Terra - Science Fiction 06: Raumschiff Neptun 03 - Tempel der Götter - Walter Ernsting - E-Book

Terra - Science Fiction 06: Raumschiff Neptun 03 - Tempel der Götter E-Book

Walter Ernsting

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Beschreibung

Raumschiff Neptun (3) Die Flüge durch den Weltraum werden für Eugen Tarrot zum Rausch. Das Entdecken und Erforschen neuer Planeten ist sein neues Lebensziel. Erneut reist er mit seinen Freunden in ein unbekanntes Sonnensystem.

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In dieser Reihe bisher erschienen

3301 Dwight V. Swain Dunkles Schicksal

3302 Ronald M. Hahn Die Stadt am Ende der Welt

3303 Peter Dubina Die Wächter des Alls

3304 Walter Ernsting Der verzauberte Planet

3305 Walter Ernsting Begegnung im Weltraum

3306 Walter Ernsting Tempel der Götter

3307 Axel Kruse Tsinahpah

3308 Axel Kruse Mutter

3309 Axel Kruse Ein Junge, sein Hund und der Fluß

3310Ronald M. Hahn Die Herren der Zeit

3311 Peter Dubina Die letzte Fahrt der Krakatau

3312 Axel Kruse Knochen

3313 Ronald M. Hahn Projekt Replikant

TEMPEL DER GÖTTER

RAUMSCHIFF NEPTUN NO.03

TERRA - SCIENCE FICTION

BUCH 6

WALTER ERNSTING

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

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Copyright © 2023 Blitz-Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier 

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Vignette: Ralph Kretschmann

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

3306 vom 11.08.2024

ISBN: 978-3-95719-696-5

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Walter Ernsting (1920-2005)

Literaturverzeichnis

EINS

Die Astronomen des zwanzigsten Jahrhunderts hatten nicht sehr viel über den Stern Altair in der Konstellation Alpha Aquila gewusst, doch um gerecht zu bleiben, muss betont werden, dass die wenigsten Menschen überhaupt jemals in ihrem Leben von dem Sternbild Alpha Aquila gehört hatten. Altair mochte ihnen geläufiger sein, aber das hatte andere Gründe. Auch kannten sie vielleicht den Großen Bären mit seiner Hinterachsen-verlängerung, die zum Polarstern führte, den Orion oder die Wega, aber damit war ihr astronomisches Wissen auch schon erschöpft, soweit es nicht das eigene Sonnensystem betraf.

Den Mond kannte jeder, und über ihn wusste man auch eine Menge, seit vor gut siebzig Jahren der erste Mensch dort landete. Erst lange nach seinem Tod wurde die längst fällige Ehrung dem Mann zuteil, dem das Gelingen dieses entscheidenden Unternehmens in erster Linie zu verdanken war. Jene Stelle, an der Armstrong seinen Fuß auf die Mondoberfläche setzte, ziert heute ein einfacher Monolith aus Marmor mit der schlichten Inschrift: Wernher von Braun.

Auch auf dem Mars landeten Ende des Jahrhunderts Menschen und fanden Spuren eines fremdartigen und primitiven Lebens, dessen Ablauf jedoch so verschieden von dem uns von der Erde her bekannten war, dass die vorher gelandeten Robotsonden es nicht entdeckt hatten.

Diese Tatsache verursachte einige Veränderungen in der sozialen Struktur der Völker und beeinflusste ihre Einstellung zur Weltraumfahrt derart, dass sich die Nationen mehr als bisher zusammenschlossen, ihre kleinlichen Probleme bewältigten oder vergaßen – und gemeinsam versuchten, nicht nur die eigenen Planeten, sondern auch die fernen Sterne zu erreichen.

Zuerst nach dem Mars die Venus, dann der Asteroidengürtel, die Monde der äußeren Planeten und schließlich diese selbst.

Und dann stand der Mensch am Ende dieser unerwartet schnellen Entwicklung auf der eisigen Oberfläche des Pluto und blickte ratlos in den unüberwindlich erscheinenden Abgrund hinein, der sich bis zu den nächsten Sternen spannte.

Im Jahr 2020 wurde der Gravital-Antrieb entwickelt und erfolgreich erprobt. Die Grenze, die fast heilige Grenze der Lichtgeschwindigkeit, wurde durchbrochen, so wie einst die Schallmauer durchbrochen wurde.

Die Sterne rückten plötzlich in greifbare Nähe ...

Nach zwei recht glücklich verlaufenen Expeditionen in den Weltraum hatten Gene Tarrot und Pat O’Brian ein halbes Jahr gefaulenzt, ehe sie den Entschluss fassten, abermals die Erde und das Sonnensystem zu verlassen. Im Gegensatz zu den beiden ersten Flügen gab es dazu keinen sofort ersichtlichen Grund.

Während Gene und seine Verlobte Helen einige Wochen auf ihrer Hütte bei Fernie in Kanada verbrachten, nützte Pat die Zeit, das Schiff startklar zu machen. Der ein wenig zur Korpulenz neigende Ire mit der spiegelnden Glatze war ein ausgezeichneter Techniker mit viel Phantasie. Seinen Anordnungen und Vorschlägen war es zu verdanken, dass in die NEPTUN immer wieder Verbesserungen und zusätzliche Apparaturen eingebaut wurden.

Dass er sich diesmal etwas länger als unbedingt notwendig in der Werft aufhielt, hatte einen ganz besonderen Grund. Es war ihm nämlich gelungen, über die Fabri-kationsfirma der NEPTUN jene Abteilung ausfindig zu machen, die Sweety erdacht und konstruiert hatte.

Sweety war der Bordcomputer der NEPTUN und konnte im Bedarfsfall sämtliche navigatorischen und technischen Aufgaben übernehmen, die für einen Flug durch den Weltraum erforderlich waren. Er besaß eine menschliche Stimme und ein umfangreiches eingespeichertes Wissen – und selbstverständlich ein niemals versagendes Erinnerungsvermögen.

Gene und Pat hatten diesen Roboter deshalb auf den Namen Sweety getauft, weil seine sanfte und wohlklingende Stimme die einer Frau war.

„Das hat rein psychologische Gründe“, erklärte der Chefphysiker der Konstruktionsabteilung, nachdem Pat endlich bis zu ihm vorgedrungen war. „Flüge zu anderen Sternen dauern noch verhältnismäßig lange, und oft sind Sie viele Monate mit Ihrem Partner allein unterwegs, allein an Bord Ihres Schiffes. Unsere Psychologen sind der Meinung, dass sich unter diesen Umständen seelische Spannungen aufbauen könnten, die nicht ungefährlich sind. Weiter meinen sie, für Ihre geistige und auch körperliche Verfassung sei es nur gut, wenn Sie Gelegenheit erhielten, sich mit einer Frau zu unterhalten, auch wenn es sich dabei nur um Ihren Bordcomputer handelt.“ Er zuckte die Schultern. „Aber wenn Sie es wünschen, können wir natürlich Ihrem Roboter ohne besondere Schwierig-keiten eine männliche Stimme einspeichern. Er verliert dadurch keine seiner ausgezeichneten Fähigkeiten und ...“

„O nein, danke!“, fiel Pat ihm erschrocken ins Wort. „Wir sind sehr zufrieden mit Sweety und haben uns an ihn gewöhnt. Er hat uns schon oft aus der Klemme geholfen. Nur hätten wir natürlich gern gewusst, wer ihm seine uns nun schon so lange vertraute Stimme verlieh. Vielleicht können Sie das nicht verstehen ...“

„Doch, das verstehe ich sogar sehr gut. Aber Sie werden enttäuscht sein, denn es handelt sich lediglich um eine unserer Mitarbeiterinnen, die über ein wenig schauspielerisches Talent verfügt, Sprachunterricht nahm und daher eine geschulte Stimme besitzt.“

„Vielleicht wäre es möglich, ein Foto dieser Dame zu bekommen ...“

Der Mann von der Konstruktionsabteilung lächelte.

„Das fragen Sie Miss Martha besser selbst. Sie bedient zwei Räume von hier den Video-Teleschreiber. Das Schild an der Tür ...“

Pat stand auf und reichte ihm die Hand.

„Vielen Dank, Doktor – und nochmals: Wir sind mit Ihrem Computer mehr als zufrieden.“

„Das freut mich, Mister O’Brian.“

Wenig später blieb Pat vor der bezeichneten Tür stehen und musste sich eingestehen, dass sein Herz schneller als gewöhnlich klopfte. Mit der Stimme von Sweety verband ihn eine gewisse Vertraulichkeit, denn während der langen Flüge, und besonders in den Bordnächten der -NEPTUN, hatte er oft stundenlange Zwiegespräche mit dem Computer geführt. Es war ihm klar, dass Sweety dabei nur den eingefütterten Wortschatz und die Stimme einer ihm noch unbekannten Frau benutzte.

Er klopfte an und trat ein.

Vor einem großen Videoschirm, auf dem gerade ein Schriftstück erschien und in diesem Augenblick auch wieder verschwand, saß eine junge Frau, die sich nur halb umdrehte und den unerwarteten Besucher verwundert musterte.

Pat trat verlegen von einem Fuß auf den anderen.

„Verzeihen Sie, bitte, aber Ihr Chef gab mir die Erlaubnis, Sie aufsuchen zu dürfen. Das ist nämlich so ... aber Sie dürfen mich nicht gleich auslachen ... wissen Sie ...“

„Ich kann es mir schon denken“, unterbrach sie ihn und lächelte. Pat wurde ganz warm ums Herz, und trotzdem wäre er froh gewesen, jetzt hundert Kilometer entfernt zu sein. „Sie sind nicht der Erste, der die Frau sehen möchte, die vielen Bordcomputern ihre Stimme verlieh.“ Sie zog die Augenbrauen in die Höhe. „Oder hat Ihr Besuch einen anderen Grund?“

Pat verbarg seine Enttäuschung. Er hatte nicht gewusst, dass noch andere Computer ausgerechnet Sweetys Stimme besaßen.

„O nein, Sie haben recht, Miss ...“

„Martha ... so nennen mich alle.“

„Danke, Miss Martha. Ich bin Pat O’Brian.“

Sie nickte.

„Die NEPTUN, nicht wahr? Eigner: Gene Tarrot.“

„Wir sind Partner, das Schiff gehört uns zu gleichen Teilen. Eh, darf ich mich setzen, oder störe ich?“

„Ich habe nur wenig Zeit, Mister O’Brian, aber für ein paar Minuten wird es schon reichen.“ Wieder lächelte sie. „Sehen Sie, es ist eine merkwürdige Situation für mich, denn ich kenne Sie nicht, habe nie Ihre Stimme gehört. Sie jedoch hatten die Gelegenheit, oft mit meiner Stimme zu sprechen, sich mit ihr zu unterhalten. Aber die Gedanken und Wortkombinationen Ihres Roboters sind nicht die meinen.“

„Ich weiß“, wehrte Pat ab. „Trotzdem hatte ich den Wunsch, Sie persönlich kennenzulernen. Nun werden meine Gespräche mit Sweety viel interessanter werden ...“

„Sweety?“

Er grinste verlegen.

„So nannten wir unseren Computer – der Stimme wegen.“

Sie lachte laut auf, und Pat fühlte sich glücklich, als sie lachte. Sie hatte braune Augen und braunes, langes Haar. Ihr Gesicht strahlte Selbstbewusstsein, aber auch eine gewisse Wärme aus. Sie schien ein Mensch zu sein, den man einfach gernhaben musste.

Die Unterhaltung dauerte mehr als nur ein paar Minuten, und als Pat aufbrach, nahm er ihr Versprechen mit, sie nach Dienstschluss ausführen zu dürfen.

Martha war nicht so klug und allwissend wie Sweety, aber sie war eine Frau.

Viel, viel später an diesem Tag hatten beide das Gefühl, als hätten sie sich schon immer gekannt ...

Was wusste man im zwanzigsten Jahrhundert schon von dem Stern Altair?

Die ersten Erkenntnisse waren seine Helligkeit und Farbe. Letztere war fast identisch mit jener unserer Sonne, nämlich gelblich. Also durfte auch angenommen werden, dass er eine entsprechende Struktur im Aufbau besaß wie die Sonne. Die Helligkeit betrug 0,89.

Die Astronomen fanden aber noch mehr heraus.

So stellten sie fest, dass der Durchmesser von Altair zwar dem unserer Sonne entsprach, also etwa anderthalb Millionen Kilometer, seine Masse jedoch zweieinhalbmal so viel betrug. Das ließ auf ein starkes Gravitationsfeld schließen.

Die Wissenschaftler typisierten den von der Erde sechzehn Lichtjahre entfernten Stern mit A S N, womit der Laie nicht viel anfangen konnte. Die Frage, ob Altair auch Planeten besaß, blieb vorerst unbeantwortet.

Erst im Jahr 2014 wurde durch neuartige astronomische Beobachtungen und Berechnungen bekannt, dass Altair von drei Dunkelkörpern umkreist wurde, aber zu diesem Zeitpunkt war es noch nicht möglich, diese drei Planeten – um etwas anderes konnte es sich kaum handeln – zu erreichen oder gar zu betreten.

Das geschah erst siebenundzwanzig Jahre später.

„Warum ausgerechnet Altair?“, fragte Helen, als sie in der noch warmen Abendsonne vor der Hütte bei Fernie saßen. Auch Gene sah Pat forschend an, der nach dem andert-halbstündigen Fußmarsch ziemlich erschöpft wirkte, aber gleich zum Thema gekommen war. „Ich gebe ja gern zu, dass dein letzter Tipp richtig war, aber da hattest du auch Informationen vom Observatorium auf Mount Zeil in Australien. Diesmal jedoch ...“

„... habe ich keinen Tipp bekommen, zugegeben.“ Pat lehnte sich zurück, bis er die Hüttenwand im Rücken spürte. „Es ist mehr so eine Art Eingebung, wenn ihr wollt. Altair hat mich schon immer mächtig gereizt.“

„Warum?“, fragte Gene. „Es muss doch einen Grund dafür geben.“

Pat zuckte mit den Schultern.

„Eigentlich keinen stichhaltigen“, räumte er ein. „Seit man weiß, dass Altair Planeten hat, ist noch kein Mensch auf die Idee gekommen, sie sich anzusehen.“

„Es gibt genügend Sterne im Umkreis von sechzehn Lichtjahren.“

„Ja, zum Glück! Aber warum sollten wir nicht die Ersten sein, die Altair einen Besuch abstatten?“

„Bis jetzt waren wir mit unserem Schiff immer die Ersten“, erinnerte ihn Gene. Er schüttelte den Kopf. „Ich möchte zu gern wissen, was wirklich dahintersteckt und wie du ausgerechnet auf Altair gekommen bist.“

Pat wirkte verlegen und wich Helens Blicken aus, die ihn nicht aus den Augen ließ.

„Weißt du, ich habe einmal einen uralten utopischen Roman gelesen, und der spielte auf einem Planeten von Altair. Nun möchte ich gern wissen, ob es dort wirklich so aussieht, wie der Autor es beschrieben hat.“

Helen starrte Pat verständnislos an.

„Und deshalb willst du neunzig Tage Flug in Kauf nehmen und die gleiche Zeit zurück? Das ist ein halbes Jahr, Pat!“ Sie schüttelte den Kopf. „Bei dir piept es, mein Freund!“

Pat warf seinem Freund einen hilflosen Blick zu.

„Meinst du das auch, Gene?“

Gene sah seine Verlobte an, als er antwortete: „So absolut verrückt ist der Gedanke schon deshalb nicht, weil wir ohnehin eine neue Expedition planten. Wir hatten nur noch keine Gelegenheit, uns über das Ziel zu unterhalten. Kann sein, dass wir im Altair-System endlich ein Lager von Bellarium finden. Eine Auffrischung unserer Finanzen könnte nicht schaden.“

Helen seufzte.

„Hätte ich mir denken können, dass unser Dicker dich wieder überredet ...“

„Ich habe zwei Kilo abgenommen“, protestierte Pat.

„Hier nimmst du sie aber wieder zu“, machte Helen ihn aufmerksam und deutete auf die leeren Teller und Schüsseln. „Da wäre übrigens noch etwas, und das geht in erster Linie dich etwas an, Gene: Wenn ich mich recht entsinne, sprachst du vor zwei Jahren davon, dass ich euch beim nächsten Flug begleiten dürfe. Ich kann mir ein Jahr Urlaub nehmen und ...“

„Kommt nicht infrage!“, schnitt Gene ihr das Wort ab. „Unser Ziel ist unbekannt, und wir wissen auch nicht, was uns dort erwartet. Wir werden dich einmal mitnehmen, wenn wir einen harmlosen und kurzen Flug unternehmen.“

„Ja, zum Mars vielleicht“, spottete sie und tat beleidigt. „Da fliegt heute jede Schulklasse hin. Überleg es dir noch einmal, und überleg es dir gut, Gene! Ich möchte mitkommen. In der NEPTUN ist doch Platz genug. Ich werde euch nicht lästig fallen, ganz bestimmt nicht.“

„Darum geht es doch gar nicht, es ist die Gefahr ...“

„Gefahr ist heute nicht mehr nur noch Männersache“, klärte sie ihn auf. „Auch wenn ich euch nicht begleite, kann euch etwas zustoßen, und das wäre für mich schlimmer, als wäre ich mit dabei. Kannst du das verstehen, Gene?“

Gene nickte langsam, aber er stimmte noch nicht zu.

Bis er das tat, vergingen noch zwei Tage.

Die NEPTUN, ein Diskus mit einem Durchmesser von dreißig Metern und einer kompakten Höhe von zehn Metern, verließ das Sonnensystem vertikal zur Ebene der Ekliptik und kreuzte somit keine der Planetenbahnen. Sie erreichte so wesentlich schneller die Lichtmauer, die bei 300.000 Kilometer pro Sekunde lag, durchbrach sie nahezu unbemerkt und flog eine Stunde später mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von zweiundsiebzig LG ihrem fernen Ziel entgegen.

Zweiundsiebzig LG bedeutete zweiundsiebzigfache Lichtgeschwindigkeit. Das Schiff legte in der Sekunde die unglaubliche Entfernung von 21,6 Millionen Kilometer zurück. In fünf Tagen bewältigte es die Strecke von einem Lichtjahr.

Das waren Geschwindigkeiten und -Entfernungen, die noch vor drei Jahrzehnten als utopische -Wahnvorstellungen abgetan worden waren, aber vor fünfzehn Jahrzehnten hatte die Wissenschaft auch behauptet, nichts könne fliegen, das schwerer als Luft sei. Die Phantasie war der Wissenschaft schon immer ein paar Nasenlängen voraus gewesen – und hatte am Ende recht behalten.

Der Bordcomputer hatte den Kurs berechnet und programmiert. Rein theoretisch brauchten sich Gene und Pat nun nicht mehr um das Schiff zu kümmern, bis es sich Altair näherte. Aber in der Praxis sah das natürlich alles ganz anders aus.

Pat unternahm seinen täglichen Spaziergang durch den unteren Teil des Schiffes, in dem die Lagerräume und der Hangar für das Geländefahrzeug Trucky und den Antigrav--Gleiter untergebracht waren. Offiziell galt dieser Rundgang der technischen Kontrolle, aber Helen hatte Pat sofort durchschaut: Er wollte auf keinen Fall während des Fluges auch nur ein einziges Gramm zunehmen.

Gene hingegen konnte stundenlang vor dem Bildschirm sitzen und den Blick in die Unendlichkeit des Raums genießen, in dem die Sterne dicht an dicht standen und nicht blinkten. Helen leistete ihm dabei Gesellschaft, wenn sie nicht gerade schlief oder sich einen Film ansah.

So hatte jeder seine Beschäftigung, keiner ging dem anderen auf die Nerven. Insgeheim wartete jedoch jeder der drei Expeditionsteilnehmer auf irgendein Ereignis, das die Monotonie des langen Fluges unterbrach. Aber auch bei diesen Vorstellungen kam es naturgemäß zu unterschiedlichen Versionen, die dem jeweiligen Charakter entsprachen ...

Pat, der seine Sammlung utopischer Comics und Romane ergänzt hatte, sah sich in seinen Wachträumen immerzu mit einem monströs wirkenden Raumschiff einer -fremden intelligenten Rasse konfrontiert und malte sich in seiner Phantasie einen ersten Kontakt aus.

Seiner Ansicht nach konnte eine solche Begegnung nicht so problemlos verlaufen, wie sie in seinen Romanen so oft geschildert wurde. Er musste unwillkürlich an jene Geschehnisse denken, wie sie sich noch vor einem halben Jahrtausend auf der Erde abgespielt hatten. Die weißen Eroberer aus dem alten Europa landeten auf dem amerikanischen Doppelkontinent, und die harmlosen Eingeborenen hielten sie für die zurückkehrenden Götter, eine Tatsache, die erst viel später in ihrer wahren Bedeutung erfasst wurde. Diese Unbefangenheit führte dann auch zum Untergang der Ureinwohner.

Nein, diese erste Begegnung mit einer fremden und interstellaren Intelligenz, vielleicht sogar einer weit überlegenen Intelligenz, musste anders verlaufen, sollte sie nicht zur Katastrophe führen.

Wenn nicht, konnte das passieren, was Pat sich in allen Einzelheiten ausgedacht hatte – ein Traum, der ihn immer wieder quälte und der ihm keine Ruhe ließ ...

Da tauchte auf dem Bildschirm der NEPTUN ein undefinierbares Echo auf. Ein Asteroid vielleicht, oder ein Planet ohne eigene Sonne, der ziellos durch den unendlichen Raum wanderte. Dann jedoch entpuppte sich das Echo als eine fremdartige technische Konstruktion.

Ein Raumschiff, oder eine riesige Weltraumstation ...?

Pat erinnerte sich spätestens in diesem Augenblick seiner fiktiven Vorstellung an eine Kurzgeschichte aus dem vergangenen Jahrhundert, die auch heute noch nichts an Aktualität verloren hatte. Erster Kontakt war sie betitelt, oder doch so ähnlich. In dieser Story kam es zu einer sprachlichen Verständigung zwischen dem Kommandanten des irdischen Raumschiffes und dem des anderen. Jeder Versuch einer weiteren Annäherung scheiterte jedoch daran, dass jeder die Position der Heimatwelt des anderen wissen wollte.

Die Gesetze beider Zivilisationen verboten jedoch die Preisgabe der heimatlichen Koordinaten. Das Gespräch musste stagnieren und zu keinem Ergebnis führen. Man tauschte zum Schluss noch gute Wünsche aus und trennte sich. Das war alles.

Immerhin, überlegte Pat, war ein solches Ergebnis noch positiv zu bewerten, denn es hätte ganz anders kommen können. Etwa so, wie es auf der Erde im sechzehnten Jahrhundert nach der Entdeckung Amerikas kam. Man hatte nicht nur Völker, sondern ganze Zivilisationen ausgelöscht.

Derartiges konnte sich im kosmischen Raum nur zu leicht wiederholen. Es konnte geschehen, wenn sich zwei technisch gleichwertige Zivilisationen begegneten, aber auch dann, wenn die eine von ihnen der anderen überlegen war. Vielleicht dann erst recht.

Pat sah das alles vor seinem geistigen Auge abrollen wie einen Film.

Er lag in seiner Kabine auf dem Bett, das gelesene Buch noch in den Händen und das Licht ausgeschaltet. Aus der Finsternis zwischen den Sternen schälte sich das fremde Schiff heraus und nahm Formen an. Ebenso wie die NEPTUN adjustierte es auf relative Nullgeschwindigkeit, sodass die beiden Schiffe scheinbar unbeweglich im Raum schwebten.

Die Entfernung betrug nur drei Kilometer, was bei der Atmosphärelosigkeit beste Sicht und optimale optische Beobachtung ermöglichte.

Die Kontaktversuche über Funk blieben ohne Resultat. Das fremde Schiff reagierte nicht.

„Man sollte es mit Lichtzeichen versuchen“, schlug Gene vor, als Pat am Funkgerät seine ergebnislose Arbeit einstellte. „Darauf sollten sie wenigstens reagieren.“

„Sie könnten es aber auch missverstehen“, gab Pat zu bedenken.

„Licht, harmloses Licht?“ Gene schüttelte den Kopf. „Schalte den Bordscheinwerfer ein und blinke zu ihnen hinüber, in der Art von Morsezeichen. Sie werden sie nicht verstehen, aber sie werden wissen, dass wir friedlichen Kontakt wünschen.“

Pat war nicht wohl in seiner Haut, als er Genes Rat befolgte.

Zuerst erfolgte keine Reaktion, aber dann kam eine. Und es geschah in einer Art und Weise, die irritieren musste.

Ein grünlicher Lichtstrahl schoss aus dem Bug des anderen Schiffes und hüllte die NEPTUN ein. Pat hatte das Gefühl, von einer Sekunde zur anderen halb gelähmt zu sein, obwohl er sich noch bewegen konnte. Das Kribbeln breitete sich im ganzen Körper aus, ohne seine Bewegungsfreiheit zu beeinflussen.

Panik ergriff ihn, trotzdem hätte er vielleicht noch Gene daran gehindert, den Feuerknopf der automatisch eingerichteten Laserbündel-Kanone einzudrücken, wenn ihm Zeit dazu geblieben wäre.

Im selben Augenblick entstand in der Zielrichtung eine gelb leuchtende Lichtblase, in deren Zentrum das fremde Schiff schwebte. Die unter normalen Umständen alle Materie vernichtenden Energiebündel der Laserkanone glitten wirkungslos von dem Schutzschirm ab.

Und dann erfolgte der Gegenschlag.

Die NEPTUN wurde von einem Schauer atomarer Partikel erfasst, die ihren eigenen Schirm durchschlugen, jeden Organismus sofort abtöteten, Materie hingegen unbeschädigt ließen.

Die Fremden, deren grüner Lichtstrahl Zeichen des Friedens und Wille zur Verständigung bedeutete, gingen an Bord der nun toten NEPTUN und entdeckten in den Sternenkarten die Position der Erde und ihre exakten Koordinaten.

Der Krieg zwischen den Sternen hatte damit begonnen ...

Helens Vision eines Zusammentreffens mit einer fremden Zivilisation war ganz anderer Natur und entsprach ihrer Veranlagung und ihren Wünschen. Sie war deshalb nicht weniger real und denkbar.

Die NEPTUN näherte sich langsam und mit äußerster Vorsicht dem neu entdeckten Planeten einer freundlich strahlenden Doppelsonne, der ausgezeichnete Lebens-bedingungen aufwies. Die Instrumente und Fernorter zeigten eine atembare Atmosphäre und reichlich Wasser an, auf dem Bildschirm waren Meere und Kontinente deutlich zu erkennen.

Während das Schiff tiefer sank und die obersten Luftschichten durchstieß, lieferte das analytische Labor weitere Einzelheiten. Die Oberfläche der Kontinente war dicht mit Vegetation bedeckt, die überall dort üppig wucherte, wo nicht gerade nackter, unfruchtbarer Fels vorhanden war, in dem keine Wurzel Fuß fassen konnte.

In geringer Höhe flog die NEPTUN dahin und suchte nach einem geeigneten Landeplatz.

„Merkwürdig“, sagte Gene und überprüfte die ausgewerteten Daten. „Keinerlei Anzeichen von Leben da unten.“

„Ist Vegetation etwa kein Leben?“, fragte Helen ein wenig vorwurfsvoll.

„Ich meinte Fauna“, berichtigte sich Gene. „Keine Tiere, keine Anzeichen intelligenter Lebewesen. Oder habt ihr vielleicht etwas von einer Art Siedlung bemerkt? Pflanzen, nichts als Pflanzen, und die legen bestimmt keine Siedlungen an.“

„Vielleicht leben sie versteckt in den Wäldern“, vermutete Pat. „Eine so fruchtbare Welt muss Tiere und menschenähnliche Geschöpfe hervorgebracht haben!“

„Wirklich?“, erkundigte sich Helen mit einem selt-samen Unterton in ihrer Stimme.

Sie landeten auf einem mit Gras bedeckten Hoch-plateau und kamen sich vor wie in einem Paradies. Rings um den Landeplatz wuchsen bunte Blumen – es fehlte nur noch das Summen von Insekten oder Vogel-gezwitscher.

Genau das aber war nicht vorhanden. Es war eine schöne, aber ungemein stille und schweigsame Welt.

„Hier werde ich mal meine letzten Lebensjahre verbringen“, zeigte sich sogar Pat beeindruckt.

Sie unternahmen Erkundungsflüge mit dem Gleiter und weite Fahrten mit Trucky, aber sie begegneten nicht einem einzigen Lebewesen.