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Von schrägen Vögeln und einer ziemlich toten Leiche ...
Eigentlich will Meg ihrem Bruder nur einen kleinen Gefallen tun, als sie einwilligt, in seiner Firma auszuhelfen. Sie soll herausfinden, was es mit den seltsamen Ereignissen dort auf sich hat, denn jemand scheint sich in das Netzwerk eingeloggt und Firmendaten manipuliert zu haben. Inmitten der Computernerds taucht dann aber plötzlich eine Leiche auf: Der nervige Büroclown hat sich diesmal keinen makabren Scherz erlaubt, sondern liegt tatsächlich tot auf dem elektrischen Postwagen, der an den Schreibtischen vorbeifährt. Und ausgerechnet Megs Bruder ist der Hauptverdächtige ...
Band 4 der Cosy-Crime-Reihe um Meg Langslow.
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 449
Die humorvolle Meg-Langslow-Krimireihe:
Komische Vögel sterben tragisch
Alle Vögel sind schon tot
Schräge Vögel sterben schneller
Von schrägen Vögeln und einer ziemlich toten Leiche …
Eigentlich will Meg ihrem Bruder nur einen kleinen Gefallen tun, als sie einwilligt, in seiner Firma auszuhelfen. Sie soll herausfinden, was es mit den seltsamen Ereignissen dort auf sich hat, denn jemand scheint sich in das Netzwerk eingeloggt und Firmendaten manipuliert zu haben. Inmitten der Computernerds taucht dann aber plötzlich eine Leiche auf: Der nervige Büroclown hat sich diesmal keinen makabren Scherz erlaubt, sondern liegt tatsächlich tot auf dem elektrischen Postwagen, der an den Schreibtischen vorbeifährt. Und ausgerechnet Megs Bruder ist der Hauptverdächtige …
Donna Andrews wurde in Yorktown, Virginia, geboren – wie die Protagonistin ihrer humorvollen Vogel-Krimireihe, Meg Langslow. Andrews erster Roman, Komische Vögel sterben tragisch, erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter die internationalen Krimipreise Agatha, Anthony und Barry Award, den St. Martin's Press Malice Domestic Award für den besten traditionellen Kriminalroman sowie den Romantic Times Award als bester Debütroman. Donna Andrews lebt in Reston, Virginia.
Website der Autorin: www.donnaandrews.com.
Donna Andrews
BÖSE VÖGEL LASSEN FEDERN
Meg Langslows vierter Fall
Aus dem amerikanischen Englisch von Frauke Meier
beTHRILLED
Digitale Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2003 by Donna Andrews
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Crouching Buzzard Leaping Loon«
Originalverlag: St. Martin’s Press, New York
Published by arrangement with St. Martin’s Press. All rights reserved.
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2009/2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Alexander Huiskes
Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Bplanet | Roman Malyshev | Undrey | JJim Nelson | YK | PowerUp | Artyem Dzyuba
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-6272-5
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Danke …
… all den üblichen Verdächtigen und Ersttätern.
… Stuart und Elka, Bruder und Schwägerin, die mir bei der Entwicklung der Idee zu diesem Buch halfen, indem sie mir von dem Tag erzählten, an dem sie ihre therapeutische Praxis betraten, um feststellen zu müssen, dass sie sich die Räumlichkeiten mit einem Internet-Startup-Unternehmen teilten. Dafür, dass sie mir gestattet haben, ihren Beruf ein wenig auf die Schippe zu nehmen, und mir geholfen haben, den Bekräftigungsbären zu ersinnen, danke ich ihnen von Herzen.
… Pat Tracy, die mich überredet hat, Kenpo zu lernen; Jim Harbour, meinem Lehrer; und Al Tracy, seinem Lehrer (und Pats Ehemann). Hätten sie Robs Kampfkunsttraining geleitet, hätte Meg es viel leichter gehabt, dem Schurken dieses Buches einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Nach wie vor bestaune ich voller Dankbarkeit die Geduld meiner Freunde, von denen mich niemand mit irgendwelchen Gegenständen beworfen hat, wenn er oder sie die vertrauten Worte »Ooh, im nächsten Buch könnte Meg …« hören musste. Für das Brainstorming, das Geraderücken der von mir verdrehten Fakten, das Lesen meiner Manuskripte, zumeist in höchster Eile, bedanke ich mich bei Elizabeth Sheley, Lauren Rabb, Mary Bird, David Niemi, Kathy Deligianis, Paul Thomas, Suzanne Frisbee und Maria Lima.
Ich sollte wohl noch anmerken, dass das sonderbare und widerborstige Personal der Mutant Wizards natürlich keinen mir bekannten realen Programmierern nachempfunden ist. Vor allem keinen von denen, die imstande wären, mein Passwort zu entschlüsseln, sollte ihnen nicht gefallen, wie ich sie dargestellt habe. Und da wir gerade dabei sind: Beim Schreiben dieses rein fiktiven Werkes wurde nicht auf irgendwelche bestimmten Therapeuten, Polizisten, Familienangehörigen oder andere reale Personen Bezug genommen. Die einzige Ausnahme von dieser Regel bilden Megs Dad und Spike, der kleine Gottseibeiuns. Und die sind es gewohnt, in meinen Büchern aufzutauchen.
Schließlich möchte ich noch all meinen Online-Freunden danken, die mir während all der langen Stunden an der Tastatur geholfen haben, meine geistige Gesundheit zu bewahren, und all den Lesern, die mir das Gefühl vermitteln, die Mühe lohne sich, indem sie mir immer wieder erzählen, wie sehr sie es genießen, Megs Welt einen Besuch abzustatten.
»Mutant Wizards«, meldete ich mich. »Bitte bleiben Sie dran.«
Ich wechselte mit dem Hörer zum linken Ohr, hielt ihn mit meiner mehr schlecht als recht verbundenen Linken und stach auf den Knopf ein, der dazu gedacht war, auf die andere Leitung umzuschalten.
»Iss dich schlank«, sagte ich. »Bitte bleiben Sie dran.«
Als ich die Hand ausstreckte, um den Knopf für die erste Leitung zu drücken und mich mit dem Anrufer der Wizards zu befassen, hörte ich ein gurgelndes Geräusch.
Ich blickte auf und sah, dass der automatische Postwagen angekommen war, während ich mit den Leitungen jongliert hatte. Oben drauf lag ein Mann, den Kopf zurückgeworfen, einen Arm ausgestreckt, während die andere Hand das Heft eines Messers umklammerte, das sich über seiner Brust erhob. Wieder gurgelte er. Rote Tropfen fielen von seiner ausgestreckten Hand auf den Teppich.
»Wirklich lustig, Ted«, sagte ich und streckte die Hand nach dem Schalter aus, der den Postwagen weiterschicken würde. »Du darfst gern später wiederkommen und den Teppich von dem Theaterblut säubern.«
Ich konnte ihn kichern hören, als der Wagen piepte und davonschlingerte, einem unsichtbaren ultravioletten Pfad folgte, der ihn aus dem Empfang in den Bürobereich führte.
Ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt, einen Satz Metallfächer, etwa eins achtzig lang und eins zwanzig breit, aus eigener Kraft durch den Korridor kriechen zu sehen, aber ich verlor allmählich die Geduld im Hinblick auf die unersättliche Gier der Mitarbeiter, irgendwelche albernen Streiche mit dem Postwagen zu spielen.
Ted lehnte sich kopfüber aus dem Wagen, wedelte vielsagend mit dem Gummimesser und schnitt Grimassen, bis der Wagen schließlich nach links abbog und verschwand.
Ich musterte den Boden, um nachzusehen, ob er dieses Mal vielleicht weitere Wertgegenstände zurückgelassen hatte – nach seiner ersten Tour durch den Empfangsbereich hatte ich fünfundachtzig Cents in Münzen und seine Geldautomatenkarte gefunden, und ein Kollege hatte bereits einen Schlüsselbund abgegeben, der vermutlich auch ihm gehörte. Nein, offenbar waren seine Taschen inzwischen leer.
Ich fragte mich, wie lange es dauern würde, bis er sich auf die Suche nach seinen Sachen begab – ich jedenfalls hatte nicht die Absicht, ihm damit hinterherzulaufen.
Mein Blick fiel auf die junge Aushilfskraft, die ich in der Telefonzentrale einarbeitete. Oh-oh. Ihre Augen waren riesengroß, und sie presste mit beiden Händen ihre Handtasche an die Brust.
»Was ist ihm zugestoßen?«, fragte sie.
»Ignorieren Sie Ted einfach«, sagte ich. »Er ist der Büroclown. Aber er ist harmlos.«
Ich konnte ihr ansehen, dass sie mir nicht glaubte.
»Und was ist damit?«, fragte sie und deutete über meine Schulter hinweg.
Ich folgte dem Fingerzeig.
»Oh, das ist nur George, der Bürogeier«, sagte ich. »Der ist ebenfalls harmlos.«
Als er sah, dass ich ihn anschaute, pendelte George von einem Fuß auf den anderen, ruckte mit dem Kopf auf und nieder und zog die Schultern hoch. Ich nahm an, dass sein Verhalten etwa das Geieräquivalent zu einer Katze darstellte, die ihren Kopf am Bein des Menschen rieb, wenn sie hörte, dass eine Dose geöffnet wurde. Jedenfalls hatte George an meinem zweiten oder dritten Tag damit angefangen, und zwar als ihm klar geworden war, dass ich diejenige bin, die die Mahlzeiten verteilt. Inzwischen fand ich das sogar schon irgendwie liebenswert – zweifellos ein Zeichen dafür, dass ich schon viel zu lange bei den Mutant Wizards war.
Die Aushilfe schob sich zentimeterweise aus der Gefahrenzone, als rechnete sie damit, dass George über sie herfallen würde.
»Keine Sorge«, sagte ich. »Er kann nicht fliegen. Er hat nur einen Flügel. Einer der Mitarbeiter hat ihn vor ein paar Hunden gerettet und als Maskottchen hergebracht.«
Ich gelobte mir im Stillen wieder einmal, dass ich versuchen sollte, meinen Bruder davon zu überzeugen, dass ein Neuweltgeier kein angemessenes Maskottchen für sein Computerspielunternehmen war. Oder zumindest davon, dass das Maskottchen nicht ausgerechnet im Empfangsbereich wohnen sollte, wo sämtliche Besucher es sehen mussten. Und riechen.
»Er stinkt«, sagte die Aushilfe.
»Daran gewöhnen Sie sich.«
»Da leuchten vier Leitungen«, sagte die Aushilfe und deutete auf die Schalttafel, nur um im nächsten Moment vor lauter Schreck einen Satz zu machen, als ein lautes Knurren unter dem Empfangstisch aufklang. Ich wusste, das war nur Spike, der neunpfündige, hundeförmige Dämon, auf den ich aufpassen musste und der gerade die Haltbarkeit des Drahtgitters vor seiner Hundekiste testete, aber das Geräusch schien die Aushilfe kopfscheu zu machen.
»Warum übernehmen Sie nicht einfach«, schlug ich vor. »Ich bleibe in der Nähe, bis sie den Dreh raushaben, und dann …«
»Tut mir leid«, sagte sie, während sie rückwärts auf die Tür zustrebte. »Ich hätte der Agentur wohl besser gesagt, dass sie mich heute nicht losschicken sollen. Es geht mir wirklich nicht besonders gut. Vielleicht sollte ich …«
»Meg!«, brüllte mein Bruder Rob und platzte in den Empfangsraum. »Sieh dir das an!«
Er flog durch den Raum, scharrte dazu in komplizierter Abfolge mit den Füßen, während er zugleich mit den Armen schlug, seine Schultern anzog und wieder lockerte und in unregelmäßigen Abständen fremdartige, heisere Schreie von sich gab.
Normalerweise hätte das Auftauchen meines großen, schlanken, blonden, hinreißenden Bruders einer Aushilfskraft einen zusätzlichen Ansporn zum Bleiben liefern sollen. Zumindest einer so jungen Aushilfskraft. Unter den gegebenen Umständen allerdings war ich erstaunt, dass sie nicht längst geflohen war, ehe er schließlich, auf dem linken Fuß balancierend, das rechte Bein unbeholfen zur Seite geworfen und beide Arme über den Kopf gereckt, zur Ruhe kam.
»Ta-da!«, machte er leicht schwankend.
Ich seufzte und drückte auf den Knopf einer klingelnden Telefonleitung.
»Meg?«, sagte Rob und klang nun nicht mehr gar so triumphierend. »War mein Kata in Ordnung?«
»Schon viel besser«, sagte ich, während ich den Anruf durchstellte. »Ich wünschte nur, du würdest nicht ausgerechnet im Empfangsbereich trainieren.«
»Oh, tut mir leid«, sagte er und gab die Pose auf. »Wer ist da eigentlich gerade rausgerannt?«
»Die Telefonzentralenaushilfe des Tages«, sagte ich. »Sie hat sich entschieden, nicht zu bleiben.«
»Tut mir leid«, sagte er wieder. »Schätze, das war mal wieder ich.«
Ich zuckte mit den Schultern. Zum Teil war es meine Schuld. Ich war schließlich diejenige, die den Geduckten Neuweltgeier-Kata – benannt, wie könnte es anders sein, nach unserem Maskottchen George – eingeführt und ihn Rob in einem Moment der Unduldsamkeit beigebracht hatte. Oder vielleicht in einem Moment der Frustration angesichts seiner einzigartigen Kombination aus fanatischem Enthusiasmus und vollendeter Inkompetenz.
Kaum zu fassen, dass ich, als Rob plötzlich Interesse für die Kampfkünste entwickelte, ihn in dem naiven Glauben bestärkt hatte, dergleichen könnte ihm dabei helfen, seinen Charakter zu formen.
»Das stärkt sein Rückgrat«, hatte einer meiner Onkel verkündet, und alle anderen am Familienesstisch der Langslows hatten einmütig dazu genickt.
Rob war klug genug, seinen Abschluss an der University of Virginia Law School nicht zu vergeigen. Er schloss zwar nicht gerade als Klassenbester ab – schließlich hätte das stetes Bemühen seinerseits erfordert –, aber er hatte Hirn genug, die Zulassungsprüfung der Anwaltskammer beim ersten Versuch zu bestehen. Obwohl er die Vorbereitungskurse weniger zum Lernen genutzt hatte als dazu, ein Rollenspiel mit dem Namen »Höllenanwälte« zu entwickeln.
Dann hatte er »Höllenanwälte« zu einem Computerspiel umfunktioniert, unterstützt von Freunden mit Computererfahrung, und schließlich, nachdem es ihm nicht gelungen war, das Spiel bei einem eingeführten Computerspielproduzenten unterzubringen, beschlossen, seine eigene Firma zu gründen.
Wie üblich hatten sich seine Familie und Freunde geradezu überschlagen, ihm bei seinem Vorhaben zu helfen. Meine Eltern stellten das Startkapital zur Verfügung. Ich lieh ihm ebenfalls Geld, als er ein Problem mit dem Kassenbestand hatte und zu verlegen war, um sich erneut an Mutter und Dad zu wenden. Michael Waterston, mein Freund, der am Caerphilly College Schauspiel unterrichtete, stellte ihm einen Informatikprofessor und einen Betriebswirtschaftsprofessor vor, beide ruhelos auf der Suche nach realen Projekten. Der Wunsch, diesen beiden nützlichen Mentoren nahe zu sein, war der Hauptgrund dafür, dass Mutant Wizards in dem kleinen, ländlichen Collegestädtchen Caerphilly landete, statt in einem Hightech-Mekka wie San Jose oder dem Dulles/Reston-Korridor in Nord-Virginia.
Und nun, kein Jahr später, war Rob Präsident eines Multimillionen-Dollar-Unternehmens, Erfinder des heißesten Computerspiels des Jahrzehnts und Begründer einer kleinen, aber erfolgreichen Hightech-Industrie in Caerphilly.
Nicht schlecht für jemanden, der so gut wie nichts über Computer oder Geschäfte wusste, wie Rob, wenn er gefragt wurde, stets bereitwillig zugab – beispielsweise gegenüber Forbes oder Computer Gaming World und ganz besonders gegenüber der hübschen Studentin, die ein Porträt von ihm in der Collegezeitung von Caerphilly veröffentlicht hatte.
Im Augenblick musterte der junge Gigant der interaktiven Multimedia-Unterhaltungsindustrie George und runzelte dabei die Stirn. George ignorierte ihn natürlich, wie er jeden ignorierte, der zu zimperlich war, ihn zu füttern. Allerdings war mir aufgefallen, dass George ihm, als er seinen erfundenen Kata vorgeführt hatte, mehr Aufmerksamkeit hatte zukommen lassen, als er üblicherweise für Menschen aufbrachte. Vielleicht hatte ich versehentlich eine Pose erfunden, die Ähnlichkeit mit einem Balzritual der Neuweltgeier hatte.
Immerhin war George nicht verärgert. Ich hatte am Umzugstag herausfinden müssen, dass ein verärgerter George sein Mittagessen wieder von sich gab. Das Tier bei Laune zu halten und auf keinen Fall aufzuregen war seither einer der wichtigsten Punkte in meinem Leben geworden.
»Er sieht ein bisschen verwahrlost aus«, sagte Rob endlich.
»Nur ein bisschen?«, gab ich zurück. »Na, das ist doch eine Verbesserung.«
»Verwahrloster als sonst«, stellte Rob klar. »Irgendwie … schmutzig. Meinst du, er braucht mal ein Bad?«
»Ganz bestimmt nicht«, sagte ich streng. »Das würde die natürlichen Fette in seinem Gefieder wegspülen. Die chemische Balance in seinem Stoffwechsel stören, seine internen Abwehrmechanismen schädigen.«
»Oh, richtig«, sagte Rob.
Tatsächlich hatte ich keine Ahnung, was ein Bad mit einem Neuweltgeier anstellen mochte. Alles, was ich wusste, war, dass ich diejenige sein würde, die ihm im Bedarfsfall ein Bad verabreichen müsste. Und ich hegte den Verdacht, das würde ihn aufregen. Ohne mich.
»Und was ist dann mit all den Vogelbädern?«, fragte Rob.
»Die sind für kleine Vögel«, entgegnete ich. »Singvögel. Und sie plantschen nur ein bisschen darin.«
»Das stimmt«, sagte Rob, und seine Miene hellte sich auf. »Sie reinigen sich mit Sand.«
»Genau.«
»Dann können wir ihm doch eine Sandkiste hinstellen«, schlug Rob vor. »Du könntest die Stühle umstellen, um Platz zu schaffen. Was meinst du?«
Er hatte diese Miene aufgesetzt, die er neuerdings regelmäßig zur Schau trug, wenn er irgendwelche Vorschläge im Hinblick auf die Büroräume machte. Die Miene, die unverkennbar seine Erwartung widerspiegelte, seine Zuhörer voller Begeisterung »was für eine unglaubliche Idee!« rufen zu hören, ehe selbige sich im Laufschritt aufmachten, die Idee in die Tat umzusetzen. Das war zumindest das, was seine Mitarbeiter zumeist taten. Ich klappte den Mund auf, um etwas zu sagen, als …
»Rob! Hier bist du!«
Wir beide blickten auf und sahen den Leiter der Finanzabteilung der Mutant Wizards in der Tür zum Empfangsbereich stehen.
»Wir haben in drei Minuten eine Telefonkonferenz.«
Rob trottete davon und nahm sich der Anrufe an, die sich bereits in der Leitung stauten. Eine Sandkiste. Ich hatte kurz davor gestanden, reinen Tisch zu machen. Rob zu gestehen, dass der Geduckte Geier ein Jux war, kein abstruser Kata.
Stattdessen fing ich an, während ich Stück um Stück den Rückstau der in der Leitung wartenden Anrufer für Mutant Wizards und die kunterbunte Therapeutentruppe, mit der wir die Büroräume teilten, abbaute, ein neues Kata zu erfinden, eines, dass noch höllischer, noch viel komplizierter und noch amüsanter anzusehen wäre.
Hör auf!, ermahnte ich mich, als mir bewusst wurde, was mir da durch den Kopf ging. Ich war nicht hier, um imaginäre Katas zu erfinden. Oder mich um die Telefonzentrale zu kümmern. Ich war hier, um herauszufinden, was bei Mutant Wizards nicht stimmte.
Alles hatte vor zwei Wochen angefangen, als Dad und Michael mich mit einer linken Hand, die in einer Unmenge von Verbänden von der Größe meines Kopfes versteckt war, aus der Notaufnahme abgeholt hatten.
»Wow, was ist passiert?«, fragte mich Rob, wobei aus seinem reichlich gefüllten Mund ein kleiner Regen aus Frosties sprühte. Er war in Michaels Wohnung gekommen, um Spike zu füttern und Gassi zu führen, während der Rest von uns im Krankenhaus war, und er war geblieben, um die Speisekammer zu leeren.
»Lange Geschichte«, sagte ich und verschwand im Badezimmer, um ein wenig für mich zu sein. Michael ging in die Küche, um Eistee für mich zu machen, während Dad, ein halbpensionierter Allgemeinmediziner, sich aufmachte, Rob in allen entsetzlichen Details zu erklären, was genau mit meiner Hand nicht in Ordnung war und was die Ärzte im Caerphilly Community Hospital zu ihrer Wiederherstellung getan hatten, begleitet von einer überwiegend wohlwollenden Kritik ihrer fachlichen Kompetenz. Ich seufzte, und Michael beugte sich zu mir, um meine gesunde Hand zu tätscheln.
Ja, ich weiß, ich sagte, er war in der Küche und ich im Badezimmer. Die Küche dieser Höhle, wie wir Michaels Einzimmer-Souterrain-Wohnung nannten, bestand aus einem Mikrowellenherd und einer Kochplatte auf einem Mini-Kühlschrank. Das Badezimmer wurde durch einen Vorhang von der Küche getrennt, den ich fünf Minuten, nachdem ich zu meinem ersten Besuch zur Tür hereingekommen war, aufgehängt hatte. Unter der knapp zwei Meter zehn hohen Decke bekam ich klaustrophobische Zustände, also konnte ich mir gut vorstellen, wie sich Michael mit seinen eins dreiundneunzig fühlte. Die Tatsache, dass etliche von Michaels Kollegen ihn um dieses fürstliche Quartier beneideten, zeigte deutlich, wie knapp Wohnraum in Caerphilly war.
»Eigentlich wollte ich wissen, wie sie sich verletzt hat«, sagte Rob. Ich konnte an seiner Stimme hören, dass er ein wenig grün im Gesicht sein dürfte. Rob fiel schon beim Gedanken an Blut in Ohnmacht. »Was ist passiert, Meg?«
»Wie ich schon sagte, das ist eine lange Geschichte.«
»Meine Schuld«, sagte Michael. »Sie hat versucht, in diesem winzigen Studio, das ich für sie aufgetrieben habe, zu schmieden, und es war einfach zu klein. Sie hat sich den Ellbogen an der Wand angeschlagen, während sie etwas mit dem Hammer bearbeitet hat, und statt des Werkstücks die andere Hand getroffen.«
»Schlimm«, sagte Rob.
Du hast ja keine Ahnung, dachte ich und starrte in den gesprungenen Spiegel, betastete die Platzwunden und Blutergüsse, die mein Gesicht bedeckten. Michael hatte vergessen zu erwähnen, dass ich, abgesehen von meiner Hand, auch noch einer tragenden Wand einen höllischen Schlag versetzt hatte, worauf mir ein Teil der Decke auf den Kopf gefallen war. Das Studio mochte für einen Maler geeignet sein, aber es war schlicht zu klein für einen Schmied. Trotzdem hatte ich versucht, darin zu arbeiten. Ich hatte es sogar verzweifelt versucht, denn nach einer beinahe einjährigen Suche nach einem Ort, an dem wir beide leben und einem weiteren, an dem ich arbeiten konnte, waren dieses winzige Kellerapartment und die noch winzigere, zu einem Studio umfunktionierte Gartenhütte das Beste, das wir hatten finden können. Abgesehen von den Schmerzen und der Tatsache, dass ich wochenlang nicht würde arbeiten können, besagte die Verletzung auch, dass ich nach wie vor keinen Ort gefunden hatte, an dem ich in Caerphilly arbeiten konnte, und wir auf Anfang zurückkehren mussten: jenem Zustand, bei dem ich mehrere Stunden entfernt im spießigen Nord-Virginia leben und Michael nur dann sehen würde, wenn der eine oder andere von uns die Möglichkeit hatte, seine Arbeit lange genug im Stich zu lassen.
Obwohl ich zweifellos eine ganze Weile gar nicht arbeiten würde, wie ich mit einem missmutigen Blick auf meinen Verband dachte.
»Wie lange wird es dauern, bis sie wieder schmieden kann?«, fragte Rob, als hätte er meine Gedanken gelesen.
»Mindestens zwei Monate«, sagte Michael.
»Toll!«, rief Rob aus.
»Rob!«, sagten Dad und Michael im Chor, und ich steckte den Kopf zum Badezimmervorhang hinaus und maß ihn mit einem zürnenden Blick.
»Was ich meinte, war, es ist wirklich schlimm wegen der Hand, aber ich habe eine tolle Idee, was sie in der Zwischenzeit machen könnte«, beeilte Rob sich zu sagen. »Wisst ihr noch, dass ich gesagt habe, ich glaube, bei Mutant Wizards stimmt etwas nicht? Vielleicht könnte Meg in die Firma kommen, so tun, als würde sie dort arbeiten, und herausfinden, was da los ist.«
»Eine hervorragende Idee, Rob!«, rief Dad.
»Abgesehen von einem winzigen Detail«, sagte ich. »Was um alles in der Welt sollte ich wohl in einem Computerunternehmen tun?«
»Du könntest Ordnung schaffen!«, sagte Rob und breitete die Arme in einer Geste vollkommener Begeisterung weit aus. »Du hast selbst gesagt, du könntest dir nicht vorstellen, wie wir je den Umzug in unser neues Büro schaffen wollten, und wir sollten uns dringend einen kompetenten Büroleiter zulegen. Du wärst die perfekte Besetzung!«
Ich fragte mich, ob er sich wegen der Firma wirklich Sorgen machte, oder ob er nur eine Ausrede gesucht hatte, mich dazu zu bringen, in dem Laden Ordnung zu schaffen.
»Ich hatte eigentlich gedacht, Meg könnte mich für den Rest der Dreharbeiten nach Kalifornien begleiten«, sagte Michael. »Du hättest jede Menge Zeit, dich auszuruhen, während ich drehe, und wir könnten die Abende gemeinsam verbringen.«
Netter Versuch, aber so dumm war ich nicht. Oh, nicht dass Michael es nicht genauso gemeint hätte, wie er es gesagt hatte. Aber ich hatte Michaels Leben im Zuge der Dreharbeiten zu diesen Gastauftritten in Fernsehproduktionen kennengelernt. Er würde in der Morgendämmerung aufstehen und in die Maske gehen. Ich würde während der ungefähr zwölf bis vierzehn Stunden dauernden Dreharbeiten das noch funktionstüchtige Däumchen drehen. Und dann, beim Abendessen, wenn er nicht gerade tonlos irgendwelche Textzeilen vor sich hin brabbelte, würde er sich grämen, ob die Darstellung eines lüsternen, machtgierigen Hexenmeisters in einer billigen TV-Produktion wirklich das war, womit ein seriöser Schauspieler – und erst recht ein Professor für Schauspiel – seine Sommerpause zubringen sollte.
Vielleicht nicht. Aber er hatte so viel Spaß daran, dass ich es nicht übers Herz brachte, ihm das zu sagen. Außerdem wurden die Auftritte gut bezahlt.
Und während die wenigen annehmbaren Häuser, die im letzten Jahr in Caerphilly zum Verkauf gestanden hatten, die Mittel von Professor Waterston und Meg, der Schmiedin, weit überschritten, mochten sie für Mephisto, den Hexenmeister, nicht gar so unerreichbar sein. Besonders, wenn man ihn für einige weitere Episoden verpflichten sollte.
Wenn man dann noch dazurechnete, was meine Mutant Wizards-Aktien wert sein mochten, wenn das Unternehmen erfolgreich weiterlief, könnte der Erwerb eines Hauses doch irgendwann möglich werden. Was, wie ich feststellte, in mir ein mehr als nur beiläufiges Interesse an der Frage weckte, warum Rob dachte, in seinem Unternehmen wäre etwas nicht in Ordnung.
Ich blickte auf und sah, dass alle drei mich erwartungsvoll musterten.
»Also, wie lautet deine Entscheidung?«, fragte Michael.
Ich hätte wissen müssen, dass es nicht klug war, wichtige Entscheidungen unter dem Einfluss von Oxycodon zu fällen.
Stirnrunzelnd betrachtete ich die Ibuprofenpackung auf dem Empfangstresen. Mutant Wizards war mit Oxycodon so viel einfacher zu ertragen. Dennoch hatte es auch seine Vorteile, bei klarem Verstand zu sein. Ich handelte alle blinkenden Leitungen in rasanten zwei Minuten ab, räumte die Warteschlange frei und jagte gerade einen telefonischen Hilferuf an die Zeitarbeitsagentur los, als ich hörte, wie die Eingangstür geöffnet wurde.
Ich blickte auf und erstarrte, die Lippen zu einem noch unvollständigen Lächeln verzogen.
Eine blasse junge Frau in einem Höllenanwälte-T-Shirt tänzelte in den Empfangsbereich. Sie lächelte grob in meine Richtung, doch ihre Augen wanderten über mich hinweg und hefteten sich fiebrig auf den Durchgang zu den Büroräumen.
»Hi«, sagte sie und befummelte dabei geistesabwesend ein Ohr, an dem mindestens ein halbes Dutzend verschiedener Ringe und Stecker prangten. »Ob Sie mir vielleicht helfen könnten?«
»Vermutlich nicht«, sagte ich. »Außerdem, warum sollte ich das wollen?«
Normalerweise bin ich nicht zu abweisend gegenüber Besuchern. Aber das war keine normale Besucherin.
»Häh?« Sie keuchte und sah mich endlich an.
»Ich war am letzten Montag hier, als sie reingekommen sind und behauptet haben, Sie würden für den Pflanzenpflege-Service arbeiten«, sagte ich. »Und ich war auch am Mittwoch hier, als Sie erklärt haben, Sie wollten ihrem Freund das Mittagessen bringen. Und ich bin diejenige, die Sie am letzten Freitag erwischt hat, als sie durch ein Fenster einsteigen wollten.«
»Sie müssen mich mit jemandem anderen verwechseln«, setzte sie an.
»Geben Sie’s auf, ja? Kaufen Sie sich am ersten Dezember, wenn es auf den Markt kommt, eine Ausgabe von ›Höllenanwälte II‹. Vorher wird Ihnen niemand eine inoffizielle Vorabversion geben, ganz gleich, wie lange Sie noch hier herumlungern und die Leute auf dem Parkplatz belästigen. Ich war nicht hier, als die CD-Rom einen Weg in Ihre Handtasche gefunden hat, aber auch davon habe ich gehört.«
Ich bin nicht sicher, ob es mir gelungen wäre, sie loszuwerden, gleich wie deutlich ich mich auch geäußert hatte – ich hatte bereits zwei Wochen für Mutant Wizards gearbeitet und wusste, wie aufdringlich fanatische Anhänger der »Höllenanwälte« sein konnten. Aber mir wurde Hilfe zuteil: Katy, ein knapp achtzig Kilo schwerer Irischer Wolfshund, betrat den Empfangsbereich und gab ein bärbeißiges Bassgebell von sich.
Jeder, der hier arbeitete, hätte erkannt, dass dieses Bellen auf Katyesisch bedeutete: »Hi! Willst du mich nicht füttern? Es sind schon mindestens fünf Minuten vergangen, seit ich das letzte Mal etwas gegessen habe, und ich könnte jede Sekunde verhungern. Also, füttere mich! Bitte?«
Der Fan aber sah recht nervös aus. Was nicht verwundern konnte; Katy war groß, sogar für einen Wolfshund, und sie hatte die etwas verwirrende Angewohnheit, nicht mit dem Schwanz zu wedeln, wenn sie einen bedauernswerten Eindruck zu vermitteln gedachte. Aber vielleicht hatte sich der Fan auch nur von dem wütenden Knurren einschüchtern lassen, das unter dem Empfangstresen ertönte. Hätte sie Spike, den Verursacher des Knurrens, sehen können, hätte sie vermutlich gelacht – eine Ironie, denn Spike, obgleich nur ein neunpfündiger Fellball, richtete in mindestens neun von zehn Fällen ernsthaftere körperliche Schäden an als die gutmütige Katy. Glücklicherweise war Spike in seine Hundebox eingesperrt, ausgehend von der Theorie, dass er sich irgendwann weit genug beruhigen würde, in vollem Umfang an der »Bringen Sie Ihren Hund mit zur Arbeit«-Politik von Mutant Wizards partizipieren zu können. Ich hätte nicht darauf gewettet.
In genau diesem Moment wurde die Eingangstür erneut geöffnet und eine große Gestalt in blauer Polizeiuniform klimperte zum Empfangstresen.
»Kann ich Ihnen helfen, Ma’am?«, fragte er.
Der hartnäckige Fan machte kehrt und ergriff die Flucht. Hätte sie aufgepasst, wäre ihr aufgefallen, dass die Uniform ihrem Träger nicht besonders gut passte. Vielleicht hätte sie sich auch gefragt, wie viele echte Polizisten wohl mit schwarzen Leder-Reebocks herumliefen und neben Schlagstock und Handschellen PEZ-Spender am Gürtel trugen.
»Ma’am? Ma’am?«, rief er und folgte ihr hinaus in den Korridor. »Hey, Lady, kommen Sie zurück. Bitte!«
Der Fan drückte auf den Fahrstuhlknopf, stürmte aber, als sie sah, dass er ihr folgte, durch die offene Tür ins Treppenhaus. Was der Weg war, auf dem die meisten Leute kamen und gingen, da der altehrwürdige Fahrstuhl aus der Ära des Zweiten Weltkriegs selten in weniger als zehn Minuten sein Ziel erreichte.
»Jemine, Meg, tut mir leid«, sagte er, nahm den Hut ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Jetzt erkannte ich die große, schlaksige Gestalt. Frankie, einer der Junior-Programmierer. Ich hatte immer noch große Mühe, Namen und Gesichter der meisten der ungefähr dreißig Programmierer und Grafiker in Einklang zu bringen. Frankie hatte ich am ersten Tag in Gedanken als den »Eifrigen« gespeichert, weil er ständig jemandem zwischen die Füße geriet und jedermann jederzeit bei allem und jedem seine Hilfe andiente. Allem und jedem, abgesehen von der offensichtlich langweiligen Programmierarbeit, die tatsächlich seinen Job ausmachte.
»Machen Sie sich darüber keine Sorgen, Frankie«, sagte ich. »Das war nur wieder dieser verrückte Fan.«
»Die Frau, die versucht hat, sich in einem Gateway-Karton liefern zu lassen?«
»Genau die«, sagte ich. »Und warum sind Sie heute gekleidet wie die oberen Tausend von Caerphilly?«
»Die Designabteilung will mich als Modell für ein paar neue Charaktere benutzen«, sagte Frankie. »Was halten Sie davon?«
Er wirbelte um die eigene Achse, damit ich sein Kostüm bestaunen konnte.
»Ich bin beeindruckt«, sagte ich. Und das war ich tatsächlich. Die Uniform betonte Frankies schlaksigen Körperbau derart, dass er in ihr eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem Storch aufwies. Und seine Gewohnheit, auf einem Bein zu balancieren und das andere drumherum zu wickeln, verstärkte diesen Eindruck ungemein.
Dennoch musste es mir gelungen sein, keine Miene zu verziehen, denn Frankie strahlte mich entzückt an.
»Sorgen Sie nur dafür, dass Sie die Meute anführen, wenn ich den Panikknopf drücke«, sagte ich.
»Panikknopf?«, fragte er mit einem geistesabwesenden Blinzeln.
»Das hatten wir letzte Woche schon«, sagte ich. »Der Knopf unter dem Tisch, den der Empfangsmitarbeiter drücken kann, wenn er oder sie sich gefährdet fühlt, wissen Sie noch? Dann läutet in den Büros eine Glocke …«
»Und wir laufen alle zum Empfang und retten den Mitarbeiter vor dem Eindringling.«
»Sehr gut.«
»Es sei denn, Sie springen als Empfangsmitarbeiterin ein, dann müssen wir vermutlich eher den Eindringling retten«, sagte Frankie und ruderte dabei mit den Armen, eine Geste, die vermutlich irgendeine Art von Karatetrick darstellen sollte. Entweder das, oder er versuchte, Moskitos zu erschlagen.
»Ja«, sagte ich zähneknirschend. »Der Knopf.«
»Genau«, bestätigte Frankie. »Kein Problem. Aber ich gehe jetzt besser. Die Designleute warten schon.«
Modell?, überlegte ich, als Frankie davonstolzierte. Sicher, in »Höllenanwälte« tummelten sich Hunderte von Charakteren – Verteidiger, Geschworene, Richter, Gerichtsdiener, Polizisten, Zeugen, Reporter und, natürlich, Anwälte. Aber die wurden am Bildschirm durch Zeichentrickfiguren dargestellt und waren überwiegend zweieinhalb Zentimeter groß. Und wenn die Grafiker auch eine wunderbare Arbeit geleistet hatten, als sie sie mit eindeutigen persönlichen Zügen ausgestattet hatten, konnte ich mir doch nur schwer vorstellen, dass man zu dieser Arbeit ein Modell brauchte.
Vielleicht war es auch nur ein kleiner Streich, der dazu diente, Frankie dazu zu bringen, in Polizeiuniform ins Büro zu kommen, dachte ich, als ich Katy ein Leckerchen gab und ihr sanft mit meinem Verband auf den Kopf klopfte. Das hörte sich hier bei Mutant Wizards erheblich wahrscheinlicher an.
Ich blickte auf, um nachzusehen, wie Liz, die echte Anwältin von Mutant Wizards, auf Frankies Outfit reagierte. Und ich blickte weit zu ihr auf, denn weit oben war sie momentan. Das Büro bestand überwiegend aus einem Wirrwarr aus Kuben, die mit einen Meter fünfzig hohen Trennwänden ausgestattet waren. Sogar die wenigen geschlossenen Räume – der Empfangsraum, die Büros der Geschäftsleitung, der Pausenraum und die Bibliothek – hatten anstelle von richtigen Wänden nur Raumteilungselemente. Größere Wandteile, zwei Meter vierzig hoch anstelle von nur einem Meter fünfzig, aber dennoch nur Raumteiler. Die einzigen feststehenden Räume in dem ganzen Büro waren das Computerlabor, das deckenhohe Glaswände hatte, und die Toiletten, die, Gott sei Dank, über altmodische solide Wände verfügten. Und dann waren da natürlich noch die Räume der Therapeuten, die an einem kleinen Korridor lagen, der ihnen deutlich mehr Privatsphäre hätte bieten können, hätte er nicht zu den Toiletten geführt.
Der Vorteil war, dass dank der wenigen echten Mauern jeder Teil des Büros großzügig mit natürlichem Tageslicht versorgt wurde, was nicht nur die Stromrechnung in Grenzen hielt, sondern auch die Moral hoch – die langen Arbeitstage hätten anderenfalls für viele Mitarbeiter bedeutet, dass sie tagelang bei Kunstlicht hätten verbringen müssen. Der Nachteil war, dass die Umgebung nicht eben geräuscharm war – jeder, der sich privat mit einem persönlichen Gläubiger unterhalten oder einen Termin beim Gynäkologen vereinbaren wollte, war am Ende gezwungen, mit einem Mobiltelefon auf die Toilette zu verschwinden.
Es bedeutete auch, dass ich Liz, wenn sie, wie es seit mehreren Tagen der Fall war, auf die Bücher zurückgriff, um sich in Hinblick auf irgendwelche komplizierten Schriftsätze schlauzumachen, normalerweise auf der obersten Stufe der Bibliotheksleiter hocken sehen konnte, wo sie in Büchern aus dem obersten Fach blätterte, dem Fach, in das sämtliche juristischen Schriften abgeschoben worden waren. Die weiter unten befindlichen Fächer waren natürlich vollgestopft mit Büchern über Programmierung und Militärgeschichte, ganz zu schweigen von den Spielezeitschriften und allerlei obskuren und unverständlichen Comics und illustrierten Romanen.
Ich erkannte, dass sie von ihrem Buch aufgeblickt hatte und ihre Augen etwas auf dem Korridor verfolgten, den Frankie vermutlich gerade hinunterging. Sie sah sich zu mir um und zog eine Braue hoch, als wollte sie sagen »Was um alles in der Welt lässt du in dieses Büro rein?«. Ich zuckte mit den Achseln, und sie verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf und widmete sich lächelnd wieder ihrem Buch.
Derweil konzentrierte ich mich, ebenfalls lächelnd, wieder auf die Telefonanlage. Liz gehörte zu den wenigen anderen Frauen bei Mutant Wizards. Und zu den wenigen normalen Menschen. Und auf die Gefahr hin, des weiblichen Chauvinismus beschuldigt zu werden, gestehe ich, dass ich nicht an einen Zufall glaubte.
»Ich bin eine starke, selbstständige Frau, die ihre eigenen Entscheidungen trifft«, sagte eine Stimme in der Nähe meines Ellbogens.
Ich legte die Stirn in Falten. Nicht, dass ich diese Äußerung nicht zu schätzen gewusst hätte, aber sie klang irgendwie nicht ganz passend, wenn sie in einer Stimme vorgebracht wurde, die sich anhörte, als gehöre sie einem Kinderfernsehmoderator auf Helium. Spike gefiel das auch nicht, wie ich dem Knurren zu meinen Füßen entnahm.
»Guten Morgen, Dr. Brown«, sagte ich und musterte zunächst den kaugummirosafarbenen Plüschteddy und erst im Nachhinein die deutlich weniger auffällige Frau, die ihn bei sich trug.
»Wie gefällt Ihnen meine Neuanschaffung?«, fragte sie. »Ich nenne ihn einen Bekräftigungsbären. Jedes Mal, wenn man auf seinen Bauch drückt, liefert er seinem menschlichen Freund eine andere, positive, bekräftigende Aussage.«
Sie demonstrierte es mir.
»Ich sorge für meinen Körper, indem ich Wellnessübungen mache und regelmäßig trainiere«, quiekte der Bär, ein Laut, bei dem Spike hysterisch zu bellen begann.
»Faszinierend«, sagte ich. Und das meinte ich auch; allerdings faszinierte mich vor allem die Vorstellung, welche sonderbaren Streiche sich die Programmierer ausdenken würden, falls – nein, sagen wir lieber »wenn« – sie den Bekräftigungsbären in die Finger bekämen. Außerdem fragte ich mich, ob sie nur hier war, um mir ihren Bären vorzuführen, oder ob sie vorhatte, eine neue Beschwerde einzureichen.
Dr. Brown gehörte zu den sechs Therapeuten, die einen schon seit längerer Zeit gültigen Untermietvertrag für die Büroräume besaßen, in die Mutant Wizards gerade erst eingezogen war. Liz, die Anwältin, hatte heldenhaft darum gekämpft, sie rauszuwerfen oder rauszukaufen, doch ohne Erfolg. Dank der militanten Antiwachstumspolitik des hiesigen Bezirks war der Markt für Büroräume in Caerphilly nur geringfügig weniger schlecht bestellt als der für Wohnräume, und die Therapeuten hatten nicht die Absicht, ihre Niederlassung aufzugeben.
Während der gesamten Ausbauphase hatten sie gejammert und geklagt, aber zu der Zeit hatten nur Liz, Rob und der Immobilienmakler ihnen zuhören müssen. Der Umzug am vergangenen Montag war zur Katastrophe geraten. Liz hatte sie frühzeitig gewarnt und dafür gesorgt, dass so viel Zeug wie möglich bereits am Wochenende hergebracht wurde, um die Störungen innerhalb der Arbeitszeit der Therapeuten möglichst gering zu halten. Das hatte möglicherweise sogar ein bisschen geholfen. Aber der Umzugstag war auch der erste Tag gewesen, an dem Techniker und Therapeuten unter demselben Dach hatten koexistieren müssen. Man konnte diesen Zustand nur mit »Hass auf den ersten Blick« beschreiben.
Es war also am letzten Montag, als mir plötzlich aufgegangen war, dass ich dafür die Verantwortung trug, den Frieden zwischen diesen beiden Gruppen zu wahren. Sie hatten sich alle schnell daran gewöhnt, mit ihren Beschwerden und ihren hanebüchenen Ansinnen zu mir zu laufen wie zankende Kinder zu ihrer Mutter. Ich hatte es schon jetzt mehr als satt.
Aber, so sagte ich mir, das ist nur vorübergehend, und ich zwang mir ein Lächeln ins Gesicht, während ich den grell gefärbten Teddybären begutachtete. Ich kann gehen, sobald ich herausgefunden habe, was los ist, oder Rob versichert habe, dass gar nichts los ist. Oder, wahrscheinlicher, wenn es meiner Hand wieder besser geht.
Wie konnte Rob nur von mir erwarten, dass ich irgendeiner Missetat auf den Grund ging, wenn ich mich den ganzen Tag um die Telefonzentrale kümmern musste, Seelenklempner und Computerfreaks daran hindern sollte, sich gegenseitig umzubringen und auch noch den sprechenden Spielzeugen irgendwelcher Leute zuhören durfte?
»Ruhig, Spike«, sagte ich. »Das ist nur ein Bär.«
»Hier, wollen Sie es versuchen?«, fragte Dr. Brown und drückte mir den Bären in die Hände. »Sie müssen nur sein Bäuchlein kraulen, um ihn zum Reden zu bringen.«
Ich kraulte. Nichts geschah.
»Sie müssen ein bisschen fester kraulen.«
Irgendwann brachte ich den Bären zum Reden. Das allerdings brauchte mehr als bloßes Kraulen. Ich hätte eher von einem kräftigen Hieb gesprochen.
»Ich bin ein ruhiger, rationaler Mensch, der nie zu physischer Gewalt greift, um Probleme zu lösen«, maßregelte mich der Bär. Spike begnügte sich dieses Mal mit Knurren.
»Warum behalten Sie ihn nicht und probieren ihn ein paar Tage aus?«, schlug Dr. Brown vor. Ich schaute an ihr vorbei und erkannte, dass sie einen Karton mit sich herumschleppte, der größer war als der, in dem Dads neuer Monsterfernseher geliefert worden war. Und er war gerammelt voll mit Bekräftigungsbären – und in demselben grässlichen Pink.
»Tschüssi«, trällerte sie, als sie den Empfang verließ und die Kiste hinter sich herzog.
Meine Laune besserte sich – war es möglich, dass sie vorhatte, durch das ganze Büro zu ziehen und jedem, der ihr begegnete, einen flamingofarbenen Teddybären anzudrehen? Das würde ohne Zweifel die Zeit verkürzen, die die Jungs im Büro brauchten, um den Bekräftigungsbären in einen Vernichtenden Kränkungsbären, einen Limerickbären oder einen Monty-Python-Zitierbären zu verwandeln oder was immer ihnen sonst so einfallen mochte.
Ich versetzte dem Bären einen weiteren Hieb auf den Bauch.
»Ich versuche, in jeder Situation stets das Beste zu sehen«, riet mir der Bär und fiel vom Tisch.
Als ich mich bückte, um ihn aufzuheben, sah ich eine kleine schwarze Pfote, die versuchte, nach ihm zu schlagen. Ich beugte mich tiefer hinab und lugte in das Fach, in dem sich die Schublade hätte befinden sollen, die Rob heute Morgen herausgenommen hatte, um Platz für den neuesten Neuzugang zu unserer Menagerie zu schaffen: eine sehr kleine, aber sehr schwangere schwarze Katze.
»Wenn du ihn willst, kannst du ihn haben«, erklärte ich ihr, worauf sie leise fauchte und sich so tief wie möglich in das Schubladenfach zurückzog. Ich seufzte. Normalerweise wurden Katzen viel schneller warm mit mir.
Andererseits lag es vielleicht gar nicht an mir. Vielleicht lag es an allem anderen. Vor allem an der Anzahl der Hunde, die herein- und hinausspazierten, ganz zu schweigen von Spike, der, gerade eine Schreibtischbreite entfernt, in seiner Box am Boden eingesperrt war.
Während ich einen weiteren Anruf entgegennahm, erschrak ich plötzlich. Jemand lugte mir über die Schulter. Es war Roger, der Programmierer, der sich bei mir der geringsten Beliebtheit erfreuen durfte. Seit ich die Arbeit in diesem Büro aufgenommen hatte, hatte er sich häufig in meiner Nähe herumgetrieben – so sehr, dass ich inzwischen den Verdacht hegte, er versuchte, Mut zu fassen, um mich um eine Verabredung zu bitten. Um das zu schaffen, musste man natürlich erst einmal einen Weg finden, überhaupt mit mir zu sprechen, statt nur irgendwelche kryptischen Bemerkungen gegenüber der Zimmerdecke des Raums abzugeben, den wir gerade zufällig teilten.
Als ich ihn als »der Stalker« eingeordnet hatte, war das durchaus nicht nur scherzhaft passiert. Ich vermerkte in Gedanken, dass ich ein Bild von Michael und mir mitbringen und dafür sorgen sollte, dass Roger Zeuge wurde, wenn ich es mit zärtlichem Blick anhimmelte.
Ich tat, als wäre ich so sehr mit den eingehenden Anrufen beschäftigt, dass ich Roger gar nicht wahrnahm, und irgendwann zog er von dannen.
Der Postwagen tuckerte erneut vorbei, und Ted lag immer noch oben drauf. Die Telefonroutine hatte bei Roger so gut funktioniert, dass ich sie bei Ted wiederholte, vorgab, die Anrufe würden meine Aufmerksamkeit so in Anspruch nehmen, dass es schon beinahe eine Zumutung war, von mir zu verlangen, den Knopf zu drücken, der dafür sorgte, dass sich der Wagen wieder in Bewegung setzte.
Spike bellte hysterisch, bis der Wagen endlich weg war. Für einen Moment fragte ich mich, was Ted wohl getan hatte, um ihn so in Rage zu bringen. Aber dann meldete sich auch schon mein Pager.
Ich fand den richtigen Knopf, um das Piepen abzuschalten, und schaffte es nach mehreren Fehlversuchen, auch die Nachricht zu lesen.
KOPIERER 2 HATKEINPAPIER.
»Typisch«, sagte ich. »Kann mir vielleicht jemand erklären, warum die es für einfacher halten, zu ihren Schreibtischen zurückzurennen und mich wegen des Kopierers anzupiepen, wenn das verdammte Papier doch gleich vor Ort im Regal liegt und nur darauf wartet, eingelegt zu werden?«
»Weil sie Idioten sind?«, meinte eine Baritonstimme hinter mir.
Ich drehte mich um und erblickte Jack Ransom, einen der Teamleiter. Er hätte von mir den Spitznamen »der Prächtige« erhalten, hätte ich mich Michael gegenüber dann nicht als illoyal empfunden, also hatte ich mich für »der Zurechnungsfähige« entschieden. Viele Konkurrenten um diesen Titel gab es so oder so nicht.
Er hatte seinen großen, kräftigen Körper an die Trennwand gleich neben dem Durchgang zum Bürobereich gelehnt und musterte mich mit vor der Brust verschränkten Armen und einem schiefen Lächeln. Ich konnte nicht anders, ich musste das Lächeln erwidern, obwohl die Art, wie er mich betrachtete, Anlass zu der Vermutung lieferte, dass es, ja, doch, bestimmt eine gute Idee wäre, einen hübschen Rahmen für das Bild von Michael und mir am Silvesterabend zu kaufen und es möglichst auffällig auf meinem Schreibtisch zu postieren.
»Ich dachte, sie sollten brillant und echte Programmierer sein«, sagte ich.
»Dann eben gelehrte Idioten«, sagte er. »Möchten Sie, dass ich mich um das Papier kümmere?«
»Sie sind ein Engel«, sagte ich. Und dann, voller Sorge, meine Begeisterung könnte ihn auf einen falschen Gedanken gebracht haben, konzentrierte ich mich stirnrunzelnd auf den Pager, während er seiner Wege ging.
Der Pager hatte seinen Zweck erfüllt, als wir umgezogen waren und niemand gewusst hatte, ob ich im alten Büro oder im neuen oder vielleicht auf dem Parkplatz zu finden war, um die Möbelpacker Gottesfurcht zu lehren.
Aber jetzt, da wir eingezogen waren und jeder stets wusste, wo ich zu finden war … Ja, es wurde Zeit für eine Diskussion mit Rob. Über den Missbrauch des Pagers.
Und über den Missbrauch meines Mobiltelefons, das in genau diesem Moment klingelte. Ich streckte die Hand aus und drückte auf die Taste, um das Gespräch anzunehmen.
»Dafür gibt es hoffentlich einen guten Grund«, sagte ich.
»Trügt mich meine Ahnung, oder hattest du heute keinen allzu angenehmen Vormittag?«, fragte Michael.
»Sorry. Ja, das könnte man so sagen«, sagte ich und sank zurück auf meinen Stuhl. »Aber eigentlich war er auch nicht schlimmer als die anderen. Von wo aus rufst du an?«
»Von einem der großen Parkplätze aus, die die Einheimischen in Los Angeles als Schnellstraßen bezeichnen. Die 110, glaube ich. Oder bin ich schon auf die 101 abgebogen? Na ja, bis zur nächsten Abzweigung habe ich noch mehr als genug Zeit, das herauszufinden; wir machen hier nur etwa drei Meilen in der Stunde.«
»Hört sich stressig an.«
»Vor allem langweilig«, sagte er glucksend. »Ich glaube, es wäre sehr viel stressiger, wenn ich wüsste, dass ich so etwas mehr als nur ein paar Wochen lang mitmachen muss. Aber jetzt, da ich weiß, wie dein Tag so läuft, will ich Details hören.«
Mit kurzen Unterbrechungen zur Weiterleitung von Anrufen erzählte ich Michael von meinem Vormittag und gab mir Mühe, unbeschwert und amüsant zu klingen statt genervt und weinerlich. Anscheinend hatte ich Erfolg.
»Kein Wunder, dass du dich so standhaft weigerst, mit mir nach Los Angeles zu kommen«, sagte er. »Ich habe am Set nicht annähernd so viel Spaß.«
Ich hoffte sehr, dass er es ernst meinte. Ich wusste, dass Michaels Figur in der Episode, die derzeit gedreht wurde, eine Amazonenprinzessin verführen musste. Das war exakt der Punkt, der mir an diesem TV-Auftritt nicht behagte – abgesehen davon, dass die Dreharbeiten am anderen Ende des Landes stattfinden mussten, natürlich. Warum konnten sie Michael nicht als pedantischen, puritanischen Mönch besetzen? Oder ihm irgendeine andere Rolle geben, die nicht davon geprägt war, alle möglichen weiblichen Gaststars zu umschwärmen? Ich betastete die weitgehend verheilten, aber immer noch sichtbaren Schnittwunden in meinem Gesicht und seufzte. Noch ein Grund, warum ich beschlossen hatte, vorerst in Caerphilly zu bleiben. In Bestform konnte ich mit meinem Aussehen schon nicht mit den zwanzigjährigen Filmsternchen mithalten, die das Aufnahmestudio bevölkerten, und auch wenn Michael anscheinend meine anderen Qualitäten zu schätzen wusste, war ich doch überzeugt, dass ich gut beraten wäre, einem direkten Vergleich mit diesen Damen aus dem Weg zu gehen, bis ich wenigstens optisch wieder einen halbwegs gesunden Eindruck zu vermitteln imstande wäre.
»Oh, Gott«, sagte ich.
»Was ist los?«, fragte Michael.
»Da kommt schon wieder dieser Postwagen. Bist du sicher, dass du Ted nicht bestochen hast, damit er das tut? Damit alles besser wäre als hier zu sein?«
Er lachte.
»Nein, aber das ist keine schlechte Idee«, sagte er. »Wer ist Ted und wie kann ich ihn erreichen, wenn ich ihn bestechen will?«
Wäre ich an Robs Stelle, dachte ich, würde ich Ted gegenüber hart durchgreifen – ich würde mit ihm sprechen und ihm sagen, dass er diesen ganzen Schabernack sein lassen sollte. Nicht weil er so störend wäre; dagegen konnte Ted mit der Behauptung kontern, wer immer sich beklagt hätte, hätte keinen Sinn für Humor. Aber er konnte kaum etwas dagegen einwenden, dass er, wenn er so viel Zeit mit Scherzen vergeudete, kaum in der Lage war, einen ganzen Arbeitstag mit seiner Arbeit zuzubringen. Und uns lief praktisch die Zeit für den letzten Auslieferungstermin von »Höllenanwälte II« davon.
Natürlich würde Rob, sollte ich ihm raten, Ted die Meinung zu sagen, vermutlich mich bitten, mich darum zu kümmern. Mich oder Liz, und ein Teil meiner Aufgaben als temporäre Büroleiterin bestand darin, Liz ein paar der nichtjuristischen Tätigkeiten abzunehmen, die Rob ihr aufgebürdet hatte.
Also sollte ich das Gespräch mit Rob hinausschieben, bis ich Zeit hätte, auch mit Ted zu sprechen. Aber vielleicht sollte ich mir überhaupt nicht die Mühe machen, mit Rob zu reden. Sondern einfach so tun, als hätte ich grünes Licht von Rob. Dann könnte ich Ted ohne Umwege ein wenig Gottesfurcht eintrichtern. Der Gedanke gefiel mir.
»Ich sollte jetzt aufhören«, sagte Michael gerade. »Nur noch eine Sache …«
Ich hörte ein Scharren neben meinen Füßen. Ich blickte hinab und sah, dass die Katze aus ihrem Versteck hervorgekrochen war und auf etwas einprügelte, das aus dem Postwagen heraushing. Es war ein schmutzig-weißes Computerkabel, die Art Kabel, mit der die Maus am Rechner angeschlossen wurde.
Warum fuhr Ted durch die Gegend und zog Mauskabel hinter sich her?
Meine Augen folgten dem Kabel zu Teds Kehle. Das Mauskabel war fest um seinen Hals gewickelt, und die Maus lag ordentlich auf seinem Brustkorb.
Ich warf einen Blick auf sein Gesicht, wandte mich aber sogleich wieder ab und wünschte, ich hätte gar nicht hingesehen. Er spielte nicht nur tot. Er war wirklich tot.
Einige Augenblicke saß ich nur da und sah zu, wie die Katze auf das herunterhängende Ende des Mauskabels einschlug. Dann fiel mir auf, dass etliche Lämpchen der Telefonanlage blinkten. Und dass George nervös wurde.
»Träum weiter«, sagte ich zu George.
»Was?«, fragte Michael. Ich hatte vergessen, dass ich immer noch das Telefon in der Hand hielt.
»Oh, Michael, tut mir leid; ich muss auflegen; ich glaube, dieses Mal ist er wirklich tot«, sagte ich und beendete das Gespräch.
Inzwischen blinkten sämtliche Lämpchen für eingehende Anrufe. Keine freien Leitungen mehr.
Kein Problem, dachte ich, ich benutze einfach den Panikknopf.
Nein, überlegte ich, als mein gesunder Menschenverstand sich wieder regte. Die einzigen Leute, die auf den Panikknopf reagieren würden, waren die Angestellten, die nach meiner nicht lange zurückliegenden Tirade darüber, dass man die Empfangsmitarbeiter in einer Notsituation nicht im Stich zu lassen habe, immer noch vor Angst erzitterten. Womit sie vermutlich zugleich die letzten Menschen waren, die ich in einem Notfall um mich zu haben wünschte.
Also fing ich an wie wild zu winken in der Hoffnung, dass Liz von ihren juristischen Fachbüchern aufblicken und mir zu Hilfe eilen würde.
Mein Mobiltelefon klingelte. Es war Michael. Natürlich; ich konnte das Mobiltelefon benutzen, um einen Anruf zu tätigen.
»Meg, was sollte das heißen? Wer ist wirklich tot?«
»Ted, der Scherzkeks«, sagte ich. »Hör mal, ich muss jetzt wirklich dringend die Polizei rufen.«
»Meg, kann ich nicht …«
»Nein. Draußen bleiben«, sagte ich. Ich stand in dem Durchgang zwischen Empfangsbereich und dem Rest des Büros, die Arme vor der Brust verschränkt, und hielt die Leute davon ab, das Gelände zu verlassen oder durch den Tatort zu latschen, ehe die Polizei eingetroffen war.
Na ja, jedenfalls einen Teil des Tatorts. Nach allem, was ich wusste, konnte Ted überall im Büro ermordet worden sein. Und zu jedem beliebigen Zeitpunkt während der letzten paar Stunden. Die wenigen Leute, die ich hatte fragen können, hatten ihn, wie ich, so erfolgreich ignoriert, dass sie, wie ich, keine Ahnung hatten, wann sie das letzte Mal irgendwelche Lebenszeichen seinerseits bemerkt hatten. Aber da ich so oder so keine Möglichkeit hatte, das ganze Büro abzuriegeln, sperrte ich wenigstens den Empfangsbereich ab. Lasst, die ihr auch nur daran denkt, hier einzutreten, ehe ich es euch erlaube, jede Hoffnung fahren …
»Aber ich brauche etwas zum Essen«, jammerte Frankie, der Eifrige. Ich legte die Stirn in noch strengere Falten, während ich mich fragte, ob Frankie überhaupt alt genug war, seinen Highschool-Abschluss hinter sich zu haben. Vielleicht die Junior High? Galten die Gesetze über Kinderarbeit auch für Programmierer?
»Später«, sagte ich. »Wenn die Polizei da ist. Wenn die Polizei sagt, Sie dürfen.«
»Och, bitte«, versuchte er es erneut.
»Vergiss es«, sagte sein deutlich kleinerer Kumpel, den ich als Rico erkannte, einen der Grafikdesigner. Genauer gesagt erkannte ich sein Rhode Island School of Design-T-Shirt; ohne dieses charakteristische Kleidungsstück wäre Rico nur ein weiteres unter vielen vage vertrauten neuen Gesichtern gewesen. Ich war immer noch nicht sicher, ob Rico nur dieses eine T-Shirt besaß oder ob ein gewisser Absolventeneifer ihn dazu veranlasst hatte, sich komplett dort einzukleiden. Die Überwachung einiger kennzeichnender Pizzaflecken ließ eher auf Ersteres schließen.
»Aber ich habe Hunger!«, heulte Frankie.
Rico sagte mit leiser Stimme etwas zu ihm.
»Okay«, sagte Frankie. »Ich schätze, ich kann auch später noch was essen.«
Sie machten kehrt und verschwanden. Natürlich hatten sie vor, sich rauszuschleichen. Und an der Hintertür würden sie auf Liz treffen, und die Chance, an ihr vorbeizukommen, war herzlich gering.
Dad, der zufällig im Büro war, weil er die Programmierer, die an dem neuen »Höllenärzte«-Spiel arbeiteten, mit seinem fachkundigen Rat unterstützen wollte, bewachte den Nebenausgang zum Hausflur. In einer Situation, von der so mancher Krimifan nur träumen konnte – ganz dicht an einem echten Mord –, wäre er vor Aufregung normalerweise völlig aus dem Häuschen und damit als Wachhund eher nutzlos. Aber da ich es ihm verwehrt hatte, Teds Leiche zu untersuchen, schmollte er derzeit, was ihn offenbar zu der Entscheidung geführt hatte, dass, wenn er keinen Spaß haben sollte, das auch für alle anderen zu gelten hatte.
Ich hoffte sehr, dass die Polizei einträfe, ehe irgendjemand einen Weg fand, sich zu Fluchtzwecken an der Hauswand abzuseilen.
Hinter mir ertönte ein Geräusch – die Eingangstür wurde geöffnet. Ich drehte mich um und fing an zu brüllen.
»Stehen bleiben! Ich sagte, niemand kommt hier rein, und ich habe es ernst gemeint!«
Die Tür, fünf Zentimeter weit geöffnet, rührte sich nicht mehr.
»Sie haben uns nicht erzählt, dass es hier um eine Geiselnahme geht«, murmelte eine mir fremde Stimme im Hausflur.
»Das tut es auch nicht«, hörte ich meinen Bruder Rob sagen. »Das ist nur meine Schwester Meg, die versucht, die Leute vom Tatort fernzuhalten. Meg? Rob hier. Ich habe die Polizei bei mir. Können wir reinkommen?«
»Natürlich«, sagte ich. »Sie hätten sich identifizieren sollen. Ich dachte, da draußen stünden nur noch mehr schaulustige Idioten.«
»Sie können draußen bleiben, Mr Langslow«, sagte die fremde Stimme. »Wir übernehmen jetzt.«
Ich hörte Gemurmel aus dem Hausflur, und dann wurde die Tür vorsichtig geöffnet, und ein Kopf erschien in meinem Blickfeld.
»Ms Langslow? Ich bin Chief Burke.«
Chief Burke war ein Afroamerikaner mit Glatze in mittleren Jahren, dessen Lachfältchen andeuteten, dass sein Gesicht häufiger von einem Lächeln geprägt war als von dem derzeit präsenten angespannt finsteren Blick.
»Bitte, kommen Sie rein, Chief«, sagte ich. »Ich versuche nur, all die Gaffer fernzuhalten.«
»Das wissen wir zu schätzen«, sagte er und trat einen Schritt weiter in den Empfangsbereich. »Könnten Sie …? Ups!«
Ich hörte einen dumpfen Aufschlag, gefolgt von der quäkenden Stimme des Bekräftigungsbären.
»Wann immer mich etwas ärgert, halte ich inne, atme tief durch und versuche, die komische Seite der Situation zu sehen.«
»Gottverdammt leicht gesagt«, grollte der Chief, ehe er hinzufügte: »Wer zum Teufel hat das überhaupt gesagt?«
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich schätze, Sie sind über den Bären gestolpert.«
Inzwischen hatte er den Bären unter sich hervorgefischt und musterte ihn stirnrunzelnd. »Der spricht?«
»Drücken Sie auf den Bauch«, riet ich ihm.
Er tat es, wenn auch zögernd.
»Kräftiger«, sagte ich. »Lassen Sie Ihren Ärger darüber, dass sie über ihn gestolpert sind, an ihm aus.«
Der Chief schlug kräftiger zu, und seine Haltung brachte mich auf den Gedanken, dass er in seiner Jugend vermutlich geboxt hatte.
»Verschließe nicht deinen Ärger und deine verletzten Gefühle in deinem Inneren«, riet der Bär. »Finde positive Wege, um negative Gefühle auszudrücken.«
»Vorlautes kleines Ding«, kommentierte der Chief und stemmte sich mit der Hilfe eines besorgt wirkenden uniformierten Officers auf die Beine. »Hoffentlich will keiner meiner Enkel so etwas zu Weihnachten. Also … guter Gott.«
Er hatte George bemerkt.
»Büromaskottchen«, erklärte ich hastig.
»Oooo-kay«, sagte der Chief. »Für einen Moment dachte ich, Sie hätten vielleicht etwas zu lange gewartet, ehe Sie uns angerufen haben.«
Wir lachten beide – nervös und vielleicht ein bisschen kräftiger, als der Witz es verdient hätte. Ich ertappte mich bei der Frage, wie viele Morde man hier in Caerphilly wohl zu sehen bekam.
»Wir werden die Leute vom Tatort entfernen müssen, solange wir hier ermitteln«, sagte er.
»Das dachte ich mir«, sagte ich. »Können wir die Leute zum Parkplatz hinuntertreiben?«
»Nun, mit Tatort meinte ich nur diesen Raum hier. Den, in dem er ermordet wurde.«
»Ja, schon, aber er wurde nicht hier ermordet. Er wurde auf dem Postwagen ermordet.«
»Der hier im Empfang steht.«
»Ja, jetzt; aber hier wurde er bestimmt nicht umgebracht. Ich habe den ganzen Vormittag an der Telefonanlage gesessen. Ich denke, etwas so Bizarres wie die Strangulierung eines Kollegen mit einem Mauskabel hätte mir auffallen müssen.«
»Äh … ja«, sagte der Chief und sah sich zu George um. »Also wurde die Leiche bewegt.«
»Eigentlich nicht. Er lag auf dem Postwagen.«
»Soll das heißen, irgendein Irrer hat das Ding hier hereingeschoben, ohne auch nur zu merken, dass oben drauf eine Leiche liegt?«
Ich klärte ihn über den automatisierten Postwagen auf, über Teds Besessenheit von dem Ding und über seine ärgerlichen Marotten des heutigen Vormittags.