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West-Berlin, Oktober 1968. Am Spreeufer wird die Leiche einer jungen Frau entdeckt. Eine Drogentote unter vielen? Die Spur führt Hauptkommissar Tom Sydow in eine Hippie-Kommune in Moabit. Doch er selbst glaubt nicht daran, dass die 19-Jährige infolge einer Überdosis LSD gestorben ist. Und die Mauer des Schweigens, die ihn umgibt, wird immer höher.
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Seitenzahl: 217
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Uwe Klausner
Blumenkinder
Tom Sydows neunter Fall
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
- Historische Romane-
Pseudonym – das Shakespeare-Komplott (2016), Die Fährte der Wölfe (2015), Die Stunde der Gladiatoren (2013), Engel der Rache (2012), Die Bräute des Satans (2010),Pilger des Zorns (2009), Die Kiliansverschwörung (2009), Die Pforten der Hölle (2007)
- Kriminalromane -
Führerbefehl (2015), Walküre-Alarm (2014), Stasi-Konzern (2014), Eichmann-Syndikat (2012), Kennedy-Syndrom (2011), Bernstein-Connection (2011), Odessa-Komplott (2010), Walhalla-Code (2009)
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© 2016 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2016
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von: © ullstein bild – Klaus Mehner
ISBN 978-3-8392-5206-2
Die Handlung des Romans ist frei erfunden.
(in der Reihenfolge des Erscheinens)
Marie-Luise (»Malu«) Lieberknecht, Studentin an der FU
Tom Sydow, 55, Kriminalhauptkommissar
Veronika Marquard, 30, Sydows Stieftochter
Rolf Maybach, Revierleiter in Moabit
Heribert Peters, Pathologe und Leiter des Instituts für Rechtsmedizin
Manfred Konopka, Leiter der Spurensicherung
Herbert Smolka, Rentner
Sven Waldenmaier, Kriminalassistent
Hubertus Lieberknecht, Marie-Luises Vater
Erika Lieberknecht, seine Frau
Edith Panucci, Gymnasiallehrerin
Lars-Hendrik Langenkamp, Jura-Student
Dorothea (»Dorle«) Kleinhans, Fotomodell
Fritz Habermaier, Polit-Aktivist
Rudolf Obermann, Kommunarde
Helene Jankowitz, Marie-Luises Tante
Frederick (»Qualle«) Verhoeven, Reporter bei der »Berliner Morgenpost« und Sydows bevorzugter Informant
Arno Waldenmaier, Bruder des Kriminalassistenten
Eduard Krokowski, Kriminalkommissar und Sydows langjähriger Partner
Karl-Theodor zu Hock-Schwartenberg, Kriminalrat und Sydows Vorgesetzter
Günther Merz, Polizeibeamter aus Schöneberg
Viktor Kalinowski, Abteilungsleiter beim Landesamt für Verfassungsschutz von Berlin
Nele Miesbach, Studentin der Psychologie und Habermaiers Geliebte
Lea, 52,Sydows Frau
01
Berlin-Moabit, Stephankiez | 19.30 h
02
Berlin-Tiergarten, Abteilung K der Zentralen Kriminaldirektion in der Keithstraße | 07.30 h
03
Berlin-Moabit, Gericke-Steg am Helgoländer Ufer |
08.20 h
04
Berlin-Tempelhof, Flughafen | 08.50 h
05
Berlin-Moabit, Helgoländer Ufer | 09.10 h
06
Berlin-Moabit, Stephankiez | 10.05 h
07
Berlin-Moabit, Alt-Moabit | 11.25 h
08
Berlin-Moabit, Alt-Berliner Kneipe »Zur Quelle« an der Ecke Alt-Moabit/Stromstraße | 11.45 h
09
Berlin-Mitte, Leichenschauhaus in der Invalidenstraße | 12.50 h
10
Berlin-Charlottenburg, Geschäftsstelle des SDS am Kurfürstendamm 140 | 13.45 h
11
Berlin-Tiergarten, Abteilung K der Zentralen Kriminaldirektion in der Keithstraße | 14.40 h
12
Berlin-Moabit, Öffentliche Bedürfnisanstalt in der Huttenstraße | 15.00 h
13
Berlin-Moabit, Fritz-Schloß-Park | 15.30 h
14
Berlin-Tiergarten, Abteilung K der Zentralen Kriminaldirektion in der Keithstraße | 16.05 h
15
Berlin-Mitte, Leichenschauhaus in der Invalidenstraße |
16.20 h
16
Berlin-Moabit, Westhafen | 17.50 h
17
Berlin-Moabit, Alt-Moabit | 18.45 h
18
Berlin-Tiergarten, Abteilung K der Zentralen Kriminaldirektion in der Keithstraße | 18.55 h
19
Berlin-Schöneberg, Sydows Wohnung in der Grunewaldstraße | 19.30 h
20
Berlin-Moabit, Stephankiez | 07.30 h
21
Berlin-Charlottenburg, Hotel Zoo am Kurfürstendamm | 07.30 h
Blutige Straßenschlacht vor der Deutschen Oper
Ein Toter bei den Demonstrationen gegen den Schah-Besuch
Eigener Bericht
Berlin, 3. Juni
Mit einer blutigen Straßenschlacht endete gestern Abend vor der Deutschen Oper Berlin der Besuchstag des persischen Kaiserpaares in West-Berlin. Während der Schah und Farah Diba mit dem Bundespräsidenten und vielen Ehrengästen die »Zauberflöte«sahen, kam es auf der Bismarckstraße zu wüsten Ausschreitungen. Es wurden mindestens 25 Demonstranten und sechs Polizisten verletzt. Insgesamt 35 Randalierer konnten festgenommen werden.
Von den schwer verletzten Demonstranten starb gegen Mitternacht der 26-jährige Student Benno Ohnesorg aus Wilmersdorf im Krankenhaus Moabit an den Folgen eines Schädelbruchs.
(»Berliner Morgenpost«, 3. Juni 1967)
(West-Berlin, Freitag, 11. Oktober 1968)
Berlin-Moabit, Stephankiez | 19.30 h
»Na, Süße?«, raunte der Typ neben ihr, ging auf Tuchfühlung und ließ die Pillendose verschwinden, in der er seine LSD-Trips aufbewahrte. »Was sagst du jetzt?«
Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern – und brachte keinen Piep heraus. Im Hintergrund liefen die Doors, und wie von irgendwoher drang Stimmengewirr an ihr Ohr. Je länger sie auf der Matratze lag, desto weiter schien es sich zu entfernen – und desto konfuser wurden ihre Gedanken. Alles um sie herum, die Konturen des Raums, die schrillen Töne aus den Lautsprechern in der Ecke, der Geruch der Rauchkringel, die der Schönling neben ihr an die Decke blies, all das nahm sie nicht mehr als getrennte Sinnesreize wahr. Was blieb, war dieses Gefühl, die Welt wie durch einen Schleier zu sehen – und die Lähmung, die sie mit rasender Geschwindigkeit durchströmte.
»Voll auf Dope, was?« Ja, so konnte man es vermutlich ausdrücken. In ihrem Leben, das vor genau 19 Jahren begonnen hatte, war sie kein einziges Mal besoffen oder auch nur angeturnt gewesen. Geschweige denn bekifft, wo kämen wir da hin! Oder, schlimmer noch, auf Dope. Für eine Tochter aus gutem Haus, die ein Einser-Abi hingelegt hatte, gehörte sich so was nicht. Aber damit, wie mit den Moralpredigten ihrer Eltern, war jetzt Schluss. Endlich, nach sage und schreibe 19 Jahren, durfte sie tun und lassen, was sie wollte.
Endlich, wurde aber auch Zeit.
Der Umzug nach West-Berlin, wo sie einen Studienplatz an der FU ergattert hatte, war ein Geschenk des Himmels gewesen. Hier hatte sie genau die Leute kennengelernt, die es in dem Kuhkaff, aus dem sie stammte, nicht gab. Verglichen mit daheim war jeden Abend etwas geboten, vom dem, was politisch am Laufen war, gar nicht zu reden. Happenings, Demos, Sit-ins, hin und wieder ein bisschen Randale oder einfach nur Klamauk, in dieser Stadt konnte man es aushalten. Nur gut, dass ihre Eltern nichts mitbekamen. Die wären vor Schreck glatt in Ohnmacht gefallen. Und darum: Happy birthday, Malu! Auf dich und dein neues Leben. »He, kriegst du überhaupt noch was mit?«
The time to hesitate is through. Genau. Jim Morrison, ihr absolutes Idol, hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Was gestern war, das private Mädchengymnasium mitsamt seinen bigotten Ordensschwestern, ihr Heimatort im Allgäu, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten, das Spießrutenlaufen beim Kirchgang, die naseweisen Nachbarn, das dämliche Getratsche, das scheinheilige Getue, wenn man Leute traf, die man nicht riechen konnte – all das war unwiderruflich vorbei. Ab heute, im Kreis ihrer Freunde von der Uni, würde ein neues Leben beginnen. Ein Leben, von dem sie nicht zu träumen gewagt hätte.
Try now, we can only lose. Komm schon, du hast nichts zu verlieren. Sei kein Frosch, Marie-Luise. Mein Gott, wie sehr sie diesen Namen hasste. Ma-rie Lu-i-se. Hatte sie ihrer Mutter zu verdanken, der spießigen Kuh. Marie-Luise tu dies, Marie-Luise tu das. Marie-Luise, du weißt genau, das gehört sich nicht. Gegen ihre Gardinenpredigten, die beinahe im Stundentakt über sie hereingeprasselt waren, war kein Kraut gewachsen gewesen. Wie Papa es so lange mit ihr ausgehalten hatte, war ihr echt ein Rätsel. Aber was soll’s!, dachte sie, während sie die Hand ihrer Zufallsbekanntschaft auf dem Oberschenkel spürte. Mit dem Getue war jetzt Schluss. Ab jetzt konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Ab jetzt war Flower-Power angesagt, ohne Rücksicht darauf, was andere dachten oder sagten. Sollten sie sich daheim in der Provinz doch die Mäuler zerreißen, wenn sie wollten. Die konnten sie alle mal, die nervige Verwandtschaft mit inbegriffen. Wie lautete das Motto ihrer neuen Freunde doch gleich? Genau: High sein, frei sein, Sunshine muss dabei sein!
Und überhaupt: Sunshine. Die kleinen gelben Pillen, die leichter erhältlich waren als ein S-Bahn-Ticket. In Bullen- und Spießerkreisen auch LSD genannt. Das Zeug hatte es wirklich in sich.
Das haute rein, dass es einem die Schuhe auszog.
»Jetzt hab dich nicht so, Baby.« Also wirklich, der Typ hatte ja wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank. Begrapschen lassen, und das vor versammelter Mannschaft. Da musste er sich eine Dümmere raussuchen. »Oder willst du, dass sie dich zur Ehrenjungfrau ernennen?«
Also wirklich, da hörte ja wohl alles auf. Finger weg, oder ich hau dir eine runter.
Nichts wie raus hier. Aus allen Träumen gerissen, wollte sie sich losreißen. Aber es war zu spät. Ihre Arme versagten den Dienst, und in ihrem Kopf, wo sich Gedankenfetzen, die Musik der Doors und aufkeimende Panik zu einem unentwirrbaren Knäuel verheddert hatten, herrschte keine Ordnung mehr.
Stattdessen blieb sie einfach liegen, die Gliedmaßen schwer wie Blei und ein Keuchen im Ohr, das von Sekunde zu Sekunde anschwoll, außer Kontrolle geriet und sich zu unkontrolliertem Hecheln steigerte. Und dann erst die Berührungen, die sie, je mehr das Tier über ihr in Rage geriet, überall an ihrem Körper spürte. Einfach überall, ohne Rücksicht darauf, ob ihr danach zumute war oder nicht.
Und ohne jegliches Schamgefühl.
And our love will become a funeral pyre. Wie recht du doch hast, Jim. Aus der LSD-Pille, die sie eingeworfen hatte, war ein Horror-Trip geworden.
Ein Trip, aus dem sie, auf den Tag genau 19 Jahre alt, nie mehr erwachen würde.
(West-Berlin, Samstag, 12. Oktober 1968)
Duensing geht in Pension
Abgeordnetenhaus beriet den Untersuchungsbericht
Das Berliner Abgeordnetenhaus hat gestern die vorzeitige Pensionierung von Polizeipräsident Erich Duensing gebilligt. In einem Schreiben, das kurz vor Beginn der Sitzung einging, bat Duensing, ihn zum Jahreswechsel in den Ruhestand zu versetzen. Gleichzeitig ersuchte der Polizeipräsident darum, ihn aus gesundheitlichen Gründen sofort von seinen Dienstgeschäften zu entbinden. Die Sensation der Sitzung des Abgeordnetenhauses kam eine Minute vor ihrem Ende.
(»B.Z.«, 23. September 1967)
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