Blutdrache - Von Wind und Feuer - Katharina Fendt - E-Book
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Blutdrache - Von Wind und Feuer E-Book

Katharina Fendt

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Beschreibung

Eine Liebe, die Welten verändert – und ein Krieg, der alles bedroht. Arian Hanson führt ein unscheinbares Leben in New York – bis er eines Tages auf Lux Crestfall trifft, der ihm offenbart, dass er nicht von dieser Welt stammt. Arian ist ein Elb, versteckt inmitten der Menschen, und seine wahre Bestimmung wartet in einer magischen Parallelwelt voller Drachen, Magie und uralter Geheimnisse. An der Evelon-Akademie lernt Arian, seine Kräfte zu beherrschen, doch es ist der geheimnisvolle Drachenprinz Damas, der sein Leben für immer verändert. Zwischen ihnen entsteht eine Verbindung, die nicht nur über Freundschaft hinausgeht, sondern auch über das Schicksal beider Welten entscheidet. Doch alte Feinde lauern im Verborgenen, und Arian steht bald im Zentrum eines Krieges, der die fragile Balance zwischen Elben, Magiern und Drachen bedroht. Kann er den Frieden bewahren, oder wird sein Erbe die Welt ins Chaos stürzen? Ein packendes Abenteuer, das Magie, Freundschaft und den Mut, seinen eigenen Weg zu gehen, miteinander verbindet. M/M Romantasy mit Formwandlung. Portal-Fantasy, Fated Mates, Strangers to Lovers, Spice, Slow Burn, Fateful Encounter

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Seitenzahl: 426

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Prolog
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36. Kapitel
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38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
46. Kapitel
Epilog
Danksagung

Impressum© Katharina Fendt

Katharina Fendt

Brunnengasse 9

86856 Hiltenfingen

http:/www.katharina-fendt.de

Lektorat, Korrektur und Buchsatz: Lektorat Fidelitas

Covergestaltung: Constanze Kramer, coverboutique.de

Bildnachweise: ©graphicsdeluxe – shutterstock.com ©R-studio, ©Kesu01 – depositphotos.com elements.envato.com, freepik.com, rawpixel.com

1. Auflage, 2024

© by Katharina Fendt 2024

Alle Rechte vorbehalten

Prolog

Vor 17 Jahren

„Adrehel, wir müssen sofort handeln!“ Eluríns Stimme zitterte vor Eile und Entschlossenheit, während er ins Kinderzimmer stürmte.

„Es bleibt keine Zeit mehr! Wickele Aranel warm ein und packe nur das Nötigste. Wir müssen sofort fliehen – es gibt keinen anderen Ausweg!“

Eluríns schlankes, leicht gebogenes Schwert glänzte im schwachen Licht, ebenso wie seine gold-silberne Rüstung, meisterhaft von Elben geschmiedet.

Sein Blick wanderte zu Adrehel, die noch neben dem Bettchen saß, vom warmen Licht umgeben, das durch das runde Fenster fiel, das sie selbst entworfen hatte. Ein paar Staubflusen tanzten im Schein der Sonne und es roch so wundervoll nach dem leichten, blumigen Duft, den seine Liebste immer herstellte.

Elurín seufzte wehmütig, als Adrehel das Lied beendete, das sie ihrem einzigen Kind jeden Abend vorsang und hinterher mit tränennassen Augen in seine Richtung sah.

„Elurín! Elurín, müssen wir wirklich unsere Heimat verlassen? Ich meine, nur weil wir Frieden mit den Drachen geschlossen haben, ist es doch nicht notwendig, einen Krieg zu beginnen! Wenn unsere Ältesten ein weiteres Mal mit ihnen reden wür…“

„Sie stehen vor unseren Toren, Liebling! Und sie haben nur ein Ziel!“ Elurín schluckte und umklammerte den goldenen Griff seines Schwertes eine Spur fester. Es war ein Erbstück seines verstorbenen Vaters an ihn, doch nie hatte er damit gerechnet, es einmal zur Verteidigung seiner Familie erheben zu müssen.

„Beeile dich. Denn wenn sie erst entdecken, wozu unser Sohn in der Lage ist …! Er darf ihnen nicht in die Hände fallen. Unsere Krieger können sie nicht mehr lange aufhalten!“

Adrehel nickte mit tränenüberströmten Wangen und wickelte ihren Sohn flink in die weiche, grüne Decke ein, auf der er gackernd lag und zu der Elbin mit seinen großen, seit der Segnung zweifarbigen Augen aufblickte. Er ahnte nicht, in welcher Gefahr sie alle schwebten.

Sie nahm Aranel sicher in ihre Arme, drückte ihn an ihre Brust und folgte ihrem Mann aus dem Haus in der Baumkrone einer großen, alten Eiche. Mit nichts weiter als der Kleidung an ihrem Körper, ihrem Sohn und einer kleinen Tasche in der Hand, hofften sie verzweifelt, dass sie es in das Gebiet ihrer geflügelten Verbündeten schaffen würden.

So eilten sie die mit Blättern und Schnörkeln verzierte Treppe aus Holz hinunter, die um den jahrhundertealten dicken Stamm herumführte. Sonnenstrahlen brachen durch das dichte Blätterdach, ließen Teile des Waldes in einem goldenen Schein erstrahlen und wurden von Eluríns Rüstung reflektiert.

Doch kaum hatten sie es aus ihrem sicheren Hafen geschafft, dem Dorf, das bis zu diesem Zeitpunkt für ihr Volk ein Zufluchtsort gewesen war, sahen sie sich auch schon mindestens zwei Handvoll ihrer Feinde gegenüber. Magier, die ihre Waffen und gleißenden Hände erhoben hatten und starr, ohne jegliche Emotionen auf ihren Gesichtern zu zeigen, in ihre Richtung blickten. Es waren zu viele Gegner, denen sie sich gegenübersahen, weshalb sie eingestehen mussten, dass auf einen Sieg zu hoffen keinen Sinn mehr machte und sie verloren waren. Sie hatten keine Chance.

„Ich liebe dich, Adrehel“, flüsterte Elurín. Dann straffte er seine Schultern und erhob sein Schwert. Das Laub unter seinen Füßen raschelte, als er sich vor seiner Frau und ihrem Kind in Stellung brachte, ohne seinen Blick abzuwenden. Denn, so ausweglos ihre Situation auch war, kampflos würden sie nicht untergehen.

Selbst das sonst so freudige Zwitschern der Vögel war verstummt.

„Ich dich auch. Wir werden uns wiedersehen, Elurín!“ Die Elbin drückte ihren Sohn liebevoll an ihre Brust, ohne sich von ihrem geliebten Mann abzuwenden, und reckte ihr Kinn. Ein leichter Wind ließ ihre golden schimmernden Haarsträhnen wehen, was ihre spitzen Ohren zum Vorschein brachte, während er das angestimmte Lied der anderen Elbenfrauen zu ihnen trug. Es war, als würde der Wald versuchen, ihnen Kraft zu geben.

Lediglich Sekunden verstrichen, während sie sich in einem stummen Abschied in die Augen sahen. Das leise gesummte Lied der Frauen, ihr Gute-Nacht-Lied, in das Adrehel mit einstimmte, war das Einzige, was neben den Kampfgeräuschen die Stille durchbrach, bevor Ruhe im Wald der Elben einkehrte. Eine gespenstische, unheimliche Stille.

1. Kapitel

Was hatte es nur mit diesem Lied auf sich, das fast jede Nacht in seinen Träumen vorkam?

Ein wunderschöner Gesang in einer fremden Sprache, den er zu kennen glaubte, als hätte er ihn schon einmal außerhalb seiner Träume gehört – was unmöglich war.

Die Melodie war so friedvoll und bezaubernd, doch hinterließ sie ihn jedes Mal aufs Neue mit einer tiefen Traurigkeit, sobald er, nur Sekunden nach dem ersten Klingeln des nervtötenden Weckers, die Augen aufschlug. Seine heterochromen Augen blickten in die langsam heller werdende Umgebung seines Zimmers.

Arian Hanson seufzte leise und rieb sich die müden Augen und rappelte sich so weit auf, bis er aufrecht in seinem Bett saß. Sein Blick fiel auf die Uhr auf dem Nachtkästchen, was ihm augenblicklich ein erneutes leidendes Seufzen entlockte. Es war wirklich höchste Zeit, aufzustehen und das Frühstück für seine Familie herzurichten.

Ihm blieb nicht mal mehr eine halbe Stunde, bevor sein Vater sein Zimmer stürmen würde, um ihn zu fragen, ob er seine heutige Aufgabe wohl vergessen hatte.

Langsam zog er die Beine an seinen Körper und richtete den Blick auf seinen linken Handrücken und sein Handgelenk, das er im schwachen Licht der Morgensonne leicht hin und her drehte.

Er betrachtete die feinen, weißen Linien, die sich wie filigrane Muster über seine nur einen Hauch dunklere, porzellanähnliche Haut zogen. Sie stellten einen verästelten, blattlosen Baum dar, zusammen mit einem Drachen, der sich kunstvoll um sein Handgelenk schlang.

Da war er wieder, der Gedanke an seine Eltern.

Als hätte er nicht längst begriffen, dass der Mann nicht ernsthaft sein biologischer Vater war, ebenso wenig wie die Frau an dessen Seite seine leibliche Mutter. Denn, neben den weißen Linien, die eindeutig zwei Bilder zeigten und seit seiner Geburt seine Haut zierten – was definitiv nicht normal war – sah er ihnen kein bisschen ähnlich.

Arians Blick schweifte zu dem Familienporträt, das ihn, seine Eltern und seine beiden Geschwister zeigte und zwischen weiteren Bildern an der Wand hing. Sie alle hatten sonnengebräunte Haut, dunkles Haar und ebenso dunkle Augen. Und dann war da er – das genaue Gegenteil. Mit seiner blassen Haut und den platinblonden Haaren wirkte er neben ihnen wie ein Schneemann. Dazu kamen seine ungleichen Augen: Das eine silbrig-grau, das andere bernsteinfarben. Wann immer jemand seine Heterochromie bemerkte, erntete er verwunderte Blicke, denn diese Eigenheit war äußerst selten.

Es war eigentlich unübersehbar, dass er wie das schwarze Schaf der Familie herausstach – wobei, eher wie das blonde Schaf mit zwei unterschiedlichen Augen – das Alienschaf.

Arian zog eine Grimasse. Zum Glück war er mit sich selbst und seinem Körper im Reinen. Das war das Einzige, was ihm, neben den aufmunternden Worten seiner Schulfreundin Anna, bis heute geholfen hatte, das ständige Getuschel, die komischen Blicke und sonstigen Hänseleien zu überstehen, ohne in eine Depression zu fallen.

Das war besonders schwierig, wenn man zusätzlich noch Fantasiewesen wie Vampire sah. Es geschah nicht oft, aber oft genug, dass er es nicht mehr als Halluzination abtun konnte.

Am häufigsten sah er sie, wenn sie glaubten, unbeobachtet zu sein, was ja auch durchaus Sinn ergab. Mehr als einmal hatte er die spitzen Reißzähne im Halbdunkel aufblitzen sehen. Auf Partys, in schwach beleuchteten Ecken, wo sie sich an ihre Begleitung heranmachten, oder in dunklen Gassen, an denen er auf dem Heimweg bei Dämmerung vorbeikam. Noch lebhaft erinnerte er sich an die Szene, als ein großgewachsener Mann einen anderen Kerl gegen eine Ziegelwand drückte und dabei seine langen Zähne aufblitzten. Sie hatten offensichtlich Streit, und Arian hatte schleunigst und mit wild klopfendem Herzen das Weite gesucht.

Die ersten beiden Male, als er so etwas sah, hatte er es seinen Eltern erzählt. Das lag nun schon einige Jahre zurück. Doch offenbar war er der Einzige, der solche Dinge sah, und natürlich hatten seine Eltern ihn nicht für voll genommen. Seitdem sprach er nicht mehr darüber und versuchte, die seltsamen Beobachtungen zu ignorieren. Was sollte er sonst auch unternehmen? Darauf beharren, dass es Vampire wirklich gab? Nicht, dass sie noch auf die Idee kamen, ihn zu einem Psychologen zu schleppen. Das fehlte ihm noch.

Das waren bereits zwei Dinge, die ihn von den anderen unterschieden. Das Dritte war die Art, wie seine Eltern ihn behandelten. Nicht ganz so herzlich wie seine beiden Geschwister, Elena und David – das beschrieb es wohl am besten. Sie wurden eindeutig bevorzugt, wenn auch nicht allzu offensichtlich. Zumindest hatte er ständig dieses Gefühl, das an ihm nagte.

Vielleicht war das einer der Gründe, weshalb er froh war, seit kurzem den Job in dem kleinen Café, nicht sehr weit von seinem Zuhause, bekommen zu haben. So hatte er immerhin eine perfekte Ausrede, allem aus dem Weg zu gehen. Die Blicke fremder Menschen waren leichter zu ertragen als das Gefühl, trotz einer Familie irgendwie allein mit seinen Problemen zu sein.

Er war ehrlich gespannt, wann sie ihm wohl sagen würden, dass er adoptiert war. Und dass er endlich alt genug sei, um auszuziehen, damit sie sich nicht mehr mit ihm herumschlagen mussten.

Nun, immerhin hatte er nie in einem deutlich zu kleinen Abstellraum unter der Treppe schlafen oder den gesamten Haushalt alleine stemmen müssen. Zumindest das versuchten sie, halbwegs gerecht unter ihnen dreien aufzuteilen.

Ein leises Lachen verließ Arians Mund, bevor er tief durchatmete und unmotiviert brummend widerwillig aus dem warmen Bett schlüpfte.

Und damit stand wieder das Frühstückmachen auf dem Plan. Welche Ironie.

Ohne weitere Zeit zu verlieren, durchquerte er sein Zimmer und ging zum Kleiderschrank an der gegenüberliegenden Wand. Er schnappte sich seine ordentlich zusammengelegte Arbeitskleidung: eine dunkle, verwaschene Jeans und ein weißes, langärmliges Hemd. Dann huschte er in das angrenzende Badezimmer, um sich für den Tag fertig zu machen.

Es war zwar ein Samstag, doch für ihn ein Arbeitstag, wie für viele andere in New York lebenden Menschen ebenso.

Vielleicht waren seine Eltern auch einfach nur enttäuscht, weil er sich – anders als seine Geschwister – nach dem erfolgreichen Abschluss an einer der besten Schulen New Yorks nicht sofort an einer renommierten Universität beworben hatte. Die Voraussetzungen dafür hätte er mit seinen Noten und Nachweisen jedenfalls erfüllt.

Es war ein Privileg, das er offenbar nicht ausreichend zu schätzen wusste – was jedoch nicht stimmte. Natürlich hatte er einen hervorragenden Schulabschluss gemacht und strebte danach, einen angesehenen Beruf zu erlernen. Doch das war ja nicht gut genug. Eben nicht so gut wie Princeton, Harvard, Stanford und wie sie alle hießen. Jeder Versuch, mit seinen Eltern darüber zu sprechen, prallte jedoch gegen eine undurchdringliche Wand. Sie schienen ihn schlichtweg nicht zu verstehen – oder nicht verstehen zu wollen.

Mittlerweile vermied er jede Unterhaltung zu diesem Thema. Es brachte ohnehin nichts. Wie so vieles passte es nicht in ihr perfektes Bild. Schließlich wohnten sie im Nordosten Manhattans oder der Upper East Side. Sein Vater, Ph.D. Timothy Hanson, war Arzt. Seine Mutter, Carla Hanson, eine Unternehmensberaterin mit einem Master of Business Administration – und er jobbte in einem Kaffeehaus. Zumindest bis er endlich etwas gefunden hatte, das ihm als Arbeit auf lange Sicht gefiel und Spaß machte.

Doch er hatte einfach keine Lust mehr gehabt, noch länger zur Schule zu gehen und zu versuchen, der perfekte Sohn zu sein, ein Ziel, das er scheinbar nicht erreichen konnte. Er hatte dieses High-Society-Getue nicht mehr ertragen. Das war nicht er. Er wollte nicht Anwalt werden wie sein Bruder und auch kein Arzt. Er wollte eigentlich nicht einmal etwas machen, wo er viel mit Menschen zu tun hatte, die ihn ja eh nur komisch ansahen. Am liebsten würde er etwas arbeiten, wo er draußen in der Natur war, oder etwas mit Tieren. Auf eine Universität konnte er schließlich immer noch gehen und den Weg in Richtung Landschaftsarchitekt oder so einschlagen.

Begleitet von Isaak Guderian, dessen Stimme aus dem Radio dudelte, deckte Arian mit routinierten Handgriffen den Tisch im Esszimmer. In Gedanken versunken ließ er den Bacon in einer Pfanne knusprig brutzeln, während er nebenbei den Rest des Frühstücks anrichtete. Innerhalb weniger Minuten füllten sich die Küche und das Esszimmer mit dem verlockenden Duft von frisch aufgebackenen Brötchen, geröstetem Toast und gemahlenem Kaffee.

In Amerika galt man erst mit einundzwanzig Jahren als erwachsen, während es in vielen anderen Ländern bereits mit achtzehn der Fall war. Vielleicht sollte er einfach auswandern. Alles hinter sich lassen und versuchen, irgendwo anders sein Glück zu finden. Die überfüllte, laute und stinkende Großstadt war eh nichts für ihn.

Obwohl er hier aufgewachsen war, verbrachte er – anders als die meisten in seinem Alter – jede freie Minute im Central Park. Allein oder mit seiner besten Freundin Anna. Mehr brauchte er nicht. Der Park war der einzige Ort, an dem er Ruhe und Frieden fand, umgeben von den hohen Bäumen, mit dem Blick auf das glitzernde Wasser und dem Gefühl von kühlem Gras unter seinen Fingerspitzen.

Nein, er gehörte definitiv nicht hierher!

Er atmete tief durch und ließ die Luft langsam durch die Nase entweichen, während sein Blick auf den fertig gedeckten Tisch fiel. Er griff sich eines der belegten Sandwiches und lief mit einem leichten Lächeln auf den Lippen in Richtung Hausflur. Dort blieb er am Fuß der Treppe stehen, die nach oben führte, und rief laut: „Frühstück ist fertig!“

Dann ging er weiter zur Garderobe, schlüpfte in seine Sneaker und zog seine Jacke über. Er überprüfte rasch, ob Geldbeutel und Schlüssel eingesteckt waren, bevor er die Haustüre leise hinter sich ins Schloss zog.

Vermutlich war das mit dem Auswandern gar keine üble Idee. Doch jetzt musste er erst einmal zur Arbeit. Nach seiner kurzen Schicht bis Mittag konnte er sich im Park Gedanken über seine Zukunft machen. Nachdem er sich seine Kopfhörer aufgesetzt und ‚Afterparty‘ rausgesucht hatte, eines seiner Lieblingslieder, hüpfte er gut gelaunt die wenigen Stufen hinunter und machte sich auf den Weg.

2. Kapitel

„Wo warst du denn so lange? Wir warten auf dich!“

Arians Augenbrauen schossen in die Höhe, als er seine genervt aussehende Mutter im Türrahmen zum Flur auftauchen sah, ihre Hände in die Hüfte gestemmt. Just in dem Moment, als er die Haustür hinter sich ins Schloss fallen ließ, starrte sie ihn mit verengten Augen an.

„Ich – war im Park“, murmelte Arian, seine Stimme leise und zurückhaltend. Er verzog sein Gesicht zu einer fragend dreinblickenden Grimasse.

„Natürlich … wo auch sonst!“, schimpfte seine Mutter. „Komm ins Wohnzimmer. Wir haben einen Gast, der dich sehen möchte. Und wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst dein Handy über Nacht aufladen?“

Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und verschwand im Wohnzimmer. Arian blieb mit einem mulmigen Gefühl und einem Hauch von schlechtem Gewissen im Flur stehen. Sein Herz begann schneller zu schlagen, während er langsam auch den zweiten Schuh abstreifte. Er schob die Sneaker zur Seite, hängte seine Jacke an den Haken und atmete tief durch. Schließlich folgte er ihr ins Wohnzimmer. Es stimmte, sein Handyakku war leer, weshalb sie ihn nicht hatte erreichen können, doch das Aufladen hatte er mal wieder vergessen. Obwohl er sonst ein äußerst ordentlicher und zuverlässiger Mensch war.

Langsam trat Arian in den großen, in warmen Farben gehaltenen Raum. Seine Blicke blieben sofort an der Gestalt des großen, schon etwas älteren Mannes hängen, der einen ordentlich gestutzten dunklen Bart trug. Der Mann erhob sich von der Couch, ohne den Blick von Arian abzuwenden, als dieser den Raum betrat. Seine Eltern blieben stumm auf dem zweiten Dreisitzersofa sitzen.

„Arian“, sagte sein Vater ruhig, während er sich entspannt zurücklehnte und ein Bein über das andere schlug. „Das ist Lux Crestfall. Mein Bruder.“

Arians Augen weiteten sich. Dann wandte er sich erneut ihrem Gast zu, der ihm nun freundlich die Hand entgegenstreckte. Der Mann hatte durchaus Ähnlichkeit mit seinem Vater, wobei dieser immer dafür sorgte, dass ja keine Bartstoppeln zu sehen waren.

Zögernd ging Arian auf die Sitzgruppe zu und ergriff die Hand des Fremden. „Onkel Lux“, murmelte er, während seine Gedanken durcheinanderwirbelten.

„Es freut mich, dich endlich kennenzulernen, Arian.“ Arians Onkel lächelte und sprach mit einer dunklen, freundlichen Stimme weiter, während er auf einen der freien Sessel deutete. „Ich hoffe, es geht dir gut? Setz dich doch zu uns.“

Etwas verunsichert kam Arian der Aufforderung nach und ließ sich langsam auf dem Polsterstück nieder, ohne den Blick abzuwenden. Etwas, das sein Onkel ihm gleichtat, und im Anschluss daran, wie Timothy, mit einer fließenden Bewegung das eine Bein über das andere legte.

„Du siehst überrascht aus.“ Arians Onkel nahm eine bequeme Sitzhaltung ein. „Mein Bruder und seine Frau haben dir also weder etwas über mich noch über dich erzählt, nicht wahr?“

Okay. Jetzt war es wohl so weit. Doch definitiv schneller, und vor allem vollkommen anders als erwartet.

Arian schüttelte kaum sichtbar den Kopf und warf seinen Eltern einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel zu und antwortete:

„Mir geht es gut … danke der Nachfrage. Nein. Was hätten sie mir denn erzählen sollen? Dass ich adoptiert bin? Das habe ich mir längst gedacht! Was soll das hier? Und warum gerade jetzt?“

Dann richtete er seinen Blick wieder auf den Onkel, der weiterhin so entspannt dasaß, als würde er ständig zu Besuch sein.

„Das ist leider nicht so einfach zu erklären, wie ich es mir wünschen würde“, begann Lux mit einem Seufzer. „Gleich vorweg … die beiden haben dir auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin nichts gesagt. Ich habe sie gebeten, damit zu warten, bis der passende Augenblick gekommen ist und ich hierher komme.“ Er atmete tief ein und fuhr fort: „Es stimmt. Mein Bruder und seine bezaubernde Gattin haben dich in ihrer Familie aufgenommen, als du gerade einmal ein Jahr alt warst.“

„Und wir bereuen es nicht. Falls du das denkst. Auch wenn es nicht immer einfach war.“ Das war Vater.

‚Nicht immer einfach‘ war gut. Arians Augenbrauen zuckten nach oben, während er sich in den Sessel zurückfallen ließ und seine Arme vor der Brust verschränkte. Er hätte es hin und wieder eher als – frostig – bezeichnet!

Nach dieser Aussage seines Vaters herrschte einen Moment lang Stille im Raum, während Ari die Worte sacken ließ. Arians Onkel löste seine ineinander verschränkten Finger und drehte eine Handfläche nach oben, perfekt sichtbar vor sich in der Luft haltend. Eine Handlung, die erneut Arians uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

Es vergingen nur wenige Sekunden, bis Arian die Augen aufriss und ein ungläubiges, erschrockenes Keuchen ausstieß. Er beobachtete, wie sich eine kleine Kugel aus Flüssigkeit ein paar wenige Zentimeter über der Handfläche seines Onkels schwebend bildete und langsam wuchs. Sekunde um Sekunde vergrößerte sie sich, bis Crestfall sie kurz darauf unter aller Augen über den großen Wohnzimmertisch schweben ließ. Dort hielt er sie einen Moment lang in der Luft, bevor er sie losließ. Mit einem platschenden Geräusch verteilte sich die klare Flüssigkeit über die gesamte Tischfläche.

„Musste das sein?“ Carla, die bis eben nur stumm zugehört hatte, schnaubte verärgert. Sie strafte den Mann mit einem vorwurfsvollen Blick, erhob sich abrupt und eilte aus dem Zimmer. Augenblicke später kehrte sie mit zwei Handtüchern aus der Küche zurück, mit denen sie die Flüssigkeit schnell aufwischte. Lux indessen lachte unterdrückt und sah von seiner Schwägerin wieder zu Arian. „Keine Sorge, das ist bloß Wasser.“

„Was zum – ?!“ Arian schluckte und drehte seinen Kopf wieder in die Richtung des grinsenden Mannes, nachdem er seinen Blick von der Pfütze auf dem Tisch abwenden konnte.

„Ich lebe in Grey Thal. Ein Land in einer Welt, die parallel neben dieser Welt existiert, so wie du sie kennst … und aus der auch du stammst, Arian.

Unsere beiden Welten sind über Portale miteinander verbunden, die in meiner Welt in den jeweiligen Hauptstädten der verschiedenen Länder liegen.

Die Hauptstadt von Greym Thal ist Elevatane, in der sich auch die Evelon-Akademie befindet. Zufälligerweise bin ich der Leiter dieser Einrichtung.

Das, was du soeben gesehen hast, nennt sich Elementarmagie. Bei uns ist sie ebenso alltäglich wie Drachen und andere Fabelwesen, wie du sie nennen würdest – oder Elben. Wesen, wie du eines bist, Arian. Oder besser gesagt: Aranel.“

„Wa-was … was meinst du damit?“ Arian sog zittrig und zugleich ungläubig die Luft ein, während er seine Arme schützend vor der Brust verschränkte. Sein Blick wanderte unsicher von einem Erwachsenen zum nächsten, bis er schließlich wieder auf dem Gesicht seines Onkels ruhte.

Lux seufzte leise. „Du musst wissen, Arian – nein, Aranel – dass die Länder meiner Welt unter der Herrschaft verschiedener Wesen oder Menschen stehen. Greym Thal untersteht zum Beispiel der Leitung eines Ministeriums. Theax Strye, ein weiteres Land, wird hingegen vom König der Drachen, Raiden Laskaris, regiert. Andere Länder unterstehen verschiedenen Königen, und in einigen wenigen gibt es weder König noch Ministerium. Diese Gebiete werden von Wesen bewohnt, die sich keiner Autorität unterordnen wollen.

Seit einigen Jahren herrscht ein recht wackeliger Frieden in unserer Welt. Doch vor siebzehn Jahren wütete ein Krieg, in dem die friedliebenden Elben zwischen die Fronten gerieten.

Ich war es, der dich damals fand und in Sicherheit brachte – an einen Ort, weit weg vom Blutvergießen. Hierher zu meinem Bruder, der schon vor langer Zeit unserer Welt den Rücken gekehrt hat. Ich tat es, damit du in Frieden aufwachsen konntest.“

„Und woher kennst du meinen Namen? Haben Elben nicht normalerweise spitze Ohren? Und warum heiße ich überhaupt anders?“ Arians Augen verengten sich, während er zu seinen Eltern blickte. Das alles war unvorstellbar. Wahrscheinlich der Grund, warum der Mann seine Erklärung mit einer schwebenden Wasserkugel begonnen hatte. Doch bevor seine Eltern etwas sagen konnten, ergriff Crestfall erneut das Wort und zog Arians Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Die Frau, in deren Arme du lagst, als ich dich fand, hat dich so genannt. Sie und der Mann an ihrer Seite wurden angegriffen. Ich kam zu spät, um Ihnen zu helfen, und konnte lediglich dich in Sicherheit bringen.

Es stimmt, Elben haben spitze Ohren. Dass du keine hast, liegt daran, dass wir einen Veränderungszauber auf dich gelegt haben, der verhindert, dass sie sichtbar sind.

Sobald wir zurückgekehrt sind, werde ich den Zauber von dir nehmen. Aber hier, in dieser Welt, wären sie einfach zu auffällig gewesen.“

„Genauso verhält es sich mit deinem Namen, Aranel. Wir waren der Meinung, dass du es mit dem Namen, den wir dir gegeben haben, leichter hast.“

Arians Blick ruhte noch einen Moment lang auf dem Gesicht seiner Mutter, bevor er sich wieder an den Gast wandte. „Was meinst du damit?“ Die Verwirrung stand Ari wohl ins Gesicht geschrieben. Sein Onkel lachte erneut, was Arian fast ein genervtes Schnauben entlockt hätte, denn er fand das Ganze gar nicht witzig.

„Das neue Schuljahr beginnt in wenigen Tagen. Ich bin hier, um dir einen Platz an meiner Akademie anzubieten und dich zurück in die Welt zu holen, zu der du gehörst. Wir kennen zwar dein genaues Geburtsdatum nicht, doch als wir dich fanden, warst du etwa zwölf Monate alt. Alle Schüler der Akademie beginnen ihr erstes Jahr im Alter von achtzehn Jahren. Der Umgang mit Elementarmagie birgt zu viele Risiken, wenn man zu jung ist. Außerdem besuchen die Kinder in unserer Welt bis zu diesem Alter Schulen, die euren hier sehr ähnlich sind. Deshalb wirst du auch keine allzu großen Nachteile haben.

Lediglich das Wissen über unsere Welt wird dir fehlen. Doch da kann zum Glück schnell Abhilfe geschafft werden.

Also – was sagst du? Möchtest du mit mir kommen? Nach Hause?“

3. Kapitel

Was für eine Frage.

Natürlich wollte er diese andere, zauberhafte Welt sehen. Das hatte er seinem Onkel ohne Umschweife mitgeteilt. Es war für ihn noch immer ungewohnt, einen Onkel zu haben. Einen, den er im Privaten Lux oder Onkel nennen durfte. Nur in Anwesenheit anderer Studenten, sollte er ihn mit Direktor oder seinem Nachnamen ansprechen, damit niemand den Eindruck bekam, er würde bevorzugt werden. Tatsächlich hatte Arian sogar ernsthaft überlegt, auszuwandern. Doch das hier war um so vieles besser.

Auch wenn es unglaublich viel auf einmal war, was er erfahren hatte – und es sich immer noch absolut unwirklich anhörte. Jetzt, einen Tag später, erschien ihm das Ganze noch unglaublicher, je öfter er das Gespräch Revue passieren ließ und seinen Gedanken freien Lauf gab.

„Und du willst wirklich weggehen? Also, ich meine Du gehst allen Ernstes von hier weg, Ari? Das kannst du doch nicht machen! Was wird dann aus mir?“

Arian lächelte sanft über Annas Gejammer. Der Spitzname „Ari“ hatte sich schon vor langer Zeit eingeschlichen. Er wandte seinen Blick vom Fenster ab und ließ ihn zur Decke schweifen, während er entspannt auf dem Rücken in seinem Bett lag. Anna. Seine beste und einzige Freundin, mit der er schon immer über alles geredet hatte, selbst über die wildesten Spekulationen zu den weißen Linien auf seiner Hand.

Sie hatten bis jetzt noch nie Geheimnisse voreinander gehabt und damit würde er jetzt auch definitiv nicht anfangen. Deshalb hatte er Anna vor wenigen Minuten alle am Handy erzählt.

Doch das Einzige, was ihr sofort einfiel, war, sich darüber zu beschweren, dass sie sich dann womöglich weder sehen noch hören könnten. Der Teil mit der Parallelwelt, den Fantasiewesen und Magie war allem Anschein nach zu unwichtig, um jetzt und hier näher diskutiert zu werden.

Ein kleines, ehrliches Lächeln schlich sich auf Arians Lippen, während er weiter ihrem weinerlichen Gezeter lauschte. Für ihn war Anna schon immer mehr wie eine Schwester gewesen. Es machte ihn glücklich, dass ihr größtes Problem war, ihn nicht mehr so schnell sehen zu können – zumindest eine Weile. Der einzige Wermutstropfen, der dem Ganzen einen bitteren Beigeschmack verlieh. Am liebsten würde er sie einfach mitnehmen.

„Mit wem soll ich denn dann stundenlang telefonieren? Mit wem soll ich abhängen und all die Sachen machen, die beste Freunde eben so tun? Ich habe wirklich keine Lust, mir eine andere beste Freundin zu suchen, die ich nerven kann.“

Ein leises Gekicher im Hintergrund ließ Arians Lippen zu einem schmalen Strich werden. „Da mach ich mir überhaupt keine Sorgen. Du findest sicher jemanden, dem du den Eisbecher wegessen kannst.“ Darauf, dass sie ihn gerade Freundin genannt hatte, ging er erst gar nicht ein.

„Ja, ja, du Unicorn.“ Erneut war Gekicher zu hören, in welches Arian nur Sekunden später mit einfiel. Sie war einfach nur zum Knuddeln. „Ich muss das machen, Anna, verstehst du? Ich will hier weg. Und das ist nun mal die perfekte Gelegenheit. Ich möchte mir diese Chance einfach nicht entgehen lassen und schauen, ob es wahrhaftig eine weitere Welt neben unserer gibt. Vielleicht erfahre ich ja obendrein etwas über mich und meine richtigen Eltern und finde einen Ort, an dem man mich so akzeptiert, wie ich bin. Ich hab mich mit meiner Familie einfach nie richtig verbunden gefühlt. Hier hat mir, ganz abgesehen von dir, schon immer jeder das Gefühl gegeben, dass ich anders bin. Womöglich ist das ja meine Chance, verstehst du? Wenn alles scheiße ist, komme ich einfach wieder zurück.“

Nun war es Anna, die seufzte.

„Obwohl das schon ganz schön abgefahren klingt, Ari … das ist dir doch wohl klar, oder?“ Dann war ein weiteres Mal ein Kichern am anderen Ende der Leitung zu hören. „Aber wir wissen ja beide, dass du nicht normal bist. Du siehst mit spitzen Ohren mit Sicherheit voll knuffig aus.

Dir ist doch hoffentlich klar, dass ich unbedingt ein Foto will!“

„Du bist doof … weißt du das?“ Arian grummelte zerknirscht, was Anna nur erneut zum Lachen brachte. Allerdings nur einen Moment lang, denn dann wurde sie ernst und fragte: „Du hast gesagt, dein Onkel holt dich ab. Wann denn genau?“

Arian verrenkte sich auf dem Bett, um auf die Uhr zu schielen. „Heute … in etwa … Verdammter Mist!“ Er schreckte auf und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Zeiger der Uhr auf seinem Nachtkästchen. Am anderen Ende der Leitung waren Laute der Belustigung zu hören.

„Du hast die Zeit vergessen … Mal wieder. Nicht wahr, Ari?“

„Ich habe noch eine Stunde und muss noch packen. Scheibenkleister! Ich habe sie echt vergessen.“ Arian schnaufte genervt und ließ seine Blicke durch den Raum schweifen, bis sie wieder auf seiner Hand in seinem Schoß zum Ruhen kamen. „Anna … ich! Es tut mir echt leid, aber ich muss …“ Arian klang zerknirscht.

„Alles gut, Ari.“ Die Tonlage war so unmissverständlich, dass man sofort das Bild einer augenrollenden Anna mit einem schiefen Grinsen vor Augen hatte. Sie lag mit Sicherheit genauso ausgestreckt auf ihrem Bett oder Sofa wie er zuvor und schob sich gerade die freie Hand unter ihren Kopf.

„Auch wenn ich dich gerne noch einmal in den Arm genommen hätte, bevor du dich aus dem Staub machst. Aber glaub mir …!“ Augenblicklich änderte sich ihre Stimmlage ein weiteres Mal von einer auf die andere Sekunde. Wurde knurrig. So angsteinflößend wie eine beste Freundin eben klingen konnte. „Wenn du dich nicht sofort meldest, sobald du wieder hier bist und mir alles bis ins kleinste Detail erzählst. Ich schwöre dir, ich halte dir eine Standpauke, die es in sich hat, Freundchen!“

Eine Aussage, die Arians Schultern vor Lachen beben ließen. „Keine Sorge, ich vergesse meine beste Freundin doch nicht. Niemals.“

„Das will ich dir auch geraten haben. Pass auf dich auf, ja!“

„Natürlich, du auch.“ Mit diesen Worten verabschiedeten sie sich voneinander. Arian blieb noch ein paar Minuten mit einem nachdenklichen Blick sitzen, die Beine längst auf dem Boden, während er gedankenverloren sein Smartphone hin und her drehte und über das Telefonat nachdachte. Nur um nach einer Weile erneut zu dem Schluss zu kommen, dass es die richtige Entscheidung war.

Entschlossen stand er auf, straffte die Schultern und drehte die Musik wieder etwas lauter. Er begann, Kleidung, Notizblock, Stifte und alles, was ihm sonst noch in den Sinn kam, in eine große Tragetasche zu stopfen. Auch sein Handy legte er dazu, obwohl er nicht sicher war, ob er es am Ziel seiner Reise überhaupt nutzen konnte. Viel Zeit blieb ihm schließlich nicht mehr, bis er abgeholt werden würde.

༺ ✮ ༻

„Hallo Arian. Hast du alles, was du mitnehmen möchtest? Du wirst die nächsten Monate nicht mehr hierher zurückkommen.“

„Hallo. Ja, ich denke, ich habe alles Persönliche eingepackt. Was ich sonst noch brauche, besorgen wir dort, wie du gesagt hast.“ Arians Blick ruhte auf seinem Onkel, der im hell erleuchteten Flur stand und sich bis eben leise mit seinen Eltern unterhalten hatte. Aris Geschwister waren beide nicht zu Hause. Er ließ seine volle Tasche neben sich auf den Fußboden fallen, nachdem er das Ende der Treppe erreicht hatte.

„Darf ich fragen, wie das dort dann eigentlich mit dem Bezahlen funktioniert?“

„Selbstverständlich, immerhin ist das eine berechtigte Frage.“ Sein Schuldirektor in spe klang keinesfalls genervt, sondern behielt weiterhin seine lockere Haltung bei.

„Deine Eltern haben mir Geld für dich mitgegeben, das wir in unserer Welt in einer Bank wechseln lassen. Zusätzlich gibt es einen Schulfonds, aus dem wir dir innerhalb eines gewissen Rahmens eine Grundausstattung besorgen werden. Dazu gehört auch die Erstausstattung der Schuluniform, die bei uns Pflicht ist. Essen gibt es selbstverständlich in der Schule, das musst du nicht bezahlen. Doch alles, was du dir darüber hinaus kaufen möchtest, wird von dem Geld deiner Eltern oder dem, das du von dir aus mitnimmst, finanziert. Eis essen im Dorf, um nur ein Beispiel zu nennen.

Du kannst auch deine Bankkarte mitnehmen, die wir dann in unserer Bank in eine Karte umwandeln, die in beiden Welten funktioniert. Schließlich leben wir nicht mehr im 17. Jahrhundert, und unsere Schüler sind alle alt genug, um ihnen einige Freiheiten einzuräumen.

Allerdings solltest du bedenken, dass du nur begrenzte Möglichkeiten hast, an weiteres Geld zu kommen, bis du in den Ferien hierher zurückkehrst – wenn du dich dazu entscheidest. Das bleibt natürlich dir überlassen. Einen Wochenendjob anzunehmen wäre zwar möglich, aber das solltest du dir gut überlegen. Du wirst Hausaufgaben haben und lernen müssen, und wir sind der Meinung, dass du deine freie Zeit auch zur Erholung nutzen solltest.“

Arian nickte kaum merklich und ließ seinen Blick von seinen Eltern zu seinem Onkel wandern. „Okay. Dann habe ich alles.“ Er atmete einmal tief durch und schluckte, als seine verschiedenfarbigen Augen auf den Menschen verharrten, die ihn großgezogen hatten. Das war alles selbst bis zu diesem Zeitpunkt so surreal, dass sein Gehirn das Ganze noch gar nicht vollständig verarbeitet hatte. Es fühlte sich an, als würde er träumen und jeden Moment aufwachen. Nur um festzustellen, dass er bis zur Nasenspitze eingekuschelt in seinem warmen Bett lag. Etwas, das viel wahrscheinlicher war, als das, was hier in diesem Augenblick passierte. Und doch hoffte Arian inständig, dass dies kein Traum war.

„Na komm schon her, Junge.“ Arians Dad breitete die Arme aus, und als Arian der Aufforderung folgte, schlangen sie sich fest um seinen viel zierlicheren Körper. Dann drehte er sich zu seiner Mutter, die ihn ebenfalls sanft in die Arme schloss und leise murmelte: „Pass auf dich auf.“ Auch, wenn ihre Stimme kühl klang, spürte er die Zuneigung dahinter.

„Klar. Was soll schon passieren?“ Mit diesen Worten trat Arian einen Schritt zurück und ging auf seinen Onkel zu, dem er nun seine volle Aufmerksamkeit schenkte. „Und jetzt?“

„Jetzt müssen wir zum Portal. Nimm deine Tasche.“

Arian blieb keine Zeit für weitere Fragen. Kaum hatte er die Henkel seiner Tragetasche in die Hand genommen und sein Onkel sich von seinen Eltern verabschiedet, spürte er bereits dessen festen Griff an seinem Arm. In diesem Moment durchströmte ihn ein Gefühl, als würde er sich auflösen.

4. Kapitel

Genau das hatte er wohl auch getan – sich quasi aufgelöst. Er öffnete seine Augen, die er bis eben zusammengekniffen hatte, als er wieder festen Boden unter seinen Füßen spürte, und sah sich hektisch um. Sein Herz pochte schnell in seiner Brust und er sog die frische, leicht kühle Luft tief in seine Lunge. Eigentlich fühlte es sich weniger an, als hätte er sich aufgelöst, vielmehr als wäre er soeben ertrunken. Es hatte sich feucht angefühlt, kalt, und so, als würde er keine Luft mehr bekommen. Als würde etwas seine Kehle zuschnüren und ihn nach unten ziehen. So musste es sich anfühlen, wenn man ertrinkt. Ein schreckliches Gefühl.

Arian schluckte, um seine zugeschnürte Kehle zu beruhigen, und sah zu seinem Onkel. Dass sie inmitten eines Laubwaldes standen, nahm er zunächst kaum wahr. Die Blätter der Bäume bewegten sich in der leichten Brise, und es roch herrlich nach warmer, leicht muffiger Erde.

„Was – was war das? Hast du uns teleportiert?“ Arians Stimme klang nicht so fest, wie er gehofft hatte.

„Das war eine der höchsten Formen der Elementarmagie“, antwortete Crestfall ruhig und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Je nachdem, zu welcher Art Elementarmagier man zählt, fühlt sich das, wir nennen es ›Translozieren‹, anders an. Du wirst dich mit der Zeit daran gewöhnen. Das erste Mal ist immer etwas erschreckend, glaub mir. Für jeden.“

Arian atmete tief durch, sog den typischen Waldgeruch ein und folgte mit seinen Augen der Handbewegung seines Onkels. Sein Blick blieb an einem sicherlich drei Meter hohen und zweieinhalb Meter breiten Steintor haften, das mit Moos und kleinen Grasbüscheln bewachsen war. Es wurde von Sonnenstrahlen beschienen, die durch das dichte Blätterdach fielen. Diese Strahlen tauchten auch einige Stellen des mit grünem Gras überwucherten Waldbodens um sie herum in ein magisches Licht, obwohl sie noch nicht einmal in der Parallelwelt angekommen waren.

Rechts und links des Durchgangs lagen unterschiedlich große, ebenfalls eingewachsene Steine, und zwischen diesen war der Boden kahl, die Erde frei von Gras war. Lediglich festgetretene, hellbraune Erde war zu sehen, als wäre hier oft jemand gestanden und durch dieses Tor geschritten. Das ergab durchaus Sinn, angesichts ihrer Pläne.

Doch da war nichts.

Auf Arians Stirn bildeten sich kleine Fältchen der Besorgnis. Hinter der Öffnung konnte er die Bäume sehen, die sich harmonisch in die umliegende Landschaft einfügten. Wie sollten sie also …?

In diesem Moment, als Arian sich diese Frage stellte, trat Crestfall mit wenigen Schritten auf das steinerne Tor zu und legte sanft seine Handfläche auf einen etwa anderthalb Meter hohen Stein, der mit dem Torbogen verbunden war. Sofort begann sich von allen vier Seiten innerhalb des Bogens recht schnell eine grünlich schimmernde, wabernde Masse zu bilden.

„Okay – das erklärt meine nicht ausgesprochene Frage!“

Arians Augenbrauen hoben sich verblüfft, doch nach allem, was er bereits gesehen hatte, war er nicht allzu sehr verwundert.

„Und da gehen wir jetzt durch? Ist es kein Problem, Dinge wie Klamotten und so weiter mitzunehmen?“ Die Frage, ob es sich auch hier um Elementarmagie handelte, sparte er sich. Es war offensichtlich, dass wahrscheinlich nur Magier das Portal aktivieren konnten.

„Ja … Da gehen wir jetzt durch, und nein, das ist kein Problem. In unserer Welt haben wir einen ähnlichen Kleidungsstil. Nur einige der magischen Wesen haben ihre eigene Bekleidung. Die der Elben beispielsweise besteht aus edlen Leinenstoffen oder Seidensamt mit kunstvollen Verzierungen. Es kommt allerdings auch bei uns auf das Klima an.“ Crestfall erwiderte Aris Blick gut gelaunt und streckte in einer unmissverständlichen Geste die Hand in dessen Richtung aus. Das war ein deutliches Zeichen, und Arian machte sich auf, die letzten Meter zu überbrücken, bis er nahe genug an der schimmernden Substanz stand, um sie zu berühren.

Es fühlte sich seltsam an, als seine Finger auf die wabernde Barriere trafen und darin versanken, fast so, als würde er in Wackelpudding greifen. Doch unangenehm war es nicht.

Langsam drehte er seinen Kopf in Richtung seines Onkels neben ihm, der geduldig gewartet hatte und aufmunternd nickte.

Arian atmete noch einmal die angenehme Luft tief ein und sammelte all seinen Mut, während er die Augen zusammenkniff und durch das Portal trat.

༺ ✮ ༻

„Willkommen in Elevatane!“ Crestfall stellte sich neben Arian, während dessen Blick, der nichts anderes als Sprachlosigkeit ausdrückte, langsam umherschweifte. Arian war schlichtweg überwältigt.

Sie befanden sich auf einem großen, kreisrunden, gepflasterten Platz, mit dem geschlossenen Portal im Rücken. Die Sonne strahlte am hellblauen, nahezu wolkenlosen Himmel und tauchte alles in warmes Licht. Vogelgezwitscher durchbrach die Stille, ebenso wie das geschäftsmäßige Treiben und Geschnatter der Passanten, die in unterschiedlichem Tempo über den Platz eilten. Was ihn erstaunte, war, dass sie nicht großartig anders gekleidet waren, als die Menschen, die er aus seiner Welt kannte. Um sie herum erhoben sich Häuser an allen Seiten, während sich gegenüber eine breite Straße erstreckte, die zu diesem Ort führte und sich deutlich von den schmaleren Wegen abhob.

„Wow.“ Arian lachte begeistert und atmete tief durch. Er genoss die saubere Luft und drehte sich einmal um die eigene Achse, bis sein Blick schließlich erneut auf das Gesicht seines Onkels fiel. „Warum ist mein Vater nicht hiergeblieben?“

„Deine Mutter. Carla.“ Crestfall nickte den beiden uniformierten Männern neben dem Tor kurz zu, die sie aufmerksam beobachtet hatten, und verschränkte seine Arme locker hinter seinem Rücken. Es machte auf Arian den Eindruck, als würden sie sich kennen. Dann setzte sein Onkel sich in Bewegung und lief direkt auf eine der wartenden Pferdekutschen an der Seite des Platzes zu. Arians Augenbrauen hoben sich ein weiteres Mal, während er ihm folgte. Hatte der Mann nicht gesagt, sie lebten nicht mehr im 17. Jahrhundert? Bevor er diesen Gedanken jedoch äußern konnte, sprach sein Begleiter bereits weiter.

„Du musst wissen, das Portal kann nur von jemandem durchschritten werden, der Magie in sich trägt. Egal, welcher Art.“ Crestfalls Augen huschten kurz zu Arian, bevor er seinen Blick wieder nach vorne richtete. „Mein Bruder lernte seine Frau kennen, als er in der anderen Welt war, um diese besser zu verstehen … und verliebte sich in Carla. Da sie jedoch keine Magie in sich trägt, musste Timothy eine Entscheidung treffen. Letztlich kehrte er dieser Welt den Rücken. Soweit ich weiß, ist es ihm nicht leichtgefallen. Dennoch hat er sich für seine Liebe entschieden.“

Arians Onkel unterbrach seine Erklärung, als ein Mann, der zuvor aufmerksam neben den zwei Tieren gestanden hatte, nun auf sie zugelaufen kam.

„Direktor Crestfall, welch eine Freude, Sie hier zu sehen.“ Die Männer reichten sich zur Begrüßung die Hand. Dann fiel der freundliche Blick des Fremden für einen Moment auf Arian.

„Sie sind mit einem Schüler unterwegs?“

Crestfall nickte und erwiderte freundlich: „Ein Neuzugang. Mr Hanson wird in ein paar Tagen sein erstes Jahr an der Evelon-Akademie beginnen. Im Übrigen auch unser derzeitiges Ziel. Hätten sie Zeit, uns dorthin zu bringen?“

„Selbstverständlich. Bitte steigen Sie ein.“

Kaum hatten sie der Aufforderung Folge geleistet, in der Kutsche Platz genommen und die Tür geschlossen, setzte sich der von den Schimmeln gezogene Zweispänner auch schon mit einem Ruck in Bewegung.

Arian ließ seinen Blick staunend durch das nicht allzu große Fenster der Kutsche schweifen. Die Landschaft draußen wirkte wie aus einem Märchen entsprungen. Sie waren soeben auf die breite Straße eingebogen und passierten die zwei gigantischen Türme auf beiden Seiten der Einfahrt. Begleitet von dem typischen Poltern der Kutschenräder auf Stein und Hufgetrappel fuhren sie über eine steinerne Brücke. Arian stellte erstaunt fest, dass sie über eine langgezogene Bucht führte.

Auf der einen Seite mit Blick auf die Stadt und zur anderen hinaus auf einen großen See. Die schiere Größe der Klippen auf der gegenüberliegenden Seite ließ sich dabei nur erahnen. Es war ein sagenhafter Anblick. Wie lange sie wohl unterwegs sein würden?

Ari stockte der Atem, als ihn plötzlich lautes Fauchen und heftige Flügelschläge aus seinen Gedanken rissen. Hastig drehte er den Kopf zur Seite und spähte aus dem Fenster. Sein Herz begann schneller zu schlagen, als er hoch oben am Himmel ein gewaltiges Wesen entdeckte, das gerade unter der Brücke hindurchgeflogen war. Sekunden später erkannte er es deutlich: Es sah aus wie ein gigantischer Drache, doch bei genauerem Hinsehen bemerkte er, dass es die Gestalt eines riesigen Luchses hatte, mit schimmernden Schuppen und mächtigen Flügeln.

Fasziniert und erschrocken zugleich, verfolgte Arian das majestätische Geschöpf mit weit aufgerissenen Augen. Die kräftigen Schwingen des Wesens erinnerten ihn an Drachen-, Dämonen- oder Vampirbilder, die er aus dem Internet zu Hause kannte. Mächtige, spitz zulaufende Hörner ragten neben den typischen Luchsohren in die Luft und der lange Schwanz wurde elegant vom Luftstrom getragen. Doch das Unglaublichste war der Sattel auf seinem Rücken, auf dem ein Reiter saß, der sich gerade mit dem Tier in die nächste Kurve legte.

Sie flogen in einem großen Bogen weiter in Richtung Stadt, und selbst als sie nur noch schemenhaft am Himmel zu erkennen waren, konnte Arian seinen Blick nicht abwenden. Erst als die Gestalten fast verschwunden waren, atmete er einmal tief durch und wandte sich schließlich ab.

„Was war das?“ Arians Stimme war rau, als er den Kloß in seinem Hals hinunterzuschlucken versuchte. „Sind wir noch weit von der Akademie entfernt?“

„Nein“, antwortete sein Onkel ruhig. „Die Schule liegt am Ende der Brücke. Sie ist ein Eckpfeiler von Elevatane. Und das, was du eben gesehen hast, war ein Magier mit seinem Lutrax.“ Direktor Crestfall verschränkte seine Finger ineinander und ließ sie entspannt in seinem Schoß liegen.

„Darf ich dir eine weitere Frage stellen?“ Arian konnte seinen Enthusiasmus nicht verbergen und lächelte. Was den älteren Mann wiederum zum Lachen brachte.

„Du wirst mit Sicherheit noch einige Fragen haben. Stell sie ruhig.“

„Du hast schon öfter verschiedene Magiearten erwähnt. Was hat es damit auf sich?“

Der zufriedene Ausdruck in dem Gesicht des Direktors war nicht zu übersehen, als er nur wenig später antwortete. „Das ist eine äußerst gute Frage, Arian.

Wie du ja längst weißt, basiert unsere Magie auf den Elementarkräften. Das bedeutet, dass wir keine Zaubersprüche in dem Sinne nutzen, wie du es dir vielleicht vorstellst.

Stattdessen arbeiten wir mit nonverbaler Magie, die in Verbindung mit den vier Elementen und der Willenskraft jedes Elementarmagiers steht.

Allerdings kann nicht jeder Magier alle Elemente gleichermaßen beherrschen. Vieles hängt mit der eigenen Wesensart zusammen. Ein naturverbundenes Wesen wie zum Beispiel die Elben fühlt sich beispielsweise mit den Elementen Erde, Luft und Wasser immer wohler als mit dem Element Feuer. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen.

Ich selbst bin ein Neromagos. Mein bevorzugtes Hauptelement ist Wasser. Aerasmagos priorisieren das Element Luft. Gimagos Erde und Fotiamagos Feuer. Obwohl dies nur die Oberbegriffe sind, um besser zu bestimmen, zu welcher Art Magier man gehört.

Letztlich kommt es jedoch, wie bei den meisten Dingen, auf die innere Stärke und das eigene Geschick an.“

5. Kapitel

„Und wie findet man heraus, was man ist?“ Arians Blick ruhte auf dem Gesicht seines Onkels.

„Dem werdet ihr euch in den ersten Unterrichtsstunden widmen, indem ihr versucht, nacheinander mit jedem der vier Elemente Magie zu wirken.“ Der Mundwinkel von Arians Onkel zuckte nach oben. Es hatte etwas Schelmisches, als würde er noch nicht zu viel verraten wollen. „Du wirst es spüren, wenn du den für dich richtigen Zweig gefunden hast.“

„Dann werden die Schüler auf der Akademie sicher in vier Gruppen eingeteilt, je nachdem, welches Element sie beherrschen, oder?“ Arian wirkte zuversichtlich, die richtigen Schlüsse gezogen zu haben. Zu seiner Überraschung schüttelte sein Onkel den Kopf.

„Das ist nicht so einfach. Ein Magier kann nicht immer einer einzigen Sparte zugeordnet werden. Und wie ich schon sagte, nicht jeder kann Magie in hohem Maße oder überhaupt anwenden – selbst wenn das Potenzial da ist.

Es gibt bei uns fünf Sektoren, in die die Schüler eingeteilt werden: Scout, Knight, Tamer, Magician und Healer.

In der ersten Woche wird sich zeigen, in welches Haus du gehörst. Die Späher haben, ganz unabhängig von ihrer Magieart, eine besondere Verbindung zu kleineren, oft flugfähigen Tieren, wie Raben oder Eulen, aber auch zu Schlangen und anderen kleinen Lebewesen.

Du musst wissen, dass ein Großteil der Tiere in unserer Welt ebenfalls magisch ist. Und hin und wieder gehen ein paar von ihnen eine Verbindung mit einem Magier ein und werden zu dessen Vertrauten oder Seelentier.“

„Allerdings wählt das Tier seinen Vertrauten, nicht andersherum“, erklärte Crestfall weiter. „Die Späher trainieren ab diesem Moment mit ihren Seelentieren, bis ihre Verbindung perfekt ist. Diese Bindung ist so stark, dass der Magier sogar durch die Augen seines Vertrauten sehen kann. Das ist extrem nützlich, zum Beispiel wenn der Student später eine Laufbahn bei den Grigori einschlagen will – unserer Version der Polizei. Die Grigori sind für die Strafverfolgung zuständig, ähnlich wie die Polizei in der Welt, in der du aufgewachsen bist.“

Crestfall nickte in Richtung der Wachen, die sie vorhin passiert hatten. „Oder als Prostare, die Stadtwachen. Die beiden Männer am Tor vorhin waren Prostare. Sie überwachen die ankommenden Wesen und Menschen mit einem DNA-Verfahren, das auf Magie und Blut basiert. Magier mit Vertrauten haben im Ministerium sehr gute Aufstiegschancen in Berufen, die allgemein für Recht und Ordnung in unserem Land sorgen. Deshalb legen wir schon bei der Ausbildung viel Wert auf ihre Förderung, egal, in welche Sparte sie einsortiert werden.“

Er fuhr fort: „Die Tamer hingegen werden von größeren magischen Kreaturen erwählt – oft reitfähige Wesen wie Nachtschattenpanther oder der Tilux … Greife, Wolions. Eine majestätische Mischung aus Löwe und Wolf.“

Crestfall sah Arian an und fügte hinzu: „Tamer kämpfen oft Seite an Seite mit ihren Vertrauten oder direkt von deren Rücken aus. Du hast vorhin so ein Paar gesehen. In jedem Stundenplan sind, passend zu den Sparten, eine gewisse Anzahl an Übungsstunden vorgesehen. Wenn ein Student allerdings sagt, er möchte tiefer in diese Materie eintauchen, weil es seinem Berufswunsch zugutekommt, oder aus anderen Gründen, kann er außerhalb seines Stundenplans noch weitere Kurse belegen.“

„Die Knights sind reine Krieger“, Crestfall sprach mit fester Stimme weiter, „die sich, zusätzlich zum normalen Unterricht, auf den Kampf mit einer Waffe spezialisieren. Sei es ein Schwert oder ein anderes Werkzeug – ohne tierische Verbündete an ihrer Seite. Sie bilden, wie die Magi, die sich im Gegensatz zu den Knights auf den Kampf mit Magie spezialisieren, den Großteil der Studenten an der Akademie.“

Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr. „Dieser Unterricht wurde eingeführt, um niemanden zu benachteiligen, aber auch, weil das Ministerium festgelegt hat, dass sich jeder Student im Falle eines erneuten Krieges verteidigen können soll. Deshalb ist der Kampf ein wesentlicher Bestandteil des Lehrplans. Ebenso wie die grundlegenden Kenntnisse der Wundversorgung und Heilung kleinerer Wunden. Doch letztlich bleibt es jedem Schüler selbst überlassen, welchen Beruf er ergreifen möchte. Sei es ein handwerklicher Beruf oder eine Karriere in einer Abteilung des Ministeriums. Natürlich hängt vieles auch von den schulischen Leistungen ab.“

Crestfall hielt inne, um Arian Zeit zu geben, das eben Gehörte zu verarbeiten, bevor er weitersprach.

„Du ahnst es womöglich schon. Die Healer sind außerordentlich begabte Elementarmagier, die ihre Kräfte auf die Heilung fokussieren und sich diesem wichtigen Zweig der Magie verschrieben haben.

Zu dieser letzten Gruppe gehören allerdings nur Studenten frühestens ab dem zweiten Lehrjahr. Das liegt daran, dass die Schüler zunächst Zeit brauchen, um ihre eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen. Nur so können sie entscheiden, ob dieser Zweig der Magie wirklich zu ihnen passt. Zudem sind hervorragende Noten im ersten Jahr, besonders in den Fächern wie Alchemie, Runenkunde und Heilkunde, eine Voraussetzung, um von uns für diesen Wechsel zugelassen zu werden.

Insgesamt absolvieren die Hochschüler vier Jahre an der Akademie.“

„Dann wimmelt es an der Schule ja nur so von Tieren, oder? Und was ist mit den Drachen?“ Arian klang neugierig.

Crestfall warf einen kurzen Blick aus dem Kutschenfenster, bevor er antwortete.

„Nicht ganz. Wenn ein magisches Tier seinen Vertrauten wählt, erscheint ein sichtbares Symbol am Handgelenk des Magiers – ein ovaler, glatter Edelstein in einer bestimmten Farbe. Ab diesem Moment kann sich das Wesen dematerialisieren, sodass nur sein Elementarmagier dessen Anwesenheit fühlt. Oder es bleibt sichtbar und kommt, wenn der Magier es zu sich bittet.

Aber natürlich wirst du manchmal einen der Schüler mit seinem Vertrauten im Gebäude sehen, obwohl die Studenten angehalten sind, diese nicht mit durch die Flure zu nehmen. Dennoch drücken wir oft beide Augen zu, solange es zu keinen Zwischenfällen kommt. Es ist nur so, dass es sich bei den Wesen nicht immer um kleine, handliche Tiere handelt. Da können die Gänge schon mal eng werden, wenn sich mehrere der reitfähigen Tiere in einem Flur befinden. Ganz abgesehen davon, dass sie nicht stubenrein sind und einige der Arten sich auch nicht gut miteinander vertragen.

Was die Dracarian, die Drachenwandler betrifft, wie ihre Rasse korrekt bezeichnet wird“, Crestfall seufzte, „so sind die in der Lage, zwischen dem Körper eines Menschen und dem eines Drachen hin und her zu wechseln, wie es ihnen beliebt. Wie andere magische Wesen können auch sie einen Vertrauten erwählen, den sie Reiter nennen. Im Gegensatz zu anderen magischen Bindungen, wie etwa den Tamern, deren Seelentier sich dematerialisiert, wenn er es wünscht, beruht die Verbindung zwischen einem Dracarian und seinem Reiter auf Augenhöhe. Die beiden können in jeder Gestalt telepathisch kommunizieren, so wie wir uns eben unterhalten. Dracarian sind intelligente Wesen wie du und ich.