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Sich in der Spiegelung von Gewässern betrachtend und Halt suchend, durchbricht das erzählende Ich in Bodies of Water identifikatorische Oberflächen, lässt sich vom Strom der Zeit in ein tieferes Verständnis des Eigenen mitreißen. Mehrere Ebenen der Vergangenheit vermischen sich im stakkatoartigen Stream of Consciousness aus Erinnerungen, Vorahnungen und der Vergegenwärtigung der eigenen wie fremdbestimmten Durchlässigkeit. Im Mittelpunkt steht die Fluidität von Körpern, Beziehungen, der Umwelt, die Fluidität all dessen, was Identität stiftet.
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Seitenzahl: 27
Veröffentlichungsjahr: 2022
Anri Hennies schreibt Geschichten, zeichnet Comics, designt Interfaces und Poster und kreiert haunting Melodien mit analogen Keyboards. Anri Hennies ist transmaskulin und lebt seit 2008 in Berlin.
They took me to a canal in their neighborhood and they didn‘t know the name of that canal and I kind of liked that we sat there, not knowing.
Darf ich unsere Begegnung einfach komplett ausschlachten?
Das Brackwasser war flach, undurchsichtig, ab und zu schimmerte ein Fisch hindurch. Es war immer ein anderer, du hast sie alle aufgelistet: Kugelfisch, Dorsch, Maräne, Hecht, Meerforelle, Zander, Flunder, Plattfisch, Schützenfisch, Stichling. Du sagtest, du hättest sie alle schon mal gefangen, zusammen mit deinen Großeltern, als du noch ein Kind warst. Ihr hättet an ebendiesem Gewässer gesessen und gewartet und gewartet, auf den ultimativen Fang, der euch mit Sicherheit einen großen Artikel in der lokalen Wochenzeitung eingebracht hätte, der nur leider ausgeblieben sei. Trotz übermäßiger Geduld, sophisticateten Ködern, einer hohen Variation hinsichtlich Tages- und Nachtzeit, zum Teil ohrenbetäubender Stille. Kein Wort hättest du äußern dürfen, denn das hätte die Fische für immer verscheucht, das sei dir wieder und wieder klargemacht worden; du sagtest das mit gesenktem Blick, waren deine Augen feucht, hatte sich eine Träne in deinem Augenwinkel verfangen, war deine Stimme kurz weggerutscht. Du grubst die Hand in den Sand, hast dann die feinen Körner durch deine Finger rieseln lassen, manche von ihnen blieben haften. Du hast die Hand darauf an deinem Hosenbein abgewischt. Auch dort blieben Sandkörner kleben, denn die Oberfläche dieser Plastikhose, die du trugst, war sticky, Wet-Look, ironischerweise wasserabweisend, shiny, reflektierend. Sandpartikel gaben dem Ganzen eine einzigartige Textur.
Du hast dann deine Hand auf meine Hand gelegt. Es knirschte. Ich sagte: au ey, hallo? Du sahst zerknirscht aus, die Träne hatte sich von deinem Augenwinkel gelöst und fiel mir auf den Handrücken. Ich wollte das Brackwasser trinken, augenblicklich; das sei keine gute Idee, sagtest du, ganz im Gegenteil sei das eine schlechte Idee, eine sehr schlechte Idee sogar, eins würde doch die ganzen giftigen Metalle mittrinken, Quecksilber, kennt eins das überhaupt noch, ein aussterbendes Metall, oder Blei, hast du damit auch an Silvester-, ebenfalls ein aussterbendes Metall. Ich hab Durst, jammerte ich, hast du kein Wasser dabei, Mineralwasser, Leitungswasser, ich nehme alles, Hauptsache flüssig, aber du hast nur den Kopf geschüttelt. Hast du wirklich all diese Fische gefangen, fragte ich, und du so zögerlich, yes of course habe ich die gefangen, habe ich dir doch gerade gesagt.
Aus einem plötzlichen Impuls heraus tippte ich das Wort Darkroom ins Chat-Suchfeld ein, es tauchte sechsunddreißig Mal auf, innerhalb einer Zeitspanne von zweieinhalb Wochen. Eins könnte meinen, wir hätten einen Darkroom-Besuch geplant, was wir aber nicht taten. Es war nur eine Fantasie, die umzusetzen wahrscheinlich einfach nur enttäuschend gewesen wäre, weshalb wir ganz viele unserer Vorhaben einfach gar nicht erst realisierten. Wir gestalteten sie aus, bis sie uninteressant wurden, es gab immer eine neue Idee, die wir nicht umsetzten, das war ja das Spannende: den Awesomenessgrad unserer Szenarien einfach gar nicht überprüfen zu können, keinen blauen Haken dran pinnen zu können, für immer unverified, der Darkroom: ein Running Gag.