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Alex hat Vivian die heißesten Stunden ihres Lebens beschert, aber von Liebe wollte er nie etwas wissen. Und über das traumatische Ende ist sie bis heute nicht hinweg gekommen. Als sie ihm nach 15 Jahren unverhofft gegenüber steht, spielen ihre Gefühle verrückt. Einerseits hasst sie ihn für das, was er ihr angetan hat, andererseits fühlt sie sich immer noch magisch von ihm angezogen. Sie durchlebt noch einmal all die Demütigungen ihrer toxischen Beziehung, aber auch die grenzenlose Ekstase und Leidenschaft, bis Alex ihr erklärt, warum er sich damals so verhalten hat. Plötzlich steht Vivians Welt auf dem Kopf. Und die von Alex auch, denn auf ihn wartet die größte Überraschung seines Lebens ….
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Impressum
Tina Keller
Bittersweet
Memories
© Text: Tina Keller
© Cover: selfpubbookcovers.com
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere
Verwertungen nur mit schriftlicher Genehmigung
der Autorin.
Alex hat Vivian die heißesten Stunden ihres Lebens beschert, aber von Liebe wollte er nie etwas wissen. Und über das traumatische Ende ist sie bis heute nicht hinweg gekommen. Als sie ihm nach 15 Jahren unverhofft gegenüber steht, spielen ihre Gefühle verrückt. Einerseits hasst sie ihn für das, was er ihr angetan hat, andererseits fühlt sie sich immer noch magisch von ihm angezogen.
Sie durchlebt noch einmal all die Demütigungen ihrer toxischen Beziehung, aber auch die grenzenlose Ekstase und Leidenschaft, bis Alex ihr erklärt, warum er sich damals so verhalten hat.
Plötzlich steht Vivians Welt auf dem Kopf. Und die von Alex auch, denn auf ihn wartet die größte Überraschung seines Lebens ….
It's not always true that time heals all wounds There are wounds that you don't wanna heal The memories of something really good Something truly real, that you never found again
The Human League
Es ist nicht immer wahr, dass die Zeit alle Wunden heilt
Es gibt Wunden, die du nicht heilen willst
Die Erinnerungen an etwas wirklich Gutes
Etwas wirklich Reales, das du nie wieder gefunden hast
Kapitel 1
Berlin, 2019
„Hey, Woody West, ich hätte gern ein Autogramm von dir.“
Ich erstarre zur Salzsäule, als ich die Stimme höre, die ich unter Tausenden wiedererkennen würde. Tief, melodisch, mit einer ganz besonderen Klangfarbe. Früher fand ich sie unglaublich erotisch und sinnlich.
Es ist die Stimme meines Ex-Lovers Alex.
Das träume ich doch jetzt nur, oder?
Das kann nicht wahr sein! Das kann nicht wirklich Alex sein!
Alex, der mich fünf Jahre lang durch Himmel und Hölle zugleich gejagt hat.
Alex, mit dem ich die schönsten Stunden meines Lebens erlebt habe – und um den ich die bittersten Tränen geweint habe.
Alex, der Lover meines Lebens – und mein Untergang.
Das alles ist 15 Jahre her. Vorbei und vergessen – jedenfalls oberflächlich betrachtet.
Ich wollte diesen Kerl niemals wiedersehen!
Ehrlich, ich kann nicht glauben, dass dieser Arsch die Frechheit besitzt, bei meiner Lesung aufzutauchen! Und diese Unverschämtheit steigert er noch, indem er mich bei dem selten bescheuerten „Kosenamen“ nennt, mit dem er mich schon damals zur Weißglut getrieben hat.
„Woody West“ – in Anlehnung an Vivienne Westwood, deren Vorname wie meiner ausgesprochen wird. Ich habe diesen bescheuerten Namen immer gehasst, was Alex natürlich nicht davon abgehalten hat, mich trotzdem dauernd so zu nennen.
Ich atme tief ein und dann wieder aus und drehe mich unter Aufbietung all meiner Kräfte um. Mein Herz klopft mir bis zum Hals.
Ich habe nicht vergessen, wie heftig ich auf ihn reagiert habe. Obwohl er so ein Mistkerl war, hatte er auch eine faszinierende Seite. Sonst hätte ich das alles nicht so verdammt lange mit mir machen lassen.
Als erstes sehe ich das, was mich von Anfang an geflashed hat: seine leuchtend grünen, funkelnden Augen. Jetzt hat er ein paar Lachfältchen mehr, was ihm aber ausgesprochen gut steht. Er trägt immer noch seinen Drei-Tage-Bart, von dem meine Wangen oft wundgescheuert waren, wenn wir uns die ganze Nacht ekstatisch durch sein Bett gewälzt hatten.
Ich schlucke. Ich will diese Bilder nicht vor meinem geistigen Auge sehen, und doch tauchen sie ganz automatisch auf. Wie immer, wenn ich an ihn gedacht habe. Die wilden Nächte waren das Einzige, was er mir von sich gegeben hat. Doch sie waren genug, um mich wie Klebstoff an ihn zu binden und nie wieder von ihm loszukommen.
Er sieht immer noch verdammt attraktiv aus, eigentlich sogar noch besser als damals. Reifer, erfahrener, männlicher.
Warum ist er nicht alt, dick, hässlich und kahl geworden? Das würde es einfacher machen.
Vielleicht sollte ich jetzt endlich mal etwas sagen?
Aber was?
Was sage ich zu dem Mann, der mir vor 15 Jahren das Herz gebrochen hat? Der mich immer wieder von sich weggestoßen hat? Und der mich trotzdem völlig in seinen Bann gezogen hat?
„Was machst du denn hier?“, frage ich blöde. „Hast du dich verlaufen?“
Alex zwinkert mir zu und ich erinnere mich nur zu gut daran, wie sehr ich auf dieses Augenzwinkern abgefahren bin.
„Ich stehe brav in einer Schlange, um ein Autogramm der erfolgreichen Autorin zu erhaschen, die ich vor langer Zeit mal gekannt habe“, erwidert Alex lächelnd. „Ich habe mir eins deiner Bücher gekauft, um es von dir signieren zu lassen.“
„Warum das denn?“, sage ich spöttisch. „Du warst doch immer der Meinung, ich könne überhaupt nicht schreiben. Was willst du auf einmal mit einem drittklassigen Roman, der völlig unter deiner Würde ist?“
Unwirsch reiße ich ihm Brennende Begierde aus den Händen und male ein paar unleserliche Kringel auf die erste Seite. Jetzt ist das Buch wenigstens verunstaltet. Zufrieden reiche ich ihm mein Werk zurück. Enttäuscht sieht Alex mich an.
„Keine Widmung?“, wagt er es doch glatt zu fragen. „Keine persönlichen Worte?“
Am liebsten würde ich ihm das Buch um die Ohren hauen.
„Widmung?“, wiederhole ich scharf. „Was soll ich denn deiner Meinung nach schreiben? ‚Für Alex, den größten Mistkerl unter der Sonne‘? ‚Für Alex, der mir das Leben zur Hölle gemacht hat?‘ ‚Für Alex, der mich in der schlimmsten Zeit meines Lebens allein gelassen hat‘? Du kannst dir gern was davon aussuchen.“
Unbeeindruckt grinst Alex mich an.
„‘Für Alex, mit dem ich die geilsten Stunden meines Lebens verbracht habe?‘, unterbreitet er mir einen völlig indiskutablen Gegenvorschlag und senkt die Stimme. Zum Glück steht nur er am Signiertisch, während die anderen Leser ein paar Meter weiter entfernt warten und ihn nicht hören können.
„Woher willst du das denn wissen?“, entgegne ich und verdrehe die Augen. „Du weißt doch gar nicht, was ich nach dir noch alles erlebt habe.“
„Aber bestimmt nicht das, was wir beide miteinander hatten“, ist sich Alex sicher. Seine Augen funkeln.
Eingebildet ist der Typ wohl gar nicht. Leider hat er zu allem Überfluss auch noch recht, aber das werde ich ihm ganz bestimmt nicht auf die Nase binden.
„Würdest du dich jetzt bitte vom Acker machen?“, versuche ich ihn loszuwerden. „Es warten noch ein paar Leute darauf, dass ich ihre Bücher signiere.“
„Okay, okay“, zeigt Alex sich einsichtig. „Ich werde warten, bis du fertig bist und dann stoßen wir auf unser Wiedersehen an, einverstanden?“
„Ich will dich aber gar nicht wiedersehen“, zische ich. „Und mit dir anstoßen will ich schon gar nicht. Am besten fände ich es, wenn du nach der Signierstunde einfach nicht mehr da wärst.“
„Tut mir leid, aber den Gefallen werde ich dir nicht tun“, sagt Alex vergnügt. „Ich bin froh, dass ich dich endlich gefunden habe – da werde ich dich doch nicht sofort wieder gehen lassen.“
Ich stöhne genervt auf. Jetzt muss mir dieser aufdringliche Wicht auch noch meine kostbare Signierstunde verderben! Er soll zum Teufel gehen! Was allerdings bedeutet, dass er sich selbst begegnen würde.
Meine Hand zittert, als ich die nächsten Bücher signiere. Ich spüre seine Blicke vom anderen Ende des Raumes und merke, wie nervös mich das macht.
Warum muss er nach all der Zeit plötzlich hier auftauchen? Kann er mich nicht endlich, endlich in Ruhe lassen?
Leider ist die Signierrunde irgendwann vorbei und ich stelle fest, dass Alex tatsächlich zwei Stunden lang ausgeharrt hat. Das ist echt nicht zu fassen.
„Wirst du zu Hause nicht vermisst oder warum lungerst du hier völlig sinnlos herum?“, ätze ich, als er auf mich zukommt.
„Wieso sinnlos? Ich habe gern auf dich gewartet“, gibt mein Ex-Lover sich unerwartet charmant. „Und jetzt habe ich den Lohn dafür bekommen: Du bist da.“
„Aber nicht mehr lange“, nehme ich ihm barsch seine Illusionen. „Wie ich dir bereits mitgeteilt habe: Ich lege absolut keinen Wert auf ein Wiedersehen. Also: Was willst du?“
Alex lässt sich von meinem wenig einladenden Ton nicht beirren. Er greift nach zwei gefüllten Weingläsern, von denen er mir eins in die Hand drückt.
„Auf unser Wiedersehen, Woody West.“
„Sag mal, kannst du endlich mal aufhören, mich mit diesem selten bescheuerten Namen anzusprechen?“, platze ich.
Am liebsten würde ich ihm den Wein ins Gesicht kippen und dann die Flasche auf seinem Kopf zerschlagen.
„Das hat mich schon damals tierisch genervt – und das weißt du auch ganz genau.“
„Ja, stimmt. Sorry“, sagt Alex demütig. „Dann stoßen wir eben nicht auf unser Wiedersehen an, sondern auf deinen Erfolg als Autorin.“
Okay, dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Das kann man nicht oft genug feiern.
Alex‘ Glas nähert sich meinem und zwangsläufig kommen wir uns dabei näher. Sein Duft, der mich damals so sehr betört hat, weht zu mir herüber. Immer noch Million. Wie passend, wo Alex für mich One in a million war. Ich habe es geliebt und wie eine Süchtige inhaliert. Ich war so verrückt danach, dass ich es mir sogar selbst gekauft und auf mein Kopfkissen gesprüht habe. Ich war verrückt nach diesem Duft, und ich war verrückt nach diesem Mann.
Und genau darum hasse ich ihn heute.
„Ich finde es toll, dass du jetzt vom Schreiben leben kannst“, will Alex sich einschmeicheln. „Du hast ja wirklich eine Menge Romane geschrieben. Ich habe einige davon gelesen und muss sagen, dass ich begeistert war. Ich finde …“
Ich knalle das Glas auf den Tisch.
„Alex, es interessiert mich nicht, wie du meine Romane findest“, fauche ich ihn an. „Und es ist mir scheißegal, was du so treibst. Das alles ist 15 Jahre her und es ist vorbei. Lass mich einfach in Ruhe, okay?“
Ich kann immer noch nicht glauben, dass er live und in Farbe vor mir steht. Das ist total unwirklich. Ich habe gedacht, dass ich ihn nie wiedersehe. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich immer Angst davor.
Angst, wie ich auf ihn reagieren würde.
Angst, dass er mir wieder wehtun würde.
Angst, dass ich ihm nicht gewachsen bin.
Angst, dass alles wieder von vorn losgeht.
Ich will nicht hören, dass er glücklich mit irgendeiner Frau liiert ist und dass sie jetzt die wilden Nächte mit ihm erlebt, die ich mit ihm hatte.
Das war exklusiv, nur für uns.
Das gibt es kein zweites Mal auf der Welt.
Ich will nicht, dass er das mit einer anderen hat.
Ich habe das schließlich auch mit keinem anderen Mann jemals wieder erlebt.
Nur er und ich, für immer.
Wird es jemals aufhören, weh zu tun?
Alex bedenkt mich mit einem intensiven Blick aus seinen faszinierenden Augen. Ich weiß, wie sie aussehen, wenn sie vor Lust verschleiert sind. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn diese Augen in meinen versinken. Seine Augen haben mich immer geflashed, und das ist heute immer noch so. Leider.
„Warum bist du denn so aggressiv?“, fragt er sanft. „Ich wollte nach all der Zeit einfach mal mit dir reden. Wir haben uns sicher eine Menge zu erzählen. Es ist viel passiert. Ich habe sowieso nicht verstanden, warum du mir nie auf meine Mails geantwortet hast. Ich meine, wir hätten doch gute Freunde bleiben können, oder?“
Ich starre ihn an.
„Gute Freunde bleiben?“, höhne ich. „Alex, wir waren nie gute Freunde. Wir waren nicht mal Freunde. Da scheint sich bei dir im Laufe der Zeit aber einiges verklärt zu haben. Du hast mir oft genug gesagt, ich sei für dich allenfalls die ‚sexuelle Grundversorgung‘ oder die ‚Besser als nichts Lösung‘. Klingt dass nach einer guten Freundschaft? Ich glaube nicht.“
Alex‘ Gesichtsausdruck verändert sich. Schuldbewusst blickt er mich an. Hat er es jetzt endlich kapiert?
„Hallo, mein Schatz“, höre ich eine Stimme hinter mir und nehme schemenhaft wahr, dass Vincent, angesagtes Top-Model und Hingucker auf zahlreichen meiner Cover, auf der Bildfläche erscheint. Er legt beide Arme um mich und drückt mich an sich.
„Das ist ein voller Erfolg für uns beide heute“, schwärmt er und lacht. „Ich habe zahlreiche neue Aufträge bekommen und deine Bücher sind weggegangen wie warme Semmeln.“
Alex‘ Gesicht ist Gold wert. So blöd habe ich ihn noch nie aus der Wäsche gucken sehen. Ich kann förmlich seine Gedanken lesen:
„Wer um alles in der Welt ist das denn? Hat sie etwa was mit ihm? Mit einem Model? Ist sie mit einem so fantastisch aussehenden Mann zusammen?“
Ich erwidere Vincents Umarmung und flüstere ihm ins Ohr:
„Das ist mein Ex. Kannst du kurz meinen Freund spielen?“
„Klar“, flüstert Vincent zurück. „Ist mir ein Vergnügen.“
Wir lösen uns voneinander und ich atme tief durch. Ist es nicht endlich mal an der Zeit, mich an Alex für all das, was er mir angetan hat, zu rächen? Nur ein kleines bisschen?
„Darf ich vorstellen – das ist Vincent, mein Freund“, sage ich mit fester Stimme und weide mich an Alex‘ entsetztem Blick.
Ja, nimm das, du Arsch! Du wolltest mich ja nicht. Dir war ich nie gut genug. Aber für dieses wunderschöne Model bin ich gut genug! Dieser tolle Mann ist mit mir zusammen! Jetzt fällt dir wohl die Kinnlade runter, was?
Alex fällt tatsächlich die Kinnlade herunter und es ist ein absolut irres Gefühl von Genugtuung und Stolz.
Jawohl, hier stehe ich – eine erfolgreiche Autorin mit einem Mann, nach dem sich alle Frauen die Finger lecken. Es ist ein berauschendes Feeling und ich genieße es in vollen Zügen.
„Und das ist …“ beginne ich und gebe Vincent einen Kuss auf den Mund, den er leidenschaftlich erwidert. Er ist nicht nur Model, sondern auch Schauspieler.
„Alex“, stellt sich mein Ex-Lover etwas säuerlich vor. „Falls du es vergessen haben solltest.“
„Wir kannten uns mal flüchtig vor langer, langer Zeit“, erkläre ich meinem angeblichen Freund. „Aber leider wollte er mich nicht. Er hat auf was Besseres gewartet.“
Vincent lacht. „Zum Glück hat er das getan. Sonst hätte ich dich nicht erobern können. Und das wäre doch sehr schade gewesen.“
„Das finde ich auch“, himmele ich ihn an, was mir nicht schwerfällt, denn Vincent ist absolut unwiderstehlich – und mindestens zehn Jahre jünger als ich.
Aber warum nicht? Meine Fast-Namensvetterin Vivienne Westwood ist 25 Jahre älter als ihr Ehemann, und Johannes Oerding ist 17 Jahre jünger als Ina Müller. Warum sollte sich eine erfolgreiche Schriftstellerin keinen jungen Mann angeln?
Vincent legt besitzergreifend den Arm um mich und grinst Alex an.
„Wir müssen jetzt zu der Konferenz“, informiert Vincent mich und wendet sich dann Alex zu.
„Ein paar von Vivis Romane sollen verfilmt werden. Spannende Sache.“
„Ach.“ Alex hebt überrascht seine Augenbrauen. „Tatsächlich?“
Ich nicke, denn das ist in der Tat keine Lüge. Ich war selbst überrascht, als die Anfrage kam und habe mich riesig gefreut.
„Ja“, bestätigt Vincent und zieht mich mit sich fort. „Tschö mit ö. Sorry, Mann, aber wir sind spät dran.“
Ein letzter Blick auf Alex‘ belämmertes Gesicht – und wir sind weg. Endlich.
Doch vor meinen Gefühlen kann ich nicht davon laufen.
Warum hängt man so oft den Kerlen nach, die einem besonders wehgetan haben? Die Männer, mit denen ich eine harmonische Beziehung hatte, interessieren mich überhaupt nicht mehr. Aber die Kiste mit Alex ist wie ein Stachel, der immer noch in meinem Herzen sitzt. Ich weiß nicht, was passieren müsste, damit dieser Stachel endlich gezogen wird.
„Sag mal, träume ich – oder war das tatsächlich Alex Arschgesicht, der Lover deines Lebens?“
Mit großen Augen taucht meine beste Freundin Dany aus der Versenkung auf. Sie ist ebenfalls Autorin, schreibt aber keine Liebesromane, sondern Psycho-Thriller, nach denen man kein Auge mehr zumacht. Ich bewundere sie dafür uneingeschränkt, denn ich könnte mir niemals diese irrsinnigen Plots ausdenken. Jeder ihrer Romane landet in den Top Ten, und das völlig zu Recht.
Ich stöhne auf.
„Ja, das war wirklich Alex. Ich stehe extrem unter Schock.“
„Was wollte der denn hier?“, wundert Dany sich und greift nach meinem Wein. „Also echt, dass der die Eier hat, hier einfach aufzutauchen …. Unglaublich. Du hast ihm hoffentlich gesagt, er soll sich zum Teufel scheren?!“
„Habe ich“, bestätige ich. „Was denn sonst? Aber ich muss jetzt los wegen der Verfilmung. Kommst du mit?“
„Klar“, grinst Dany. „Ich kann es kaum erwarten, deine schrägen Figuren auf der Leinwand zu sehen.“
Nach der Konferenz, die für mich ausgesprochen erfreulich verlief, bin ich so aufgedreht, dass ich mit Dany noch in eine Bar gehe.
„Alex Arschgesicht Ahrens“, seufzt Dany und nippt an ihrem Caipirinha. „Ich kann es immer noch nicht glauben! Was bildet sich der Kerl eigentlich ein? Was wollte er denn? Abbitte leisten? Das schafft er in diesem Leben aber nicht mehr.“
„Er wollte sich allen Ernstes mit mir darüber unterhalten, was uns in den letzten Jahren widerfahren ist“, berichte ich und nehme einen Schluck von meinem Cappuccino. „Er faselte was davon, wir hätten doch gute Freunde bleiben können! Kannst du dir das vorstellen?“
„Bei ihm schon.“ Dany rollt mit den Augen. „Hast du ihm gesagt, dass man erst mal Freunde gewesen sein muss, um Freunde zu bleiben?“
„Exakt diesen Wortlaut“, grinse ich.
„Weißt du eigentlich, was er in den letzten 15 Jahren so getrieben hat?“, erkundigt Dany sich.
Ich schüttele den Kopf.
„Nein, absolut nicht. Ich habe keine Ahnung“, versichere ich.
„Du hast den Arsch echt nie gegoogelt?“ Dany wirft mir einen überraschten Blick zu. „Niemals, in all den Jahren nicht? Nicht mal heimlich, ohne es mir zu sagen? Ich kann das gar nicht glauben.“
„Glaub es“, erwidere ich. „Ich habe es damals wirklich ernst gemeint, als ich sagte, ich wolle nie wieder etwas von ihm hören. Das beinhaltet natürlich auch, dass ich nicht irgendwelche Nachforschungen über ihn anstelle.“
Dany runzelt die Stirn.
„Warst du nie neugierig, was er so macht?“, wundert sie sich. „Du hättest auf Facebook mit Leichtigkeit feststellen können, mit wem er zusammen ist, wo er seinen Urlaub verbringt … All das Zeug eben, was einen so interessiert.“
„Du weißt, dass ich nicht besonders aktiv auf Facebook bin“, erinnere ich sie. „Mir widerstrebt es, der Welt jeden Tag mitzuteilen, was ich gegessen und getrunken habe. Ich werde niemals verstehen, warum die Leute solche Banalitäten posten. Und noch weniger verstehe ich, warum das auch noch kommentiert wird. Die Leute haben einfach nichts zu tun. Sie müssen ein sehr langweiliges Leben führen, wenn sie allen Ernstes kommentieren, dass der Milchkaffee lecker aussieht und dass sie auch gerade einen getrunken haben.“
Dany lacht. „Irgendwo hast du schon recht. Trotzdem kann ich nicht glauben, dass du in all den Jahren niemals Nachforschungen über Alex angestellt hast. Wollen wir das nicht mal ändern?“
Ich zögere. „Eigentlich will ich nichts über ihn wissen.“
„Und uneigentlich?“, grinst Dany. „Los, komm schon. Jetzt bin ich auch neugierig geworden. Es muss doch einen Grund geben, warum er nach all der Zeit plötzlich bei dir aufschlägt.“
Dany zückt ihr Handy und tippt darauf herum. Dann hält sie es mir vor die Nase. Vor mir baut sich Alex‘ Profil bei Facebook auf.
„Alex ist seit fünf Jahren liiert?“, lese ich fassungslos vor. „Er, dem keine Frau jemals gut genug war?“
Ehrlich gesagt trifft mich das bis ins Innerste. Meistens hat er die Frauen, mit denen er es zu tun hatte, nicht mal als seine Freundinnen bezeichnet. Er hat immer nur von seinen Affären gesprochen. Dass er sich erstmalig zu einer Frau bekennt und sie sogar der Facebook Gemeinde vorstellt, ist ein echtes Novum. Das muss eine ganz besondere Frau sein.
Ich spüre, wie der alte Schmerz in mir hochkriecht, weil ich nie gut genug für ihn war. Welche Frau hat es geschafft, ihn zu bekehren? Alex war immer sehr anspruchsvoll, was die Optik anging. Ob er sich ein Model geangelt hat?
„In einer Beziehung mit Veronika Buschkrug“, liest Dany vor. „Klick mal auf den Namen! Da bin ich aber gespannt, welche supertolle Frau Gnade vor seinen Augen gefunden hat.“
Mit einem flauen Gefühl im Magen klicke ich auf Veronika Buschkrug und atme tief durch. Bestimmt ist sie wahnsinnig hübsch, hat eine supertolle Figur und ist Astronautin oder sowas in der Art. Der absolute Überflieger eben.
„Das kann ja wohl nicht wahr sein!“, vernehme ich Danys entsetzte Stimme. „Das ist nicht sein Ernst, oder?“
Ich starre auf das Bild, das sich vor mir geöffnet hat. Es kann sich nur um ein Versehen handeln. Das hier kann unmöglich Alex‘ Freundin sein!
Auch, wenn man weder hämisch noch niederträchtig ist, kann man das Gesicht auf dem Laptop nur als Laune der Natur bezeichnen. Es gibt schöne Menschen und es gibt weniger schöne Menschen, aber diese Frau hier ist abgrundtief hässlich. Ihr Gesicht ist merkwürdig verrutscht und das viel zu große Pferdegebiss sieht aus, als sei es noch nie geputzt worden.
Ich kann mich vage erinnern, dass Alex darauf immer größten Wert gelegt hat. Gepflegte Zähne waren für ihn das Wichtigste – abgesehen von einer Topfigur natürlich.
Auch hier kann Veronika Buschkrug nicht punkten. Sie ist nämlich dick. Richtig dick.
Flüchtig erinnere ich mich daran, dass mir Alex oft genug zu verstehen gegeben hat, dass ich ruhig mal abnehmen könne. Dabei hatte ich immer mein Normalgewicht. Diese Frau jedoch ist so weit von ihrem Normalgewicht entfernt wie ich vom Mond.
„Alex Ahrens, dem keine Frau schön genug war, ist mit dieser Hackfresse zusammen?“
Danys Ausdrucksweise war noch nie besonders geschliffen.
„Das kann einfach nicht sein“, murmele ich. „Weißt du noch, wie er auf meinem Aussehen herumgetrampelt hat?“
Dany nickt giftig.
„Natürlich weiß ich das. Du warst jedes Mal am Boden zerstört und hast wochenlang nichts gegessen, um dich in deine vermeintliche Idealfigur zu hungern. Du wolltest diesem Wichser ja unbedingt gefallen. Also, wenn ich diese Verunglimpfung auf zwei Beinen sehe, verstehe ich gar nichts mehr. Kannst du mir mal sagen, warum er mit so einer Gesichtsbaracke zusammen ist?“
Ich bin völlig benommen. Ich hätte niemals gedacht, dass Alex sich tatsächlich auf eine Frau festlegen würde. Und schon gar nicht auf eine, die aussieht, als könne sie ohne weiteres in der Geisterbahn arbeiten. Ich verstehe das nicht. Er war doch immer so kritisch. Was ist mit ihm passiert? Sieht er nicht mehr richtig?
„Es kann nur eine Sache dahinter stecken“, überlege ich laut. „Warum lässt sich ein attraktiver Mann mit so einer Entgleisung ein?“
„Weil sie Geld hat“, spricht Dany meine Gedanken aus. „Völlig klar.“
Wir klicken uns durch die Bilder – und unser Verdacht wird bestätigt. Der schöne Alex und die hässliche Veronika strahlen um die Wette. Sie stehen vor einem großen Haus mit Garten am Swimmingpool, vor dem Taj Mahal in Indien, dem Eiffelturm in Paris, der Sagrada Familia in Barcelona, dem Kolosseum in Rom, Big Ben in London, der Alhambra in Granada, der Hagia Sophia in Istanbul, der Karlsbrücke in Prag, der Golden Gate Bridge in San Francisco, der Freiheitsstatue in New York, den Pyramiden in Ägypten, der Christusstatue in Rio de Janeiro, den Niagara Wasserfällen, der Chinesischen Mauer … Sie stehen einfach überall.
„Wow, die sind aber verdammt viel rumgekommen“, stellt Dany fest. „Das hat dein Ex-Lover ganz sicher nicht bezahlt. Wie war das noch, als du damals den Kontakt abgebrochen hast? Wohnte er da nicht in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung und bezog Hartz IV?“
„Hartz IV hatten sie ihm gerade gestrichen“, belehre ich Dany. „Er war mit drei Monatsmieten im Rückstand.“
„Ich würde sagen, da hat er sich aber kolossal verbessert“, spricht Dany durchaus die Wahrheit. „Eben noch ein Loch im Hinterhof, heute stolzer Hausbesitzer mit Swimmingpool. Da nimmt man so eine Hackfresse doch gern in Kauf. Und schau dir die Gesichtsbaracke mal an – einen anderen Mann findet sie im Leben nicht. Aber ehrlich, ich frage mich, wie Alex das macht. Wie kriegt er bei der einen hoch? Wahrscheinlich zieht er ihr einen Sack übers Gesicht und stellt sich sonstwen vor. Aber schon seit fünf Jahren? Das ist wirklich krass. Er ist noch ein mieserer Arsch, als ich gedacht hatte.“
Ich komme mit meinen Gedanken und vor allem Gefühlen gar nicht so richtig nach. Alex nimmt diese Frau tatsächlich nach Strich und Faden aus? Er ist nur deshalb mit ihr zusammen, weil sie ihm ein Leben in Saus und Braus bietet?
„Vroni die Hässliche hat eine eigene Firma“, hat Dany gerade herausgefunden. „Hier, schau mal – sie hat eine Künstler-Vermittlungs-Agentur. Wahrscheinlich vermittelt sie sich selbst an die Geisterbahn.“
Wir klicken uns weiter durch die Website und stellen fest, dass Alex Geschäftsführer der Firma ist und ihm offenbar die Hälfte des Ladens gehört. Damit wäre eindeutig geklärt, was ihn an dieser Frau hält.
„Wie praktisch, wenn man selbst nichts leisten muss und sich ins gemachte Nest setzt“, kommentiere ich. „Alex lebt in einem Haus und kann sich als Geschäftsführer seiner eigenen Firma aufspielen. Selbst hat er garantiert nichts dazu beigetragen.“
„Das würde ich so nicht sagen“, schränkt Dany ein. „Immerhin vögelt er diese Vogelscheuche. Ich weiß, ich bin gemein, aber ich denke daran, wie er an deinem Aussehen herumgemeckert hat. Dabei warst du so hübsch, Vivi-Maus.“
„War?“, erwidere ich gekränkt. „Wieso ‚war‘?“
„Bist“, verbessert sich Dany schnell. „Natürlich bist du immer noch total hübsch. Oh Mann, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er mit dieser Presswurst in die Kiste steigt. Und dass er so tief gesunken ist, dass er das alles nur deshalb tut, damit er bloß nicht arbeiten muss. Ehrlich gesagt finde ich ihn noch viel schlimmer, als ich ihn in Erinnerung habe.“
Ich schlucke. Das, was mir durch den Kopf geht, tut verdammt weh, aber ich muss es trotzdem aussprechen.
„Vielleicht liebt er sie“, werfe ich ein. „Er liebt sie und darum ist es ihm egal, wie sie aussieht. Es kann ja sein, dass sie total nett ist und die beiden sich bombig verstehen. Da ist das Aussehen dann nicht mehr so wichtig.“
Dany tippt sich an die Stirn und stößt ein heiseres Lachen aus.
„Das glaubst du doch wohl selbst nicht“, sagt sie scharf. „Da müsste er sich aber sehr verändert haben. Nein, er liebt nicht sie, sondern ihr Geld. Er lässt sich von ihr aushalten. Das machen viele junge, hübsche Mädchen mit irgendwelchen reichen, alten Säcken. Warum sollte es nicht auch umgekehrt funktionieren?“
„Aber sie sehen glücklich aus“, stelle ich mit belegter Stimme fest. „Findest du nicht auch?“
Dany zuckt mit den Schultern.
„Klar ist man glücklich, wenn man in der ganzen Welt herumreist und nichts dafür tun muss“, erwidert sie lakonisch. „Alex ist glücklich, weil er nur ein paar Mal seine Hüften kreisen lassen muss, um das alles zu genießen. Und diese Veronika ist glücklich, weil sie im wahren Leben niemals so einen attraktiven Mann abgekriegt hätte. Ich frage mich echt, ob dieser Typ morgens eigentlich noch in den Spiegel gucken kann, ohne sich zu übergeben. Wie kann er das bloß mit seinem Gewissen vereinbaren?“
„Er hatte noch nie ein Gewissen“, stelle ich klar.
„Stimmt auch wieder“, seufzt Dany.
Ich erinnere mich plötzlich wieder an viele kleine Gemeinheiten. Als wir ein einziges Mal in all der Zeit doch mal spazieren gegangen sind, hat Alex sich keinesfalls zurückgehalten, sondern jeder hübschen Frau hinterher gestarrt. Natürlich nicht, ohne mich auf ihre Vorzüge hinzuweisen.
„Wow, die hat aber einen geilen Hintern. So schön fest und prall. Da würde ich gern mal reingreifen.“
Auch nicht nett war seine Bemerkung, als er einen Cockring über seinen Schwanz streifen wollte und sein bestes Stück leider zu dick war.
„Der muss erst mal wieder abschwellen“, hatte er gemeint und mich blöde angegrinst. „Naja, da muss ich ja nur dich ein bisschen anschauen.“
Und wenn er diese Schreckschraube anschaut? Schrumpft da sein Schniedel auf Stecknadelgröße zusammen?
Ich merke, wie sich Wut in mir ausbreitet.
Wieso habe ich das alles mit mir machen lassen? Warum habe ich mich von ihm ständig beleidigen und klein machen lassen? Warum habe ich ihm niemals Contra gegeben?
Die Antwort ist einfach: Ich hatte Angst, ihn zu verlieren. Dabei habe ich ihn nie besessen. Wir waren ja gar nicht zusammen. Ich hatte Angst, den winzigen Teil, den er mir von sich gab, auch noch zu verlieren. Darum habe ich meine Klappe gehalten und alles herunter geschluckt. Viel zu lange, viel zu oft.
„An was denkst du?“, fragt Dany sanft und legt ihren Arm um meine Schulter. „Daran, wie er dich beleidigt und klein gemacht hat? Tja, meine Liebe, wenn du auch so viel Geld gehabt hättest wie diese Bulldogge, hätte er wahrscheinlich die Klappe gehalten und sich von dir aushalten lassen. Aber damals hattest du eben kein Geld.“
„Das hat sich jetzt zum Glück geändert“, sage ich und schüttele den Kopf.
Was würde ich an Veronikas Stelle tun? Würde ich einen Mann wie Alex aushalten? Nein. Ich fände einen Mann unsexy, der sich nicht selbst ernähren kann.
Jedenfalls ist er ein noch größerer Mistkerl als damals.
„Aber die Frage bleibt: Was will er jetzt von mir? Warum ist er heute zur Buchmesse gekommen?“, frage ich Dany und mich selbst, obwohl ich weiß, dass keine von uns die Antwort darauf kennt.
Dany zuckt mit den Schultern.
„Vielleicht ist Veronikas Firma pleite und er sucht eine neue reiche Frau, die ihn aushalten kann. Dich.“
Ich starre Dany an. „Meinst du das im Ernst?“
„Klar“, bestätigt Dany. „Immerhin warst du mal total besessen von ihm, und außerdem siehst du viel besser aus als ‚Veronika der Lenz ist da‘. Wenn ich Alex wäre, würde ich diese hässliche Frau sofort gegen dich eintauschen.“
„Vielen Dank für das zweifelhafte Kompliment.“
„Er hat gehört, dass du jetzt eine erfolgreiche Autorin bist und will dich finanziell ausnehmen“, vermutet Dany. „Übung hat er darin ja bereits. Warum sonst sollte er nach all der Zeit plötzlich bei dir auftauchen?“
Ja, warum wohl? Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist Danys Vermutung gar nicht so abwegig.
Berlin, 2000
„Wie findest du meinen Roman?“, wollte ich herzklopfend wissen, als ich Alex nach endlosen drei Wochen wiedersah.
Er hatte mir bei unserem letzten Treffen mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass wir keine Liebesbeziehung hatten, sondern nur eine Affäre und dass ich kein „Abo“ auf ihn hatte. Demzufolge mussten wir uns nicht an jedem Wochenende sehen, sondern nur an jedem zweiten. Und damit ich es auch wirklich kapierte, hatte ich diesmal sogar drei Wochen lang warten müssen.
Drei Wochen … Es war eine Ewigkeit gewesen und hatte mich umgebracht. Ich hatte mich so sehr nach ihm gesehnt und die Tage gezählt.
Außerdem hatte ich furchtbare Angst gehabt, dass er kurz vorher anrufen und mir sagen würde, dass er noch eine weitere Woche dranhängen würde. Das hätte ich nicht überlebt. Ich wusste, er würde das fertigbringen, denn schließlich war er nicht in mich verliebt. Ich war nur seine „sexuelle Grundversorgung“, wie er es mal charmant ausgedrückt hatte.
Alex zuckte uninteressiert mit den Achseln.
„Naja, es ist nicht das, was ich normalerweise lesen würde“, gab er blasiert von sich.
Klar. Der kluge Mann studierte schließlich Schauspiel und hielt sich für etwas Besseres. Wahrscheinlich las er nur Leo Tolstoi und Hermann Hesse.
Ich schrumpelte zusammen. Gab es eigentlich ein einziges Treffen, bei dem Alex mir nicht signalisierte, dass er intelligenter war als ich? Nein.
„Hast du es trotzdem gelesen?“, hakte ich schüchtern nach.
Alex nickte gnädig und zog an seinem Joint.
„Und?“, fragte ich nervös. „Hat dir denn wenigstens der Schreibstil gefallen?“
Es war entwürdigend, wie sehr ich nach einem winzigen Kompliment von ihm lechzte. Alex sagte mir grundsätzlich nie etwas Nettes.
Alex gähnte, als wolle er mir zu verstehen geben, dass es ihn langweilte, über mein Buch zu reden.
„War schon okay“, rang er sich schließlich ab. „Also, es gibt schlechtere. Für den Anfang gar nicht mal so übel.“
Alles andere wäre wohl auch zu viel verlangt gewesen.
„Ich meine, du bist Amateurin und keine richtige Schriftstellerin. Da kann man nicht viel erwarten“, schob er gönnerhaft nach. „Aber so schlecht ist es nun auch wieder nicht. Jeder fängt mal klein an. Du kannst dich ja noch verbessern und dann den Pulitzer Preis einheimsen.“ Er lachte spöttisch.
Ich schluckte. In seinen Augen war ich keine gute Autorin. Irgendwie fand er nichts an mir wirklich gut. Weder mein Aussehen noch das, was ich tat oder meinen Charakter. Er hatte immer irgendwas an mir zu mäkeln und schien permanent genervt von mir zu sein. Und als Freundin kam ich für ihn sowieso nicht in Betracht. Er hatte mir mehr als einmal unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass ich nur fürs Bett gut genug war. Die Frau, die Graf Alex von und zu Ahrens becircen konnte, musste aussehen wie ein Model, einen IQ von mindestens 150 haben und überdies etwas ganz Besonderes sein. Und das war ich nun mal alles nicht.