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Seine einzige Schwäche: Die Schwester seines besten Freundes.
Für MMA-Champion Travis gilt die Regel: Halte dich von der Schwester deines besten Freundes fern. Aber Amara Valenzuela hat sich von einem jungen Mädchen in eine Frau verwandelt, von der Travis nicht die Augen lassen kann. Bald schon muss er feststellen, dass die Nähe zu Amara nicht nur seinen Vorsatz ins Wanken bringt - sie ist in einem Raum mit heißen, verschwitzten Körpern auch eine gefährliche Ablenkung ...
Wird der unbesiegte Fighter stark genug sein, um ihrem Charme zu widerstehen? Oder wird der Versuch, ihr Herz zu gewinnen, zum Showdown seines Lebens?
Auftakt der Breaking Serie für alle Fans von Penelope Ward and Vi Keeland. Die Titel können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Seitenzahl: 409
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Seine einzige Schwäche: Die Schwester seines besten Freundes.
Für MMA-Champion Travis gilt die Regel: Halte dich von der Schwester deines besten Freundes fern. Aber Amara Valenzuela hat sich von einem jungen Mädchen in eine Frau verwandelt, von der Travis nicht die Augen lassen kann. Bald schon muss er feststellen, dass die Nähe zu Amara nicht nur seinen Vorsatz ins Wanken bringt - sie ist in einem Raum mit heißen, verschwitzten Körpern auch eine gefährliche Ablenkung ...
Wird der unbesiegte Fighter stark genug sein, um ihrem Charme zu widerstehen? Oder wird der Versuch, ihr Herz zu gewinnen, zum Showdown seines Lebens?
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Ember Leigh
Breaking the Rules
Aus dem Amerikanischen von Claudia Geng
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
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Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
EPILOG
Impressum
Lust auf more?
Anmerkung der Autorin
Ich möchte mich bei Jill Smith bedanken, weil sie auf ewig meine beste Freundin und eine wertvolle Stütze ist; bei meinen Testlesern, die maßgeblich dazu beigetragen haben, diesem Roman seine Form zu geben; und bei allen Bloggern und Bücherfreunden, die sich die Zeit genommen haben, diese Geschichte zu lesen und zu rezensieren. Es bedeutet mir unglaublich viel.
»Hast du für heute genug davon, mich fertigzumachen?«
Eddies ironische Frage war eine, die Travis Holt im Laufe der letzten paar Jahre Tausende Male gehört hatte. Sein schwitzender, hechelnder Kumpel starrte blinzelnd von seiner Hantelbank zu ihm hoch und wartete darauf, aus seinem heutigen Work-out entlassen zu werden.
»Das hängt von dir ab«, erwiderte Travis spöttisch und gab seinem Freund einen Klaps auf die Schulter. »Du weißt, dass ich momentan trainiere. Wir können also noch eine Schippe drauflegen, wenn du willst – auf Profi-Level.«
Tatsächlich trainierte er wieder professionell, zum ersten Mal seit drei Jahren. Die letzten paar Wochen hatten sich wie eine willkommene Rückkehr nach Hause und gleichzeitig wie eine schreckliche Strafe angefühlt.
Sich auf einen Titelkampf vorzubereiten, war das, was er immer getan hatte, was er gewohnt war. Aber jetzt, wo er sein eigenes Fitnessstudio leitete und offiziell auf die Unternehmerseite gewechselt war? An den meisten Tagen zweifelte er, ob er das nötige Feuer noch in sich hatte.
»Ich geh später noch eine Runde laufen«, versprach Eddie und schnappte sich sein Handtuch, um sich das Gesicht abzuwischen. »Bloß damit du nicht denkst, ich würde schwächeln.«
Eine schlimme Trennung vor ungefähr sechs Monaten hatte Eddie tief runtergezogen und ihn Fett ansetzen lassen. Holt Body Fitness war der heilige Ort für jeden, der sein Selbstwertgefühl verbessern oder wieder in Form kommen wollte. Oder beides.
Travis nicht ausgenommen.
In den letzten drei Wochen waren seine Trainingsergebnisse praktisch vor seinen Augen explodiert, sie ließen seine Bauchmuskeln schärfer hervortreten, formten seine breiten Schultern zu einer kantigen Silhouette. Eine schlimme Sportverletzung hatte ihn fast drei Jahre lang außer Gefecht gesetzt, nun kehrte er in den Ring zurück, um zu beweisen, dass er es noch draufhatte. Nicht einmal ein Kreuzbandriss konnte ihn vom Titel fernhalten.
»Ich nehm dich beim Wort.« Travis gab die Werte seines Kumpels in die App ein, die sie im Gym neuerdings nutzten. »Vergiss nicht, deine Zeiten hochzuladen.«
»Es hängt eigentlich nur davon ab, ob Amara den Wagen braucht.« Eddie stöhnte, als er von der Bank aufstand. Eine übliche Reaktion nach einem effektiven Training.
»Amara?« Travis sah nicht auf, während er die Daten seines Kumpels in der App speicherte. Eddies jüngere Schwester war vor Jahren an die Ostküste gezogen, um dort zu studieren. Sie kam selten in ihre alte Heimat. Travis hatte sie schon fast vergessen. »Sie ist auf Besuch hier?«
»So ähnlich. Eigentlich wegen Moms Zustand. Vor zwei Tagen ist sie plötzlich bei uns aufgeschlagen und will sich hier einen neuen Job suchen.«
Eddie und Amara waren immer sehr um ihre Mutter besorgt, schon damals in der Highschool. Die Valenzuelas hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Etwas, worum Travis sie immer beneidet hatte.
Die beiden Freunde wandten sich zur gläsernen Tür um, die in den Hauptflur des Fitnessstudios führte. Der Mitarbeiter, der den Eingang kontrollierte, nickte Travis zu, als sie an ihm vorbeigingen.
»Soso«, sagte Travis. »Das ist ja ein Ding, was?«
Eddie zuckte mit den Achseln. »Mom sagt, sie kann ruhig wieder nach Washington zurückgehen. Aber Amara will nichts davon hören.«
»Na ja, ihre Chancen, hier einen Job zu finden, stehen gut«, sagte Travis. Los Angeles war die Stadt der Engel … und der Wunder, wenn man genau genug hinschaute. Er wusste nicht, was Amara beruflich machte, aber hier konnte es nicht schwieriger sein als anderswo. »Und falls nicht, kann sie bei uns am Empfang arbeiten, bis sie was gefunden hat.«
Eddie lachte und streckte ihm seine Faust entgegen. »Danke, Bro. Ich weiß zwar nicht, was sie nach ihrer Spitzenkarriere in D. C. davon halten wird, aber ich werde es ihr ausrichten.«
Sie drückten ihre Fäuste gegeneinander, und Eddie verschwand in Richtung Umkleide, während Travis in den Kraftraum zurückkehrte. Er wollte die Haltung von ein paar Neulingen korrigieren. Bei dem ganzen Stress, ein Unternehmen zu leiten und sich auf sein erstes TV-Duell seit drei Jahren vorzubereiten, blieb ihm nicht so viel Zeit für seine Kunden, wie er gerne hätte.
Das Ächzen der Sportler und das Klirren der Gewichte bildeten einen vertrauten Rhythmus, der normalerweise beruhigend auf ihn wirkte. Aber heute verstärkte er seine Anspannung.
Drei Jahre außerhalb des Rampenlichts waren eine lange Zeit. Und klar, er konnte wie ein Verrückter trainieren und die Leute mit seinen Waden beeindrucken. Aber hatte er noch die Power, sich im Ring zu behaupten? Konnte er seine alten Fans wieder begeistern?
Sein Kopf kam nicht zur Ruhe, während er zwei Anfänger bei ihren Kniebeugen instruierte und wartete, bis sie die Übung korrekt ausführten. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand seine Hilfe benötigte, nahm er zwei Fünfzig-Pfund-Hanteln aus dem Ständer, stemmte sie hoch über seinen Kopf, ließ sie langsam wieder herunter und beobachtete sich dabei in dem Spiegel, der sich über die ganze Breite der Wand erstreckte.
Dieser Titelkampf war von großer Bedeutung. Eine echte Chance, nicht nur seinen Ruf als begnadeter Kämpfer wiederherzustellen, sondern vielleicht sogar zur Legende zu werden. Die Bilder seiner eigenen Silhouette in verschiedenen Posen, die den oberen Teil der hinteren Wand säumten, waren eine eindringliche Mahnung, fokussiert und fit zu bleiben.
Die schwere Verletzung hatte ihm eine unerwartete Pause von seinem strengen Trainingsprogramm aufgezwungen, so dass er sich auf ein anderes, langfristiges Ziel hatte konzentrieren können: sein eigenes Fitnessstudio zu eröffnen. Schließlich konnte er nicht bis in alle Ewigkeit die Scheiße aus den Leuten herausprügeln, irgendwann musste damit Schluss sein.
Aber noch war es nicht so weit. Das Gym zu leiten wie auch Kämpfe zu gewinnen, lieferte ihm die Art von Aufmerksamkeit, die ihn aufblühen ließ, die er begierig in sich aufnahm und in etwas ganz Neues umwandelte, ein besonderes Hochgefühl, das nur Stolz, Geld und Erfolg erzeugen konnten.
Der Kraftraum füllte sich mit Neuankömmlingen: viele Stammkunden, ein paar neue Gesichter, eine Handvoll junger Mädels, die sich hier in Form brachten, seit der Herbst in L. A. angefangen hatte. Die Schönheiten – und die Promis – waren ein fester Bestandteil seiner Klientel. Einer von vielen Vorzügen in seinem Job, während er dafür sorgte, sein Geschäft auszubauen, sich einen Namen zu machen und hohe Gewinne einzufahren.
Wieder schwang die gläserne Tür auf, und eine neue Kundin kam herein: hautenge Leggins, die einen kurvenreichen Unterbau umarmten, eine wandelnde Sanduhrfigur, Pobacken wie pralle Melonen.
Sofort wurde Travis munter. Er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die neue Besucherin, während er seinen Übungssatz mit den Hanteln beendete. Die Neue schlenderte durch den Raum und schaute sich um, als würde sie jemanden suchen. Irgendwie kam sie Travis bekannt vor, aber das passierte hier ständig. In L. A. ähnelte jeder jedem.
Diese Neukundin musste er unbedingt persönlich begrüßen. Er legte die Hanteln ab und stieß laut die Luft aus. Das Kurvenwunder nahm gerade die Geräte in Augenschein und streckte dann anmutig ihren Hals, um zur Decke hochzuschauen.
Verdammt.
Er näherte sich ihr von hinten. Lange dunkelbraune, fast schwarze Haare, zu einem lockeren Zopf geflochten, der über ihren halben Rücken reichte. So glänzendes Haar, dass es aussah, als wäre es aus Seide.
Seine Kundschaft anzugraben, war für ihn ein striktes No-Go, aber diese Schönheit brauchte keine zwei Minuten, um ihn dazu zu bringen, seine Regel zumindest zeitweise zu ignorieren … sie vielleicht sogar zu brechen. Er räusperte sich, um sich bemerkbar zu machen.
»Herrgott, da bist du!« Eddie kam durch die gläserne Tür auf der anderen Seite hereingestürmt und starrte in Travis’ Richtung. Der runzelte die Stirn, nicht sicher, ob er gemeint war.
»Ich warte seit zwanzig Minuten«, sagte das Kurvenwunder vor ihm und hob abwehrend ihre Hände. »Du hast halb drei gesagt, Arschloch.«
Travis’ Gedanken kamen quietschend zum Halten. Grundgütiger! Die Beute, an die er sich herangepirscht hatte, war Eddies kleine Schwester. Sein Kiefer spannte sich an, und er fegte rasch alle lüsternen Gedanken beiseite, als würde er Beweise vernichten wollen.
Eddie würde ihm nämlich sofort die Freundschaft kündigen, wenn er wüsste, dass Travis scharf auf seine Schwester war.
»Ich war beschäftigt.« Eddie deutete an ihr vorbei auf Travis. »Er ist schuld! Er nimmt mich gnadenlos ran. Muskelaufbau braucht seine Zeit.«
Amara drehte sich um, folgte dem Finger ihres Bruders. Als sie Travis vor sich sah, wirkte sie verblüfft.
»Hey, Amara, wie geht’s?« Travis nickte ihr zu und grinste spitzbübisch. Vielleicht hatte sie auch Mühe, ihn wiederzuerkennen. Er hatte sie weiß Gott nicht sofort erkannt.
Ihr hübscher Mund zeigte ein Lächeln, und der Blick aus ihren schokoladenbraunen, mandelförmigen Augen streifte langsam über seinen Körper.
»Lange nicht gesehen, Trav.« Sie hob ihre Hand, und sie klatschten sich ab. »Du siehst ganz anders aus.«
»Ja?«
Natürlich sah er anders aus. Das letzte Mal, dass sie sich gesehen hatten, war bei ihrer Abschiedsparty gewesen. Und das auch nur, weil er Eddie für einen Besuch im Stripclub abgeholt hatte. Damals war sie eine temperamentvolle Klugscheißerin gewesen, die ständig quasselte – woran sich wahrscheinlich nichts geändert hatte, wie sich jetzt schon andeutete. Aber dieser Body? Travis konnte sich nicht erinnern, dass sie jemals so scharf ausgesehen hatte.
»Du wärst ein Kandidat für die GQ.« Sie deutete mit dem Kopf auf die übergroßen Porträts oben an der hinteren Wand. »Oder vielleicht warst du ja bereits in einem Männermagazin.«
»Pah, die GQ ist zu edel für diesen Kerl«, spottete Eddie. »Sag ihr die Wahrheit. Dass du in der Playgirl warst.«
Travis warf seinem Freund einen strengen Blick zu, sagte jedoch nichts weiter. Es stimmte, er war tatsächlich in der letzten Frühjahrsausgabe der Playgirl abgebildet gewesen, eine PR-Aktion, die unerwartet durch eine Stammkundin mit guten Beziehungen zustande gekommen war. Seitdem waren seine Umsatzzahlen kontinuierlich gestiegen.
»War das gut oder schlecht für dein Image?« Amara sah ihn mit funkelnden Augen an. »Vielleicht hängt die Antwort davon ab, ob es ein frontaler Vollakt war.«
»Nichts in der Art«, sagte Travis. »Die haben einen Bericht über mich und mein Studio gemacht. Ein paar von diesen Wandporträts sind bei dem Shooting entstanden.«
»Das hört sich an, als würde es bombig für dich laufen.«
»Ziehst du wieder nach L. A.?«
»Vorerst zumindest. Wir werden sehen, wie es läuft.« Sie seufzte und sah sich noch einmal im Raum um.
Er versuchte, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren, aber sein Blick wanderte automatisch über ihre karamellbraunen Schultern zu ihrem Dekolleté. Sie wirkte weich und gleichzeitig robust, und ihre Brüste schienen vollkommen echt zu sein, ein seltener Anblick in der Stadt der großen Träume.
»Nun, hat mich jedenfalls gefreut, dich wiederzusehen«, sagte er. Sie war heißer als die Hölle, aber das durfte er ihr unter keinen Umständen sagen, außer er wollte, dass Eddie ihn einen Kopf kürzer machte. »Schau doch mal wieder bei uns rein. Eure Familie darf hier kostenlos trainieren.«
»Danke. Ich werde auf das Angebot zurückkommen.« Sie lächelte ihn an, und diese Augen fingen ihn ein, als würde er an einer Angelschnur zappeln.
Fuck. Als Teenager war Amara die blasse kleine Streberschwester im Hintergrund gewesen, die für die Schule büffelte oder irgendwas mit ihren Freundinnen machte. Er hätte nie gedacht, dass sie sich zu so einem Prachtweib entwickeln würde, das ihn mit ihren sinnlichen Augen gleich beim ersten Blickkontakt umhaute.
»Komm, lass uns von hier verschwinden.« Eddie schob seine Schwester vorwärts, während er irgendjemanden weiter hinten im Raum anfunkelte. »Diese Typen sind wie die Geier, Trav. Weißt du das?«
Travis folgte seinem Blick. Eine Gruppe Jungs, die in der Ecke Gewichte stemmte, starrte auffällig zu ihnen herüber.
»Ach, komm schon.« Amara stieß ein genervtes Seufzen aus, als ihr Bruder sie am Arm nahm und wegführte. »Du änderst dich nie, oder?«
»Wer soll auf dich aufpassen, wenn ich es nicht tue?« Eddie dirigierte sie zum Ausgang. Diesen Spruch hatte er schon als Teenager immer aufgesagt. »Die brauchen dich gar nicht so anzugaffen.«
Travis konnte ihm nicht ganz zustimmen; er würde Amara den ganzen Tag angaffen, wenn er könnte. Verdammt. Er riss seinen Blick von ihrem Po los – was schwerer war, als eine angefangene Eiswaffel wegzulegen. Jede Faser seines Körpers sehnte sich danach, in diesem Anblick zu versinken.
Amara schüttelte den Kopf und warf Travis einen amüsierten Blick über ihre Schulter zu. »Mein Vater und ich sehen dich später.«
Eddie nickte ihm knapp zu und machte mit zwei Fingern ein Peace-Zeichen, bevor sie durch die gläserne Doppeltür gingen. Durch die ebenfalls gläserne Wand des Kraftraums beobachtete Travis, wie die beiden am Empfangstisch vorbei in Richtung Ausgang gingen.
Als sie weg waren, drehte er sich zu den Gaffern um. Jeder von ihnen wich seinem Blick aus. Sie gehörten zu der Gruppe von Leuten, die regelmäßig Anabolika schluckten. Travis hatte schon mehr als einmal bei Rangeleien innerhalb der Gruppe dazwischengehen müssen, und immer, wenn es Beschwerden gab, hatten sie gewöhnlich mit einem dieser Proleten zu tun.
Diese Schwachköpfe triggerten ihn auf mehr als einer Ebene, besonders weil sie ihn sehr stark an sein jüngeres Ich erinnerten. Damals war er ein Hitzkopf gewesen, der ständig Ärger mit der Polizei hatte, sein Leben ein wildes Karussell aus Doping, Kämpfen und immer neuen Wunden, kaum hatte sich über den alten Schorf gebildet.
In seinem Studio tolerierte er keine Belästigungen oder Handgreiflichkeiten. Sonst hatte der Laden nämlich schnell den Ruf weg, unsozial beziehungsweise nicht sicher zu sein. Und angesichts seiner hohen Ziele hatte er keine Zeit für abgefuckte Radaubrüder, die ihm die Laune verdarben.
»Ihr kennt die Regeln.« Er sah sie der Reihe nach an. »Haltet den Ball flach, oder verpisst euch von hier.«
Er ging durch die Seitentür, die in den Personalbereich führte, und marschierte zügig zum Besprechungsraum. Ein Auge auf jeden potenziellen Störenfried im Gym zu haben, war ein Vollzeitjob. Aus diesem Grund hatte er eine Securityfirma angeheuert und die Eingangskontrollen verschärft.
Lex, einer seiner Trainer und sein Stellvertreter, hob seine Hand zu einem Highfive, als Travis den Raum betrat. »Alles klar, Boss?«
Travis kannte Lex von der Straße. Lex hatte damals noch gedopt und war als wandelndes Pulverfass durch die Gegend gelaufen, als Travis auf der Suche nach Nachwuchskämpfern gewesen war. Mittlerweile war Lex in der Mixed-Martial-Arts-Szene höher aufgestiegen als jeder andere.
»Hallo, Leute. Schön, dass ihr alle pünktlich seid.« Travis nahm sich eine Flasche Wasser aus dem kleinen Kühlschrank in der Ecke und lehnte sich an den Besprechungstisch, an dem meistens auch die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen wurden.
»Bevor wir loslegen, irgendwas Interessantes seit dem letzten Meeting?«
»Allein heute hatten wir zwanzig Neuanmeldungen«, sagte eine Mitarbeiterin.
»Und zwei Promis wurden gesichtet«, sagte eine andere. »Lisa Kudrow und Jude Law.«
»Nicht schlecht«, sagte Travis und blätterte in einem Ordner auf dem Tisch. »Noch was?«
»Das Model an der Wand sorgt für viel Gesprächsstoff«, sagte einer der Einlasskontrolleure aus der zweiten Schicht. »Ich denke, für manche Frauen ist das der Hauptgrund, immer wiederzukommen.«
Travis zog einen Mundwinkel hoch. »Super. So geht Kundenbindung.«
»Ich würde sagen, dass heute Morgen ungefähr fünf Frauen nachgefragt haben, ob du Single bist«, fügte eine Empfangsmitarbeiterin hinzu.
»Das ist weniger als an den meisten Tagen.«
»Du lässt nach, Boss«, spottete Lex.
Travis grinste und klappte den Ordner zu. »Das ist alles, was ich hören wollte. Kommen wir zum Geschäftlichen.«
Aber egal, wie sehr er sich anstrengte, um sich auf seine Leute zu konzentrieren, er sah ständig nur diese herrlichen Rundungen vor sich. Amaras Körper hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt.
Was das Letzte war, was er seinem Freund Eddie jemals offenbaren konnte.
Eddie stupste Amara in die Seite, während der Wagen durch den Nachmittagsverkehr kroch. »Hey, alles okay?«
Sie drehte ihren Kopf zu ihm, aber sah ihn gar nicht. Sie starrte an ihm vorbei durch das Fenster auf die mehrspurige Blechlawine draußen. »Ja, alles okay.«
Seit ihrer Begegnung mit Travis Holt war sie praktisch hirntot. Man könnte von einem unerwarteten Willkommensgeschenk sprechen. Nicht nur, dass der Mann sein eigenes Fitnessstudio besaß, er war auch noch so heiß, dass er Stahl zum Schmelzen bringen konnte. Geld, Erfolg und Schönheit … Er hatte nicht mehr viel gemein mit dem jungen Holt, den sie gekannt hatte, als sie vor acht Jahren fortgegangen war.
»Du wirkst abwesend. Habe ich dich so schlimm geärgert?«
Sie schnalzte mit der Zunge. »Nein, Eddie. Ich habe dir doch gesagt, dass alles okay ist.«
»Ich mache mir halt Sorgen.« Er zuckte mit den Achseln und starrte ausdruckslos auf das Fahrzeug vor ihnen. »Manche dieser Kerle können richtig widerlich sein.«
Sie seufzte und stützte ihren Kopf auf zwei Fingerspitzen. Bis zu ihrer Ausfahrt war es nur noch eine halbe Meile, aber es fühlte sich an, als würden sie nie dort ankommen. Amara benötigte dringend Ruhe. Eine Auszeit, um sich von dem stressigen Untersuchungsmarathon heute Morgen im Krankenhaus zu erholen, zu dem sie ihre Mutter für die anstehende Chemotherapie begleitet hatte. Damit nicht genug, sie hatte auch gleich noch ein Bewerbungsgespräch. Und zur Krönung des Tages, sozusagen die reifste und anstrengendste Kirsche auf der Torte, musste sie herausfinden, warum Eddies bester Freund so eine heftige Reaktion bei ihr auslöste.
Eddies dominantes Gebaren machte die Sache nicht besser. Es war schon schwer genug, wieder bei ihrer Mutter zu wohnen, aber diese Überfürsorglichkeit, mit der ihr Bruder sie einengte, nervte sie nun, mit Mitte zwanzig, auf eine neue Art.
In Washington D. C., drei Zeitzonen entfernt, war es einfacher gewesen, damit klarzukommen. Aber hier in L. A. war es wieder genau wie in der Highschool. Bloß schlimmer, weil sie nun ihr eigenes Leben und eigene Bedürfnisse hatte, wozu auch One-Night-Stands mit heißen Typen gehörten, von denen sie hinterher am besten nie wieder etwas hörte. In dem ganzen Umzugstrubel – vom Packen ihrer Sachen bis zum Abschiednehmen von Freunden und Kollegen – war sie zu lange nicht mehr flachgelegt worden.
Und sie brauchte es, ganz dringend.
Travis schien genau der Richtige dafür zu sein. Götterstatusmäßig scharf und bereits in Reichweite.
Wäre er für ein Abenteuer zu haben? Wahrscheinlich schon – schließlich war er ein Mann. Er brauchte nur einen kleinen Schubs, und die Sache war geritzt. Außerdem sah er aus wie der Typ Mann, der danach nie wieder etwas von sich hören ließ, außer man zählte zur Hollywood-Prominenz.
»Was soll ich machen, wenn ich jemals jemanden daten will?« Sie schaltete den Blinker ein und lenkte den Wagen auf die Ausfahrtspur. Nichts lag ihr ferner, als eine Beziehung einzugehen; sie wollte nur einen scharfen Body und geiles Stöhnen. »Diese Typen haben nicht mal anzüglich gegrinst.«
»Doch, haben sie, hijita!«
Sie rollte mit den Augen. Eddie war nur drei Jahre älter als sie, aber er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Rolle ihres Vaters zu übernehmen, seit der sich aus dem Staub gemacht hatte, als sie zehn Jahre alt gewesen war.
»Außerdem kannst du ja jemanden daten.« Eddie klang versöhnlich. »Aber bring ihn vorher mit nach Hause, damit Ma und ich ihn kennenlernen können.«
»Nur gut, dass du meinen letzten Freund nicht gekannt hast.«
Eddie versteifte sich sofort wieder. »Welchen Freund? Du hast mir nie erzählt, dass du dort drüben einen Freund hattest.«
Er brauchte nicht zu wissen, dass sie und dieser »Freund« nur zwei Monate zusammen gewesen waren, bevor er anfing, von »mehr« zu reden. »Er war meine letzte Beziehung, und er war vollkommen okay. Ich brauche dich nicht, um mir einen Mann auszusuchen, weißt du?«
Eddie schüttelte den Kopf und starrte durch die Scheibe. »Egal.«
Endlich verließen sie die Autobahn. Der Verkehr rollte nun ein bisschen flüssiger, und kurz darauf bogen sie zu den braunen Flachbauten ab, in denen sie seit den Neunzigern wohnten. Die Gegend zählte zu den wenigen, die nicht von häufigen und absurden Mieterhöhungen betroffen waren. Trotzdem hoffte Amara, dass sie und Eddie in ein paar Jahren eine Eigentumswohnung in einer netteren Gegend für ihre Mutter kaufen konnten, mit einem großen Balkon, wo Mom nachmittags ihren Tee an der frischen Luft genießen konnte, während sie ihre Klatschzeitschriften las.
Nachdem Amara den SUV geparkt hatte, steuerten die Geschwister schweigend den Laubengang mit den schäbigen Eingangstüren an. Amara stolperte beinahe auf den rissigen Zementstufen. Lautes Geschrei in einer benachbarten Wohnung drang zu ihnen heraus, aber Amara konnte nicht sagen, woher genau es kam. Das Viertel hier unterschied sich krass von ihrer coolen und ausgesuchten Nachbarschaft in Washington, die fast ausschließlich aus jungen Gutverdienern bestand, die bereit waren, mehr als einen Tausender im Monat für einen winzigen Wandschrank in einer Wohngemeinschaft zu bezahlen, nur um näher am politischen Geschehen zu sein.
Jetzt, da sie zurück war, fiel ihr wieder ein, warum sie und Eddie nie Schulfreunde mit nach Hause gebracht hatten. Und vor allem, warum sie sich nur an wenige Begegnungen mit Travis erinnern konnte, obwohl er und Eddie seit der Highschool die dicksten Freunde waren. Meistens hatten sie sich in dem einen Jahr, in dem sie dieselbe Schule besuchten, nur zufällig auf den Fluren getroffen.
Sie zwinkerte heftig und hatte Mühe, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Schließlich rastete er ein, und die Tür schwang knarrend auf.
»Amara? Eduardo?« Mom beugte sich aus ihrem Liegesessel und schaute zur Tür, ein knallpinkes Tuch um den Kopf gebunden. Noch hatte sie ihre Haare nicht verloren – sie wollte sich nur schon mal an den Stil gewöhnen. »Oh, gracias a Dios, ihr seid es.«
»Hola, Mom. Ich muss mich direkt für mein Bewerbungsgespräch fertig machen. Hab dich lieb.« Amara küsste ihre Mutter auf die Stirn und wandte sich dann zu dem Durchgang, der nach hinten zu ihrem kleinen Zimmer führte.
Eddie ließ seine Sporttasche auf den Boden plumpsen und warf sich auf die Couch, während Amara im Flur verschwand.
»Bring auf dem Rückweg leche mit!«, hörte sie Mom rufen, bevor sie ihre Tür hinter sich schloss.
Stille breitete sich in ihrem Kinderzimmer aus, in dem noch dieselbe Einrichtung stand und die Wände genauso dekoriert waren wie damals, als sie mit achtzehn ausgezogen war. Acht Jahre später fühlte sich die Rückkehr an diesen Ort fremd an, aber auch tröstend, als würde man mitten in einem unbekannten Land seinen Lieblingspullover überstreifen.
Los Angeles war ein ungewohnter Ort für sie, obwohl sie hier aufgewachsen war. In Washington hatte sie in einem Beratungszentrum gearbeitet, in dem Migrantinnen, die mit häuslicher Gewalt konfrontiert waren, juristische Unterstützung erhielten. Ein anstrengender, aber bereichernder Job, in den sie gerne zurückkehren würde, aber nur, falls Moms gesundheitlicher Zustand es erlaubte.
Amara hatte keine Sekunde gezögert, zurück nach Hause zu kommen, als bei ihrer Mutter Brustkrebs diagnostiziert worden war. Es gab keine Alternative. Diese Frau hatte sie und Eddie allein großgezogen, nachdem der Vater ihrer Kinder es vorgezogen hatte, zu seiner Zweitfamilie an die Ostküste abzuhauen, die er dort seit Jahren heimlich unterhielt. Der Verrat war für sie alle ein furchtbarer Schock gewesen und hatte sich auf eine Weise ausgewirkt, für die sie nicht einmal Worte fanden, um darüber zu reden.
Aber Pläne für die Zeit nach Moms Krankheit zu machen, kam Amara irgendwie unanständig vor. So als dürfte sie sich keine Zukunft ausmalen, wenn ihre Mutter diesen Luxus auch nicht hatte.
Tränen brannten in ihren Augen. Es waren emotionale Tage gewesen seit ihrer Rückkehr. Sogar noch emotionaler als sonst. Seit der Diagnose hatte sie das Gefühl, als würde etwas Schweres und Wuchtiges auf ihr lasten. Wie eine Gewichtsdecke, deren Enden sie nicht sehen konnte, um sie herunterzureißen.
Im Urlaub nach L. A. zu fliegen, war etwas völlig anderes, als wieder hier zu leben. Die vertraute familiäre Geborgenheit war gleichermaßen tröstend wie erdrückend.
Manchmal war es einfacher, in einer anderen Stadt zu leben, in der beruhigenden Gewissheit, dass die eigene Vergangenheit mehr als zweitausend Flugmeilen entfernt war. Amara vermisste die klaren Linien von Washington, die Art, wie jeder scheinbar einen Zweck erfüllte, die produktiven Gespräche über toxische Männlichkeit und progressiven Feminismus. Als die Krankheit ihrer Mutter noch ein abstrakter Begriff gewesen war, etwas Theoretisches.
Zurück zu Hause, schlug ihr die Wahrheit dann wie eine Faust ins Gesicht.
Zwischen den Krankenhausterminen, dem Stadtverkehr und ihrer Jobsuche brauchte sie ein Ventil.
Prompt kam ihr Travis in den Sinn, während sie ihre Kleidung für das Vorstellungsgespräch bereitlegte. Er ist das Ventil, das ich will.
Ein Grinsen zog über ihr Gesicht, als sie sich aus ihren Leggins und ihrem Tanktop schälte. Travis schien gefallen zu haben, was er sah, aber vielleicht machte sie sich falsche Hoffnungen. Der Mann war wie geschaffen als Playgirl-Model – und den ganzen Tag umgeben von vollbusigen Schönheiten und Prominenten der Stadt. Er mochte seit der Jugend Eddies bester Freund sein, aber nun spielte er in einer anderen Liga.
Genau wie sie. Weil Frauenrechtlerinnen aus D. C. sich nicht mit Bodybuildern aus L. A. einließen. Nicht, dass sie auf Partnersuche wäre, aber nur mal angenommen … Nun, Travis käme nicht infrage, nicht einmal ansatzweise. Der Kerl war bestimmt höllisch eitel, wenn er die Wand mit seinen eigenen übergroßen Porträts plakatieren ließ, als würde er sich selbst huldigen. Außerdem verdiente er sein Geld damit, andere Leute zu Brei zu schlagen. Aus Spaß. Es war das Gegenteil von dem, wofür sie stand.
Aber dieser durchtrainierte Body … rechtfertigte ein Abenteuer.
Wohlige Schauer jagten über Amaras Rücken. Als sie ihre weiße Bluse zuknöpfte, stellte sie sich vor, es wären Travis’ Finger statt ihrer. Er hatte sich wirklich stark verändert – allein dieser Körper, unendlich viel muskulöser als bei ihrer letzten Begegnung. Seine Augen erinnerten an geschmolzene Schokolade, tief und schimmernd, und es war schwer, seinem Blick für längere Zeit standzuhalten. Dieser Mann verursachte ihr weiche Knie, und das wollte etwas heißen, nachdem sie so viele Jahre an der Seite von smarten, schönen Männern in der Hauptstadt gearbeitet hatte.
Travis war ein anderer Typ. Er wirkte reserviert und gleichzeitig wild, feurig – ein Feuer, das er lieber unter Verschluss hielt.
Aber vielleicht war sie einfach nur ausgehungert nach Sex und fuhr auf den erstbesten scharfen Typen ab, der ihr in ihrer alten Heimat begegnete.
Sie strich ihren Bleistiftrock glatt, steckte ihre Haare zu einem eleganten Knoten, frischte ihr Make-up auf und warf dann ihrem Spiegelbild einen Luftkuss zu. In dem Job, für den sie sich bewarb, ging es zwar nicht um Rechtshilfe für Migrantinnen, dafür um Frauen allgemein, die Opfer von Missbrauch waren und Schutz, Obdach, Kontakte und mehr benötigten.
Sie selbst war stark, selbstbewusst, kompetent und kurz davor, vom Fleck weg eingestellt zu werden.
Das wiederholte sie in Gedanken ein paarmal. Nachdem sie es geschafft hatte, sich an der Ostküste eine Karriere aufzubauen, sollte L. A. ihr keine Probleme bereiten.
Schließlich war es ihr altes Zuhause. Sie war hier aufgewachsen.
Warum verursachte ihr dann ihre Rückkehr so eine Scheißangst?
»Travis, dein Ein-Uhr-Termin ist da.«
Travis sah von seinem Computermonitor auf und schenkte seiner Büroassistentin ein knappes Lächeln. »Danke. Bin gleich da.«
Das konnte nur Eddie sein. Das Training mit seinem Kumpel war immer das Highlight seines Tages, aber heute musste er sofort wieder an Amara denken.
Nach ihrem kurzen Besuch gestern hatte sie ihn den ganzen restlichen Tag beschäftigt. Sie hatte ihn in seinen Gedanken sogar nach Hause begleitet und unter die Dusche, wo er sich selbst einen Orgasmus verschaffte, bei dem sich sein ganzer Körper vom Kopf bis zu den Zehenspitzen verkrampfte. Er hoffte, sie würde bald wieder nach Washington zurückkehren oder sich zumindest von ihm fernhalten. Amara in seiner Welt – das würde nicht lange gut gehen.
Er schob sich auf seinem Stuhl zurück und versuchte, das brennende Gefühl in seinen Augen, das vom langen Starren auf den Bildschirm herrührte, wegzublinzeln. Dann verließ er sein geräumiges, ruhiges Büro und durchquerte den Personalflur. Der nächste Gang führte zum Empfangsbereich, wo Eddie an der Theke lehnte und mit der Mitarbeiterin flirtete.
Hinter ihm stand Amara und studierte das Programmheft, und das Erste, was Travis wahrnahm, bevor er alles andere sah, waren ihre vollen Lippen.
Sein Magen rutschte tiefer. Fuck. Hoffentlich war sie für das Pilates-Training gekommen und verschwand rasch im Kursraum. Obwohl, was ihm wirklich gefallen würde, wäre, wenn sie unangemeldet vor seiner Wohnungstür auftauchen würde, glänzend vor Schweiß und bereit, sich auf ihn zu stürzen.
Sein Schwanz regte sich. Fuck, fuck, fuck. Eddies Augen leuchteten auf, als er Travis entdeckte.
»Bro, da bist du ja.« Sie begrüßten sich mit einer Kombination aus einem halben Handschlag und einer halben Umarmung und stießen liebevoll ihre Oberkörper gegeneinander. »Ich hab meine kleine Schwester mitgebracht. Sie sagt, sie muss Stress abbauen.«
Amaras Mundwinkel verzogen sich leicht. »Du etwa nicht?«
Eddie rollte mit den Augen. »Kannst du ihr irgendeinen Kurs empfehlen?«
Travis wappnete sich innerlich, bevor er sie musterte, seinen Blick über ihre hauteng verpackte Figur wandern ließ, begeistert von der Wölbung ihrer Oberschenkel, während er so tat, als würde er überlegen. »Worauf stehst du so? Auf Yoga? Pilates? Cycling? Wir bieten alles an.«
Sie rümpfte ihre Nase und schaute ins Programmheft. »Was ist Barre?«
»Das ist ein Work-out mit Ballettelementen«, antwortete Travis. »Man trainiert an der Stange, macht Pliés und viele andere gute Übungen.«
»Hast du schon mal selbst mitgemacht?« Ihr Blick schnellte zu ihm hoch. Es durchzuckte ihn siedend heiß.
»Ja, hab ich.«
Eddie kicherte und boxte ihn gegen die Schulter. »Das glaub ich dir gern.«
Travis grinste. Die Sticheleien war er gewohnt. Er konnte nicht einen verdammten Ton von sich geben, ohne dass er einen dummen Spruch von Eddie oder seinen anderen Kumpels erntete. »Barre ist ganz schön hart. Damit bringst du deinen Arsch in Form, so viel ist sicher.«
Ihr Blick ließ ihn erstarren. »Ist mein Arsch denn außer Form?«
Die Frage hing schwer in der Luft. Richtete sie sich an ihn oder an Eddie? Die Antwort lag ihm auf der Zunge: Verflucht, nein, dein Arsch ist absolut perfekt und geil.
»Du hast doch gesagt, du willst was Neues ausprobieren.« Eddie zuckte mit den Achseln. »Mach es, wenn es dich ankickt.«
Sie nickte und schob das Programmheft über die Theke zu der Rezeptionistin. »Okay, ich mache den Barre-Kurs.«
»Das geht aufs Haus«, erklärte Travis seiner Angestellten. Amara schenkte ihm ein schüchternes Lächeln, das er bis in seine Eingeweide spürte. Das war bereits Alarmstufe Rot.
Er gab Eddie einen Klaps auf den Rücken, und sie wandten sich gemeinsam in Richtung Kraftraum. »Wie fühlst du dich heute?«
»Ganz okay. Ich spür einen leichten Muskelkater von gestern, aber es ist nicht weiter schlimm.«
»Du setzt Muskelmasse an.« Sie betraten den Kraftraum und steuerten auf die Hantelbänke zu. »Heute machen wir das Training rückwärts. Die gleichen Übungen wie gestern, nur in umgekehrter Reihenfolge.«
Eddie grinste und dehnte sich. »Alles klar, Boss.«
Während Eddie sich auf der Bank einrichtete, ließ Travis seinen Blick durch den Raum wandern. In der Ecke stand eine Gruppe Frauen, die kichernd und unverhohlen zu ihm herüberstarrte, und an den Geräten trainierten zwei Stammgäste, die immer am frühen Nachmittag kamen. Es war ziemlich ruhig; ausnahmsweise waren die Fernseher lauter als das Ächzen und Klirren.
»Sieht ganz so aus, als hättest du einen Fanclub«, bemerkte Eddie und lehnte sich auf der Bank flach zurück.
»Ich glaube, wir haben einen Fanclub.« Travis lächelte und bestückte für seinen Freund die Langhantelstange mit Gewichten.
»Ich steh dir gern zur Seite, falls du eine von denen heute Abend abschleppen willst.« Eddie grinste, während er auf eine Antwort wartete. »Komm schon. Lass uns in Los Feliz um die Häuser ziehen. Wir waren schon so lange nicht mehr aus.«
Travis sah zu den Mädels hinüber. »Ich glaube, heute Abend kann ich nicht.«
»Komm schon, Trav.« Eddie klatschte mit der flachen Hand auf Travis’ Oberschenkel. »Ich bin endlich bereit, wieder unter Leute zu gehen. Das solltest du respektieren. Es ist deine brüderliche Pflicht.«
Travis grinste und packte die letzte Fünfzig-Pfund-Scheibe auf die Stange. »Jetzt soll ich wohl ein schlechtes Gewissen kriegen.«
Eddie lachte. »Ach komm, ich weiß schließlich, wie du tickst. Tu nicht so, als wärst du nicht Travis Gnadenlos Holt.«
Der Beiname war irgendwann in der elften Klasse entstanden – »gnadenlos«, weil er herausgefunden hatte, wie viele Mädchen er haben konnte, wenn er sich prügelte, und auch, wie viel die Mädchen mit sich machen ließen, wenn er ein bisschen forscher ranging. Ein schrecklicher Spitzname, darum war er natürlich hängen geblieben.
»Heute ist Mittwoch.« Es war sein letzter Versuch einer Ausrede.
»Na und? Für mich ist Wochenende.« Eddie schlug wieder auf Travis’ Schenkel. »Sag schon Ja.«
Ich wünschte, ich könnte stattdessen mit deiner Schwester ausgehen. Er seufzte laut. »Also gut. Aber spätestens um Mitternacht will ich wieder zu Hause sein. Das ist mein Ernst. Ich habe morgen früh ein paar Termine.«
Eddies Lächeln wurde breiter. »Dann lassen wir es bis halb zwölf krachen. Du weißt schon, wie in den guten alten Zeiten.«
Bloß dass eine Kneipentour am Mittwochabend sich mit neunundzwanzig ganz anders anfühlte als mit einundzwanzig oder sogar mit fünfundzwanzig. Travis hasste den Ausdruck »ruhiger werden«, aber manchmal fragte er sich, ob genau das gerade passierte. Natürlich, er wurde älter, aber bedeutete das, dass er seinen Biss als Womanizer verlor? Es fiel ihm definitiv nicht schwer, sich zu Frauen hingezogen zu fühlen, aber der Reiz, sie zu erobern, hatte nachgelassen.
Er konnte jetzt schon voraussagen, dass der Abend mit Bier beginnen würde, um dann zu ein paar Shots überzugehen, und dass er mit mindestens zwei Frauen, die ihn umschwärmten wie Motten das Licht, abziehen würde. Die Aufmerksamkeit war ganz nett, aber nach einer Weile – also nach fast einem ganzen Jahrzehnt – nervte sie.
Manchmal wollte er einfach nur eine zusammenhängende Unterhaltung führen.
Mit einem Ächzen begann Eddie seinen Übungssatz. Travis schaute ihm zu und zählte mit, ohne seinen Blick oder seine Gedanken abschweifen zu lassen, während sein Freund keuchend die Gewichte stemmte. Nach zehn Wiederholungen setzte Eddie die Stange ab, atmete tief durch und ließ seine Arme herunterfallen.
»Die Scheiße ist ganz schön schwer.«
Travis lachte. »Sag bloß.«
»Geh zu den Mädels rüber und lad sie für heute Abend ein.«
»Was, jetzt schon? Lass uns zehn dranhängen.«
»Na schön.« Eddie schnappte sich wieder die Langhantel und legte ein Tempo vor wie nie zuvor. Nach dem obligatorischen Ächzen und Keuchen hängte er die Stange wieder ein.
»So, jetzt geh rüber.« Travis warf einen Blick zu den Frauen, die ihn noch immer beobachteten. »Du bist hier die große Nummer. Ich bin nur dein Anhang.«
Travis schüttelte den Kopf und schlug mit einem Handtuch nach Eddies Bein. »Du weißt, dass ich meine Kundinnen nicht angrabe.«
Eddie murrte und kam schwungvoll auf die Beine. »Also gut, also gut. Aber ich werde sie mit deinem Namen ködern, und du kannst nichts dagegen tun.«
Amara trieb sich im Empfangsbereich herum und checkte alle zehn Sekunden, ob Travis vielleicht vorbeikam.
Wie konnte sich irgendjemand in seiner Nähe aufs Arbeiten konzentrieren? Eine der Türen zum Personalbereich wurde geöffnet, und Amara hielt die Luft an. Ein Trainer trat heraus, und sie stieß die Luft wieder aus. Travis war so was von heiß – so heiß, dass sie sogar anfangen würde, regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen. Das würde sich allein schon dafür lohnen, diesen Körper aus nächster Nähe zu sehen.
»Mara?« Eddies Stimme drang durch das Gemurmel im Foyer. Sie drehte sich um. Ihr Bruder kam auf sie zu und legte sein Handtuch um seinen Hals. »Wartest du schon lange?«
»Nein.« Sie ließ ein Lächeln aufblitzen und checkte diskret den Bereich hinter ihm. »Mein Kurs ist seit ungefähr zehn Minuten zu Ende.«
»Hat es dir gefallen?«
»Hammerhart, wie versprochen.«
»Typisch Holt.« Eddie verlagerte seine Sporttasche, die er über der Schulter trug. »Bist du bereit?«
»Wo ist Travis?«
»Im Kraftraum.« Eddies Augen wurden schmal. »Warum? War was mit dem Kurs?«
»Ich wollte mich nur bei ihm bedanken, weil ich umsonst mitmachen durfte.« Und um noch einmal seinen Anblick in mich aufzusaugen, bevor wir gehen – für meine Phantasien nachher.
»Das kannst du ihm später noch sagen.« Er schob sie in Richtung Ausgang. »Lass uns von hier verschwinden.«
»Später?« Sie runzelte die Stirn. Widerwillig verließ sie mit ihrem Bruder das Gebäude und trat hinaus in die Sonne, wo sie ihre Augen vor der plötzlichen Helligkeit zusammenkneifen musste und sich leicht benommen fühlte.
»Heute Abend. Hör mal, du fährst doch später noch in die Stadt, richtig?«
Sie hatte gestern erwähnt, dass sie mit ein paar Freundinnen verabredet war. Eddie wusste nicht, dass es sich um ein Tinder-Date handelte – eins der wenigen Profile, die sie nach rechts gewischt hatte, seit sie wieder in L. A. war. Es handelte sich zum Teil um eine präventive Dating-Strategie, zum Teil um den Versuch, jemanden aufzureißen, zum Teil darum, neue Bekanntschaften zu schließen. »Ja.«
»Meinst du, du kannst mich und Holt mitnehmen?« Er setzte ein schmalziges Lächeln auf und hielt daran fest, während sie um den Wagen herumging. Sie sah es sogar durch die Scheiben – massives Anwanzen.
Der Ledersitz ihres SUVs brannte unangenehm unter Amaras Oberschenkeln, als sie sich daraufgleiten ließ. Sie schaltete die Zündung ein, und die Klimaanlage blies volle Pulle los. Einer der letzten heißen Tage des Jahres.
»Warum? Ich hab dir gesagt, dass ich wahrscheinlich relativ früh wieder abzischen werde.«
»Das ist gut, weil Holt bis spätestens um Mitternacht zu Hause sein will.«
»Was bedeutet, dass ich euch spätestens um halb zwölf abholen muss, wo immer ihr auch sein werdet.« Sie schüttelte den Kopf. »Wo wollt ihr überhaupt hin?«
»Ins Dinky. Du weißt, das ist meine Lieblingskneipe. Außerdem liegt sie auf deinem Weg in die City. Genau wie Holts Wohnung.«
Er konnte nicht ahnen, wie schnell sein letzter Satz den Deal besiegelt hatte. Genau wie er nicht ahnen konnte, mit wem sie sich heute Abend wirklich traf. Sie zögerte trotzdem.
»So könnten wir uns das Taxi sparen«, fügte er hinzu und rieb mit dem Handtuch über seinen Hals. »Komm schon, Mara. Hilf deinem Single-Bruder. Ich habe wieder Lust aufs Leben.«
Sie seufzte theatralisch. »Also gut, meinetwegen.«
Eddie grinste und machte sich dann an der Stereoanlage zu schaffen. »Danke, hermana. Ich schulde dir was.«
Gleich darauf erklang Reggaetón-Musik und erfüllte den Innenraum des Wagens. Amara trommelte mit ihren Fingern auf dem Lenkrad, während sie fuhr, unfähig, an etwas anderes zu denken als daran, dass sie Travis heute Abend wiedersehen würde. Was er wohl anzog, wenn er keine Trainingsklamotten trug? Was hing in seinem Kleiderschrank? Wie sah seine Wohnung aus – wie eine erweiterte Version seines Studios?
Aufregung blubberte in ihrem Bauch. Es mochte nur eine Hin- und Rückfahrt sein, aber sie würde sich diese Chance nicht entgehen lassen. In Travis’ Nähe zu sein, war wie ein elektrischer Schlag: prickelnd, ein bisschen schmerzhaft und absolut überwältigend.
Am frühen Abend bereitete Amara in der Küche eine heiße Zitrone zu, während Eddie gleich nebenan im Esszimmer einen Anruf entgegennahm.
»Hooolt!«
Sie hatte Travis früher zwar nur selten zu Gesicht bekommen, aber dafür hörte sie Eddie oft mit ihm telefonieren. Auch jetzt spitzte sie die Ohren, während ihr Bruder im Esszimmer auf und ab wanderte, und drückte einen Spritzer Honig in die Tasse.
»Wie meinst du das? Es ist umsonst, wen juckt es?«
Wieder eine Pause. Amara griff nach der Zitrone, die sie halbiert hatte, und presste so viel Saft wie möglich in das heiße Wasser.
»Sie fährt ohnehin in die Stadt. Es macht ihr nichts aus, ich schwöre.«
Sie verspannte sich. Die beiden sprachen zweifellos über die Mitfahrgelegenheit heute Abend. Ihr Herz schlug schneller. Würde Travis einen Rückzieher machen? Bitte, lieber Gott, lass diesen Mann nachher in meinen Wagen steigen.
»Holt, es ist in Ordnung. Glaub mir. Wir werden um neun da sein. Alles cool.«
Amara sog die Luft durch ihre Zähne, als Zitronensaft in eine kleine Schnittwunde an ihrem Mittelfinger drang. Sie spülte ihn ab und atmete tief durch. Es erstaunte sie immer wieder, wie heftig ein einziger Tropfen Zitronensaft brennen konnte.
»Wieso? Du musst um Mitternacht zu Hause sein, also passt es doch perfekt. Bro, ich werde mir kein Taxi leisten. Stell dich nicht so an.«
Amara entspannte sich wieder. Eddie würde ihn überzeugen, er musste. Vielleicht konnte sie sogar einen kurzen Blick in Travis’ Wohnung werfen. Das wäre der Hauptgewinn. Mit jeder Stunde, die verstrich, wurde Travis in ihrer Vorstellung mehr und mehr zu einer Berühmtheit. Zu einem lebendigen Gott.
»Gut. Bis später.«
Eddie kam in die Küche. Amara rührte mit einem Löffel in der Tasse und fragte: »Worum ging es da gerade?«
»Holt passt es nicht, dass wir bei dir mitfahren.« Er schüttelte den Kopf. »Der Kerl gibt lieber hundert Dollar für ein Taxi aus. Ohne mich. Er soll sich das Geld für die Kneipe sparen.«
Sie schnaubte. »Was hat er für ein Problem damit, dass ich fahre? Ich besitze einen Führerschein.«
»Ich weiß. Und er weiß es auch. Er will dir nur keine Umstände bereiten, schätze ich.«
»Auf die Idee kämst du gar nicht.« Sie sah ihn mit einem gespielt strengen Blick aus schmalen Augen an.
»Du bist meine Schwester. Das ist deine Aufgabe.« Eddie zwickte sie in die Seite und verließ die Küche. Amara beobachtete, wie er ins Wohnzimmer ging, wo Mom in ihrem Sessel döste. Es war nicht unbedingt ihre Aufgabe, ihren Bruder durch die Gegend zu kutschieren, aber es war ganz sicher ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese Familie so glücklich war, wie es nur ging, in Anbetracht der gegebenen Umstände.
Eddie war wieder zu Hause bei Mom eingezogen, nachdem seine letzte Freundin ihm vor sechs Monaten den Laufpass gegeben hatte. Der Zeitpunkt war günstig, denn kurz darauf waren bei ihrer Mutter die ersten Symptome aufgetreten. Natürlich war ihnen das damals nicht bewusst gewesen, aber der Krebs hatte bereits angefangen, Metastasen zu bilden, irgendwo tief in ihrem Gewebe. Ein leises, lauerndes Raubtier, das ihre Mutter von innen auffraß.
Die Wohnung kam Amara inzwischen viel kleiner vor; vielleicht lag es an der Zeit, die vergangen war. Ihre Welt war größer geworden seit ihrem Weggang aus L. A. Oder vielleicht war Moms Krankheit der neueste Bewohner und nahm den Raum ein, den sie noch nicht belegt hatten.
Amara ging hinüber ins Wohnzimmer. Mom rührte sich in ihrem Sessel, während Eddie im Fernsehen von einer Dauerwerbesendung auf den Wetterkanal umschaltete.
»Ma, möchtest du deine heiße Zitrone?« Sie stellte die Tasse auf dem Klapptisch neben dem Sessel ab. »Vorsicht, sie ist noch sehr heiß.«
Ihre Mutter streckte sich gähnend und ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten, ihre Arme in die Luft gereckt. »Ayyy, die Siesta hat gutgetan.«
»Fühlst du dich jetzt besser?« Amara setzte sich neben Eddie auf die Couch.
»Ich fühle mich fantástico.« Mom sprach zu Hause oft ein lustiges Kauderwelsch aus Englisch und Spanisch. »Danke für die limonada caliente, mein Schatz.«
Eddie war mit seinem Handy beschäftigt, seinen rechten Fuß über sein linkes Knie gelegt. Amara beugte sich zu ihm hinüber und spähte neugierig auf sein Display. »Was machst du da? Tinderst du gerade?« Das war die einzige Möglichkeit, in der Stadt anständige Leute kennenzulernen.
»Sei still.« Er schaltete den Bildschirm aus und steckte sein Handy weg.
»Ich kapiere dieses Tinder einfach nicht.« Mom hielt ihre Tasse mit beiden Händen umklammert und pustete sanft in ihr dampfendes Getränk. »Dieses ganze Wischen, Liken, Matchen, Chatten – Dios mío. Am Ende weiß niemand mehr, wie man telefoniert, obwohl man das Telefon ständig in der Hand hat.«
Amara prustete. »Gutes Argument, Ma.«
»Woher kennst du überhaupt Tinder?« Eddie sah Mom stirnrunzelnd an.
»Ich halte mich auf dem Laufenden, hijo. Ich weiß Bescheid über den neumodischen Kram.«
»Das ist heutzutage auch besser so«, bemerkte Amara kichernd. »Oder man verliert in dieser gottverdammten Welt schnell den Durchblick.«
Ihre Mutter warf ihr einen strengen Blick zu – wahrscheinlich, weil sie geflucht hatte.
»Warum könnt ihr Kids euch nicht auf die altmodische Art verabreden?« Mom nippte vorsichtig an ihrer Tasse.
»Was ist denn die altmodische Art? Zu warten, bis deine Eltern für dich eine Ehe arrangieren?« Amara grinste.
»Nein. Man besucht Gemeindefeste. Man trifft sich mit den Nachbarn. Man heiratet den Sohn oder die Tochter von Freunden und Bekannten und so weiter.«
»Das war vielleicht dort, wo du aufgewachsen bist, so, Ma.« Eddie zog eine Augenbraue hoch. »Aber das hier ist L. A. Das ist was völlig anderes.«
»Außerdem darf ich mich mit Eddies Freunden nicht verabreden.« Amara verschränkte ihre Arme vor der Brust und sah ihren Bruder mit gespielter Verärgerung an. »Hätte ich wenigstens eine Auswahl von potenziellen Kandidaten …«
Eddie kreuzte die Arme in der Luft. »Nur über meine Leiche. Meine Freunde sind Schweine.«
Amara lachte. »Wie kannst du so was sagen? Es sind deine Freunde.«
»Alle Männer sind Schweine, wenn es um meine kleine Schwester geht.« Er schüttelte den Kopf. »Außerdem, ein paar von den Jungs kenne ich schon seit über fünfzehn Jahren. Was bedeutet, dass ich zu viel weiß. Du suchst dir besser einen Kerl, mit dem ich keine gemeinsame Vergangenheit habe. So werde ich nicht wissen, wie krank der Typ in Wirklichkeit ist.«
»Selbst Travis ist so schlimm?« Sie versuchte, nach außen hin ganz cool zu wirken, und hoffte, dass Eddie die Neugier in ihrer Stimme nicht heraushörte.
»Er ist der Schlimmste von allen.«
Sie rollte mit den Augen. Mom nippte wieder an ihrem Getränk. »Eduardo, du bist zu streng zu deiner Schwester. Außerdem sind deine Freunde reizend.«
Er schüttelte wieder den Kopf und schnaubte verächtlich. »Sie sind meine Freunde, aber sie sind nicht gut genug für sie.«
Sein übertriebener Beschützerinstinkt war wie ein Klammergriff. Manchmal fühlte es sich warm und behaglich an, als wüsste Eddie wirklich, was er tat. Aber meistens – so wie heute – fühlte es sich an, als würde er in einem Zug sitzen, der nur eine einzige Richtung kannte: ihre ewige Jungfräulichkeit. Und der Umstand, dass ihr Bruder immer noch eifersüchtig über sie wachte, obwohl sie schon sechsundzwanzig war, schien eine neue Form von Unterdrückung zu sein. Eine, der sie sich widersetzen musste. Augenblicklich.
»Niemand ist gut genug für mich.« Sie starrte ihn an, während er an seinem Schuh herumfummelte. »Es ist ja nicht so, als würde ich es darauf anlegen, mit deinen Freunden auszugehen, aber du willst es mir direkt von vornherein verbieten? Ich kann nicht glauben, dass du einem Fremden mehr vertrauen würdest als einem deiner Kumpel. Jeder Fremde könnte ein Serienkiller sein. Die Macken deiner Freunde kennst du wenigstens.«
»Das ist es ja. Sie sind total abgefuckt.«
Dieses Mal erntete Eddie einen strengen Blick von Mom.
»Sorry, Ma.« Er sah wieder Amara an. »Aber was, wenn sie dich schlecht behandeln? Dann müsste ich einen Freund umbringen, was ich auch tun würde.«
Amara verdrehte kommentarlos ihre Augen.
»Egal, ist eh unwichtig. Du hast nicht vor, mit ihnen auszugehen – oder mit irgendeinem anderen. Warum reden wir überhaupt darüber?«
»Amara, mi amor.« Ihre Mutter seufzte. »Eines Tages wirst du deinen Traummann finden. Und möge Gott dafür sorgen, dass Eddie ihn akzeptiert!«
Amara ließ sich in die Couch zurückfallen, plötzlich erschöpft. Ihr Traummann. Sie glaubte nicht daran. Es klang wie ein Märchen.
Das wusste sie aus eigener Erfahrung. Selbst ihr Traumvater konnte eines Tages einfach fortgehen, ohne ein einziges Wort, ohne sich überhaupt zu verabschieden. Sicher, nicht alle Männer waren so. Aber wahrscheinlich die meisten.
Sie wollte keinen Mann – nicht dauerhaft. Aber sie wollte wenigstens die gleichen Startvoraussetzungen haben wie alle anderen. Sie wollte frei entscheiden können, mit wem sie ausging, selbst wenn sie davon gar keinen Gebrauch machte.
Aber Eddie würde wahrscheinlich niemals klein beigeben. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als ihr eigenes verdammtes Ding durchzuziehen. Sie durfte es nur nicht an die große Glocke hängen. Und der erste Schritt war, Travis deutlich auf die Pelle zu rücken.