Bridge Kingdom – Der Verrat der Königin - Danielle L. Jensen - E-Book
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Bridge Kingdom – Der Verrat der Königin E-Book

Danielle L. Jensen

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Beschreibung

Eine entschlossene Heldin, die alles zu verlieren droht: ihr Königreich, die Liebe und die letzte Hoffnung

Danielle L. Jensen begeistert Fans von Sarah J. Maas & Jennifer Estep mit ihrer Enemies-to-Lovers Romantasy und stürmischem Karibik-Setting.

Im zweiten Teil der TikTok-Sensation sitzt die Wunde des Verrats tief. Macht euch breit für jede Menge Kampfgeist, anziehende Blicke und schwerwiegende Entscheidungen. Doch was, wenn das Herz allein nicht reicht, um den richtigen Weg zu weisen?

Lara hat die Intrigen ihres Vaters zu spät erkannt. Durch ihren Verrat konnte er das Bridge Kingdom einnehmen und hat nun die Kontrolle über alle anderen Reiche. Lara wurde verbannt und darf nie wieder ins Bridge Kingdom zurückkehren – sonst droht ihr der Tod. Doch dann wird Aren von ihrem Vater gefangen genommen. Lara ist fest entschlossen, Aren zu retten. Doch der Kampf um das Bridge Kingdom wird mit aller Brutalität geführt.  Und während alle, die sie liebt, in tödlicher Gefahr schweben, muss Lara entscheiden, für wen sie kämpft: Aren, ihr Königreich oder sich selbst. 

»Lauf nicht, sondern renn in die Buchhandlung, um dieses Buch zu kaufen!« Jennifer L. Armentrout 

»Eine epische und actionreiche Geschichte um Liebe, Rache und Verrat.« Jennifer Estep 

»Exzellent geplottet, bewegend, und einfach unmöglich aus der Hand zu legen … Ich habe jedes Wort geliebt.« Sarah J. Maas

#TikTok made me buy it

Band 1: Bridge Kingdom - Der Schwur der Spionin
Band 2: Bridge Kingdom - Der Verrat der Königin

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Übersetzung aus dem kanadischen Englisch von Michaela Link

© Danielle L. Jensen 2020

Published by Arrangement with Danielle L. Jensen

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Traitor Queen«, Context Literary Agency, New York 2020

© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2023

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Karte: Damien Mammoliti

Redaktion: Tamara Reisinger

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Coverabbildung: Guter Punkt, München, Miriam Steinhart unter Verwendung von Motiven von gettyimages.de

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Karte

Widmung

1 Aren

2 Lara

3 Aren

4 Lara

5 Aren

6 Lara

7 Aren

8 Lara

9 Lara

10 Lara

11 Aren

12 Lara

13 Aren

14 Lara

15 Lara

16 Aren

17 Aren

18 Lara

19 Aren

20 Lara

21 Aren

22 Lara

23 Aren

24 Lara

25 Aren

26 Lara

27 Aren

28 Lara

29 Aren

30 Lara

31 Lara

32 Aren

33 Lara

34 Aren

35 Lara

36 Aren

37 Lara

38 Aren

39 Lara

40 Aren

41 Lara

42 Aren

43 Lara

44 Aren

45 Aren

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47 Aren

48 Lara

49 Aren

50 Lara

51 Aren

52 Lara

53 Aren

54 Lara

55 Aren

56 Lara

57 Aren

58 Lara

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60 Lara

61 Lara

62 Aren

63 Lara

64 Aren

65 Lara

66 Lara

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für meine liebste Freundin und Vertraute, Elise Kova

1 Aren

Er trug seit dreizehn Tagen eine Augenbinde.

Außerdem war er gefesselt und zeitweise geknebelt, aber obwohl seine Handgelenke von den Seilen aufgeschürft waren und wie Feuer brannten, und trotz des widerwärtigen Geschmacks der Stofffetzen, die man ihm immer wieder in den Mund stopfte, waren es vor allem die Augenbinde und die dadurch hervorgerufene endlose Dunkelheit, die Aren, den ehemaligen König Ithicanas, an den Rand des Wahnsinns trieben.

Während Schmerz ein alter Freund war und Unbequemlichkeit beinahe eine Lebensart, war die Beschränkung auf die Bilder, die sein Geist heraufbeschwor, die schlimmste Art der Folter. Denn obwohl er wünschte, es wäre anders, zeigte ihm sein Geist einzig und allein Bilder von ihr.

Von Lara.

Seiner Ehefrau.

Der Verräterkönigin von Ithicana.

Dabei hatte Aren dringendere Fragen zu bedenken, deren wichtigste lautete: Wie zur Hölle konnte er den Maridrinern entkommen? Doch seine Überlegungen verblassten, während er jeden Moment mit ihr in der Vergangenheit erforschte und vergeblich versuchte, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden, wirkliches Empfinden von Schauspielerei – obwohl er nicht sagen konnte, welchem Zweck das diente. Was spielte es für eine Rolle, zu wissen, ob irgendetwas von alledem tatsächlich echt war, wenn die Brücke verloren, sein Volk tot oder dem Tode nah war, wenn sein Königreich sich am Rande der Niederlage befand? Und all das, weil er seiner Feindin vertraut hatte – sie geliebt hatte.

Ich liebe dich. Ihre Stimme und ihr Gesicht erfüllten seine Gedanken, honigfarbenes, wirres Haar, himmelblaue Augen, in denen Tränen glitzerten, die sich ihren Weg durch den Schmutz auf ihren Wangen bahnten.

Wahrheit oder Lüge?

Aren war sich nicht sicher, welche Antwort Balsam für die Wunde sein würde und welche sie wieder weit aufreißen würde. Ein weiser Mann hätte sich von dem Thema abgekehrt, aber Gott allein wusste, dass er auf diese Eigenschaft keinen Anspruch erheben durfte, und so drehte er sich weiterhin im Kreis, das Verlangen nach ihrem Gesicht, ihrer Stimme und nach ihren Berührungen verzehrten ihn, während die Maridriner ihn trotz seiner Gegenwehr aus seinem gefallenen Königreich zerrten. Erst als sie das Meer längst hinter sich gelassen hatten und sich in der Wüste unter der Hitze des maridrinischen Himmels befanden, wurde ihm sein Wunsch gewährt: Man nahm ihm die Augenbinde ab.

Wünsche waren die Träume von Narren.

2 Lara

Lara hatte nicht gewusst, dass Eranahl über einen Kerker verfügte.

Aber es gab kein passenderes Wort für die dunkle Zelle in den Höhlen, die sich unter der Inselstadt befand. Die steinernen Wände waren glitschig von Moder und die Luft abgestanden. Die stählernen Gitterstäbe wiesen nicht einmal einen Hauch von Rost auf, denn dies war Ithicana, und selbst die Dinge, die kaum benutzt wurden, hielt man hier gut in Schuss.

Lara lag rücklings auf der schmalen Pritsche, und die dünne Decke, die man ihr gegeben hatte, trug wenig dazu bei, die feuchte Kälte abzuwehren. Ihr Magen war verkrampft von ständigem Hunger, denn sie bekam die gleichen Rationen wie alle anderen auf der Insel.

Das war nicht die Entwicklung, die sie sich erhofft hatte.

Statt Ahnna von ihrem Plan zu überzeugen, Aren aus den Fängen ihres Vaters zu retten, hatte die Zurschaustellung ihrer gesamten Kampfkünste bei der Ratsversammlung nur ergeben, dass man sie in Eisen gelegt, durch die Straßen der Stadt gezerrt und in diese Zelle geworfen hatte. Und diejenigen, die ihr Nahrung und frisches Wasser brachten, weigerten sich, mit ihr zu sprechen, und ignorierten ihre flehentlichen Bitten, Ahnna sehen zu dürfen.

Jeder Tag, der verstrich, war ein weiterer Tag, an dem Aren ein Gefangener in Maridrina blieb, und Gott allein mochte wissen, welche Art von Behandlung ihm dort zuteil wurde.

Ob er überhaupt noch lebte.

Bei dem Gedanken wollte sie sich am liebsten zusammenrollen. Wollte vor Verzweiflung schreien. Wollte aus diesem Gefängnis ausbrechen und versuchen, Aren selbst zu befreien.

Doch sie wusste, dass das Wahnsinn gewesen wäre.

Sie brauchte Ithicana.

Wenn sie ihnen nur klarmachen könnte, dass sie sie ebenfalls brauchten.

3 Aren

»Guten Morgen, Euer Majestät«, erklang eine Stimme, während jemand ihm die Augenbinde abnahm.

Aren blinzelte heftig, und Tränen strömten ihm über die Wangen, als die Sonne in seinen Augen brannte und ihm ebenso unerbittlich die Sicht nahm wie der mit Schweißflecken bedeckte Stoff. Nach und nach verblasste das grelle Weiß und wich einem gut gepflegten Rosengarten. Einem Tisch. Einem Mann mit silbernem Haar, sonnengebräunter Haut und Augen, die die Farbe der Stürmischen See hatten.

Der König von Maridrina.

Laras Vater.

Sein Feind.

Aren machte einen Satz über den Tisch. Er scherte sich nicht darum, dass er unbewaffnet war oder dass seine Handgelenke gefesselt waren. Er wusste nur, dass er diesem Mann wehtun musste, dem Mann, der alles zerstört hatte, was ihm teuer gewesen war.

Als seine Finger nur noch Zentimeter von ihrem Ziel entfernt waren, wurde Aren zurückgerissen – von einer Kette, die um seine Taille gewickelt war und die ihn an dem Stuhl festband wie einen Hund an einem Pfahl.

»Na, na. Lasst uns nicht unzivilisiert sein.«

»Fickt. Euch.«

Die Oberlippe des maridrinischen Königs verzog sich verachtend, als hätte Aren eher gebellt als gesprochen.

»Ihr seid so, wie Euer Königreich es war, Euer Majestät. Barbarisch.«

War.

Das höhnische Grinsen wich einem Lächeln. »Ja, Euer Majestät. War. Denn ich fürchte, Ithicana existiert nicht mehr, und Euer Titel ist jetzt nichts weiter als eine reine Höflichkeit, auf die Ihr, wie ich fürchte, werdet verzichten müssen.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Wie sollen wir Euch nennen? Master Kertell? Oder vielleicht wäre sogar ein gewisses Maß an Vertrautheit angemessen, immerhin sind wir ja irgendwie auch Familie, Aren.«

»Ich gebe einen Scheiß darauf, wie Ihr mich nennt, Silas. Was Eure andere Behauptung betrifft, die Brücke ist nicht Ithicana. Ich bin nicht Ithicana. Mein …«

»… Euer Volk ist Ithicana«, beendete Silas den Satz, und seine Augen leuchteten vor Erheiterung. »Hübsche Worte, mein Junge. Und vielleicht steckt sogar Wahrheit darin. Ithicana steht … solange Eranahl es tut.«

Arens Magen krampfte sich zusammen, und der Name seiner Stadt auf den Lippen seines Feindes war gleichzeitig ungewohnt und unwillkommen.

»Welch ein Geheimnis Ihr da gehütet habt.« König Silas Veliant schüttelte den Kopf. »Aber es ist nicht länger ein Geheimnis.«

»Wenn Ihr beabsichtigt, mit mir über Eranahls Kapitulation zu verhandeln, verschwendet Ihr Eure Zeit.«

»Ich verschwende meine Zeit nicht. Und ich verhandle nicht.« Silas rieb sich das Kinn. »Fast alle Eurer Untertanen haben sich auf einer einzigen Insel versammelt, wo sie von Vorräten abgeschnitten sind und keinerlei Hoffnung auf Rettung haben. Wie lange werden sie durchhalten? Wie lange wird es dauern, bis Eranahl keine Festung mehr ist, sondern ein Grab? Nein, Aren, ich brauche Euch nicht, um Ithicana endgültig zu vernichten.«

So weit würde es nicht kommen. Wer immer in Eranahl das Kommando führte, würde im Schutz der Stürme Zivilisten aus Ithicana schmuggeln. Nach Norden und Süden. Versprengt in alle Winde.

Aber lebend.

Und solange sie lebten … »Wenn ich so nutzlos bin, warum bin ich dann hier?«

Silas legte die Fingerspitzen zusammen und schwieg. Arens Herz begann, zu rasen, donnerte regelrecht in seiner Brust, und jeder Schlag war heftiger als der vorangegangene.

»Wo ist Lara?«

Eine unerwartete Frage, denn Aren hatte eigentlich erwartet, sie würde hier sein. Zurück in Maridrina. Zurück an der Seite ihres Vaters. Dass sie es nicht war … dass ihr Vater nicht wusste, wo sie war …

Ich liebe dich.

Aren schüttelte entschieden den Kopf, und eine Schweißperle rann ihm über die Wange. Sie hatte ihm einen Dolch in den Rücken gerammt, hatte ihn von Anfang an belogen. Nichts, was sie je gesagt hatte, spielte jetzt noch eine Rolle. »Ich habe keine Ahnung.«

»Ist sie noch am Leben?«

Seine Haut kribbelte vor Unbehagen, und Laras Stimme hallte durch seine Gedanken: Ich dachte, ich hätte alle Briefbögen vernichtet. Das ist … das ist ein Irrtum. Die Tränen in ihren Augen hatten wie Juwelen geglitzert. »Da kann ich wie Ihr nur raten.«

»Habt Ihr sie gehen lassen? Oder ist sie geflohen?«

Bitte, tu das nicht. Ich kann kämpfen. Ich kann dir helfen. Ich kann …

»Eine Verräterin gehen zu lassen, scheint mir eine unkluge Entscheidung zu sein.« Dennoch war es die Entscheidung gewesen, die er getroffen hatte. Warum? Warum hatte er sie nicht einfach getötet, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte?

Der andere Mann legte den Kopf schief. Dann griff er in die Tasche seines glänzenden weißen Mantels und holte ein zerfleddertes, fleckiges Stück Papier hervor, dessen Vergoldung an den Rändern schon lange abgegriffen war. »Das hier hat man bei Euch gefunden, als man Euch durchsucht hat. Ein sehr interessantes Dokument.«

Silas legte es flach auf den Tisch. Arens Handschrift war durch die Wassermale und Blutflecken kaum noch sichtbar. »Auf der einen Seite verrät sie mich. Auf der anderen« – er drehte das Blatt um – »verrät sie Euch. Ein Rätsel. Ich muss sagen, wir wussten nicht recht, was wir davon halten sollten, vor allem in Verbindung mit Eurem Besuch in meiner schönen Stadt. Verratet mir, was glaubt Ihr, wo Laras Loyalität wirklich liegt?«

Arens Hemd klebte ihm am Rücken, und der Gestank von Schweiß drang ihm in die Nase. »Angesichts unserer gegenwärtigen Umstände würde ich sagen, die Antwort liegt auf der Hand.«

»Oberflächlich betrachtet vielleicht.« Der maridrinische König strich mit den Fingern über das Stück Papier. »Wenn ich fragen darf, wer hat Marylyn getötet?«

»Das war ich.« Die Lüge entschlüpfte ihm, bevor Aren sich fragen konnte, warum er sie für notwendig hielt.

»Nein«, überlegte Silas laut. »Nein, ich denke nicht, dass Ihr das wart.«

»Glaubt, was Ihr wollt. Es macht keinen Unterschied.«

Laras Vater faltete das Papier wieder zusammen und beugte sich vor, um es in den Halsausschnitt von Arens Hemd zu schieben. »Lasst mich Euch eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte über ein Mädchen, das zusammen mit ihren geliebten Schwestern in der Wüste erzogen wurde. Ein Mädchen, das, als es hörte, dass ihr Vater sie und zehn ihrer Schwestern töten wollte, entschieden hatte, sich nicht selbst zu retten, sondern sich in Gefahr zu begeben, um ihre Schwestern zu retten. Ein Mädchen, das sich entschieden hatte, nicht in eine sichere Zukunft zu fliehen, sondern sich selbst zu einem dunklen Schicksal zu verurteilen. Alles, nur um ihre geliebten Schwestern zu retten.«

»Ich habe diese Geschichte bereits gehört.« Teile davon. Von Lara. Und von der Schwester, die sie ermordet hatte.

»Die Geschichte gehört, vielleicht. Aber habt Ihr sie auch verstanden? Denn aus jeder guten Geschichte kann man etwas lernen.«

»Dann klärt mich bitte unbedingt auf.« Aren hob seine zusammengebundenen Handgelenke. »Ich werde wie gefesselt an Euren Lippen hängen.«

Silas kicherte und fragte dann: »Warum sollte dieses Mädchen, wenn es so verdammt entschlossen das Leben ihrer Schwestern schützen wollte, plötzlich selbst eine von ihnen töten?«

»Marylyn hat die anderen bedroht.«

»Die anderen waren aber nicht dort. Sie hatte Zeit. Doch statt diese Zeit zu nutzen, hat sie ihrer Schwester das Genick gebrochen. Was mich, Aren, zu der Auffassung führt, dass etwas, das ihr sehr teuer war, sich in unmittelbarerer Gefahr befand.«

Bilder blitzten vor Arens innerem Auge auf. Laras Gesicht, ihr Blick, als er auf dem Boden gekniet hatte, während ihre Schwester ihm ein Messer an die Kehle hielt. Die Art, wie sie den Raum abgesucht hatte, nicht nach einer Fluchtmöglichkeit, sondern nach einem Ausweg aus einer unmöglichen Situation. Es hatte nur eine einzige Entscheidung gegeben: sein Leben oder das von Marylyn.

Silas Veliant beugte sich erneut über den Tisch, und es schien ihn nicht zu kümmern, dass er jetzt in Reichweite von Arens Händen war. »Ich habe meiner Tochter ein Versprechen gegeben, Euer Majestät« – seine Stimme troff jetzt vor Hohn – »ich habe ihr versprochen, dass ich, sollte sie mich jemals verraten, sie auf die denkbar schlimmste Weise töten lassen würde. Und ich halte meine Versprechen immer.«

Maridrinisches Bastardblau. Das war die Augenfarbe dieses Mannes. Und Laras Augenfarbe. Aber während ihre voller Tiefe und Leben gewesen waren, war es bei ihrem Vater, als würde man in die Augen einer Schlange starren. Sein Blick war kalt. Leidenschaftslos. Grausam. »Sie hat Euch nicht verraten, Ihr habt, was Ihr wolltet.«

Ein träges Lächeln entblößte seine Zähne, die zu viel Tabak gesehen hatten. »Selbst jetzt noch, nach allem, was sie Ithicana gekostet hat, lügt Ihr für sie. Ihr liebt sie.«

Das war eine Lüge. Lara hatte Ithicana seine Brücke gekostet. Seinem Volk das Leben. Ihm selbst seinen Thron. Er hasste sie. »Sie bedeutet mir nichts.«

Silas kicherte, dann murmelte er: »Wir werden sehen. Sie weiß mit Sicherheit, dass Ihr hier seid. Und mit noch größerer Sicherheit wird sie wegen Euch herkommen, und wenn sie das tut, werde ich sie niedermetzeln.«

»Ich werde Euch das Schwert reichen.«

Sein Kichern verwandelte sich in ein unbändiges, misstönendes Lachen. »Wir werden sehen, ob Ihr noch ins gleiche Horn bläst, wenn Eure Frau auf den Knien um Euer Leben bettelt. Oder wenn sie anfängt, nach Gnade für sich selbst zu schreien.«

Ohne ein weiteres Wort erhob sich der König Maridrinas und ließ Aren allein und angekettet im Garten zurück. Und obwohl Aren tagelang nichts anderes gewollt hatte, als sehen zu können, um das Bild ihres Gesichtes auszulöschen, schloss er jetzt die Augen, um es zu betrachten. Lauf, Lara. Und schau niemals zurück.

4 Lara

Der Klang von Schritten drang in Laras Träume ein, und sie fuhr hoch und blinzelte mit trüben Augen in die Dunkelheit.

Seit wie vielen Tagen war sie nun schon hier unten? Sechs? Sieben? Ohne jegliches Sonnenlicht war das Eintreffen ihrer Mahlzeit die einzige Möglichkeit, die Tage zu zählen. Sie schüttelte den Kopf, um den Nebel um ihre Gedanken loszuwerden, dann konzentrierte sie sich auf das Licht, das die Schritte begleitete.

Die Prinzessin von Ithicana, Kommandantin der Insel Südwacht und Arens Zwillingsschwester erschien draußen vor ihrer Zellentür und musterte sie einmal von oben bis unten. »Du siehst beschissen aus.«

»Ich habe keinen Besuch erwartet.«

Aber Lara war nicht die Einzige, die ziemlich mitgenommen aussah. Ahnna trug Hemd, Hose und Stiefel, wie sie die meisten Menschen in Ithicana bevorzugten, und hatte ihr dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Schatten verdunkelten die Haut unter ihren Augen, und sie hatte den Mund vor Erschöpfung zu einer dünnen Linie verzogen. Die Verletzung, die sie sich im Kampf gegen die Eindringlinge aus Maridrina zugezogen hatte, zeigte sich noch immer als leuchtend rote Narbe, die sich von der Stirn bis zum Wangenknochen erstreckte, und Ahnna berührte die Wunde kurz, als wolle sie sich ins Gedächtnis rufen, dass sie immer noch da war.

Obwohl Lara Angst davor hatte, die Frage zu stellen, sagte sie: »Gibt es Neuigkeiten von Aren?«

Ahnna schüttelte den Kopf. »Seit fast einer Woche hängt ein schlimmer Sturm über uns. Wir sind von allen Informationen abgeschnitten.«

»Warum bist du dann hier?«

Ahnna umfasste mit beiden Händen die Gitterstäbe der Zelle und lehnte sich dagegen. »Die ganze Stadt verlangt, dass ich dich hinrichten lasse. Weißt du, wie wir hier in Ithicana mit Verrätern verfahren?« Sie wartete nicht auf Laras Antwort. »Wir lassen sie bis zur Hüfte im Meer baumeln und wühlen dann das Wasser auf. Wenn du Glück hast, taucht ein einziger Großer auf, und die Sache ist schnell vorbei, aber oft läuft es anders.«

Lara starrte die Prinzessin an. »Hast du vor, ihrer Bitte zuzustimmen?«

Ahnna schwieg für einen langen Moment, bevor sie sagte: »Ich werde dir die Gelegenheit geben, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Ich denke, du beginnst am besten mit der Wahrheit.«

Die Wahrheit.

Aren war der einzige Mensch, dem sie sich jemals anvertraut hatte, und trotzdem hatte es vieles gegeben, das sie für sich behalten hatte. Jetzt würde Lara allerdings nichts mehr für sich behalten.

Ahnna hörte schweigend zu, während Lara ihr erzählte, wie man sie und ihre Schwestern damals auf das Gelände in der Roten Wüste gebracht hatte. Welches Martyrium ihre Ausbildung bei Serin, der Elster, gewesen war. Wie man sie einer Gehirnwäsche unterzogen hatte, bis sie Ithicana für den Schurke hielten und kein einziges Mal den Verdacht schöpften, dass das wahre Böse ihr eigener Vater sein könnte. Sie erzählte von dem Abendessen, bei dem sie das Leben ihrer Schwestern gerettet hatte, indem sie sich selbst opferte, und alles, was danach passiert war. Sie ließ keine Einzelheit aus.

Als sie schließlich fertig war, saß Ahnna auf dem Boden und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Aren hat Jor gegenüber behauptet, du wärst entkommen. Aber sobald ich das gehört hatte, wusste ich, dass er dich hat gehen lassen. Verdammter sentimentaler Idiot.«

»Er hat gesagt, dass er mich töten würde, wenn ich je zurückkäme.«

»Und doch bist du hier.« Ahnna berührte gedankenverloren die Verletzung in ihrem Gesicht. Dann konzentrierte sie sich wieder auf Lara. »Du hast gesagt, du hättest einen Plan? Eine Möglichkeit, Aren zu befreien?«

Triumph raste durch Laras Herz, aber sie hielt ihre Gesichtszüge unter Kontrolle. »Um Aren zu befreien, ja. Aber auch, um Ithicana von meinem Vater zu befreien.«

Ahnnas Augen wurden schmal. »Wie? Die Maridriner halten all unsere Garnisonen, Nordwacht und Südwacht eingeschlossen. Sie werden von all den Verteidigungsanlagen geschützt, die wir dort eingerichtet haben, und wir haben nicht die Truppenzahlen, um sie zu durchbrechen. Glaub mir, wir haben es versucht. Das ist auch der Grund, warum sie Aren geschnappt haben.«

»Weshalb ihr Verbündete braucht.«

Ahnna stieß ein Schnauben aus und wandte den Blick ab. »Du klingst genauso wie Aren. Und genau diese Denkweise hat uns überhaupt erst in diese Situation gebracht.«

»Hör mich an.« Lara stand auf und ging in ihrer Zelle auf und ab. »Nach meiner Flucht aus Ithicana bin ich nach Harendell gegangen. Sie sind nicht glücklich darüber, dass Maridrina die Brücke hält, denn das Bündnis meines Vaters mit der amaridischen Königin bedeutet, dass Amarid in Nordwacht und auf der Brücke bevorzugt wird. Harendell verliert haufenweise Geld, und du weißt, wie sie dazu stehen.«

Ahnna nickte.

»Die Harendeller wollen nicht, dass Maridrina die Brücke hält, noch wollen sie sie für sich selbst. Wenn wir uns an ihren König wenden, können wir ihn vielleicht überreden, sich in diesem Kampf auf Ithicanas Seite zu schlagen.«

»Er wird seine Marine nicht aufs Spiel zu setzen, nur weil wir ihn darum bitten, Lara. Harendell mag beim Handel Geld verlieren, aber wenn es in den Krieg zieht, wird es noch mehr verlieren.«

»Er wird es tun, wenn du ihn an sein Wort erinnerst.« Lara umfasste die Gitterstäbe ihrer Zelle und sah Ahnna direkt in die Augen. »Das Bündnis des Fünfzehn-Jahre-Vertrages mit Maridrina mag gebrochen sein, aber das mit Harendell hat noch Bestand. Oder es wird Bestand haben, sofern …«

»Sofern ich ihren Kronprinzen heirate.«

Lara umfasste die Gitterstäbe noch fester und nickte. »Ja.«

Mit einer einzigen schnellen Bewegung wandte Ahnna sich ab und durchquerte den Flur, um die Stirn gegen die Gitterstäbe der Zelle gegenüber zu drücken. Schließlich sagte sie: »Weißt du, ich habe Ithicana noch nie verlassen. Nicht ein einziges Mal.«

Die meisten Ithicaner hatten ihre Heimat nie verlassen, nur die wenigen Auserwählten, die zu Spionen ausgebildet worden waren, aber wenn man bedachte, wer Ahnna war, war die Information überraschend.

»Sobald meine Mutter es erlaubt hat, ist Aren abgezischt wie ein abgefeuerter Pfeil. Norden und Süden, er hat alle Länder bereist. Und es hat Jahre gegeben, in denen es sich so angefühlt hat, als würde er mehr Zeit in einem anderen Königreich verbringen und so tun, als sei er jemand anderer, statt mir hier in Ithicana ein Bruder zu sein.« Ahnna schwieg für einen Moment. »Ich habe das nie verstanden. Habe nie verstanden, warum er lieber irgendwo anders sein wollte als hier.«

»Weil«, antwortete Lara leise, »er wusste, dass eine Zeit kommen würde, da es ihm nicht mehr gestattet sein würde, fortzugehen. Genau wie du gewusst hast, dass eine Zeit kommen würde, da es dir nicht mehr gestattet sein würde, zurückzukehren.«

Ahnnas Schultern bebten, und Lara hörte, wie sie zittrig Atem holte, bevor sie sich umdrehte. Sie wühlte in ihrer Tasche und holte einen Schlüssel heraus, den sie in das Schloss von Laras Zelle schob. »Wie sieht der Rest des Plans aus?«

5 Aren

Es dauerte nicht lange, bis ihm klar wurde, dass sie ihn im inneren Heiligtum des Palastes von Vencia gefangen hielten – einem Ort, der für den König von Maridrina, seine Ehefrauen und seine zahlreichen Nachfahren reserviert war. Warum man ihn an diesem Ort festhielt und nicht in einer Zelle in einem von Maridrinas ungezählten Gefängnissen, war ihm weniger klar.

Wahrscheinlich, weil es für Silas auf diese Weise bequemer ist, sich an meinem Elend zu ergötzen, vermutete Aren.

So viel Zeit Aren in Maridrina auch verbracht hatte, er war nie im Palast gewesen. Was er in dem Gebäude hätte herausfinden können, war es nicht wert gewesen, die Sicherheitsmaßnahmen zu testen. Vor allem für jemanden von Arens Rang. Die einzige ithicanische Spionin, die je in den Palast vorgedrungen war, war seine Großmutter gewesen. Nana hatte es geschafft, für den Harem des vorherigen Königs rekrutiert zu werden, wo sie über ein Jahr gelebt hatte, bevor sie ihren eigenen Tod vorgetäuscht hatte, um zu fliehen. Und das war fünfzig Jahre her.

Nun allerdings verfluchte Aren sein fehlendes Wissen über diesen Ort, denn dieser Mangel wurde ihm bei einem Ausbruchsversuch zum Verhängnis.

Die innere Palastmauer war zehn Meter hoch, und an jeder der vier Ecken waren Wachen und Soldaten postiert, die auf den Zinnen Patrouille gingen. Es gab nur ein einziges Tor, durch das man das Gelände betreten konnte, und dieses Tor war zu jeder Zeit geschlossen und wurde gut bewacht, sowohl von innen als auch von außen. Innerhalb der Mauern befanden sich zwei geschwungene Gebäude, zwischen denen der Turm mit seinem Bronzedach stand, den man meilenweit sehen konnte. Und inmitten all dessen waren die Gärten, in denen Dienerinnen ihre Tage damit verbrachten, die Rasenflächen, Hecken und Blumen zu pflegen, während andere die steinernen Wege fegten und die Springbrunnen von den Trümmern befreiten, die die Stürme heranwehten. All ihre Bemühungen dienten dazu, dass Silas und seine Ehefrauen es so angenehm wie möglich hatten.

Aktuell lebten fünfzig Ehefrauen im Harem, und die Frauen nutzen die Pausen des schlechten Wetters, um nach draußen zu gehen; sie alle trugen die feinsten Seidengewänder, und an ihren Fingern und in ihren Ohren funkelten Edelsteine. Einige Frauen waren schon älter, aber die meisten waren jung genug, um Silas’ Töchter sein zu können, was in Aren Ekel hervorrief. Man hatte ihm verboten, mit ihnen zu sprechen. Doch natürlich hielten die Frauen weit genug Abstand von dem steinernen Tisch, an dem er an einer Bank festgekettet war, weshalb sich gar nicht erst die Gelegenheit zu einem Gespräch bot.

Und dann waren da noch die Kinder.

Er hatte sechzehn gezählt, alle unter zehn Jahren. Nicht alle von ihnen hatten die Augenfarbe ihres Vaters geerbt, doch bei einigen von ihnen war das durchaus der Fall, und jedes Mal, wenn eins dieser Kinder ihn mit diesen himmelblauen Augen fixierte, hatte Aren das Gefühl, einen Hieb in die Eingeweide zu bekommen. Es waren die gleichen himmelblauen Augen wie Laras.

Wo war sie?

Wohin war sie gegangen?

War sie überhaupt noch am Leben?

Und die schlimmste Frage: Hatte sie Silas’ Köder geschluckt? Würde sie wegen ihm kommen? Natürlich wird sie das nicht tun, sagte er sich. Du bist ihr scheißegal. Es war alles eine Lüge.

Aber wenn es eine Lüge war, warum machte Silas dann Jagd auf sie?

Warum wollte er ihren Tod, wenn sie ihm alles gegeben hatte, was sein Herz begehrte?

Die Gedanken trieben Aren schier in den Wahnsinn, und während er angekettet auf dieser Bank in den Gärten saß, hatte er nichts, um sich abzulenken, nichts, um die Angst zu mildern, die mit jedem weiteren Tag in seinen Eingeweiden wuchs.

Der Schrei einer Frau durchschnitt die Luft und riss Aren aus seinem Tagtraum. Wieder und wieder schrie die Frau, und Aren beobachtete, wie die Gemahlinnen, die in den Gärten gewesen waren, in die Gebäude flohen, während die Diener die Kinder hinter ihnen hertrieben.

Die Schreie kamen näher, und die Wachen öffneten das Tor, um einen alten Mann mit Kapuze hereinzulassen, der langsam zwischen den Gebäuden hindurch auf Aren zukam.

Die Elster.

»Wie schön, Euch wiederzusehen, Euer Gnaden.« Serin neigte den Kopf. Dann verzog er das Gesicht. »Entschuldigung, ich werde im Alter vergesslich. Ihr seid ja nicht länger König, also pflegen wir einen vertrauten Umgang miteinander, nicht wahr, Aren?«

Aren antwortete nicht, und das Verhalten des Meisterspions wollte so gar nicht zu dem Geschrei passen, das gleichzeitig auf der anderen Seite des geöffneten Tores erklang. Schweiß rollte ihm in dicken Perlen über den Rücken, und der Puls brüllte in seinen Ohren.

»Wie es der Zufall will, habt Ihr eine Besucherin«, bemerkte Serin und gab den Wachen mit einer Hand ein Zeichen.

Zwei Soldaten erschienen am Tor zum Innenhof und zerrten eine Gestalt zwischen ihnen hinter sich her, die sich zu wehren versuchte. Aren wollte aufstehen, aber seine Ketten rissen ihn zurück auf die Bank.

Die Frau trug ein nach maridrinischer Manier geschneidertes Kleid, aber ihr Gesicht wurde von einem Sack verborgen. Ihr Gewand war übersät von Blutflecken, und wann immer sie versuchte, sich von den Soldaten loszureißen, fielen Tröpfchen auf die blassen Pflastersteine.

War es Lara? Er konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Die Frau hatte die richtige Größe. Den richtigen Körperbau.

»Es war nur eine Frage der Zeit, nicht wahr?«, schnurrte Serin und holte ein Messer aus seiner Robe. »Ich muss sagen, es war leichter als erwartet, sie einzufangen. Gefühle führen zu schlampigen Handlungen, selbst für jemanden mit ihrer Ausbildung.«

Aren konnte nicht atmen. Konnte nicht denken.

»Lara und ihre Schwestern sind an Schmerz gewöhnt, Aren. Sie sind besser daran gewöhnt, als Ihr Euch jemals vorstellen könntet.«

Serin hielt das Messer über einen Kohleofen, den einer der Soldaten herbeigebracht hatte, und beobachtete, wie das Metall sich erhitzte. »Es war Schmerz, mit dem ich ihren Geist beeinflusst habe. Schon faszinierend, dass sie Euch die Schuld für ihre Tränen gaben, obwohl ich derjenige war, der ihnen Verbrennungen zugefügt hat – obwohl ich derjenige war, der ihnen Schnittwunden beigebracht und sie bei lebendigem Leib begraben hat. Ich musste ihnen nur die richtigen Worte in die Ohren flüstern. Kinder sind derart biegsame Geschöpfe. Zieht ihr bitte einen ihrer Schuhe aus.«

Die Soldaten rissen Laras Bein hoch und streiften ihr den Schuh ab, und ohne zu zögern, drückte Serin die heiße Klinge gegen ihre Fußsohle.

Sie schrie, und das war das schlimmste Geräusch, das Aren je gehört hatte.

Er stürzte auf sie zu, sodass die Steinbank über den Boden rutschte, die Fesseln in seine Handgelenke schnitten und Blut an seinen Händen herabfloss. »Lasst sie los!«, brüllte er. »Lara!«

Serin lächelte. »Und da dachte ich, ich hätte gehört, unsere widerspenstige Prinzessin bedeute Euch nichts. Und dass Ihr selbst ein Schwert gereicht bekommen wolltet, wenn ihr Vater sich dafür entscheiden sollte, ihr den Kopf abzuhacken.«

»Dafür werde ich Euch töten!«

»Ich bin mir sicher, dass Ihr das gern tun würdet.« Die Elster hielt das Messer wieder über den Kohleofen. »Was denkt Ihr, wie viel kann sie ertragen? So wie ich es in Erinnerung habe, war Lara ziemlich robust. Bemerkenswert robust.«

»Bitte.« Aren zerrte die Bank Zentimeter für Zentimeter zu ihr hinüber, aber die Wachen wichen ebenfalls einen Schritt zurück.

»Wie war das?« Serin drückte die Klinge auf Laras anderen Fuß, und ihre schrillen Schreie hallten durch den Innenhof. »Ich fürchte, mein Gehör ist im Alter nicht besser geworden.«

»Bitte! Bitte, tut ihr nicht weh.«

»Ah.« Serin ließ das Messer sinken. »Nun, in diesem Fall können wir vielleicht zu einer Einigung gelangen. Ihr erzählt uns, wie man Eranahls Verteidigungsmaßnahmen überwindet, und all das wird vorüber sein.«

Nein.

Serin schnippte mit den Fingern, und ein Wachposten erschien. Er trug eine Lederrolle mit verschiedenen Werkzeugen darin, die der Meisterspion sorgfältig auseinanderrollte. »Ich habe das hier im Laufe der Jahre zu so etwas wie einer Kunst erhoben.«

»Es gibt keine Möglichkeit, in Eranahl einzufallen.« Die Worte kamen als ein Krächzen aus Arens Kehle. »Die Schiffsbrecher werden jedes Schiff zerschmettern, das in die Nähe kommt.«

»Was, wenn dem Angreifer eine ziemlich große Flotte zur Verfügung stünde?«

»Versucht es. Findet es heraus.«

Serin wählte eins der Werkzeuge aus. »Es ist Eure Stadt. Gewiss kennt Ihr ihre Schwächen.«

»Es gibt keine.«

»Schade.« Serin drehte sich mit dem glitzernden Metall in der Hand zu Lara um, und einen Herzschlag später kreischte sie.

»Hört auf! Lasst sie gehen! Bitte!« Die Worte drangen nur verzerrt aus seiner Kehle, und ein Beben durchlief seinen ganzen Körper, solche Anstrengung kostete es ihn, die Bank näher zu ihr zu zerren. Er musste ihr helfen. Musste sie retten.

»Wie gelangen wir nach Eranahl?« Serin drehte sich um und sah ihn an. »Nein? Mal sehen, wie sie darauf reagiert, ihre Finger zu verlieren.«

»Reißt das verdammte Tor heraus!«, schrie Aren verzweifelt. Es war die Wahrheit, nur dass es ihnen nichts nutzen würde. Aber wenn es Lara rettete …

»Wie machen wir das?« Serin wählte das nächste Werkzeug aus.

Aren fiel auf die Knie und sagte: »Bitte.«

»Eine Strategie, Aren. Gebt uns eine Strategie, und das hier wird ein Ende haben.«

In diesem Moment wand Lara sich. Sie riss sich von den Wachen los, die sie festhielten, und warf sich auf Aren, prallte mit ihm zusammen. Aber bevor die Wachen erneut über sie herfallen konnten, griff sie mit ihren gefesselten Händen nach dem Sack und zog ihn sich vom Kopf.

Emra, die junge Kommandantin der Garnison von Kestark, starrte ihn an, ihre Augen waren voller Qual und Verzweiflung. Blut sickerte aus ihrem Mund – was erklärte, warum sie nicht gesprochen hatte. Ihre Augen waren völlig zugeschwollen.

»Idioten«, zischte Serin den Wachen zu. »Schafft sie weg.«

Die Männer traten vorsichtig näher heran, und Aren zog die junge Frau an sich, obwohl er wusste, dass er nicht in der Lage sein würde, sie lange zu schützen. Und sobald sie sie hatten, würde Serin sie foltern, bis sie tot war oder bis Aren ihm gab, was er wollte.

Emra stieß einen Laut aus, das Wort kaum zu verstehen. Aber das Flehen war klar.

Aren holte tief Luft.

»Haltet ihn auf!«, brüllte Serin, aber Aren war schneller, und beide Soldaten blieben wie angewurzelt stehen, als sie das Knacken hörten, mit dem Emras Genick brach.

Langsam ließ er die junge Frau zu Boden sinken. Er machte sich nicht die Mühe, sie weiterhin festzuhalten, als die Männer sie außer Reichweite zerrten.

»Hängt sie auf«, sagte Serin, und Aren biss die Zähne zusammen und zwang sich, zuzusehen, wie die Männer die tote Frau zur Mauer schleppten. Einer der Soldaten oben ließ ein Seil herabfallen, das sie ihr um den Hals legten, dann hievten sie sie hoch, bis sie von der Mauerbrüstung baumelte. Blut tropfte vom ihrem Fuß auf den grünen Rasen.

»So wird es also sein, Serin?« Aren bemühte sich um einen ruhigen Tonfall. »Ihr sucht Ithicana nach jungen Frauen ab, die ihr als Lara ausgeben könnt?«

Die Elster rieb sich am Kinn. »Absuchen … Wisst Ihr, Aren, absuchen ist nicht der richtige Ausdruck. Das würde bedeuten, dass wir dieses kleine Vögelchen gesucht hätten, obwohl sie uns in Wahrheit direkt in die Arme geflogen ist.«

Aren gefror das Blut in den Adern.

»Euer Volk scheint nicht bereit zu sein, Euch gehen zu lassen«, sprach Serin weiter. »Und obwohl dies nur der erste Versuch war, Euch zu retten, bezweifle ich stark, dass es der letzte sein wird.« Dann gab er den wartenden Soldaten ein Zeichen. »Holt die beiden anderen Gefangenen her.«

Aber bevor sie sich bewegen konnten, durchschnitt eine Stimme die Luft. »Gütiger Gott, Serin! Habt Ihr nicht irgendwelche Löcher und dunklen Orte, an denen Ihr dergleichen Dinge tun könnt? Was kommt als Nächstes? Enthauptungen am Esstisch?«

Als Aren den Kopf drehte, entdeckte er ein Dutzend Schritte entfernt einen schlanken Mann in maridrinischer Festkleidung. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Lippen angewidert verzogen. Bedächtig kam er auf sie zu und wich den Blutspritzern auf dem Pfad aus. Hinter ihm eskortierten zwei maridrinische Soldaten eine Valcottanerin mit gefesselten Händen. Sie war groß und schlank, ihr lockiges, dunkles Haar kurz geschoren, und ihre großen braunen Augen wurden von dichten Wimpern umrahmt. Sie war wunderschön, aber ihre braune Haut zeigte verblasste Prellungen, und ihre Unterlippe war verschorft von Platzwunden.

»Euer Hoheit.« Serin machte eine flüchtige Verbeugung. »Ihr solltet eigentlich in Nerastis sein.«

»Ja, nun, wir haben uns eine hübsche Beute eingefangen. Es erschien mir klug, dafür zu sorgen, dass sie in einem Stück hier ankommt. Zerbrochene Dinge lassen sich weniger leicht zu meinem Vorteil nutzen.«

Serin beäugte die Gefangene und zog eine Braue hoch. »General Zarrah Anaphora, die Nichte der Kaiserin. Ihr habt Euch selbst übertroffen, Hoheit. Damit werdet Ihr die Gunst Eures Vaters erringen.«

»Das bezweifle ich.«

Serin gab einen nichtssagenden Laut von sich. »Jetzt, da Ihr sie abgeliefert habt, nehme ich an, dass Ihr sofort nach Nerastis zurückkehren werdet.«

Keine Frage, sondern eine Feststellung. Welcher von Silas’ Söhnen der Mann auch sein mochte, die Elster wollte ihn ganz offensichtlich nicht in Vencia haben.

Der Prinz strich sich eine Locke seines dunkelblonden Haares hinter ein Ohr und musterte Aren interessiert aus seinen blauen Augen. »Das ist also der ithicanische König? Ich muss sagen, er ist weniger Furcht einflößend, als ich erwartet habe. Ich bin ziemlich enttäuscht, zu sehen, dass er keine Hörner hat.«

»Der ehemalige König. Ithicana existiert nicht mehr.«

Der Blick des Prinzen flackerte zu Emra hinüber, die von der Mauer baumelte, dann kehrte er zu Aren zurück. »Mein Fehler. Macht bitte weiter.«

Er ging an Aren vorbei in Richtung des Turms, und die Soldaten, die General Anaphoras Eskorte bildeten, folgten ihm.

Doch als sie an Aren vorbeigingen, riss die Frau sich los und ließ sich vor ihm auf die Knie fallen. »Es tut mir leid, Euer Gnaden.« Ihr Blick suchte den seinen, und Tränen schimmerten in ihren Augen. »Es tut mir leid, was Ihr verloren habt. Und welche Rolle ich bei alldem gespielt habe, was geschehen ist. Ich bete, dass ich eines Tages die Gelegenheit haben werde, Buße zu tun.«

Bevor Aren antworten konnte, zerrte einer der Soldaten sie wieder hoch und knurrte: »Das Einzige, worum Ihr beten solltet, ist, dass seine Majestät Euren Kopf nicht auf Vencias Tor aufspießen lässt, valcottanisches Miststück!«

Zarrah spuckte dem Mann ins Gesicht, und er hob die Hand, um sie zu schlagen, aber in dem Moment durchschnitt die Stimme des Prinzen die Luft, sein Ton war eisig. »Habt Ihr das Schicksal des letzten Mannes vergessen, der meine Beute geschlagen hat?«

Der Soldat erbleichte, ließ die Hand sinken und murmelte: »Geht weiter.«

Die Gruppe setzte ihren Weg fort, aber bevor sie außer Sicht verschwanden, rief der Prinz über seine Schulter: »Sorgt dafür, dass Ihr Eure Schweinerei sauber macht, Elster.«

»Holt die beiden anderen Gefangenen«, stieß Serin mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Es wird Zeit, herauszufinden, was Seine Gnaden sonst noch zu bieten hat.«

6 Lara

»Wie Ihr es von Harendell und zurück geschafft habt, ohne in einem Meer aus Eurem eigenen Erbrochenen zu ertrinken, ist mir ein verdammtes Rätsel, Mädchen.«

Lara hob den Kopf vom Sand und wischte sich mit einer Hand über den Mund, sie war verärgert, dass ausgerechnet jetzt, nach drei Tagen rauer See, der Boden beabsichtigte, unter ihr zu buckeln, als wollte er sie persönlich bestrafen. »Es ist keine Erfahrung, die ich gern wiederholen würde.« Sie rappelte sich langsam hoch, bevor sie sich den Sand aus ihrem Rock klopfte.

Nur sie und Jor standen am Strand, die anderen Ithicaner – die wenigen Überlebenden von Arens Ehrengarde – waren alle im Boot geblieben. Ihre Miene war so dunkel wie der Himmel hinter ihnen.

»Wir können für diese Sache keine Zeit verschwenden«, sagte Jor, die höflichste Version der Worte, die sie seit ihrem Aufbruch von Eranahl ständig hörte.

»Vielleicht nicht.« Lara bückte sich nach ihrer Tasche, warf sie sich über die Schulter und beäugte die steilen Hügel, die sie erklimmen musste. Es war das Beste, es hinter sich zu bringen, bevor die Sonne ganz aufgegangen war. »Aber angesichts unserer Situation sehe ich auch nicht, dass uns viel anderes übrig bleibt.«

»Wir könnten jetzt angreifen. Euer Vater, der Bastard, hat Aren seit Wochen in seiner Gewalt, Lara. Gott weiß, was er ihm angetan hat.«

»Mein Vater wird ihm kein Haar gekrümmt haben. Nicht, solange er denkt, es bestünde noch eine Chance, dass Ahnna ihm Eranahl im Austausch gegen Arens Rückkehr überlassen wird.«

Lara war zugegen gewesen, als die ithicanische Prinzessin den Brief von ihrem Vater erhalten hatte. Sie hatte ihn selbst gelesen, während Ahnna sich vor Trauer gekrümmt hatte, und auch jetzt tanzten die Worte noch durch ihre Gedanken.

An Ihre Königliche Hoheit, Prinzessin Ahnna Kertell von Ithicana,

es wird Zeit, dass dieser Krieg endet. Als Geste guten Willens wird man Euch Euren Bruder, Aren Kertell, ausliefern, sobald die Insel Eranahl den Marineschiffen, die sie umringen, ihre Kapitulation mitteilt. Vorausgesetzt, dass sie sich friedlich verhalten, wird man Eure Leute nach Maridrina bringen, und nach einer entsprechend langen Zeit wird man ihnen Land im Inneren schenken, wo sie sich ansiedeln dürfen. Wir hoffen, dass Ihr für die Zukunft Eures Volkes mehr Mitgefühl und Weitsicht aufbringt als Euer Bruder.

Mit unseren aufrichtigsten Grüßen,

Silas Veliant, König von Maridrina und Herr der Brücke

»Er lügt«, hatte sie danach zu Ahnna gesagt. »Wenn du die Tore öffnest, wird er alle abschlachten.«

»Dessen bin ich mir bewusst«, war Ahnnas Antwort gewesen, währen sie den Kopf hob. »Aber wenn ich ablehne, könnte er entscheiden, dass Aren keinen Nutzen mehr für ihn hat.«

»Er weiß, dass ich wegen Aren kommen werde. Er wird die Chance, mich zu töten, nicht einfach aufgeben.«

Die Prinzessin hatte ihrem Blick standgehalten. »Er weiß, dass du versuchen wirst, Aren zu retten. Aber er weiß auch, dass es genauso wahrscheinlich ist, dass du Rache willst.«

Jor hüstelte und riss Lara damit zurück in die Gegenwart. »Eurem Vater ist doch sicher klar, dass Ahnna diesen Handel nicht annehmen wird.«

»Vielleicht. Aber man kann mit Toten nicht verhandeln, und es kostet ihn nichts, Aren gefangen zu halten. Er wird Aren so lange am Leben lassen, bis der Krieg gewonnen ist.«

»Ihr meint wohl eher, bis Eranahl fällt.«

Lara brummte ein Ja. Das war die Uhr, gegen die sie antraten. Die Stadt war am Limit, und selbst mit strenger Rationierung schwanden die Vorräte in einem erschreckenden Tempo. Die Fischer waren allesamt draußen, sobald die Stürme eine Pause einlegten, aber sie wagten sich nicht weit von der Insel weg. Nicht solange ihr Vater die Amarider dafür bezahlte, das Risiko der aufgewühlten See einzugehen und von dort aus die Inselfestung zu überwachen. Eranahl hatte genug Nahrung, um bis zu Beginn der nächsten Sturmsaison durchzuhalten, aber keinen Tag länger. Wenn sie diesen Tag erreichten, war Ithicana wirklich und wahrhaftig verloren.

Jor funkelte sie an. »Und da so viel auf dem Spiel steht, wollt Ihr, dass wir herumsitzen, während Ihr versucht, ein Familientreffen zu organisieren?«

»Das wäre ideal.« Stirnrunzelnd betrachtete Lara den Morgenhimmel. »Aber ich gehe eher davon aus, dass Ihr weiter das Leben Eurer besten Männer und Frauen wegwerft, um den Palast meines Vaters zu infiltrieren. Was diese Rettung erheblich erschweren wird, wenn die Zeit kommt. Wir müssen zusammenarbeiten, wenn wir auch nur die geringste Chance haben wollen, Aren zu befreien. Und wenn Euch das nicht genügt, denkt daran, dass Ahnna diesem Plan zugestimmt hat. Und als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war sie es, die das Kommando hatte.«

Jor schnaubte, und Lara beäugte ihn argwöhnisch. Das hier war hart für den alten Soldaten. Er war bei der Gruppe gewesen, die mit den Maridrinern gekämpft hatte, als Aren gefangen genommen worden war, und sie wusste, dass er sich selbst die Schuld dafür gab, obwohl er keinen Fehler gemacht hatte. Lara war es gelungen, Arens Leibwächterin Lia die Details zu entlocken, und so hatte sie erfahren, dass Arens Risikobereitschaft ihn zu guter Letzt doch eingeholt hatte. Er hatte sich zu weit vorgewagt, und als die Maridriner begriffen hatten, welcher Preis ihnen in die Arme gelaufen war, hatten sie den Rückzug angetreten und Jor und den Übrigen keine Möglichkeit gelassen, ihren König zurückzuholen. »Es ist nicht Eure Schuld.«

»Da habt Ihr recht«, fuhr er sie an. »Es ist Eure. Und es gibt kein wir. Es gibt ein wir und es gibt ein Ihr, also denkt nicht daran, irgendwelche Ansprüche auf die Männer und Frauen zu erheben, die gekämpft haben und gestorben sind bei dem Versuch, Eure … Fehler … wiedergutzumachen.«

Obwohl fast jeder Ithicaner, dessen Weg sie gekreuzt hatte, ihr irgendeine Variante dieser Worte ins Gesicht geschrien hatte, zuckte Lara zusammen. Sie verdiente den Zorn, das Misstrauen und den Hass dieser Menschen, denn es war tatsächlich ihre Schuld, dass Ithicana gefallen war. Dass es ein Missgeschick war, bewirkt durch ihre eigene Feigheit, machte alles nur umso schlimmer.

»Ich weiß, Jor. Und deshalb tue ich alles in meiner Macht Stehende, um den Schaden, der angerichtet wurde, wiedergutzumachen.«

»Tote kann man nicht zurückbringen.«

»Ihr solltet besser hoffen, dass es anders ist«, antwortete sie und dachte an ihre Schwestern, die mit reglosem Oberkörper und geschlossenen Augen auf dem Esstisch lagen. »Oder wir sind wirklich und wahrhaftig verloren.«

Jor spuckte in den Sand. »Ihr könnt Eure Waffen zurückhaben.« Er griff nach dem Beutel zu seinen Füßen und fluchte, als er feststellte, dass er bereits leer war.

Lächelnd zog Lara den Saum ihres Rocks hoch und entblößte eine der Klingen, die sie sich schon vor Stunden zurückgestohlen hatte.

»Wir dachten, Maridrina hätte uns ein Schaf geschickt«, sagte er kopfschüttelnd. »Aber die ganze Zeit hatten wir einen Wolf, der mit uns bei Tisch gespeist und uns alle getäuscht hat.«

»Aren hat es gewusst.« Und trotzdem hatte er sie geliebt.

»Jawohl. Und seht Euch an, wohin es ihn gebracht hat.«

Arens Gesicht, das nach ihrem Verrat voller Qual gewesen war, tauchte vor ihrem inneren Auge auf, aber sie drängte die Erinnerung beiseite. Sie konnte die Vergangenheit nicht ändern, aber sie hatte verdammt noch mal vor, die Zukunft zu gestalten.

»Ich werde in einigen Wochen zurück sein. Wenn nicht, bedeutet das, dass ich tot bin.« Lara richtete den Blick wieder auf Maridrina. Wenn Marylyn die Wahrheit gesagt hatte, waren ihre Schwestern dort draußen, lebendig und wohlauf.

Und es wurde Zeit, dass Lara einforderte, was ihr zustand.

7 Aren

»Sagt uns, wie wir Eranahl einnehmen können«, flüsterte Serin, und sein Atem strich über Arens Ohr.

Die Berührung durchbrach Arens Erschöpfung und sandte Wellen des Ekels seinen Rücken hinab. Tagelang war er jetzt schon in dem winzigen, kahlen Raum eingesperrt und den Fragen des Meisterspions ausgeliefert, auf die er bisher jede Antwort verweigert hatte.

»Da gibt es nichts zu sagen«, knurrte Aren um das Stück Holz herum, das sie ihm zwischen die Zähne gezwungen hatten, damit er nicht auf die Idee kam, sich die Zunge abzubeißen. »Es ist uneinnehmbar.«

»Was ist mit den Klippen?« Serins Tonfall änderte sich nie, ganz gleich, was Aren sagte. Ganz gleich, wie sehr er versuchte, den Mann anzustacheln. »Könnte ein einzelner Soldat es unbemerkt in den Krater des Vulkans schaffen?«

»Warum probiert Ihr es nicht aus?« Aren versuchte, den Kopf weit genug zu wenden, um den Meisterspion sehen zu können, aber bei der Bewegung drehte sich sein ganzer Körper in den Ketten, an denen er baumelte, und seine Sicht verschwamm wegen dem Blut, das sich in seinem Kopf sammelte. »Obwohl ich davon ausgehe, dass Ihr das bereits getan habt. Hat meine Schwester die Schiffsbrecher benutzt, um die Leichen zu Euren Schiffen zu werfen? Ahnna kann sehr gut zielen.« Falls sie überhaupt dort war. Falls sie überhaupt noch am Leben war.

»Beschreibt mir das Innere des Kraters.« Serin ging neben Aren her, während er an der Kette herumgedreht wurde. »Wie sieht es aus? Aus welchen Materialien bestehen die Gebäude?«

»Benutzt Eure Fantasie«, zischte Aren, aber es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, ihm wurde immer wieder schwarz vor Augen.

Serin stellte unbeirrt weitere Fragen. »Das Tor … Ist es nach dem gleichen Muster gebaut wie das Fallgitter in Südwacht?«

»Leckt mich am Arsch.«

»Wie viele Soldaten bewachen es?«

Aren knirschte mit den Zähnen und wünschte, er könnte einfach das Bewusstsein verlieren, doch ihm war klar, dass sie ihn dann mit einem Eimer Wasser ins Gesicht wieder wecken würden. Und dann würden weitere Fragen folgen. Endlose Fragen. So viel wusste Aren inzwischen. Nach etlichen Tagen dieser Tortur wusste Aren es.

»Wie viele Boote habt Ihr in dieser Höhle?«

»Wie viele Zivilisten leben auf der Insel?«

»Wie viele Kinder sind dort?«

Alles, was Aren wollte, war Schlaf. Alles, alles für Schlaf. Aber Serin gestattete ihm nicht mehr als ein paar Minuten, bevor er ihn mit den schlimmsten Methoden wieder wachrüttelte. Methoden, die sein Herz vor Panik wünschen ließen, aus seiner Brust zu explodieren.

»Welche Vorräte hat die Stadt?«

»Wo bewahrt Ihr sie auf?«

»Woher beziehen sie ihr Wasser?«

»Natürlich vom Regen!« Die Worte rutschten ihm über die Lippen, und sein ganzer Körper zitterte und bebte. Heiß und dann kalt. Warum zur Hölle stellte der Mann so dumme Fragen?

Abrupt wurde Aren auf den feuchten Boden seines Gefängnisses herabgelassen. Zwei Wachen fassten ihn unter den Armen und schleppten ihn dann zu seiner Pritsche, wo er ohne viel Federlesens fallen gelassen wurde. Einer der Männer löste das Holzstück zwischen seinen Zähnen und reichte ihm einen Becher Wasser. Aren kippte die Flüssigkeit hinunter, und der Wachposten füllte den Becher kommentarlos wieder auf.

Aren wand sich auf der Pritsche und krümmte sich um die gefesselten Hände.

Es schadet nichts, ihm Antworten auf nutzlose Fragen zu geben, sagte er sich und bemerkte kaum, dass der Wachposten eine Decke über ihm ausbreitete. Aber seine Angst folgte ihm in den Schlaf.

Er träumte von Mittwacht. Von den heißen Quellen im Garten.

Von Lara.

Davon, wie er ihr beibrachte, sich auf dem Rücken treiben zu lassen, während ihr nackter Körper von seinen Händen gehalten wurde und ihr Haar in den Wasserströmungen umherwirbelte. Sie wölbte den Rücken, und ihre vollen Brüste erhoben sich über der Wasseroberfläche, und ihre Brustwarzen wurden hart, als kalte Regentropfen sie trafen. Sein Blick wanderte zu ihrem flachen Bauch und verweilte dort, wo der Schaum des Wasserfalls die Stelle zwischen ihren Schenkeln entblößte und dann wieder verdeckte und ein Verlangen in ihm entfachte, das niemals ganz verebbte, wenn sie in seiner Nähe war. »Entspann dich«, murmelte er, nicht sicher, ob die Anweisung ihr galt oder ihm selbst. »Lass dich vom Wasser tragen.«

»Wenn du mich loslässt«, antwortete sie, »werde ich nicht erfreut sein.«

»Das Wasser reicht dir nur bis zur Taille.«

Sie öffnete die Augen, um ihn zu betrachten, und Dampf bildete Perlen auf ihren Wimpern. »Darum geht es nicht.«

Lächelnd beugte er sich vor, küsste sie auf die Lippen und kostete sie gründlich, bevor er flüsterte: »Ich werde dich niemals loslassen.«

Aber statt zu antworten, schrie Lara.

Aren riss die Augen auf und versuchte, sich aufzurichten, aber er war an die Pritsche gefesselt. Im Raum herrschte totale Schwärze, und Lara schrie. Ihre Stimme war voller Schmerz und Angst.

»Lara!«, rief er und stemmte sich gegen seine Fesseln. »Lara!«

Dann brachen die Schreie ab, und seine Ohren füllten sich stattdessen mit dem Getrappel fliehender Schritte. Eine Tür wurde geöffnet und geschlossen, dann loderte eine Lampe auf und blendete ihn. Nur verschwommen erkannte er Serins von einer Kapuze verhülltes Gesicht.

»Guten Morgen, Aren.«

Es war nicht Lara gewesen, die geschrien hatte. Nur ein weiteres Psychospielchen von Serin. Aren riss sich zusammen und sagte: »Ich habe schon bessere Morgen erlebt.«

Die Elster lächelte. »Gestern Nacht hat man in der Kanalisation unter dem Palast zwei weitere von Euren Leuten gefunden – anscheinend wussten sie nichts von unseren jüngst eingebauten Sicherheitsmaßnahmen. Wollt Ihr Euch zu mir gesellen, während ich den beiden ein richtiges maridrinisches Willkommen bereite?«

8 Lara

Lara schirmte die Augen gegen das grelle Licht ab, das der Bergsee widerspiegelte, und betrachtete aufmerksam sämtliche Details der Stadt, die zwischen den Bäumen am westlichen Seeufer erbaut worden war. Im Laufe der vergangenen Woche hatte sie ein Dutzend solcher Städte besucht und vorsichtig nach einer schönen Frau mit schwarzem Haar und ozeanblauen Augen gefragt.

Sarhina. Ihre Lieblingsschwester. Die Schwester, die ihr am nächsten stand. Die Schwester, in deren Tasche Lara einen Brief zurückgelassen hatte, in dem sie ihr Tun erklärte, kurz bevor sie sie und die anderen vergiftet hatte.

Wie sicher sie sich in diesem Moment gewesen war, dass sie ihr Täuschungsmanöver verstehen würden. Dass sie aus ihrem totenähnlichen Schlaf erwachen, das Schreiben finden und begreifen würden, dass Lara ihnen eine Chance auf Leben und Freiheit erkauft hatte. Dass sie ihr dafür vielleicht zwar nicht danken würden, aber zumindest begreifen, dass es die einzig Möglichkeit gewesen war, wie sie alle überleben konnten.

Marylyns rasende Wut hatte diese Überzeugung zutiefst erschüttert.

Sie hatte am meisten Grund gehabt, zornig zu sein. Marylyn war die auserwählte Schwester gewesen – die, die Königin von Ithicana hätte werden sollen –, und Lara hatte ihr diese Ehre gestohlen. Oder vielmehr die Belohnungen, die ihr Vater ihr versprochen hatte, Belohnungen, die mit der Krone einhergehen würden, rief sie sich ins Gedächtnis und dachte an das irre Leuchten in Marylyns Augen, als sie ihre wahren Motive offenbart hatte.

Aber vielleicht hatten ihre anderen Schwestern ebenso Grund, Lara für das, was sie getan hatte, zu hassen. Sie hatten ihr ganzes Leben damit verbracht, um eine einzige Position zu konkurrieren – eine Position, die Marylyn sich verdient und die Lara ihr mit einer List gestohlen hatte. Sie hatte sie alle belogen. Sie alle vergiftet. Sie zurückgelassen, damit sie einen Weg aus der Roten Wüste hinaus fanden, ohne Kamele oder Vorräte. Nach allem, was sie wusste, würden sie einen einzigen Blick auf sie werfen und ihr zur Strafe die Kehle aufschlitzen.

Sarhina war die einzige Schwester, von der sie sich sicher war, dass sie ihr ihr Vorgehen verzeihen würde.

Sarhina, die intelligenteste von Laras Schwestern, war eine brutale Kämpferin, eine gerissene Strategin und eine geborene Anführerin. Doch wieder und wieder hatte sie nur mittelmäßig abgeschnitten, obwohl sie eigentlich ganz oben hätte sein sollen. Absichtlicher Durchschnitt, lautete Laras Vermutung, aber auch wenn irgendeiner ihrer Lehrer die Taktik ihrer Schwester durchschaut hatte, hatten sie es nie beweisen können. Sarhina war nicht töricht genug gewesen, zuzugeben, dass sie ihre eigenen Chancen darauf, Königin zu werden, sabotierte, aber Befürchtungen sind aufschlussreich, wie Lara begriffen hatte.

»Es heißt, Ithicana sei so eingehüllt in Nebel, dass man nicht weiter als ein Dutzend Schritte in alle Richtungen sehen kann«, hatte Sarhina ihr in einer dunklen Nacht in ihrem geteilten Schlafzimmer zugeflüstert. »Dass die Dschungel so dicht sind, dass man sich mit einer Klinge seinen Weg hindurchschneiden muss, und wer unvorsichtig ist, ist zwischen den Ästen gefangen wie eine Fliege in einem Spinnennetz. Dass man, sobald man auf den Inseln ist, niemals den Himmel sieht.«

»Klingt wunderbar«, hatte Lara gemurmelt. »Ich könnte eine Verschnaufpause von der Sonne gebrauchen.«

»Klingt nach einem Grab«, hatte Sarhina entgegnet.

Zu der Zeit hatten Sarhinas Sorgen kaum eine Rolle gespielt, aber als Serin das Training der Schwestern intensiviert und sie zu Komplizen in der Folterung der anderen gemacht hatte, hatte Lara angefangen, Sarhinas Angst zu verstehen. Hatte beobachtet, wie ihre Schwester in der Grube zusammengebrochen war, während die anderen Schaufel um Schaufel Sand auf ihren Kopf geschippt hatten, um sie bei lebendigem Leib zu begraben. Sie hatte mit angesehen, wie sie gefleht und sämtliche Informationen angeboten hatte, um sich aus der Situation zu befreien.

Serin hatte nur angewidert die Hände hochgerissen und Sarhina angebrüllt, dass die Ithicaner sie wirklich lebendig begraben würden, sollte sie tatsächlich gestehen, dann hatte er sie in die Grube zurückwerfen lassen, um die Übung zu wiederholen. Wieder und wieder, bis Sarhina lernte, ihre Angst zu beherrschen. Sie zu verbergen. Ausgleich dafür zu schaffen.

Aber niemals, sie zu besiegen.

Was der Grund war, warum Lara jetzt am höchsten Punkt Maridrinas stand: den Kresteck-Bergen. Der Gebirgszug verlief an der östlichen Küste entlang, zerklüftet und wild, er war voller glitzernder Seen, schnell fließender Ströme und dem frischen Geruch von Kiefern. Das Gebiet war spärlich bevölkert, denn die meisten Jäger und Fallensteller lebten allein in ihren primitiven Hütten. Die wenigen Dörfer lagen in Tälern und an das Seeufer geschmiegt, boten jedoch nur selten mehr als hundert Menschen ein Zuhause. Es war gefährlich, den Gebirgszug zu überqueren, in dem es oft zu Steinrutschen und Überschwemmungen kam und im Winter zu Lawinen, was alles noch verschlimmert wurde von den Wegelagerern, die die wenigen befestigten Wege im Norden und Süden heimsuchten.

Ein grauenvoller Ort, kalt und unfreundlich, zumindest Laras Meinung nach. Aber die Gipfel ragten in den Himmel empor und boten einen weiten und offenen Blick über viele Meilen hinweg, und tief in ihrem Herzen wusste Lara, dass Sarhina hierhergegangen sein würde.

Sie aufzuspüren, würde allerdings eine ganz andere Sache sein. In den Tagen vor jenem schicksalsträchtigen Abendessen in der Wüstenoase hatte es keine Gelegenheit gegeben, darüber nachzudenken, wie sie ihre Schwestern in der Zukunft wiederfinden würde – zumindest nicht, ohne ihnen ihren Plan zu offenbaren. Und deshalb musste sie darauf warten, dass Sarhina sie fand. Die anderen Mädchen wussten, dass ihr Vater ihren Tod wollte. Durchaus möglich, dass sie auch wussten, dass die Tarnung, die Lara ihnen geschenkt hatte, durch Marylyns Verhalten aufgeflogen war. So oder so, sie wären gegen eventuelle Verfolger gewappnet, und würden gleichermaßen bereit sein, sich um jeden zu kümmern, der nach ihnen suchte. Wie Lara waren auch ihre Schwestern Jägerinnen, sie brauchte nur eine ihrer Fallen auszulösen.

Und da man ihr in der letzten Stadt einen Hinweis darauf gegeben hatte, dass an diesem Ort hier möglicherweise eine junge Frau lebte, auf die Sarhinas Beschreibung passte, war Lara überzeugt davon, dass ihr genau das gelungen war.

Lara saß vom ihrem Bergpony ab und band es weit genug vom Pfad entfernt an, sodass man es nicht sehen würde, bevor sie sich auf den Weg zu dem Dorf machte. Rauch erhob sich aus den Schornsteinen der Häuser, und sie entdeckte zwei Männer, die Felle zum Trocknen auf Rahmen spannten, Felle, die in naher Zukunft den Weg durch die Brücke nehmen sollten, wo sie schließlich verkauft wurden, um die Umhänge und Handschuhe von Edelleuten in Harendell und Amarid zu säumen. Ein anderer Mann, prächtig von Gestalt und nackt bis zu Taille, hackte Holz, um es einem beeindruckend großen Haufen hinzuzufügen. Eine alte Frau kauerte vor einem Feuer und würzte das Fleisch, das sich auf einem Spieß über den Flammen drehte, und hinter ihr rannte eine Traube von Kindern durch die Gärten, und ihr Lachen wehte um die Bäume und erreichte Laras Ohren.

Sie umrundete das Dorf und registrierte jede Person und die Waffen, die sie trug, ebenso wie die besten Fluchtwege, falls die Situation eskalieren sollte. Die Bergbewohner waren friedlich, aber Notwendigkeit machte sie argwöhnisch gegenüber Fremden und tüchtigen Kämpfern. Niemand hatte sie bisher belästigt, aber das konnte sich binnen eines Herzschlags ändern. Und eins konnte Lara auf keinen Fall gebrauchen: dass die Nachricht von einer Frau, die ihrer Beschreibung entsprach, bis zu Serin in Vencia vordrang, vor allem, wenn ihn ebenfalls die Nachricht erreichte, dass sie nach Frauen suchte, auf die die Beschreibung einer Prinzessin der Veliant passte.

Als sie sich sicher war, dass sie die Gegend hinlänglich erkundet hatte, machte Lara einen Schritt auf das Dorf zu. Die Geschichte über ihre Suche nach einer verlorenen Schwester lag ihr bereits auf der Zungenspitze, als plötzlich die Tür zu einem der Häuser aufging und Sarhina mit einem Korb unter einem Arm herauskam.

Lara erstarrte mitten im Schritt, während ihre Schwester über den Dorfplatz zu dem Mann spazierte, der Holz hackte. Er hielt in seiner Arbeit inne und wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er sich vorbeugte, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Sarhinas Lachen durchdrang die Luft, und als sie sich zurücklehnte, öffnete sich ihr Umhang und gab zwei Ehemesser frei, die über ihrem geschwollenen Bauch festgebunden waren.

Lara konnte nicht atmen.

Mit einem koketten Augenzwinkern, das dem lächelnden Mann galt, setzte Sarhina ihren Weg in Richtung Wald fort, und ihr Umhang wehte hinter ihr her.

Lara bewegte sich nicht, während die Erkenntnis, dass die Dinge sich geändert hatten, langsam zu ihr durchdrang. Aus Gründen, die sie nicht erklären konnte, hatte sie sich vorgestellt, ihre Schwestern so vorzufinden, wie sie gewesen waren: Kriegerprinzessinnen, die um das Recht konkurrierten, ihr Land verteidigen zu dürfen. Als existierten sie in einer Art Vakuum. Nur dass über anderthalb Jahre vergangen waren, seit sie sie in der Oase zurückgelassen hatte, und zumindest Sarhina war weitergezogen.

Hatte geheiratet.

War schwanger.

Hatte sich ein Leben geschaffen.

Genauso wie Lara es sich für ihre Schwester erhofft hatte. Wie konnte sie das jetzt aus dem Gleichgewicht bringen? Wie konnte sie alles, was Sarhina sich für sich selbst aufgebaut hatte, das Leben der Menschen, die sie so offensichtlich liebte, in Gefahr bringen, und das nur, um ihre eigenen Fehler zu korrigieren? Um einen einzigen Mann zu retten?

Lara schloss die Augen, und Tränen fielen auf den Schal, den sie um ihren Hals geschlungen hatte. Sie wusste, dass sie von hier verschwinden musste. Dass sie ihre Schwester in dem Frieden zurücklassen musste, den sie für sie erkauft hatte. Dass sie versuchen musste, eine der anderen zu finden … Cresta. Vielleicht Bronwyn.

Oder vielleicht keine von ihnen.

Vielleicht war das etwas, das sie doch allein tun musste.

Auf einmal drückte ihr jemand eine Klinge an die Kehle, und eine vertraute Stimme erklang: »Wenn du gedacht hast, du könntest uns überrumpeln, Marylyn, bist du noch verrückter, als wir es dir zugetraut haben.«

9 Lara

»Marylyn ist tot.«

Die Frau, die das Messer hielt, schnappte nach Luft, aber die Klinge verharrte an Laras Kehle, selbst dann noch, als ihr die Kapuze vom Kopf gerissen wurde, um ihr Gesicht zu entblößen.

»Lara? Wir dachten, du wärst tot.«

»Die kleine Kakerlake ist schwer zu töten.« Sie drehte den Kopf und konnte schließlich ihre größere, brünette Schwester aus dem Augenwinkel erkennen. »Hättest du etwas dagegen, das Messer wegzunehmen, Bron?«

»Nicht, bevor du erklärt hast, was du hier machst.«

»Lass die verdammte Waffe fallen, Bronwyn.« Sarhinas Stimme durchschnitt die kühle Luft. »Wenn Lara deinen Tod wollte, würde dein Messer sie nicht aufhalten.«