Blutige Sonette - Lisa Lenardi - E-Book

Blutige Sonette E-Book

Lisa Lenardi

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Beschreibung

Das Villenviertel von Hamburg Bergedorf ist eigentlich eine ruhige Gegend, wenn Frau von Thalheim nicht die kopflose Leiche ihres Nachbarn gefunden hätte. Und warum schreibt der alte Mann kurz vor seiner Hinrichtung ein Sonett? Fest steht, dass er es mit seinem eigenen Blut geschrieben hat. Wer hatte ihn so grausam gequält? Baumann und sein Team tappen lange im Dunkeln, bis ein geheimer Raum sie auf eine neue Fährte lockt. Doch eine Frage stellt sich bis zum Schluss: Was hat dieser grausame Mord mit dem Eiskeller der Bergedorfer Brauerei zu tun ?

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Seitenzahl: 328

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Im Andenken an Onkel.

Lisa Lenardi

Blutige Sonette

Baumanns zweiter Fall

© 2017 Lisa Lenardi

Verlag und Druck: tredition GmbH, Grindelallee

188, 20144 Hamburg ISBN

ISBN

Paperback:

978-3-7345-3507-9

Hardcover:

978-3-7345-3508-6

e-Book:

978-3-7345-3509-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Das Rennen

„Los, mach hin oder willst du dich von den Bullen erwischen lassen?!“ Wütend klappte er das Visier seines Motorradhelms hoch und boxte seinen Freund an die Schulter. Doch der ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und fummelte weiter an der verrosteten Eisentür.

Klack! Es war geschafft. Rainer grinste: „Na, wer ist hier der Profi, he?“ Marcus verdrehte die Augen: „Is ja gut, du Angeber. Noch sind wir nicht drin. Hier, die Taschenlampe.“ Rainer leuchtete die schmale Wendeltreppe hinunter, doch der feine Lichtkegel reichte nicht aus, um die verschmutzten Stufen auch nur annähernd zu erkennen. „Scheiße, ist das dunkel! Da brechen wir uns ja die Gräten, Marcus.“ Sein Freund zog den Helm über den Kopf und lugte vorsichtig hinunter. „Feigling. Da ist doch ein Geländer. Geh langsam und leuchte mehr auf die Stufen.“ Dann setzte er seinen Motorradhelm wieder auf und gab seinem Freund einen Stups.

„Eh, bist du bescheuert? Soll ich hier runterknallen?“ Marcus zog Rainer lachend beiseite, nahm ihm die Taschenlampe aus der Hand und tastete sich langsam nach unten.

Stufe für Stufe wendelte sich die alte Steintreppe in den Keller und die Jungs hatten Mühe in der Dunkelheit dem Unrat auszuweichen. Außerdem war das alte Eisengeländer dermaßen verrostet, dass es bereits abblätterte. Marcus leuchtete konzentriert auf die letzte Treppenstufe und nahm einen großen Schritt.

„Scheiße! Pass auf! Am Ende des Geländers ist was abgebrochen. Ich hab mir die Hand aufgerissen.“

Rainer tastete sich langsam voran, nahm die Taschenlampe und hielt den Lichtstrahl auf die verletzte Hand seines Freundes. „Zeig mal.“ Die Innenseite des linken kleinen Fingers war etwa zwei Zentimeter aufgerissen und blutete stark. Rainer zog ein Tempo aus seiner Hosentasche, faltete es auseinander und wickelte es mehrfach um den verletzten Finger. Marcus grinste: „Danke, Kumpel. Mann, du solltest das Fach wechseln. Einsame Spitze der Verband.“

„Ja, ja. Komm. Ich leuchte uns und du hakst dich bei mir ein. Los.“ Langsam folgten sie dem Lichtstrahl der Taschenlampe.

„Ich glaub, wir sind in einem Quergang. Kuck mal.“ Rainer war stehengeblieben und leuchtete erst nach links und dann nach rechts. Marcus überlegte. „Das kann nicht sein. Wir sind auf dem Hauptgang. Der sah auf dem Plan aus wie ein Hufeisen. Wir stehen jetzt genau an der Stirnseite. Wenn wir nach rechts gehen, kommen wir auf die gerade Strecke.“ Rainer überlegte. „Nee, wir müssen nach links, sonst landen wir am Ausgangstor. Das kriege ich von innen aber nicht auf. Die Sensoren kann ich nur am Eingangstor manipulieren.“ Marcus hob den Daumen und folgte seinem Freund auf die linke Seite.

Bereits nach einigen Schritten blieb er wieder stehen. „Das könne wir vergessen, Rainer. Die Funzel hat gereicht, um meine Wunde auszuleuchten, aber nicht dieses riesige Kellergewölbe hier. Die einzige Chance, die wir haben, ist die Wand. Wenn wir die erreichen, gehen wir einfach entlang.“

Das Grinsen seines Freundes konnte er in der Dunkelheit natürlich nicht sehen, aber den zweiten Lichtkegel sofort. Rainer hatte sein Handy aus der Tasche gezogen, die Taschenlampen- App gestartet und es wurde heller.

„Krass, Alter.“, schwärmte Marcus. „Die zieh ich mir auch runter. Bei mir habe ich nur die Standardfunzel drauf. Gib her. Dann nehme ich jetzt die Taschenlampe.“

Auch wenn es nun schneller voranging, so schien der Gewölbegang kein Ende zu nehmen. Rainer leuchtete abwechselnd links und rechts in die Quergewölbe, um sich zu orientieren. Er wusste, dass die ersten drei als Parkgaragen genutzt wurden und es dann bis zum Eingangstor nicht mehr weit sein konnte. Endlich sah er rechts die ersten Autos und konnte auch schon das riesige Eisengitter erahnen.

Plötzlich wurde es hell. Ein BMW fuhr auf das Eingangstor zu. Schnell zog Rainer seinen Freund hinter einen Pfeiler. „Super.“, flüsterte er. „Das ist ja noch besser. Bleib hier stehen und schau einem Genie bei der Arbeit zu.“ Marcus blickte seinem Freund verdutzt hinterher.

Das Rolltor war jetzt ganz geöffnet und der BMW fuhr langsam in den Kellergang. Als das Heck des Autos die Sensoren streifte, setzte sich das Tor wieder in Bewegung. Blitzschnell schob Rainer einen Stapel Steine vor die Lichtschranke und es blieb stehen. Sofort schlich er sich wieder zurück hinter den Pfeiler und beobachtete den älteren Mann, wie er sich aus seinem Autositz quälte. Er öffnete den Kofferraum und hob eine Tüte nach der anderen heraus. Marcus wurde unruhig. „Mann, hat der für ein ganzes Altersheim eingekauft?“ Sein Freund hielt ihm den Mund zu: „Pst, sei leise. Der kann uns vielleicht hören.“ Marcus tippte seinen Zeigefinger mehrfach an die Stirn. „Mann, du bist ja schlimmer als Liane. Die is auch sonne Bangbüx.“

Rainer sah ihn fragend an, konzentrierte sich dann aber wieder auf den älteren Herrn. Der hatte inzwischen begonnen, seine Einkäufe in den Hackenporsche zu bugsieren. Also hieß es weiterhin warten. Endlich steuerte er dem Ausgang entgegen. Als die Eisentür scheppernd zuknallte, wagten die Jungs sich aus ihrem Versteck.

Marcus hatte schon die ganze Zeit aufgeregt mit einem Knie gewippt und war jetzt nicht mehr zu bremsen: „Die Luft ist rein. Komm, wir holen die Maschinen.“ Rainer überlegte laut: „Und wenn wieder einer kommt?“

„Das ist nicht dein Ernst?! Du bist ja real ne Bangbüx!“ Rainer sah ihn fragend an: „Was is `n das?“ „Das is `n Schisser. Das sagt mein Opa immer. Komm jetzt endlich!“ Dann klopfte er auffordernd auf seinen Motorradhelm und zog seinen Freund mit ins Freie. Vorsichtig schoben sie die Motorräder unter dem Rolltor hindurch. Rainer startete als erster und erleuchtete mit dem Scheinwerfer das dunkle Gewölbe. „Wow, das is ja riesig, Marcus! Schau mal!“

Der Freund war begeistert und drückte jetzt auch den Startknopf seiner Maschine. Dann gab er Gas und raste davon. Der Widerhall war gigantisch. Rainer blieb einen Moment stehen und genoss die Bässe. Dann startete er ebenfalls durch. Als er am Ende des Hufeisens links einbog, kam ihm Marcus bereits entgegengerast. Er gab noch einmal Gas und ließ die Bässe hinter sich. Das Kellergewölbe verstärkte das Getöse der Motoren und jedes Mal, wenn Rainer und Marcus sich begegneten, verdoppelte sich der Schall zu einem gigantischen Donner.

Doch plötzlich hatte Rainer seinen Freund aus den Augen verloren. Er bog langsam in den letzten Quergewölbegang und gab Gas. Wie aus dem Nichts schoss Marcus direkt auf ihn zu.

Rainer riss die Maschine herum und schrie: „Bist du irre?!“ Er war durch eine offene Tür gerast und stand. Er hörte sein Herz klopfen und seine Hände umklammerten krampfhaft den Lenker. Nach und nach nahm er die Umgebung wahr und schaute sich vorsichtig um. Er stand in einem weiß gekachelten Raum. Vorsichtig stieg er vom Motorrad, zog die Taschenlampe aus seiner Lederjacke und machte die Zündung aus. Er starrte immer noch wie gebannt auf die Krankenhausfliesen. Dann besann er sich und schaltete die Taschenlampe ein. Rainer ließ ihren Lichtkegel von Wand zu Wand wandern. Komischer Raum, dachte er, sieht aus wie eine Waschküche oder ein Schlachthof. Bei dem letzten Gedanken wurde ihm mulmig und er erschrak als er die Stimme seines Freundes hörte.

„Rainer, wo bist du, Mann? Mach kein Scheiß!“ Marcus kam im Schneckentempo den Hauptgang hinuntergefahren. Doch Rainer hatte sich bereits in eine Ecke der Waschküche verkrochen und die Taschenlampe ausgeschaltet. „Mann, Alter! Gib doch mal `n Zeichen!“ Doch der dachte nicht daran, sich bemerkbar zu machen und ließ ihn schmoren. Doch als er merkte, dass Marcus bereits zu Fuß unterwegs war und sich echte Sorgen um ihn machte, kam er aus seinem Versteck und grinste. Sein Freund rannte auf ihn zu. „Verdammt, wo warst du denn?“ Rainer sagte trocken: „Hab mich mal umgesehen. Wird doch wohl erlaubt sein, oder? Hast wohl kalte Füße gekriegt, was? Hättest mich fast über den Haufen gefahren, du Vollidiot!“ Marcus verstand: „Is ja gut, Mann. Lass uns noch ne Runde drehen, o.k.?“ Rainer nickte und holte seine Maschine aus der Waschküche.

Sie starteten zusammen Richtung Ausgangstor und fuhren um die Wette. Doch das Ende des langen Hauptganges war schnell erreicht. Also bog Rainer bereits vorher ab und gab wieder Gas.

„Shit!“, brüllte er, doch da war es schon zu spät. Er konnte dem Steinhaufen zwar noch ausweichen, aber nicht mehr der Wand. „Nicht schon wieder. Dieser Keller bringt nur Unglück. War eh ne scheiß Idee von Marcus.“, brummte er wütend.

Als erstes begutachtete er seine Maschine und war froh, dass außer einigen kleineren Kratzern nichts beschädigt war. Dann kam auch Marcus angefahren und bockte seine Maschine neben ihm auf. „Daran hab ich jetzt aber nicht schuld, Kumpel. Ist die Karre heil?“ Rainer nickte und Marcus kam auf ihn zu: „Komm, wir…“ Irgendetwas irritierte ihn und er starrte wie gebannt auf die Wand. „Eh. Was ist denn das?“

Die Bangbüx drehte sich langsam um. „Das Loch oder was meinst du?“ Marcus richtete den Scheinwerfer seines Motorrades auf die offene Wand und kam näher. „Da. Bist du blind, Mann? Da ist doch was hinter. Sieht aus wie ein Kartoffelsack oder so was.“ Er zog Rainer an seiner Jacke nach unten. „Da, du Blindschleiche.“ Doch der zuckte nur mit den Schultern. Marcus hingegen machte sich gleich an die Arbeit und löste sofort einige der roten Backsteine.

„Wow! Sieh mal.“ Vor ihnen lag tatsächlich ein riesiger Sack. Rainer kam einen Schritt näher. „Jetzt wird`s spannend!“ Dann zeigte er auf ein dickes Seil. „Fest verknotet. Da wollte wohl einer seine Beute besonders gut sichern. Ist ihm aber nicht gelungen. Komm, lass uns den Sack aufmachen!“ Marcus lachte: „Bist ja doch keine Bangbüx, Mann.“ Sein Freund winkte nur ab, holte die Taschenlampe hervor und leuchtete hinter die Wand. Marcus griff nach rechts und versuchte den Sack etwas zu drehen. „Scheiße, der is real schwer.“ Dann kam ihm ein Gedanke. „Eh, was is, wenn da ne Leiche drin is?“ Rainer lachte: „Wie war das mit Bangbüx?“ Marcus zog seine Stirn in Falten, griff sich wütend den Sack und zerrte mit Leibeskräften. Nichts. Stöhnend ließ sich der Sackzieher auf den Boden fallen. Rainer schmunzelte: „Na los, Kumpel. Noch einmal mit vereinten Kräften.“ Er klopfte Marcus aufmunternd auf die Schulter. Der stand auf und schlug vor bis drei zu zählen und den Sack dann mit einem Ruck aus dem Versteck zu ziehen. Sein Freund war einverstanden und so umfassten beide das zugeknotete Ende.

„Ein, zwei, drei…aaah!“

Die Kraftprotze landeten unsanft auf dem Boden. Marcus hatte das abgerissene Ende des Sackes in der Hand und Rainer fing laut an zu lachen.

Doch sein Freund sprang wütend auf und klopfte sich den Staub von den Designerjeans.

Rainer lachte immer noch als aufstand: „Sei froh, dass keine Leiche drin war, sonst würdest du jetzt mit einem Gerippe kuscheln.“ Das fand der Leichenkuschler gar nicht witzig und schrie ihn an: „Mann, du Arsch! Die Hosen sind neu!“ Rainer hörte auf zu lachen und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Die kriegst du doch wieder hin oder die Waschmaschine.“ Der Jeansliebhaber winkte wütend ab und zeigte auf den aufgerissenen Sack.

Aber was war das? Eine Kiste? Nein, eher eine Truhe, eine sehr alte Truhe. Die Freunde gingen näher an das Objekt heran und Marcus schob den Sack ganz nach hinten. Vorsichtig strich er über den schwarzbraunen Deckel. „Das ist Nussbaumholz.“ Sein Freund sah ihn fragend an. „Woher weißt du denn das?“ Marcus grinste. „Mein Opa restauriert alte Möbel. Das Teil ist garantiert alt. Da. Siehst du die Schnitzereien ringsherum. Wow. Kuck mal, ein geschnitztes Wappen. Wahnsinn, Rainer.“

Der rollte nur mit den Augen. „Mann, du Kunstexperte. Ich will wissen, ob da noch was drin ist. Da ist kein Schloss vor und ein Schlüsselloch sehe ich auch nicht. Leuchte mal. Doch, da ist ein Schlüsselloch, unter dem Adler, aber kein Schlüssel.“

Vorsichtig drückte Rainer den Deckel nach oben und merkte, dass die Truhe nicht verschlossen war. Enttäuscht drehte er sich um: „Nichts drin, außer Staub.“ Markus schien nicht enttäuscht zu sein, holte sein Handy aus der Designerjeans und machte einige Fotos von der Nussbaumtruhe. „Die muss ich unbedingt meinem Großvater zeigen. Wenn das Teil was wert ist, hole ich die hier raus.“

Rainer tippte sich an die Stirn. „Wie willst du die hier rauskriegen? Die ist sauschwer.“ Der Kunstexperte zuckte nur mit den Schultern und machte weitere Fotos.

Rainer schüttelte den Kopf und wurde langsam unruhig: „Und wo willst du die Truhe bis dahin verstecken? Das fällt doch morgen schon den ersten auf.“ Marcus schüttelte den Kopf. „Aber hier hinten parkt doch keiner. Wir sind im letzten Quergang.“ Rainer überlegte. Marcus könnte Recht haben. „O.k., dann schieben wir sie wieder hinter die Wand und stellen die Steine davor.“ Rainer ging auf das Loch zu und begann die losen Steine beiseite zu räumen. „Shit!“ Er sprang angeekelt zurück und sein Freund kam näher: „Was?“ Rainer wandte sich ab. „Schau rein! Da hast du deine Leiche.“

Marcus sah ihn erschrocken an, beugte sich nach vorn und beleuchtete den Fund genauer. Er grinste. „Naja wenigstens ein Teil davon.“ Jetzt wagte auch Rainer einen zweiten Blick und beäugte das Fundstück näher. „Der liegt aber schon länger hier.“

Marcus war inzwischen zu seinem Motorrad gegangen und kam mit seinen Handschuhen zurück. Rainer sah ihn fragend an. „Du willst doch nicht etwa…?“ Sein Freund nickte, zog seine Handschuhe an, beugt sich zum Totenschädel hinunter und hob ihn vorsichtig aus seinem Versteck. Langsam drehte er ihn hin und her und betrachtete den Fund von allen Seiten. Rainer war angewidert. „Leg das Teil wieder rein. Was willst du damit? Der liegt hier schon ewig.“

Marcus griente. „Sag ich doch, Bangbüx.“

Jetzt wurde Rainer richtig sauer: „Bangbüx, Bangbüx. Haste nich Mal was Anderes auf Lager. Komm jetzt und leg das Teil da wieder rein!“

Doch Marcus ignorierte sein Toben und fragte nur: „Hat dein IPhone noch Power?“ Rainer verstand nicht. „Mann, ich will doch bloß ein Foto mit meinem Freund hier, verstehste?“ Rainer tippte einige Male mit seinem Zeigefinger an die Stirn. „Jetzt drehst du völlig ab, was? Du hast doch nen Knall, Marcus! …schon mal was von Totenruhe gehört?“

Doch der Leichenkuschler griente ihn nur an: „Du bist mir ja `n Spezialist. Totenruhe? Sind wir hier etwa auf dem Friedhof? Mann, der is eindeutig geköpft worden. Sieh dir mal die Wirbel hier an.“ Dann drehte er den Schädel so, dass Rainer auf den sauber durchtrennten Teil der restlichen Wirbelsäule sehen konnte. Doch der wendete sich angewidert ab. Marcus verdrehte die Augen und lachte: „Willst du nicht Medizin studieren? Na, das wird wohl nix.“ Als Rainer immer noch nicht reagierte, versuchte er es ein zweites Mal: „Mann, sei kein Frosch, ein Foto. Mein Akku is gleich leer.“

Endlich drehte die Bangbüx sich wieder um und sah den auffordernden Blick seines Freundes. Also holte er sein iPhone aus der Jackentasche und tat ihm den Gefallen.

„So, jetzt aber raus hier.“ Marcus reagierte nicht und nahm ihm das Telefon aus der Hand. „Ich mache noch eins von der Truhe, bevor wir sie wieder verstecken.“ Rainer war genervt. „Du hast doch schon welche.“ Aber sein Freund reagierte gar nicht darauf und streckte ihm den Schädel entgegen: „Hier, halt mal kurz.“ Rainer wich zurück. „Vergiss es! Das ist dein Freund, nicht meiner!“ Marcus lachte und legte den Schädel in den Sack zur Truhe. Dann bugsierten sie alles wieder hinter die Wand und schlossen das Loch mit den losen Steinen.

Es war bereits nach Mitternacht als die Einbrecher den Bergedorfer Eiskeller verließen und Rainer war heilfroh, dass er wieder im Freien war.

Eines wussten sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht; den Totenschädel würde ihnen noch viel Ärger einbringen.

Frühlingsgefühle

„Ist das nicht schön, Klaus?“ Viviana legte sanft ihre Hand auf Baumanns Schulter und goss ihm Kaffee nach. Sie freute sich sehr darüber, dass Klaus ihre Einladung zum Frühstück angenommen hatte.

Die Brötchen waren bereits verzehrt und die Sonnenstrahlen ließen die Butter schon dahinschmelzen. Baumann amüsierte sich darüber: „Kick mal, die Butter können wir gleich schlürfen.“ Vivi lachte und boxte ihrem Chef im Vorbeigehen an die Schulter. Doch weit kam sie nicht. Klaus fasste sie ruckartig um die Hüften und zog sie auf seinen Schoß. Vivi juchte auf: „Klaus, die Kanne!“

Vorsichtig nahm er ihr den Kaffee ab und stellt ihn auf den Tisch. Mit der anderen Hand hielt er sie immer noch fest und lächelte sie verlegen an: „Danke für die Einladung. Dat war wirklich ne klasse Idee, ist sehr schön bei dir, Vivi.“

Darauf war sie nicht gefasst und wurde rot. So kannte sie ihren Chef gar nicht. Sie nahm all ihren Mut zusammen und küsste ihn sanft auf die Wange. Jetzt wurde er rot und Vivi kicherte. „Wat is?“, bollerte er los, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. „Du weißt schon, was.“ Vivi knuffte ihn zärtlich in die Seite und startete einen zweiten Angriff. Diesmal landeten ihre Lippen allerdings auf seinen und ihr Herz klopfte bis zum Hals. Klaus ließ es zu und war insgeheim froh darüber. Seine Knie zitterten und er traute sich nicht, ihr in die Augen zu sehen. Als sich Vivi von ihm löste, begegneten sich jedoch ihre Blicke und er konnte ihre schönen blauen Augen bewundern. Sie waren das erste, was Klaus an Viviana aufgefallen war.

Ruckartig stand sie auf und lächelte ihn an: „Ein Glas Sekt?“ Klaus war immer noch seiner Welt entrückt und zuckte zusammen. „Wat? Ich meine, was hast du gesagt?“ Vivi lachte: „Ob du ein Glas Sekt mit mir trinken möchtest, Klaus?“

„Wat, so früh?“ Vivi küsste ihn auf die Nase und flüsterte: „Gerade jetzt.“ Dann verschwand sie ins Wohnzimmer und Klaus wurde schlagartig mulmig in der Magengegend. Als sie nach zehn Minuten immer noch nicht zurückgekommen war, wurde er noch unruhiger und lugte vorsichtig in die Stube. Vivi war spurlos verschwunden. Bei ihrem Temperament konnte er sich jetzt auf alles gefasst machen. Nein, dachte er. Nur nicht das!

Gerade als er aufstehen wollte, um sie zu suchen, kam Viviana aus der Küche. Sie stolziert ihm mit einem silbernen Tablett entgegen und lächelte bereits von weitem. „Überraschung!“, rief sie und betrat strahlend den kleinen Balkon. Vorsichtig stellte sie eine Flasche Sekt und eine große Schale Erdbeeren auf den kleinen Tisch und räumte gleich das schmutzige Geschirr ab. Baumann freute sich, sie wieder an seiner Seite zu haben. Dann konnte sie wenigstens keine Dummheiten machen. Doch seine Befürchtungen wurden wahr, als Vivi sich wieder umdrehte und den Balkon verließ. „Bin gleich wieder daha.“, flötete sie und war bereits aus seinem Blickfeld verschwunden.

Klaus saß unruhig in dem großen Klappstuhl und wartete auf ihre Wiederkehr. Nach fünf Minuten wurde ihm warm, nach weiteren fünf Minuten heiß und als sie nach fünfzehn Minuten immer noch nicht in Sicht war bekam Klaus Schweißausbrüche. Er überlegte gerade, ob er sich einfach davonschleichen sollte, aber da stand sie schon neben ihm.

Vorsichtig schaute er zu ihr hoch und ein erleichtertes Lächeln huschte über seine Lippen. Sie hatte sich ein kurzes Sommerkleid angezogen und roch sehr gut nach frischem Obst und zartem Blumenduft.

„Wieso hast du denn die Flasche noch gar nicht geöffnet?!“ Klaus war mit seinen Gedanken noch bei dieser wundervollen Frau und verstand gerade gar nichts. Er lächelte.

Viviana küsste ihn auf die Nasenspitze: „Hallo! Vivi an Klahaus! Machst du uns bitte die Sektflasche auf.“

Jetzt war er wieder im Hier, griff sich die Flasche und schüttelte sie kurz, aber heftig.

Vivi sah ihn entsetzt an. „Was soll denn das?“ Klaus lachte laut auf: „Wenn schon, denn schon! Dann lassen wir es richtig knallen oder?“ Jetzt musste sie auch lachen, ging aber vorsichtshalber einen Schritt zurück. „O.k., fang an.“

Klaus drehte den Korken vorsichtig aus dem Flaschenhals, ließ ihn dann über die Balkonbrüstung knallen und der Schaum spritzte in alle Richtungen. Viviana juchzte auf und reichte ihm ein Handtuch, das sie vorsorglich mitgebracht hatte. Klaus schenkte ein.

Sie griff sich ein Glas und setzte sich auf seinen Schoß. „Ich freue mich übrigens sehr, dass du meine Einladung angenommen hast.“ Klaus strahlte: „Auf dich.“ Vivi lächelte: „Nein, Klaus. Auf uns.“

Es war bereits zwölf, als Klaus das erste Mal auf seine Uhr schaute. Die Stunden mit Vivi waren wie im Fluge vergangen. So einen glücklichen Vormittag hatte er seit langem nicht erlebt. Er genoss jede Minute mit dieser quirligen Frau und musste ihr immer wieder in ihre wunderschönen blauen Augen sehen. In den letzten Monaten hatte Klaus noch sein schlechtes Gewissen gepflegt und sich nicht getraut, auf eine neue Beziehung zu hoffen. Aber als sein Freund Achim ihm ständig von dessen neuen Liebe vorgeschwärmt hatte, wurde er nachdenklich. Schließlich war Lena diejenige, die ihm geraten hatte sein Privatleben wieder in die eigenen Hände zu nehmen und ihm erklärte, dass Karin das auch gewollt hätte.

Als Vivi ihre warme Hand in seine legte, wachte er aus seinen Tagträumen auf und blickte in ihr wunderschönes Gesicht. Doch dann durchzuckte ihn ein sonderbarer Gedanke und er musste sie einfach fragen: „Dat wird hier aber nich nur son Strohfeuer oder?“ Vivis Augen füllten sich augenblicklich mit Tränen und sie sprang auf. Baumann griff schnell nach ihrer Hand und wusste im selben Augenblick, dass seine Frage unnötig gewesen war. „Entschuldige. Ick bin mal wieder ein Trampel. Ick will nur sicher sein….ick meine.“ Sie legte ihre Hand auf seinen Mund und schluckte ihre Tränen hinunter. Dann holte sie tief Luft, ehe sie antwortete: „Mir ist fast das Herz stehengeblieben, als du das Kommissariat betreten hast und ich habe mich mit jedem Tag mehr in dich verliebt. Aber ich wusste, dass du Zeit brauchst und habe gewartet. Und?“ Sie kniete sich vor ihn hin und sah ihn erwartungsvoll an. Klaus hatte Mühe den Kloß aus seinem Hals zu vertreiben. „Ich, ich weiß es auch schon ziemlich lange…“, stotterte er.

Vivi kniete immer noch vor ihm und amüsierte sich über sein Hochdeutsch. „Was weißt du, Klaus?“ Er traute sich nicht zu antworten und zog sie einfach auf seinen breiten Schoß. „Du weißt doch…“ Vivi blieb stur. „Was?“ Klaus druckste herum und wollte sie küssen, doch Vivi zog ihren Kopf zurück: „Was weißt du schon lange? Nun sag schon.“ Er atmete tief durch: „…dass ich dich liebe.“ Dann gab er ihr einen Kuss.

Viviana amüsierte sich über ihren schüchternen Brummbären und drückte sich fest an seine Brust. Sie hörte sein Herz rasen und küsste ihn zärtlich auf den Hals. Klaus zuckte zusammen. Das waren zu viele Zärtlichkeiten auf einmal und er zog sich ein wenig zurück. Vivi lächelte ihn an und strich über seine schönen, dichten Haare. „Wir haben Zeit. Ich genieße einfach jede Minute mit dir. Wir haben Zeit.“ Dann hörte sie die Steine purzeln, die Klaus vom Herzen fielen und lachte kurz auf. Er begriff und zwickte sie in den Po.

Bis zum Abend hatten sie ihre Lebensgeschichten ausgetauscht und über einige Episoden herzhaft gelacht. Vivi hatte noch eine Flasche Sekt geöffnet, diesmal ohne Knall und Klaus wurde es nicht langweilig, ihr zuzuhören. Schließlich knurrte ihnen aber der Magen und er lud sie zum Abendessen ein. Da Vivi mal wieder das Restaurant aussuchen durfte, landeten sie zu später Stunde bei ihrem Lieblingsitaliener. Klaus bestellte sich natürlich ein saftiges Steak, entschied sich aber für einen Salat als Beilage, was Vivi mit einem zustimmenden Lächeln belohnte. Sie schloss sich ihrem Liebsten an und bestellte dazu eine Flasche Merlot.

„Wenn wir die getrunken haben, bin ick anjeschwipst.“ Klaus wackelte mit dem Kopf und grinste. Vivi legte ihre Hand auf seine. „Vielleicht will ich das ja…“ Als sie Klaus entsetztes Gesicht sah, fing sie laut an zu lachen.

Um Mitternacht standen sie vor Baumanns Haustür, denn Viviana hatte darauf bestanden, ihn nach Hause zu bringen. Am liebsten wäre sie natürlich bei ihm geblieben, morgen war ja schließlich Sonntag. Aber sie hatte ihm versprochen, Babyschritte zu gehen und wollte ihn nicht weiter bedrängen. Als sie sich nach dem letzten langen Kuss von ihm trennen wollte, hielt er sie jedoch zurück. Vivi schaute ihn fragend an.

Klaus küsste sie noch einmal und fragte dann vorsichtig: „Liebling, würdest du heute gern bei mir schlafen?“ Sie verstand: „Aha, bei dir.“ Dann schob sie ihn rückwärts in den Hausflur und dachte, na wir werden ja sehen.

Böse Vorahnung

Dieser Montagmorgen war pures Licht. Hamburg strahlte und Baumann auch. Hand in Hand wanderten Vivi und er die Alsterdorferstrasse hinunter und begrüßten auf dem Weg zur Arbeit jeden Hamburger Mülleimer.

Als sie kichernd das Büro betraten, war allen klar, Vivi und Klaus sind endlich ein Paar. Lena zwinkerte beiden zu. Baumann senkte beschämt den Kopf, ging sofort in sein Aquarium und versteckte sich hinter dem großen Schreibtisch.

Lena lockte ihre Freundin in die Küche, um sie auszufragen und Vivi folgte ihr. Als sie immer noch kaffeetrinkend an der Tür standen, wurde Baumann wütend. Er hatte die Damen schon eine Weile beobachtet und bei aller Liebe, das konnte er nicht durchgehen lassen. „Ick finde, dat reicht jetzt, ihr Schnattergänse.“ Die Frauen zuckten zusammen und liefen schweigend zu ihren Schreibtischen.

Baumann hatte sich gerade wieder gesetzt, als sein Telefon läutete. „Baumann…Ja, am Apparat. Wat is?...Langsam, Gnädigste, ganz langsam…ja, ich höre…hm…hm…Dat hat noch gar nichts zu sagen…hm…verstehe. Gut kommen sie bitte zu uns…am besten gleich.“ Klaus lehnte sich grübelnd zurück und starrte die Tür an. Die Frau war ihm eine Spur zu hysterisch gewesen, aber er wischte den Gedanken gleich wieder beiseite und wartete auf ihr Eintreffen.

Vivi betrat sein Büro und schenkte ihm noch einen schnellen Luftkuss. Er zwinkerte ihr zu. Dann trat sie näher an seinen Schreibtisch: „Klaus, hier ist eine Dame für dich. Mein Gott, ist die aufgeregt.“ Klaus nickte nur: „Ick weiß, rein mit ihr.“

Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, als sich die gut gekleidete Dame an Vivi vorbeidrängte. Ihre schwarze Mähne hatte sie beim Eintreten nach hinten geschleudert und ihre rotgeschminkten Lippen zitterten: „Herr Hauptkommissar, sie müssen den Wahnsinnigen finden.“ Dann begann sie zu weinen und Klaus sah sie besorgt an. „Setzen sie sich doch, Gnädigste.“ Sie ließ sich auf den Besucherstuhl fallen und Klaus hielt ihr sofort seine Taschentuchbox unter die Nase. „Bitte. Nu erzählen se erst Mal, allet schön nacheinander.“ Baumann stellte die Box auf den Tisch zurück und fiel dabei fast in ihr Dekolletee. Nervös versuchte er seinen Blick auf den Kugelschreiber in seiner Hand zu lenken und wartete auf eine Antwort. Doch die Dame mit dem Riesenbusen schluchzte immer noch.

Dann holte sie tief Luft und begann: „Also, unsere Zuri hat den hier auf unserer Terrasse gefunden.“ Damit reichte sie Baumann ein Blatt Papier, das sie vorsorglich in eine Tüte gesteckt hatte. Er nahm ihr das Beweisstück ab und versuchte die Zeile zu lesen. Doch er verstand nicht. Er legte den Brief erst einmal beiseite und hörte weiter zu. „Also, Gnädigste, dann erzählen sie mal weiter.“

Die attraktive Dame stutzte: „Wollen sie gar nicht wissen, was da steht?!“ Als Baumann nicht reagierte, sprach sie weiter: „Der Brief da war mit einem Nagel an den Pavillon fixiert. Unsere Zuri hat jetzt solche Angst, dass sie uns am Liebsten verlassen will?“ Baumann begriff. Egal, jetzt musste er zunächst wissen, was auf dem Papier stand. „Gnädigste, wenn ick sie richtig verstehe, wissen sie was da steht, richtig?“ Sie nickte und flüsterte:

„Se morirai, sara per sua mano, non per la mia.“

Baumann verdrehte die Augen. „Auf Deutsch, Gnädigste, auf Deutsch, bitte.“ Sie sah ihn vorwurfsvoll an, lehnte sich zurück und übersetzte:

„Wenn du stirbst, ist es durch seine Hand, nicht meine.“

Klaus wurde nachdenklich und konnte die Ängste der Dame sofort verstehen. Seit dem letzten Fall nahm er alle Hinweise doppelt ernst.

„Verstehe…Was glauben sie, wer gemeint sein könnte?“

Tränen liefen ihr über die Wangen und ihre dunklen Augen sahen ihn erschrocken an. „Ich glaube mein Mann, aber der hat nur gelacht. Er meinte, das war ein Spinner. Ich finde das nicht lustig und Zuri kommt jetzt auch nicht mehr.“ Baumann stutzte, der Name fiel jetzt schon das dritte Mal. Also hakte er nach: „Wer ist eigentlich Zuri?“ Die Dame fing an zu schluchzen: „Na, unsere Haushälterin, unsere Perle. Wer soll denn jetzt die Villa versorgen?“ Sie warf ihren Kopf in den Nacken. „Ich nicht. Wann soll ich das denn noch machen?!“

Aha, dachte Baumann, die oberen Zehntausend. Er musste schmunzeln, widmete sich aber gleich wieder der aufgeregten Dame. „Also, Gnädigste, meine Kollegin nimmt jetzt erst einmal ihre Daten auf, Personalien und so weiter und dann reden wir noch einmal.“ Damit griff er den Telefonhörer und bat Vivi, den Gast abzuholen.

Als Baumann wieder allein war, rief er Lena zu sich und umriss kurz das Thema. Die junge Kommissarin drehte sich eine Haarsträhne um den Zeigefinger und überlegte. Klaus beobachtete sie und wartete auf eine Antwort.

„Also, das Italienisch macht mich schon stutzig. Ich glaube nicht an einen Scherz. Lass uns zur Villa fahren und nach Hinweisen suchen. Wir nehmen Tanner mit. Der soll eventuelle Spuren am Pavillon sichern. Das kann nicht schaden.“ Baumann grinste: „Dat wollte ick hören. Ganz meiner Meinung, Klette!“

Frau Sommer war ganz erstaunt, dass Baumann ihre Angst wirklich ernst nahm. „Man hört ja so Einiges von der Polizei, leider nicht immer Gutes. Sie sind da wohl die rühmliche Ausnahme, Herr Kriminalhauptkommissar.“

Klaus schenkte ihr ein gequältes Lächeln und wies ihr den Weg zur Tür.

Lena hatte Paul Tanner bereits informiert und war schon unterwegs Richtung KTU. Als erstes drückte sie ihm die ominöse Nachricht in die Hand und bat ihn, wie immer, um eine schnelle Analyse. Paul grinste: „Ich habe nichts Anderes von dir erwartet, Lena.“ Sie boxte ihn leicht auf den Oberarm: „Dann auf zum Tatort. Komm, ich nehm dich mit.“ Paul stutzte: „Tatort?“ Dann schaute er auf den Zettel in seiner Hand. „Also hier steht, wenn du stirbst, also is doch noch niemand tot, oder?“

Ihre Mandelaugen wurden plötzlich weit: „Du kannst Italienisch?“ Paul nickte lächelnd. „Klaus hat es mir vorhin kurz gesagt, aber ich hab es schon wieder vergessen. Kannst du mir noch mal den Satz ins Deutsche übersetzen, bitte.“

Ihr Kollege holte tief Luft: „Wenn du stirbst, ist es durch seine Hand, nicht meine.“

Lena sah nachdenklich nach unten: „Da liegt was in der Luft, Tanner. Ich habe das Gefühl, dass das keine leere Drohung bleibt und glaub mir, mit Briefen und Vorahnungen hatte ich im letzten Jahr mehr als genug zu tun.“ Tanner lachte kurz auf: „Ja, die 21 Briefe haben uns alle ganz schön in Schach gehalten. Aber jetzt sollten wir los. Klaus wartet bestimmt schon.“

Baumann hatte sich gerade von Frau Sommer verabschiedet als Lena und Tanner auf den Dienstwagen zusteuerten. Also ging er ihnen entgegen. „Dat is doch schon wieder so eine Millionentussi uf Stelzen, ne, Lena?“

Die Kommissarin musste lachen: „Du meinst so wie Greta von Asmussen oder, um es mit deinen Worten zu sagen, die Direktorentrulla, ne?“ Jetzt fingen alle an zu lachen.

Mittlerweile kannte jeder im Team den außergewöhnlichen Sprachgebrauch von Hauptkommissar Klaus Baumann und alle wussten, wie sie seine Gefühlsausbrüche einzuordnen hatten. Und mit den Herrschaften der oberen Zehntausend hatte Baumann eben so seine Probleme.

Schließlich stiegen sie in den Dienstwagen und fuhren zu Frau Sommer.

Das Villenviertel Bergedorf hatte seinen Namen zurecht. Lena konnte sich gar nicht satt sehen an den säulengetragenen Vorbauten und den unterschiedlichen Bauformen. Hier schien jeder den anderen überbieten zu wollen. Leider waren einige Grundstücke nicht einsehbar, man wollte sich wohl vor fremden Blicken schützen und die alten Laubbäume längs der Von-Anckeln-Straße machten ihre Sache als Sichtschutz ganz gut. Doch als sie in die nächste Straße einbogen war das anders. Hier schienen die Besitzer ihr Anwesen bewusst präsentieren zu wollen, auch Familie Sommer. Die Gründerzeitvilla im Reinbeker Weg Nummer 21, mit ihrem prachtvollen Erker und säulenumrahmten Fenstern, strahlte bereits von weitem in einem zarten creme. Klassizistische Stuckelemente gaben diesem Prachtstück etwas Hochherrschaftliches, dass man nicht übersehen konnte. Entlang der Straßenfront zog sich eine niedrigen Hecke und man hatte einen wundervollen Blick auf den Vorgarten.

Als Klaus ausgestiegen war, zog ihn jedoch etwas ganz Anderes magisch an. Lena sah ihm verdutzt hinterher als er plötzlich schräg über die Kreuzung ging. Und dann erblickte auch sie ihn, Baumanns Liebling. Seit er in Hamburg war hatte er die roten Mülleimer in sein Herz geschlossen. Mittlerweile fotografierte er jeden und notierte sich den Ort der Aufstellung. So war es auch heute. „Lena, hast mal `n Füller?“, rief er ihr zu. Lena schüttelte den Kopf und rief zurück: „Nein, nur einen Kuli.“ Baumann wechselte laut lachend die Straßenseite und kam schnellen Schrittes auf seine Kollegin zu. Sein Lachen hallte ihr entgegen und sie war gespannt auf die Auflösung. Klaus drehte ihr sein Handy zu und sie las: „Ich wünsche mir einen Füller.“ Jetzt fing auch sie an zu lachen. „Du und deine Hamburger Mülleimer. Komm jetzt, Paul wartet schon vorm Eingang.“

Eine dunkelhaarige Schönheit öffnete und sogleich hatten sie Einblick auf eine Welt im Überfluss. Weiße Statuen schauten auf sie herab und über ihnen prangte ein riesiger, goldener Kronleuchter.

„Treten sie näher. Frau Sommer empfängt sie in der Bibliothek. Was darf ich ihnen anbieten? Tee? Kaffee?“ Lena war so überwältigt, dass sie die Frage gar nicht gehört hatte. Klaus stieß sie an. Als sie immer noch nicht reagierte, antwortete er: „Tee, bitte, für uns alle.“ Das nette Fräulein im schwarzen Minikleid lächelte: „Und was wünschen sie? Assam? Earl Grey? Oder bevorzugen sie eine andere Sorte?“ Jetzt war Baumann völlig überfordert und stieß Lena erneut an. „Ja. Was ist?“ Klaus räusperte sich und wandte sich gekonnt ab. Die nette Dame in schwarz war so freundlich und wiederholte ihre Frage. Man entschied sich für Earl Grey und so wurden sie endlich in die Bibliothek geführt.

„Herr Kriminalhauptkommissar, schön, dass sie hier sind. Sehen sie mal.“ Zitternd hielt sie ihm die Tüte mit einer weiteren Nachricht entgegen. Paul Tanner kam ihm zuvor und wollte ihr das Beweisstück abnehmen. Doch Frau Sommer zog die Tüte wieder an sich. „Wer sind sie, junger Mann?“ Paul stellte sich ordnungsgemäß vor und als Klaus ihr dann noch freundlich zunickte, gab sie das Beweisstück frei. Natürlich sah Paul, dass die Zeilen wieder in italienischer Sprache verfasst waren, aber das war für ihn kein Hindernis. Er übersetzte laut:

„Tu es und stirb mit dem Rest Ehre, der dir noch geblieben ist.“

Frau Sommer nickte: „Richtig! Sie können Italienisch, junger Mann?!“ Tanner nickte kurz und gab ihr den Zettel zurück.

Baumann holte tief Luft: „Gnädigste. Das sollten wir wirklich sehr ernst nehmen. Ick glaube nich an einen Scherz und meine Kollegin hier auch nich. Übrigens, dat is Frau Kommissarin Arnold.“ Lena reichte ihr die Hand und nickte kurz. Dann fragte sie: „Frau Sommer, glauben sie immer noch, dass diese Drohungen ihrem Mann gelten?“ Die Gnädigste hauchte: „Ja.“ Lena fragte weiter: „Warum glauben sie das?“ Doch ehe sie antworten konnte, kam die Hausdame mit dem Tee herein und die Gnädigste bat ihre Gäste, sich zu setzen. Als dieser eingegossen war, wandte sie sich an ihre Hausdame: „Danke, Zuri. Schön, dass du wieder bei uns bist. Die Kommissare werden das sicher schnell aufklären. Dann müssen wir keine Angst mehr haben.“ Sie streichelte ihr mütterlich den Arm. Baumann sah auf. „Mit ihnen müssen wir dann auch noch sprechen, junges Fräulein.“ Zuri nickte kurz und verließ die Bibliothek.

Frau Sommer fuhr fort: „Also, sie wollten wissen, warum ich glaube, dass die Nachrichten meinen Mann betreffen. Mir ist aufgefallen, dass er seit der letzten Nachricht unruhig ist, als ob er sich wirklich angesprochen fühlt. Er ist sonst nicht so dünnhäutig, verstehen sie?“ Lena nickte und fragte weiter nach: „Wann können wir mit ihrem Mann reden, Frau Sommer?“ Die Gnädigste senkte den Blick: „Ich befürchte vorläufig gar nicht. Er ist gestern nach Kapstadt geflogen.“

Lena bohrte weiter nach: „Darf ich fragen in welcher Angelegenheit?“ Frau Sommer atmete tief durch: „In die Geschäfte meines Mannes habe ich keinen Einblick. Es geht sicher wieder um irgendwelche Antiquitäten. Wir haben ein Auktionshaus in Hamburg. Aber Genaueres kann ihnen sicher unsere Tochter sagen. Sie ist ebenfalls Geschäftsführerin und in alles involviert. “ Dann ging sie hinüber zu einem kleinen Tisch, zog die Schublade auf und entnahm eine Visitenkarte. „Bitte schön, hier sind ihre Kontaktdaten." Lena dankte ihr und wies kurz auf Paul Tanner: „Mein Kollege müsste sich mal den Pavillon ansehen, an den die Nachricht genagelt war. Übrigens, wo haben sie überhaupt die zweite Nachricht gefunden?“ Frau Sommer wies den Weg zum Flur. „Kommen sie bitte mit!“ Alle folgten ihr.

Der Flur schien unendlich lang zu sein und am Ende öffnete die Hausherrin eine riesige Glastür, die auf eine Terrasse führte. Der Ausblick in den Garten war atemberaubend. Das Grün floss in allen Formen und Farben über Hecken, Bäume, Wege und Beete. Inmitten dieser Idylle schossen kleine Fontänen aus einer weißen Brunnenschale, in der eine Madonna thronte. Frau Sommer hatte bemerkt, dass Lena stehengeblieben war und ging auf sie zu: „Mir verschlägt es auch immer wieder den Atem. Schön, nicht wahr?“ Lena lächelte: „Ja, sehr schön.“

Paul nahm schon die Fingerabdrücke vom Pfeiler, an dem die erste Nachricht hing und hatte keine Augen für den Garten. Baumann hingegen genoss diesen Ausblick und konnte seine Kollegin verstehen.

Dann meldete sich Frau Sommer noch einmal zu Wort: „Die zweite Nachricht hing übrigens an diesem Pfeiler. Der Nagel steckt auch noch drin, wie bei dem anderen.“

Tanner wanderte gleich hinüber zur anderen Seite des Pavillons und begann, auch hier Fingerabdrücke zu nehmen. Doch als erstes entfernte er den Nagel und tütete ihn ein.

Die Gnädigste bat die Kommissare auf die Südterrasse, um hier in Ruhe alle Fragen zu beantworten.

„Darf ich ihnen auch noch etwas anbieten, junger Mann?“ Paul saß gerade auf dem Boden, und kramte in seiner Tasche, als das Hausmädchen plötzlich vor ihm stand. Zuerst sah er auf ihre langen, schlanken Beine, bevor sein Blick nach oben wanderte. Sie lächelte sanftmütig und das nächste was Paul auffiel war ihr süßer Schmollmund. Er stand auf. „Entschuldigen sie, haben sie mich eben was gefragt?“ Sie fing an zu lachen. „Ja, ob sie etwas trinken möchten, Herr Tanner.“ Paul räusperte sich. „Ja, äh, gern.“ Sie lachte wieder. „…und was darf es sein?“ Paul überlegte kurz. „Äh, Wasser.“ Das Hausmädchen schien seine Verlegenheit zu genießen und hakte noch einmal nach. „Sind sie immer so bescheiden, Herr Tanner?“ Jetzt begriff er und dachte, dieses kleine Luder! Na warte! „Ich nehme auch Champagner.“ Sie stutzte und Paul musste lachen. „…am Abend natürlich. Jetzt bleibe ich bei Wasser.“

Es dauerte eine Weile bis die Hausdame zurückkam und Paul Tanner hatte seine Utensilien bereits zusammengepackt. Er saß auf einem der großen weißen Gartenstühle und wartete auf sein Getränk.

„So, Herr Tanner. Da bin ich wieder. Ihr Wasser.“ Sie stellte das kleine Silbertablett auf den Gartentisch und blieb vor ihm stehen. Paul schaute sie lange an und bemerkte erst jetzt wie schön sie war, pechschwarze Haare, dunkler Teint und wasserblaue Augen. Er war fasziniert.

Sie stand immer noch vor ihm und schien auf etwas zu warten. „Wann trinken wir den Champagner, Herr Tanner? Heute Abend hätte ich frei.“



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