BLAUBART - Eugenie Marlitt - E-Book

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Eugenie Marlitt

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Beschreibung

In 'Blaubart' von Eugenie Marlitt wird die Geschichte der jungen Protagonistin Leonie erzählt, die in die Ehe mit einem geheimnisvollen und reichen Baron hineingezogen wird. Das Buch bietet einen fesselnden Einblick in die Welt des 19. Jahrhunderts, in der gesellschaftliche Konventionen und die Rolle der Frau eine zentrale Rolle spielen. Marlitts Schreibstil zeichnet sich durch eine präzise Darstellung von Charakteren und Emotionen aus, wodurch sie zu einer bedeutenden Vertreterin des bürgerlichen Frauenromans ihrer Zeit wurde. 'Blaubart' hebt sich durch seine Spannung und tiefgründige Handlung von anderen Werken der Epoche ab.

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Eugenie Marlitt

BLAUBART

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Inhaltsverzeichnis

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Blaubart

Inhaltsverzeichnis

Vor der kleinen Tür, deren eisernes Gitter einen schmalen Einblick in den Garten gewährte, hielt ein Einspänner. Das elende Fuhrwerk war eben in fliegender Eile die Landstraße herabgerasselt und hatte somit bewiesen, daß der häßliche, alte Gaul an der Deichsel und der gelb angestrichene Kutschkasten doch noch nicht so mürbe und lebensmüde seien, wie es den Anschein hatte. Für das verschrumpfte, staubige Lederverdeck war der Gewitterregen, der unaufhaltsam herniederströmte, augenscheinlich eine lange nicht genossene Wohltat; der hinten aufgebundene feine Koffer dagegen gewann sicher nicht durch die schwarzgefärbten Bäche, die aus den steifen Lederfalten auf seinen Deckel herabrannen, und der Gaul protestierte durch Schnauben und ohnmächtiges Stampfen gegen das unfreiwillige Bad. Er hätte von seinem Lenker lernen können, wie man sich mit Ruhe und Würde in das Unvermeidliche fügt; der dickköpfige Bursche auf dem Kutschersitz klatschte laut mit der Peitsche und wartete dann geduldig unter der triefenden Mütze auf die Wirkung seiner Armbewegung. Aber auch die Insassen des Wagens schienen nicht zu harmonieren mit diesem wahrhaft spartanischen Gleichmut gegen äußere Unbill; denn als auch die letzte Schwingung des Peitschenknalles drüben an dem Berge verhallt war und hinter der Gartentür nichts sich rührte und bewegte, als der Regen, der klatschend auf die riesigen Rhabarberstauden niederfiel, da erschien eine schmale Damenhand unter dem Lederbehang, der die Fensteröffnung des Wagens bedeckte. Die feinen Finger, die ein silbergrauer Handschuh so elfenbeinglatt umschloß, daß selbst die zierliche Mandelform der Nägel sich abzeichnete, wurden offenbar von Ungeduld geleitet; sie gaben sich alle erdenkliche Mühe, den steifen Riemen zu lösen, mittels dessen draußen das Lederstück befestigt war – vergebens. Die Hand zog sich endlich wieder zurück und die Art und Weise, wie sie sich blitzschnell zu einer allerliebsten kleinen Faust zusammenbog, ließ auf einen bedeutenden Grad von Unmut schließen.

Zu gleicher Zeit hielt es aber auch der Kutscher für angezeigt, sein Zeichen zu wiederholen, und diesmal blieb es nicht ohne Erfolg. Eine ferne Türklingel ertönte, dann näherten sich rasche Schritte über den knirschenden Kies; ein roter, baumwollener Regenschirm erschien hinter der Gartentür und unter demselben ein hagerer, alter Mann in gestreifter Weste, einem altmodischen, bis auf die Fersen reichenden Rock und das eigentümlich breitgedrückte, grundhäßliche Gesicht zwischen zwei steife Vatermörder geklemmt, die ihn zwangen, gleich dem Krokodil, jeder Kopfschwenkung seine gesamte Persönlichkeit hinzuzufügen. Nach einem prüfenden Blick durch das Gitter öffnete er die Tür, nahm sogleich den widerspenstigen Riemen in Angriff und rief in achtungsvollem Ton nach dem Garten zurück: »Ja, ja, es ist richtig, Frau Hofrätin, es ist der Christian aus Neudorf.«

Sofort trat eine große, stattliche Frau in die Tür. Ihre starken, dunkelgefärbten Züge zeigten unverkennbar freudige Erregung und Erwartung, aber beim Anblick des kläglichen Fuhrwerks verschwand dieser Ausdruck augenblicklich. Die gerötete Stirn wurde noch dunkler und um den Mund, den der Anflug eines schwarzen Bärtchens beschattete, flog ein Zug heftigen Verdrusses.

»Ei, da soll mich Gott bewahren!« fuhr sie den erschrockenen Burschen auf dem Kutschersitz an. »Ist denn dein Herr verrückt? Schämt er sich nicht, eine junge Dame von Stande in solch einen erbärmlichen Rumpelkasten zu stecken? In solch eine Mäuseherberge?«

Während dieses Zornausbruchs hatte der Mann mit dem roten Regenschirm den widerspenstigen Riemen gelöst, der Lederbehang und die Wagentür wurden zurückgeschlagen. Ein reizendes Füßchen erschien, aber es vermied den Wagentritt; wie aus der häßlichen Puppe der Schmetterling, so flog eine leichte Mädchengestalt aus der altfränkischen Kutsche auf den Boden, und sogleich schlangen sich zwei Arme um den Hals der scheltenden Frau Hofrätin.

»Sei nicht böse auf den guten, alten Postmeister, Tante Bärbchen!« bat das junge Mädchen, und in seine Stimme mischte sich mit dem Schluchzen der Wiedersehensfreude ein Anflug von Schalkheit. »Er wollte mich durchaus nicht weiter befördern, weil sein ganzes vierfüßiges Regiment in Begleitung sämtlicher Postkutschen ausgerückt war; aber ich sehnte mich fast zu Tode hierher zu kommen und bat und bettelte so lange, bis er brummend dies Prachtstück aus dem Schuppen brachte, wo es seit vielen Jahren seine verlorene Jugend betrauert. Tantchen, liebes, gutes Tantchen – und Mäuse sind ganz gewiß nicht drin, sonst wäre ich doch lieber zu Fuß nebenher gelaufen.«

Und Tante Bärbchen lachte und umschlang das junge Mädchen. Bei dieser Gelegenheit sehen wir, daß ein Ärmel ihres derben, karierten Hauskleides schlaff an der Seite niederhängt, der linke Arm fehlt; doch mit der Rechten, die zugleich einen triefenden Regenschirm hielt, drückte sie die zarte Gestalt innig an ihre Brust und es sah merkwürdig genug aus, als sich ihr großer, kräftig geformter Kopf mit den fast männlich kühnen Zügen über das sonnige, weiße Gesichtchen neigte, das unter Tränen lachend emporblickte.

»Na, nur schnell hinein ins Haus!« mahnte sie. »Da hat mein Schirm schöne Straßen über dein Kleid laufen lassen! Muß es denn aber auch gerade Seide sein auf der Reise? Und wie willst du denn über den nassen Kies kommen mit den Papiersöhlchen an den Füßen? … Sauer wird dich tragen müssen.«

Der Mann mit dem roten Regenschirm näherte sich sofort und breitete mit dem tiefsten Ernst seine langen Arme aus, aber das junge Mädchen floh lachend in den Garten.

In demselben Augenblick brauste eine vornehme Kutsche heran. Hinter den Spiegelscheiben des Wagenfensters hingen fest zugezogene, seidene Vorhänge und auf dem Bock neben dem Kutscher saß ein Neger in Dienerkleidung. Der Kutscher fuhr mit der ganzen Rücksichtslosigkeit seiner Klasse, sobald sie einen reichen und vornehmen Herrn hinter sich im Wagen weiß. Offenbar hatte er das Gefühl eines Herrschers auf der breiten Landstraße, denn er fuhr so dicht an der altersschwachen Postkutsche vorüber, als sei sie ebensowenig da wie der Bauernknecht, der mittlerweile vom Bock herabgestiegen war und sich bei seinem Pferd zu schaffen machte. Nur mittels eines gewaltigen Sprunges rettete der entsetzte Bursche seine gesunden Glieder vor den Pferdehufen und Rädern der vornehmen Kutsche. Er brachte vor Schrecken kein Wort heraus, aber es war auch gar nicht nötig, die Frau Hofrätin stand bereits neben ihm und schien den Kampf für ihn aufnehmen zu wollen.

»Ist das auch eine Art?« rief sie mit kräftiger, weithin schallender Stimme dem Kutscher nach. »Ich werde Ihm die Polizei auf den Hals schicken für seine Unverschämtheit!«

Der Kutscher fuhr unbeirrt weiter; der Neger jedoch wandte sich um, zeigte hohnlachend seine zwei Reihen blendendweißer Zähne. Gleich darauf verschwand der Wagen in der Einfahrt der angrenzenden Besitzung.

»Das hat man davon, wenn solch ein erbärmlicher Kasten vor der Tür hält!« wandte sich die Dame grimmig an ihren Diener, dem ein paar kleine, rote Flecken der Entrüstung über den Vatermördern glühten. »Das war wieder einmal Wasser auf die Mühle da drüben!… Mach Er, daß Er ins Haus kommt, Sauer,« fuhr sie beruhigter fort, »und hole Er dem Burschen da ein Glas Wein; der Schreck ist ihm in die Glieder gefahren, er sieht ja fast noch wackliger aus; als seine alte Kalesche.«

Sauer eilte fort und auch die Hofrätin trat in den Garten zurück. Der Regen hatte plötzlich nachgelassen; es rieselte fein hernieder und nur noch von den Zweigen tropfte es klatschend und schwerfällig. Die eben angekommene junge Dame hatte sich während des Vorfalls auf der Straße unter einen dichtbelaubten Baum geflüchtet und sah mit großen, erstaunten Augen auf ein neues Haus, das seine glänzend weißen Mauern jenseit des hohen Gartenzauns erhob.

»Lili, du bist und bleibst doch ein Leichtsinn!« schalt die Tante. »Weißt du denn nicht, daß das der zugigste Platz im ganzen Garten ist? … Ich bitte dich, Kind,« fuhr sie erregt fort, indem sie den Blick des jungen Mädchens auffing, »sieh nicht dort hinüber. Ich stelle dir die eine Bedingung – aber in vollem Ernst – daß du während deines Hierseins tust, als höre da drüben mit dem Zaun die Welt auf … Was dort lärmt, schwatzt und geigt, darf nicht für dich vorhanden sein, wenn wir gute Freunde bleiben wollen; hast du mich verstanden, Lili?«

Die junge Dame öffnete ihre Augen noch weiter, aber sogleich flog ein reizendes Lächeln um ihre Lippen, sie verbeugte sich und legte die Hände auf Augen und Ohren, zum Zeichen, daß sie blind und taub sein wolle.

»Vorläufig sollst du wissen,« sagte die Hofrätin und deutete mit dem Schirm nach dem neuen Haus, »daß da drüben täglich ein neuer Nagel zu meinem Sarg geschmiedet wird … Jetzt laufe, daß du ins Haus kommst … Nimm doch dein Kleid in die Höhe; siehst du denn nicht, daß der Buchsbaum schwimmt und den Firlefanz auf deinem Rock jämmerlich zurichtet?«

Lili warf einen schelmischen Seitenblick auf die stattliche, kernfeste Gestalt der Tante – die Sargarbeit derer da drüben gedieh anscheinend nicht besonders – dann schürzte sie ihr Kleid, sprang den ziemlich steilen Kiesweg hinauf, der nach dem Hause führte, nahm eine dicke, wohlgenährte Katze, die eben träge durch die Haustür schlich, bei den Vorderpfoten und tanzte so lange mit ihr herum, bis die Tante lachend, aber mit drohend gehobenem Zeigefinger in der Tür erschien und eine alte Köchin entsetzt aus der Küche stürzte, um ihren an Asthma leidenden Liebling der übermütigen Tänzerin zu entreißen.

Die Hofrätin Fall hatte bei den Bewohnern der Stadt R. einen großen Stein im Brett. War auch die Art und Weise, wie sie den Leuten die Wahrheit ins Gesicht zu sagen pflegte, nicht gerade die feinste und schmeichelhafteste und hatte sie die üble Gewohnheit, sich stets mit großer Energie und Entschiedenheit derjenigen anzunehmen, deren guter Leumund auf dem Marterrost kleinstädtischer Klatschzungen lag, so fielen diese Schattenseiten doch nur leicht ins Gewicht der seltenen Großmut gegenüber, mit der diese Frau von ihrem bedeutenden Reichtum Gebrauch machte. Der Bedrückte fand stets ihre Hand und Tür offen, ihre Freunde konnten in Verlegenheit und übler Lage unverrückbar auf ihre Hilfe und ihr Schweigen Zählen, und weil in der ganzen Stadt kein Kind zu finden war, das nicht wenigstens einmal Obst und Kuchen bei der Frau Hofrätin gegessen und sich auf den Rasenplätzen ihres Gartens herumgetummelt hatte, so war es wohl sehr natürlich, daß sie eine Allerweltstante wurde. Der vornehm klingende Titel wollte durchaus nicht über die Lippen der Kleinen, desto leichter aber wurde ihnen das traute »Tante Bärbchen«.

Und diese Frau mit dem Herzen voll Liebe und Erbarmen, mit dem starken, unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn, sie hatte diese Welt betreten, lieblos verkürzt in ihren natürlichsten Rechten: sie wurde nur mit einem Arm geboren. Die böse Welt suchte diese Missetat der Natur in Einklang zu bringen mit dem göttlichen Gesetz: »Ich will die Sünden der Väter heimsuchen an den Kindern.« Man raunte sich zu, der Vater der Unglücklichen habe einem armen Mädchen die Ehe versprochen und sich dabei vermessen, der Allmächtige solle ihn an Armen und Beinen strafen, wenn er sein Wort nicht halte. Er habe den Schwur gebrochen, und das einarmige Kind sei die notwendige Erfüllung des göttlichen Drohwortes. Beschwören konnte indes niemand dies Gerücht, das auch niemals bis zu den Ohren der armen Verkürzten gedrungen war. Sie blieb das einzige Kind ihres Vaters, der sie vergötterte und dem auch sie anhing mit der ganzen Liebe, deren ihr Herz fähig war. Um ihn über ihre Zukunft zu beruhigen, reichte sie an seinem Sterbebette in ziemlich vorgerückten Jahren dem Hofrat Fall, einem alten Hausfreund, ihre Hand. Aber auch er starb nach einer kurzen, glücklichen Ehe, und fortan lebte sie als Witwe in ihrem väterlichen Hause, umgeben von zwei musterhaften Besitzstücken desselben, dem alten Bedienten Sauer und der sechzigjährigen Köchin Dorte.

Das Haus lag außerhalb der Stadt. Die Landstraße, die hart an dem alten, mit einem Turm gekrönten Stadttor begann, mußte eine beträchtliche Strecke laufen, bevor sie den Berg erreichte, der, droben jäh emporsteigend, seinen greisenhaften, unbedeckten Scheitel aus einem Kranz prächtiger Buchenwaldung hob, während er drunten gleichsam ein Knie vorbog, auf welchem das Haus der Hofrätin lag. Es war alt und unschön. Ein ungeheures Ziegeldach mit zwei mächtigen Schornsteinen saß so anspruchsvoll auf der einstöckigen Schauseite, als sei sie lediglich um seinetwillen da. Einige dickstämmige Weinstöcke umspannen zwar die Wände, aber sie vermochten nicht ganz einzelne Streifen der schmucklosen, weißen Tünche und die vom Alter braungefärbten Holzrahmen der Fenster zu verstecken. Und doch lag es so traut und heimlich da, gleichsam auf den grünen Pfühl des Waldes gebettet, der seinen Atem darüber hinwehte, jenen Hauch der Romantik, in den sich auch alte, versteckte Jagdschlösser einspinnen … Trat man auf der Talsohle weit zurück, so daß man die ganze untere Breite des Berges übersehen konnte, dann erhielt freilich das alte Haus einen Gegner, der höhnisch alle Schattenseiten des verunglückten Baues, alle Sünden seines Schöpfers hervorhob. Auf demselben Vorsprung des Berges, nur durch einen hohen, lebendigen Zaun von Tante Bärbchens Besitzung getrennt, erhob sich der prächtige Bau eines neuen Hauses. Ein viereckiger, stumpfer Turm an der Südseite überragte das beinahe flache Dach des Hauptgebäudes um eines Stockwerkes Höhe. Droben schwebte zart durchsichtig wie Spinnengewebe eine zierliche Brüstung um die Zinne, und die vier Fenster, die fast die ganzen Wandbreiten des Turmes einnahmen, zeigten in blendendem Farbenschmelz kostbare Malereien aus buntem Glas. Fast schien es, als verhauche die nordische Luft ihre ganze Kühle und Schärfe an der trennenden grünen Hecke. In Tante Bärbchens Garten strich sie über ehrliche deutsche Kraut-und Kohlhäupter, über ungekünstelten Graswuchs voller hochaufgeschossener Wiesenblumen, und drüben flüsterte sie in den verlockenden Zweigen des Lorbeers, in den Kronen dunkler Granat-und Orangenbäume, die ihre leuchtenden Blüten auf die Terrasse vor dem Hause und die in den Garten hinabführende breite Steintreppe schüttelten. Drüben rauschte das Brunnenwasser aus der einfachen Holzröhre in eine uralte, grünbemooste Steinmulde, und hier sprangen Zierbrunnen und spritzten ihre Silbertropfen auf den duftig grünen Flaum des kurzen Rasens, auf eine wahrhaft orientalische Rosenpracht … Man meinte, um jenes alte Dach, das sich vertraulich an die Buchenwipfel schmiegte, auf dessen Ziegeln große Büschel Hauswurz nisteten und das zahllose Schwalbennester beschirmte, den ernsten Schatten der deutschen Sage gleiten zu sehen, während drüben ein Stück heiterer südlicher Poesie waltete.