BrandFuture - Praktisches Markenwissen für die Marktführer von morgen - Achim Feige - E-Book

BrandFuture - Praktisches Markenwissen für die Marktführer von morgen E-Book

Achim Feige

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Beschreibung

So machen Sie Ihre Marke in Zukunft zur Nummer einsMarkenführung ist ein sich ständig weiter entwickelnder Bereich. Welche Probleme und Chancen können sich in den nächsten Jahren ergeben und welche Trends und Kundenwünsche müssen beachtet werden? Achim Feige, welcher der führende Spezialist für zukunftsorientierte und trendgestützte Markenführung ist, hat deswegen sieben evolutionäre Gesetze der Markenführung entwickelt, die als Leitfaden über alle Marketing-Moden hinaus genutzt werden können. So lernt man, wie man seine Marke nicht nur heute, sondern auch in Zukunft an die Spitze bringen kann.-

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Achim Feige

BrandFuture

Praktisches Markenwissen für die Marktführer von morgen

Saga

BrandFuture - Praktisches Markenwissen für die Marktführer von morgenCopyright © 2008, 2019 Achim Feige and und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726138658

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Zur Einführung

Ihre Welt scheint in Ordnung. Ihre Marke ist gut positioniert. Vielleicht sind Sie heute in Ihrem Markt die Nummer eins, die begehrteste Marke. Wird das aber auch morgen und übermorgen so sein? Wissen Sie, wie Sie morgen die Nummer eins bleiben? Oder welche Trends Sie nutzen können, um aus einer Nummer drei die Nummer eins zu werden?

Noch nie hat sich die Welt so rasant und grundlegend verändert wie heute. Und noch nie geschah dies so umfassend in gesellschaftlicher, kultureller, wirtschaftlicher, technischer wie auch klimatischer Hinsicht. Es ist nicht nur rasender Stillstand, wie es der Medienphilosoph Paul Virillio beschrieb, sondern es handelt sich auch um tektonische Verschiebungen und Veränderungen in der Art, wie wir leben und konsumieren werden.

Was bedeuten diese radikalen Umbrüche und Veränderungen mit all ihren Konsequenzen und der dadurch weiter steigenden Komplexität für die Markenführung in der heutigen Zeit? Was bedeuten sie für die Entwicklung von zukunftsorientierten Markenstrategien? Und vor allem: Was bedeutet dieser Wandel für Ihre Marke und Ihre Position im Markt? Bieten Sie vielleicht schon Antworten auf Fragen, die keiner mehr stellt? Brechen Ihnen ganze Kundengruppen weg, verschlafen Sie neue Potenziale? Wo entstehen Risiken und wo gibt es künftig mehr Potenzial?

Die folgenden Seiten blicken hinter die Muster des Wandels: Was bleibt trotz dieses Wandels gleich, was ändert sich kaum? Menschen und Kulturen sind träge Stabilitätssysteme, und Marken werden nicht an sieben Tagen geschaffen, sondern sedimentieren sich über Jahre und Jahrzehnte in den Köpfen der Kunden. Dieses Buch soll Ihnen zeigen, wie Sie auch in Zukunft systematisch eine Nummereins-Position aufbauen können.

Abgesehen davon, was diese Veränderungen konkret auf der spezifischen Ebene der jeweiligen Märkte, Marken und Strategien bedeuten, eines steht fest: Eine zukunftsorientierte Markenführung muss die Tatsache des kontinuierlichen Wandels integrieren, ihr gewachsen sein und sie nutzen können. Dazu bedarf es einer dynamischen Methodik, die auf erprobten, zeitlosen Erfolgsfaktoren für nachhaltiges Überleben basiert. Und diese Erfolgsfaktoren findet man in der modernen Evolutionstheorie.

Denn das ist die Grundidee: Was für die Entwicklung der Spezies gilt, hat auch bei lebenden Systemen wie Marken seine Gültigkeit. Marken haben, ähnlich wie Lebewesen, einen «genetischen» beziehungsweise memetischen Code. Meme sind kulturelle Einheiten, Vorstellungen, Bilder und Überzeugungen, die durch Schrift, Sprache, Ritual und Imitation von einem Individuum auf andere übertragen werden und sich dadurch selbst reproduzieren. Der Begriff wurde erstmals 1999 von der britischen Psychologin und Kognitionswissenschaftlerin Susan Blackmore verwendet und hat sich seitdem seinen festen Platz in der Evolutionspsychologie und der Evolutionstheorie erworben.

Meme sind also einer von mehreren Bestandteilen in einem Konzept zukunftsorientierter Markenbildung. Und da wir es bei Marken mit sich selbst reproduzierenden «Lebewesen» zu tun haben, liegt es nahe, auch die Evolutionsgeschichte, wie sie Darwin begründet hat, als universelle Wissenschaft des nachhaltigen Überlebens in eine neue Methodik für die strategische Markenführung zu integrieren. Dies, verknüpft mit Erkenntnissen aus der Trendforschung, ergibt einen ganzheitlichen Ansatz für die zukunftsorientierte Markenführung. Ich habe diesen Ansatz BrandFuture genannt.

BrandFuture weist damit zwei ganz entscheidende Vorteile auf: Es funktioniert unabhängig von gerade vorherrschenden Marketingtrends. Es basiert auf bewährten Erfolgsprinzipien, die sich über Jahrtausende im Wettbewerb des sich kontinuierlich wandelnden Lebens durchgesetzt haben.

BrandFuture versteht sich als neuer europäischer Ansatz, der die evolutionstheoretischen Prinzipien für das Führen von Marken fruchtbar macht und erstmals mit Trendforschung und Archetypologie beziehungsweise der Theorie des kollektiven Unbewussten verknüpft.

Die daraus entwickelte Methodik gibt Unternehmern und Markenverantwortlichen ein konkretes Instrument an die Hand, mit dem sie die Zukunftsfitness ihrer Marke laufend überprüfen und sicherstellen können. In diesem Sinn will ich mit diesem Buch jenseits der gängigen How-to-do-Literatur Licht in den Methodendschungel bringen. Inhaltlich schlägt es die Brücke zwischen theoretisch fundiertem Wissen und praxisorientierter Anleitung und ist mit vielen prägnanten Beispielen angereichert.

Eine starke Marke hat auch starke Grenzen, so ist es vielleicht hilfreich, auch zu sagen, was BrandFuture nicht ist: Dieser Band ist kein Trendbuch, das ausschließlich die neuesten Hypes aus den USA oder aus London feiert. Es ist ist auch kein Buch, in dem es nur von amerikanischen Marken wimmelt. Und warum? Nennen Sie mir bitte eine amerikanische Premiummarke. Egal welche Sie nehmen, sie ist meist nur bekannter, aber selten attraktiver als europäische Marken.

Das Buch wird auch nicht nur von Second Life, Mobile Branding und dem Web 2.0 handeln. Zukunft findet auch jenseits des Internets statt. Es ist auch nicht simplifizierend wie zum Beispiel die «Mäuse-Strategie», und es soll auch kein abstraktes, rein wissenschaftliches Theoriebuch sein.

Buch und Ansatz schöpfen aus meiner langjährigen Erfahrung mit BrandTrust, die ich als internationaler strategischer Markenberater in unterschiedlichen Branchen gemacht habe und sind inspiriert aus meiner Tätigkeit als Trendconsultant am Zukunftsinstitut von Matthias Horx. Ist es doch gerade die Frage nach der Zukunft, die Frage, wie wir leben werden und wo neue Bedürfnisse aus sich wandelnden Lebensknappheiten entstehen, die eine der größten Herausforderungen für das (Re-) Positionieren und Führen von Marken ist, um dauerhaft die Nummer eins in den Köpfen der Kunden bleiben zu können.

Marken müssen sich wandeln, um gleich zu bleiben

In meiner Arbeit und bei meinen Vorträgen werde ich immer wieder gefragt, welche Erwartungen in die Zukunftsentwicklung man zu hegen habe und wie man Marken und Unternehmen zukunftsfähig mache. Das ist zweifelsohne eine Schlüsselfrage, denn sie enthält ein Paradoxon, das wir tagtäglich operativ wie strategisch ausbalancieren müssen.

Zum einen ist eine Marke ja immer die Summe der positiven Vorurteile, die sich in all den Jahren ihrer Existenz angesammelt haben, ausgestattet mit ihren Potenzialen, aber auch mit ihren Grenzen, die nicht beliebig an jede Veränderung angepasst werden können. Zum anderen muss sich eine Marke aber durchaus öffnen und anpassungsfähig sein, um bei neuen gesellschaftlichen Trends, veränderten Kundenbedürfnissen und Wettbewerbssituationen attraktive und überzeugende Antworten liefern zu können. In diesem Spannungsfeld von Vergangenheit, die eine Marke und deren Werte geprägt hat, und Zukunft, für die sie sich fit halten muss, bewegt sich der dynamische Ansatz von BrandFuture.

Ob BrandFuture für die Herausforderungen gut geeignet ist, wird man sehen. In der Beratung meiner Kunden hat sich der Ansatz beim Kreieren von innovativen Markenkonzepten sehr bewährt und sich in der Umsetzung als erfolgreich erwiesen. Ich bin sicher, dass dieses Buch auch Sie inspirieren wird, mehr aus Ihrer Marke herauszuholen. Es soll Sie ermutigen, Schritte ins Unbekannte zu wagen, um aktiv eine wertvolle Zukunft für sich, Ihre Marke, Ihre Kunden und damit auch für die Gesellschaft zu entdecken. Die Zukunft ist nicht sicher, sondern nur möglich. Wir haben die Aufgabe, das Mögliche zu finden, das Wahrscheinliche zu prüfen und das Wünschbare zu probieren. Oder wie Albert Camus gesagt hat: «Die wahre Großzügigkeit der Zukunft gegenüber besteht darin, in der Gegenwart alles zu geben.»

Für Feedback, Anregungen oder auch einen Erfahrungsaustausch stehe ich Ihnen gerne unter [email protected] / [email protected] oder in meinem Blog www.brand-trust.de/blogzur Verfügung.

Nürnberg im Juli 2007Achim Feige

Kapitel 1 Herausforderungen für die Markenführung im 21. Jahrhundert

Noch Ende der 1980er-Jahre gab es in Deutschland eine wunderbare Faustregel für den Aufbau einer starken Marke. Markenberater und Werbeagenturen gaben unisono die gleiche Antwort: «Sie müssen mindestens sechs Millionen D-Mark in Werbung investieren, dann wird es schon werden mit einer national bekannten Marke.»

Der eine oder andere wird sich vielleicht noch an die guten alten Zeiten der Werbung und Markenführung zurückerinnern. Aber diese Zeiten sind vorbei. Die Welt hat sich seither rasant und radikal verändert. Der ständig fortschreitende Wandel spielt sich zudem heute um einiges schneller ab als früher. Neue Kommunikationsmittel und die konvergierende Medienlandschaft ermöglichen immer neue Kanäle und individuellere Vernetzungen.

Es versteht sich von selbst, dass sich auch die Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte der Kunden verändern. Und wenn sich die Welt, die Kunden und die Medien verändern, so müssen sich auch die Marken und die Art der strategischen Markenführung diesen Veränderungen stellen. Marken, die es schaffen, sich immer wieder optimal neuen Bedingungen und Bedürfnissen anzupassen, ohne ihre Kernwerte aufzugeben, werden vom Wandel profitieren, neue Märkte erschließen und erfolgreich sein. Wer den Anschluss aber verpasst, wird auf der Verliererseite stehen, die Preise senken müssen und schrittweise aus dem Markt ausscheiden. Diese Gefahr war wohl noch nie so groß wie jetzt, da im globalisierten Markt, insbesondere in bereits etablierten Geschäftsfeldern, immer mehr Anbieter mitspielen. Innovation wird also zu einem Muss, zu einer Überlebensstrategie.

Zeiten schnellen Wandels bergen auch Fallstricke, die es zu vermeiden gilt. Gerade bei einer Vielzahl von Neuerungen in relativ kurzer Zeit besteht die Gefahr, den Überblick beziehungsweise die eigene Fokussierung zu verlieren und einen Schnellschuss in die falsche Richtung abzufeuern. Das Gegenteil, zu lange nur zuzuschauen, wie sich Veränderungen weiter entwickeln, ohne sich wirklich ernsthaft über das immer wieder erforderliche (Re-) Positionieren der eigenen Marke Gedanken zu machen, kann fatal sein. Gefährlich ist auch, einfach wie bislang auf alte, früher vielleicht noch bewährte Markenführungskonzepte zu setzen und den größten Teil des Budgets für klassische Werbung auszugeben. Aber eine Marke bildet sich eben längst nicht mehr nur durch klassische Werbung.

Können Sie sich noch an die Zeit vor der Verbreitung der Mobiltelefone erinnern? Die Mobilkommunikation hat nicht nur unsere Arbeitswelt radikal verändert, sondern auch unser Privatleben. Wissen Sie noch, wie man sich früher verabredet hatte, ohne Kurzmitteilungen per Mobiltelefon? Knapp zehn Jahre ist es her, seit das Internet seinen Siegeszug antrat. So einschneidend die technologischen Entwicklungen sind, die unser Leben prägen, so schnell werden sie zu selbstverständlichen Alltagsgegenständen, ohne die man sich das Leben schon fast nicht mehr vorstellen kann. Vergegenwärtigen wir uns deshalb in einem kurzen Rückblick, welche wesentlichen Veränderungen allein in den letzten zwanzig Jahren der Welt ein neues Gesicht gegeben haben und welche Herausforderungen für die Markenführung daraus entstehen.

Die friedliche 1989er-Revolution: Beginn der multipolaren Ökonomie

Der Zerfall der zwei politischen Nachkriegsblöcke durch die Implosion des Warschauer Paktes 1989 war der Startschuss für eine bisher nie da gewesene Globalisierungswelle und das Erwachen der schlafenden Riesen Russland, China und Indien. Dies hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass sich die politische, aber auch ökonomische Welt von einer atlantischen Fixierung zwischen den USA und Europa zu einer multipolaren, multikulturellen Ökonomie wandelt, in der sowohl neue Märkte als auch über 1,5 Milliarden neue Kunden am großen Spiel des Wohlstands teilnehmen. Internationale Marken müssen nun immer (!) interkulturell geführt werden, sie müssen Einflüsse nicht nur aus den USA, sondern auch aus Mittelosteuropa und Asien integrieren. Die Wünsche dieser neu hinzugekommenen globalen Mittelklasse und die neuen Reichen werden nicht nur unser Leben, sondern auch durch ihre Kaufkraft und Wünsche den Konsum beeinflussen.

Wie nutzt Ihre Marke die neuen Märkte in Mittel- und Osteuropa und Asien?

Die 1995er-Revolution: Das Entstehen des Internets

Mit der Erfindung des Netscape Internet Browsers wurde es erstmals für jedermann möglich, sich mit Hilfe des World Wide Web (WWW) selbstständig über die verschiedensten Themen Informationen zu beschaffen und sich mit Gleichgesinnten in Foren wie «Boards» und «Chatrooms» über Wissenschaftliches und Nichtwissenschaftliches auszutauschen. In der Folge entstand, gespeist durch Milliarden von Venture-Capital-Dollars, eine ganz neue Ökonomie mit bislang unbekannten Handelsplattformen, wie zum Beispiel Ebay, mit revolutionären, personalisierten Onlinestores wie etwa amazon.com und mit Suchmaschinen wie Yahoo und Google.

Trotz des großen weltweiten Knalls an den Börsen Anfang 2000 und des Zerplatzens der New-Economy-Blase ist die Welt durch das Internet und die daraus resultierenden Geschäftsmodelle eine andere als zuvor: Eine unverändert schnell ansteigende Anzahl Menschen nimmt fortan an den weltweiten Märkten teil, und die Geschwindigkeit des Informations- und Warenaustauschs hat sich multipliziert. Die New Economy lebt also weiter. Sie hat nur eine andere Gestalt angenommen. So nutzen heute alle innovativen Unternehmen und Marken ihre Internet-Technologien, um Wert zu steigern oder die Transaktionskosten zu senken. Wie heißt es so schön: Wir überschätzen innovative Technologien oder Themen kurzfristig, aber unterschätzen ihre Wirkung langfristig.

Wie führen Sie Ihre Marke jenseits der klassischen Massenmedien und nutzen das Internet?

11. September 2001: Die Rückkehr des Terrors und des Kulturbewusstseins

So tragisch es klingen mag, erst der menschenverachtende Anschlag auf das World Trade Center hat der Wirtschaftswelt wieder bewusst gemacht, dass es mehr gibt als die weltumspannenden Kapitalmärkte, dass unterschiedliche Religionen und Werthaltungen maßgeblich bestimmende Faktoren sind und der westliche Lebensstil nicht das einzige Maß aller Dinge ist. Wer wirklich global agieren möchte, so die Einsicht, muss unterschiedliche Kulturen mit ihren Befindlichkeiten, den ihnen eigenen Kultur-Codes und daraus resultierenden Wünschen, Werten und Sehnsüchten verstehen, akzeptieren und einbringen. Eine globale Marke ohne kulturelle Adaption gibt es nicht. Globales Bewusstsein kann nur auf der Basis von Kenntnis, Verständnis und Akzeptanz des jeweils Anderen entstehen. Das persönliche Vollziehen der inneren Globalisierung ist wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der äußeren Globalisierung.

Ist Ihre Marke kulturell «diverse» und offen?

EU27: Das neue Europa und das Ende national-staatlichen Denkens

Ausgehend vom wesentlich ökonomisch motivierten Wunsch, eine große, harte Währung und damit auch einen gemeinsamen Wirtschaftsraum in Europa für knapp 500 Millionen Menschen zu schaffen, feiert die europäische Kultur, meist noch ohne dass sie sich dessen wirklich bewusst ist, die Geburt eines «Europäischen Traums». Der Begriff «Europäischer Traum» stammt – wie könnte es anders sein – von einem amerikanischen Wissenschaftler, dem ehemaligen Regierungsberater und Erfolgsautor Jeremy Rifkin.

Rifkin schreibt Europa als Heimat der sozialen Gesetzgebung und weltweiten Verfechter der Menschenrechte eine führende Rolle in der Globalisierung zu. Er sieht in der Europäischen Union das erste übernationale Netzwerk, in dem es Nationen gelingt, miteinander zu kooperieren und gemeinsam sowohl Wohlstand als auch Lebensqualität zu schaffen und zu mehren.

Insbesondere hinsichtlich neuerer gesellschaftlicher Werte wie ökologische Nachhaltigkeit oder Work-Life-Balance sieht er Europa in der Vorreiterrolle für das Entstehen einer vernetzten und nachhaltig agierenden globalen Kultur. Wir erleben durch den Export von europäischen Luxusmarken und Imitation europäischer Lebensart, dass europäische Werte sowohl in den USA als auch in den aufstrebenden Ländern als eine Art Leitkultur im Zeichen des Aufstiegs zelebriert werden.

Europa als Kulturraum mit seinen 500 Millionen Einwohnern kann, allen Unkenrufen zum Trotz, eine gestaltende Macht für ein besseres Leben werden. Dies gelingt nur, wenn wir als Markenführer das Selbstbewusstsein entwickeln, unsere spezifischen Werte und unsere ökonomische Kraft einzusetzen. Die Werte sind Einheit in der Vielfalt, Freiheit, Toleranz, Nachhaltigkeit und ein modernisierter und leistungsbasierter Gerechtigkeitssinn. Nur wenn wir uns auf unsere eigenen Stärken besinnen, diese ausbauen und nicht immer nach den Vereinigten Staaten schauen, wird ein Label «Made in Europe» weltweit zum Kassenschlager.

Wie «Europa-fit» ist Ihre Marke und wie nutzen Sie europäische Werte in der Markenführung?

Das «Kreative Zeitalter»: Die neue Welle der Wertschöpfung

Durch die zunehmende Automatisierung wesentlicher, ehemals durch Menschen erarbeiteter Wertschöpfungsstufen stellt sich die Frage, wo denn die Quellen unserer Wertschöpfung sein werden, wenn die Globalisierung und die Verlagerung von Produktionsstätten so weitergehen. Mit dieser Frage eng verbunden ist der Aufstieg von China und Indien («Chindia») als weltweite Standorte für die Produktion jeglicher Waren, Software-Entwicklung und intelligenter Dienstleistungen.

In der westlichen Welt entstehen durch den Überfluss und die Überernährung zunehmend neue Bedürfnisse nach Kreativität, Aufmerksamkeit, Selbstverwirklichung, Design, aber auch nach Fürsorge und Lebenskunst. Es sind Lebensknappheiten dieser Art, die eine weitere Stufe in der Wertschöpfungskette schaffen. Um sie zu befriedigen, werden Kunden künftig viel Geld ausgeben. Besonders Menschen, die in Berufen arbeiten, die im weitesten Sinn künstlerisch, kreativ und wissensbasiert sind, haben mit ihrer neuen Selbstständigkeits- und Selbstdarstellungskultur das «Kreative Zeitalter» bereits eingeläutet. Marken können hier als Begleiter und Inspiratoren für Kreativität wirken.

Macht Ihre Marke im kreativen Zeitalter noch einen relevanten Unterschied?

Web 2.0:Die Machtübernahme durch die Konsumenten

Im Gegensatz zur ersten Welle des Internets, die im Wesentlichen zunächst die Transaktionskosten zwischen Unternehmen und Kunden reduzierte und in deren Folge auch ganze Distributionskanäle ins Web verlagert wurden, ermöglicht das Web 2.0 die Machtübernahme durch die Konsumenten und stellt damit eine Entmachtung der klassischen Massenmedien dar.

Anwendungen des Web 2.0 stellen Plattformen wie zum Beispiel flickr.com oder youtube.com dar, die es den Anwendern erlauben, ihre kreativen Leistungen wie beispielsweise Fotografien und Videofilme mit einigen wenigen Mausklicks in der ganzen Welt zu veröffentlichen. Internetnutzer können auf Seiten wie linked-in.com oder xing.de aber auch ihre eigene Identität gemeinsam mit ihrem sozialen Netzwerk einstellen oder ihre eigenen Inhalte produzieren. Mit Hilfe von viralen Effekten wie Weiterempfehlung, Reputation durch Sternebewertung und Talk Value durch charmante Geschichten schafft die so genannte User-Community ihre eigenen Märkte und beginnt das Spiel von Angebot und Nachfrage immer wesentlicher zu beeinflussen.

Dieses aktive Kommunikationsverhalten der Konsumenten hat mittlerweile rund 80 Millionen Internetblogs entstehen lassen. Die neue Medienkultur ändert natürlich auch die Art der Meinungsbildung. Meinungsmacher sind nicht mehr nur gängige Medien und Fachexperten, sondern zunehmend auch selbst ernannte Hobby-Journalisten, die es zuweilen zu einer sehr hohen Community-Reputation bringen. Fernsehen wird für viele, insbesondere gebildete, aber auch jüngere Schichten zu langweilig. Viel spannender und befriedigender ist es, eigene Inhalte zu produzieren und ins Netz zu stellen oder auch über weltweit vernetzte Onlinespiele wie «World of Warcraft» in Parallelwelten einzutreten.

So werden Buchhalter in ihrer zweiten Welt zu Zauberern, die böse Geister austreiben, oder bauen sich in der pseudorealen virtuellen Welt von «Second Life» zusammen mit drei Millionen anderen Benutzern eine neue parallele Existenz auf. Dort versuchen sie, ein besseres Leben zu führen und dem echten Alltag neue Erfahrungen wie spontanen Sex im virtuellen Café hinzuzufügen. Nun ist es mit dem virtuellen Sex wie mit dem virtuellen Steak – also nicht wirklich befriedigend. Dass aber die Ausweitung der Fantasie aus dem eigenen Kopf in die technische Virtualität Konsequenzen in der persönlichen Wahrnehmung hat, steht außer Frage. Marken werden sich hinbewegen zu interaktiven Erfahrungsräumen oder Serviceplattformen für «Life-Design». Sie sind Dialogforen für innovative Zukünfte.

Wie nutzen Sie die sozialen Medien des Web 2.0 für Ihre Marke?

Das Ende des klassischen Marketings: Es wird als solches durchschaut

Nach über 40 Jahren Erfahrung im Umgang mit Wohlstand und damit auch mit den herkömmlichen Marketingmethoden und -formaten, mit echten und falschen Werbeversprechen lassen sich Konsumenten immer weniger etwas vormachen. Sie informieren sich über Produkte in Meinungsforen und Warentests und wissen immer genauer, was sie wirklich wollen.

Vorbei ist es mit der Passivität. Kunden erwarten von einem Unternehmen heutzutage – und künftig immer stärker – authentische Kommunikation und Produkte sowie Dienstleistungen, die die versprochene Qualität tatsächlich aufweisen. Letztendlich müssen Angebote im Austausch mit dem Konsumenten selbst, als individuelle Maßanfertigung, zu ihrem «eigenen» Produkt werden. Marken, die manipulativem Marketing oder manipulativer PR unterliegen, geraten immer stärker unter Druck.

Wie machen Sie Marketing, wenn herkömmliche Techniken durchschaut werden?

«Me-too» funktioniert nicht mehr

In überfüllten, überreifen und somit übersättigten Märkten wird es immer schwieriger, für Kunden wirklich neue, das heißt spürbar neue Innovationen zu lancieren. Deswegen versuchen viele Unternehmen und Marken entweder einem Trend zu folgen (Follower-Strategie) oder auf den Zug des Innovationsführers aufzuspringen und ihn zu kopieren (Me-too-Strategie). Aber fast 75 Prozent der Markteinführungen scheitern langfristig. Oder Unternehmen scheitern, weil sie Innovationen oder Produktsegmente im Markt etablieren wollen, die entweder nicht relevant genug oder irrelevant sind.

In diesem Umfeld wird die Kunst der wirklichen Produkt- und Markeninnovation zu einem wesentlichen Baustein der zukünftigen Markenführung, um für die (über) kritischen Kunden der heutigen Zeit einen wirklich wertigen Unterschied zu schaffen. Die Schlüsselherausforderung für eine Marke ist es, systematisch und kontinuierlich neue Nummer-eins-Positionen zu entdecken und für sich zu besetzen. Sie muss ein echtes Marken-Innovationsportfolio entwickeln, um nicht beliebig jedem Trend hinterherzulaufen oder den Wettbewerb zu kopieren.

Wie finden Sie systematisch einzigartige Nummer-eins-Positionen, statt nur hinterherzulaufen?

Neue Lösungswege, die gleichzeitig Komplexität reduzieren

Diese acht vorgenannten Meilensteine des gesellschaftlichen Wandels und die sich daraus ergebenden Herausforderungen machen klar, dass eine Fortsetzung der bisherigen Vorgehensweise in der Markenführung nicht mehr den gewünschten Erfolg bringen kann und Sie nicht in die Nummer-eins-Position bringt. Denn die alten Methoden der Manipulation, der Massenmedienwerbung, der monologischen Kommunikation, der reinen, subtanzlosen Kreativität, der Imitation der Wettbewerber, der Segmentierungen nach Soziodemografie zielen über kurz oder lang an den wesentlichen Bedürfnissen der Konsumenten und ihrer Mediennutzung vorbei. Wie kann die Antwort lauten?

1. Variante: Übervereinfachung und Regression

Wie vermeidet man in solchen Situationen des Übergangs, der Komplexität und der Unübersichtlichkeit einen Rückzug auf bislang Bewährtes? Man wünscht sich regressiv back to the roots, zurück zu den Wurzeln, und verschanzt sich hinter den alten Faustregeln wie zum Beispiel: «Eine Marke ist eine Marke, weil man sie erkennt», oder sucht Halt in Übervereinfachungen wie keep it strictly simple and stupid. Statt die Waffen zu strecken und gar das Ende des Marketings überhaupt oder ein postmodernes «Alles geht» auszurufen, die Preise zu senken und damit jede Hoffnung auf qualifizierte Markenführung fallen zu lassen, ist es sicher empfehlenswerter, sich dem Wandel zu stellen und neue Lösungswege zu beschreiten. «Man soll die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher», hat Albert Einstein treffend gesagt.

2. Variante: Kompliziertheit und Normierung

Wo sind solch neue Lösungswege und Ansätze zu finden? Man versucht, auf die neue und zunehmende Komplexität in typisch deutscher Manier mit einem Buch zu reagieren, das anhand einer Vielzahl von Paragraphen einzelne Aspekte erfolgreicher Markenführung benennt, ohne konkrete, ganzheitliche und schnelle Lösungswege aufzuzeigen. Man würde auf Komplexität mit Kompliziertheit und Normierung reagieren. Entscheidender Nachteil für die Praxis ist die Tatsache, dass die Normierung den fortwährenden Veränderungsprozess der Rahmenbedingungen überhaupt nicht berücksichtigen kann. Daher gehe ich anders vor.

3. Variante: Die «simplexe» Theorie von BrandFuture

BrandFuture zäumt das Pferd quasi von hinten auf und wählt einen komplexitätswissenschaftlich bewährten Ansatz, um die Komplexität zu reduzieren. Dieser Ansatz erkennt die Komplexität der Markenführung an. Aber er reduziert die Positionierungsoptionen nicht auf vier Dimensionen Preis, Premium, Service und Emotion, wie ich es heute immer noch manchmal erlebe. Gleichzeitig ist er einfach genug anwendbar. Es verschafft eine gefühlte Einfachheit in der Anwendung auf höherer Ordnungsebene und ist daher, neudeutsch, «simplex».

Statt sich bereits am Anfang in unzähligen Einzelheiten zu verlieren, lassen sich unter Rückgriff auf die Evolutionstheorie Gesetzmäßigkeiten für die Markenentwicklung definieren. Indem wir uns dadurch methodisch auf eine höhere Ebene begeben, reduziert sich die Komplexität, ohne aber unzulässig zu vereinfachen. Auf diese Weise können wir uns zunächst über die wesentlichen Erfolgsfaktoren – die sieben Gebote – für ein nachhaltiges Überleben und Gedeihen einer Marke bewusst werden.

Kapitel 2 Sieben Gebote als grundlegende und zeitlose Gesetze für die Markenführung

Die Relevanz der modernen Evolutionstheorie für das Führen von Marken ergibt sich aus der memetischen Definition von Marke, die diese als lebendes System versteht. Ähnlich den Genen wollen sich die Informationsträger einer Marke, die Meme, replizieren. Für die entscheidende Frage, welche Meme beziehungsweise Marken sich im hoch kompetitiven Umfeld langfristig behaupten werden, sind die gleichen Erfolgsfaktoren ausschlaggebend wie im Universalprinzip der Evolution: Fitness und Sexiness. Diesem Prinzip sind alle lebenden Existenzformen von der Bakterie bis zur Marke untergeordnet. Grundlegend für die Bedeutung dieser Prinzipien in der Markenführung ist die evolutionäre Markendefinition.

Für den Begriff «Marke» sind unterschiedlichste Definitionen im Umlauf. Unter der Internetadresse markenlexikon.de finden sich zurzeit denn auch rund fünfzig Ansätze zum Thema Marke und Markenführung. Dies erklärt sich teilweise damit, dass Markenführung eine sehr junge und daher noch «unreife» Kommunikationswissenschaft ist, die deshalb noch unter einer babylonischen Sprach- und Begriffsverwirrung leidet, und es im Übrigen in den Kulturund Geisteswissenschaften per se viele Wahrheiten gibt.

Die einen verstehen unter Marke nur das Logo, das Corporate Design und die Werbung. Die anderen sehen Marke als Verdichtung von rationalem und emotionalem Nutzen, der in kreativen Kampagnen ausgedrückt wird. Andere setzen Marke mit Bekanntheit gleich. Doch was helfen 90 Prozent Bekanntheit, wenn Menschen die Marke nicht haben wollen? Dann ist sie bestenfalls eine «OutBrand».

Historisch betrachtet entstand die Marke, um in erster Linie als Vertrauens- und Qualitätsgarant die Distanz zwischen Hersteller und Endkonsument zu überbrücken. Der Marketing-Guru Philip Kotler meint, eine Marke sei etwas Gekennzeichnetes, «ein Name, Begriff, Zeichen, Symbol, eine Gestaltungsform oder eine Kombination aus diesen Bestandteilen zum Zwecke der Kennzeichnung der Produkte oder Dienstleistungen eines Anbieters oder einer Anbietergruppe und zu ihrer Differenzierung gegenüber Konkurrenzangeboten».

Dies ist aber eine nur auf die kommunikative Oberfläche reduzierte Definition, die der Leistung und Substanz einer Marke nicht gerecht wird. In den 1990er-Jahren kam die Theorie der «fraktalen Marken» auf: Danach sind Marken Einheiten, die sich selbstähnlich verschiedensten Nischen anpassen, ohne ihre übergreifende Identität zu verlieren. Das ist meines Erachtens eine gute Definition, die aber auf Grund ihrer Herkunft aus der System- und Chaostheorie keine Anhänger gefunden hat. Vor kurzem hat sich der Begriff «Love-marks» etabliert, der Marken bezeichnet, zu denen eine tiefe emotionale Bindung der Kunden existiert und die von jenen geliebt werden. Das ist zwar wieder ein Versuch der Vereinfachung, der aber zumindest eine Fangemeinde inbesondere in der Werbeindustrie gefunden hat.

Dauerhaft bewährt hat sich die leistungsbasierte Betrachtung von Hans Domizlaff. Domizlaff formulierte bereits 1939 die «22 Gesetze der natürlichen Markenbildung», die unter anderem eine Marke als verdichteten Ausdruck einer spezifischen Spitzenleistung definieren. Diese Sicht rückt in den Vordergrund, dass Marken vor allem durch Einlösung von Leistungsversprechen und nicht nur durch Kommunikation von Botschaften mittels Werbung entstehen. Je besonderer und einzigartiger eine Leistung ist, desto größer ist die Chance, eine erfolgreiche Marke zu entwickeln. Ausgedrückt wird diese besondere Leistung unter anderem durch stilistische Elemente wie zum Beispiel Farbe, Form, Symbole oder die «One Word Equity», das Wort, das für die Marke steht und mit ihr assoziiert wird. So wird die Marke zu einer charaktervollen, einzigartigen Gestalt mit klarem Markenleistungsvorteil. Es bleibt keine kommunikative Hülle oder nur ein «Zeichen» der Unterscheidung.

Diese These wird von der aktuellen Trusted-Brands-Studie 2007 von Readers Digest gestützt, in der 27 000 Europäer nach ihren vertrauenswürdigsten Marken gefragt wurden. Die zwei entscheidenden Kriterien für vertrauenswürdige Marken sind zum Ersten die Produktqualität (73 Prozent), also die Kernleistung der Marke, und zum Zweiten die persönliche Erfahrung (72 Prozent) mit der Marke. Eine Marke wird also nicht nur, aber nur zum geringen Teil durch die Werbung gemacht!

Eine starke Marke hat also immer beides und ist nicht einfach ein Oberflächenzeichen. Eine einzigartige, erfahrbare Markengestalt mit wertvoller Substanz, die hält, was sie verspricht, ist anziehend, attraktiv, begehrenswert und leistet somit das, was man auch heute von Marken erwartet: Ein Kunde zahlt ein Preispremium, kauft häufiger Produkte derselben Marke, hat eine höhere Bindung an sie, identifiziert sich und empfiehlt die Marke in seiner Gruppe weiter. Das sind echte Markenwerttreiber, die man einfach messen kann, um den Markenwert seiner Marke zu kennen.

Negativ formuliert: Kommunikative Marken ohne echtes differenziertes Leistungsversprechen enttäuschen und führen zur Illoyalität, geringem Preispremium, keiner Weiterempfehlung und somit zu zunehmendem Rabattierungszwang als letztem Differenziator – frei nach dem Motto: Ich kann das Gleiche wie die anderen, ich bin aber billiger.

Das ist der Anfang vom Ende der Markenführung. Auch leistungsstarke Marken, die diese aber nicht attraktiv ausdrücken können, ereilt das Schicksal der Austauschbarkeit. Die Kunst liegt in der Verknüpfung von herausragender Leistung und dichtem Ausdruck dessen, um am Markt einen Eindruck zu hinterlassen.

Wenn auch keine Definition Anspruch auf vollständige Wahrheit hat, kann man es in pragmatischer Weise aber sicher wie folgt auf den Punkt bringen: Erfolgreich ist der Ansatz, der sich auch künftig bewähren wird.

Erfolg versprechend ist die leistungsbasierte Betrachtung von Hans Domizlaff in Kombination mit evolutionären Gesichtspunkten, insbesondere der Theorie der Memetik. Dieses evolutionäre Markenverständnis ermöglicht es, die zukünftigen Gestaltungsräume in der Markenführung zu erweitern und diese besser und wirkungsvoller zu nutzen und zu steuern.

Evolutionäre Markendefinition: Marke als Mem-Pool

Die evolutionäre Markendefinition leitet sich aus der Theorie der kulturellen Evolution, der Memetik, ab. Unter Memetik versteht man die Lehre von der Beschaffenheit und Wirkungsweise so genannter als Träger kultureller Bedeutungseinheiten und kultureller Entwicklung. Das sind zum Beispiel Lieder, Bücher, typische Verhaltensweisen, Symbole, Bedeutungen, Witze und so weiter. Der Begriff der Memetik wurde von der britischen Psychologin Susan Blackmore programmatisch in ihrem Buch «Die Macht der Meme oder die Evolution von Kultur und Geist» im Anschluss an die Thesen Richard Dawkins geprägt.

In Analogie zur biologischen Evolution sind Meme also die kulturellen Entsprechungen von Genen. Als Informationsträger wollen sich Meme replizieren und werden über den Weg der Nachahmung weitergegeben. Damit eignet sich die Memetik ausgezeichnet als theoretische Grundlage für ein erweitertes Markenverständnis. Marken wollen sich auch durch Werbung, Kauf, Weiterempfehlung oder Nutzung replizieren und damit zum Beispiel als «Species» Nivea oder Tempo in alle Nischen wachsen. Je attraktiver die Marken-Meme, desto stärker die Ausbreitung. Verlieren Meme aufgrund von Überfluss oder Irrelevanz an Attraktivität, werden sie nicht mehr gekauft, weiterempfohlen oder sogar verschwiegen. Als Folge werden sie nicht mehr selektiert beziehungsweise imitiert und sterben aus.

Knapp und präzise formuliert entspricht eine Marke der Summe der Meme, die sie durch Leistungen und Kommunikation in den Köpfen der Kunden zu Vorurteilen und einem wertigen Bild von Markencodes verdichtet haben. Eine Marke kann also auch als Mem-Pool begriffen werden. Meme bestehen unter anderem aus Werten, Leistungen (Produkte, Services, Erfahrungen), Geschichten, stilistischen Elementen wie Farbe und Form, aus Persönlichkeiten, Symbolen, Ritualen sowie aus kulturellen Codes wie zum Beispiel Heldengeschichten, Initiationsriten, Paarungsritualen, aber auch aus Gefühlen wie etwa Liebe.

So besteht beispielsweise der augenscheinliche Mem-Pool von Nivea, einer der europäischen Most Trusted Brands (der sehr schön auf der Website zu entdecken ist), unter anderem aus dem Begriffswert «Pflege» («One Word Equity»), aus dem Namen Nivea, (Nivis= lat. für «Schnee») aus Urvertrauen, aus der Farbe Blau, aus der Dose, aus dem Schriftzug, aus der hohen Qualität zum vernünftigen Preis und Ehrlichkeit.

Diese Nivea-Meme haben sich schrittweise in die folgenden Märkte individualisiert und ausgebreitet: pflegende und dekorative Gesichtspflege, Haarpflege, Rasur, Baden/Duschen, Körperpflege, Babypflege und Sonnenschutz; dabei wurden verschiedene Altersund Geschlechtergruppen erobert. Die Produkte sind oft neu, aber der Kern des Mem-Pools ist gleich geblieben und wurde immer wieder stilistisch zeitgemäß unter anderem in 17 Nivea-«Flagship-Shops» in Deutschland erneuert. Dies zeigt auch, wie sich fast 100-jährige Marken immer wieder in der Balance von Stabilitäts- und Trendadaption erneuern und einen robusten überlebensfähigen Mem-Pool mit verschiedenen Produktpopulationen schaffen.

Das Verständnis von Marke als Mem-Pool erweist sich als äußerst fruchtbarer Ansatz, weil es in umfassender Weise sowohl Werte und Leistungen als auch kulturelle Muster, Geschichten und unbewusste Codes (vgl. Kapitel 5, S. 139 ff.) umfasst. Oft beinhalten unbewusste Codes das Wesen einer Marke, weil sie für den Kunden in einer besonders eingängigen Weise wahrgenommen werden. Im Gegensatz zu eingeschränkteren Kategorien wie «emotionaler und rationaler Nutzen», «Reason Why» oder unfundierte «Images» ermöglicht dieser Ansatz eine offenere und produktivere Herangehensweise im Markenmanagement. Eine Marke ist ein ganzheitliches, offenes adaptives System, das auch als solches behandelt werden sollte, wenn man das Beste aus ihr herausholen will.

Worin zeichnet sich nun eine erfolgreiche Marke, als Mem-Pool verstanden, aus? Wie es für eine Spezies gemäß der erweiterten Evolutionstheorie immer darum geht, ihre Gene möglichst zahlreich weiterzugeben, um so das Überleben und Wachsen zu sichern, so muss auch eine Marke ihre Meme möglichst zahlreich weiterverbreiten. Als Mem-Pool ist eine Marke also dann umso erfolgreicher, je replikationsfähiger ihre Meme sind. Wenn ihr dies gelingt, wird sie häufig gekauft, verwendet, weiterempfohlen und wiederholt gekauft. Sie ist begehrlich, attraktiv und wird dauerhaft von Kunden selektiert und wird so eine StarBrand, die den Unternehmenswert steigert.

Marken-Meme bestehen aus der Markenkernleistung, Produkten, Dienstleistungen, Erfahrungen, Claims, unbewussten Markenbotschaften, Verhaltenscodes, Symbolen, Geschichten oder Ritualen, das heißt, je mehr Adidas-Schuhe, H+M-Kleider und Klingeltöne von Shakira verbreitet werden, umso erfolgreicher repliziert sich der Mem-Pool dieser Marken. Der Mem-Pool FIFA-Fussball-WM ist zum Beispiel einer der attraktivsten unserer Zeit und wird eher verteilt als verkauft. Wie attraktiv ist der Mem-Pool? Verkaufen Sie noch oder verteilen Sie schon?

Die Replikationsfähigkeit von Memen wiederum hängt – ähnlich wie in der biologischen Evolution – davon ab, wie stark sie die evolutionären Erfolgsbedingungen erfüllen.

Eine fitte Marke ist ein attraktiver «Mem-Pool».

Die grundlegenden evolutionären Erfolgsbedingungen

Auf der Suche nach Gesetzmäßigkeiten beziehungsweise Universalprinzipien für erfolgreiches Handeln kommt man schnell immer wieder an einen Punkt: die moderne, erweiterte Evolutionstheorie, die auch heute noch auf den zwei wesentlichen Ideen basiert, die deren Urvater Charles Darwin im 19. Jahrhundert in seinen zwei bahnbrechenden Büchern formuliert hat: «The Origin of Species by Means of Natural Selection or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life» und «The Descent of Man and Selection in Relation to Sex».

Darwins Forschung ist im Übrigen ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie man zu wesentlichen Erkenntnissen kommt, indem man Komplexitäten methodisch fundiert reduziert und daraus wiederum erfolgreiches Handeln ableiten kann. Wäre Darwin damals auf der Ebene der einzelnen Tiere oder Tierarten geblieben, statt den Sprung auf die höhere Ebene der Gesetzmäßigkeiten vorzunehmen, wäre er nie mit dieser Theorie in die Weltgeschichte eingegangen.

Damit sind wir schon Mitten im Thema: Darwin war offenbar «fit», um der Welt als Erster die zwei grundlegenden evolutionstheoretischen Erkenntnisse darzulegen. Seine Theorie weist zwei elementare Erfolgsfaktoren für nachhaltiges Überleben auf:

Erste Erfolgsbedingung: Fitness

Charles Darwin fasste die erste Erfolgsbedingung 1859 unter dem Motto «survival of the fittest» zusammen. Gemeinhin wird dies als das Überleben des Stärksten übersetzt. Dieses Verständnis greift jedoch zu kurz und wäre auch wissenschaftlich kaum haltbar. Mit «fit», abgeleitet von «to fit», das heißt ein- oder anpassen, meinte Darwin, dass diejenige Spezies überlebt, die sich an veränderte Rahmenbedingungen besser anpasst als andere. In der Natur geschieht dies sehr stark durch die so genannte blinde, zufällige Situation. Die erfolgreichen Spezies haben sich also über Jahrtausende nach dem «Trial and Error»-Prinzip entwickelt.

Im Gegensatz zur Natur sind wir als Menschen in der Lage, Veränderungen und Anpassungen bewusst vorzunehmen. Das bedeutet: Wenn wir «fit» sind, können wir unsere Fähigkeiten, aber natürlich auch unsere Produkte und unsere Marke dahingehend anpassen, dass sie sich optimal in die veränderten Rahmenbedingungen einpassen und diese für deren Zukunftsfitness nutzen.

Als erstes Erfolgsprinzip für evolutionäre Markenführung lässt sich also formulieren: Markenführer müssen zum einen die wesentlichen Rahmenbedingungen und Veränderungsprozesse genau kennen und sich fragen, ob sie für diese Rahmenbedingung noch die richtigen, das heißt wertvollen Leistungen, Produkte, Services und Erlebnisse anbieten.