Tote Kerzen - Lisa Lenardi - E-Book

Tote Kerzen E-Book

Lisa Lenardi

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Beschreibung

Zehn Weihnachtspakete stehen im Kriminalkommissariat, und keiner kennt den edlen Spender. Am ersten Advent wird allen klar, dass sie bedroht und nicht beschenkt wurden. Baumanns fünfter Fall verdirbt ihm den Advent. Ein Serienmörder treibt sein Unwesen und präsentiert dem Team eine Leiche nach der anderen. Die schöne Vorweihnachtszeit wird zu einem Albtraum. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt und Baumann muss eine schwere Entscheidung treffen. Denn auf eines wird er keinesfalls verzichten, Rotkohl, Klöße und Gänsebraten.

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Seitenzahl: 294

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über die Autorin

Lisa Lenardi, Jahrgang 1964, studierte Kunst und Germanistik auf Lehramt und unterrichtete acht Jahre lang, bevor sie ein erneutes Studium im Bereich praxisorientiertes Management begann. Im Anschluss daran wechselte sie in den Vertrieb und kurz darauf ins Management. Nach vielen aufopferungsvollen Jahren brach sie mit neunundvierzig zusammen und wurde förmlich aus dem Leben gerissen. Doch keine Therapie schlug nachhaltig an. Erst als sie begann, ihre seelischen Schmerzen, Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen, gelang es ihr, dem Leben zu vertrauen. Bis heute sind bereits zehn Werke ihrer Feder entsprungen, und weitere werden folgen.

Lisa Lenardi

Tote Kerzen

Baumanns fünfter Fall

Illustrationen Ines Asser

© 2024 Lisa Lenardi (lisa-lenardi.de)

Cover:

Lisa Lenardi

Illustrationen:

Ines Asser (asser-art.de)

Verlagslabel:

Wunsch Verlag

ISBN Softcover:

978-3-384-06536-0

ISBN Hardcover:

978-3-384-06537-7

ISBN E-Book:

978-3-384-06538-4

1.Auflage (illustriert)2024

Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH

Hans-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

Tote Kerzen

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Epilog

Tote Kerzen

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1

Seine Augen wanderten über die roten Schleifen, die er sorgfältig in einen Karton gelegt hatte. Er zog die langen Nitrilhandschuhe bis zu den Ellenbogen, nahm die erste Schleife aus dem Karton und strahlte. Großmutter hatte ihm gezeigt, wie man sie selbst bindet, und sie waren ihm gut gelungen. Er zog eine nach der anderen aus dem Karton, reihte sie nebeneinander und verspürte ein Kribbeln in der Magengegend. Lächelnd hob er das erste Paket hoch, setzte es auf die Samtfolie und umwickelte den braunen Karton. Ein Paket nach dem anderen wechselte seinen Platz vom Tisch hinunter zur vorbereiteten Folie auf dem Küchenboden.

Mitternacht. Alle Kartons waren weihnachtlich verpackt. Er lehnte sich zufrieden an den Küchentisch und strich eine Locke von der Stirn. Fünf Jahre Vorbereitung, fünf lange Jahre. Dieser Plan hatte ihn ausgelaugt. Doch der Stachel der Erinnerung trieb ihn immer wieder an, auch wenn der Schmerz ihm die Brust zerriss.

„Diese Geschenke werden euer Leben verändern, für immer“, flüsterte er.

Nachdem der Wagen vorgefahren und der Kofferraum ausgekleidet war, trug er alle Pakete hinaus, schlug die Kofferraumklappe lautstark zu und blickte gen Himmel. Vereinzelnde Schneeflocken fielen auf sein Gesicht und zerschmolzen im Nichts, so wie die Last, die von seinen schmalen Schultern fiel.

Die kahlen Eichen hatten sich über Nacht in ein weißes Kleid gehüllt und ihre kargen Äste stachen in den grauen Morgenhimmel. Eine ungewöhnliche Stille lag über der weiten Flur und nur die feinen Spuren im Schnee zeugten von vermeintlichem Leben. Alte Steinmauern umsäumten den verbliebenen Rest einer vergangenen Zeit.

Ein seichtes Knarren drang aus dem Gebälk des alten Bauernhauses und unterbrach die morgendliche Stille. Rauchschwaden erwachten und bliesen ihren Atem aus der steinernen Esse. Fensterläden wurden aufgestoßen und verscheuchten die ersten Besucher im nahen Vogelhaus. Quietschend öffnete sich die Eingangstür und schweres Schuhwerk trat ins Freie. Schritt für Schritt zerstörte es die weiße Winterdecke des Gehweges hin zum alten Werkstattgebäude. Er sah zum Schnee, der das dünne Blechdach zu Boden drückte, griff nach dem Besen und befreite es von der schweren Last.

Ein außergewöhnlich süßer Duft schwebte durch den Raum und seine Gesichtsmuskulatur verzog sich zu einem süffisanten Lächeln.

Seit Langem hatte er die Werkstatt für seine Zwecke umgestaltet und wusste, dass er damit das Andenken seines Großvaters beschmutzte. Doch er hielt sie weiter in Ehren, reinigte Wände, Böden, Fenster und reparierte sorgfältig das, was dem Zahn der Zeit bereits zum Opfer gefallen war.

Das Holz der alten Werkbank glänzte und noch einmal rieb er den Stofflappen über die Bohlen. Ein Strahlen umspielte seine schmalen Augen. Die Stunden des gestrigen Tages zogen an ihm vorbei, in denen er die Werkstatt zum Glänzen gebracht hatte.

Seine zierliche Rechte strich über das alte Eichenholz. „Nichts mehr zu sehen, Großvater“, murmelte er, betrachtete die saubere Oberfläche und strich noch einmal mit der Hand über die polierten Bohlen. Als seine zarten Finger den Stahl des Schraubstocks berührten, zuckte er zusammen, drehte sich abrupt um und starrte auf die steinerne Wand. Sein Herz begann zu rasen, und er suchte ängstlich einen Fixpunkt. Seine Augen verfolgten den Riss im Putz und wanderten langsam hinunter zum Boden. Er drehte sich um, drückte die alte Holztür ins Freie und erschrak. Was war das? Es hämmerte in seinem Kopf. Er riss die Hände hoch und umklammerte sein schwarzes Haar. Das Geräusch wurde lauter und schien sich im ganzen Körper auszubreiten. Er schlug die geballten Fäuste mehrmals gegen die Stirn. Gedankenblitze schossen durch sein Gehirn und drängten den Schweiß aus allen Poren.

Immer wieder trommelten seine Fäuste auf die Stirn, bis ihm klar wurde, dass nicht das Knarren die Erinnerungen heraufbeschworen hatte, sondern die Kälte der Stahlklinke. Seine Augen wanderten zaghaft vom Fußboden nach oben. Kälteschauer liefen ihm über den Rücken, und er wagte kaum zu atmen. Sein Puls raste.

„Verschwinde endlich aus meinem Kopf.“

Immer wieder plagten ihn diese Erinnerungen und er sah in seine kalten, grünen Augen. Sein hasserfüllter Blick verfolgte ihn jede Nacht und er glaubte sogar, seinen widerlichen Schweiß zu riechen. Nein. Angeekelt schüttelte er sein schwarzes Haar, rannte hinaus und gab der Tür einen Tritt, dass sie lautstark ins Schloss krachte.

Das alte Bauernhaus seiner Großeltern war immer noch in morgendlichen Dunst gehüllt. Die Gespenster der Vergangenheit beflügelten seine Schritte. Schneller und schneller stampften die Stiefel den schmalen Weg entlang und zertraten das reine Weiß. Endlich erblickte er die rettende Türklinke, stieß die Holztür auf, ertastete den alten Drehschalter an der Wand und warf erleichtert die Tür hinter sich zu. Mit einer flüchtigen Handbewegung wischte er die Schweißperlen von der Stirn und sank auf die blauen Steinfliesen. Minutenlang verharrte er in dieser Position und betrachtete den Verlauf der Fugen. Doch seine Gedanken waren bereits in die Vergangenheit abgeschweift und wanderten zum Wohnort seiner Kindheit, hin zur Alten Försterei. Er erinnerte sich an die tausenden Botengänge und wie er zwischen Scheune und Försterei gependelt war. Mal wollte er Wein, mal Essen, alles für ihn und seine Gespielinnen. Aber sein Reich durfte er nie betreten. Einmal wagte er durch das kleine Fenster zu blicken und bezog eine Tracht Prügel von ihm, die er bis heute nicht vergessen hatte. Unwillkürlich hob er die rechte Hand und berührte seinen Hinterkopf. Die lockigen, schwarzen Haare bedeckten die Narbe, aber er konnte sie deutlich ertasten. Er schloss die Lider und sah seine kindlichen, zarten Füße, wie sie flink zur kleinen Dachkammer eilten. Nacht für Nacht hatte er von hier aus dem Sprossenfenster geblickt, sah dem Flackern der alten Stalllampe zu und versuchte zu erahnen, was sich dahinter abspielte. Heute wusste er es. Ekel überkam ihn, er schluckte, aber die Magensäure bahnte sich erbarmungslos den Weg ins Freie. Er sprang auf. Zu spät. Schnell zog er das kleine Holzschubfach der Flurgarderobe auf, in dem er das Schuhputzzeug aufbewahrte, riss einen alten Leinenlappen heraus, kniete sich nieder und beseitigte die Dämonen seiner Vergangenheit.

Schwankend lief er durch das Halbdunkel des langen Flures, vorbei an Großmutters Bauernmöbeln, die längst der Wand aufgereiht standen, strich im Vorbeigehen darüber und bog in die Küche ab. Zeit für einen Kaffee, dachte er, zog seine zartgrüne Tasse vom Bord und lächelte. Er sah die kleine Töpferscheibe, die sich schneller und schneller drehte, sah ihre tonverschmierten Hände und drückte die Tasse fest an seine Brust. Ein helles Lachen benetzte seine Erinnerungen. Mutter war so viel weicher und zärtlicher als er. Sie hatte ihn an Kunst und Kultur herangeführt und mit ihm diese Tasse getöpfert. Er löste die verkrampfte Hand vom Tassengriff, hielt sie dicht vor seine Augen und begann laut zu schluchzen: „Ach, Mutter. Was hat er uns nur angetan?“

Das Wasser kochte unaufhörlich in dem kleinen Aluminiumtopf, und sein verbeulter Boden begann zu hüpfen. Er zuckte zusammen, war aus seinen Tagträumen erwacht, atmete schwer, zog die Kaffeedose von der Anrichte und füllte einen Messbecher in seine Tasse. Der kleine Aluminiumtopf machte sich immer noch lautstark bemerkbar. Er zog ihn vom Herd und ließ das schäumende Wasser über das Kaffeepulver laufen. Der aufsteigende Duft verscheuchte seine traurigen Gedanken und er sog den Dampf tief in sich ein. Er liebte den Geruch frisch gebrühten Kaffees direkt in der Tasse, genau wie Mutter ihn getrunken hatte.

Der kleine Löffel umkreiste bereits das fünfte Mal den Tassenrand. Gedankenversunken blickte er in den Garten, sah hinüber zu den Mülltonnen und grinste breit. Vater und sein Filterkaffee, dachte er. Die Kaffeemaschine hatte er nach seinem Tod als Erstes entsorgt. Die Möbel und Andenken an seine Mutter zogen mit ihm nach Jork, in das alte Bauernhaus seiner Großeltern, im historischen Ortskern. Er liebte dieses Haus, das im Altländer-Fachwerkstil erbaut wurde, typisch für das Alte Land.

Seit dem plötzlichen Tod seiner Großmutter lebte er hier allein. Er erinnerte sich an die letzten Jahre mit ihr, lächelte und trank einen Schluck Kaffee. Großmutter war gütig und liebevoll, so wie Mutter, und dennoch konnten sie sich gegen ihn nicht wehren, alle waren wie erstarrt in seiner Nähe. Er schüttelte seine schwarzen Locken, um die Gedanken an ihn zu verscheuchen. Doch es gelang ihm nicht, bis sein Blick die verschneite Werkstatt streifte. Ein eiskaltes Lächeln umspielte seine schmalen Lippen.

„Die Zeit deiner Tyrannei ist vorbei“, flüsterte er.

Er hatte bis zum Abend die letzten Besorgungen getätigt und ins Haus getragen, saß erschöpft in Großmutters altem Ohrensessel und sah dem aufsteigenden Dampf zu, der kräuselnd aus seiner Kaffeetasse stieg.

Die funkelnden Flammen hatten den steinernen Kamin zum Leuchten gebracht. Die Holzscheite begannen zu glühen und das Feuer züngelte nach mehr. Er starrte in das warme Licht und trank bereits die dritte Tasse Kaffee. Nein, er wollte nicht schlafen. Die Albträume waren immer noch erdrückend, und gerade heute würde er sie nicht ertragen können. Zu viele Erinnerungen waren in ihm erwacht. Unzählige Dämonen kreisten in seinem Kopf, die er nur mit viel Kaffee besänftigen konnte.

Gerade heute war er allein, und es fiel ihm schwer, in die Nacht abzutauchen. Doch er sehnte sich nach einem tiefen, langen Schlaf, den er so dringend brauchte. Er seufzte und blickte verträumt in die Flammen.

Er war zum Fenster gegangen, lehnte an der Scheibe und blickte dem Sonnenuntergang entgegen. Das weihnachtliche Rot, das sich hinter der Baumreihe abzeichnete, erinnerte ihn an die vergangenen, arbeitsreichen Nächte, und er begann zu lächeln.

„Rot, wie Blut“, flüsterte er, hob schmunzelnd die Tasse zum Mund und blickte ins Leere.

Der Wunsch nach mehr Kaffee beflügelte seine Schritte Richtung Küche. Er goss erneut Wasser in den kleinen Aluminiumtopf und sein Blick streifte die alte Küchenuhr. Mitternacht.

„Es ist so weit“, flüsterte er und verspürte erneut ein Kribbeln in der Magengegend. Fünf Jahre Planung, fünf lange Jahre. Aber sie waren es wert. Alles musste perfekt sein. Erst dann war seine Rache vollkommen. Er schloss die Augen und sah noch einmal die zehn Pakete vor sich.

„Rot wie Blut“, flüsterte er, öffnete die Augen und starrte in die verschneite Landschaft.

„Advent, Advent, ein Lichtlein brennt.“ Sein eiskaltes Lachen benutzte die Fensterscheiben. „Schade, dass ich eure Gesichter sehen kann.“

2

Baumann betrat summend das Büro. Seit Tagen schon ging ihm dieser Weihnachtssong nicht aus dem Kopf und er summte ihn in Dauerschleife. Er öffnete die Glastür zu seinem Büro und blieb abrupt stehen. Ein bekannter Geruch strömte ihm entgegen. Klaus blickte sich um.

„Wat is denn dat?“ Er beugte sich zur Steckdose und zog den kleinen Weihnachtsstern heraus, der einen penetranten Zimtgeruch verströmte. Als er den Kopf wieder hob, wurde ihm übel und er stützte sich auf die rettende Schreibtischplatte. Du musst etwas trinken, dachte er, und lief langsam zu seinem Bürosessel.

Nach einem Glas Wasser schien es ihm besser zu gehen, goss nach und stellte die Flasche zurück in den Schrank hinter sich. Der Zimtgeruch hing immer noch in der Luft und Klaus rümpfte die Nase. Seine Schnurrbarthaare stachen in die Nasenlöcher und er musste niesen.

„Hast du dich etwa erkältet, Schatz?“, fragte Vivi, die gerade das Büro betreten hatte.

Klaus schüttelte energisch den großen Kopf und seine Haare folgten.

„Schatz, wann gehst du endlich zum Friseur? Die schöne Weihnachtszeit steht vor der Tür und du siehst aus wie ein Hippie.“

Baumann strahlte. „So jung? Dit is knorke.“

Viviana verließ schnaubend das Büro. Noch aus der Ferne hörte er das Auftreten ihrer High Heels.

„Ick bin ein Berliner“, flüsterte er grinsend. „Dat Berlinern gewöhnst du mir nich ab, auch wenn du dat nicht leiden kannst.“ Sein anfängliches Schmunzeln entwickelte sich zu einem breiten Grinsen, bis er sich nicht mehr halten konnte und laut zu lachen begann. Als ihm jedoch eine Haarsträhne in die Augen fiel, griff er zum Telefon und vereinbarte endlich einen Frisörtermin.

Nach dem ersten Kaffee hatte sich Viviana wieder beruhigt. Klaus nahm sie in den Arm und fragte: „Hast du diesen Duft für mein Büro gekauft?“

„Was meinst du?“

„So ein Duftdingsda für die Steckdose. Na, du weißt schon.“

Vivianas Kopf bewegte sich hin und her, und ihre blonden Locken fingen an zu tanzen.

„Dat riecht immer noch nach Zimt, ekelhaft.“

Sie hob die kleine Nase, schnüffelte und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht das Reinigungsteam, wegen der Vorweihnachtszeit?“ Dann stand sie auf und lief Richtung Tagungsraum, um das Morgenmeeting vorzubereiten. In der Eingangstür blieb sie abrupt stehen. Was war das? Zehn Pakete standen, weihnachtlich verpackt, mit riesigen roten Schleifen auf dem Konferenztisch.

Sie ging näher an die Pakete heran und streichelte das edle Weihnachtspapier. Samt, wie schön, dachte sie und drehte eine der Karten um, die an jedem Paket befestigt waren. Sie las: „An Klaus Baumann. Für einen unvergesslichen Advent.“ Neugierig geworden drehte sie alle Karten um, und tatsächlich waren diese Weihnachtspakete für das Team bestimmt. Klaus Baumann, Viviana Baumann, Petra Kramer, Karsten Kramer, Thomas Lachner, Haucke von Pistorius, Paul Tanner, Sven Müller, Lena Arnold und sie stutzte. „Martin Struve?“ Der Kollege gehörte schon lange nicht mehr zum Team, auch wenn er gelegentlich aushalf, wenn Klaus ihn darum bat. Sie lief zu ihrem Mann, um sich Klarheit zu verschaffen, doch auch er wusste nicht, wer ihnen die Weihnachtpakete in den Tagungsraum gelegt hatte.

„Ich öffne meins. Vielleicht wissen wir dann mehr“, rief sie im Weggehen und stöckelte davon.

Viviana saß vor den vier roten Kerzen und wunderte sich. Kein Brief. Kein Absender. Nur vier rote Kerzen. Sicher, sie waren schön, für jeden Advent mit einer goldenen Zahl nummeriert. Aber wer war der edle Spender?

Bis auf Martin Struve hatten alle Kollegen ihr Paket geöffnet und starrten auf die roten Kerzen. Niemand wusste, welchem Gönner sie diese Pakete zu verdanken hatten.

Klaus unterbrach das große Schweigen. „Eigentlich dürfen wir keine Geschenke annehmen. Dat wisst ihr ja. Aber da keiner weiß, von wem die Kerzen sind …“ Er zuckte mit den Schultern. „Nehmt sie mit und jut is, Kollegen.“

„Und Martins?“, fragte Vivi.

„Das schicken wir ihm zu.“ Baumann grinste, denn seine Frau konnte nicht wissen, dass Martin sich bereits auf dem Weg zu ihnen befand.

Am anderen Morgen war Klaus wieder der Erste und stiefelte direkt auf sein Büro zu. Bereits vor der Tür roch er den Zimt. Er riss wutentbrannt die Glastür auf, bückte sich und riss den Duftstecker aus der Dose. Wieder überkam ihn ein plötzlicher Schwindel und er hielt sich am Besucherstuhl fest. Ekelhaft, dieser Geruch. Aber dass er darauf so reagierte, wunderte ihn. Er musste dringend mit dem Reinigungsteam reden.

„Baumann. Sag mal der kleinen Blonden, die soll dat lassen. … Na, dat mit dem Duftstecker in meinem Büro. … Wie, du weißt von nüscht?“

Klaus lehnte sich stöhnend nach hinten und starrte die Decke an. Von wem war der Stecker? Er zog ihn vom Schreibtisch und warf ihn dieses Mal nicht in den Papierkorb, sondern in einen Asservatenbeutel. So, der Zimt war verschlossene Geschichte.

Martins Überraschungsbesuch war bereits einige Tage her und an diesem Sonntagmorgen freuten sich alle Kollegen darauf, ihre erste Kerze anzuzünden. Klaus hatte sich vorgenommen, sein Paket der neuen Nachbarin zu schenken. Was sollten sie mit zweimal vier Adventskerzen? Kramers taten es ihm gleich und überreichten ihr Vierer-Set an die netten Nachbarn, die sich so liebevoll um Clara kümmerten, wenn die Pflegemutter ihrer kleinen Tochter mal wieder krank war. Das ältere Ehepaar hatte sich überschwänglich mit Kaffee und Kuchen bedankt.

Heute freute sich Klaus aber nicht nur auf den ersten Advent, sondern besonders auf seine Adoptivtochter, die seit dem Sommer an der Humboldt-Uni studierte. Sein alter Freund Achim hatte immer noch gute Beziehungen zum Dekan. Nicht, dass seine Tochter keinen Studienplatz ergattert hätte, aber so war es einfacher gewesen. Außerdem hatte er Kat ein Gästezimmer bei ihm im Grunewald angeboten. Das Haus sei groß genug und nach dem Tod seiner Frau freue er sich über Gesellschaft. Darüber waren Klaus und Vivi besonders froh, denn die Mieten, selbst Studierende, waren ins Astronomische gestiegen.

Kat warf sich Klaus in die Arme und küsste ihn überschwänglich. „Endlich!“

„Wat, hab ick dir so gefehlt?“

„Klar, Dicker.“ Sie klopfte ihm sanft auf den Bauch.

„Janz schön frech.“ Klaus schmunzelte.

„Ick darf dat, Papa!“

„Bitte nicht noch eine Berliner Pflanze in der Familie“, rief Viviana von Weitem.

„Dit is doch knorke, Mama!“ Kat grinste breit und schlang ihre langen Arme um ihre Adoptivmutter. Vivi drückte sie fest an sich und küsste versöhnlich ihre lockigen Haare. Doch Kat befreite sich und konnte ihre Aufregung kaum zurückhalten. „Ich habe eine Überraschung für euch.“

Sie rannte zurück zum großen Koffer, der immer noch in der Diele stand, und zog ein schmales Paket heraus. „Oh, schade, ich hatte es so schön eingewickelt.“ Sie glättete die goldene Schleife und überreichte es beiden mit geschwollener Brust. Als Klaus und Vivi nicht reagierten, begann sie zu zappeln. „Öffnen! Jetzt!“

Langsam zog Klaus an der güldenen Schleife und reichte das Paket zu seiner Frau. „Dat mit den Knoten kannst du besser.“ Er grinste und Viviana krallte ihre langen Fingernägel bereits ins Band.

Es war geschafft und Kat zappelte immer noch. Das rote Papier fiel zu Boden und ein Pastellbild kam zum Vorschein. Vivianas blaue Augen begannen zu glänzen. „Oh, wie wunderschön! Hast du das gemalt, Süße?“

„Ja, für euch.“

Klaus zog das Bild an sich und wiegte den Kopf. Dann betrachtete er es mit ausgestreckten Armen und schwieg. Kat hatte ihn beobachtet, stülpte enttäuscht ihre Lippen nach vorn und wartete immer noch auf eine Reaktion.

„Der Rahmen geht gar nicht. Dat kommt nicht zur Geltung. Die schönen Bäume und so. Da muss so ein Dingsda rum, na, wie heißt denn dat?“

Kat strahlte. „Ein Passepartout.“

„Jenau. Und dann kommt es ins Schlafzimmer, über unser Bett.“

Viviana nickte ihm zu. Ihr Mann hatte eben eine besondere Art, seine Freude zu zeigen, deswegen konnte sie sich die Frage nicht verkneifen: „Also gefällt es dir?“

„Dat ist super, nich nur solche Linien. Schöne Landschaft. Danke.“ Er blickte das Bild immer noch an und zog die Stirn in Falten. Die Mädels verfolgten seine suchenden Pupillen und warteten ab.

„So können wir dat aber nich aufhängen.“ Er grinste.

„Wieso?“ Kat sah ihn nachdenklich an.

„Dat is nich signiert.“

Die Künstlerin atmete lautstark aus, zog ruckartig den Fingercolt aus dem imaginären Halfter und zielte auf Baumann. „Du Schuft!“

Klaus lachte laut, riss die Arme hoch und rief: „Ick ergebe mich. Aber dat is dein erstes großes Bild. In zehn Jahren is dat Tausende Euros wert. Dann haben wir einen Notgroschen.“ Er zwinkerte seiner Frau zu, die gleich zu lachen begann.

„Klaus, du bist mal wieder unmöglich.“

„Aber liebenswert“, fügte Kat hinzu. „So, Papa, aber wenn ich das Bild signieren und deine Extrawünsche erfüllen soll, müssen wir zu BOESNER nach Glinde.“

„Wer is denn dat?“

„Nicht wer. Das ist ein Großhandel für Künstler. Wir brauchen doch einen größeren Rahmen und das Passepartout.“

Baumann grinste. „Überredet.“

Dieser Sonntag war magisch. Die kleine Familie saß vor dem Adventskranz und bewunderte mit glänzenden Augen das flackernde Licht der ersten Kerze.

„Und ihr habt echt alle dieses Paket bekommen?“, fragte Kat.

Klaus und Vivi nickten im Duett.

„Ist mega nett, aber ihr wisst nicht von wem, richtig?“ Klaus hatte sein erstes Stollenstück verzehrt und wollte gerade antworten, als sein Handy klingelte. „Baumann. Wer stört am ersten Advent unseren Familienfrieden?“, fragte er und zwinkerte Kat zu. Doch plötzlich veränderten sich seine freundlichen Gesichtszüge zu einer verkniffenen Maske. Er blickte starr auf den Adventskranz und schwieg. Als er den Arm senkte, sah Vivi ihn besorgt an.

„Klaus, was ist los?“

Baumann starrte auf die Kerzen.

„Papa, du machst mir Angst.“

Als Baumann das Mobile neben dem Weihnachtsstollen ablegte und immer noch schwieg, wurde Vivi energisch: „Klaus, wenn du jetzt nicht redest!“

Er warf sich schnaubend an die Couchlehne und zog sein Handy an sich. „Ick muss los. Ein Toter, besser ein Teil davon.“

„Thomas hat doch Bereitschaft“, sagte Vivi genervt.

„Genau. Es geht um Thomas.“

„Nein!“ Viviana war aufgesprungen.

Klaus riss die Hände hoch. „Er nich.“

„Rede!“ Vivis kleine Faust prallte auf seinen Bauch.

„Die Kerzen. Es steckt ein Finger drin“, brummte er.

Vivi riss die Augen auf. „Ein Finger?“

„Ja. Thomas hat die erste Adventskerze vor circa zwei Stunden gezündet und sein Ziehsohn wollte sie gerade ausblasen, als er ihn entdeckt hat.“

„Echt ein Finger, also von einem Menschen?“ Kat schüttelte ihre braunen Locken und rümpfte die Sommersprossennase.

„Das müssen wir herausfinden, Kat. Wann haben wir eigentlich unsere erste Kerze entzündet?“

Kats Schrei durchbrach die Stille.

„Da, bei uns auch!“

3

Montagmittag. Das Flugzeug hatte den Sylter Flughafen vor zehn Minuten verlassen. Jetzt gehörte er also wieder zum Team. Martin freute sich, auch wenn der Anlass makaber war. Seine Hand trommelte unentwegt auf den kleinen Handkoffer und sein Blick wanderte zur goldenen Armbanduhr. Noch dreißig Minuten bis Hamburg. Heute hätte er die Uhr am liebsten vorgedreht.

Schauer liefen ihm über den Rücken, wenn er an die toten Kerzen in seinem Gepäck dachte.

Gedankenversunken blickte er über die vorbeiziehenden Wolken. Wieder so ein schräger Fall, dachte er. Sicher dreht Klaus gerade durch, und er schien recht zu behalten. Auf dem Display seines Handys erschien Baumanns Nummer.

„Moin, Klaus.“

„Martin, wann bist du hier?“

Er spürte sofort Baumanns Anspannung in der Stimme. „Wir landen in zehn Minuten. Du holst mich doch ab, oder?“

„Mensch Martin. Ick bin schon am Flughafen und stehe mir hier die Beine in den Bauch!“

„Ja, ja, ich bin bald da. Bis gleich.“

Als Martin die Eingangshalle betrat, rannte Klaus auf ihn zu und riss seinen Exkollegen an sich.

Als er immer noch an Baumanns Brust klebte, röchelte er: „Lass mich los, Klaus. Tot nütze ich euch gar nichts.“

Klaus drückte ihn von sich und grinste. „Man, bin ick froh, dich zu sehen.“

„Das glaube ich dir sofort.“

„Is dat ne Scheiße, Martin. Erst einundzwanzig Briefe und jetzt zehn Pakete mit vier Kerzen. Dat sind summa summarum vierzig Finger. Geht dat nich mal einfacher?“

Martin klopfte Klaus auf die Schulter. „Aber du weißt doch, einfach kann jeder.“

Baumanns Schnurrbart fing an zu wippen und er riss seinen Kollegen nochmals an sich. „Man, bin ick froh, dat du da bist.“

„Du wiederholst dich. Aber ich freue mich auch. Lass uns fahren.“

„Vivi, so schnell sehen wir uns wieder!“, rief Martin ihr von Weitem zu.

Ruckartig drehte sie sich um, lief ihm entgegen und flog förmlich in seine Arme. Martin umarmte sie innig, länger als Baumann lieb war.

„Nu is aber jut“, brummte er und zog den Neuankömmling hinter sich her in den Meetingraum. Er sah in sieben fragende Gesichter. Mit ihm, Vivi und Martin waren sie vollständig. Endlich konnten sie beginnen. Immerhin zeigte die Uhr bereits auf fünf. Baumann ließ sich schnaufend auf den Stuhl fallen. „Hat jemand schon eine Erklärung für diesen makabren Scherz?“

Alle schwiegen.

„Na, dat geht ja gut los.“

Paul Tanners Falte zwischen den Augenbrauen hatte sofort an Tiefe gewonnen. Er stand auf und stützte sich auf den Tisch. „Wir sind noch dabei, die einzelnen Gliedmaßen sauber von den Kerzen zu trennen.“

Baumanns braune Augen tanzten unruhig durch den Raum. „Und?“

Pauls Blick verfinsterte sich. „Du fängst schon wieder an, Klaus!“

„Womit fang ick an?“

„Mit deiner unfreundlichen Art. Wir sind doch keine Windhunde. Wer schafft es als Erster über die Ziellinie oder so?“

„Wat hat dich denn jestochen?“

Paul schwieg und setzte sich wieder. Die Stille im Raum war unerträglich.

Martin stand auf und ließ seinen Blick in die Runde schweifen. „Kollegen, ihr habt den Fall der einundzwanzig Briefe geknackt und mir mein Leben zurückgegeben. Ihr seid die Besten. Wir schaffen das.“

Ein Band des Lächelns zog sich um den Tisch. Ja, sie sind die Besten und das würden sie wieder beweisen.

Karsten Kramer begann: „Gott sei Dank, hatten unsere Nachbarn ihre Kerze bisher nicht entzündet. Sie waren am ersten Advent bei Freunden eingeladen. Ich habe mir unter dem Vorwand, dass es sich um eine Fehlcharge handelt, die Kerzen aushändigen lassen. Natürlich waren sie enttäuscht, aber wir haben versprochen, neue zu bringen.“ Er streichelte Petras Hand und zwinkerte ihr zu.

„Dat hätte mir auch geblüht, wenn ick es nicht vergessen hätte.“

„Vergessen?“, fragte Karsten nach.

„Ja, die Kerzen für die Nachbarin standen bis gestern noch bei uns im Flur.“ Er griff nach Vivianas Hand und zog einen Schmollmund. „Jetzt bist du froh, dass ick es vergessen habe, ne?“

Vivi nickte.

Paul hatte sich wieder beruhigt, stand auf und drückte seine Schultern gegen die Wand. „Die Kerzen sind definitiv aus derselben Charge Wachs hergestellt. Das kann ich euch schon sagen. Stopp. Die Kerzen von Martin muss ich noch untersuchen.“ Er drückte seinen Rücken erneut gegen die Wand, stöhnte auf und redete weiter. „Ich habe die meisten Finger bereits aus dem Wachs isoliert, liegen jetzt in der Pathologie. Kannst du schon etwas zu den Gliedmaßen sagen, Haucke?“

Der Pathologe schob seine Nickelbrille nach oben. „Vierzig Kerzen, also zehnmal vier. Ich will nicht unken, aber es sind sicher die Gliedmaßen von vier Menschen. Und alle sind unterschiedlichen Alters.“

„Kinder?“ Baumann war entsetzt aufgesprungen.

„Nein, vier Erwachsene, nach ersten Einschätzungen. Du wirst dich noch gedulden müssen.“

Klaus sackte auf den Stuhl, holte tief Luft und entschied: „Wir machen Pause und lassen hier mal frische Hamburger Luft in den Raum.“

Er blickte auf neun nickende Köpfe, sprang auf, klatschte in die Hände und fragte: „Jemand Lust auf Pizza und Bier?“

Sven lachte. „Endlich mal eine gute Idee!“

„Was sind denn das für neue Sitten?“, fragte Martin mit weit aufgerissenen Augen.

„Neue“, antwortete Klaus und lud alle ein.

Das Team saß kauend vor ihren Pizzen und Klaus prostete ihnen zu: „Ick weiß, ick bin ein sturer Hund und nicht immer gerecht. Bremst mich rechtzeitig, bevor ick mich verrenne. Also, Prost! Wir kriegen dat wieder hin.“

Alle blickten ihn verwundert an. Der Chef schien es ernst zu meinen. Sogar Paul lächelte wieder.

Am anderen Tag saß Martin Struve bereits seit sechs in Baumanns Glasbüro. Der Zimtgeruch war verflogen und kein weiterer Stecker in Sicht. Aber ein Mitarbeiter der Poststelle hatte ihm ein Paket auf den Schreibtisch gelegt. Als er es öffnete, zog er seine Lieblingspralinen heraus, die mit einer großen, roten Schleife verziert waren. Er öffnete die beigefügte Karte.

„Einen süßen Dienstag, Herr Hauptkommissar“, las Martin vor.

„Schon wieder Briefe“, stöhnte Klaus, zog einen Asservatenbeutel aus der Schreibtischschublade und versenkte die Zeilen, nebst Briefumschlag.

„Klaus, das muss auch zur KTU. Die Schleife sieht so ähnlich aus, wie die der Pakete.“

„Schon klar, Martin. Fingerabdrücke, Zusammensetzung der Pralinen, Schriftanalyse und so weiter. Ick hätte die sowieso nich gegessen, is doch klar wie Kloßbrühe. Meinst du, es will mich jemand ins Jenseits befördern?“

Martins Schultern zuckten mehrfach und er kraulte sich sein immer noch dichtes, lockiges Haar.

„Dit is wieder so ein scheiß Fall. Wat sollen die Geschenke? Und warum kriegst du auch eins? Haste damals wat ausgefressen?“ Klaus grinste breit, doch Martins Blicke verrieten ihm, dass er bereits über etwas nachdachte. „Wat is, du Sylter Hering?“

Ein Sekundengrinsen flackerte in Struves Gesicht auf. Er war bereits aufgestanden, blickte auf Baumann herunter und sagte: „Lass uns alle Fälle ansehen, an denen wir damals gearbeitet haben, also vor meinem Schlaganfall.“ Er drehte sich zum Gehen, stoppte und ließ sich wieder fallen.

„Wat ist, du Sylter Hering? Haste Rücken?“, spottete Baumann.

„Zeig mir bitte noch einmal den Brief“, antwortete er mit ausgestreckter Hand.

Klaus stutzte, aber gehorchte. „Hier. Wat is damit?“

„Die Karten an den Geschenken waren alle mit rotem Feinliner per Hand geschrieben. Der A5-Brief ist ausgedruckt worden. Das könnte helfen.“

„Wat? Es gibt doch Millionen Drucker.“

„Bei jedem Druckbild hinterlässt ein Drucker seine ganz bestimmte Kennung auf dem Blatt.“

„Dat habe ick noch nie gesehen.“

„Das kannst du auch nicht, Klaus. Aber unsere Spezialisten können es. Paul Tanner wird dir das sicher gern erklären.“

Gegen zehn saßen alle im Meetingraum, um erste Ergebnisse auszutauschen. Eine Gewissheit hatten sie. Die abgetrennten Finger gehörten zu vier Personen. Es handelte sich um die Gliedmaßen von Männern mittleren Alters. Jeder der vierzig Finger war in einer hitzebeständigen Aluminiumfolie verpackt und dann mit heißem Kerzenwachs übergossen worden. Eines war sicher. Diese Prozedur hatte jemandem Befriedigung verschafft. Es musste Wochen gedauert haben, diese vierzig Kerzen zu fertigen. Außerdem waren sie mit solch einer Akribie hergestellt, wie man sie nur bei industriell gefertigten findet.

Lena war bereits aufgesprungen, schaltete den großen Bildschirm an und betätigte die Tastatur ihres Laptops. Dann hielt sie inne. „Wir haben es hier mit einem außerordentlich brisanten Fall zu tun. Korrekt genommen, wissen wir nicht einmal, ob es sich um Mord handelt. Die Opfer können alle noch leben. Richtig?“ Sie blickte zu Haucke, der nickte. „Also, dann brauchen wir einen Profiler.“

Thomas Lachner hob den rechten Daumen. „Sehe ich auch so. Der tickt nicht richtig, und sicher war das nur der Anfang. Klaus, hol Pit dazu.“

„Pit is Privatdetektiv und kein Psychoonkel.“

„Aber vorher war er forensischer Psychologe. Und er soll ein Ass gewesen sein.“

Klaus kratzte sich den Bart. „Nee. Pit will damit nichts mehr zu tun haben.“

„Wieso?“

„Thomas, hör uf!“, schrie er ihn an und wandte sich an Lena. „Deine Idee is gut, aber nich Pit.“

Der Kaffee in den Tassen dampfte noch, als Martin in Baumanns Büro trat. „Hier, Klaus.“

„Danke. Setzt dich.“ Klaus nahm ihm die Tasse ab und stöhnte.

„Was ist mit Pit? Rede mit mir, Klaus.“

Baumann stand auf, schloss die Tür und ließ sich auf den Stuhl fallen. Er spürte das Pulsieren seiner Halsschlagader, senkte den Kopf und durchdachte seine ersten Worte. „Pit war wirklich klasse, bis zu diesem Tag.“ Baumann holte tief Luft, trank von seinem Kaffee und begann: „Pit war einer der besten Profiler, hat sich nich nur mit dem Täter und seinen Veranlagungen beschäftigt, wie dat üblich is.“

„Sondern?“, fragte Martin ungeduldig.

„Er konnte so ein genaues Persönlichkeitsprofil vom Mörder erstellen, dat wir mit seiner Hilfe allet aufgeklärt haben.“ Baumann senkte den Kopf.

„Was ist passiert, Klaus?“

„Ick will da nicht dran rühren. Pit hat dat ausgeblendet. Der is jetzt glücklich als Privatdetektiv.“

„Warum war er so gut? Was hat ihn ausgezeichnet?“

Baumann sprach weiter: „Die meisten Psychoonkels arbeiten mit den Eckdaten, die wir auch kennen, also personenbezogene Infos, wie körperliche und seelische Gesundheit und Veranlagung, Interessen, Verhaltensweisen und so. Daraus erstellen sie ein Persönlichkeitsprofil.“

„Und Pit?“

Baumann stöhnte. „Ick weiß nich, wie ick dir dat verklickern soll. Der is in die reingekrochen.“

„In wen?“



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