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Präambel: Lassen Sie sich entführen in eine Zeit, die einzigartig war in der Deutschen Geschichte - die Weimarer Epoche. Handlung: Ein Landarbeitersohn, Vollwaise, wird durch Adoption zum Baron Hugo und will, getrieben durch unstillbaren Ehrgeiz, in die Riege der großen Industriellen aufsteigen. Er schreckt dabei vor Verbrechen und Mord nicht zurück. Gehasst von denjenigen, die ihm im Wege stehen, die diesen `Fiesling' hassen, versucht er immer wieder, seinen Willen durchzusetzen. Etliche Frauen begleiten ihn auf diesem Weg, aber er schreckt nicht davor zurück, sie zu beseitigen, sobald sie ihm nicht mehr nützen können. Gewissensbisse? Nein danke!....denkt er immer wieder. Kriminaloberinspektor Firchow ist ihm ständig auf den Fersen, aber ihm fehlen immer wieder die Beweise. Das Umfeld: Die Handlung führt mitten hinein in die Weimarer Zeit, in die Jahre 1922 bis 1928.: Die Not nach dem 1.Weltkrieg, die Inflation, die politische Isolierung, die schleißlich durch das junge Sowjetrussland aufgebrochen wird, bilden den Hintergrund für den Ablauf der ereignisreichen Handlung. Eingeschobene Rückblenden bilden das retardierende Element, sie geben dem Leser in geschickter Steigerung dramatischer Effekte interessante Informationen über das Umfeld der Handlung. Personen: Baron Hugo von Sticknitz, seine Adoptivmutter Elisabeth von Sticknitz, seine Frau Magdalena; Hannelore, die Wirtin der Dorfschenke in Sticknitz; Katja und Kati, zwei Circus-Artistinnen; Richard Wallbourg, einer der Montankönige von Rhein und Ruhr und seine Frau, die attraktive Yvonne; Peter Trampe, ein Reichswehroffizier; Boris Grabowski, wie Baron Hugo aus ärmlichen Verhältnissen, einer der `Schatten', der Baron Hugo verfolgt und erpresst; Kriminaloberinspektor Firchow, der Baron Hugo jagd. Die Schauplätze: Sticknitz, ein Dorf an der polnischen Grenze, die Weltstadt Berlin, Dresden-Loschwitz, die Karpaten, Paris, St.Moritz.
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Seitenzahl: 643
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Walter Ernsting
Blutiger Aufstieg - ein außergewöhnlicher Fiesling
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Impressum
Kapitel 1
Niedergeschlagen lief Major Peter Trampe im September 1927 am Vormittag durch den frühherbstlichen Tiergarten, es nieselte leicht, nichts war zu spüren vom 'Altweibersommer'.
Nachdem ihn seine Frau gestern 'auf die Straße gesetzt' hatte: „Ich will Dich nicht mehr sehen, pack' Deinen Krempel zusammen und verschwinde! Geh' zu Deiner Kurtisane, in ihren Armen kannst Du Dich trösten lassen. Ich lasse mich scheiden“, hatte er sich gestern notgedrungen hier in der Nähe ein möbliertes Zimmer gesucht, eine preiswerte Bleibe, denn er wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Ausgerechnet ihm, einem durch die Kriegsjahre gestählten Offizier, groß geworden in der Preußischen Armee, drohte der unehrenhafte Rausschmiss aus der Reichswehr.
Groß und schlank, blaue Augen, gedrillt in gutem Benehmen, war er zumindest in der Ausgehuniform ein fescher Mann, wenn ihm auch das ´von’ in seinem Namen fehlte. Jetzt, in der Republik, war das auch nicht mehr so wichtig.
Was hatte er gelernt? Schießen, Exerzieren, befehlen, gehorchen! Was konnte er jetzt damit anfangen? Es war gerade eine Woche her, dass man ihm in Moskau ´den Stuhl vor die Tür’ gesetzt hatte. Das Unglück war über ihn hereingebrochen zu einem Zeitpunkt, zu dem er es am wenigsten erwartet hätte. Er stand am Abgrund und drohte hinabzustürzen ins Elend. Hatte er es selbst verschuldet?
Er betrat die Eckkneipe, die er hin und wieder einmal aufgesucht hatte, wenn er auf Heimaturlaub in Berlin war. Eine ältere Frau mit Putzeimer, Besen und Schrubber war beim Saubermachen. Es roch nach kaltem Rauch, abgestandenem Bier und kaltem Männerschweiß. Der gestrige Abend und die Nacht hatten ihre Spuren hinterlassen - ein Geruch zum Davonlaufen!
„Nen Morgen, Herr General“, begrüßte ihn der Wirt. „Mir ist nicht zum Scherzen zumute“, knurrte Trampe ungehalten. „Ne Molle und 'nen doppelten Doppelkorn."
„Ärger mit der Ollen? Das kommt in den besten Familien vor! Die Weiber haben es nicht gern, wenn der Mann unvermutet auf Urlaub kommt."
Trampe schaute sich unruhig um, er stand noch an der Theke; hastig kippte er den Schnaps hinunter und nahm das Bierglas in die Hand. Das Geschwätz des Wirtes ging ihm auf die Nerven. Der Wirt verfolgte seine Blicke.
„Sie können sich hinsetzen, wohin Sie wollen, wer kommt schon am Vormittag hier her, die sind doch alle am malochen."
« Ham'se 'ne Zigarre?"
„Wat Jutes?" Der Wirt langte hinter sich und stellte eine Zigarrenkiste vor Trampe auf die Theke. « Ne jute Brasil? Alle einzeln in Glasröhrchen verpackt. Fünf Groschen dat Stück, kann ick empfehlen."
Trampe nahm ein Glasröhrchen heraus, öffnete es und roch daran. „Nicht schlecht." Der Wirt stellte den Zigarrenabschneider vor ihn hin und gab ihm anschließend Feuer. Der Aschenbecher war noch nicht geleert, die alte Asche stank. „Der sollte mal geleert und gereinigt werden“, brummte Trampe missmutig. „Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, die Putzfrau ist ja schon da. Wenn´se schon zu soner nachtschlafenden Zeit hier auftauchen, sollten´se nicht so große Töne spucken!“
"Noch 'nen Doppelten."
Trampe kippte auch den zweiten Schnaps hinunter, dann setzte er sich mit dem Bierglas an einen Tisch in der Nähe der offen stehenden Tür. Genüsslich zog er an der Zigarre und dachte nach.
Was sollte nun werden? Hatte er in Moskau auf das falsche Pferd gesetzt?
In Moskau hatten ihm die Verbindungsoffiziere der Roten Armee ein kurzes Schriftstück des Ministeriums für Verteidigung übergeben, das ihn mit sofortiger Wirkung zur 'Persona non grata' erklärte; er habe Sowjetrussland binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen. Sein alter Freund bei der Roten Armee, der Trotzkij sehr schätzte, war spurlos verschwunden. Trampe ahnte Schlimmes, denn das Schimpfwort 'Trotzkismus' machte überall die Runde.
Am Morgen war er ins Personalamt der Reichswehr bestellt worden. Oberst Emmelburg, sein Vorgesetzter, hatte ihn, vor Erregung laut brüllend, 'zusammengestaucht'.
„Mann, wie konnte das passieren? Was haben Sie in Moskau angestellt? Ihre Tätigkeit dort kann ich nur so qualifizieren: in geheimer Mission gescheitert! Das habe ich in meiner ganzen militärischen Laufbahn noch nie gehört, dass ein deutscher Offizier mit der lakonischen Bemerkung 'Persona non grata' ausgewiesen worden ist. Haben Sie die sprichwörtlichen 'silbernen Löffel geklaut'?"
„Selbstverständlich nicht! Nach Lenins Tod sollte Trotzkij sein Nachfolger werden, aber Stalin hat die Macht an sich gerissen und macht nun Jagd auf alle Anhänger Trotzkijs. Mein alter russischer Freund war stets Anhänger Trotzkijs. Vor einigen Wochen ist er verschwunden, spurlos, wahrscheinlich haben ihn Stalins Häscher verhaftet oder sogar umgebracht."
„Ich kann daraus nur schließen, dass Sie auf das 'falsche Pferd' gesetzt haben - Ihr Pech!
Wenn der genaue Bericht von unserer Dienststelle aus Moskau vorliegt, wird es höchstwahrscheinlich ein
Disziplinarverfahren geben, machen Sie sich auf einen unehrenhaften Abschied gefasst. Ich kann Sie dann nicht mehr halten.
Bis dahin bleiben Sie zbV in Wartestellung. Wenn Sie Berlin verlassen wollen, haben Sie sich bei mir oder bei meiner Dienststelle abzumelden."
Die Putzfrau riss ihn aus seinen Gedanken, sie rückte mit ihrem Schrubber und dem Putzeimer immer mehr an ihn heran; man sah ihr an, dass sie ihn als 'Störenfried' bei ihrer täglichen Arbeit empfand.
Trampe sprang auf und ging an die Theke.
„Geb'n 'se mir zwee Mark, Herr General."
„Lassen Sie Ihre Witze!"
„Wat nich is, kann ja noch werden."
Major Trampe ging zurück zu seiner vorläufigen Bleibe. Auf dem Waschtisch lag neben der Waschschüssel ein Telegramm:
'Komme baldigst zu mir, ich habe mit Dir zu reden.
Yvonne Wallbourg'
Trampe musste sich am Waschtisch festhalten, er zitterte am ganzen Körper. Immer wieder las er die wenigen nüchternen Worte. Erregt ließ er sich der Länge nach auf das Bett fallen. War das die Erlösung aus dem Schlamassel, in den er hineingeraten war? Was wollte sie von ihm?
Jahrelang war alles so geradlinig verlaufen, seine Tätigkeit in Moskau war erfolgreich für seine Auftraggeber in der Reichswehrführung und in der deutschen Industrie gewesen. Und nun der plötzliche Absturz! Durchgefallen war er in seiner Rolle wie ein schlechter Provinzschauspieler, der auf der Bühne ins Stottern geraten war und nun nicht mehr wusste, wie er der Schande entkommen sollte!
Nach einer Weile sprang er auf, zog Zivilkleidung an und packte das Nötigste in eine kleine Reisetasche. Er zahlte der verdutzten Zimmerwirtin mit der Bemerkung, er müsse für einige Tage verreisen, das möblierte Zimmer für eine Woche im Voraus und fuhr mit der Straßenbahn zum Anhalter Bahnhof. Er ging zu einem Münzfernsprecher und meldete sich für einige Tage bei der Reichswehrführung ab, dann löste er eine Fahrkarte 3.Klasse nach Dresden und erreichte gerade noch den Mittagsschnellzug. 'Berlin – Dresden – Prag - Budapest' stand auf den Wagenlaufschildern.
Gegen halb fünf Uhr am Nachmittag hielt der D-Zug im Dresdner Hauptbahnhof; ihm fiel das Geschrei der Zeitungsjungen auf, sie schrieen alle „Thälmann abgesägt!" Er kaufte sich ein Exemplar der 'Dresdner Volkszeitung' und nahm sich ein Zimmer im Hotel 'Schiller' in der Sidonienstraße. Im Zimmer angekommen, überflog er die Meldung auf der Titelseite
Trampe dachte nach der Lektüre: hat es jetzt den auch erwischt? War das alles eine von Moskau aus eingefädelte Intrige, um diesen in der KPD populären Funktionär kaltzustellen?
Innerlich kopfschüttelnd las Trampe beim Frühstück die neuen Meldungen und die Hintergrundinformationen der Redaktion über diesen spektakulären Vorfall und fuhr anschließend mit der Linie 11 nach Bühlau. Wenige Minuten zu Fuß, dann stand er vor der Wallbourgschen Villa. Im ehemaligen Pförtner- und Kutscherhaus war die 'WALLBOURG-HOLDING', die Verwaltungsspitze des großen Wallbourg-Konzerns, untergebracht. Von hier aus wurden die zahlreichen zum Konzern gehörigen Unternehmen im In-und Ausland gesteuert und kontrolliert.
Richard Wallbourg hatte nach dem Weltkrieg die Konzernzentrale von Düsseldorf nach Dresden verlegt, da ihm die dort stationierten Französischen Offiziere und Soldaten, die sich als die neuen Herren aufspielten, auf die Nerven gingen. Er war gewohnt, Befehle zu erteilen und nicht zu gehorchen
Drei Schlaganfälle ihres Mannes hatten Yvonne Wallbourg mit Hilfe listiger Anwälte auf ´seinen’ Stuhl gespült.
Yvonne Wallbourg hatte keine Ahnung, wie man einen Konzern führt, das hatte sie auch nie interessiert, ihr Mann hatte in den vergangenen Jahrzehnten die Gunst der Stunde genutzt und einen immer größer werdenden Konzern zusammengezimmert, immer größer, immer mächtiger wollte er werden, bis der totale Zusammenbruch kam, nun dämmerte er im Sanatorium vor sich hin. Die Ärzte meinten, er könne noch sehr alt werden, aber er würde jahrzehntelang dahinsiechen.
Yvonne trug stets dunkelblaue Schneiderkostüme, die ihre Figur dezent verhüllten. Jede Woche stand sie mindestens einmal nackt vor dem großen Spiegel, um ihre Figur zu begutachten. Sie beschäftigte ein Heer von Masseusen, Masseuren, Kosmetikerinnen, die dafür zu sorgen hatten, dass ihre Stromlinienfigur erhalten blieb.
Statt Männern stellte sie jüngere Damen, gut aussehend und ebenso gut gebildet ein, die sie genauso wie sie selbst einkleiden ließ.
Im Konzern nannte man die Konzernholding bald den „Harem“(es fehlte allerdings der männliche Herrscher).
Sie hatte Gefallen an dem schneidigen Offizier Major Trampe gefunden und ihn in den vergangenen Monaten öfters als Beischläfer benutzt, wenn sie das gewisse Kribbeln im Unterleib gespürt hatte, denn sie schätzte seine Manneskraft, die nicht so schnell erlahmte. Sie ließ ihn dann am Abend kommen, gab sich ihm hin und wenn sie genug hatte, musste er wieder gehen.
Nachdem dieser widerliche Baron Hugo ihren Mann zu einer Aktion verleitet hatte, die ungesetzlich war, hatte auch sie nolens volens zustimmen müssen, um nicht auf ihren aufwendigen luxuriösen Lebensstandard verzichten zu müssen. Nun saß sie fest im Sattel, jetzt war der Zeitpunkt gekommen, um ihn loszuwerden. Trampe sollte ihr dabei als `Werkzeug’ dienen!
Als sich Trampe im Vorzimmer der Konzernchefin meldete, winkten ihn die Vorzimmerdamen sogleich zu Yvonne Wallbourg durch.
Trampe begrüßte sie förmlich. „Guten Tag, gnädige Frau."
„Lass die gnädige Frau, berichte mir, was vorgefallen ist." Im geschäftlichen Verkehr duldete sie keine Vertraulichkeiten. Trampe erstattete ihr ausführlich Bericht.
Sie schwieg eine Weile.
„Sooooh? Man hat Dich also in Moskau 'abgesägt' und jetzt lässt Dich die Reichswehr und auch Deine Frau fallen? Du Armer! Bist Du in finanziellen Schwierigkeiten?"
Trampe druckste herum, er suchte auf diese direkte Frage, die ihn bis ins Mark traf, eine ausweichende Antwort, fand aber keine.
„Lassen wir das! Vielleicht finden wir gemeinsam eine Lösung. Etwas ganz anderes - sage mir bitte ehrlich, wie viel Menschen hast Du im Kriege umgebracht?"
„Ich habe sie nicht gezählt."
„Hast Du auf sie geschossen?"
„Ich bin Offizier. Beim Militär lernt man schießen, exerzieren, nach unten Befehle erteilen, nach oben gehorchen. Das Töten war Aufgabe der gemeinen Soldaten, man hat sie zum Töten erzogen, sie haben geschossen, mit dem Bajonett zugestoßen, manche auch mit dem Messer....
Früher war der Krieg ein Kampf Mann gegen Mann, da zog der Heerführer höchst persönlich an der Spitze seiner Soldaten gegen den Feind, er hat sich in das Schlachtgetümmel gestürzt, mit dem Schwert um sich geschlagen, also selbst feindliche Soldaten niedergemacht und häufig wurde er selbst ein Opfer, verwundet oder getötet. Es war ein blutiges Gemetzel. Im modernen Krieg ist es die Aufgabe der Offiziere, Befehle, die von oben kommen, weiterzugeben an die ihnen unterstellten Soldaten und die Ausführung dieser Befehle zu überwachen.“
„Du schleichst um die Sache herum wie die 'Katze um den heißen Brei' ....ich will wissen, wie viel Menschen hast Du persönlich im Krieg erschossen oder sonst wie umgebracht?“
„Ich habe es Dir bereits gesagt. Ich weiß es nicht, ich habe sie nicht gezählt, ich stand bei den Kämpfen nicht immer in der vordersten Linie, das war nicht meine Aufgabe.“
„Waren es eine Handvoll, oder zehn oder einhundert, so ungefähr musst Du das doch wissen, musstest Du überhaupt welche töten?“
„Ja, das konnte ich nicht vermeiden, um nicht selbst von feindlichen Soldaten getötet zu werden, aber ich war keine Tötungsmaschine, wie manche meiner Untergebenen, die unseren Befehlen gehorchend, viele feindliche Soldaten getötet haben.
Wenn ein Sturmangriff auf die feindlichen Linien befohlen worden war, musste ich als Offizier voran laufen. Plötzlich steht ein feindlicher Soldat oder auch gleich mehrere vor Dir, was machst Du? Da gab es nur eins, ich oder der andere. Oft endeten solche Angriffe in einem blutigen Gemetzel, dann lagen viele Tote und Verwundete auf dem Schlachtfeld, eigene und Gegner, die Verwundeten schrieen um Hilfe, die nicht immer möglich war, dann verreckten diese armen Schweine elendiglich
Das Gewissen hat man uns dabei durch Erteilen der Befehle von oben abgenommen, sonst hätten viele von ihnen das nicht gekonnt. Ich habe etliche Nahkämpfer in meiner Truppe gehabt.
Wozu willst Du das alles wissen?"
„Ich befinde mich auch im Krieg - gegen diesen Baron Hugo von Sticknitz. Er versucht, unseren Konzern unter seine Kontrolle zu bringen, nachdem mein Mann durch seine Krankheit ausgefallen ist. Ich kann das nicht zulassen, Du kennst ihn ja auch, er ist ein ganz hinterhältiger 'krummer Hund', ein widerlicher Fiesling. Ein machtversessener Parvenü und Weiberheld, der häufig von einer Frau zur nächsten wandert.“
„So, ist er auch über Dich hinweggewandert?“ konnte sich Trampe nicht verkneifen.
„Ein schrecklicher Kerl, ich hasse ihn!
Schaff’ mir diesen windigen Baron vom Hals. ´Baron’, dass ich nicht lache. Ich kenne seine Herkunft: Er hat seinen Titel seinem Schwanz zu verdanken, denn er hat in jungen Jahren eine verwitwete Gutsherrin, die wohl im dankbaren Alter war, so bezirzt, dass sie ihn adoptiert hat. Seine Frau hat man vor einigen Monaten ermordet aufgefunden, er hat sie sicher auch auf dem Gewissen, nur konnte die Polizei ihm das bisher nicht nachweisen.
Er muss weg.... für immer. Wenn Du das für mich erledigst, hättest Du für Dein Leben ausgesorgt.
Denke darüber nach, was aus Dir werden soll. Den Posten in Moskau hast Du verloren, Du hast dem falschen vertraut, für diesen 'Baron' bist Du wertlos, er kann Dich nicht mehr gebrauchen - oder willst Du wieder als Nachtpförtner in einem seiner Werke enden?
Ich kann Dich fürstlich entlohnen. Möchtest Du reich werden, ganz reich?"
„Wer will das nicht, zumal ich Moskau verlassen musste, man hat mir dort den Stuhl vor die Tür gesetzt. Ich weiß auch noch nicht, wie es bei der Reichswehr weiter geht."
„Dieser Baron von Sticknitz ist ein infamer Lügner und Betrüger," schimpfte sie ungehalten, „er versucht ständig, mich über den Tisch zu ziehen; er denkt, weil Richard nichts mehr ausrichten kann, könne er das Geschäft an sich ziehen und mich übertölpeln. Ich hasse ihn, diesen abscheulichen Fiesling. Ich gebe Dir eine halbe Million. Damit hast Du ausgesorgt und kannst Dein Leben genießen."
Um Trampe begann sich alles zu drehen, er umklammerte die Lehne seines Stuhls. 'Gestern nichts als Vorwürfe, heute eine halbe Million, sollte er am Sonntag das große Los ziehen?'
Sprachlos starrte er Yvonne Wallbourg an.
„So eine Gelegenheit kommt nie wieder; Du bist doch ein starker mutiger Mann“, ihre Stimme hatte einen höhnischen Unterklang. Sie stand auf und ging zum Tresor, öffnete ihn umständlich und entnahm ihm ein dickes Geldbündel. „Hier sind einhunderttausend Reichsmark - als Anzahlung." Sie legte das Geldbündel vor ihn hin.
Er starrte das Geldbündel an, seine Gedanken fuhren Achterbahn, er, ein deutscher Offizier, ein gedungener Mörder? In Moskau war er 'rausgeflogen, würde ihn auch die Reichswehr entlassen, nachdem er in Moskau nicht reüssieren konnte? Musste er dann wieder als Pförtner in den Werken dieses Barons arbeiten, ein stumpfsinniger Posten für einen Hungerlohn?
Plötzlich kam ihm wieder ein Vorgang in den Sinn, der sich 1923 abgespielt hatte…
Was hatte dieser Baron mit dem Gold gemacht, das ihm vor einigen Jahren bei seiner Reise in die Karpaten ein Kosakengeneral übergeben hatte? Baron Hugo sollte es an einen westeuropäischen Kommunisten übergeben, die Komintern steckte wohl dahinter. Dieser Mittelsmann war aber zum vereinbarten Treffpunkt nicht erschienen und Baron Hugo hatte das Gold dann am Gut Sticknitz versteckt. Heimlich war Trampe ihm gefolgt, war es Neugier, war es Neid, dass Baron Hugo das Gold sich selbst aneignen wollte und konnte?
Yvonne Wallbourg riss ihn aus seinen Gedanken. „Na, wo warst Du mit Deinen Gedanken? Du musst ihn doch gut kennen, diesen sauberen Baron. Hinterfotzig, würden die Bayern sagen.“
Reich oder arm? das war die Frage, er musste sich jetzt entscheiden. Sie sah, wie seine Gedanken arbeiteten.
„Also gut, ich werde Dir den Gefallen erweisen." Er schob ihr das Geldbündel hinüber. „Gib mir das Geld hinterher“, murmelte er leise. „Ich mache es für Dich, nicht für das Geld."
„Kein Problem, Du bekommst die ganze Summe hinterher. Aber dann müssen wir uns trennen - für immer, das ist Dir doch klar."
Er nickte, stand auf und verließ grußlos das Zimmer. Er rannte an den Vorzimmerdamen vorbei, die ihm mokant lächelnd nachblickten, hatte ihn ihre Chefin völlig aus der Fassung gebracht? Immer wieder hatten sie bereits in der kurzen Zeit, die seit ihrer Anstellung vergangen war, erkennen müssen, dass die meisten Gesprächspartner, die bei Yvonne Wallbourg zum Rapport befohlen worden waren, nach den Gesprächen schweißgebadet und häufig vor Angst schlotternd davongeschlichen waren.
Trampe erging es nun ähnlich, er lief ziellos mehrere Stunden in der nahe gelegenen Dresdner Heide umher, bis er an der Mordgrundbrücke - welch beziehungsvoller Name! - die Straßenbahnlinie 11 erreichte, die ihn zurück in die Stadt brachte.
Sechs Jahre hatte er in Sowjetrussland vorwiegend in Moskau für die Reichswehr und für diesen deutschen Industriellen Baron von Sticknitz gearbeitet. Alle Befehle, Aufgaben und Wünsche hatte er zur vollen Zufriedenheit seiner Auftraggeber erfüllen können.
Er schüttelte die Erinnerungen an alte Zeiten ab, dann ging er in sein Hotel, warf sich auf das Bett und fiel in tiefen Schlaf, er träumte heftig, von Russen, geheimen Missionen, von Riga, seiner Kindheit, von Trotzkij, von diesem Baron Hugo, dem verbuddelten Goldschatz, von Yvonne Wallbourg, ihrem Hass auf diesen Baron. Er sieht ihn blutend zusammenbrechen, hat er doch geschossen? In Schweiß gebadet wachte er auf. Draußen war es noch hell. Frisch gewaschen lief er nach draußen.
Er hatte nun einen Mordauftrag übernommen! Warum?
Aus Liebe zu Yvonne Wallbourg, der eiskalten Konzernchefin, für die er nur ein gelegentlich angeforderter Liebhaber war, wenn sie Lust auf ihn hatte, wegen des Geldes, wegen dieses Barons Hugo, in dessen Diensten er letzten Endes stand? Er würde reich werden, vielleicht war auch das von Baron Hugo versteckte Gold noch da, vermutlich ein Teil des Zarengoldes, das er in den Karpaten zur Weiterleitung empfangen hatte – ein unermessliches Vermögen! Was für ein Mensch war dieser Baron, der ihn 1922 mit einigen seiner Männer als Pförtner für seine Werke eingestellt hatte, als sie nach der Freikorpszeit im Baltikum buchstäblich auf der Straße standen? Er hatte ihm einiges zu verdanken, bis die Reichswehr ihn reaktivierte und nach Moskau schickte.
Und jetzt sollte er ihn erschießen? Er haderte mit sich selbst, sollte er – oder sollte er nicht? Was würde dann aus ihm?
Der Baron Hugo war sein Arbeitgeber, der ihn damals, 1922, aus der Arbeitslosigkeit herausgeholt hatte, durch ihn war er von der Reichswehr reaktiviert worden, die Jahre in Moskau hatten ihn wieder aufleben lassen.
Aber er kannte auch die Schattenseiten dieses Mannes, seine Weibergeschichten, den rätselhaften Tod seiner Frau! Das war im April gewesen.
Der April hatte mit viel Regen und Kälte begonnen. Im Gutshaus Sticknitz kehrte am späten Abend allmählich Ruhe ein. Niemand im Gutshaus ahnte, dass draußen ein Mann im Schutz dichter Büsche das Haus beobachtete, er hatte sich hier auf die Lauer gelegt und wartete, bis alle Lichter im Gutshaus erloschen waren Als Dorfbewohner kannte er sich hier gut aus.
Er sah, wie die Baronin Magdalena von Sticknitz Friedrich, ihren jüngsten Sohn, zu Bett brachte, er wusste, dass die beiden älteren Kinder im Internat in Schneidemühl waren.
Er sah, wie der alte Heinrich, das Faktotum im Gutshaus, in den unteren Wohnräumen aufräumte, er sah, wie die Baronin nach oben in ihr Schlafzimmer ging, ein Glas und die Schnapsflasche in den Händen, er sah, wie sie sich entkleidete und das Nachthemd überzog. Eine Weile saß sie auf der Bettkante, vermutlich nahm sie noch einen Schlummertrunk, dann ging das Licht aus. Das Gutshaus versank in Dunkelheit.
Ein kräftiger Westwind trieb die Wolken vor sich her, in den Wolkenlücken ließ der bleiche Viertelmond die Umrisse des Gutshauses in der Finsternis auftauchen, von der Kirche in Pogholz trug der Wind zehn Glockenschläge herüber.
Er hatte Zeit; bis kurz vor Mitternacht beobachtete er das Gutshaus, nichts regte sich. Er wusste, dass ein Kellertür nicht richtig schloss. Vorsichtig drückte er die Tür auf. Im Haus kannte er sich trotz der Dunkelheit aus. Vorsichtig tastend stieg er nach oben, das Schlafzimmer der Baronin war sein Ziel. Die Schlafzimmertür ließ sich geräuschlos öffnen.
Da geschah es, er war auf ein knarrendes Dielenbrett getreten!
Erschreckt fuhr Baronin Magdalena hoch. „Was ist, wer ist da?“
Er blieb erstarrt stehen, was nun?
Instinktiv drückte sie auf den Schalter der Nachttischlampe, bei seinem Anblick schrie sie laut auf. „Was willst Du hier?“
Er hielt den Zeigefinger vor den Mund, sprang auf das Bett zu, riss ihr das Kopfkissen unter dem Kopf weg und drückte ihr mit aller Kraft das Kissen auf das Gesicht. Sie versuchte zu schreien, ihn wegzudrücken, sich auf die Seite zu drehen, aber er war zu stark. Verzweifelt wehrte sie sich, aber gegen seine Kräfte kam sie nicht an. Nach einer Weile ging der ungleiche Kampf zu Ende, leblos sackte sie zusammen.
Er schob das Kissen zur Seite und drückte zur Sicherheit noch eine zeitlang mit geübten Händen auf ihren Kehlkopf. Dann zog er den noch warmen Körper aus dem Bett, schleifte ihn zwei Türen weiter zum Atelier, das wesentlich höher war. An den dicken Deckenbalken waren einige kräftige Haken eingeschraubt. Er zog ein Seil aus der Tasche, zog es durch einen Haken und legte das Seil um ihren Hals. Er musste ihren schweren Körper mit Mühe so weit hochziehen, bis er den Boden nicht mehr berührte.
So leise, wie er gekommen war, verließ er wieder das Gutshaus.
Heinrich, Faktotum auf Gut Sticknitz, hatte um sieben Uhr, wie an jedem Werktag das Frühstück im Esszimmer angerichtet. Gewöhnlich kam die Gutsherrin, Baronin Magdalena von Sticknitz, pünktlich zum Frühstück herunter.
Friedrich, der jüngste Sohn, der noch zu Hause wohnte, stopfte sich bereits die erste Scheibe Brot, dick mit Himbeermarmelade bestrichen, in den Mund. Da die Baronin um Viertel nach sieben immer noch nicht erschienen war, ging Heinrich die Treppe hinauf, klopfte behutsam an ihrer Schlafzimmertür, nichts regte sich. Vorsichtig öffnete er die Tür und spähte hinein, das Bett war zwar benutzt aber leer. Er ging wieder hinaus auf den Flur, klopfte am Ankleidezimmer, keine Reaktion, er öffnete die Tür, nichts. War sie noch im Badezimmer? Er klopfte einmal, zweimal, immer lauter, endlich traute er sich, die Türe einen Spalt zu öffnen: das Bad war leer und offensichtlich unbenutzt. Wo war die Baronin?
Ein Stück weiter im Flur stand die Tür zum Atelier offen, das Atelier hatte sich ihre Schwiegermutter im vorigen Jahrhundert einrichten lassen, um sich ihrer Leidenschaft, der klassischen Malerei widmen zu können.
Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren, die Baronin hing an einem Deckenhaken leblos herunter. Heinrich wurde schwarz vor Augen, er musste sich mühsam am Türrahmen festhalten, um nicht umzufallen.
Heinrich war völlig verdattert, was war geschehen, was sollte er tun?
Er lief hinunter und rief Friedrich zu. „Pack’ Deine Schulsachen - und geh’ in die Schule. Die Mama ist unpässlich, sie kommt erst später herunter.“
Heinrich schmierte ihm hastig das Frühstücksbrot, packte es in die Frühstücksdose und schickte Friedrich zur Schule.
Ihm stand der Schweiß auf der Stirn. Was tun?
Er hatte keine Wahl, er musste Fritz Schneidereit, den Dorfgendarm anrufen. „Fritz, Du musst schnell herkommen, die Frau Baronin hängt im Atelier.“
„Was heißt das, sie hängt im Atelier?“ fragte Fritz Schneidereit verwundert.
„Sie ist tot, verstehst Du nicht? Sie hat sich aufgehängt oder jemand muss das heute Nacht getan haben.“
„Wo ist der Baron?“
„Wie immer, in Berlin oder in Dresden bei seinen Werken. Der kommt ja nur alle zwei Wochen übers Wochenende nach hier.“
„Oh Gott, wie schrecklich“, stöhnte der Dorfgendarm. „Ich komme gleich.“ Hastig zog er sich seine Uniform an, setzte den Tschako auf und lief hinaus. Er konnte nicht mehr schnell laufen, da er im Weltkrieg am rechten Bein verwundet worden war, er humpelte seit der Zeit. Aber als Dorfgendarm war er noch einsatzfähig, hatte seine vorgesetzte Dienststelle befunden.
„Wo ist sie?“ rief er atemlos Heinrich zu, der ihn an der Haustür erwartete. „Oben im Atelier.“ Die beiden Männer liefen die Treppe hinauf, als könnten sie noch etwas retten.
Das Atelier hatte eine wesentlich höhere Decke, mehrere dicke Holzbalken trugen das Dachgebälk. Man hatte seinerzeit auf Wunsch der alten Baronin das Dach angehoben, weil sie einen hohen Raum für ihre Malereien haben wollte. Sie malte klassische Szenen, vor allem nackte Jünglinge vor heroischem Hintergrund. Im Gutshaus hingen an verschiedenen Stellen großformatige Ölgemälde mit derartigen Szenen, die die Dienstmädchen kichernd betrachteten.
An einem der Deckenbalken war ein kräftiger Haken befestigt, an einem dicken Strick hing die Baronin etwa einen Meter über der Erde. Ihre Augen waren aufgerissen, ihr Gesicht aufgedunsen.
Keine Frage, sie war tot!
Die beiden Männer blickten sich ratlos an. Dann raffte sich Fritz Schneidereit auf. „Ich muss telefonieren. Nichts anfassen!“ herrschte er Heinrich an. „Pass’ auf, dass niemand hereinkommt. Wo ist das Telefon?“
„Unten im Arbeitszimmer des Gnädigen Herrn, Du weißt schon.“
Fritz Schneidereit humpelte die Treppe hinunter, unten in der Diele stieß er auf ein Dienstmädchen, das ihn verwundert anschaute. „Bleiben Sie bitte hier unten, “ herrschte er sie an.
Im Arbeitszimmer nahm er den Hörer ab, drehte die Kurbel, bis die Telefonistin sich meldete. Verbinden Sie mich mit der Polizei in Flatow, aber schnell.“
Es dauerte einige Sekunden, bis die Verbindung zustande kam. „Hier Wachtmeister Schneidereit in Sticknitz. Ich muss einen Todesfall melden. Im Gutshaus haben wir die Gutsherrin tot aufgefunden, sie hat sich erhängt oder ist erhängt worden.“
„Fassen Sie nichts an, verändern Sie nichts, wir kommen. Ich muss sehen, ob wir einen Kraftwagen zur Verfügung haben, außerdem müssen wir einen Arzt mitnehmen.“
Nach eineinhalb Stunden, gegen neun Uhr, kamen die drei Herren, ein Kriminaloberinspektor, ein Kriminalassistent und ein Arzt in Sticknitz an. Die Fahrt war sehr beschwerlich, da die Fahrstraße zum Teil nicht befestigt und aufgeweicht war. Sticknitz lag seit einigen Jahren am Ende der Welt, nachdem nach dem Weltkrieg Polen die Provinzen Posen und Westpreußen von den Siegermächten zugesprochen worden waren. Die neue Staatsgrenze verlief unmittelbar am Ortsrand. Die drei Herren liefen, von Fritz Schneidereit erwartet, die Treppe hinauf und betraten das Atelier. „Ich brauche eine Stehleiter“, rief der Arzt, Heinrich brachte sie ihm. Der Arzt stieg hinauf und untersuchte die Leiche. „Ich schätze, die Frau ist seit etwa neun bis zehn Stunden tot; ich bin kein Pathologe, der kann den Zeitpunkt des Todes sicher genauer bestimmen.“
„Also ausgerechnet in der Geisterstunde! Selbstmord oder Fremdeinwirkung?“ wollte der Kriminaloberinspektor wissen. „Das kann ich nicht genau sagen, aber ich glaube nicht an einen Selbstmord.“
„Sie müssen die Tote doch genauer kennen, hätte sie Veranlassung zum Selbstmord gehabt?“ wandte sich der Kriminalbeamte an Schneidereit.
„Die Ehe war nicht gut, das weiß das ganze Dorf.“
„Wo ist ihr Mann?“
„Der Herr Baron ist die meiste Zeit in Berlin oder Dresden, er hat dort mehrere Werke. Er ist in den letzten zehn Jahren immer mehr zum Industriellen geworden.“
„Also eine Wandlung vom Krautjunker zum Schlotbaron?“ Ironie lag in den Worten des Kriminalbeamten. „Haben Sie ihn verständigt?“
„Heinrich, ich meine, den Diener der Herrschaft hier, hat heute Morgen gleich in Berlin angerufen, aber der Herr Baron war noch nicht in der Firma.“
„Versuchen Sie’s noch mal.“
Schneidereit bat Heinrich, nochmals ein Telefongespräch nach Berlin anzumelden. Das dauerte fast eine Viertelstunde. In der Zwischenzeit beauftragte der Kriminaloberinspektor seinen Assistenten und den Wachtmeister, die tote Frau herunterzunehmen.
Wenig später meldete Heinrich den Herren, dass Baron Hugo bereits auf dem Weg zum Bahnhof sei. Er würde am Nachmittag in Sticknitz eintreffen. Heinrich solle ihn mit dem Wagen in Flatow abholen.
Wie ein Lauffeuer hatte sich inzwischen im Gut und dann im ganzen Dorf herumgesprochen, was passiert war.
Baron Hugo kam am Montagmorgen erst gegen neun Uhr in die 'NORMATAG'. Seine aufgelöste und weinende Sekretärin Karin begrüßte ihn. „Wo warst DU? Ich versuche seit über eine Stunde, Dich zu erreichen“.
„Was ist denn vorgefallen, hast Du zu Hause Probleme?"
„Ich...? Nein, es geht um Dich, man hat heute Morgen aus Sticknitz angerufen, Deine Frau ist tot.“
„Tot? Das kann nicht sein, ich habe gestern Nachmittag mit ihr telefoniert. Wer hat denn angerufen?"
„Dein Faktotum im Hause, Heinrich, auch der Dorfpolizist hat nach Dir gefragt."
„Melde mal ein Blitzgespräch nach Sticknitz an." Nach wenigen Minuten hatte er Heinrich am Apparat, der vor Aufregung kaum zusammenhängend sprechen konnte. „Die Frau Baronin ist tot; sonst ist die Frau Baronin immer zum Frühstück aufgestanden, heute Morgen war sie nicht da. Ich habe dann oben in ihren Zimmern nachgeschaut, da war sie nicht. Da die Tür zum Atelier offen stand, habe ich hineingeschaut…“
er konnte nicht weiter sprechen. „Sie ist tot“. Weinend brach er ab.
„Kommen Sie schnell…“
Heinrich reichte den Telefonhörer weiter an Fritz Schneidereit, den Dorfgendarm. „Hier ist Schneidereit, es ist dringend erforderlich, dass der Herr Baron hierher kommt."
„Sei nicht so förmlich, Fritz, selbstverständlich komme ich so schnell wie möglich. Sage bitte dem Heinrich, er soll mich heute Nachmittag am Bahnhof in Flatow abholen. Ich werde mich jetzt beeilen, um den nächsten Zug zu erwischen."
Inzwischen waren der Verwalter und die beiden jungen Inspektoren vom Gut gekommen. „Lassen Sie das gesamte Personal zusammenkommen, wir müssen sie verhören. Wo können wir das machen, “ wandte sich Kriminaloberinspektor Freundlich an Heinrich. „Am besten in der Gesindestube.“
„In einer halben Stunde,“ befahl er. „Und jetzt nehmen Sie bitte die Leiche herunter“, befahl er seinem Assistenten und Schneidereit. Inzwischen hatten die beiden Männer die Leiche vorsichtig auf den Boden gelegt. Nun konnte endlich der Arzt seine Untersuchungen beginnen. „Wir müssen sie ausziehen, sonst kann ich das nicht machen.“ Freundlich schickte Heinrich hinaus. „Das ist kein Anblick für Sie.“
Die beiden Männer legten Magdalenas Leiche auf den Rücken, Dr.Schöpken untersuchte zuerst die Halspartie. Nach einer Weile richtete er sich auf. „An der Toten befinden sich zwei Würgemale, das deutet darauf hin, dass sie erst erwürgt und dann aufgehängt worden ist. Genauer muss das die Pathologie feststellen. Nun drehen Sie die Tote auf den Bauch.“
Oberinspektor Freundlich pfiff durch die Zähne. „Was sehe ich denn da?“
Auf dem Gesäß und den Rücken sah man mehrere waagerecht verlaufende Hämatome. „Wer hat denn die dieser Frau beigebracht?“
„Die sind nicht in der vergangenen Nacht entstanden“, bemerkte Dr.Schöpken. „Das sieht nach Züchtigung mit einem Stock oder einer Peitsche aus.“
„Gab es eheliche Probleme?“
„Ja, das ganze Dorf weiß das. Baron Hugo kommt deshalb auch nur alle zwei bis drei Wochen für einige Tage nach Sticknitz.“
Am Nachmittag war Baron Hugo in Sticknitz, „Inspektor Freundlich, man hat mich beauftragt, die Nachforschungen zu leiten. Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Frau gesprochen?"
„Ich habe gestern Nachmittag von Berlin aus mit ihr telefoniert. Sie machte einen völlig normalen Eindruck, sie hat nicht das geringste verlauten lassen, sie frühstückt jeden Tag mit unserem jüngsten Sohn, bevor er zur Schule nach Pogholz geht."
„Was haben Sie gemacht, seit Sie gestern Nachmittag, wie Sie sagen, mit Ihrer Frau telefoniert haben?"
„Ich habe gestern Abend in der Nähe meiner Firma zu Abend gegessen und bin nach Hause gefahren."
„Ich muss Sie das fragen, ich nehme an, Sie haben in einer Gaststätte das Abendessen zu sich genommen; wie heißt die Gaststätte und wann genau war das?"
„Ich habe am Nachmittag in der Firma gearbeitet, gegen sechs Uhr bin ich ins Restaurant "Treptower Schänke' gegangen und bin dort bis gegen halb acht Uhr geblieben. Anschließend bin ich mit der S-Bahn zu meinem Haus in Berlin - Halensee gefahren."
„Kennt man Sie dort?" bohrte der Inspektor weiter. Unwirsch antwortete Hugo ihm. „Man kennt mich dort, die Kellner können Ihnen das bestätigen. Auch der Pförtner in meinem Werk weiß, wann ich gekommen und gegangen bin."
„Und die ganze Nacht von gestern Abend bis heute morgen waren Sie zu Hause."
„Ja, sicher." Der Kripomann nervte Hugo; er dachte, dieser Oberinspektor Freundlich ist so gar nicht freundlich. Wahrscheinlich hatte Fritz Schneidereit dem Inspektor berichtet, dass das ganze Dorf über die seit etlichen Jahren bestehenden Spannungen zwischen ihm und Magda tuschelte.
„Und Ihr Hauspersonal kann bestätigen, dass Sie die Nacht in Ihrem Haus in Berlin - Halensee verbracht haben?"
„Wenn nichts Besonderes anliegt, gebe ich dem Hauspersonal übers Wochenende frei, das wird man Ihnen bestätigen. So war es auch am vergangenen Wochenende. Im Übrigen, es ist unmöglich, zwischen gestern Abend und heute Morgen von Berlin nach Sticknitz und zurück zu gelangen. Da hätte ich fliegen müssen, und das geht bekanntlich nur am Tag."
Inspektor Freundlich überhörte diese Bemerkung geflissentlich.
„Ich habe in den vergangenen Stunden Ihr Personal über Auffälligkeiten am gestrigen Tage befragt. Danach ergibt sich folgendes Bild: Ihr Diener Heinrich bestätigt Ihren Anruf gestern Nachmittag. Wenig später ist ein junger Mann erschienen, der Ihre Frau sprechen wollte. Ihr Diener Heinrich hat ausgesagt, dass dieser Mann in den vergangenen Monaten mehrmals Ihre Frau aufgesucht hat. Heinrich kann sich an seinen Namen nicht erinnern, er meint jedoch, der Mann habe beim ersten Mal gesagt, er sei ein Verwandter Ihrer Frau. Kennen Sie diesen Mann?"
„Nein, keine Ahnung. Sie hat mir auch nichts davon erzählt. Ich höre das heute zum ersten Mal."
„Es gibt in diesem Zusammenhang etwas Unangenehmes zu erörtern, ich kann Sie damit leider nicht verschonen."
„Was soll das sein?"
„Der junge Mann, er wird als ziemlich klein und schmächtig, etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre alt, gut und städtisch gekleidet, beschrieben. Er kam jeweils am Nachmittag und ist ein- oder zweimal über Nacht hier geblieben. Eine peinliche Befragung Ihres Hausmädchens Luise hat ergeben, dass zumindest am Morgen im Bett Spermaspuren feststellbar waren. Wir mussten Ihr Hausmädchen ziemlich 'in die Zange' nehmen, bis sie das gestanden hat. Aber aus langjähriger Erfahrung weiß ich, dass vor allem das weibliche Dienstpersonal neugierig ist.
Gestern ist es, soweit wir das nachprüfen konnten, nicht dazu gekommen. Der junge Mann hat das Gut am späten Abend verlassen.
Wir wissen also nach heutigem Stand nicht, wer der junge Mann ist, woher er gekommen und wohin er gegangen ist. Wir werden unsere Nachforschungen weiter betreiben.
Können Sie immer noch nichts dazu sagen; ich meine, es ist für Sie sicher unangenehm, mit einem Nebenbuhler konfrontiert zu werden, aber ich kann Ihnen das nicht ersparen."
„Ich wiederhole, ich weiß nichts über diesen Mann."
„Des weiteren ist gestern am frühen Abend eine Frau in mittleren Jahren in Sticknitz gewesen, sie hat sich im Gasthof nach dem Gut erkundigt, es handelt sich also um eine Fremde, weder die Wirtin noch einige andere Personen aus dem Dorf, die diese Frau gesehen haben, kennen diese Frau, sie ist demnach wohl noch nie hier gewesen. Die Frau wird wie folgt beschrieben:
mittleres Alter, in bäuerlicher Tracht, aber nicht aus dieser Gegend, gut aussehend, klares Hochdeutsch sprechend. Können Sie mir zu dieser Frau etwas sagen?"
„Nein, ich habe keine Vorstellung, wer das sein könnte."
„Weiterhin bleibt festzuhalten, dass das Bett Ihrer Frau in der letzten Nacht benutzt wurde und dass ihre Kleidung, die sie gestern getragen hat, fehlt. Ihr Diener Heinrich meint, dass Ihre Frau gestern Abend gegen zehn Uhr ihr Schlafzimmer aufgesucht hat. Was dann in der Nacht passiert ist, wissen wir nicht. Dr.Schöpken meint, dass der Tod zwischen Mitternacht und ein Uhr eingetreten ist.
Wie war das Verhältnis zwischen Ihrer Frau und Ihnen?“
„Es ging so“, antwortete Baron Hugo sichtlich gequält.
„Und wie kommen diese Hämatome auf ihren Rücken, waren Sie das?“
Baron Hugo wand sich unruhig hin und her, er fühlte sich ertappt. „Sie brauchte das vor der ehelichen Vereinigung“, stotterte er unbeholfen.
Der Arzt nahm das kopfschüttelnd zur Kenntnis, man sah ihm an, dass er auch einen Selbstmord Magdas für möglich hielt, um mit diesen Qualen Schluss zu machen. Er berichtete seine Vermutung Inspektor Freundlich, der gar nicht freundlich auf Hugo zu sprechen war. „Es bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie zu verachten“, fauchte er Hugo an, der das schweigend zur Kenntnis nahm. „Ob Sie mit-schuldig am Tode Ihrer Frau sind, wird erst die Obduktion ergeben."
Achselzuckend ließ der Inspektor die Leiche wegbringen, auch die Spurensuche ergab nichts.
Yvonne am Telefon zu Hugo: „Wie geht es Dir? Ich möchte Dir zu diesem schrecklichen Tod Deiner Frau mein tief empfundenes Beileid ausdrücken." Hohn lag in ihrer Stimme. „Bist Du nicht innerlich froh, dass Du sie endlich losgeworden bist? Mein Lieber, ich fühle mit Dir."
Hugo spürte die Zweideutigkeit in ihren Worten. Äußerlich spielte er weiterhin den Tieftraurigen, Niedergeschlagenen; fassungslos und von Gram gebeugt, saß er in seinem Arbeitszimmer und stierte vor sich hin, während im Gutshaus die Polizisten geschäftig hin und her eilten, alles untersuchten, das Personal pausenlos verhörten. Hugo wollte nachdenken, aber seine Gedanken schwirrten in seinem Gehirn herum, sie schlugen wilde Purzelbäume; schließlich holte er sich eine Flasche Cognac aus dem Schrank und trank hastig in großen Schlucken aus der Flasche. Von überall her prasselten die Beileidsbekundungen auf ihn ein.
Friedrich hatte sich heulend in sein Zimmer verzogen, die Polizisten im Haus jagten ihm Angst ein. Hugo war froh, dass die mütterliche Maria, die mit Magdalena seit langem befreundet war, inzwischen eingetroffen war, um die Kinder zu trösten.
Am Abend konnte Fritz Schneidereit endlich nach Hause gehen, er war müde, niedergeschlagen, hungrig. Statt des Abendessens bekam er von seiner Frau erst einmal Vorwürfe. „Wo warst Du heute Nacht, ich weiß, Du warst weg, Dein Bett war kalt. Warst Du wieder bei ihr?
Kehrt nun endlich Ruhe im Dorf ein?“
„Ich habe nur einen nächtlichen Rundgang durch’s Dorf gemacht, es war alles ruhig.“
„Wer hat sie umgebracht – oder hat sie endlich Schluss gemacht? Mir kannst Du nichts vormachen, Du bist auch nicht unschuldig.“
„Ich habe damit nichts zu tun, ich habe heute Nacht auch nichts bemerkt.“
„Schöner Polizist bist Du, wozu gehst Du denn nachts durch Dorf. Ich glaube Dir überhaupt nichts. Du musst doch etwas gesehen oder gehört haben.“
Knurrend würgte Fritz das Abendessen herunter. „Lass mich in Ruhe!“ brüllte er schließlich seine Frau an. „Mach, dass Du ins Bett kommst, ich gehe nochmals raus.“
Am Abend ging Hugo zu Hannelore. „Hast Du mit dem Verschwinden Deiner Frau etwas zu tun?"
„Nein, nein, glaube mir, ich war das ganze Wochenende in Berlin.
Du hast mit der fremden Frau gesprochen, ich habe Heinrich und die anderen Dienstboten befragt, auf dem Gut hat sie niemand gesehen. Kannst Du sie mir beschreiben?"
„War es eine von Deinen Weibern, die Dich hier gesucht hat?" meinte Hannelore anzüglich, „mir kannst Du nichts vormachen, dafür kenne ich Dich zu lange. Ist Deine Ordnung durcheinander geraten?" Hannelore beschrieb ihm ausführlich, was sie sich gemerkt hatte. Sie erkannte in Stillen, dass Hugo eine Ahnung hatte, wer es gewesen sein könnte, auch wenn er das ableugnete.
In Hugos Kopf rumorte es tatsächlich, Hannelore hatte ihn gut beobachtet. Die Beschreibung passte auf Gabriele, die er damals in den Karpaten kennen gelernt hatte. Aber wie sollte sie nach den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen sein? Hugo zermarterte sich den Kopf, er fand die Lösung nicht. Auch der junge Mann, wer war das? Heinrich hatte mal eine Bemerkung Magdalenes aufgefangen, es wäre ein Verwandter, er meinte, sie hätte 'Cousin' gesagt.
Lauter Rätsel!
Da er dringend zurück in Berlin und Dresden erwartet wurde, sollte der Verwalter vorerst das Gut beaufsichtigen.
Eine Woche später kam das Resultat der Untersuchung in der Pathologie. Dr.Schöpken hatte richtig vermutet, Magdalena war erst erwürgt und dann zum Schein aufgehängt worden, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Ob sie vorher Geschlechtsverkehr hatte, ließ sich nicht mehr zweifelsfrei bestätigen.
In dem Obduktionsbericht war außerdem von streifenförmigen Hämatomen auf dem Gesäß die Rede, die Tote war also vor einiger Zeit mehrmals zu unterschiedlichen Zeiten geschlagen worden. Fritz Schneidereit hatte gleich an die Ereignisse damals im Jahre 1898 gedacht, als Hugo auf dem Gut vom damaligen Verwalter und seinen Knechten ausgepeitscht worden war. Er hatte das längst verdrängt, er vermutete, dass Hugo, von der Erinnerung übermannt, seiner Frau diese Züchtigungen beigebracht hatte. Da sie nach dem Bericht einige Zeit zurücklagen, konnten sie aber mit ihrem Tode nicht ursächlich zusammenhängen. Er vermied es deshalb, Inspektor Freundlich darauf anzusprechen. Sicherlich war das dem Dienstpersonal vom Gut nicht verborgen geblieben, Inspektor Freundlich würde dann von ihnen die Wahrheit erfahren und er selbst brauchte sich dann nicht zu offenbaren.
Inspektor Freundlich hatte inzwischen die Berliner Polizei gebeten, Baron Hugos Angaben zu überprüfen. Der Vorgang landete auf dem Schreibtisch von Oberinspektor Firchow, der sich aufmachte, seine Angaben bei den genannten Personen bestätigen zu lassen. Wie zu erwarten, war dieser Baron am Abend und am darauf folgenden Morgen in Berlin gewesen, nur die Nachtstunden ließen sich nicht nachprüfen. Firchow rief seinen Kollegen in Flatow an. „Hat dieser windige Baron mal wieder Dreck am Stecken? Es gab seltsame Fälle hier, in die dieser Baron Hugo von Sticknitz verwickelt war, aber wir konnten ihm nie etwas nachweisen, er ist aalglatt und sauber. Ich glaube, so wird es Ihnen auch in Flatow ergehen, trotzdem viel Glück!"
Die Beerdigung verlief tränenreich, die drei Kinder – die beiden großen waren aus dem Internat gekommen – schluchzten unaufhörlich, sie waren nun ohne Mutter, der Vater war eh nur selten da, was sollte nun werden?
Sie hörten das Gemunkel, versteckte Anspielungen gegen den Vater, keiner wagte es auszusprechen. Fritz Schneidereit, der Dorfgendarm, machte aus seinem Argwohn keinen Hehl, das gesamte Personal des Gutes bekam das zu spüren, auch Baron Hugo spürte die versteckte Feindschaft, die ihm offen oder versteckt entgegenschlug.
Er fand im großen Wohnzimmerschrank eine Ansammlung von Flaschen mit hartem Inhalt, es war im Dorf bekannt, dass sie ihren lang aufgestauten Kummer mit Alkohol zu betäuben versucht hatte. Er nahm eine Flasche und ging über die Wiese hinunter zum See, er setzte sich in das feuchte Gras und ließ die Beine im Wasser baumeln; mit den Beinen war er also schon in Polen. Er spürte weder Kälte noch Nässe.
Das war `sein’ See gewesen! Sein Leben war immer wieder im Zickzack verlaufen, erst unten, dann oben, dann wieder unten, dann endlich oben – für wie lange? Oft war er verzweifelt gewesen, bis ihn ganz unverhofft eine Glückssträhne erfasst hatte.
Ostern 1922, die Inflation war bereits deutlich zu spüren, da hatte er dem Glück etwas nachgeholfen.
Wie ein Ertrinkender hatte die Deutsche Industrie nach dem Strohhalm gegriffen, den die junge Sowjetunion der Deutschen Industrie entgegenhielt. Nun, es war in der Tat kein Strohhalm, sondern entwickelte sich sehr schnell zu einem bedeutenden Auslastungsfaktor und Baron Hugo saß mittendrin wie eine dicke Spinne im Netz.
Ostern 1922 hatte die Regierung von Sowjetrussland mit der Deutschen Regierung unter Führung von Reichskanzler Wirth und Außenminister von Rathenau in Rapallo einen Vertrag über die volle wirtschaftliche Zusammenarbeit abgeschlossen Was die Weltöffentlichkeit nicht erfuhr, war ein Geheimabkommen über die Zusammenarbeit der Roten Armee mit der Deutschen Reichswehr.
Durch einen Schuss aus seinem Revolver war Baron Hugo von einem finanziell angeschlagenen Guts- und Fabrikbesitzer zu einem reichen Mann geworden. Richard Wallbourg, einer der mächtigsten ´Montankönige’ von Rhein und Ruhr, hatte ihn immer wieder voller Häme als ´Krautjunker’ und `Möchtegern-Schlotbaron’ bezeichnet.
Das war jetzt vorbei!
Mitte März 1922 sind die Kaufverhandlungen zwischen Baron Hugo von Sticknitz und Dr.Schleusinger für das Berliner Werk, die Dr.Kasselmann eingefädelt hat, zum Abschluss gekommen.
„Darf ich Sie auf einen Cognac zu mir bitten? Ich wohne hier gleich in der Nähe“, fragt Hugo von Sticknitz seinen Geschäftspartner, als sie das Haus des Anwalts verlassen. Es ist Samstagabend, sie haben seit Mittag bei Dr.Tuchner verhandelt, um den Kauf des Berliner Werkes vertraglich abzuschließen.
„Ich habe nicht viel Zeit, ich muss den Nachtzug nach Essen erreichen, aber auf einen Cognac reicht es noch."
Als die beiden Herren vor Hugos Haus in der Königsallee angekommen sind, schaut sich Hugo vorsichtig um. Er zuckt unmerklich zusammen, ist da nicht einige Häuser weiter ein Schatten gewesen, der sich bewegte? Im trüben Schein der Gaslaternen ist die Sichtweite sehr eingeschränkt - vielleicht ein Gassenjunge, der hier herumlungert? Während Dr.Schleusinger bereits die Einfahrt betreten hat, schaut Hugo nochmals hin, der Schatten ist weg! Er beruhigt sich, es ist wohl nur eine optische Täuschung gewesen!
Die beiden Herren gehen in die Bibliothek, Baron Hugo zieht die Vorhänge zu und geht an einen Wandschrank. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie selbst bediene, aber mein Personal hat übers Wochenende Ausgang."
Hugo hat Martha, seine Haushälterin im Berliner Haus, bis Montag nach Sticknitz geschickt und Bruno, seinem Diener und Chauffeur, ebenfalls bis Montagmorgen freigegeben. Er entnimmt dem Schrank zwei Gläser und die Cognacflasche, gießt ein und prostet seinem Gast Dr.Carl Friedrich Schleusinger zu. Fasziniert betrachtet dieser das große Gemälde an der Wand, es zeigt einige gutgebaute nackte Jünglinge, ohne das sonst übliche Feigenblatt, vor antikem Hintergrund; ein Gemälde, das Hugos Adoptivmutter vor vielen Jahren gemalt hatte.
Hugo hat auf diesen Moment gewartet, er entnimmt der Schreibtischschublade einen Revolver und tritt hinter Dr.Schleusinger, er hebt den Revolver und schießt ihm von hinten zweimal direkt in's Genick. Sein Gast bricht gurgelnd zusammen und fällt hin, er ist sofort tot.
Mit den beiden Schüssen hat er soeben eine gut gehende Fabrik für lau eingekauft! Warum auch war Dr.Schleusinger so dumm, sich den Kaufpreis fürsein Berliner Werk – vierhundertfünfzigtausend Dollar – in bar auszahlen zu lassen? Die prall gefüllte Aktentasche mit den Dollarnoten lag nun neben dem Toten.
Für eine Weile steht er regungslos da, erstarrt, wie gelähmt, ist er nun ein Herr über Leben und Tod? Wie viele Mächtige vor ihm, die Geschichte war voll von ihnen, auch nach ihm würde es sie geben, diese mächtigen Männer, die keine Skrupel kannten, die sich nicht durch Selbstvorwürfe zerfleischten, sie hätten ähnlich gehandelt! Er will nicht mehr zu den Getriebenen gehören - andere antreiben, ihnen seinen Willen aufzwingen, das will er, das muss er!
Nicht mehr zu Richard aufschauen, mit ihm gleichziehen - oder gar ihn übertreffen, das muss sein Ziel sein! Dann würde auch Yvonne ihm zufallen wie eine reife Pflaume! Der Mächtige bestimmt, was recht ist - jetzt werde ich mächtig! Millionen von Menschen waren umgebracht worden, weil einige Mächtige das befohlen hatten: Kaiser Wilhelm, Zar Nikolaus II., der englische Premier Lloyd George und der französische Ministerpräsident Poincaré, Sie alle hatten befohlen zu töten!
Jetzt sitzt Kaiser Wilhelm auf seinem Schloss in Holland und muss Holz hacken! Baron Hugo ist berauscht von dem Vorsatz, rücksichtslos nach Macht zu streben. Jetzt will er mächtig werden, warum soll er ein kleiner Krauter bleiben?
Er blickt hinunter auf den toten Dr.Schleusinger - ist es schade um ihn? Er hatte weder Frau noch Kinder, niemand würde um ihn weinen!
Drei Fabriken und ein Gut, das ist zu wenig, denkt er. Richard Wallbourg schaut auf ihn immer spürbar hämisch herab 'was bist Du schon, ein Emporkömmling, ein Parvenü. Vielleicht wirst Du einmal ein Neureicher, der sein bisschen Reichtum seinem Schwanz zu verdanken hat'.
Hugo nimmt den Aktenkoffer und öffnet ihn, an dem vielen Geld könnte man sich berauschen:
vierhundertfünfzigtausend Dollar!
Damit kann er nun eine vierte Fabrik kaufen, zumal ihm Grünbaum geraten hatte, seine Textilfabrik abzustoßen. Auf seinen Rat muss er hören, denn von seinem Geld ist er abhängig. Auch Richard machte sich stets über ihn lustig: was willst Du mit dieser Weibermühle? Mach' den Laden dicht und schick' sie nach Hause, sie sollen Kinder kriegen und Suppe kochen!
Hugo holt aus dem Nebenzimmer einen Stapel Betttücher, die er dort bereit gelegt hat und zieht den Toten, der neben den Teppich auf das Parkett gefallen ist und in einer großen Blutlache liegt, auf die Betttücher. Dann leert er sorgfältig die Taschen des Toten, zieht ihm Schuhe, Jackett und Hose aus und wickelt ihn in die Tücher.
Hugo ist ein Hüne von Gestalt, Dr.Schleusinger dagegen klein und schmächtig. Ohne große Mühe trägt Hugo den Toten hinunter durch den Keller in die Garage. Dann holt er aus dem Garten mehrere große Steine und macht mittels Kupferdraht ein gut verschnürtes Paket aus dem Toten. Er deponiert das Paket hinter den Vordersitzen seiner ADLER - Limousine in den Fußraum der Hintersitze und deckt das verfängliche Paket mit einer dunklen Decke zu.
Im Heizkessel der Zentralheizung legt er einige Schaufeln Koks nach und geht wieder in die Bibliothek. Er öffnet die Aktentasche Dr.Schleusingers und leert die Geldpakete aus.
Das war der Kaufpreis für Schleusingers Werk in Berlin gewesen! Das Geld hatte Hugo am Nachmittag in Gegenwart des Anwalts an Dr.Schleusinger übergeben. Hugo packt alle persönlichen Gegenstände des Toten in die Aktentasche und trägt sie zusammen mit dem Anzug und den Schuhen hinunter in den Heizraum. Im Heizkessel ist inzwischen ein Höllenfeuer entstanden, so dass das Verbrennen dieser Sachen kein Problem sein würde.
Kapitel 2
Oben in der Bibliothek vernichtet Hugo sorgfältig alle Spuren, spült die Gläser und bringt alles in Ordnung. Nichts deutet mehr auf den Besuch hin. Er blickt auf die Uhr, eine knappe Stunde ist vergangen, seit er mit Dr.Schleusinger das Haus betreten hat! Er schließt das Geld in seinem Tresor ein und verlässt das Haus. Mit großen Schritten läuft er die Königsallee hinunter zum Ku-Damm. Im Restaurant ´Zur Goldenen Ecke' isst er ausgiebig zu Abend.
Zurück im Haus geht er wieder in den Heizraum und leert die Asche sowie die nicht verbrannten Gegenstände in einen Beutel, den er ebenfalls im Auto verstaut.
In der Nacht holt Hugo den Wagen aus der Garage und fährt hinaus an die Havelseen. Auf einer Brücke über den Havelkanal hält er an und wartet eine Viertelstunde, alles ist totenstill, nichts regt sich. Es ist stockdunkel ringsherum, nirgends ist ein Licht zu sehen. Erst als er ganz sicher ist, dass niemand in der Nähe ist, wirft er das Paket in der Mitte des Kanals ins Wasser und wartet mit der Taschenlampe, bis keine Blasen mehr aufsteigen. Blub, blub, blub.....!
So schnell verschwindet ein Mensch auf Nimmerwiedersehen!
Beruhigt fährt er zurück. Moral und Gewissen sind eine Erfindung der Mächtigen für die Schwachen und Dummen! ruft er sich immer wieder ins Gedächtnis. Recht ist das Eigentum der Mächtigen, sein Recht ist das Recht aller! Dieser Satz Spenglers hatte sich tief in sein Gedächtnis eingegraben. Er hat jetzt einen Toten zu verantworten, aber wie viel Millionen Menschenleben hatten die Kaiser, Könige, Zaren, Präsidenten, Heerführer, auf dem Gewissen? Zur Durchsetzung ihrer Ideen, mochten sie noch so abstrus sein, waren sie über Scharen von Leichen hinweggegangen. Schlechtes Gewissen - nie mehr!
Eine Woche später bekommt Hugo von Sticknitz zu Hause Besuch. Ein schäbig gekleideter Mann mittleren Alters, der einen richtigen Fußballbauch vor sich her trägt, lässt sich nicht abweisen.
„Firchow, Kriminaloberinspektor", stellt er sich vor. „Sie sind Hugo Freiherr von Sticknitz?" Hugo nickt.
„Darf ich mich setzen?" Ohne eine Antwort abzuwarten, setzt er sich in den Sessel, der auf der anderen Seite des Schreibtischs steht, entnimmt einer abgewetzten Aktentasche einen schmalen Aktendeckel und schlägt ihn auf. „Sie kennen einen Dr.Schleusinger?"
"Frieren Sie am Kopf?" fragt Hugo indigniert zurück.
Wortlos nimmt Firchow seinen vergammelten Hut ab. „Also, kennen Sie Dr.Schleusinger?"
„Warum wollen Sie das wissen?"
„Wir haben aus Essen eine Vermisstenmeldung bekommen. Nach Auskunft seines Sekretariats hat er sich am vergangenen Samstag mit Ihnen bei einem Anwalt getroffen, um einen Vertrag abzuschließen. Stimmt das?"
„Ja, und weiter?"
„Nach Auskunft des Anwalts Dr.Tuchner, den ich vorhin befragt habe, verließen Sie ihn zusammen mit Dr.Schleusinger gegen achtzehn Uhr. Seit diesem Zeitpunkt gibt es von dem Vermissten kein Lebenszeichen mehr. Was geschah dann?"
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, diesen entsetzlich stinkenden Stumpen auszumachen?"
Hugo kann Stumpenraucher nicht ausstehen, ihm wird übel bei dem Gestank. Er geht zum Fenster und reißt es weit auf. Knurrend befolgt Firchow diese Aufforderung und drückt seinen Stumpen im Aschenbecher aus, wo er weiterqualmt. Wütend ergreift Hugo den Aschenbecher und schleudert ihn durch das offene Fenster in den Garten.
„Widerlich!"
„Mein Herr, unser Gehalt hinkt ständig hinter der Inflation erheblich her."
„Darf ich Ihnen eine richtige Zigarre anbieten?" Er zieht das Rauchtischchen heran und reicht seinem Gegenüber eine Kiste Brasil. „Donnerwetter, eine echte Brasil, ich bin so frei..."
Genießerisch lässt er sich die ersten Züge auf der Zunge zergehen. „So etwas kann sich unsereins nicht leisten."
„Um auf Ihre Frage zurückzukommen - Dr.Schleusinger verabschiedete sich an der Haustür unseres Anwalts und wollte zum Droschkenstand gehen, da er ein wenig in Eile war, um den Nachtzug nach Essen noch zu erreichen."
„Wir haben alle in Frage kommenden Droschkenfahrer befragt, auch das Personal von Straßenbahnen, Bussen, S-und U-Bahnen, niemand hat ihn mehr gesehen. Auch das Zugpersonal des D-Zuges, vor allem der Schlafwagenschaffner, hat ausgesagt, dass Dr.Schleusinger nicht im Zuge war. Von dem Moment an, von dem Sie sprachen, ist Dr.Schleusinger wie vom Erdboden verschluckt.
Sie sind also der Letzte, der ihn gesehen und gesprochen hat. Was haben Sie anschließend gemacht?"
„Ich bin, nachdem wir uns verabschiedet hatten, kurz nach Hause gegangen, Sie wissen inzwischen sicherlich, dass die Kanzlei von Dr.Tuchner nicht weit von hier entfernt ist, und ich habe meine Unterlagen hier im Zimmer deponiert. Anschließend bin ich zu Fuß zum Ku-Damm gelaufen und habe dort im Restaurant 'Zur Goldenen Ecke' zu Abend gegessen."
Firchow notiert sich alles. „Und dann?"
„Nach dem Essen bin ich wieder nach Hause gegangen und habe mich schlafen gelegt, da ich am Sonntag nach Dresden fahren wollte, ich bin dort an einem Unternehmen beteiligt."
„Wer kann das bezeugen?"
„Niemand. Da ich am Sonntag nach Dresden fahren musste, hatte ich meinem Personal übers Wochenende frei gegeben."
„Dr.Tuchner wollte mir über den Inhalt des Kaufvertrages keine Auskunft geben, das verstieße gegen seine Schweigepflicht. Wir haben jedoch von Dr.Schleusingers Sekretariats eine Abschrift der wichtigsten Stellen dieses Vertrages bekommen, danach sollte der Kaufpreis von zehn Millionen Reichsmark bei Unterzeichnung in bar bezahlt werden und zwar in Dollar. Ist das richtig?"
Hugo nickte. „Stimmt. Wir hatten uns auf vierhundertfünfzigtausend Dollar geeinigt, die ich ihm in Gegenwart des Anwalts in bar übergeben habe, er hat das ausdrücklich verlangt."
Firchow pfeift genießerisch durch die Zähne. „Donnerwetter, einfach unvorstellbar. Wie viel war das denn?"
„Es passte gerade in eine Aktentasche."
„Und mit dieser Aktentasche voller Geld ist Dr.Schleusinger in der beginnenden Dunkelheit allein losgelaufen?"
„Er war der Meinung, niemand wisse, wie wertvoll der Inhalt seiner Aktentasche sei."
„Seltsam, sehr seltsam das Ganze."
„Könnte es nicht sein, dass Dr.Schleusinger mit dem Geld ins Ausland gefahren ist, um es dort sicher anzulegen? Was sagt seine Familie?“
„Dr.Schleusinger ist verwitwet, er hat keine Kinder."
Zwei Tage später steht Firchow wieder in der Tür, dieses Mal allerdings ohne Stumpen. „Ich muss nochmals stören."
„Keine Spur von Dr.Schleusinger?" will Hugo wissen.
„Nein, nichts. Wir haben erfahren, dass Sie in der vergangenen Woche einen Herrn Kummrow, den Kaufmännischen Direktor der 'SCHLEUSINGER GMBH', fristlos entlassen haben. Warum?"
„Das ist in der Wirtschaft durchaus üblich, die 'SCHLEUSINGER GMBH' hat in letzter Zeit kaum noch Gewinne gemacht."
„Und trotzdem haben Sie für dieses Werk einen so hohen Preis bezahlt?"
„Das hat andere Gründe, von denen Sie nichts verstehen."
Firchow bekommt einen roten Kopf. „Kannte Kummrow den Vertrag, wusste er etwas über die Zahlung des Kaufpreises?"
Hugo zuckt vielsagend mit den Achseln.
„Ihr Chauffeur hat ausgesagt, dass er Ihren Wagen am Samstagmittag sauber gewaschen in die Garage gestellt habe. Am Montagmorgen sei er ziemlich schmutzig gewesen, er war der Meinung, dass der Wagen am Wochenende für eine größere Strecke benutzt worden sei."
„Ich war am Sonntagmorgen, ganz früh, am Wünstorfer See in meiner Angelkate."
„Darf man fragen, was Sie dort gemacht haben?"
„Keine Leiche in den See geworfen, wenn Sie das meinen“, Hugos Antwort klingt patzig.
„Haben Sie einen Tresor?"
„Einen? Mehrere - hier, in der 'NORMATAG' und in Sticknitz."
Firchow rutscht unruhig auf dem Stuhl hin und her; er weiß nicht recht, wie er seine Frage formulieren soll. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir den Inhalt Ihres Tresors hier zu zeigen?"
Wortlos öffnet Hugo den Tresor: viel Papier, wenig Geld. „In der ‚NORMATAG’ kann Ihnen meine Sekretärin den Tresor aufschließen, ich werde sie anrufen, wenn Sie das wünschen."
„Ich wäre Ihnen sehr verbunden."
„Nach Sticknitz müssten Sie sich allerdings selbst bemühen. Ich war seit dem Tage des Vertragsabschlusses noch nicht wieder in Sticknitz."
„Nicht nötig, uns liegt ein Protokoll des Wachtmeisters Schneidereit vor, der Ihre Frau und Ihr Personal dort befragt hat, sie bestätigen Ihre Aussage."
„Soso, Sie spüren also bereits hinter mir her?"
Firchow macht eine ganz unschuldige Miene. „Wer nichts zu verbergen hat, kann mit ruhigem Gewissen solche Aussagen zur Kenntnis nehmen. Darf ich abschließend noch fragen, was der Anlass Ihrer Reise nach Dresden war?"
„Ich habe dort Herrn Wallbourg und seine Frau besucht...."
„Der bekannte Großindustrielle? Soviel ich weiß, wohnt er doch in Düsseldorf?"
„Er hat seine Konzernzentrale inzwischen nach Dresden verlegt, Düsseldorf ist ihm verleidet, seit die Franzmänner dort sitzen."
„Das kann ich verstehen."
Firchow steht auf und will gehen.
„Darf ich Ihnen zum Abschied noch eine Brasil offerieren?" Hugo reicht ihm die Zigarrenkiste und Firchow langt genüsslich hinein. „Als Wegzehrung. Hoffentlich kommen Sie nicht mehr wieder, ich lege keinen Wert auf Ihren Besuch.“
„Hoffentlich finden wir nicht doch etwas Handfestes gegen Sie, dann bin ich wieder hier.“ Mit einer tiefen Verbeugung verabschiedet er sich.
Hugo reibt sich die Hände, er hat zwei falsche Fährten gelegt, an denen sich Firchow die Zähne ausbeißen kann! Im Geiste sieht er Firchow mit einigen Polizisten den Wünstorfer See absuchen, sicherlich wird er wiederkommen, um den Schlüssel für die Angelkate abzuholen. Soll er suchen, bis er schwarz würde! Dann würde er Kummrow ausquetschen wie eine Zitrone, aber auch der könnte der Polizei keinerlei Hinweise geben. Wo sollte man Dr.Schleusinger suchen, die Welt ist groß!
Nicht schlecht, dachte er, nun hatte er eine gut gehende Maschinenfabrik in Berlin für lau gekauft! Das sollte ihm mal jemand nachmachen!
In Gedanken versunken läuft Firchow zur S-Bahn. Wem nützt der mutmaßliche Tod Dr.Schleusingers? Die Hypothese, der Vermisste könnte mit der Aktentasche voller Dollar untergetaucht sein, hält er für unglaubwürdig, dafür ist Dr.Schleusinger zu vermögend.
Wer hat die knapp eine halbe Million Dollar?
Dieser Baron Hugo von Sticknitz, einer der Droschkenkutscher, einer der Straßenbahner oder Eisenbahner, der aus irgendeinem Grund in die geöffnete Aktentasche geblickt hatte? Ein zufällig vorbeigekommener Straßenräuber, der durch diesen unverhofft riesigen Fund den Raub seines Lebens gemacht hatte? Oder ein leitender Mitarbeiter im Werk von Dr.Schleusinger?
Aber wo ist in diesen Fällen die Leiche geblieben? Nur Hugo von Sticknitz oder einer der Droschkenfahrer hätten die Leiche unbemerkt fortschaffen können. Die Straßenbahner und Eisenbahner schieden als Täter aus, höchstens als Tippgeber hätten sie fungieren können.
Der Kreis der Verdächtigen ist sehr groß!
Das Absuchen des Wünstorfer Sees hat nichts gebracht. Aber auch Hugo von Sticknitz hätte einen Raubmörder dingen können, um sich seine Finger nicht schmutzig zu machen. In diesem Falle wäre der Ganove sicherlich in Dollar entlohnt worden; man müsste also in den einschlägigen Kreisen nachforschen.
Es passt nichts zusammen, lauter Fragen, keine Antworten!
Zurück am Alex wird er zu Kriminalrat Schmiedeke zitiert.
„Wie weit sind Sie im Fall Dr.Schleusinger?“
„Er ist wie vom Erdboden verschwunden, als wenn sich auf dem Weg von diesem Baron zur Rückfahrt ein Loch im Erdboden aufgetan hätte, das ihn verschluckt hat.“
„Haben sie den Anwalt befragt?“
„Dr.Tuchner sagt, Dr.Schleusinger hätte darauf bestanden, den Kaufpreis für sein Berliner Werk in bar und zwar in Dollar zu bekommen. Die Geldübergabe habe im Beisein des Anwaltes stattgefunden. Er habe das Geld in seiner unscheinbare Aktentasche verstaut mit der Bemerkung, niemand wisse, dass er so viel Geld bei sich trage.“
„Niemand ist ja wohl falsch, Ihr werter Baron wusste davon. Vielleicht hat er durch einen gedungenen Räuber dem Dr.Schleusinger das Geld geraubt.“
„Dann hätten wir entweder Dr.Schleusinger noch lebend oder zumindest seine Leiche finden müssen.
Ich bin überzeugt, das sagt mir mein Gefühl als Kriminalbeamter, der Baron steckt irgendwie dahinter. Aber er ist aalglatt. Dieser Baron Hugo ist ein kraftstrotzender Hüne, dagegen hätte der als schmächtig bezeichnete Dr.Schleusinger keine Chance gehabt.“
„Haben Sie sich mal mit der Person dieses angeblichen Barons befasst?“
„Ja, ich bin extra nach Sticknitz gefahren und habe mit dem dortigen Dorfgendarm gesprochen, der Titel ist echt, er ist als Jüngling von der dortigen Gutsherrin, einer verwitweten Baronin von Sticknitz, adoptiert worden. Sohn eines Landarbeiters, Vollwaise, arm wie eine Kirchenmaus. Man erzählt sich in dem Dorf an der polnischen Grenze allerhand über unseren Baron; aber wie weit stimmt das?“
„Ist er denn schon einmal kriminell aufgefallen?“
„Im Dorf ist er bekannt als Weiberheld, hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich, dass er wohl auch mit seiner Adoptivmutter ein Verhältnis gehabt haben soll, er gilt als herrisch, schikaniert seine Leute, seine Frau hat wohl auch nichts zu lachen. Er hat drei Kinder mit ihr.“
„Das bringt uns alles nicht weiter.“
„Wir müssen ihn auf Schritt und Tritt beobachten, vielleicht macht er maleinen Fehler.“
„