Pinselst (r) ich - Ein Hamburg Krimi. - Lisa Lenardi - E-Book

Pinselst (r) ich - Ein Hamburg Krimi. E-Book

Lisa Lenardi

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Beschreibung

Die Kunstgalerie am Jungfernstieg ist ein Tummelplatz der Reichen und Schönen. Auch Cassandra möchte gern dazu gehören. Die Sache hat nur einen Haken. Ihre Bilder sind die reinsten Ladenhüter und kein Galerist will sie ausstellen. Doch plötzlich wendet sich das Blatt und sie kann sich vor Aufträgen nicht retten. Aber der Ruhm hält nicht lange an. Die Schöne liegt erstochen in ihrem Atelier. In ihrer Halsschlagader steckt ein Pinsel und ausgerechnet Baumann findet sie. Gerade erst war die junge Frau neben ihnen eingezogen und gestern hatten sie noch zusammen gegrillt. Der Hauptkommissar steht unter Schock. Im Atelier der Toten stapeln sich die Bilder. Warum arbeitete Cassandra wie eine Besessene bis zu ihrem Tod, und was hat dieser grausame Mord mit der Hansestadt Wismar zu tun?

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 252

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Im Andenken an Onkel.

Lisa Lenardi

Pinselst r ich

Baumanns vierter Fall

Inhalt

Cover

Widmung

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Epilog

Bilder

Quellen

Pinselst r ich

Cover

Widmung

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Quellen

Pinselst r ich

Cover

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© 2023 Lisa Lenardi (lisa-lenardi.de)

Illustriert von: Ines Asser (asser-art.de)

Verlagslabel: Wunsch Verlag

ISBN Softcover: 978-3-347-74647-3

ISBN Hardcover: 978-3-347-74650-3

ISBN E-Book: 978-3-347-74657-2

Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

1

Nach dem plötzlichen Tod seines Hundes war Klaus monatelang nicht ansprechbar gewesen, und selbst Viviana konnte ihm kein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Fiete war nach einem morgendlichen Spaziergang mit seinem Herrchen einfach zusammengebrochen und hatte sich ohne Umwege in den Hundehimmel verabschiedet. Und das nahm Klaus ihm verdammt übel.

Baumann lief, wie jeden Morgen, als erstes in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Dabei schweifte sein Blick hinüber zu dem großen Foto seines Hundes, das er kurz vor dessen Tod hatte rahmen lassen. Bis heute war er nicht in der Lage davor stehen zu bleiben, um es genauer zu betrachten. Er spürte, wie sich seine Speiseröhre zusammenzog und drückte den Speichel hinunter. Nach dem dritten Schluck Wasser holte er tief Luft, drehte sich um und lenkte seine Schritte in Richtung Esszimmer.

„Wenigstens verabschieden hättest du dich noch können, du alter Sabberkopp. Aber nee, du Flitzpiepe kippst einfach um. Erst schleichst du dich in mein Herz und dann verdünnisierst du dich. Nee, nee, dat war nich in Ordnung, Fiete. Dat war nich fair.“

Viviana stand bereits einige Minuten im Flur und hatte das ganze Prozedere beobachtet. Mittlerweile machte sie sich ernsthaft Sorgen. Klaus war nicht mehr der Alte. Selbst seine Begeisterung für das Schnüffeln, wie er seinen Job liebevoll nannte, war ihm abhandengekommen. Aber vielleicht konnten ihn seine Kollegen heute Abend etwas ablenken. Vivi freute sich auf den heutigen Grillabend, den sie kurzerhand mit Lena organisiert hatte. Baumann brummte sie nur an, als sie ihm von der Idee berichtete. Aber Vivi wäre nicht Vivi, wenn sie sich deswegen ihre Idee vermiesen lassen würde. Also ließ sie den brummigen Ehemann links liegen und setzte ihren Kopf einfach durch.

Seit Fietes Tod war es auch auf dem Nachbargrundstück ruhig geworden. Grace, die graue Pudeldame der Nachbarin, die in der kleinen Stadtvilla neben ihnen gewohnt hatte, tobte nicht mehr mit Fiete durch den großen Garten. Beide lebten seit zwei Monaten in Bremen bei Theresas Enkelsohn.

Viviana blickte hinüber zum hell erleuchteten Wintergarten. Cassandra schien bereits an einem neuen Bild zu arbeiten. Die neue Nachbarin, die jetzt in der Villa der alten Dame wohnte, war erst kürzlich eingezogen, und erst gestern hatte sie Cassandra mit Brot und Salz begrüßt. Die junge Künstlerin hatte sie überfreundlich empfangen und sie gleich ins Haus gezerrt. Vivi war überwältigt von dem Atelier, das Cassandra in dem weiträumigen Wintergarten eingerichtet hatte. Der lichtdurchflutete Raum sei hervorragend zum Malen geeignet, hatte sie ihr erklärt. Überall standen Staffeleien, Farben, Pinsel und übergroße Leinwände. Hölzerne Kisten stapelten sich bis hoch zur Decke und Viviana war verwundert, wie dieses zierliche Wesen das allein bewältigen konnte. Schließlich war ihren neugierigen Augen nicht entgangen, dass die Männer des Umzugsunternehmens alles nur vor dem Haus abgestellt hatten.

Der schrille Klingelton riss sie aus ihren Gedanken und sie lugte aus dem Küchenfenster. Der Anblick zauberte ihr ein Lächeln ins Gesicht, sie zog den rosa Gürtel ihres Morgenmantels fester um ihre Taille und lief eilig zur Haustür.

„Lena, komm herein.“ Dann zog sie ihre Kollegin dichter an sich heran und flüsterte ihr ins Ohr: „Er ist nicht gut drauf, heute Morgen.“

„Heute Morgen? Vivi, mach dir doch nichts vor. Das geht doch jetzt seit Monaten so. Wir sind doch alle traurig. Du weißt, wie sehr wir Fiete geliebt haben, aber nun muss auch mal gut sein. Alle leiden unter seiner schlechten Laune. Wir müssen Klaus heute darauf ansprechen. Das Betriebsklima ist im Keller. So können wir nicht mehr arbeiten. “

Viviana hatte sich erschrocken an die Dielenwand gelehnt und blickte Lena mit großen Augen an. Dass er sich inzwischen noch mehr gehen ließ, konnte sie nicht wissen, denn in den vergangenen zwei Wochen hatte sie sich um eine entfernte Verwandte gekümmert und dafür ihre Überstunden abgebummelt.

„Du hast recht, Lena. Wir müssen mit ihm reden.“

Vivi verabschiedete sich ins Bad und Lena wanderte hinüber ins Esszimmer. Klaus starrte in den Garten und schien sie nicht zu bemerken. Seine dichten Haare, die in den letzten Wochen noch mehr ergraut waren, standen auf Sturm und Lena konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Leise schlich sie sich näher an ihren Chef heran, der sie schon lange bemerkt hatte. Und gerade als sie ihn in die Seite kneifen wollte, drehte er sich blitzartig um.

„Buh!“

Lena riss die Hände hoch und ihrem Aufschrei folgte ein lautes Klirren.

„Scheiße, Klette! Dat gibt Ärger.“

Kaum ausgesprochen, kam Viviana ins Esszimmer gestürmt und rief bereits von weitem: „Was ist zerbrochen und wer war das?!“

Lena drehte sich in Zeitlupentempo um und blickte auf unzählige kobaltblaue Scherben.

„Klaus, das war doch nicht etwa…“

Vivi hielt die Luft an. „Nein! Nicht die!“

Baumann nickte stumm und hob die Hand.

„Schuldig. Ick hab Lena erschrecken wollen, Schatz. Und da isset passiert. Wie lautet Ihr Urteil, Eure richterliche Hoheit?“

Baumann stand mit gesenktem Blick vor ihr und gluckste vor sich hin. Na, wenigstens lacht er mal wieder, dachte Vivi, aber nutzte die Chance, ihren Gatten gleich auf den richtigen Kurs zu lenken. „Zunächst einmal, stehen Sie gerade, Angeklagter.“

Baumann hob seinen mächtigen Kopf und es war nicht zu übersehen, dass hinter dieser ernsthaften Miene gleich eine Lachsalve folgen würde. Seine Nasenflügel begannen zu zucken und als Lena zu lachen begann, war auch Klaus nicht mehr in der Lage den Ernsthaften zu mimen. Er schlug sich auf die Schenkel und prustete los. Vivi versuchte ernst zu bleiben und schrie: „Ruhe. Benehmen Sie sich, Angeklagter!“

Das hatte gewirkt. Baumann riss sich zusammen. Als auch Lena sich endlich beruhigt hatte, sprach sie im normalen Ton weiter: „Der Angeklagte wird zu guter Laune, Frohsinn und Lebenslust verurteilt. Die Geschädigte verzichtet im Gegenzug auf finanzielle Entschädigung. Sie dürfen sich jetzt noch einmal äußern, Herr Baumann. Bitte.“

Die Frauen sahen ihm an, dass er verstanden hatte, um was es eigentlich geht und warteten auf seine Antwort. Sein breiter Brustkorb hob sich und er drehte an seinem Ohrläppchen.

„Danke, Frau Richterin. Das ist ein sehr gerechtes Urteil.“

„Das freut mich, Klaus. Aber denke daran, du bist auf Bewährung.“

Die ersten Gäste hatten auf der großen Terrasse Platz genommen und Klaus schenkte bereits Wein ein, als sein Blick an einer blonden Schönheit hängen blieb. Sie schwebte elfengleich direkt auf ihn zu.

„Pass doch auf!“ Lena war aufgesprungen und schüttelte ihre rote Bluse, um die restlichen Tropfen des Weines loszuwerden. Klaus entschuldigte sich stotternd und reichte ihr ein Tuch.

„Sie müssen Herr Baumann sein. Danke für die Einladung. Ich bin Ihre neue Nachbarin, Cassandra Weissendorn. Aber Cassandra reicht.“

Klaus starrte auf ihr tief ausgeschnittenes, hellblaues Sommerkleid. Ihre langen blonden Haare vielen offen bis zu ihren Ellenbogen und glänzten wie Seide.

„Ähm, ja, Klaus, ick meine, Klaus reicht auch.“

Das Blau ihrer Augen fand sich in dem ihres Kleides wieder und ihr Lächeln ließ Pole schmelzen. Das war auch Vivi aufgefallen. Schnell eilte sie herbei, schob das Kinn ihres Gatten wieder nach oben und zog ihn mit sich.

„Wir brauchen noch Wein und Bier, Schatz und übertreib es nicht mit Frohsinn und Lebenslust, vor allem nicht mit Lust.“

„Nö, nö, aber kucken darf man doch. Gefrühstückt wird zu Hause, is doch klar, Vivi.“

Sie warf den Kopf in den Nacken und fauchte: „Das letzte Frühstück hatten wir vor drei Monaten. Kein Wunder, dass ich durchs Joggen fünf Kilo abgenommen habe. Aber warum sie bei dir gelandet sind? Keine Ahnung.“ Sie verdrehte die Augen und ging.

Baumann hatte die Luft angehalten und starrte mit offenem Mund auf seine kleine Buschtrommel. Entsetzt sah er die geweiteten Knopflöcher seines neuen Hemdes, das sein Frauchen bei Policke in der Böckmannstraße erworben hatte. Vor drei Monaten hatte es perfekt gepasst. Klaus atmete tief ein, hielt aber sofort inne aus Angst es könnte ihm ein Knopf abhandenkommen. Kopfschüttelnd stellte er den Korb auf den Fußboden, mit dem er eigentlich Getränke aus dem Keller holen wollte, und stiefelte in die erste Etage.

„Was hast du denn da an?“ Viviana stand plötzlich im Schlafzimmer. Ihre Stirn war mit Falten übersät und sie blickte finster zu ihm auf.

„Ähm, wieso?“

„Klaus, zieh das bitte aus. Du bist fünfundfünfzig, nicht fünfundneunzig. Und deine neue Freundin kannst du mit dieser alten Strickjacke bestimmt nicht beeindrucken.“

So schnell wie sie erschienen war, ging sie wieder. Klaus sah nur noch den wippenden Saum ihres bunten Sommerkleides. „Diese Weiber. Nichts kann man ihnen recht machen. Das Hemd ist zu eng, die Jacke zu unmodern. Sonne Kacke.“

Brummend drehte er sich zum großen Kleiderschrank, schob kraftvoll die Spiegelfront des Schiebeschrankes nach rechts und schrie auf. Körperlich erstarrt folgten seine großen Augen jedoch jeder einzelnen Schraube, die sich durch die Wucht der schweren Tür gelöst hatten und jetzt über seinen Kopf hinweg auf der neuen Tagesdecke landeten. Baumann wagte nicht zu atmen. Bilder reihten sich in so einer Geschwindigkeit in seinem Kopf aneinander, dass er ihnen kaum folgen konnte. Die englische Bauanleitung, über die er fast verzweifelt wäre, seine Schweißausbrüche, als er nach drei Stunden immer noch vor den Einzelteilen dieses riesigen Monstrums stand, Vivis enttäuschte Blicke, als sie abends umringt von Brettern und Kartons ihr Bett bestiegen, aber auch die Freude am anderen Tag, als der Schiebeschrank endlich stand. Und jetzt das. Geistig erschöpft ließ er sich auf das Bett fallen und die Matratze antwortete ihm postwendend mit einem lauten Quietschen. Sein Herz sprang ihm fast aus der Brust, wenn er an Vivis enttäuschte Blicke dachte. Nein, das durfte nicht geschehen. Geistesgegenwärtig zog er sein Handy aus der Jackentasche.

„Lena, jut dat du rangehst. Komm schnell zu mir hoch in die Schlafstube. Wat? Spinste jetzt? Man komm und frag nich so blöd. Natürlich habe ick wat an. Man, Klette! Komm!“

Lena schob vorsichtig ihren dunklen Haarschopf durch die geöffnete Tür und sah ihren Chef kopfschüttelnd auf dem Bett sitzen.

„Was ist los, Klaus?“

„Ick hab Scheiße gebaut.“

Seine massige Hand zeigte auf eine der Schiebetüren, die aus der Schiene gerutscht und nun schräg auf dem Teppich stand.

„Oh ha. Wie hast du denn das angestellt?“

Doch Klaus winkte nur ab und zuckte gleichzeitig mit den breiten Schultern.

„Zu viel Power, was?“ Lena grinste ihn an, setzte sich aber gleich neben ihn und streichelte seine Schulter. Baumanns Kopf senkte sich auf die Brust und er fing an zu weinen.

„Aber, Klaus. Was ist denn?“

„Ick kann nich mehr, Klette. Allet zu viel, verstehst du?“

„Ich weiß, Klaus. Aber jetzt lösen wir erst einmal dieses Problem. Also, was wolltest du denn aus dem Schrank holen?“

Achselzucken.

„Aber irgendetwas wolltest du doch.“

Jetzt erklärte er ihr das ganze Dilemma und Lena konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ja, lach nur. Ab morgen gehe ich wieder zu Fuß zum Bäcker. Seit Fietes Tod hatte ich einfach keine Lust mehr dazu. Er fehlt mir, Klette. Er fehlt mir so sehr.“

Dicke Hundetränen rollten über seine Wangen und Lena hatte mit ihren zu kämpfen. Doch dann stand sie entschlossen auf und versuchte die Tür noch ein wenig weiter nach rechts zu schieben. Es gelang. Ein Bügel nach dem anderen wechselte die Seite, bis sie endlich ein dunkelblaues Poloshirt herauszog.

„Das ist es. Zieh das an.“

„Das ist ja langärmlig.“

Klaus, werd jetzt nicht zickig. Deine Strickjacke hat auch lange Ärmel, oder?“

Er nickte brummig und knöpfte die graue Jacke auf. Das weiße Unterhemd strahlte. Typisch Viviana, dachte Lena. Ihre Wäsche ist ihr heilig. Bei mir sehen die weißen Sachen nach einigen Wäschen nicht mehr so schön aus.

Klaus war gerade aufgestanden und öffnete den Ledergürtel als Vivi den Raum betrat und mit weit geöffnetem Mund im Türrahmen stoppte. Ihr weit ausgeschnittenes rotgeblümtes Sommerkleid zeigte zwei wohlgeformte, braungebrannte Brüste. Nachdem sie ihre Hochzeitsreise nach Dubai leider absagen mussten, da Klaus sich strikt geweigert hatte ein Flugzeug zu besteigen, musste es aber die Nordsee sein. Auch wenn sie sich jeden Tag sein Palavern anhören musste, dass ständig das Wasser weg wäre, hatte sie diesen Urlaub sehr genossen, vor allen ihren großen Strandkorb, den auch Klaus, nach anfänglichem Mosern, überaus bequem fand. Außerdem kamen sie, dank der neuen Creme zu toller Bräune, ohne einen Sonnenbrand zu riskieren.

Viviana stand schwer atmend immer noch in der Tür und Lena sah, wie sich die Augen ihrer Freundin mit Tränen füllten. Erst jetzt wurde ihr klar, wie man diese Situation, in der sie Klaus und sie in der Schlafstube ertappte, verstehen konnte. Schnell ging sie einen Schritt auf Vivi zu und sagte lächelnd: „Ich helfe ihm nur ein passendes Oberteil zu finden, was auch deinen Ansprüchen genügt. Er ist verzweifelt, weil er dir nichts recht machen kann.“

Ihre Freundin sah sie entsetzt an. „So, so, man kann mir also nichts recht machen.“

Lena streichelte ihren Arm und flüsterte: „Du bist manchmal schon sehr resolut. Ich wollte ihm doch nur helfen.“ Dann sagte sie laut: „Schau mal, das habe ich herausgesucht. Wie findest du das?“

Viviana holte tief Luft, schob Lena beiseite und baute sich auf Zehenspitzen vor dem schweigsamen Baumann auf. Trotzdem war er immer noch mindestens einen halben Kopf größer und lächelte auf sie herunter.

„Nun gib mir schon endlich einen dicken Kuss, du alter Brummbär.“

Das Schmatzen war nicht zu überhören und der darauffolgende Aufschrei erst recht nicht. Vivis rosa geschminkte Lippen zitterten und die ganze schöne Sommerbräune schien im Nirwana zu verschwinden.

„Was…?“ Sie hielt sich am nackten Oberarm ihres Mannes fest und holte tief Luft. Klaus schwankte, nicht wegen der zarten Person an seiner Seite, sondern weil sein Nervenkostüm kurz vor dem Zerbersten stand. Er versuchte eine Erklärung: „Ick wollte schnell wat anderes anziehen und…“

„Sprich hochdeutsch!“

Lenas Augen funkelten, aber nicht vor Freude. Sie war genervt. Ihre Freundin hatte sich in den letzten Monaten nicht zu ihrem Vorteil verändert. Empathie schien ihr völlig abzugehen und damit konnte Lena überhaupt nicht umgehen.

„Viviana, es reicht!“

Blitzartig griff sie nach Vivis Arm und zerrte sie aus dem Raum. Baumann stand immer noch bewegungslos vor dem Bett und verfolgte die Frauen nur mit den Augen. Laute Worte drangen an seine Ohren, aber er konnte den Inhalt nicht verstehen. Eines war jedoch sicher. Lena redete. Seine Frau schwieg. Kurz darauf betraten beide wieder das Schlafzimmer und Klaus starrte Vivi erstaunt an, als sie mit Tränen in den Augen auf ihn zukam und zärtlich seinen Bauch streichelte.

„Entschuldige. Ich bin manchmal eine ganz schöne Zicke, was?“

Baumann wurde wach und begann zu lächeln. „Schön auf jeden Fall. Zicke aber auch.“

Dann zog er sie an sich, hob sie ein Stück nach oben und küsste sie.

„So, ihr beiden Turteltäubchen. Dann kann ich ja gehen und das mit dem Schrank klären wir später mit den Jungs. Zusammen kriegen wir das wieder hin. Ich gehe nach unten und schau mal, was meine Kebabs machen. Wenn die Männer noch ein Bier hatten, ist der Grill vielleicht ohne Aufsicht. Ich mag die Teile gerne knusprig, aber nicht verbrannt.“

Lena zwinkerte beiden zu und ging.

2

Nachdem die Kollegen mit vereinten Kräften den riesigen Kleiderschrank repariert hatten, musste dieser natürlich begossen werden. Also wurde noch ein weiterer Kasten Bier aus dem Keller geholt und die Mädels gönnten sich eine weitere Flasche Prosecco. Auch Cassandra war noch geblieben und unterhielt sich angeregt mit der Gastgeberin über Porträts. Vivis Eifersucht war verflogen und sie überlegte sich von Cassandra malen zu lassen. Lena fand diese Idee großartig und nahm die Einladung der Nachbarin sofort an, als sie vorschlug, in ihr Atelier hinüberzugehen. Sie hätte auch noch einen Prosecco im Kühlschrank.

Es war weit nach Mitternacht als die Mädels auf drei großen Holzkisten, jeder mit einem Sektglas in der Hand, immer noch im Gespräch vertieft waren. Vor ihnen lagen unzählige Einstrichzeichnungen, für die sich besonders Lena begeisterte. „Das zeichnest du wirklich in einem Zug?“, fragte sie Cassandra. Die Künstlerin nickte schmunzelnd, schluckte ihren Prosecco hinunter und flüsterte: „Ja. Es dürfen auch mehr sein, und manchmal werden kleine Extras hinzugefügt, wie Fingernägel zum Beispiel. Oft setze ich zusätzliche Akzente.“ Sie hatte diese Frage schon oft beantworten müssen, zog einen Bleistift und den Block vom Tisch und bewies es.

Die Linie, die der Stift auf dem weißen Papier hinterließ, formte sich nach und nach zu einem wundervollen Frauenkopf. Dann tauchte sie die Lippen und den kleinen Ohrstecker in leuchtendes Rot und beendete das kleine Kunstwerk.

„Wow! Und so schnell!“ Die Mädels schlugen ihre Hände vor Begeisterung zusammen.

Cassandra lächelte aufs Papier, legte Block und Bleistift beiseite und schenkte nach.

Als Lena und Vivi den kurzen Weg nach Hause antraten, zeigte der kleine Zeiger bereits auf zwei. Dennoch waren sie vor Begeisterung hellwach und schmiedeten Pläne. Vivi wollte sich unbedingt porträtieren lassen und ihren Liebsten damit überraschen. Lena hingegen stellte sich ein beruhigendes Landschaftsbild für ihr Wohnzimmer vor.

Als sie die Eingangstür öffneten, traten sie in eine beängstigende Stille. Doch Schritt für Schritt Richtung Wohnzimmer mischten sich andere Geräusche in ihre Wahrnehmung. Und dann erblickten sie die Ursache dieser Geräuschkulisse. Die Männer lagen jeder in einer anderen Ecke der geräumigen Wohnzimmercouch und schliefen.

Der nächste Morgen begann mit Rückenschmerzen und Kopfweh, auf jeden Fall für die Männer. Lena und Vivi hörten ihr Stöhnen bis in die Küche und lächelten sich an.

„War doch gut, dass wir konsequent bei Prosecco geblieben sind, ne?“

Lena nickte und legte die Brötchen auf das Backofenblech. Doch dann hielt sie inne und fragte: „Ob die drei überhaupt etwas essen, oder brauchen die Männer erst einmal Schmerztabletten? Was meinst du?“

Vivi lachte, schnippelte weiter ihren Salat und zuckte nur mit den Schultern. Kurz darauf bekam sie die Antwort von einem der Auferstandenen.

„Moin, Mädels. Gibt’s schon Kaffee?“

Haucke stand im Türrahmen und Lena fing augenblicklich an zu grinsen.

„Was ist?“

Lena hatte noch eines der Brötchen in der Hand und wies damit auf den Schlitz seiner Unterhose. Auch Vivi hatte erst jetzt begriffen und fing schallend an zu lachen. Die hellblaue Boxershorts mit kleinen Mäusen war schon spaßig genug, aber der kleine Lümmel, der da aus dem Schlitz hing, toppte alles. Die Mädels verfielen im Duett in eine Lachsalve nach der anderen und Haucke schien immer noch nicht zu verstehen.

„Wat is denn hier los?“

Baumann drängte sich an seinem Freund vorbei in die Küche, ging auf sein Frauchen zu und gab ihr einen Gutenmorgenkuss. Nachdem sie sich immer noch nicht beruhigen konnte und Lena immer noch mit dem Brötchen auf Hauckes Unterhose wies, hatte auch Baumann begriffen und bollerte los: „Kriegste keine Frauen mehr ab, Alter? Muss du jetzt unsere Mädels schon anmachen. Und dann noch mit so einer miesen Nummer. Steck mal den kleinen Lümmel wieder ein, mein Lieber. Damit kannste deine Leichen erschrecken.“

Baumann winkte ab. „Ach nee, die sind ja schon tot.“

Haucke sah erschrocken nach unten, fummelte an seinem Hosenschlitz und nuschelte: „Tschuldigung, hab ich nicht gesehen, hab doch noch keine Brille auf.“

„Na, wenn du jetzt schon eine Brille brauchst, um ihn zu finden.“ Baumann klatschte vergnügt in die Hände, und die Mädels begannen wieder zu lachen. Jetzt hatte sich auch Paul Tanner zu ihnen gesellt. Er war der einzige KTU-Kollege, der gestern noch geblieben war. Er, Klaus und Haucke waren vom ersten Tag an ein eingeschworenes Team und sowohl privat als auch dienstlich unzertrennlich.

„Gibt’s schon Kaffee?“, fragte Paul und schleuderte seine langen Haare über die Schulter. Ohne eine Antwort abzuwarten, stieß er seinen Ellenbogen kurz in Hauckes Rippen. „Hier ist deine Brille, Haucke. Kannst du ihn jetzt sehen?“

Wieder verfielen alle in schallendes Gelächter, nur der Pathologe nicht. Klaus boxte ihn an die Schulter. „Man, Haucke, is doch nur Spaß. Kaffee?“

Allgemeines Nicken setzte ein und die Frauen schoben eine Tasse nach der anderen auf die Tischplatte. „So, jetzt aber rüber ins Esszimmer. Ich bekomme schon Platzangst“, rief Vivi.

Nach einem ausgiebigen Frühstück saßen alle noch bei einem Kaffee zusammen. Keiner mochte nach Hause gehen, und Vivi freute sich sehr darüber.

„Warum ist Cassandra eigentlich nicht hier? Hast du sie gar nicht zum Frühstück eingeladen, Vivi? Die hätte gut in unsere Runde gepasst.“

„Da hast du recht, Paul. Aber sie wollte unbedingt noch ein Auftragsbild fertig malen. Was meinst du, wie viele Bilder in Theresas ehemaligem Wintergarten schon stehen? Wahnsinn. Cassandra kann sich vor Aufträgen nicht retten, sagt sie. Lena und ich haben uns viele davon gestern Nacht angesehen. Ich finde, sie hat Talent. Was meinst du, Lena?“

Die Kommissarin nickte und schluckte ihren Kaffee hinunter. „Ja, vor allen Dingen die Alsteransichten und Einstrichzeichnungen haben mir gefallen. Ich überlege mir ein Landschaftsbild für mein Esszimmer malen zu lassen. Im Flur würden sich einige Einstrichzeichnungen gut machen.“

Vivi nickte ihrem Mann zu. „Klaus, wäre das nicht auch etwas für uns?“

Der Angesprochene rümpfte die Nase.

„War ja klar. Nur nichts verändern, ne, Klaus?“

„Ick schau mir die Bilder erst mal an und dann werden wir sehen. Okay?“

„Ich habe eine bessere Idee, Schatz. Du bringst ihr Essen rüber. Ich habe Cassandra heute Morgen schon im Atelier gesehen. Sicher arbeitet sie schon wieder und hat nicht einmal gefrühstückt. Jetzt ist es gleich zwölf, also schon wieder Mittagszeit. Was hältst du davon, wenn ich ihr einiges vom Grillen zusammenstelle. Es ist so viel übriggeblieben. Das können selbst wir fünf nicht alles aufessen. Dann hat sie wenigstens Mittag. Sie kann es sich ja warm machen.“

Lena hob beide Daumen. „Super Idee.“

Baumann jonglierte das kleine Tablett, auf dem seine Frau alles liebevoll angerichtet hatte, vorsichtig über den frisch gepflasterten Gehweg hinüber zur Nachbarin. Obwohl die Sonne zur Mittagszeit bekanntlich am höchsten steht, reichte das Licht zum Malen wohl nicht aus. Der Wintergarten war zusätzlich beleuchtet und Klaus stiefelte, gespannt auf die Bilder, schnellen Schrittes dem Hauseingang entgegen. Er strahlte, als er den alten Klingelknopf sah. Cassandra hatte ihn nicht ersetzt und vieles an der Villa so belassen, wie Theresa es mal eingerichtet hatte. Dadurch blieb der Charme der alten Villa erhalten, und das freute Baumann sehr. Er zog den kleinen bronzenen Hebel der alten Klingel und freute sich auf die Melodie, der er bereits unzählige Male gelauscht hatte. Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum. Wunderschönes Volkslied, dachte er und wartete, dass die junge Künstlerin ihm öffnete. Ungeduldig trat er von einem Bein auf das andere. Sicher musste sie erst ihren Pinsel und die Palette aus der Hand legen und sich reinigen. Doch es dauerte ihm zu lange. Also zog er noch einmal an dem Hebel und wartete erneut. Klaus beugte sich nach vorn und versuchte durch die Butzenscheiben der Eingangstür etwas zu erspähen. Doch so sehr er sich auch bemühte, er sah nichts. Entschlossen nicht länger zu warten, stellte er das Tablett auf die linke Ziegelmauer, die den Eingang umschloss und machte sich auf den Rückweg. Doch noch nicht am Zaun angekommen, hatte er |eine Idee. Immer wenn er Fiete zu Theresa brachte, vor allen Dingen in den Sommermonaten, bat sie ihn durch die Außentür des großen Wintergartens ins Haus zu kommen. Vielleicht war Cassandra so konzentriert auf ihre Arbeit, dass sie das Klingeln einfach überhört hatte. Er kannte das Dilemma von sich, wenn er, vertieft in einem Buch, nichts um ihn herum wahrnahm. Vivi hatte ihn deshalb schon einige Male angezählt.

Er hatte Glück. Die Tür war tatsächlich nur angelehnt. Trotzdem klopfte er vorsichtig an die alten Scheiben und wartete ab. Sollte er wirklich, ohne Aufforderung, ein fremdes Haus betreten? Na ja, als Kommissar hatte er schon oft getrickst und den Spruch „Gefahr im Verzug“ gerne mal für sich ausgelegt, wie er es brauchte. Aber jetzt, in dieser Situation, hatte er Bauchschmerzen damit.

„Cassandra, bist du da? Klaus hier, der Nachbar!“

Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, aber er öffnete die Tür wenigstens einen Spalt, dass er weiter in den Wintergarten sehen konnte. Unzählige fertige und unfertige Arbeiten standen auf Staffeleien und am Boden, dicht an dicht. Aber von Cassandra keine Spur. Er drehte sich um. Sie hatte gestern erzählt, dass sie gerne mit dem Rad unterwegs ist und es deshalb nie in die Garage stellt. Und genau da stand es, so wie sie es beschrieben hatte. Aber wo war sie dann? Würde sie das Haus offenlassen und zu Fuß zum Bäcker gehen? Schluss jetzt, entschied Baumann, und betrat das Atelier.

„Cassandra, ich bringe Essen für dich. Wir machen uns Sorgen. Wo bist du?“

Klaus lief sehr langsam und vorsichtig weiter. Er musste genau schauen, wo er hintrat. Er wollte nicht noch ein Unglück provozieren. Vivis kaputte Vase reichte ihm.

„Cassandra? Ick bin im Wintergarten.“

Als er immer noch keine Antwort bekam, wurde ihm flau in der Magengegend. Und plötzlich schaltete sein Gehirn von Klaus auf Baumann. Der Kriminalkommissar war erwacht. Hier war Gefahr im Verzug. Er kannte die Villa genauso gut wie das eigene Haus und bewegte sich langsam weiter, hinaus aus dem Wintergarten, hinein in den Wohnbereich. Der große Salon, in dem sich Theresa am liebsten aufgehalten hatte, wirkte jetzt noch größer, da Cassandra bisher nur einen Sekretär, einen kleinen runden Tisch und vier Stühle aufgestellt hatte. Klaus ging näher an das Tischchen heran. Die filigranen Intarsienarbeiten gefielen ihm sehr. Doch bei näherer Betrachtung entdeckte er einen kleinen roten Farbspritzer am Rand des Tisches. Er kannte die Nachbarin zwar erst kurz, fragte sich jedoch, ob eine Künstlerin so unachtsam mit wertvollen Möbeln umgehen würde. Er zog ein Papiertaschentuch aus der Hosentasche und tupfte vorsichtig darauf. Die Farbe war noch feucht. War es Farbe? Er roch daran. Ja, eindeutig.