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Jahrelang haben sich Valmira aus Tübingen und die Südfranzösin Claire unwissentlich den Mann geteilt. Als sie erfahren, dass sie beide betrogen werden, verbünden die Frauen sich gegen den Fremdgänger. Zu Rachegöttinnen mutiert, teilen sie. den Triumph der gemeinsamen Vergeltung und schöpfen viel Kraft aus der ungewöhnlichen Frauenfreundschaft. Doch wie agiert ein Mann, der wie die Spinne im Netz in einem solchen Lügengeflecht lebt?
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Seitenzahl: 291
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Elli Sand
Bolero Mortale mit Pastis
Ausgewählt von Claudia Senghaas
Handlung und Figuren dieses Romans sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind Zufall.
Die Orte, an denen der Roman spielt, existieren jedoch real und lohnen einen Besuch. Der Marktplatz von Tübingen und die Stiftskirche sind sehenswert, das Restaurant am Canal du Midi gibt es tatsächlich, auch wenn Valmira dort nie prallen Männerbäuchen zugewinkt hat und Claire nie mit Marybelle zum Bahnhof nach Narbonne gefahren ist.
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Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung: Julia Franze
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
Eine Geschichte, inspiriert von schwäbischer Tüchtigkeit und der Heiterkeit südfranzösischer Lebenslust, voller Spannung, mit vielen überraschenden Wendungen, (fast) wie sie im richtigen Leben passieren könnten.
Wenn die Wahrheit
die Freundschaft zerstört,
war die Wahrheit keine Wahrheit
oder die Freundschaft keine Freundschaft
Ein dumpfer Knall, die Gläser in der Vitrine vibrierten.
Dann war es stockfinster.
Claire saß erschrocken am Küchentisch.
Das unheimliche Rauschen der Platanen hatte aufgehört.
In der Ferne zuckten noch ein paar einzelne Blitze.
Irgendwo auf der Anrichte stand der kleine Kerzenständer, irgendwo hatte sie Streichhölzer liegen.
Sie tastete danach.
Etwas schlug klirrend auf den Fliesen auf.
Jetzt bloß nicht in die Scherben treten.
Draußen setzte heftiger Regen ein.
Er würde den Weinbergen guttun.
Seit Monaten hatte es im Languedoc nicht mehr geregnet.
Und dann war der Strom wieder da.
KAPITEL 1
Claire
»Voilà.« Mit der Andeutung eines Lächelns stellte Bruno, der Wirt, den perlenden Crémant de Limoux vor Claire auf den wackeligen runden Marmortisch. Dann klemmte er ein Stückchen Karton unter den schweren schwarzen Eisenfuß und zog sich diskret hinter seinen Tresen zurück. Um diese Uhrzeit war es ruhig in seinem Bistro.
»Prost, chéri!«, flüsterte Claire. »Auf unsere 13 Jahre Glück und auf unsere erfolgreiche Zusammenarbeit!« Sie hob ihr Glas und nippte daran. »Nächstes Jahr feiern wir gemeinsam.«
13 Jahre! Ihre Gedanken schweiften zu jener ersten Begegnung zurück.
Auch damals hatte sie gut gelaunt an genau diesem Tisch am Fenster gesessen, wie meistens, wenn sie sonntagmorgens zum Frühstücken kam. Bruno hatte ihr ein duftendes Croissant und einen Grand café au lait hingestellt. Sie schlug den Midi Libre auf und vertiefte sich in den Lokalteil. Bruno ging zum Tresen zurück, wo ein neuer Gast stand.
»Une croissant et un café avec de la lait, s’il vous plaît, Monsieur.«
Sie hielt beim Lesen inne.
Welch wohlklingende männliche Stimme, trotz der Fehler und des starken deutschen Akzents!
Diese Stimme war außergewöhnlich, hatte genau das, was ihr unter die Haut ging.
Sie blickte von ihrer Zeitung auf. Verdammter Mist! Halt die Zeitung hoch! Schau weg!
Da stand er. Rührte in seinem Kaffee. Gut gekleidet, groß gewachsen, mit dichtem, lockigem Haar.
Bilderbuchtyp, dachte sie, wieder so ein Bilderbuchtyp. Schau nicht hin, blöde Gans! Schau nicht hin, so was hattest du schon mal! Er ist tot. Sie auch. Schau nicht hin. Es gibt ihn nicht ein zweites Mal.
»Mein Tank ist fast leer. Wo ist denn die nächste Tankstelle?«
Bruno legte seinen wuchtigen Kopf schief und zuckte die Schultern. »Narbonne.«
Sie legte die Zeitung zur Seite und stöckelte zur Theke.
»Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen, Monsieur, wenn Ihnen mit etwas Sprit aus dem Reservekanister gedient ist, schaffen Sie es bis Narbonne.«
Er lächelte sie an.
Ein unvergleichliches Lächeln, das ihr bis unter den Bauchnabel drang. Was machst du gerade, blöde Gans? Hast du damals deine Lektion nicht gelernt?, schoss es ihr durch den Kopf.
»Kommen Sie, mein Wagen steht um die Ecke.«
Er hatte erfreut ihren Reservekanister angenommen und sie zum Dank zum Abendessen ins Restaurant eingeladen. Nach dem ersten Glas gestand er ihr, dass er noch genug Sprit im Tank gehabt und nur einen Vorwand gesucht hatte, um sie kennenzulernen. Sie war überrascht und geschmeichelt zugleich gewesen.
Seine strahlend blauen Augen hatten sie vom ersten Moment an fasziniert. Und dann sein Duft! Ledrig-herb und ungemein männlich.
Es sind die Augen von Steve McQueen, hatte sie gedacht– wie kitschig–, und in der Tat hatte er etwas von diesem jungenhaften Charme des berühmten Schauspielers, der in seinen frühen Jahren ihr Idol gewesen war.
Und heute war also wieder ein Jahrestag, den sie hier– wie jedes Jahr– allein beging. Es hatte sich fast nichts verändert. Noch immer dieselben dunklen Holzstühle mit den speckigen runden Rückenlehnen, die von Jahr zu Jahr an den Kanten heller wurden. Noch immer derselbe mosaikähnliche Fliesenboden mit dem für die Gegend typischen braun-bunten Muster, aus dem im Laufe der Zeit ein paar Ecken herausgebrochen waren, der alte Spielautomat neben der Tür, den kaum noch jemand benutzte, die kleinen Marmortische, von denen die meisten einen Sprung hatten. Nur das Poster der Rugbymannschaft war neu und auch der Kalender der örtlichen Feuerwehr, der an der Wand neben dem Tresen hing, war ausgetauscht worden.
Claire winkte Bruno an ihren Tisch. »Ich hätte gern noch ein Croissant.«
Sie zückte ihr Notizbuch und fing an, ein Gedicht zu schreiben. Eins von den vielen, die er nicht erhalten würde.
Die Dreizehn– eine magische Zahl.
Bringt sie Glück, bringt sie Pech?
Claire hielt inne. Nachdenklich kaute sie auf dem Ende ihres Stiftes herum. Pech… Pech… Pech… Was reimte sich darauf?
Einen Schuhkarton voller Gedichte hatte sie zu Hause liegen. Lustige, nachdenkliche und romantisch-kitschige Zeilen hatte sie für ihn geschrieben. Dinge, die sie notiert hatte, wenn sie allein war, und die sie ihm gern gesagt hätte.
Bruno brachte das warme, duftende Croissant.
»Sie sehen heute wieder mal sehr zufrieden aus, Mademoiselle«, sagte er in scherzhaftem Ton.
»Ich habe auch allen Grund dazu«, gab sie augenzwinkernd zurück, »ich habe nämlich gestern einen neuen Übersetzungsauftrag aus Deutschland bekommen, da freut sich mein Konto.«
»Ja, es ist wirklich schön, wenn man einen gut bezahlten Job hat«, bemerkte Bruno, »leider haben hier nicht viele so ein Glück.«
»Eh oui, mein Glück war halt, dass Tante Joëlle uns finanziell unter die Arme gegriffen hat, als mein Vater so früh gestorben ist. Sonst hätte ich damals mein Studium in Tübingen nicht durchziehen können.«
»Ich habe Joëlle neulich in der Markthalle in Narbonne gesehen, ich wusste gar nicht, dass sie nicht mehr in England wohnt. Haben Sie denn immer noch Ihre kleine Wohnung aus Ihrer Studentenzeit in Deutschland?«, wollte Bruno wissen.
»Ja, natürlich, die Miete ist nach wie vor minimal, und solange ich es mir leisten kann, behalte ich mein kleines Nest.« Claire griff zur Kaffeetasse.
»Hoppla!«
»Pardon, Madame.« Ein kleiner Junge strahlte sie mit seinen großen blauen Augen an, bückte sich unter ihren Tisch und fischte nach seinem Ball, der ihm davongerollt war.
Diese großen blauen Kinderaugen. Claire sah schnell weg. Doch es nützte nichts. Sie spürte wieder den stechenden Schmerz in der Bauchgegend, der in ihr aufstieg. Ich muss hier weg, dachte sie und stand so hastig auf, dass ihr Stuhl beinahe hinten überkippte.
Sie eilte überstürzt zum Tresen. »Bruno, ich möchte zahlen.«
»Aber Sie haben ja Ihr Croissant noch gar nicht gegessen!«
»Es ist noch zu warm und ich muss weg.«
Sie zahlte rasch und verließ fast fluchtartig das Bistro.
Auf der kurzen, kurvenreichen Straße nach Hause gab sie so sehr Gas, dass es sie fast aus einer Kurve getragen hätte.
Erst als sie die schwere Haustür aufschloss, fühlte sie so etwas wie Erleichterung.
Sie betrat die Küche.
Ihr erster Blick fiel auf den üppigen Wildrosenstrauß auf dem Küchentisch.
Dieser alte, stabile Tisch.
Darauf war es zum ersten Mal geschehen.
Sie erinnerte sich noch an jedes Detail an jenem ersten Abend, als er pünktlich um 20 Uhr anihrer Tür läutete.
Es war sein Duft, der sie so erotisierte. Sie atmete ihn tief ein, während ihr ein Zitat des Philosophen Pierre Stutz durch den Kopf ging: Berührt sein von deinem Lebensatem. Die Rose erzählt von deinem Duft. Rose sein.
Sie setzten sich, sie schenkte zwei Gläser Pastis ein, stand wieder auf und legte eine Platte auf. Bolero von Maurice Ravel, ihre Lieblingsmelodie.Leise setzten die Trommeln ein, pampappapam.
Sie kicherte genüsslich, als er sich mit den kunstvollen Verschnürungen ihrer Bluse abmühte und die komplizierten Häkchen ihrer Corsage sich seinen Fingern standhaft widersetzten. »In Deutschland geht das mit einer Hand«, flüsterte er. »Komm! Komm!«
Er zog sie sanft vom Stuhl hoch und liebte sie auf jenem alten, stabilen Küchentisch.
Bolero.
13 Minuten lang Bolero.
13 Minuten dieser Mann, der ihre seit Jahren gehegte Sehnsucht nach Nähe so gut zu kennen schien.
13 Minuten lang millimeternahes Geborgensein.
13 Minuten lang wilde Zärtlichkeit.
13 Minuten lang Eintauchen in einen unbändigen Rausch.
Sein erlöster Schrei vermischte sich mit den sich steigernden Klängen des nahenden Schlussakkords.
»Jetzt bin ich beinahe gestorben«, hauchte er in ihr Gesicht. »Das wäre fast ein Bolero mortale geworden.« Er strich ihr die schweißnassen Haarsträhnchen aus der Stirn. »So schön habe ich den Bolero noch nie gehört.«
»Ich habe gar nichts mehr gehört«, flüsterte sie.
»Willst du mit mir duschen?«
»Ja.«
»Verzeih mir«, sagte er danach, »ich hätte das nicht tun dürfen.«
Sie war verwirrt. Noch nie hatte sich ein Mann hinterher bei ihr zerknirscht gezeigt.
»Was war falsch?«, fragte sie.
»Ich muss dir etwas gestehen.«
»Du bist verheiratet.«
»Ja.« Er sah sie hilflos an. »Leider.«
»Ich habe es vermutet. Du wirst wieder abreisen und die Sache wird vergessen sein.«
Pampappapam.
Sie drehte sich um und nahm sich eine Aprikose aus der Obstschale auf der Anrichte.
»Nein.«
»Nein?«
»Es ist komplizierter, als du denkst. Meine Ehe besteht nur noch auf dem Papier.«
»Viele Ehen tun das.«
Er nahm ihr sanft die Aprikose aus der Hand.
»Meine Frau, sie– ähm– sie ist psychisch– sagen wir mal– sehr gefährdet. Suizidgefährdet, um es klar zu sagen. In der Psychiatrie hat sie mehrmals mit Selbstmord gedroht. Sie ist so völlig hilflos ohne mich, wie ein kleines Kind. Erst als ich ihr geschworen habe, vor Zeugen, dass ich sie niemals verlassen würde, hat sie sich wieder stabilisiert.«
»Dann wirst du mich ganz schnell vergessen und dich um sie kümmern.«
»Sie war noch sehr jung, als ich sie geschwängert habe. Ich habe ihr ihre Jugend gestohlen.«
»Ich kann es nachvollziehen.«
Er legte die Aprikose zwischen sie auf den Tisch.
»Es ist mein schlechtes Gewissen, verstehst du, ich muss ab und zu mit ihr schlafen, damit sie nicht wieder austickt, aber gern mache ich es nicht. Das vorhin mit dir, ich kann dir gar nicht beschreiben, wie schön das war.« Er strich sanft über ihre Wange.
Sie zuckte zurück. »Ja, das war es, aber ich bin dir nicht böse, wenn du nun gehen möchtest.« Sie schluckte einen zittrigen Atemzug hinunter.
»Bist du mir böse, wenn ich dir jetzt sage, ich möchte bleiben?«
Heute war sie allein, aber in ein paar Tagen würde er wieder bei ihr sein.
Sie würden wieder zusammen lachen, bis ihnen die Augen tränten und die Bauchmuskeln wehtaten, lange Spaziergänge Hand in Hand am Lac du Salagou und in den Gorges machen, in den Tälern der Pyrenäen wandern und immer wieder eng umschlungen stehen bleiben, um den sich ständig verändernden Anblick der Gipfel zu bestaunen, all diese verrückten Dinge machen, die nur Verliebten in den Sinn kamen.
Manchmal neckte er sie, dass ab 40 solche Albernheiten wohl unangemessen seien.
Kochen würde sie für ihn, das Cassoulet, das er so mochte, und sie würden sich abends bei Kerzenlicht in ihr romantisches Baldachinbett kuscheln und den herrlichen Pol-Y-Fenoll der Domaine Saint-Eugène süffeln, der zu ihrer beider Lieblingswein geworden war.
Auf Saint-Eugène war ihr Pascha Mascha zugelaufen. Sie hatte auf der Domaine eine Kiste Classic und eine Kiste Opppidom in den Kofferraum geladen und war nach Hause zurückgefahren. Als sie vor ihrem Haus hielt, entdeckte sie im Eimer im Kofferraum ein zusammengerolltes Etwas, das sie aus ihrer Strickjacke ängstlich miauend anschaute: ein rot-weiß geflecktes Kätzchen mit einem schwarzen Klecks um das linke Auge. Es hatte sich offenbar über den offen stehenden Kofferraumdeckel ihres Mini Coopers hineingeschlichen und war nicht mehr herausgekommen. Claire nahm vorsichtig die kleine Katze und legte sie sanft in ihren Schoß. »Du bist ja ein Katerchen«, stellte sie fest, als das Tierchen gähnte und sich ausgiebig räkelte.
Als sie die Flaschen in das Weinregal in ihrer Küche räumte, strich der kleine Kater schnurrend um ihre Beine. Sie rief auf Saint-Eugène an und fragte, ob man dort einen jungen Kater vermisse: Nein.
Sein klagendes Miauen bedeutete Hunger.
»Wenn ich dich jetzt anfüttere, dann hast du dein neues Zuhause gefunden, stimmt’s?«, sagte sie lächelnd zu dem bettelnden Tierchen. Es maunzte sie an, als habe es die Frage verstanden.
»Na, dann wollen wir mal das Abendessen miteinander teilen.« Sie strich ihm mit den Fingerspitzen behutsam über den struppigen Rücken. »Morgen machen wir eine Wurmkur und dann kümmern wir uns um dein Fell.«
Der Kater blieb, suchte und fand seinen Stammplatz im Haus und benahm sich von der ersten Stunde an wie ein kleiner, liebenswerter Hausgenosse, eigensinnig, unberechenbar und verschmust. Pascha Mascha nannte sie ihn. So hatte der Tiger in ihrem Kinderbuch geheißen, dem einzigen, das sie damals besaß.
Sein Lieblingsplatz war am Fußende ihres Bettes. Zwar kam er nicht abends, wenn sie schlafen ging, doch wenn sie morgens aufwachte, hatte er meist durch das offene Fenster seinen Weg in ihr Schlafzimmer gefunden und sich zu ihren Füßen eingerollt. Allerdings nur, wenn Markus nicht bei ihr übernachtete, denn die beiden mochten sich nicht. Schmarotzer nannte er ihn. Pascha Mascha ließ sich nicht blicken, wenn Markus da war, kam nur kurz zum Fressen und verschwand sofort wieder.
»Tja, nächste Woche wirst du dir wohl wieder ein anderes Plätzchen suchen müssen«, sagte sie liebevoll zu Pascha Mascha, der schnurrend auf ihrem Stuhl lag. »Dann ist mein anderer Liebling wieder da.«
Claire nahm ihr Tagebuch und fing an zu schreiben. Es war ihre Art, mit ihm während der langen Wochen, in denen sie ihn nicht sehen konnte, auf diese Weise zu kommunizieren.
Ich habe dir heute Cuir de Russie gekauft, deinen Lieblingsduft, zu unserem Jahrestag, wenn du nächste Woche kommst. Und, chéri, ich habe eine Überraschung. Wir werden das Wochenende auf Maries Hütte in den Pyrenäen verbringen. Sie hat mir den Schlüssel überlassen. Ich freue mich so auf dich und die Hütte. Ich liebe dich unendlich.
Sie legte das Tagebuch zur Seite und ging in ihr Schlafzimmer, um nach Geschenkband zu suchen. Während sie in ihrer Nachttischschublade kramte, fielen ihr ein vertrocknetes Rosensträußchen und ein vergilbtes Ultraschallbild, das ihr alter Frauenarzt gemacht hatte, in die Hände. Sie las noch einmal ihren Namen und das Datum und legte es schnell wieder zurück.
KAPITEL 2
Valmira
»Jetzt hörren Sie mir mal guttt zu, ich habe hier eine halbe Million liegen, und Sie wagen es, mir dieses lächerrrrliche Angebott zu machen?« Der Herr im feinen Zwirn zuckte sichtlich unter Valmiras lauten Worten zusammen.
»Also, entweder Sie haben bis morrgen eine Anlagge gefunden, die eine orrdentliche Renditte brringt, oder Sie sind mich als Kundin los, habe ich mich klarr ausgedrriggt? Ihre Sparkasse ist zum Gligg nicht die einzige Bank in Tübingen, ich habe heute Nachmittag noch einen Termin bei Ihrem Kolleggen bei der Volksbank und werde mich morrgen entscheiden.«
Der Sparkassendirektor zog eine Augenbraue hoch. Valmira glaubte, Spott in seinen Augen zu erkennen.
»Ich hoffe, Madame, es sind keine kognitiven Dissonanzen entstanden. Dass die Wirtschaftskrise keine exorbitanten Margen für die Banken ermöglicht, brauche ich einer versierten Dame wie Ihnen nicht zu erläutern. Wir würden es außerordentlich zu schätzen wissen, wenn Sie uns morgen wieder mit Ihrem Besuch zu beehren geruhten, gnädige Frau«, lächelte er und streckte ihr die Hand hin.
Valmira packte ihre überdimensionierte Gucci-Tasche und rauschte aus dem Büro des Direktors.
Hastigen Schrittes eilte sie die Straße am Stadtgraben entlang zum Nonnentor-Parkhaus, wo sie den Mercedes geparkt hatte.
Voller Frust trommelte sie mit den Fäusten auf das Lenkrad, als sie im Auto saß. »Scheiße, Scheiße, Scheeeiiiiiße!!« Wieder hatte ihr Akzent ihre Herkunft verraten, wegen der sie sich so schämte. Schon einmal hatte ein Bankfuzzi sich darüber lustig gemacht. Damals in Freiburg, ihrer ersten Anlaufstation nach dem Auffanglager. Einen Hundertmarkschein hatte sie am Bankschalter hingelegt und ein Girokonto eröffnen wollen. Von ihrem ersten Geld, das sie in dem renommierten Traditionshotel in der Hildastraße als Zimmermädchen bekommen hatte. Der Chef hatte sie großzügig an der wöchentlichen Trinkgeldzuteilung teilhaben lassen. Wo sie denn arbeiten würde, fragte der Bankangestellte. »Im Schielhärr-Hotel«, hatte sie stolz geantwortet. »Bitte wo?« »Im Schielhärr!« »Entschuldigung, könnten Sie mir das bitte buchstabieren?« »Schielhärr! Hörren Sie schlächt? Schielhärr! Wie Gäthe!« Der Mann am Schalter neben ihr war in schallendes Lachen ausgebrochen, und auch der Bankfuzzi hatte mitgelacht und ihr das Formular hingeschoben. »Bitte füllen Sie es doch am besten selbst aus«, hatte er grinsend gesagt. Mit hochrotem Kopf und geballten Fäusten hatte sie die Bank verlassen und war im Stechschritt nach Günterstal gestapft, wo sie mit ihren Eltern in einer heruntergekommenen Mietwohnung eine billige Unterkunft gefunden hatte. Sie würde in dieser Stadt nicht bleiben, beschloss sie.
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