gärten, Kleingärten, entlang von Straßen, Schienen oder Versorgungstrassen sowie an und auf Häusern aufgewertet werden. Jeder Straßenbaum mit einer Wildkrautflur im Wurzelbereich hat hier eine besondere Bedeutung.Alle Bereiche, in denen besondere, natürliche Prägungen noch zum Ausdruck kommen können, sollten vollständig geschützt werden (Quellen, Bachläufe, Sumpf- oder Trockenwälder)

Die Vielfalt von Kleinbiotopen stützt Artenvielfalt und Biotopverbund in der Landschaft. Dynamische Veränderungen sind in ihnen oft nur eingeschränkt möglich – zu klein ist ihre Fläche, zu gering die Naturkräfte, die in ihnen und auf sie inmitten genutzter Flächen wirken. Prozesse wie die Verlandung von Tümpeln sollten, soweit sie natürlichen Ursprungs sind, belassen werden. Lieber sollten an anderer Stelle neue Lebensräume entstehen, die einen neuen Beginn von Selbstentwicklung darstellen und daran angepassten Tieren eine Heimat bieten (Abb. 1.12–1.14).

Abbildung 1.12 Totholz: Innerhalb des Waldes bilden Kleinstrukturen wertvolle Lebensräume für viele Arten. Abbruchkanten, Mulden, Tot- und Altholz gehören zu solchen bereichernden Elementen.

Abbildung 1.13 Feldgehölz: Als kleinflächiger Lebensraum kann ein Feldgehölz nur den Waldarten das Überleben sichern, die entweder mit der geringen Fläche auskommen oder über das Wandern zwischen mehreren Lebensräumen auf andere Weise den vorhandenen Raumanspruch erfüllen.

Abbildung 1.14 Einzelbaum: Einzelbäume ohne Buschunterpflanzung weisen kein waldtypisches Milieu auf, bieten folglich auch keinen Waldarten Lebensraum. Sie sind aber Lebensstätte der offenen Krautbereiche, da auch natürlicherweise offene Flächen (Auen, Moore, Kahlflächen, Felsen) selten ganz baumfrei waren.

1.2.3 Saum- und Pufferzonen

Saumzonen sind Streifen unterschiedlicher Breite und Struktur um oder entlang von Kleinstrukturen oder Kernbereichen, die zusätzliche Lebensstätten und Übergänge schaffen, zudem schädliche Einflüsse von außen abhalten oder mindern. Saumzonen unterstützen in ihrer Wirkung das Ziel des Biotopschutzes, in einem flächigen Kernbereich die typischen landschaftlichen Verhältnisse voll und in den Kleinstrukturen weitgehend zum Ausdruck kommen zu lassen. Fehlen Saumstreifen, können Einflüsse von außen den Wasserstand verändern (Tab. 1.3) (z. B. Entwässerungen in der Umgebung, die das Wasser auch aus dem Lebensraum selbst wegziehen), Nährstoffe eintragen (Einwehung oder Einwaschung von Dünger) oder das Kleinklima verändern (Durchwehung von Wäldern und Feldgehölzen). Ebenso gefährden direkte Störung (Betreten, Lärm, Unruhe) sowie der Eintrag von Giften den Lebensraum.

Tabelle 1.3 Saum- und Pufferzonen

LandschaftstypBeschreibungGrößeWald/GehölzprägungEin gestufter Waldrand schützt das Waldinnere vor Einwehung von Schadstoffen und vor einer Durchwehung mit nachfolgender Veränderung des Kleinklimas, würden doch sonst die typischen Faktoren Windstille, ausgeglichene Temperaturen und hohe Luftfeuchte durch die von außen kommenden Luftmassen überprägt. Zudem stellt jeder Waldsaum einen eigenständigen Lebensraum dar.

Um Naturwaldparzellen sollten breite, naturnah bewirtschaftete Waldgürtel liegen, um Störungen zu verhindern.

Um die Durchwehung eines Gehölzes zu verhindern, sollte der Gebüschstreifen mehrere Meter breit sein und Gehölze verschiedener Größen enthalten, um windabschirmend zu wirken. Da die Vegetationsübergänge und kleinklimatische Vielfalt besonders wertvoll sind, sind gerade Linien als Grenzen zwischen Baum- und Gebüschzone sowie Büschen und Krautzone zu vermeiden.FeuchtniederungWildwuchsstreifen, Gehölze und Röhrichte um kleine Gewässer, breite Schutzstreifen entlang der Fließgewässer sowie extensiv bewirtschaftete Weiden und Wiesen um besonders wertvolle Bereiche wie Feuchtmulden, Bruch- und Auwälder schützen vor Schadstoffen, Störungen oder Entwässerung aus der Umgebung.Gegen Schadstoffeintrag in Kleinbiotope reichen oft schon wenige Meter breite Kraut- oder Gehölzstreifen. Um die empfindlichen Hochmoore oder besonders wertvolle Auenniederungen sollten solche Pufferzonen mehrere Hundert Meter breit sein. Das gilt auch, wenn erhebliche Entwässerungen in der Umgebung vorgenommen werden (z. B. Abpumpungen, Tagebau).TrockenbereichLockere Gehölze oder Wildwuchsflächen als Saumzone schützen die Trockenlebensräume.Um Kleinbiotope reichen wenige Meter breite Kraut- und lichte Gehölzstreifen. Um empfindliche Trockenrasen und alle Kernbereiche von trocken-mageren Landschaften können nur breite Gürtel trockener und lichter Gebüsche oder extensive, landwirtschaftliche Flächen ohne Dünger- und Pestizidauftrag einen wirksamen Schutz bieten.Landwirtschaftliche PrägungLandwirtschaftliche Flächen sind eher als Ausgangspunkt von Gefahren zu bewerten, als dass hier wertvolle Lebensräume durch Einflüsse von außen gefährdet werden. Eine naturnahe Bewirtschaftung, vor allem der Verzicht auf naturfremde Stoffe, ist für die Begleitflora und -fauna in Äckern und Wiesen sowie für den Schutz der umgebenden Flächen wirkungsvoller als Saumzonen.Wo Kernbereiche und Kleinstrukturen in Äckern und Wiesen eingeschlossen sind oder an diese grenzen, sollten mehrere Meter breite Kraut- oder Gehölzstreifen als Schutz geschaffen werden. Zumindest bei konventioneller Landwirtschaft mit Ausbringung von Fremdstoffen können die direkt angrenzenden Acker- oder Wiesenflächen einige Meter breit ungespritzt oder ungedüngt bleiben (Acker- und Wiesenrandstreifen).Dorf und StadtNur selten bleibt Platz für Saumstreifen. Vor allem in Grünanlagen können zwischen Naturentwicklungsflächen und den vom Menschen genutzten Wegen oder Rasenflächen schützende Übergänge mit geringer Pflegeintensität vor Störungen schützen. Entlang von Straßen halten Gebüschstreifen einen Teil der Abgase ab.Ein vollständiges Abhalten von äußeren Einflüssen ist innerörtlich weder möglich noch erwünscht. Schließlich würde das Aussperren von Menschen aus naturnahen Flächen auch jeglichen Kontakt mit der Natur unmöglich machen, was umweltpädagogisch keinen Sinn macht. Wildwuchsflächen um wertvolle Biotope können aber begrenzte Ruhezonen schaffen.

Schutz vor der Einwehung von Schadstoffen, Störungen oder Durchwehung schaffen Gehölzsäume, z. B. breite Hecken, am besten mit vorgelagerter Krautzone. Vor Durchwehung z. B. der Wälder schützen nur gestufte Gehölzsäume. Entwässerungen wirken sich in sandigen Gebieten kilometerweit aus. Saumzonen, in denen nicht entwässert und keine Giftstoffe ausgebracht werden, müssen um Hochmoore solche Breite erreichen. Neben dieser Schutzwirkung erweitern oder bereichern Saumzonen Kernbereiche oder Kleinstrukturen. Soweit der Schutz vor äußeren Einflüssen nicht anderes erfordert, sollten Saumzonen den umschlossenen Flächen in ihrer Struktur ähneln oder diese gezielt ergänzen: Gehölze am Ufer von Tümpeln, Krautflächen und Gebüschgruppen um trocken-magere Biotope. Feuchte Wiesen oder Hochmoore werden am besten durch umgebendes Feucht-Grünland ergänzt; gibt es doch viele Tierarten, die aus den genannten Kernbereichen gerne auch in andere Flächen, etwa zur Nahrungssuche, ausweichen. In breiten Säumen um Moore oder Trockenzüge sollten auch naturnahe Wälder oder Gehölze Platz finden, da Wald als Teillebensraum vieler Arten eine wichtige Ergänzung bildet (Abb. 1.15–1.17).

Abbildung 1.15 Waldsaum: Krautstreifen und Gebüschzone halten wirkungsvoll Schadstoffe fern, der Gebüschmantel schützt zudem das Waldinnenklima vor Durchwehung und stabilisiert somit das typische Milieu. Durch die Unregelmäßigkeit des Saumes auf breiter Fläche entstehen viele zusätzliche Lebensstätten.

Abbildung 1.16 Selbst dann, wenn durch den Saum die Gesamtfläche eines Gehölzes verringert wird, erhöht sich der waldtypische Innenbereich, weil eine größere Fläche weniger von außen beeinflusst wird. Das typische Waldklima kann sich so besser aufbauen.

Abbildung 1.17 Krautsaum: Vom Acker werden Gifte und Nährstoffe in den offenen Hang einer Sandgrube gespült. Die typischen Lebensverhältnisse sind gestört. Notwendig wäre ein mindestens 10 Meter breiter Streifen mit Wildwuchs und Einzelgehölzen sowie im anschließenden Acker ein mehrere Meter breiter, ungedüngter Randstreifen.

1.2.4 Vernetzungselemente

Vernetzen heißt, Biotope so miteinander zu verbinden, dass Tier- und in deren Gefolge auch Pflanzenarten (Samen im Fell oder Magen) zwischen ihnen wandern können. Die dafür notwendigen Vernetzungselemente sind Hilfen für die Wanderung von Tieren sowie in deren Gefolge auch der Pflanzen, deren Samen von Tieren mitgeschleppt werden. Entlang solcher Ausbreitungslinien wird der Artenaustausch stattfinden. Durch die Ausweisung geeigneter Verbundkorridore und Verbundelemente können Verbundfunktionen (genetischer Austausch, Tierwanderungen, natürliche Ausbreitungs- und Wiederbesiedlungsprozesse usw.) in der Landschaft sichergestellt werden. Auch hier spielen Schutzgebietsausweisungen entweder als „Trittsteine“ in Verbundkorridoren oder als Verbundelemente selbst eine wesentliche Rolle (Finck, 2002).

Die Vernetzungselemente ergänzen die großflächige Vernetzung, die durch durchgängig naturnahe Gestaltung der Landschaftsräume gewährleistet ist. Zugvögel z. B. werden sich an durchgängig naturnah gestalteten Tälern orientieren. Die Vernetzung in den Biotopverbundsystemen, also innerhalb der Landschaftsräume, sichert den kleinräumigen Austausch. Dabei sind diese Wanderbewegungen nicht zufällig und zwischen allen Biotopen vorhanden, sondern sie vollziehen sich vornehmlich innerhalb der durch ähnliche Standortbedingungen geprägten Landschaft und den auch in der Natur typischen Vegetationsübergängen.

Im vorhandenen Verbund sind neben großräumigen Flächen in natürlicher Entwicklung oder naturnaher Nutzung „zur Vernetzung von Biotopen erforderliche lineare und punktförmige Elemente, insbesondere Hecken und Feldraine sowie Trittsteinbiotope, zu erhalten und dort, wo sie nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind, zu schaffen (Biotopvernetzung)“.8) Es gibt also auch vom Gesetz her zwei schützenswerte Typen der gezielten Vernetzung:

1) Lineare Elemente wie Hecken oder Raine können Lebensräume direkt verbinden und so einen Artenaustausch bewirken.

2) Kleine Lebensräume zwischen zwei miteinander zu verbindenden Bereichen bilden so genannte Trittsteinbiotope und können so auch Ausbreitungslinien schaffen.

Am wirkungsvollsten ist die Kombination beider, also z. B. ein dichtes Netz von Hecken mit eingebundenen Feldgehölzen. Vernetzungselemente müssen das Milieu und die typischen Strukturen der Landschaft widerspiegeln, um von Tieren als Wanderstrecken akzeptiert zu werden. Den Austausch fördern vor allem drei grundsätzlich verschiedene und nebeneinander zu entwickelnde Typen der Vernetzung:

1) Lebensräume gleichen Milieus und gleicher Struktur müssen miteinander verknüpft werden über Elemente desselben oder eines möglichst ähnlichen Milieus. Diese Form der Vernetzung sichert den Austausch zwischen den Populationen der gleichen Arten, da diese in gleichen Lebensräumen vorkommen und zur Überwindung von Zwischenräumen auch Wanderlinien mit dem gleichen Milieu benötigen. Beispiele: Gehölzvernetzung mit Hecken, Krautflächen über Krautstreifen, Gewässer an naturnahem Bach.

2) Alle Lebensräume sollten mit Waldflächen vernetzt werden, wenn Wald in einem Landschaftsraum vorhanden und typisch ist. Die Anbindung erfolgt entweder über eine Struktur waldähnlichen Milieus (Hecke und Feldgehölze) oder über eine dem zu vernetzenden Lebensraum entsprechende Struktur – im besten Fall aber über eine Kombination aus beidem. Diese Form der Vernetzung sichert Tierwanderungen im Tages-, Jahres- oder Lebensrhythmus, da aufgrund der früheren Verbreitung von Wald viele Beziehungen mit Waldformen existieren. Beispiele: Anbindung der Krautflächen über lückige Hecken oder Hecken mit Krautstreifen, von Gewässern über sumpfige Röhrichte, Seggenrieder u. Ä. im Verbund mit Hecken oder feuchten Gebüschen sowie, ohnehin das zentrale Verbindungselement in Feuchtlandschaften, den Bach mit Ufergehölz an Waldflächen.

3) Natürliche Vegetationsübergänge sind zu erhalten oder wieder neu zu schaffen. Als Weg der Vernetzung kommt nur direkte Nachbarlage in Frage. Ebenso wie die Nachbarlage zu Wald ist es in der ökologischen Evolution, also der Anpassung der Arten an bestimmte, immer wiederkehrende und aus den landschaftlichen Bedingungen klar ableitbare Verhältnisse, zur Bildung vielfältiger Lebensbeziehungen zwischen den Lebensräumen gekommen, die natürlicherweise aneinander grenzen. Beispiele: Mehrstufige See- und Flussufer, Hangfuß bis -oberkante, Moor- und Waldränder.

Zur Vernetzung gehört auch die Beseitigung von Einzelhindernissen. Rohre im Gewässerverlauf sind durch Brücken zu ersetzen, Wege im Wald oder im Heckennetz durch Entfernung des festen Belags und durch ein geschlossenes Kronendach über ihnen überwindbarer zu machen (Abb. 1.18–1.21). Oft können Lücken in verbindenden Lebensräumen durch Anlage von Hecken oder Krautstreifen geschlossen werden, Stromleitungen im Wald werden mit Büschen unterpflanzt (Tab. 1.4). Garten- und Grünflächen sollen Strukturen und Pflanzenarten wie die umgebende Landschaft aufweisen, engmaschige Zäune durch grobmaschige oder durch Hecken ersetzt werden (Abb. 1.22–1.23).

Tabelle 1.4 Vernetzungselemente

LandschaftstypBeschreibungGrößeWald/GehölzprägungWenn keine Straßen oder großflächige Forstmonokulturen die naturnahen Waldflächen zerschneiden, ist eine besondere Vernetzung nicht nötig. Für umgebende Flächen erreichen Hecken mit integrierten Feldgehölzen die beste Wirkung. Natürliche Vegetationsübergänge bilden sich z. B. zwischen verschiedenen Waldformen (Wald zu Trockenwald oder Feuchtwald) oder zu Lichtungen, Selbstentwicklungsflächen sowie am Waldrand.Von besonderer Bedeutung sind lineare Elemente, die über große Entfernungen durch den Wald oder an seinem Rand verlaufen. Dazu gehören Bäche und Fläche, trockengeprägte Hangkanten, Schluchten oder Seeufer. Diese sollten durchgehend naturnah gestaltet werden.FeuchtniederungDas wichtigste Vernetzungselement sind die Fließgewässer. Ist das Hauptgewässer mit allen Nebenbächen und -gräben durchgehend naturnah gestaltet (ohne Rohre, Staue, ausgebaute Strecken), so ist die Vernetzung bereits ausreichend gesichert. Ergänzende Wirkung haben Röhricht- oder feuchte Gebüschstreifen entlang eines Gewässers. Für die Anbindung von Kleinstrukturen u. Ä. an Waldflächen im Landschaftsraum kommen zudem Hecken in Frage.Die begleitenden Uferzonen am Fließgewässer sollten jeweils mindestens 5 m als Schutz vor Schadstoffeintrag und als Lebensraum und Wanderstrecke.

Vegetationsübergänge in vielfältiger Zonierung gibt es unter anderem an See- und Flussufern, am Rand von Niederungen hin zu den Trockenstandorten und rund um Moore.

TrockenbereichDer offene Charakter der Trockenbereiche macht Krautstreifen, lückige Hecken und Waldränder zum wirkungsvollsten Element der Vernetzung.

Eine Anbindung an Wald geschieht über lückige Hecken mit reichem Krautbestand/-streifen. Vegetationsübergänge sind von Gehölz zu Krautbereichen sinnvoll, ebenso am Rand der Trockenbereiche hin zu anderen Landschaftsräumen.

Landwirtschaftliche PrägungLandwirtschaftliche Flächen müssen in ihrer zerschneidenden Wirkung verringert werden, indem Trittsteinbiotope und lineare Elemente die genutzten Bereiche durchziehen.Dorf und StadtWo Zäune, trennende Barrieren, geteerte Flächen verschwinden oder durch Bepflanzung/Berankung überwindbarer werden, kann die vernetzungshindernde Wirkung der Bebauung verringert werden. Entlang von Straßen und Schienen, über ein Netz aus Grünanlagen und durch die naturnahe Gestaltung von Fließgewässern auch innerhalb von Orten entstehen Vernetzungsbänder.

Wichtig ist, dass Orte keine Barrieren in der großräumigen Vernetzung bilden, also Flüsse und Bäche auch naturnah und offen durch sie geführt werden. Trockene Prägung oder Gehölzreichtum umgebender Flächen sollte sich im Ort fortsetzen (Garten- und Parkgestaltung, Artenwahl).

Abbildung 1.18 Acker als Barriere: Wald (links) und Feldgehölz (rechts) sind durch einen Acker getrennt, dessen Milieu (sonnig, trocken, windig, hohe Temperaturschwankungen) stark vom Gehölzbereich abweicht. Daher ist der Artenaustausch eingeschränkt. Notwendig ist eine Vernetzung über ein Element, das dem Wald ähnlich ist: die Hecke.

Abbildung 1.19 Seeufer: Seen verlanden je nach Nährstoffreichtum mehr oder minder schnell. Ist eine ungestörte Entwicklung möglich, bilden sich mehrere Vegetationsstufen. Auf ihre Abfolge haben sich viele Arten angepasst. Sie müssen vollständig und unzerschnitten erhalten bleiben.

Abbildung 1.20 Verrohrung: Das Fließgewässer ist das zentrale Verbindungselement aller Niederungen (Ausnahme: Moore). Jede Unterbrechung teilt ein Tal in zwei Hälften, weil Wanderbewegungen am Ufer, im Wasser oder im Luftraum (z. B. Bachlibellen) ebenso unterbleiben wie, vor allem bei jedem Stau, die Drift, d. h. das Mitspülen vieler Kleinlebewesen im Gewässer.

Abbildung 1.21 Brücke: Wo Überquerungen notwendig sind, hält eine Brücke Wasserbett, Ufer und Luftraum frei, hindert folglich die Wanderbewegungen weit weniger als die Verrohrung. Bei einfacher Bauweise (s. Foto) kann sie sogar preiswerter sein.

Abbildung 1.22 Doppelhecke: Die Hecke, am besten mehrreihig und beidseitig eines Weges, kann den Wind fast völlig bremsen und so im Inneren ein waldähnliches Milieu aufbauen. Daher ist sie als Vernetzungselement aller Gehölzbereiche optimal. Zwischen Trockenbereichen, vor allem offenen Magerwiesen oder Trockenrasen, kann eine geschlossene Buschreihe aber auch vernetzungshindernd sein. Dann ist eine lückige, krautreiche Form anzustreben.

Abbildung 1.23 Bergrücken: Der Trockenzug fällt an einer Stelle als besonders geformter Buckel aus und schiebt sich in die angrenzende Niederung vor. Dadurch entsteht ein besonders trockener Standort, da das Gelände an drei von vier Seiten abfällt.

1.2.5 Sonstige Flächen