Blutrot die Jagd - Arvid Heubner - E-Book
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Blutrot die Jagd E-Book

Arvid Heubner

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Beschreibung

Pünktlich auf die Minute und mit einer Leiche an Bord …
Tinus Geving ermittelt in seinem nächsten rasanten Fall

Mit dem Schnellzug von Paris nach Amsterdam kommt nicht nur die neue Ermittlerin Chloé Lambert in Rotterdam an, sondern auch die Leiche eines norwegischen Staatsanwaltes. Chloés neuer Vorgesetzter bei EUROPOL, der ambitionierte Kriminalhauptkommissar Tinus Geving, übernimmt die Ermittlungsleitung. Sein Team findet schnell heraus, dass es sich nicht, wie ursprünglich von den Behörden angenommen, um einen natürlichen Tod, sondern um Mord handelt. Hatte der brisante Fall, an dem der Staatsanwalt beteiligt war, etwas damit zu tun? Schon bald beginnt die Jagd nach dem mutmaßlichen Täter, die fatale Folgen für das Team hat …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Totenzug.

Erste Leser:innenstimmen
„Nervenkitzel vom Allerfeinsten!“
„Durchgehend fesselnd und dadurch in einem Rutsch weggelesen – absolute Empfehlung.“
„Den trockenen, bösen Humor von Kriminalhauptkommissar Tinus Geving muss man einfach lieben!“
„Brisanter und actionreicher Polit-Krimi, bei dem sich die Spannung mit jeder Seite steigert.“

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Seitenzahl: 179

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Über dieses E-Book

Mit dem Schnellzug von Paris nach Amsterdam kommt nicht nur die neue Ermittlerin Chloé Lambert in Rotterdam an, sondern auch die Leiche eines norwegischen Staatsanwaltes. Chloés neuer Vorgesetzter bei EUROPOL, der ambitionierte Kriminalhauptkommissar Tinus Geving, übernimmt die Ermittlungsleitung. Sein Team findet schnell heraus, dass es sich nicht, wie ursprünglich von den Behörden angenommen, um einen natürlichen Tod, sondern um Mord handelt. Hatte der brisante Fall, an dem der Staatsanwalt beteiligt war, etwas damit zu tun? Schon bald beginnt die Jagd nach dem mutmaßlichen Täter, die fatale Folgen für das Team hat …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Totenzug.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Juni 2022

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-861-5 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-862-2

Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2021 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLIHERS GmbH erschienenen Titels Totenzug (ISBN: 978-3-96817-494-5).

Copyright © 2017, Arvid Heubner im Selfpublishing Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2017 bei Arvid Heubner im Selfpublishing erschienenen Titels Der Kuckuck ruft in den Weiten (ISBN: 978-3-74509-076-5).

Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © pisaphotography, © brickrena neo-stock.com: © Tom Parsons Lektorat: Nadine Buranaseda, typo18, Bornheim

E-Book-Version 11.06.2024, 19:04:05.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Blutrot die Jagd

Operation Iraqi Freedom

Ich möchte sagen, dass die Welt unter meiner Führung freier und friedvoller geworden ist und Amerika sicherer.

George W. Bush, US-Präsident, 28. Oktober 2003

Basra International Airport

Basra, Irak

24. Dezember 2003

16:17 Uhr

Es sah aus wie im finstersten Mittelalter. Dazu die markerschütternden Schreie der zahlreichen Verwundeten. Jungen, die ihre Volljährigkeit kaum erreicht hatten, schrien nach ihren Müttern, während überforderte, abgestumpfte Ärzte ihnen die Gliedmaßen amputierten und das nutzlos gewordene Fleisch im Anschluss achtlos beiseite warfen. Narkosemittel waren seit einer Woche aus, Nachschub ließ weiter auf sich warten.

Die Sonne verschwand allmählich hinter dem Horizont, die drückende Schwüle des Tages blieb. Kein erfrischender Luftzug, der den üblen Gestank von geronnenem Blut, verbranntem Menschenfleisch und süßlicher Verwesung vertreiben konnte. Einer der blutigsten Tage seit Beginn der Invasion ging zur Neige. Die »Helfer im roten Kittel« arbeiteten weit über die Grenzen ihrer eigenen Erschöpfung hinaus. Egal, niemand hier würde sich über eventuell verschuldete Kunstfehler beschweren.

In der Ferne über der Stadt standen pechschwarze Rauchschwaden, und der Widerhall von Geschützlärm und Kalaschnikows vermischte sich mit dem Geschrei der Opfer.

Wenn Anspruch auf Wirklichkeit traf … Major Magnus Lindhjem betrachtete seit einer Weile stumm und mit verschränkten Armen diesen Vorhof zur Hölle. Er musste unfreiwillig schmunzeln, als er an die mehr als leichtsinnige Aussage des Mannes dachte, dem sie dieses Abenteuer zu verdanken hatten. So sah es aus, wenn eine unterfinanzierte, schlecht ausgerüstete Armee gegen die »Achse des Bösen« in den Kampf zog. In einen Krieg, der von Beginn an falsch kalkuliert gewesen war. Niemand hatte mit diesem Widerstand gerechnet. Elf Tage zuvor war den amerikanischen Truppen Saddam Hussein ins Netz gegangen. Die vor lauter Euphorie völlig betrunkene Militärführung hatte sich zu der Prognose hinreißen lassen, dass der Aufstand danach zusammenbrechen würde. Doch weit gefehlt! Seitdem war die Bevölkerung des okkupierten Landes erst so richtig aufgestachelt.

Und als wäre all das nicht schon schlimm genug gewesen, gab es hartnäckige Gerüchte. Niemand in Norwegen verstand, was ein paar Hundert ihrer Landsleute in diesem Wüstensand zu suchen hatten. Er hatte es anfangs auch nicht verstanden. Langsam begann er zu begreifen. So wie die vielen Tausend Demonstranten, die in der Heimat auf die Straße gingen. Der Major schmunzelte erneut. Die Spanier waren bereits eingeknickt. Was das für die gequälten Seelen der völlig umsonst ins Verderben Gestürzten bedeutete – niemanden schien es groß zu kümmern.

Lindhjem hatte genug gesehen und wollte das Lazarett verlassen. Dabei stieß er fast mit Kaptein Henning Mikkalsen zusammen, dessen Kommen er nicht bemerkt hatte.

»Frohe Weihnachten, Henning! Wie du siehst, haben wir Bescherung«, sagte Lindhjem zu seinem Kollegen, der heute ziemlich blass im Gesicht war. Das musste am Wasser liegen.

»Was war es diesmal?«

»Eine dänische Einheit ist am Al-Basra-Ölterminal unter schweres Feuer geraten. Die Briten, die sie da rausholen sollten, hat es bei Shu’aiba erwischt. Eine vergrabene Rucksackbombe. Vier Tote, ein Dutzend Schwerverletzte. Was machen wir hier eigentlich? Hörst du mir überhaupt zu?«

Der Kaptein wirkte ungewohnt abwesend. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht.

»Was? Entschuldige …« Mit zitternder Hand überreichte er ihm eine Meldung. »Das kam gerade.«

Magnus Lindhjem las und fing bald an, mit den Zähnen zu knirschen. Die Gerüchte waren nicht länger nur Gerüchte, sondern harte Fakten. Er knüllte das Papier zusammen.

»Feiglinge!«

»Wir wurden verraten und verkauft!« Henning Mikkalsens Stimme bebte.

Er legte ihm um Fassung bemüht beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Geduld. Eines Tages werden sie begreifen. Und sie werden teuer für ihren Verrat bezahlen.«

Teil I – Dernière Danse

Sonntag, 3. März

Gare du Nord

Paris

14:07 Uhr

Sein Zielobjekt verhielt sich seit der Ankunft in Paris »konform«. Es wusste, dass es möglicherweise beschattet wurde. Jeden unnötigen Schritt vor die Tür des Hotelzimmers hatte es strikt vermieden. Im Freien schirmte es sich so ab, dass kein Zugriff erfolgen konnte, ohne ihn gleichzeitig zu enttarnen. Dabei hatte sein Zielobjekt keine Ahnung, wie nahe er ihm wirklich war.

Endlich wähnte es sich in Sicherheit. Er ging seine gedankliche Checkliste noch einmal durch. Personenobservation, Objektobservation, Standortobservation. Vorbereitung, technische Hilfsmittel, Koordinierung.

Vor dem Bahnhofsgebäude regnete es in Strömen. Das Stationsinnere war belebt. Ein Großteil der Reisenden kehrte an die Arbeitsplätze in Lille, Brüssel oder anderswo im Norden zurück. Hinaus aus der ungemütlichen Kälte, hinein ins Trockene, schnurstracks in die bereitstehenden Züge. In Gedanken hatten sie ihr wie immer viel zu kurzes Wochenende in der Hauptstadt längst abgehakt und die neue Arbeitswoche vor Augen. Kein Blick fürs Bahnhofsgeschehen, keine Aufmerksamkeit für Details.

Das Zielobjekt hatte sich bis eben beim Zeitungsstand aufgehalten und wandte sich zum Gehen. Die Observation führte zum Entschluss, der Entschluss zur Ausführung. Jetzt.

»Au! Passen Sie doch auf!« Sein Ziel fasste sich unwirsch an die linke Wade. Für nicht einmal einen winzigen Sekundenbruchteil blickte es ihm ins Gesicht. Die »Konformität« – durchbrochen.

»Pardon, Monsieur«, murmelte er kaum verständlich und entfernte sich.

Auftrag abgeschlossen.

Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit … Fast wäre er mit einer an ihm vorübereilenden jungen Frau zusammengestoßen. Nein! Sie? Was machte sie hier? Er kannte sie, nicht persönlich, aber das Gesicht, ihren Namen, ihre Akte. Den Zusammenstoß hatte er gerade noch abwenden können. Sie erkannte ihn nicht. Woher auch? Er ertappte sich dabei, wie er erleichtert durchatmete.

Keinerlei Gefühlsregung zeigen! Kaltblütigkeit.

Wo steckte sein Zielobjekt? Er hatte es aus den Augen verloren. Suchender Blick. Korrektur. Sichtkontakt zum Zielobjekt wieder aufgenommen. Zielobjekt besteigt Zug.

Eine spontane Änderung der Operationsparameter. Sie bestieg denselben Zug! Im Kopf ging er die Informationen durch, die er über sie hatte. Sein fotografisches Gedächtnis erlaubte es ihm, alle potenziellen Gegenspieler zu identifizieren, ihre Handlungen zu antizipieren. Routine. Als »Feuchtling« kannte man immer seine möglichen Gegenspieler. Dann berechnete er das Risiko neu. Wirkzeit, wahrscheinliche Destination, Fahrtdauer. Er kam nur zu einem Ergebnis: Das Risiko lag nunmehr bei hundert Prozent. Sollte er seinen Auftraggeber informieren? Er entschied sich dagegen. Sein Job war erledigt.

Auffällig unauffällig verließ er die Station Richtung Rue de Maubeuge. Der Kameraüberwachung war er sich sehr wohl bewusst. Bisher konnte er davon ausgehen, dass seine Visage niemandem auffallen würde. Ein ungemeiner Vorteil in seiner Profession. Von nun an kalkulierte er die staatlich angeordnete Vorratsdatenspeicherung mit ein. Für den Fall der Fälle. Eine Art Rückversicherung. Paranoid. Paranoia gehörte zum Handwerk.

Er griff zum Mobiltelefon, einem Einweggerät mit Prepaidkarte, und gab die Nummer ein, die man ihm nur für diesen Fall gegeben hatte.

»Ja?«

»Ihr Paket wurde ausgeliefert.«

»Jetzt erst?«

»Keine andere Möglichkeit. Lieferorte erwiesen sich allesamt als zu belebt. Ich weiß, was ich tue.«

»Das will ich hoffen. Wir tolerieren keine Fehler.«

Damit war das Gespräch beendet. Er löschte den Gesprächsverlauf und entsorgte das Telefon.

Wir tolerieren keine Fehler … Wo hatte er das schon einmal gehört? Er kramte in seinem Gedächtnis und wurde fündig. Herrgott! Ein kurzes Frösteln durchfuhr ihn. Keinerlei Gefühlsregung! Er realisierte sofort, dass er diesen Auftrag niemals hätte annehmen dürfen. Anonymer Auftraggeber, Kontakt nur über Dritte … Völlig entgegen seiner Gewohnheit! Er wurde nachlässig. Jetzt musste er seine Optionen abwägen und umgehend mit der Planung beginnen. Vorbereitung, technische Hilfsmittel, Koordinierung. Es gab nur zwei Optionen. Auf der einen Seite: der General. Auf der anderen Seite: sie. Chloé Lambert, Lieutenant der Pariser Polizeidirektion und neue Ermittlerin bei Europol.

Thalys 9351 Paris Nord – Amsterdam Centraal

Zwischen Antwerpen und Rotterdam

16:50 Uhr

Mütter … Ihre Mutter brachte Chloé Lambert langsam zur Weißglut.

»Müssen wir das wieder und wieder diskutieren?«

»Schatz, es liegt mir fern, dir Vorschriften zu machen. Ich will doch nur deine Entscheidung verstehen.«

»Meine Entscheidung verstehen? Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Paris ist eine Sackgasse!«

»Dein Vater hat seine Beziehungen spielen lassen. Du bräuchtest dich nur ein wenig zu gedulden. Aber bei dir muss ja immer alles sofort passieren.«

Unwillkürlich krallte sie sich mit der freien Hand an der Armlehne ihres Sitzes fest. »Das ist überhaupt nicht wahr! Drei Jahre lang war ich in diesem beschissenen Laden. Drei Jahre keine Beförderung, keine Belobigung und immer nur die Drecksarbeit.«

»So ist das eben. Man muss sich erst einmal bewähren.«

»Ich habe mich ›bewährt‹. Keinen Schwanz hat es interessiert! Aber anscheinend gibt’s anderswo Leute, die meinen Arbeitseifer zu würdigen wissen.«

»Europol … Du schadest nur deiner Karriere! Falls du eines Tages zurückwillst, wer nimmt dich dann noch? Kannst du seine Enttäuschung nicht verstehen?«

»Seine Enttäuschung? Wie ist es mit meiner Enttäuschung? Solange diese Punzenlecker von der ESSEC oder der ENA das Sagen haben, sind die Karriereaussichten eh düster. Niemand nimmt Rücksicht auf das aquitanische Landei aus Bordeaux.«

»Kind, du wirst ordinär!«

»Maman …«

»Ja, ja, ja. Du musst es wissen.«

»Lass gut sein. Wie geht es Papa?«

»Enttäuscht ist er schon. Du fehlst ihm.«

»Ach, wirklich?«

»Wenn du nicht so starrköpfig wärst. Da kommst du ganz nach ihm.«

»Wir wollen mal eines klarstellen: Er redet nicht mit mir.«

»Gib ihm Zeit.«

»Kann er haben.«

»Mein Schmetterling, lass uns nicht streiten. Wir machen uns eben Sorgen.«

»Unnötigerweise. Ich bin erwachsen und kann auf mich selbst aufpassen. Es ist Den Haag, nicht Mali.«

»Zieh dich wenigstens warm an. Das Klima dort ist so rau, du erkältest dich leicht.«

Chloé verdrehte die Augen. Gut, dass ihre Mutter sie in diesem Moment nur hören und nicht sehen konnte. Sie würde auf ewig der kleine »Schmetterling« bleiben, wie ihre Mutter sie mit Kosenamen nannte. Sie würde dann noch der kleine »Schmetterling« sein, wenn sie alt und klapprig war. Und unverheiratet, denn das war die heimliche Sorge ihrer Mutter.

Wie zur Erlösung kündigte die Durchsage aus den Zuglautsprechern den nächsten Halt an: Rotterdam Centraal.

»Wir sind gleich da. Ich muss auflegen.«

»Melde dich bald.«

»Mache ich. Gib Papa einen Kuss von mir.«

In einer Sache hatte ihre Mutter recht. Sie kam tatsächlich nach ihrem Vater, Geduld war ihre Stärke nicht. Dennoch hatte sie die richtige Entscheidung getroffen, und ihre Eltern würden sich damit abfinden müssen.

Eine weitere Eigenschaft, die Chloé von ihrem Vater geerbt hatte, war ihre Impulsivität. Sie war schnell genervt. Im Moment nervte sie, dass eine Zugbegleiterin – kaum älter als sie – seit einer geschlagenen Viertelstunde wenige Meter hinter ihr versuchte, mit regelmäßig wiederkehrendem Hämmern gegen die Tür einen Fahrgast aus der Toilettenkabine zu bekommen. Der zog sich bestimmt in Ruhe einen durch, oder er trieb andere Sachen. Es gab schließlich alle möglichen Leute …

Jetzt rauschte der Zugchef an ihr vorbei, der das Problem hoffentlich bald lösen würde. Chloé hoffte auf ein paar ruhige Minuten, ehe sie ihren neuen Job antreten würde.

Der Zugchef klopfte, keine Reaktion. »Monsieur, ist alles in Ordnung bei Ihnen?«

»Er antwortet nicht.« Die junge Zugbegleiterin gab sich ratlos.

»Seit wann ist er da drin?«

»Seit über einer Stunde.«

Chloé stöhnte leise, drehte dennoch den Kopf und fragte den Zugchef: »Was ist hier los?«

»Madame, wir haben alles im Griff.«

»Ich kann vielleicht helfen.«

»Ich sagte doch, wir haben alles im Griff«, entfuhr es dem Bahnbeamten in schroffem Ton. Er schien ganz und gar nicht begeistert von der Einmischung.

Da half nur Autorität. Chloé zog ihren neuen Dienstausweis.

»Sieht aber nicht so aus«, sagte sie keck, um der Unfreundlichkeit des SNCF-Beamten etwas entgegenzusetzen.

Sofort änderte der Zugchef sein Auftreten.

Na also, geht doch!

»Wir sind etwas nervös. Offenbar hat sich ein Fahrgast auf der Toilette verbarrikadiert.«

»Und er reagiert nicht«, ergänzte die Zugbegleiterin.

Im Thalys auf der Toilette verbarrikadiert. Chloés Bulleninstinkt schlug Alarm.

»Wissen Sie, wie lange er ungefähr schon da drin ist?«

Die Zugbegleiterin überlegte einen Moment. »Kurz nach der Abfahrt aus Brüssel ist er aufgestanden. Der Mann sah nicht gut aus.«

»Er sah nicht gut aus?«

»Ziemlich grau, und er hat geschwitzt. Wahrscheinlich die Grippe, die gerade umgeht.«

Männliche Person, sah nicht gut aus. Im Thalys auf der Toilette verbarrikadiert.

»Wie sind die Vorschriften in so einem Fall?«

»Sollte es sich um einen Notfall handeln, müssen wir öffnen«, antwortete der Beamte.

Da gab es nichts zu überlegen. »Dann ist es ein Notfall.«

»Aber, Madame …«

»Los, öffnen!«, befahl sie.

Er fackelte nicht lange, zog den Generalschlüssel und öffnete die Zugtoilette.

»O Gott!« Die junge Zugbegleiterin hielt sich die Hand vor den Mund und drehte sich weg.

Wohnung Tinus Geving

Oranjebuitensingel 10

Den Haag

17:42 Uhr

»Um Himmels willen, wie lange wohnst du hier jetzt schon? Mal an Inneneinrichtung gedacht? Dir fehlt die Frau im Haushalt, ganz eindeutig«, stellte Piet Veenstra völlig entgeistert fest.

Tinus Geving, seines Zeichens deutscher Kriminalhauptkommissar, mochte seinen niederländischen Kollegen. Beide waren vor etwa zwei Jahren zu Europol gestoßen und bildeten seitdem ein Dream-Team. Besonders schätzte Geving an seinem Kollegen dessen unendliche Gelassenheit sowie seinen Humor. In einem Punkt jedoch verstand Piet keinen Spaß. Niederländer bevorzugten eine moderne, geschmackvolle Inneneinrichtung.

Geving bewohnte eine Dreizimmerwohnung in Voorhout, einem Viertel, gelegen im traditionellen, äußerst angesagten Haager Stadtzentrum. Es war nur einen kurzen Fußmarsch vom Bahnhof, dafür fünf Kilometer vom neuen Hauptquartier entfernt.

Noch etwas störte Piet scheinbar. Er betrachtete es mit einem Anflug von Abscheu. »Trotzdem hast du es geschafft, diese scheußlichen Staubfänger aufzuhängen.«

»›Gardinen‹ nennt man das«, konterte Geving.

»Gardinen.« Piet schüttelte verständnislos den Kopf. »Was habt ihr Deutschen nur mit euren … Gardinen?«

»Ohne fühle ich mich beobachtet, irgendwie nackt.«

»Möchtest du wissen, warum wir so etwas nicht haben?«

»Eigentlich nicht, aber das hat dich noch nie davon abgehalten.«

»Ein guter Calvinist hat nichts zu verbergen.«

»Ich bin Deutscher, kein guter Calvinist.«

Geving schaute sich in seiner Wohnung um und seufzte. Er lebte aus Umzugskartons. Für mehr als ein Bett, einen Schreibtisch und eine Couch hatte es bisher nicht gereicht. Nicht mal eine Kaffeemaschine besaß er. Wozu auch? Geving hasste Kaffee, davon bekam er Magenbeschwerden und schlechte Laune. Er trank lieber Tee.

Geving würde über die Einrichtung nachdenken. Eines Tages. Aber sicher nicht heute. Und ganz bestimmt brauchte er keine Frau, dafür nahm ihn seine Arbeit zu sehr ein. Wobei es in letzter Zeit für die Abteilung O4: Counter Terrorism – Terrorismusabwehr und Finanzermittlungen nicht sonderlich viel zu tun gab. Es war ruhig. Zu ruhig für Gevings Geschmack. Allerdings rechtfertigte die Ruhe einen Tag fernab des Büros. So erledigten sie den spärlichen Papierkram in lockerer Atmosphäre.

»Apropos Frauen«, nahm Piet den Faden wieder auf. »Sollte unsere neue Kollegin nicht bald eintreffen?«

Die Abteilung bekam Nachwuchs. Chloé Lambert wechselte von der Pariser Kriminalpolizei zu Europol. Laurits Pedersen, Deputy Director des Operation Department, hatte Geving und Piet dazu verdonnert, das Empfangskomitee zu spielen.

»Ja, so langsam sollte sie sich melden.«

Wie aufs Stichwort läutete sein Telefon. Es war tatsächlich Chloé Lambert. Er hörte eine ganze Weile lang zu, ohne zu unterbrechen. Piet runzelte schon die Stirn.

Schließlich bestätigte Geving: »Gut, wir kommen. Bleiben Sie, wo Sie sind.«

»Franzosen und Pünktlichkeit«, lästerte Piet.

Geving holte seinen Wagenschlüssel. »Wir fahren.«

»Tinus, bis zum Bahnhof sind es nur ein paar Minuten Fußweg.«

»Wir fahren nach Rotterdam.«

»Rotterdam?«

»Eine Leiche im Zug, Großalarm. Unsere neue Kollegin ist mittendrin statt nur dabei.«

Rotterdam Centraal Station

18:37 Uhr

Die Fahrt von Den Haag nach Rotterdam dauerte trotz gebotener Eile etwa vierzig Minuten. Tinus Geving und Piet Veenstra erreichten den Bahnhof bei Anbruch der Dunkelheit. In Anbetracht des sich ihnen darbietenden Bildes spiegelte Piets Miene eine Mischung aus Faszination und Fassungslosigkeit wider. Das gesamte Gelände war weiträumig abgesperrt.

Sie parkten den Wagen direkt auf dem Stationsplein – im absoluten Halteverbot. Wen sollte es stören? Schließlich war Großeinsatz.

Sie wollten sich dem Haupteingang nähern, als sie von einem streng dreinblickenden Polizisten mit abweisender Geste am Weitergehen gehindert wurden. Geving und Piet zeigten ihre Europol-Dienstausweise vor, was den uniformierten Beamten nicht sonderlich zu beeindrucken schien. Erst sah er kritisch auf die Ausweise, danach noch kritischer in die Gesichter der Ausweisträger. Sie wurden von ihm in das neue Stationsgebäude eskortiert. Draußen sperrten Polizeikräfte ab, hier drinnen hatte die Armee das Sagen. Sanitäter in Schutzanzügen kümmerten sich um die unfreiwillig gestrandeten Passagiere des evakuierten Zugs in einer provisorischen Quarantänestation.

Der Polizist brachte sie direkt zu Gleis 1, an dem der Thalys in seinem eleganten bordeauxrot-grauen Farbkleid stand.

Sie wurden von einem jungen Inspektor der niederländischen Polizei in gelber Schutzbekleidung in Empfang genommen. Überhaupt konnte man die Zugehörigkeit aller Beteiligten an der Farbe ihrer Schutzausrüstung ausmachen: olivgrün für das Militär, gelb für Polizisten und Zivilbeamte.

»Sie sind die Herren von Europol, nehme ich an.«

»Sie nehmen richtig an«, bestätigte Geving.

»Ich bringe Sie zu Agent de Groot und Ihrer Kollegin.«

Tinus Geving benötigte nur einen kurzen Moment, um die Neue zu erkennen. Es gab Menschen, die ihre Umgebung durch schiere Präsenz in den Bann zogen. Zu ihnen gehörte Chloé Lambert, die angespannt neben dem Zug wartete. Die schulterlange Mähne war streng zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Haare schwarz wie Ebenholz, Haut weiß wie Schnee, Lippen rot wie Blut. Stupsnase, elegant und natürlich geschwungene Brauen, noch eleganter geschwungene Wimpern. Schlank von Gestalt, nicht klein. La blanche neige – Schneewittchen, dachte Geving. Ein Blick in ihre mandelfarbenen Augen verriet, dass in dieser jungen Frau eine Menge ungebändigter Energie steckte. Ein durch und durch bemerkenswerter Auftritt, dabei hatte sie noch keinen Ton gesagt.

Sie kam ihm entgegen, reichte ihm die Rechte zur Begrüßung. Ihr Händedruck zeugte von Charakter.

»Lieutenant Chloé Lambert«, stellte sie sich in einer tiefen und tragenden Stimmlage vor, die Geving sofort aufhorchen ließ.

Rang und Name, mehr war nicht nötig gewesen. Geving besaß durchaus feine Antennen für Klang und Charakteristik der menschlichen Stimme. Lieutenant Lambert legte sehr viel Wert auf Betonung, was von Selbstbewusstsein zeugte. Und dennoch … Ein leichtes Zittern bei der Erwähnung ihres Vornamens. Unsicherheit. Woher die wohl rühren mochte? Wie passte Unsicherheit zu ihrem ansonsten umwerfenden Erscheinungsbild? Nicht nur eine hübsche Französin, ein Mysterium noch dazu.

Er brauchte drei Sekunden, um sich wieder zu fangen.

»Kriminalhauptkommissar Tinus Geving und mein Kollege Agent Piet Veenstra.«

Piet reichte ihr die Hand und sagte anerkennend: »Mann, Mann, Mann! Sie legen ja einen ganz schönen Start hin.«

Zu dritt betraten sie den Waggon Nummer 27. Geving kannte das rote Interieur der Züge von einigen Dienstreisen.

»Was haben wir?«, fragte er an Chloé Lambert gewandt.

Sie hob zu einer Antwort an, wurde jedoch jäh unterbrochen. »Sieh einer an, die Kollegen von Europol! Sehr schön. Sammeln Sie Ihre hyperaktive Kollegin ein und schönen Abend noch.«

Neben Chloé Lambert war ein in die Jahre gekommener, etwas verwahrloster feister Kerl aufgetaucht. Er hatte eine deutlich angegraute ungeschnittene Lockenfrisur, fettiges Haar. Wie er da so neben der neuen Kollegin stand, wurde er in jeder Hinsicht von ihr deklassiert, fand Geving.

»Ich bin nicht hyperaktiv!«, verteidigte sich die Neue.

Geving blieb gelassen, reichte dem Mann die Hand. »Und Sie sind?«

Schlaffer Händedruck. »Nicht begeistert jedenfalls. Das ist unser Fall!«

»Demnach sind Sie Agent de Groot.«

»Sehr richtig«, blaffte er. »Thijs de Groot, Polizeibezirk Rotterdam.«

Geving setzte sein unterkühltes Lächeln auf – wie immer wenn ihm daran gelegen war, eine Situation nicht unnötig eskalieren zu lassen.

»Vielleicht hätten Sie trotzdem die Güte, uns ins Bild zu setzen.« Er wies auf die neue Kollegin. »Immerhin war Lieutenant Lambert unfreiwillig als Erste vor Ort.«

Sie grinste den unliebsamen Kollegen der Rotterdamer Polizei frech an. Er gab nach.

»Mitkommen«, grummelte er.

Sie folgten de Groot ans andere Ende des Waggons. Die Spurensicherung packte bereits zusammen. Vor einer Zugtoilette blieben sie stehen. Geving und Piet warfen einen Blick hinein: Mann mit sportlicher Statur, der Kopf war nach hinten gekippt, die Augen standen offen. Er hatte sich von oben bis unten vollgekotzt, Erbrochenes hing noch in den Mundwinkeln. Säuerlicher Gestank, der einem den Atem verschlug, erfüllte die enge Zugtoilette.

»Der hat es hinter sich«, stellte Piet in seiner üblichen sarkastischen Manier fest. Anderen mochte das unpassend erscheinen, aber Geving verstand, dass sein Kollege nur so mit dem Anblick von Leichen fertigwurde. »Was weiß man schon?«

Chloé Lambert wollte erneut antworten. Wieder kam ihr Agent de Groot zuvor. Sie schüttelte amüsiert den Kopf, er beachtete sie gar nicht.

»Männlich, dreiundvierzig Jahre alt, offensichtlich tot.«

»Wirklich?«, entfuhr es Geving zynisch.

Die Gerichtsmedizinerin – eine etwa fünfzig Jahre alte Frau – rettete die Situation.

»Lieke Brouwer«, stellte sie sich vor. »Der Mann ist an einem Herzinfarkt gestorben.«

»Wozu dann der Aufriss?«, fragte Piet, wobei er auf die Umstehenden in Schutzkleidung verwies.

»Wir konnten eine ernsthafte pandemische Erkrankung des Toten nicht von vornherein ausschließen …«