Bis du zurückkommst - Laetitia Deeg - E-Book

Bis du zurückkommst E-Book

Laetitia Deeg

0,0

Beschreibung

Eine rührende Geschichte über die Liebe zu einem Soldaten, im Kampf gegen die Schatten der Vergangenheit Die Krankenschwester Nadine lebt auf einer deutschen Insel und hilft dem jungen amerikanischen Kurgast Ben, als dieser einen Krampfanfall erleidet. Nachdem Ben und sein älterer Bruder Tyler auf ihre Station eingewiesen werden und der Bruder plötzlich zur Army zurückmuss, kümmert sie sich um den Jugendlichen und wartet vergeblich, dass der Soldat zurückkommt. Sie nimmt Ben zu sich und erfährt, wie die beiden durch ihre Familiengeschichte geprägt wurden. Und auch Tyler, der durch Einsätze in Krisengebiete einberufen wird, reißt sie aus ihrem eintönigen Inselleben und lässt sie nicht mehr schlafen. Bis sie endlich hinter sein Geheimnis kommt, ist es fast zu spät. Ein Liebesroman - spannend, emotional und leidenschaftlich

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 236

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über das Buch

Die Krankenschwester Nadine lebt auf einer deutschen Insel und hilft dem jungen amerikanischen Kurgast Ben, als dieser einen Krampfanfall erleidet. Nachdem Ben und sein älterer Bruder Tyler auf ihre Station eingewiesen werden und der Bruder plötzlich zur Army zurückmuss, kümmert sie sich um den Jugendlichen und wartet vergeblich, dass der Soldat zurückkommt. Sie nimmt Ben zu sich und erfährt, wie die beiden durch ihre Familiengeschichte geprägt wurden. Und auch Tyler, der durch Einsätze in Krisengebiete einberufen wird, reißt sie aus ihrem eintönigen Inselleben und lässt sie nicht mehr schlafen. Bis sie endlich hinter sein Geheimnis kommt, ist es fast zu spät.

Die Autorin

Die Autorin schreibt unter ihrem Pseudonym, stammt ursprünglich von der Nordsee und lebt heute mit ihrer Familie in Bayern. Geschichten erfand sie bereits in ihrer Kindheit – zunächst als Bildererzählungen. USA-Aufenthalte beflügelten ihre Fantasie und erweiterten unbegrenzte (Schreib-) Möglichkeiten, am liebsten leidenschaftlich und emotional. Inspiriert durch einen der weltbekanntesten Liebesromanautoren.

Niemals ist eine Umarmung so innig wie in dem Moment, wenn dich jemand verlässt und wenn er wieder nach Hause kommt.

Für alle Menschen, die darauf warten, endlich wieder umarmen zu dürfen.

Handlungen, Orte und Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Epilog

Prolog

Wie beschreibt man Liebe? ...

Liebe ... Sie ist wie das weite Meer, seicht und sanft oder aber stürmisch, mit hohen Wellen, die sich dem Himmel entgegen auftürmen und sich wieder und wieder in die Tiefe stürzen.

Es zieht sich zurück und kommt wieder, holt und trägt dich, bringt dich weiter, macht dich stärker oder lässt dich stranden.

Du kannst wählen, schwimmst du in ruhigen, dir bekannten Gewässern und sicheren Häfen? Doch wo ist das Ziel?

Oder kämpfst du gegen Sturmwellen, Flut und eisige Kälte?

Aber wie hoch ist das Risiko?

Menschen begegnen dir, schwimmen an dir vorbei oder begleiten dich ein Stück. Sie erzählen dir von fremden Ländern, heben dich empor und zeigen dir den Horizont, die Sonne, die Wärme.

Aber wenn sie fort sind, hinterlassen sie eine große

Leere und du wartest, suchst oder kämpfst um sie.

Ich musste diese Erfahrung machen und mich entscheiden. Lohnt es sich, für diese Liebe zu kämpfen?

Kapitel 1

Nadine

Ich genoss die zunehmend wärmer werdenden Sonnenstrahlen, die im Wechsel mit dem frischen Nordseewind mein Gesicht umspielten. Die Insel erwachte langsam aus ihrem langen Winterschlaf, es war ruhig, die Badesaison hatte noch nicht begonnen und nur vereinzelt sah man hier am Strand dick eingemummelte Spaziergänger, die der kühlen Meeresbrise trotzten.

Die meisten Einheimischen bereiteten sich um diese Zeit mit letzten Verschönerungsarbeiten auf die bald eintreffenden Erholungssuchenden vor oder stillten ihr Bedürfnis nach Gesellschaft im traditionsreichen Vereinsleben.

Auch unsere Clique traf sich gern, besonders hier am Meer, wenn es nicht gerade stürmte. Sie bestand aus einem Dutzend Leuten und Lindas Hund 'Spike', der es liebte, am Strand zu toben oder sich in die noch eiskalten Wellen zu stürzen.

Meistens saßen wir auf unseren Decken in den geschützten Dünen, am Deich oder einfach im Sand, wenn es warm war. Bei kühlerer Witterung suchten wir unsere improvisierte Schutzhütte auf – eigentlich eine alte Bunkerruine, die mit zusammengenagelten Brettern dem ständigen Inselwind standhielt.

Meine Freundin Linda quasselte in einer Tour von Mike, der erst kürzlich zu unserem Haufen stieß. Er war einer der Marinesoldaten, die auf der Insel stationiert waren und sich bei ihrem Freigang in den vielen Kneipen der Inselmitte nach – meist weiblicher – Gesellschaft umsahen. Linda kannte ihn schon länger und wollte den Abend nur mit ihm, also ohne seine Kameraden verbringen.

»Er hat mich heute ins Kino eingeladen, komm doch mit Nils mit, dann sieht's nicht so nach einem Date aus oder versinkst du wieder in deinen Naturkrambüchern?«, bat mich Linda.

»Ich habe doch wieder Seminar – das letzte vor der Prüfung«, erinnerte ich sie.

»Und hast du dann nach deiner Prüfung mehr Zeit oder willst du in deiner Hexenküche Mittelchen mixen und die womöglich an uns ausprobieren?«, kicherte sie.

Sie konnte nicht verstehen, dass die Welt der Naturheilkunde nicht nur mein Berufswunsch war, sondern mein Hobby, in das ich mich stundenlang vertiefen konnte.

»Für dich hab ich doch immer Zeit, nur Nils nicht, er hilft wieder bei meiner Tante im Café aus«, bedauerte ich sie und sah auf ihren Schmollmund. »Außerdem wird sich bei dem derzeitigen Filmangebot kein Mensch ins Kino wagen, also könnt ihr auch allein hingehen«, schlug ich ihr augenzwinkernd vor.

Bevor sie zum Protest aufzog, bemerkten wir, dass ein paar Spaziergänger oben am Deich aufgeregt einen jungen Mann umringten, der am Boden lag. Ich sprang auf und sah, dass er am ganzen Körper zuckte und offenbar einen epileptischen Anfall hatte. Spontan schnappte ich meine Decke, eilte den Deich hinauf und erkannte, dass der Krampfanfall vorüber war und der junge Mann in einen tiefen Schlaf fiel. Linda folgte mir, hielt sich aber mit etwas Abstand im Hintergrund und beobachtete die Szene.

»Kann ich helfen?«, rief ich und da alle hilflos herumstanden, beugte ich mich über den Jungen und prüfte Bewusstsein, Atmung und Puls, legte ihn danach behutsam in die stabile Seitenlage und seinen Kopf auf meine gefaltete Decke. Die Passanten entfernten sich wieder und ich sah in die sorgenvollen Augen eines Mannes, offenbar ein Angehöriger.

»Er ist mein Bruder und hatte das schon öfter in letzter Zeit«, stieß er hervor; er kniete neben ihm. Wie lange der Anfall dauerte, konnte er mir nicht sagen.

»Haben Sie schon einen Krankenwagen gerufen? Man sollte das abklären lassen«, empfahl ich ihm und zog mein Handy aus der Hosentasche.

»Nein, in der Aufregung ...«

»Ich rufe die Rettung an, sie werden schnell hier sein«, beruhigte ich ihn.

Linda und meinen Freunden am Strand signalisierte ich, dass alles in Ordnung war und betrachtete unseren Patienten. Mir fiel die Ähnlichkeit zu seinem Bruder auf, er war aber wesentlich schmächtiger und kleiner, geschätzt 15-17 Jahre alt.

»Danke, dass Sie ihm so schnell geholfen haben«, wandte sich der ältere Bruder an mich und ich sah seinen besorgten Gesichtsausdruck.

»Das war doch selbstverständlich. Haben Sie gesehen, ob er gestürzt ist? Vielleicht hat er sich verletzt?« Ich suchte nach Verletzungsanzeichen.

»Nein, ich bemerkte diese Zuckungen rechtzeitig, konnte ihn noch halten und hinlegen«, meinte der Mann. Mir fiel sein amerikanischer Akzent auf und ich vermutete, dass er Tourist war oder mit dem Jungen zur Kur hier herkam.

Als der Krankenwagen vorfuhr, machte ich den Sanitätern eine kurze Übergabe und wandte mich zum Abschied nochmal an ihn, während der noch schlafende Jugendliche auf die Trage gehoben wurde.

»Ich wünsche Ihnen beiden alles Gute und Ihrem Bruder schnelle gute Besserung!«

Er bedankte sich nochmal – jetzt sichtlich erleichtert – und stieg mit in den Rettungswagen.

»Nicht gerade ein Sensationsbericht«, murrte Linda enttäuscht und schlenderte mit mir zurück zu unseren Freunden, die sich erkundigten, was los war.

»Gott sei Dank nichts Schlimmes«, verkündete ich mit strafendem Blick auf meine Freundin, umarmte sie aber und bat sie: »Dafür musst du mir nach deinem morgigen Kino-Date unbedingt berichten. Das ist dann hoffentlich was Positives, ist doch viel schöner als deine Drama-Reportagen!«

»Na so viele Berichterstattungen sind hier im Provinznest ja auch nicht zu erwarten.«

»Tja, dann wird's Zeit für eine Love Story!«, zwinkerte ich, was Linda mit einem genervten Augenrollen quittierte.

Ich kicherte und packte meine Sachen in die Strandtasche. »Tschüss, Leute, ich muss morgen wieder früh raus!«, verabschiedete ich mich in die Runde.

»Bis nächste Woche!«, riefen ein paar und ich freute mich auf mein Bett mit einem guten Buch, bevor es am nächsten Morgen wieder losging.

Kapitel 2

Auf dem Weg zur Station schweiften meine Gedanken an unser Wochenende am Strand. Auch wenn ich Angst haben musste, dass sich mein Freundeskreis immer mehr dezimieren wird, wenn unsere Mädels mit den Marinesoldaten oder Touristen auf das Festland ziehen – ich könnte mir nie vorstellen, meine geliebte Insel zu verlassen. Hier ist mein sicherer Heimathafen – jeder, der hier aufwuchs, kennt jeden, verzeiht oder verteufelt zwar Fehler, aber das und die natürliche Begrenzung der Insel, hält die Kriminalität auf ein Minimum. Was nicht heißt, dass unsere Polizei nichts zu tun hätte, bei einer traditionsreichen geselligen Stadtbevölkerung, die früher von der Piraterie lebte.

Bei der Dienstübergabe im Schwesternzimmer horchte ich auf, als der Nachtdienst von einem Neuzugang mit Epilepsie und einer Begleitperson berichtete. Und tatsächlich, bei dem amerikanischen Namen hatte ich keine Zweifel mehr – mein junger Patient von gestern wurde in unserer Klinik aufgenommen.

Wenig später klopfte ich an die Zimmertür von Ben – so hieß der Junge – und freute mich, als ich ihn munter mit einer Spielekonsole im Bett sitzen sah. Er erkannte mich natürlich nicht, da er bei seinem Anfall nichts mitbekam, dafür war sein Bruder umso überraschter und dieser musterte mich kurz in meiner türkisfarbenen Dienstkleidung, meine blonden Haare zu einem geflochtenen Zopf gebändigt.

Er reichte mir die Hand und stellte sich mit »Tyler« vor, wobei ich davon ausging, dass es sein Vorname war.

»Nadine«, grüßte ich freundlich zurück und wandte mich an Ben:

»Hallo Ben, ich bin deine Krankenschwester, wie geht es dir?« Wie man es von vielen Jugendlichen, die in Computerspiele vertieft sind, gewohnt ist, bekam ich ein knappes »Gut« zur Antwort zurück.

»Kommst du im Bad allein zurecht oder brauchst du Hilfe?«, fragte ich, um ihn ein bisschen aus der Reserve zu locken. Worauf ich nur ein Augenrollen erntete. »Ich bringe dir gleich dein Frühstück. Hoffentlich magst du Brötchen, Marmelade und Kakao?«, und fragte mich, ob er eher Pancakes, Rühreier oder Müsli gewohnt war. Aber bei seinem »Geht klar« war ich doch erleichtert. Sein amerikanischer Akzent war sogar bei seinen knappen Antworten deutlich wahrnehmbar. Dann drehte ich mich zu seinem Angehörigen um:

»Und für Sie – Frühstück mit Kaffee?«

Er lachte: »Erst retten Sie meinem Brüderchen das Leben und nun bringen Sie mir auch noch Kaffee? Danke, gerne. Da hab ich ja Glück gehabt, dass gestern eine Schwester in der Nähe war«, sagte Tyler, der jetzt neben mir am Bett erschien, auf mich herabsah und mit tiefer sanfter Stimme sprach. Er war sehr groß und hatte trotz seiner stattlichen Erscheinung eine ruhige Ausstrahlung.

»Das ist mein Beruf«, gab ich lächelnd zurück und musterte sein markantes braungebranntes Gesicht mit diesem warmherzigen Blick, besann mich aber schnell und wandte mich an den kleinen Patienten:

»Ben, wenn du irgendetwas brauchst oder dich nicht wohlfühlst, darfst du jederzeit auf diesen Knopf hier drücken.« Ich zeigte ihm die Notrufanlage. »Der Doktor schaut nachher nach dir und erklärt euch die Untersuchungsergebnisse, die wir bisher haben.«

»Okay«, seufzte er und legte den Controller in das Nachtkästchen, weil er ihn nur zeitlich eingeschränkt benutzen durfte. »Darf ich dann wieder zum Meer?«, bettelte er und reckte seinen Kopf zum Fenster, um einen Blick auf Wellen und Strand zu ergattern. Man konnte das Glitzern der Nordsee tatsächlich in weiter Ferne erkennen.

»Sobald der Arzt kommt, fragst du ihn«, lächelte ich die beiden an und verschwand, um mich um das Frühstück und seine Medikamente zu kümmern.

Bei der Visite wurden erste Ergebnisse besprochen, eine Ursache für die immer wieder auftretenden Krampfanfälle von Ben konnte nicht gefunden werden. Der Arzt schlug noch ein paar Untersuchungen und Therapien vor, bevor er sich verabschiedete. Ich half dem Jungen beim Umziehen, was wegen der Infusionsnadel nicht so einfach war. Dabei lugte ein Foto einer dunkelhaarigen Frau mittleren Alters unter der Decke hervor.

»Was für eine hübsche Frau«, bemerkte ich leise. Schnell nahm Ben das Bild an sich und drückte es an seine Brust. Es schien ihm peinlich zu sein und ich fragte nicht weiter. Das Summen eines Handys unterbrach die Stille. Ich hörte Tyler englisch reden und flüsterte Ben zu, dass ich später wieder reinschaue, das Foto hielt er weiterhin fest umklammert.

Nach der Versorgung weiterer Patienten und als meine Schicht endete, sah ich nochmal zu dem Jungen und bemerkte wie ihm sichtlich langweilig war.

»Hey Ben, für Malbücher interessierst du dich wahrscheinlich nicht mehr, aber wir haben hier ein paar Spiele, Karten oder Bücher, möchtest du mal schauen?« Er zuckte mit den Achseln und meinte:

»Vielleicht Karten, aber hast du denn Zeit, mit mir zu spielen?«

»Hmm ...«, überlegte ich und drehte mich kurz nach seinem Bruder um, worauf Ben seinen Kopf schüttelte und mir zu verstehen gab, dass er wohl nicht Karten spielt. »Ich muss zwar einkaufen gehen, aber für einen kurzen Kartentrick nehme ich mir Zeit, wenn du magst«, bot ich ihm an.

»Okay, aber was Cooles«, forderte er schelmisch lächelnd. Durch die langen Wintermonate hier auf der Insel kannte ich alle möglichen Spiele und sogar ein paar Tricks. Ich holte einen Stapel aus der Spielesammlung und setze mich zu ihm. Tatsächlich gelang es mir, ihn für einen verblüffenden Kartentrick zu begeistern, und freute mich, ihn in Erstaunen zu versetzen, was bei Jugendlichen gar nicht so leicht ist.

Während der Junge den Kartentrick ausprobierte, berührte mich Tyler am Arm und fragte:

»Können wir kurz reden, draußen?« Sein Gesichtsausdruck war jetzt nicht mehr so warmherzig, er blickte ernst und ich war irritiert und stotterte:

»J-ja, ja natürlich.«

Wir schlenderten den Gang entlang, es war stiller auf der Station jetzt nach Schichtwechsel. Er blieb stehen und wandte sich an mich, sah in meine Augen, wohl um zu prüfen, ob er die volle Aufmerksamkeit hatte oder um mir zu verdeutlichen, dass er etwas Wichtiges mitzuteilen hatte.

Nach einer Weile begann er: »Nadine ..., ich bin in einer speziellen Einheit der US Army hier in Deutschland stationiert. Eigentlich habe ich Urlaub und wollte mit Ben hierher zur Erholung. Wenn die mich aber anrufen, muss ich mich innerhalb 48 Stunden persönlich melden.«

»Oh ...«, entfuhr es mir, ich wusste nicht, was er mir sagen wollte, sein Blick war immer noch ernst.

Er räusperte sich. »Ich wollte fragen, ob ähm ..., darf ich ›du‹ sagen?«

»Ja, klar«, antwortete ich schnell, wir waren ungefähr gleich alt, er vielleicht etwas älter als ich.

»Ob du wohl nach Ben schauen könntest und mir Bescheid sagen, wenn mit ihm etwas wäre? Ich bin in zwei, spätestens nach drei Tagen wieder zurück.«

Das bedrückte ihn also. Heute ist Montag, ich habe noch bis Donnerstag Frühdienst, überlegte ich. »Natürlich kümmere ich mich um ihn, ich bin ja hier. Und Ben wird sicher noch 2-3 Tage stationär bleiben«, versicherte ich ihm.

»Sollte ich bis dahin nicht zurück sein, würde ich Ben's Aufenthalt privat zahlen«, bot Tyler an.

Ich schüttelte den Kopf, »das müsste zeitlich klappen, seine Medikamente müssen ja noch eingestellt werden.«

Er nickte nachdenklich und nahm dann einen Zettel aus seiner Brieftasche, notierte eine Handynummer und überreichte sie mir. »Du kannst mich Tag und Nacht anrufen, vielleicht erreichst du mich nicht gleich, aber ich rufe zurück, wenn deine Nummer sichtbar ist«, versprach er und ich versicherte ihm, dass ich ihn sofort informiere, falls was mit Ben sein sollte. Jetzt lächelte er erleichtert und wir gingen zum Zimmer zurück. Ben schlief, die Karten lagen auf seiner Decke verteilt.

»Darf ich Sie noch auf eine Tasse Kaffee einladen?«, flüsterte er mir in der Tür stehend zu.

»Nur wenn du mich wieder duzt«, erinnerte ich ihn leise. Dazu musste ich mich auf die Zehenspitzen stellen, um sein Ohr zu erreichen. Verschiebe ich halt meinen Einkauf, dachte ich mir.

»Okay du«, lächelte er mich an und seine braunen Augen strahlten wieder.

In unserem Café in der Klinik gab es mit Birkenholzstäben abgeteilte gemütliche Ecken, in denen man sich ungestört unterhalten konnte. Ich nutzte sie oft, um in meiner Pause bei einer Tasse Tee und einem guten Buch dem Stationstrubel zu entfliehen und abzuschalten.

Tyler bestellte uns gleich am Tresen zwei Kaffees und ich beobachtete ihn dabei. Er trug dunkelblaue Jeans mit einem hochwertigen schlichten schwarzen Gürtel, ein schwarzes T-Shirt, dessen Ärmel seine Oberarme eng umspannte und einige Tattoos preisgab. Eine schwarze Uhr mit dunklem Display und ein schwarzer Ring am Mittelfingerstanden ihm ausgezeichnet auf seiner gebräunten Haut. Er muss sicher viel trainieren, die Muskeln traten deutlich hervor und sein Gang unterstrich seine kräftige Erscheinung, als er jetzt auf mich zukam und mir meinen Kaffee mitbrachte.

»Milch und Zucker?«, fragte er und reichte mir beides.

»Ja gern«, bedankte ich mich.

»Ben schläft meistens am Nachmittag«, begann er das Gespräch. »Er geht auch früh schlafen, braucht aber lange, bis er einschläft, obwohl er müde ist. Und er sagt, dass dann in seinem Kopf viele Gedanken kreisen, die ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, er träumt häufig ...Er hat das, seit unsere Mutter von uns ging.«

Ich erinnerte mich an das Foto, das Ben hütete, wie einen Schatz. »Das Bild ...«, ich schaute Tyler fragend an.

»Ja das ist sie, Catherine.«

Ich wartete, ob er von ihr erzählen wollte, es trat jedoch eine beklemmende Stille ein, während er in die Ferne sah. »Das tut mir leid«, flüsterte ich, um ihn nicht abrupt aus seinen Erinnerungen an seine Mutter zu reißen. Er sah jetzt so traurig aus, dass ich ihn am liebsten in den Arm genommen hätte. Stattdessen legte ich reflexartig, wie ich es auch bei meinen Patienten tat, meine Hand auf seinen Arm, um ihn von seinem Schmerz abzulenken und suchte nach passenden Worten. Schließlich brachte ich nur meine Bewunderung für ihn hervor, wie rührend er sich um seinen Bruder kümmerte.

Er legte seine andere Hand wie zum Dank auf meine und nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Das Schlimmste ist die Ungewissheit ...«

Ich spürte seine warme Hand auf meiner und mein Blick hing erwartungsvoll an seinen Lippen. Warum fühlte ich mich jetzt als die zu Tröstende, empfand Geborgenheit, auch durch seine dunkle ruhige Stimme, die jetzt weitersprach:

»An dem Tag, als sie das Haus verließ ...« – er verstummte.

Eine kleine Gruppe Besucher strömte ins Café, zwei Jugendliche lachten laut und schoben Stühle geräuschvoll zurück, um sich an einen Tisch zu setzen. Dieser Moment riss uns beide aus den Gedanken und ich zog reflexartig meine Hand zurück. Die Situation war unangenehm und ich stammelte herum:

»Ähm, vielleicht gehen wir ... sollten wir wieder nach Ben schauen«, und stellte unsere leeren Tassen auf das Tablett. Er nickte stumm, erhob sich langsam in seiner besonnenen Art und reichte mir meine Tasche.

Auf dem Rückweg zu Ben's Zimmer fragte ich, seit wann er denn diese Anfälle hätte. Tyler überlegte und meinte, das sei eine längere Geschichte. »Vielleicht haben wir mal etwas mehr Zeit, wenn es dich interessiert.«

»Oh, ja natürlich, solche Anfälle haben ja oft eine Ursache und ich höre gern zu.« Das tat ich wirklich gern. Jeder Patient hatte eine Geschichte, manche erzählten viel aus ihrem Leben, manche waren eher verschlossen oder resignierten. Aber jeder freute sich auf einfühlsame Zuwendung, wenn die knapp bemessene Zeit es zuließ.

Ben schlief noch und ich bedankte mich vor seiner Zimmertür bei Tyler für den Kaffee. »Die nächste Fähre zum Festland geht morgen bereits um 8.00 Uhr. Kann ich sonst etwas für euch tun?«

»Danke, du hast dich schon so viel um uns gekümmert und ich bin beruhigter, wenn jemand nach meinem Bruder sieht. Ich erkläre ihm gleich, dass ich wegmuss – er kennt das schon. Und er fühlt sich auf jeden Fall wohler, wenn er sich an dich wenden kann. Das darf er doch, oder?«

Bei seinem bittenden Blick hätte ich ihm nichts abschlagen können. »Natürlich. Jederzeit«, versicherte ich ihm und hielt seinem Blick wie zur Bestätigung stand. Er reichte mir zum Abschied die Hand, in die ich meine gerne nochmals legte.

Auf der Fahrt nach Hause – nachdem ich meinen Einkauf erledigte – dachte ich über seine Worte nach und überlegte, was diese Ungewissheit, von der er sprach, bedeuten könnte. Was passierte mit seiner Mutter? Oder meinte er die Krankheit von Ben? Die Geschichte dieses fremden Amerikaners beschäftigte mich noch lange am Abend und ich hatte nicht mal mehr Lust zum Lesen, geschweige denn zum Lernen. Schlafen konnte ich allerdings auch nicht.

Prompt überhörte ich den Wecker und kam zu spät zur Frühschicht. Als ich in Ben's Zimmer trat, fandich ihn weinend im Bett sitzen. »Was ist los mit dir Ben, ist Tyler schon weg?«, fragte ich besorgt und sah mich suchend um.

Er wischte sich die Tränen heimlich weg und es tat weh, zu hören, was aus seinem Mund kam: »Ich dachte, du kommst auch nicht mehr!« Er wandte sich ab und schnäuzte sich die Nase.

»Oh tut mir leid Ben, ich hab verschlafen«, versuchte ich zu trösten und suchte nach einer Möglichkeit ihn abzulenken. »Und stell dir vor – ich hab heute Nacht von dir geträumt!«

»Und was?«, fragte er jetzt doch neugierig.

»Ich träumte, dass wir an den Strand gehen, Muscheln suchen und Angeln.«

»Ginge das denn?« Er sah mich mit großen hoffnungsvollen Augen an.

»Ich könnte den Chefarzt fragen, ob wir ein bisschen rausgehen dürfen, deine Untersuchungen sind ja für heute abgeschlossen und wenn es dir gut geht ...«

Er fiel mir gleich ins Wort: »Ja, ja, mir geht es gut!,« strahlte er mich schon wieder an.

»Okay, dann frag ich ihn nachher, jetzt aber erst mal ab ins Bad mit dir, ich hole dein Frühstück.«

Diese kleine Notlüge mit dem Traum heiligt den Zweck, beruhigte ich mein Gewissen und suchte nach der Essensausgabe den Chefarzt auf, um ihm die Situation zu erklären und um eine Genehmigung zu bitten.

Kapitel 3

Nach meinem anstrengenden Dienst freute ich mich richtig auf den Strand. Mit ein paar – mir schon längst bekannten – ärztlichen Auflagen wie: Sonnenschutz, nicht baden, nach zwei Stunden zurückkommen, gingen Ben und ich ans Meer. Heute war es nicht allzu warm, aber wie immer windig und noch spazierten nur wenige Touristen über die Promenade oder durch den Sand. Auf was man aber hier achten muss, sind Dinge, die von oben kommen, wie zum Beispiel: Drachenflieger, die von Kindern noch nicht kontrolliert werden konnten, dreiste Möwen, die immer auf der Suche nach Essbarem vorbeiflogen, oder nicht beherrschte Strandsegler. Ben war begeistert. Ich zeigte ihm, wo man lebende Muscheln, Krebstierchen und andere Meeresbewohner beobachten kann, wie man Wattwürmer findet, und erzählte ihm kurze Piratengeschichten von unserer Insel.

Hier am Meer blühte er förmlich auf und war viel offener und zugänglicher als im Krankenzimmer. Er erzählte allerdings nichts von sich und ich fragte auch nicht, wollte ihn hier einfach nur Kind sein lassen, selbst, wenn er schon fast 16 war.

Als er eine große Muschelhälfte betrachtete, wurde er wieder nachdenklich und schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein.

»Was hältst du davon, wenn wir uns ein Eis holen, und am Leuchtturm vorbeigehen?«, schlug ich vor und entriss ihn aus seiner Gedankenwelt.

»Okay«, grinste er und wir brachen auf.

Später am Turm fragte er: »Müssen wir denn schon zurück?«

»Hm«, überlegte ich, »wir könnten morgen wieder losziehen, es tut dir ja offensichtlich gut«, bemerkte ich, als ich mir seinen vom Schokoladeneis verschmierten Mund betrachtete. »Möchtest du noch etwas aus der Stadt, was zum Lesen, oder so?« Ich dachte daran, dass er ja allein ist bis morgen und Mediengeräte einschränken soll. Aber er schüttelte nur den Kopf, wirkte auf dem Rückweg zur Klinik wieder in sich gekehrt.

Ich meldete ihn bei den Schwestern zurück und setzte mich noch kurz zu ihm. Er schnappte sein Handy und scrollte durch eingegangene Nachrichten.

»Hat sich Tyler gemeldet?«, erkundigte ich mich.

Er antwortete nur zögerlich: »Ähm, nein und ich darf ..., was ihn betrifft, nichts sagen ..., weil, weil er Soldat ist.«

Daran hatte ich gar nicht gedacht, ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung war, nicht, dass ihn irgendwas beunruhigte. »Oh entschuldige, ich wollte nicht neugierig sein, ich hoffe, es ist alles ok? Du ..., du kannst mir sagen, wenn dich etwas bedrückt oder du irgendetwas brauchst. Und – was deinen Aufenthalt hier betrifft, hab ich Schweigepflicht, wenn du willst, auch deinem Bruder gegenüber. Ich gebe dir gerne meine Handynummer, dann kannst du mich jederzeit anrufen, wenn du magst.« Ich hinterließ ihm meine Karte auf seinem Nachtschränkchen.

Er nickte nur und verstaute sein Handy in der Schublade.

»Also dann, sehen wir uns morgen früh, hat Spaß gemacht heute am Strand«, verabschiedete ich mich von ihm.

Jetzt lächelte er mich an: »Ja mir auch und morgen nicht wieder verschlafen!«

Ich lachte mit ihm und erwiderte: »Bestimmt nicht und wenn, dann kannst du mich ja anrufen.«

Zuhause überlegte ich, ob ich Tyler eine Nachricht schicken sollte. Eigentlich sagte er ja: »Gib mir Bescheid, wenn was mit Ben ist«. Aber da er sich vielleicht um seinen Bruder sorgt, und er von mir keine Nummer hat, beschloss ich, ihm zu texten:

Hallo Tyler, Ben und ich waren heute mit ärztlicher Erlaubnis am Strand, es geht ihm gut und ich denke, er wird morgen oder übermorgen das Krankenhaus verlassen können. Ich hoffe, dir geht es auch gut und kannst bald zurückkommen. Liebe Grüße, Nadine

Damit hatte er jetzt auch meine Nummer, ich hoffte, dass ich ihn nicht störte und er bald antwortet.

Eine Nachricht von Linda ploppte auf, sie berichtete von ihrem Date mit Mike einschließlich aller Details. Ich schrieb zurück, dass wir morgen dringend telefonieren sollten, da ich jetzt zu müde war. Schlafen konnte ich trotzdem wieder nicht.

Ich stand auf und wollte irgendetwas tun. Außerdem hatte ich Hunger auf was Süßes. Spontan entschied ich mich, noch einen schnellen Schokokuchen zu backen. Ben liebt doch auch Schokolade und es tut der Seele gut. Während des Rührens hing ich meinen Gedanken nach ...

Ben ... Er muss sich schrecklich fühlen. Allein in der Klinik und nicht wissend, woher diese Anfälle kamen. In einem fremden Land, fern der Heimat und dann die Geschichte mit seiner Mutter. Ich nahm mir vor, die beiden zu unterstützen, so gut es mir möglich war.

Jemand trommelte an mein Fenster. Mist, schon wieder verschlafen? Ach nein, es regnete früh morgens, dicke Tropfen prasselten auf den Sims. Ich stand trotzdem schon auf. Dann der nächste Schreck – die Küche! Hier sah es aus, als wäre der Schokokuchen explodiert. Irgendwann war ich gestern zu müde, um aufzuräumen. Jetzt auch. Also ging ich erstmal unter die Dusche, räumte danach das Nötigste auf, schielte zwischendurch aufs Handy – keine neuen Nachrichten. Ich schnappte mir diesen schokoladigen Seelentröster und fuhr – heute mal mit dem Auto statt mit dem Rad – zur Klinik.

Bei der Übergabe erfuhr ich, dass es Ben nachts gut ging und bei der Visite entschieden wird, ob man ihn schon entlassen könnte. Der nächste Schreck: Tyler hatte sich bisher nicht gemeldet. Als ich Ben begrüßte, fragte ich ihn ganz belanglos, ob es was Neues gäbe. Er schüttelte den Kopf, auch er konnte Tyler nicht erreichen.

Bis zur Visite musste ich mir etwas einfallen lassen, die Station ist voll belegt, sie lassen den Jungen sicher nicht länger als nötig da, zumal es ihm psychisch hier nicht so gut geht. Und der Weg über die Ämter wäre eine Tortur für Ben. Also musste ich mit ihm reden. »Ich hab zwei gute Nachrichten für dich!«, strahlte ich ihn an.

»Strand und Schokoeis?«, grinste er zurück.

»Fast.« Ich holte meinen Schokokuchen hervor – er grinste noch mehr. »Und zweitens – ja, wir können auch bei diesem Sauwetter an den Strand. Aber ich wollte dich fragen, ob du Lust hättest, mit zu mir zu kommen, wenn du eventuell heute oder spätestens morgen entlassen wirst, bis Tyler kommt?« Er schaute mich an. Kein Grinsen.

»Klar würde ich. Hab ich denn eine Alternative?« Er biss in den Kuchen und beobachtete mich kauend. Stille.

»Ähm ..., naja«, druckste ich herum, aber mir fiel nichts ein.

»Schoki schmeckt, ich komme mit«, entschied er und erlöste mich.

»Okay!«, rief ich. »Dann kann ich den Ärzten sagen, dass ich dich nach meinem Dienst mitnehmen könnte?«

»Wenn du willst«, meinte er und schob sich noch ein Stück Kuchen in den Mund.

Gut, das wäre geklärt, was Ben anging. Jetzt müssen die Ärzte entscheiden und danach sollte ich unbedingt Tyler erreichen.