Blaubart - Max Frisch - E-Book

Blaubart E-Book

Max Frisch

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Beschreibung

»Freispruch mangels Beweis. Wie lebt einer damit? Ich bin vierundfünfzig«, heißt es zu Beginn der Erzählung. Dr. med. Felix Schaad stand in Verdacht, mit seiner Krawatte seine ehemalige Frau Rosalinde Zogg erdrosselt zu haben. Für den Staatsanwalt steht das Motiv fest: Eifersucht. Der Staatsanwalt will Schaad für zehn Jahre ins Zuchthaus schicken, doch das Gericht erkennt auf Freispruch. »Was meinen Blaubart betrifft: Schaad weiß nicht, was er unter Schuld versteht, und er ist nicht der einzige, der das heute nicht weiß, glaube ich. Schaad hat ein latentes Schuldgefühl. Vor Gericht wird ihm ein Delikt unterstellt, das er nicht begangen hat. Er weiß, daß er nicht der Täter gewesen ist, aber er kann nicht sagen: Ich bin unschuldig. ... Für mich geht es in diesem etwas schauerlichen Buch zentral um die Frage von Schuld - Unschuld in einem Fall, wo die Schuld nicht belegbar ist durch die Tat. ... Ich habe den Kriminalfall so durchschnittlich wie möglich gewählt, damit er nicht das Interesse abzieht, denn nicht dieser Kriminalfall hat mich interessiert, sondern die Technik der Wahrheitsfindung, das Gericht als Beispiel...« (Aus einem Gespräch zwischen Max Frisch und Günter Kunert)

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»Freispruch mangels Beweis. Wie lebt einer damit? Ich bin vierundfünfzig«, heißt es zu Beginn der Erzählung. Dr. med. Felix Schaad stand in Verdacht, mit seiner Krawatte seine ehemalige Frau Rosalinde Zogg erdrosselt zu haben. Für den Staatsanwalt steht das Motiv fest: Eifersucht. Der Staatsanwalt will Schaad für zehn Jahre ins Zuchthaus schicken, doch das Gericht erkennt auf Freispruch.

»Was meinen Blaubart betrifft: Schaad weiß nicht, was er unter Schuld versteht, und er ist nicht der einzige, der das heute nicht weiß, glaube ich. Schaad hat ein latentes Schuldgefühl. Vor Gericht wird ihm ein Delikt unterstellt, das er nicht begangen hat. Er weiß, daß er nicht der Täter gewesen ist, aber er kann nicht sagen: Ich bin unschuldig. … Für mich geht es in diesem etwas schauerlichen Buch zentral um die Frage von Schuld – Unschuld in einem Fall, wo die Schuld nicht belegbar ist durch die Tat. … Ich habe den Kriminalfall so durchschnittlich wie möglich gewählt, damit er nicht das Interesse abzieht, denn nicht dieser Kriminalfall hat mich interessiert, sondern die Technik der Wahrheitsfindung, das Gericht als Beispiel …« (Aus einem Gespräch zwischen Max Frisch und Günter Kunert)

Max Frisch, am 15. Mai 1911 in Zürich geboren, starb am 4. April 1991 in Zürich. Sein Werk, vielfach ausgezeichnet, erscheint im Suhrkamp Verlag und ist auf den Seiten 174-176 verzeichnet.

Max Frisch

Blaubart

Eine Erzählung

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der vorliegende Text folgt der 11. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 2194.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1982

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie

der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Umschlagfoto: Stephan Erfurt

Umschlaggestaltung: Göllner, Michels, Zegarzewski

eISBN 978-3-518-75056-8

www.suhrkamp.de

– Kennen Sie diese Krawatte, Herr Schaad?

– Sie wurde mir schon einmal gezeigt.

– Das ist die Krawatte, die bei der Erdrosselung verwendet worden ist, wie Sie wissen, vermutlich war das Opfer schon erstickt, aber der Täter glaubte offenbar nicht, daß die Frauenbinde im Mund genügte, und so verwendete er auch noch diese Krawatte.

– Ich bin nicht der Täter.

– Sie haben meine Frage verstanden?

– Ja.

– Ist das Ihre Krawatte oder nicht?

– Mag sein …

– Ja oder nein?

– Ich fühlte mich in ihrer Wohnung wie zu Hause, das sagte ich schon, vielleicht habe ich einmal die Krawatte ausgezogen, weil es ein heißer Tag war. Das ist denkbar. Ich war in ihrer Wohnung immer nur tagsüber. Das sagte ich schon. Und dann habe ich sie vielleicht vergessen, meine Krawatte, das ist möglich. Ich trage nicht immer eine Krawatte, wenn ich auf die Straße gehe, und so ist meine Krawatte in ihrer Wohnung geblieben.

– Herr Doktor Schaad …

– Das ist denkbar.

– Die gerichtswissenschaftliche Expertise, die uns vorliegt, läßt keinen Zweifel zu, Herr Doktor Schaad: Es ist Ihre Krawatte.

Freispruch mangels Beweis –

Wie lebt einer damit?

Ich bin vierundfünfzig.

– Sie erinnern sich also nicht, Herr Schaad, und Sie können noch immer nicht sagen, wo Sie gewesen sind an diesem Samstagnachmittag, als Rosalinde Z. in ihrer Wohnung in der Hornstraße erdrosselt worden ist mit Ihrer Krawatte …

Was hilft, ist Billard. Ich zucke nicht mehr mit dem Stock, sondern stoße genau und sanft, so daß die Kugel wirklich rollt. Die Hand wird sicherer, wenn man jeden Abend spielt, und das Selbstvertrauen nimmt zu, die Gelassenheit, wenn ein kühner Einfall behutsam zu vollstrecken ist. Ich bringe es schon zu Serien von drei bis vier Treffern. Erst wenn ich verfehlt habe, so daß der Partner an der Reihe ist, und wenn ich neben dem grünen Tisch stehe und warten muß, bis mein Partner verfehlt hat, höre ich wieder den Staatsanwalt, während ich mit der blauen Kreide meinen Stock reibe:

– Als Sie von Ihrer damaligen Arztgehilfin gehört haben, daß Rosalinde Z. am Samstag ermordet worden sei, das war also am Montag, als Sie in die Praxis kamen und taten, als wüßten Sie von gar nichts …

– Am Sonntag erscheinen keine Zeitungen.

– Und deswegen wußten Sie von gar nichts?

– Das ist richtig.

– Und warum, Herr Doktor Schaad, haben Sie denn die Arztgehilfin sofort gefragt, ob Rosalinde Z. erdrosselt worden sei?

– Das war meine erste Vermutung.

– Wieso erdrosselt?

– Dirnen werden meistens erdrosselt.

Billard kann man auch allein spielen. Wenn ich verfehlt habe, so daß der Partner an die Reihe käme, und es ist kein Partner da, schieße ich mit der Hand die drei Kugeln in alle Richtungen, und zwar blindlings und heftig, so daß es knallt: ich ersetze den Partner durch den Zufall. Ich mogle nicht, das hat keinen Sinn, ich anerkenne jede Position, die sich ergibt, wenn die Kugeln endlich stehenbleiben.

– Warum lügen Sie? Alles was Sie sagen, Herr Doktor Schaad, gibt kein Alibi. Warum legen Sie nicht endlich ein Geständnis ab?

Wenn ich weiß, wie meine Kugel laufen soll, und wenn ich den Stock ansetze, so ist meine Hand, die linke, die nicht stößt, sondern den stoßenden Stock zu tragen hat, vollkommen ruhig.

– Und warum, Herr Doktor Schaad, sind Sie nicht zum Begräbnis gegangen? Es gab keinen Notfall, der Sie um diese Zeit verhindert hätte. Auch das stimmt ja nicht! Sie blieben in der Praxis und untersuchten einen leichten Fall von Hepatitis, dazwischen hatten Sie ein längeres Telefonat mit einem Reisebüro. Ist es nicht merkwürdig, Herr Doktor Schaad, daß Sie, obschon Sie an diesem Tag in Zürich waren, nicht zum Begräbnis erschienen? Schließlich ist Rosalinde Z. einmal Ihre Gattin gewesen …

Ab und zu, wenn mir gar nichts gelingen will, auch nicht ein einfaches Triangel-Spiel, wechsle ich den Stock. Vielleicht liegt es am Stock, es gibt kurze und lange. Bevor ich mich wieder über den grünen Tisch lehne, um zu zielen, muß ich allerdings den neuen Stock mit der Kreide behandeln, und es entsteht eine Pause, so daß wieder der Staatsanwalt an der Reihe ist:

– Was Ihre regelmäßigen Besuche bei Rosalinde Z. betrifft: Sie haben also gewußt, welches Gewerbe sie in dieser Wohnung betreibt?

– Ja.

– Und das hat Sie nicht gestört?

– Nein.

– Stimmt es, Herr Doktor Schaad, daß Sie in der Ehe mit Rosalinde gelitten haben, wenn Ihre damalige Gattin auch nur mit jemand getanzt hat? geschweige denn, wenn sie einmal um Mitternacht nicht zu Hause saß, sondern bei ihrer kranken Mutter. Ihre maßlose Eifersucht ist einem ganzen Freundeskreis bekannt. Wie ein Zeuge sich ausdrückt: Sie haben gelitten wie ein Hund.

– In der Ehe, mag sein …

– Nachher nicht mehr?

– Nein.

– Wußten Sie, welche Herren dort verkehrten?

– Das war ihr Berufsgeheimnis.

– Aber Sie wußten also, daß Rosalinde Z. ihre nächtlichen Kunden hatte, und darunter haben Sie, Herr Doktor Schaad, überhaupt nicht gelitten?

– Nein.

– Wie erklären Sie uns das?

– Wir sind Freunde geworden.

– Sie sind Freunde geworden …

– Ich war nicht mehr auf Vermutungen angewiesen.

Es ist nicht damit getan, daß ich den nächsten Treffer erziele auf die einfachste Art, die sich grad anbietet. Zu bedenken ist die Position der drei Kugeln danach. Ein Spiel über zwei Banden ist gewagt; wenn es gelingt, so ist der übernächste Treffer fast sicher.

– Sie haben also den Angeklagten öfter gesehen, Herr Bickel. Haben Sie im Treppenhaus auch andere Besucher gesehen?

– Ich arbeite nur tagsüber.

– Haben Sie nie Herren gesehen, die vormittags, wenn Sie arbeiteten, das Haus verlassen haben, und wenn ja: erinnern Sie sich an den einen oder andern Herrn, den Sie nachgerade gekannt haben, wenn auch nicht mit Namen?

– Ich bin nicht als Wächter angestellt …

– Trotzdem hat man ja Augen.

– Ich kann nur sagen, daß ich mich nicht darum gekümmert habe, und Madame Zogg, wenn sie an den Briefkasten ging, hat mich immer gegrüßt. Ich arbeite als Hauswart auch in andern Häusern, da kommt es auch vor, daß manchmal am Vormittag irgendein Herr aus dem Haus geht, der sonst nicht hier wohnt, und später tut die Dame, als sehe sie einen überhaupt nicht, wenn ihr Ehemann dabei ist. Ich weiß nicht, was Sie von mir wissen wollen.

– Sie haben also den Angeklagten gesehen …

– Tagsüber, ja, ab und zu.

– Haben Sie ihn an jenem Samstag gesehen?

– Nein.

– Herr Bickel, Sie widersprechen Ihrer ersten Aussage vor der Polizei, damals sagten Sie, Herr Schaad habe an jenem Samstag den Lift nicht benutzen können und sei die Treppe hinaufgegangen.

– Meine Frau hat ihn gesehen.

– Haben Sie ihn selber nicht gesehen?

– Ich bin ja im Keller gewesen.

– Sie können also nicht sagen, ob der Angeklagte an jenem Samstag, als er die Treppe hinaufging, weil der Lift außer Betrieb war, Blumen in der Hand hatte, Lilien zum Beispiel?

– Nein.

– Sie arbeiteten im Keller …

– Das sage ich ja, der Lift war außer Betrieb, weil ich die Türe habe ölen müssen, und deswegen bin ich im Keller gewesen.

– Wann war das, Herr Bickel?

– Zwischen elf und zwölf.

– Danach war der Lift wieder in Betrieb?

– Allerdings.

– Eine andere Frage, Herr Bickel:

– Ich habe ja nicht bloß die Türe ölen müssen, ich habe auch die Schmiererei entfernt, die es im Lift immer wieder gibt, und das braucht Zeit, das ist ja nicht mehr Kreide oder Filzstift heutzutage.

– Was ist es denn?

– Spray.

– Ich verstehe …

–JESUS IST SIEGER.

– Eine letzte Frage, Herr Bickel:

– Inzwischen hat das aufgehört.

– Haben Sie bemerkt, ob der Angeklagte einen Schlüssel zum Briefkasten dieser Rosalinde Z. hatte oder daß er anderswie einmal versucht hat, Briefe aus ihrem Kasten herauszubekommen?

– Herr Doktor Schaad ist ein Herr.

Ich kann keine Schwäne mehr füttern.

Ihre langen Hälse –

Wenn ich ein paar Brocken (Semmel von meinem Frühstück) auf das Wasser geworfen habe, kommen sie in gelassener Fahrt, wie sie es immer getan haben, und biegen ihren langen Hals und schnappen ohne Gier und ohne Hast. Ob es nach zehn Monaten in Untersuchungshaft noch dieselben Schwäne sind, die ich füttere, weiß ich nicht. Sie richten ihren weißen Hals wieder empor. Sie erkennen mich nicht, sie wenden sich irgendwohin.

– Der Herr Staatsanwalt hat das Wort …

Schwäne sind keine Zeugen.

– Ich frage Sie jetzt zum letzten Mal, wo Sie gewesen sind, Herr Doktor Schaad, nachdem Sie ungefähr um Mittag und im besten Einvernehmen, wie Sie behaupten, die Rosalinde Z. verlassen haben.

– Vielleicht habe ich Schwäne gefüttert.

– Schwäne?

– Ja.

– Haben Sie öfter Schwäne gefüttert?

– Hin und wieder.

– Wo?

– Am See.

– Hat es an jenem Samstag nicht geregnet oder geschneit?

– Das macht den Schwänen nichts aus.

Tagsüber in der Praxis, wenn niemand im Wartezimmer ist, wenn kein Notfall mich erfordert, wenn ich im weißen Kittel sitze und meine Beine auf den Tisch lege, geht es weiter:

– In der ersten Einvernahme durch den Bezirksanwalt haben Sie behauptet, daß Sie am fraglichen Samstag gewandert sind, Sie haben auch die Gegend genannt, Wasberg oder so. In der Regel lassen Sie dann Ihren Volvo bei der Kiesgrube stehen, so sagten Sie, dann gehen Sie durch den Wald, manchmal wissen Sie nicht genau, wo Sie sich im Augenblick befinden, da sind diese Holzwege … Leider hat sich herausgestellt, daß Ihr blauer Volvo an diesem Samstag nicht bei der Kiesgrube stand, Herr Doktor Schaad, sondern in der Garage am Kreuzplatz.

– Ich habe meinen Irrtum zugegeben …

– Daraufhin haben Sie behauptet, Sie seien in der Praxis gewesen, obschon die Praxis am Samstag geschlossen ist. Um Steuerbelege herauszusuchen. Und Sie haben uns auch die genaue Zeit angegeben: zwischen 15.30 und 17.00.

– Ja.

– Ungefähr um diese Zeit wurde die Rosalinde Z. in ihrer Wohnung erdrosselt … Leider hat Ihre damalige Arztgehilfin, die an jenem Samstag gearbeitet hat, Sie in der Praxis nicht gesehen, auch nicht gehört … Später haben Sie auf die Behauptung, daß Sie zur fraglichen Zeit in der Praxis gewesen seien, um Steuerbelege zu holen, verzichtet zugunsten der Erinnerung an einen tschechischen Film, den Sie zur Zeit, als Rosalinde Z. ermordet worden ist, gesehen haben wollen. Ihre Schilderung des Films zeugt von einem hervorragenden Gedächtnis, Herr Doktor Schaad, nämlich es hat sich herausgestellt, daß dieser tschechische Film seit anderthalb Jahren nicht mehr gezeigt worden ist … Einzig Ihre vierte Behauptung, daß Sie unterwegs, nämlich an der Feldeggstraße, Tabak gekauft haben, ist einigermaßen bestätigt. Der Kiosk, wo Sie diesen Tabak gekauft haben, befindet sich nicht allzuweit vom Tatort entfernt …

Eigentlich könnte ich die Praxis schließen. Ab und zu gibt es Notfälle, also Patienten, die sich den Arzt nicht wählen können, und ich habe einen Krankenbesuch zu machen in der Nacht. Tagsüber in der Praxis ist es still; die Arztgehilfin, die neue, ordnet die Fachzeitschriften. Der eine und andere, den man über Jahre hin betreut hat, mag während meiner Untersuchungshaft verstorben sein, und andere haben den Arzt wechseln müssen, was ich verstehe, zehn Monate sind eine lange Zeit. Der Kittel, den ich jeden Morgen anziehe, wenn ich in die Praxis komme, ist weiß wie je. Ein Patient, der schon zum dritten Mal allein im Wartezimmer sitzt, verliert langsam sein Vertrauen; er zeigt sich erleichtert, als ich ihn schließlich an einen Urologen überweise, und danach lese ich die alten Magazine, die im Wartezimmer aufliegen. Ich habe jetzt Zeit wie noch nie. Noch am Tag meiner Verhaftung war das Wartezimmer überfüllt, sie saßen sogar auf dem Fenstersims. Mein Freispruch ist bekannt, aber man weiß zuviel über meine Person. Es war sogar schwierig, eine neue Arztgehilfin zu finden. Sie ist Jugoslawin. Sie muß anklopfen, wenn sie in mein Arbeitszimmer kommt; ich möchte nicht, daß die Arztgehilfin mich sieht mit den Füßen auf dem Tisch, die Hände hinter dem Nacken gefaltet. Einige Klienten, die mich nach wie vor schätzen als Arzt, sind zur Zeit offenbar gesund, und ich könnte genausogut zu Hause sitzen. Zu Hause ruft auch niemand an. Der eine und andere, der als Zeuge vor Gericht offenbar nicht mit einem Freispruch gerechnet hat, scheint Hemmungen zu haben vor einem Wiedersehen.

– Stimmt es, Herr Pfeifer, daß Sie einmal gehört haben, wie der Angeklagte gesagt hat, er könnte dieses Weib erwürgen?

– Er war ziemlich betrunken.

– Aber das haben Sie also gehört? Der Zeuge muß seine Nase schneuzen.

– Seit wann sind Sie mit Felix Schaad befreundet?

– Ich habe nie mit seiner Rosalinde geschlafen!

– Das ist nicht meine Frage.

– Vielleicht hat er das gemeint …

– Und deswegen wollte er Rosalinde erwürgen?

– Ich fand sie charmant.

– Eine andere Frage, Herr Pfeifer:

– Als Gastgeberin, meine ich.

– Was das Darlehen betrifft –

– Er verlangte ja, daß ich das nie erwähne. Es hat mir geholfen, mein Studium zu Ende zu führen. Warum soll ich das leugnen? Übrigens war das ja kein Darlehen. Als ich ihn damals darum gebeten habe, lehnte er ab, er gebe keine Darlehen, so sagte er, Darlehen belasten die Freundschaft.

– Wie hoch war der Betrag?

– Fünfundzwanzigtausend, glaube ich … Der Zeuge muß seine Nase schneuzen.

– Ich weiß nicht, was man von mir wissen will …

– Sie haben also öfter bei den Schaads übernachtet?