Cocktail Mafia - Lisa Lenardi - E-Book

Cocktail Mafia E-Book

Lisa Lenardi

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Beschreibung

Dichter Nebel lag über der Elbe und Samanta fror. Nicht der Kälte wegen. Nein, wegen der inneren Leere und Aussichtslosigkeit ihres Seins. Doch dann trat er in ihr Leben. Er hatte sie auf eine ungewöhnliche Art angesprochen, nicht wie sie es von ihren Freiern gewohnt war, aber dennoch hart und bestimmt. In seiner Stimme lag etwas Animalisches. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, aber er hielt sie auf Abstand. War dieser Mann ihre letzte Chance? Hatte sie den Mut für ihn, alles auffliegen zu lassen? Wenn gnadenlose Jäger dich finden, mörderische Cocktails dich locken und animalische Triebe dich verführen, ist die blutige Abrechnung zum Greifen nah. ... ein Hamburg-Krimi der besonderen Art.

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Seitenzahl: 306

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über die Autorin

Lisa Lenardi, Jahrgang 1964, studierte Kunst und Germanistik auf Lehramt und unterrichtet acht Jahre, bevor sie ein erneutes Studium im Bereich Praxisorientiertes Management begann. Danach wechselte sie in den Vertrieb und kurz darauf ins Management. Nach vielen aufopferungsvollen Jahren brach sie mit neunundvierzig zusammen und wurde förmlich aus dem Leben gerissen. Keine Therapie schlug nachhaltig an. Erst als sie begann, ihre seelischen Schmerzen, Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen, gelang es ihr, dem Leben zu vertrauen. Sie schrieb sich Zeile für Zeile ins Leben zurück. Bis heute sind bereits acht Werke ihrer Feder entsprungen, und weitere werden folgen.

Lisa Lenardi

Cocktail Mafia

…ein Cocktail-Krimi

© 2024 Lisa Lenardi (lisa-lenardi.de)

Cover & Illustration: Lisa Lenardi

Verlagslabel: Wunsch Verlag

ISBN-Softcover: 978-3-384-05452-4

ISBN-Hardcover: 978-3-384-05453-1

ISBN-E-Book: 978-3-384-05454-8

2.Auflage (bebildert)2024

1.Auflage 2019

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH

Hans-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Begriffserklärungen

Cocktail-Rezepte

Lisas Tipp

Danke

Cocktail Mafia

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Danke

Cocktail Mafia

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2014

Hamburg in der Morgendämmerung. Ein Hauch von Frost hing über der Stadt, doch die seichten Wellen der Elbe schoben ihn unaufhörlich davon. Einige Menschen eilten den Landungsbrücken entgegen. Mit hochgezogenen Schultern versuchten sie der Kälte zu entfliehen, und selbst die dicken Mützen und Schals schienen ihrer Aufgabe heute nicht gerecht zu werden. Nur eine schlanke Gestalt mit schwarzem Wollhut blieb auf der Brücke stehen und trotzte der Kälte. Den grauen Schal fest um den Hals geschlungen, schweiften Carusos Blicke hinüber zum Hamburger Hafen. Tausende Lichter erleuchteten das geschäftige Treiben, doch unter Hamburg war eine andere Welt schon lange erwacht.

Ein beißender Geruch beherrschte den Raum und nur der Lichtkegel einer kleinen Lampe ließ den Schrecken erahnen, der sich hier unten abspielte.

Inmitten des großen Raumes stand eine metallene Bahre. Ein hauchdünnes Tuch bedeckte den schmalen Körper. Bewegungen wurden sichtbar, ein zarter Anflug von Leben. Und dennoch verhüllte das Leinen die eigentliche Tragik des Geschehens.

An den kargen Steinwänden hatten sich Kondenstropfen gebildet, die sich nach und nach zu kleinen Bächen vereinigten und schnell zu Boden flossen. Von Weitem vernahm man ein metallisches Geräusch, fast wie das Rasseln von Ketten, das sich nach und nach im gesamten Raum verteilte. Doch plötzlich wurde es still und nur ein dumpfer Ton stieg die hohen Wände empor. Was war das? Es klang wie das Auftreten schweren Schuhwerks auf steinernem Boden. Leises Plätschern drang an ihr Ohr, und nur das Pochen ihres Herzens begleitete diese außergewöhnliche Sinfonie der Geräusche.

Mehr und mehr konnte man die Silhouette ihres zierlichen Körpers erahnen. Der Faltenwurf des weißen Stoffes veränderte sich ständig. Ihre Bewegungen wurden unruhiger und ihre schlanke Hand tastete sich ängstlich ins Freie.

Es knackte. Sie zuckte zusammen und die zarten Finger zogen sich unter das schützende Tuch zurück. Ihr Puls war augenblicklich in die Höhe geschnellt, und der Patientenmonitor schlug Alarm. Angst machte sich breit. Nicht noch eine Infusion. Nein, du musst bei klarem Verstand bleiben, gegen das Gift in den Adern ankämpfen, dich wehren, diesen Wahnsinn überleben.

„Bleib liegen!“

Eiskalte Hände drückten ihre Schultern zurück aufs Laken. Die Töne des Monitors wurden immer schneller, und erst als die Hände sich von ihren schmalen Schultern lösten, erloschen auch die lauten Warnsignale. Doch dann hörte sie Schritte, weichere Schritte. Warme Hände berührten ihren bandagierten Kopf, und sie zuckte zusammen.

„Keine Angst. Ich bin … Aa!“

Er hielt sich den linken Rippenbogen und schwieg.

„Keine Namen! Mach deine Arbeit, sonst nichts!“

Als er sich wieder zur Patientin beugte, streifte sein warmer Atem ihr zartes Gesicht und Hoffnung keimte in ihr auf, dass es wenigstens eine menschliche Seele in diesem verdammten Spiel gab. Nach und nach wich der Druck auf ihrem Gesicht einer angenehmen Kühle. Ihre Schmerzen schienen milde gestimmt und sie genoss einen tiefen Atemzug. Sie hatte die Hoffnung nie aufgegeben, dass diese Tortur der letzten Monate irgendwann enden würde, und heute schien es endlich so weit zu sein. Was aber, wenn nicht? Nein, daran durfte sie nicht denken.

„Alles ist hervorragend verheilt“, erklärte ihr eine warme Stimme. Sie freute sich und versuchte ein erstes Lächeln. Aber die Haut an den Mundwinkeln spannte noch sehr und die freundliche Mimik erstarrte.

„Ich befreie Sie zunächst von den Geräten und dann von Ihren Augenverbänden. Bitte lassen Sie die Lider noch geschlossen und öffnen sie erst, wenn ich es Ihnen sage.“

„Ja“, hauchte sie und er sah das Pochen ihrer Halsschlagader. Vorsichtig löste er die Verklebungen. Sie zuckte kurz, nahm die Schmerzen aber gerne hin, Hauptsache dieser Wahnsinn würde endlich ein Ende nehmen. Ihr leichtes Stöhnen unterbrach die Prozedur für Sekunden. Doch dann war sie endlich befreit. Ein leichter Luftzug kühlte ihre Lider und sie begann zu zittern.

Er legte seine Hand auf ihre Wange. „Es ist so weit. Öffnen Sie vorsichtig Ihre Augen."

Ihr Herz raste und sie wagte kaum zu atmen.

„Nun mach schon. Schließlich habe ich eine Menge Geld in dich investiert!“

Nein, dachte sie. Diese Stimme. Hass und Wut trieben ihr Tränen in die Augen, und wie von selbst öffneten sich ihre Lider. Suchend wanderten ihre Blicke durch den Raum. Wo war der Mensch, dessen sanfte Stimme ihr in den letzten Wochen immer wieder Mut zugesprochen hatte? Da. Endlich erblickte sie ihn. Er stand, mit dem Rücken zu ihr, an einem kleinen Metalltisch. Ungeduldig und noch mit verschwommenem Blick, wartete sie darauf, dass er sich umdrehte. Jetzt. Er hatte eine Flasche und ein quadratisches Mulltuch in der Hand, kam auf sie zu und lächelte. Was für ein freundliches Gesicht, dachte sie. Seine dunkelblauen Augen wurden von strubbeligen blonden Haaren gekrönt, und sie begann zu schmunzeln.

„Hör auf zu grinsen, blöde Gans! Oder willst du wieder unters Messer, hm?“

Die Patientin zuckte zusammen. Da war sie wieder, die Realität. Trotz ihres verschwommenen Blickes erkannte sie diese harten Gesichtszüge sofort. Dieses Bild hatte sich unverwechselbar in ihre Seele gebrannt. Sie versuchte sich zu erheben, doch die Gurte an ihren Armen zogen sie erbarmungslos nach unten.

„Binde sie los! Ich will das ganze Werk sehen. Dalli, dalli! Wofür bezahle ich dich?“

Er beugte sich über seine Patientin und löste vorsichtig die Fesseln, die eng um ihre Handgelenke geschlungen waren. Als sein Kopf den ihren fast berührte, hauchte sie leise: „Danke. Für alles.“

„Was tuschelst du da?“

Ein gequältes Lächeln war ihre einzige Antwort, denn ihre Gedanken gingen sofort auf Reisen. Je mehr sie über ihr vergangenes Leben und die derzeitige Situation nachdachte, umso deutlicher wurde ihr klar, dass sie in einer Sackgasse gelandet war, gefangen in einem Körper, den sie hasste, in einem Beruf, den sie verabscheute und in einem Kerker, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gab.

Die sanfte Stimme des Arztes verscheuchte ihre trüben Gedanken, und sie folgte seiner freundlichen Aufforderung, sich langsam zu erheben. Als ihr nackter Fuß den schwarzen Steinboden berührte, zuckte sie zusammen. Kälte? Das war alles? Sie erschrak. Mit allem hatte sie gerechnet, Stechen, Taubheitsgefühl, Schmerz. Aber das Einzige, was wellenartig bis zu ihrem Herzen schlug, war eisige Kälte. Dann brach sie zusammen.

Der kalte Steinboden kühlte ihren Rücken und ein leichtes Klopfen auf ihre Wangen holte sie gänzlich in die Realität zurück.

„Junge Frau. Hallo! Können Sie mich hören?“

Das Erste, was sie sah, waren seine Strubbelhaare, und sie verspürte ein Gefühl der Erleichterung. Doch dann blickte sie sich ängstlich um. Waren sie allein? Ja. Ihre Blicke wanderten an ihrem Körper hinunter und erkundeten Zentimeter für Zentimeter das, was von ihrem Äußeren übrig geblieben war.

Er schwieg, verfolgte ihre Blicke und versuchte zu lächeln. Doch es gelang ihm nicht. Er erinnerte sich immer wieder an die wunderschöne Frau, die sie einmal gewesen war, und erschrak. Er sprang auf und drehte sich zur Wand.

„Was haben Sie, Doc? Ist irgendetwas mit meinem Gesicht? So reden Sie doch!“

Er wischte eine Träne von der Wange, drehte sich um und reichte ihr die Hand. „Mit Ihnen ist alles gut.“

„Okay, dann will ich mir das Werk bitte ansehen.“ Sie griff zu und zog sich langsam nach oben. Er reichte ihr einen Handspiegel und sie blickte hinein. Ihr zarter Körper war so schnell zu Boden geglitten, dass er ihn nicht mehr halten konnte, und nun lag sie in einem Meer von kleinen Spiegelscherben.

„Meine Liebe! Was haben Sie denn, meine Liebe?“

Er kniete vor ihr, klopfte ihr sanft aufs Gesicht und wartete auf eine Reaktion. Zaghaft öffnete sie die Augen und eine warme Träne tropfte auf den kalten Steinboden.

„Das bin ich nicht. Das darf nicht sein. Ich bin nicht sie. Ich bin nicht dieses Monster!“

Sie sah ihn flehend an, doch er senkte den Blick und schwieg. Sanft schob sie ihre Hand unter sein Kinn, hob seinen Kopf und erschrak.

„Aber Doc?“

Lange hatte sie in seine traurigen Augen gesehen, nahm den Zipfel ihres weißen Leinenhemdes und tupfte ihm die Tränen vom Gesicht. Er versuchte zu lächeln und zog sie sanft nach oben. Doch diese eisige Kälte ließ sie sofort wieder erstarren. Sie rieb ihre rechte Fußsohle am Schienbein und lächelte. Und plötzlich war da ein Gefühl der Wärme, tief in ihr, das sie nicht beschreiben konnte. Es war einfach nur da.

Als sie seine Hand nahm, zuckte er zusammen. Angst sprachen seine Augen. Angst, seine zitternden Hände. Einfach nur Angst. Sie versuchte, seinen Körper zu umfassen, um ihn zu trösten, aber es gelang ihr nicht. Er stand, zur Säule erstarrt, vor ihr, die Arme fest an den Körper gepresst.

Also versuchte sie es mit Worten. „Doc, ich weiß, dass es nicht Ihre Schuld ist. Ich spüre es, glauben Sie mir. Sie sind ein guter Mensch.“

Seine Augen wurden wach und er blickte auf die zierliche Gestalt, die ihn immer noch fragend ansah. Konnte er ihr wirklich vertrauen?

„Doc, ich weiß, dass Sie das hier …“ Sie zeigte mit beiden Händen erst auf ihr Gesicht und dann auf ihren ganzen Körper. „… nicht freiwillig angerichtet haben.“

Er nickte.

„Dieses Monster hat Sie in der Hand, richtig?“

Wieder stummes Nicken.

„Ich wusste es!“

Er wandte sich ab und schwieg.

„Doc, vertrauen Sie mir. Wir sitzen im selben Boot.“

Er räusperte sich, versuchte seine Kontenance wiederzugewinnen, ging wortlos zu seinem Schreibtisch, blickte ängstlich zur Kamera an der Decke und zog ein leeres Rezept an sich. Sie sah ihm ungläubig hinterher und wartete ab. Als er wieder vor ihr stand, waren seine Gesichtszüge versteinert und kalt.

„Wir werden Sie heute im Laufe des Tages entlassen und haben Ihnen bereits eine Suite im Hotel so eingerichtet, dass Sie alle notwendigen Dinge und Bequemlichkeiten zur endgültigen Genesung vorfinden werden. Hier noch ein Rezept für ein Schmerzmittel und die Heilsalbe, die Sie bitte mehrmals täglich auf die Gesichtshaut auftragen.“

Er war wie umgewandelt, kühl und distanziert. Verwirrt blickte sie auf das kleine Blatt Papier in ihrer Hand. Wo war der warmherzige Mensch geblieben?

Plötzlich griff er das Rezept und drehte es um. Sie starrte auf die Zeilen.

„Nein. Dieses Monster!“

2

Hamburg 2019.

Als der Wagen in die Bramfelder Chaussee einbog, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Erinnerungen drängten sich in den Vordergrund. Erinnerungen an den schrecklichsten Tag in ihrem Leben. Erinnerungen an ihn, an den einzigen Menschen, den sie je geliebt hatte.

„Gnädige Frau? Wir sind am Ohlsdorfer Friedhof.“

Clara erwachte aus ihren Tagträumen. „Danke, Carl. Sie können fahren.“

„Aber, ich warte gern.“

„Fahren Sie, Carl. Ich komme zurecht.“

Sie öffnete die Tür des Bentleys und stieg aus. Ein Windstoß fuhr ihr unter den geöffneten Mantel, und sie hatte Mühe, ihre Beine zu bedecken. Clara blickte zitternd auf das Eingangstor.

Sie wusste nicht, wie lange sie schon stehen geblieben war, aber Ihr erstarrter Blick hing immer noch auf dem breiten Sandweg. Sie sog die kalte Luft tief in sich ein, drückte ihren Mantelkragen fester um den Hals und ging. Schritt für Schritt näherte sie sich dem Grab, an dem sie so lange nicht gestanden hatte. Fünf Jahre waren vergangen, fünf lange Jahre. Ihre wasserblauen Augen starrten ins Leere und Ihre Gedanken wanderten in die Vergangenheit. Wie verliebt und glücklich wir waren, dachte sie, und ein Lächeln schmückte ihr schönes Gesicht.

Sie starrte auf das monströse Grab und noch immer begriff sie nicht, was damals wirklich geschehen war. Ihr Herz begann zu rasen, und sie hatte das Gefühl, als lege er ein letztes Mal seine warme Hand auf ihre Schulter. Ängstlich drehte sie sich um und blickte auf ein Meer von Grabsteinen. Nein. Sie war allein.

Noch immer hatte sie die dreizehn roten Rosen in der Hand und noch immer war sie nicht in der Lage, diese aufs Grab zu legen. Starr ruhte ihr Blick auf der weißen Madonna, doch in Gedanken sah sie immer wieder das gewaltige Blumenmeer, das den kleinen Hügel damals bedeckte.

Ein Kälteschauer durchbrach ihre Gedanken und sie blickte auf das Grabmal aus weißem Marmor. Sie selbst hatte die Madonna mit Kind, nach dem Vorbild Michelangelos, damals in Auftrag gegeben, aber bisher nur Fotos gesehen. Beim Anblick der pompösen Grabstätte bekam sie weiche Knie und sank auf die kalte Erde. Ihr Blick wanderte hoch zur Madonna. Der Faltenwurf ihres Gewandes war so real, dass Clara augenblicklich den Drang verspürte, ihn zu berühren. Doch als sie den kalten Marmor ertastete, zuckte sie unwillkürlich zusammen. Plötzlich war alles wieder präsent. Der Anruf des Arztes, ihr Zusammenbruch und der lange Gang bis zum Kühlraum des Krankenhauses. Eine Schwester hatte sie damals gestützt und trotzdem war sie erneut zusammengebrochen, als der Arzt das Leichentuch hob. Das Einzige, was sie immer noch vor Augen hatte, war sein weißes Gesicht.

„Nein!“

Heiße Tränen liefen ihr über die kalten Wangen und ihre Hände krallten sich in die eiskalte Erde. Clara erschrak, sprang auf, klopfte sich den Sand von den Händen und sah entsetzt auf ihre Fingernägel.

„Du dummes Schaf! Das bringt ihn auch nicht zurück!“

Ihre Blicke wanderten zu den traurigen Augen der Statur und zum ersten Mal auf die kurze Inschrift darunter:

In Liebe

Claas Collins

* 12. 07. 1980

+11. 04. 2014

Sie ließ die Rosen auf das Grab gleiten und ging.

An der kleinen verwitterten Bank, vor der Kapelle, blickte sie noch einmal zurück, und ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen. Sie erinnerte sich an ihren Streit. Wortfetzen drängten an ihr Ohr, doch sie erinnerte sich nicht genau an seine letzten Worte. Warum hatte sie ihn einfach ziehen lassen? Warum stieg er zu Alma ins Auto? Er wusste doch, wie labil sie war. Ihre Hände begannen zu zittern, sie griff nach der morschen Banklehne, atmete tief durch und besann sich auf ihren Plan. „Reiße dich zusammen! Er ist tot und für alles andere ist es zu spät!“

Clara war froh, als sie den Bentley sah. Carl saß Zeitung lesend hinter dem Steuer und wartete. Seine schmale Lesebrille war ihm tief auf die Nase gerutscht. Und trotzdem hatte er sie entdeckt, blickte kurz auf, stieg aus und hielt ihr die Tür auf.

„Carl, wie schön, dass Sie geblieben sind.“

„Aber natürlich, gnädige Frau.“

Erleichtert stieg sie ein.

Als der Wagen sich ihrem Zuhause näherte, gingen ihre Gedanken wieder auf Reisen. Sie fror und erinnerte sich an den heißen Sommer des letzten Jahres und die Spaziergänge zum Altonaer Balkon. Während der Bauarbeiten an der Villa hatte sie sich oft dorthin zurückgezogen. Sie genoss den Ausblick und erfreute sich an den vielen bunten Tupfen, die den ruhigen Wasserspiegel der Elbe belebten. Denn erst bei näherem Hinsehen erkannte man, dass es die farbenfrohen Segel vorbeigleitender Boote waren. Clara liebte diese malerische Kulisse und wünschte, es wäre wieder Sommer.

Carls Bremsen zerriss ihre Tagträume. Sie blickte auf und beobachtete das schmiedeeiserne Tor, wie es sich langsam nach innen öffnete. Quaderförmige weiße Pfeiler standen, wie riesige Wächter, auf beiden Seiten des Tores und die sich anschließenden Zaunfelder reckten ihre eisernen Spitzen hochnäsig gen Himmel. Der Bentley fuhr an und ihr Blick fiel, wie so oft, auf die drei großen Ziffern am linken Pfeiler: 1 8 6.

Im letzten Frühjahr erst, hatte sie dieses Anwesen vor dem Verfall gerettet und bis heute war viel Geld in die Restauration und Renovierung der Brandt’schen Säulenvilla geflossen, aber sie hatte nicht einen Euro davon bereut.

Carl lenkte den Wagen die Straße hinauf und lächelte über das Lenkrad. Clara blickte erstaunt in den kleinen Rückspiegel und fragte nach: „Worüber amüsieren Sie sich, Carl?“

„Ich freue mich, gnädige Frau. Dieses Altstadtpflaster, das Sie ausgesucht haben, ist hervorragend und schont außerdem die Stoßdämpfer des Wagens.“

Clara lächelte. Carl und die Autos, dachte sie.

Der Bentley stand. Noch bevor ihr Chauffeur aussteigen konnte, riss sie die Tür auf, sprang aus dem Auto und ging mit schnellen Schritten auf den Eingang zu. Exotische Nadelgehölze säumten den Weg und träumten in winterlicher Starre. Doch Clara eilte nur an ihnen vorbei, den nächsten Termin im Kopf und den übernächsten bereits im Rücken.

Gloria empfing sie an der Tür. „Frau Clara! Ich habe Essen schon fertig. Gibt heute frischen Salat und Hähnchenbrust. Okay?“

Doch die gnädige Frau nickte nur flüchtig, schob ihre Haushälterin beiseite und eilte durch die Empfangshalle Richtung Treppe. Zügig zog sie sich am goldenen Geländer nach oben und entschwand. Gloria sah ihr mit offenem Mund hinterher und ihr Blick blieb, wie so oft, an der riesigen Decke haften. Sie liebte die filigranen Stuckarbeiten. Schwärmend stand sie unter einem Himmel von Engeln und Wolken, goldverzierten Harfen und kleinen Trompeten. Sie konnte sich nicht sattsehen an dieser Schönheit. Niemals.

Clara öffnete die breite Schiebetür zu ihrem Privatbüro, zog ihren Mantel aus und ließ ihn im Vorbeigehen auf das weiße Ledersofa gleiten.

Die Mittagssonne hatte sich durch die Februarwolken gequält und die Fronten der weißen Designermöbel glänzten im eintretenden Licht. Sie lächelte. Doch als sie sich hinter ihrem Schreibtisch niederließ, wurde ihr Gesichtsausdruck hart und ernst. Das zarte Lächeln wich einer kühlen Arroganz. Zügig öffnete sie ihren Laptop und las die Mails. Bereits die erste Nachricht versetzte ihr Blut in Wallung. Clara atmete schwer und ihre schwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen. Sie riss den Hörer an sich und drückte die Sechs. 

Sekunden später zerschellte das Telefon an den grauen Schieferplatten der Wand. Clara hielt den Atem an und zog ihr Handy aus der Handtasche.

„Gloria, ich bin heute für niemanden mehr zu sprechen und schick mir das Essen im Speiseaufzug hoch … Nein, für niemanden!“

Ein leises Summen verriet, dass ihr Abendessen eingetroffen war. Kopfschüttelnd lief sie an den Überresten des Telefons vorbei und ärgerte sich über ihren Wutausbruch. Sie öffnete den Schacht, entnahm das Tablett und setzte es auf den Beistelltisch, ohne es eines Blickes zu würdigen. Der Geruch des Bratens stieg ihr in die Nase. Angewidert drehte sie sich weg. Ich brauche dringend Ablenkung, dachte sie, und lief vor den bodentiefen Fenstern auf und ab. Ihre Blicke wanderten nach draußen. Der kleine Park, am Rande des Anwesens, lag in weiter Ferne, doch sie konnte alle Details genau erkennen. Die Gärtner hatten ausgezeichnete Arbeit geleistet. Sie liebte die streng geschnittenen Formen der einzelnen Gehölze und erinnerte sich mit Grauen an den Wildwuchs, den sie hier vorgefunden hatte.

Clara saß gelangweilt hinter ihrem Schreibtisch und blätterte im Adressbuch. Plötzlich stoppte sie, zog ihr Handy an sich und wählte die Zehn.

„Amando, zwanzig Uhr bei mir … Ja, wie immer.“

Gloria hatte längst den Heimweg angetreten, als eine weiße Limousine am Rande der Elbchaussee hielt. Das Anwesen hinter dem Eingangstor der Nummer 186 lag in tiefer Dunkelheit. Clara hatte die Außenbeleuchtung ausgeschaltet und die kleine Pforte geöffnet, sodass Amando unbemerkt auf das Grundstück gelangte. Sie stand am Fenster ihres Boudoirs, ihre Silhouette kaum erkennbar. Und doch sah er sie, umrisshaft, einem Engel gleich. Sehnsüchtig lief er auf die weiße Marmortreppe zu und hörte bereits von Weitem das Summen des Türöffners. 

Die schwere weiße Holztür stand offen und das Pochen in seinen Lenden wurde mit jedem Schritt heftiger. Was sie heute wohl trug, dachte er?

„Da bist du ja. Du hast mich warten lassen.“ Ihre Stimme klang sanfter als sonst. Also heute nicht auf die harte Art, dachte Amando und ließ bereits im Gehen sein graues Sakko fallen. Vor ihm stand ein Traum in Rot. Sie strich sich mit langen Seidenhandschuhen über ihre schwarzen Haare. Es knisterte.

„Clara, wie schön du bist.“

„Sei still!“

Aha, also doch die härtere Gangart, dachte er.

„Komm dichter, aber berühre mich nicht.“

Die feuerrote Corsage endete in einem knappen Rüschenrock. Ihre wohlgeformten, langen Beine steckten in roten High Heels. Seine Blicke wanderten nach oben und verharrten in ihrem Dekolleté. 

„Du quälst mich, Clara.“ Amandos Pulsfrequenz war nach oben geschnellt, und ihr Atem streifte seine feuchten Lippen. Langsam berührte sie die rote Samtschleife an ihrem Dekolleté und zog sie auf.

„Ich will dich“, flüsterte er.

„Später, Amando. Viel später.“

Dann drehte sie sich um und gewährte ihm einen Blick auf das knappe Röckchen. Die Zartheit ihres gebräunten Pos steigerte seine Lust ins Unendliche und erst jetzt sah er, dass sie kein Höschen trug. Sie drehte sich wieder um und blickte in Amandos Augen. Seine Erregung war nicht zu übersehen. Er griff nach ihren Brüsten. Doch sie trat zurück und lachte laut auf.

„Bitte, Clara.“

Sie lächelte amüsiert und sagte: „Zieh dich aus!“

Zitternd versuchte er, die Knöpfe seines weißen Hemdes zu öffnen. Vergebens. Also riss er es auf.

„Warte, Tiger! Jetzt ich.“

Quälerisch langsam öffnete sie einen Haken nach dem anderen, bis ihre Corsage den ganzen Blick auf ihre wohlgeformten festen Brüste freigab.

„Jetzt du, Amando!“

Seine Hand wanderte zum Gürtel.

„Langsam!“, herrschte sie ihn an und genoss das Muskelspiel seiner Brust, als er die Gürtelschnalle löste. Ein Prachtexemplar, dachte sie, und heute gehört er mir, mir allein.

Langsam ließ er eine Hand unter den Hosenbund gleiten und öffnete den ersten Knopf.

Clara ging einen Schritt auf ihn zu. „Soll ich helfen?“

Verwirrt blickte er auf. „Ja. Bitte.“

Nur Millimeter trennten beide Körper, aber ihm kam es vor, als stünde sie am anderen Ende des Raumes. Er sah ihre Hand, die sich langsam seiner Hose näherte, und hielt den Atem an.

Die nächsten Minuten waren eine Endlosschleife von Gefühlswallungen, ein Auf und Ab, wie er es noch nie mit einer anderen Frau erlebt hatte. Es war außergewöhnlich, dass sich eine Kundin zurücknahm und auch er auf seine Kosten kam. Bei ihr konnte er für einen Abend vergessen, dass er ein Callboy war.

3

Claras pechschwarze Haare glänzten und der cremefarbene Hosenanzug, den sie heute trug, schimmerte fast golden, als sie unter dem Kronleuchter hindurchging. Gloria wartete bereits mit einem reich gedeckten Frühstückstisch.

„Tulpen im Februar. Das macht Hoffnung auf einen baldigen Frühling“, säuselte Clara gut gelaunt.

Ihre Haushälterin kam ihr lachend entgegen. „Schön, dass Frau Clara wieder besser geht und sich freut. Dann freut sich auch Gloria.“

Die halblangen, braunen Haare der Haushälterin schienen heute noch keinen Kamm gesehen zu haben, und Clara fragte nach: „Was ist mit deinen Haaren passiert?“

Gloria stellte das Tablett ab und versuchte mit beiden Händen die widerspenstige Wolle glatt zu wischen, doch es gelang ihr nicht. Sie verdrehte die Augen. „Habe versucht und versucht, machen, was wollen.“

Clara schüttelte den Kopf und griff zum Telefon. „Peer? Clara hier. Hast du heute noch einen Termin? Es ist ein Notfall. Übrigens, hast du schon meine Einladung erhalten? … Ja, genau … und, kommst du? … Schön. Wann sollen wir heute im Salon sein? Um 11 Uhr. Wunderbar. Danke, Peer. Bis dann.“

Nachdem sie das Telefon abgelegt hatte, musterte sie noch einmal ihre Haushälterin, die sich an der Tischkante festhielt und sie wie gebannt anstarrte. Clara ignorierte das und sprach weiter: „So, meine Liebe. Nach dem Frühstück ziehst du dich um und dann übergebe ich dich in professionelle Hände.“

Gloria schwankte. Ihre braunen Pupillen wurden weit. „Ich gehen soll zu Friseur von Frau Clara?“

„Nun schau nicht so. Bring mir meinen Cappuccino. Hopp. Hopp.“

Das Klappern des Geschirrs drang bis an den Frühstückstisch, und es war nur eine Frage der Zeit, wann die erste Tasse zu Boden fallen würde. Clara blickte auf ihre Armbanduhr. Gleich zehn. Entschlossen stand sie auf und ging zur Küche hinüber.

Bereits einige Minuten später saßen sie im vorgeheizten Bentley. Gloria strich sich immer wieder den blauen Rock glatt und Clara war froh, bald am Ziel zu sein. Dass ein Friseurtermin ihre Haushälterin so aus der Bahn werfen würde, hatte sie nicht erwartet. Na ja, aber es war nicht irgendein Friseur, dachte sie, und musste schmunzeln.

Endlich. Es war geschafft, und als Gloria ausstieg, schien sie sich vollends beruhigt zu haben. Clara warf sich erleichtert in die weichen Ledersitze und rief Carl zu: „Weiter zum Fähranleger Teufelsbrück.“

Der Bentley fuhr an und Claras Gedanken blieben kurzzeitig bei Peer hängen. Wie wird er Gloria wohl stylen? Ein Lächeln huschte über die rosafarbenen Lippen und ihre Blicke wanderten hinüber zum Elbanleger. Noch war alles ruhig.

„Carl, fahren Sie bitte weiter zur Weißen Kajüte.“

Ein kurzes Tippen an seine Mütze zeigte ihr, dass er verstanden hatte. Sie liebte seine Geste und lächelte in den kleinen Rückspiegel.

Zehn Jahre waren es her, dass sie das kleine Bistro neben dem Fähranleger Teufelsbrück übernommen hatte. Die warnenden Rufe von Freunden und Familie hörte sie noch heute. Aber sie hatte sich durchgebissen, allen Warnungen zum Trotz. Heute umfasste ihr Imperium bereits drei Restaurants in Elbnähe und drei weitere Hotels und Restaurants in Hamburg.

„Gnädige Frau.“

Der Bentley stand und Carl hielt bereits die Tür auf.

„Danke, Carl. Warten Sie nicht auf mich. Ich rufe Sie an, und holen Sie bitte Gloria vom Friseur ab.“

Der schmale Steg, hinunter zum schwimmenden Restaurant, war menschenleer, und als sie das Ponton erreichte, begann es zu schwanken. Clara lugte rechts in das alte Hausboot, in dem der Küchentrakt untergebracht war, und klopfte an die offene Tür. „Moin, Hanssen. Liegen heute Bestellungen vor?“

„Moin, moin, Frau Collins. Ja, heute Abend, ein sechzigster, 20 Personen.“

Er hatte nur kurz aufgesehen und den Seelachs weiter filetiert. Trotzdem spürte er ihre ernsten Blicke. „Bin gleich bei Ihnen. Kaffee, Frau Collins?“ Hanssen hatte nur das Geräusch ihrer Pumps auf den Planken wahrgenommen und wusste, dass er wieder allein war. Erleichtert reinigte er seine Hände, lief hinüber ins Restaurant, schenkte zwei Tassen Kaffee ein und ging zu ihrem Lieblingsplatz, hinten links, neben dem Tresen. „So, da bin ich.“

Es waren einige Minuten vergangen. Dann hielt er die Stille nicht mehr aus und sagte geknickt: „Ich weiß, für die Küche bin ich nicht mehr zuständig. Aber es fehlt mir. Ich bin mit Leib und Seele Koch, kein Restaurantchef. Ich bin Ihnen dankbar für die Chance, aber …“

„Okay. Verstanden. Aber als Koch sind Sie hier unterfordert. Nächste Chance, Hanssen …“

Ihr Kopf zeigte mit einer kurzen Bewegung Richtung Anlegesteg der Fähre.

„Ich habe das Restaurant gekauft.“

Hanssens Augen weiteten sich und sein Blick verharrte auf ihren Lippen.

„Ich brauche da einen kreativen Koch, der den Laden auf Touren bringt. Trauen Sie sich das zu?“

Er kratzte seine weißen Bartstoppeln.

„Was ist, Hanssen?“

„Ich weiß nicht.“

„Wie, Sie wissen nicht?“

Er sprang auf, streckte ihr seine große Hand entgegen und rief: „Ja, ja, Frau Collins. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Sie haben Ja gesagt, mehr wollte ich nicht hören. Also, Hanssen. Sie haben eine Woche. Dann will ich Ihr Konzept auf meinem Schreibtisch.“

Sie stand bereits in der Tür und drehte sich noch einmal zu ihm um. „Im Übrigen, Geld spielt keine Rolle.“

Es waren nur wenige Meter bis zu ihrem Neuerwerb, aber der Wind kam in so wuchtigen Böen über die Elbe, dass sie sich den Mantelkragen noch fester um den Hals drückte. Schnellen Schrittes ging sie zum Fähranleger hinüber. Auf der langgestreckten Brücke fegte der Wind noch heftiger und die kleine Handtasche, die sie über der Schulter trug, wurde fast davongetragen. Beherzt griff sie zu. Die sechzig Meter bis zur Treppe des Restaurants kamen ihr heute vor wie hundert, doch sie schob ihren zierlichen Körper beherzt gegen den Wind.

Endlich stand sie davor. Das zweistöckige, lange Gebäude glich einem Flussfahrtschiff. Sie lächelte, ging an der Treppe vorbei und hielt sich rechts am Geländer fest. Trotz des starken Windes verharrte sie einen Moment auf der Brücke und blickte stolz auf ihren Neuerwerb. Alles richtig gemacht, dachte sie, drehte sich um und bestieg die erste Stufe.

Der Ausblick war fantastisch. Ihre Augen wanderten weit über das Wasser, hinüber zu den unzähligen Kränen des Hamburger Hafens. Alles richtig gemacht, dachte sie erneut. Glückwunsch, Clara.

Auf dem gegenüberliegenden Gewerbegebiet Rüschhalbinsel war es ruhig und im Kanal lagen kaum Boote. Auch bei Airbus war heute kein reges Treiben zu beobachten und vielleicht würde es bald noch viel ruhiger werden. Clara hatte gerade gelesen, dass Airbus Toulouse die Produktion des A380 einstellen will. Das wäre ein gutes Gelände für uns, dachte sie und spitzte ihre rosa geschminkten Lippen.

Das Restaurant wurde vom eintretenden Sonnenlicht förmlich durchflutet. Nur vereinzelt vorbeiziehende Schleierwolken unterbrachen die ersten wärmenden Strahlen. Clara setzte sich an einen der kleinen Holztische, mit Blick über die Elbe und beobachtete das herannahende Fährschiff. Ihre blauen Pupillen hüpften vor Vergnügen. Auf dem schmalen, weißen Tischtuch standen kleine Gläser mit rosa Teelichtern und die gut platzierten Rotweingläser nebst Besteck und Servietten boten einen akkuraten Anblick. Clara hob eines der Gläser gegen das Licht. Gut poliert. Der Restaurantleiter hat seine Leute im Griff.

Ihr Blick wanderte hinüber zur Bar. Kaffeeautomat und Bierzapfanlage nahmen den größten Platz ein. Neugierig geworden, stand sie auf. Doch außer Standardspirituosen und einer hervorragenden Weinauswahl sah sie nichts, was an eine klassische Bar erinnern würde. Das musste sich ändern. Sie ging in die Knie und öffnete einige Türen.

„Was machen Sie da?“

Ein dunkelhaariger Mann, in schwarzem Anzug, beugte sich zu ihr hinunter.

„Das Konzept der Bar werden wir definitiv ändern“, sagte Clara, während sie sich erhob. Dann strich sie die schwarzen Haare glatt, lächelte und reichte ihm die Hand: „Guten Tag, Herr Friedrichsen.“

„Frau?“ Er wartete.

„Clara Collins. Auf gute Zusammenarbeit. Sie dürfen meine Hand jetzt loslassen, Herr Friedrichsen.“

„Herzlich willkommen, Frau Collins.“

Er hatte seine Contenance wiedergefunden und räusperte sich. „Entschuldigung, gnädige Frau.“

„Lassen Sie das, Friedrichsen! Es reicht, wenn mein Fahrer mich so anspricht. Frau Collins, aber nicht gnädige Frau. Denn gnädig bin ich selten.“

Er dienerte kurz. „Selbstverständlich, Frau Collins.“

Claras flüchtiges Lächeln wirkte beruhigend auf ihn und sein starrer Gesichtsausdruck wich einer entspannten Höflichkeit. Sie musterte ihn. Ein schöner Mann. Irgendwann werde ich ihn mir gönnen.

„Sie haben den Laden in Schuss. Sind Sie gewillt, für mich zu arbeiten, Herr Friedrichsen?“

„Es ist mir eine Freude, gnä …, Entschuldigung, Frau Collins.“

Clara verkniff sich ein Grinsen. „Gut. Dann legen wir los. Rufen Sie bitte das Personal zusammen.“

„Sehr wohl. Hier oben?“

„Gern“, antwortete sie und scheuchte ihn mit einer kurzen Handbewegung davon.

Clara hatte wieder am kleinen Tisch Platz genommen und wartete. Ihre Blicke schweiften über die Elbe und sie beobachtete die Wellen, die gegen das nahende Fährschiff peitschten. Die kräftigen Motoren trieben das schwere Blech gnadenlos der Brücke entgegen und auch der immer stärker werdende Wind kam dagegen nicht an.

Geräusche drangen an ihr Ohr und sie drehte sich zur Bar. Nach und nach füllte sich der Raum mit gut gekleideten Kellnern und Köchen. Sie erhob sich langsam und ließ das Bild auf sich wirken. Das Alter der meisten schätzte sie zwischen fünfundzwanzig und vierzig. Perfekte Mischung. Jung und erfahren. Langsam ging sie auf die Mannschaft zu. „Guten Tag oder wie man in Hamburg sagt, moin zusammen.“

Einige lächelten.

„Also, wagen wir den Neustart. Ich werde mit jedem von Ihnen in den nächsten Tagen Einzelgespräche führen und alle bekommen von mir eine Chance in diesem Team und in diesem Haus weiterzuarbeiten. Oder möchte jemand bereits gehen, hm?“ Sie schaute in die Runde und das Einzige, was sie erblickte, war ein gemeinschaftliches Kopfschütteln.

„Gut. Das Restaurant bleibt bis zum Zehnten geschlossen. Bis dahin entwickeln wir unsere neue Ausrichtung. Jede Idee ist willkommen. Wir sehen uns morgen um 10 Uhr, hier. Für heute dürfen Sie gehen.“

4

Dichter Nebel lag über der Elbe und nur die Masten der Rickmer Rickmers durchstachen das undurchsichtige Weiß. Ein kleines Ruderboot wiegte unsichtbar auf den seichten Wellen und nur vage vernahm man die Geräusche der Nacht.

Sie zog ihr rechtes Strumpfband nach oben und lehnte sich an das Geländer. Es war feucht. Die fallenden Nebelschwaden hatten bereits alles benetzt. Wortlos zog sie ein Taschentuch aus ihrem Dekolleté, trocknete sich die Hände und genoss den verschleierten Blick über die Elbe.

Torkelnd kamen zwei junge Männer auf sie zu. „Moin, moin, du süße Bordsteinschwalbe. Mein Freund hat heute Geburtstag. Wie wärs mit einem lütten Geschenk?“