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"DAS Fantasy-Must-Have des Jahres." – Jennifer L. Armentrout Ihr Leben lang hat Freya verheimlicht, welche Magie in ihr schlummert. Bis sie verraten wird und der Fürst der Nordlande sie zur Frau nehmen will. Denn Freya ist eine Schildmaid: Wer sie heiratet, wird das Königreich vereinen. Doch zu lang war Freya ein Spielball der Männer, sie will ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Allerdings hat sie nicht mit dem undurchschaubaren Fürstensohn gerechnet. Er ist der einzige, der in ihr eine ebenbürtige Kriegerin sieht und ein Feuer in ihr entfacht. Band 1 der nordisch inspirierten Fantasy-Dilogie
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Seitenzahl: 718
Veröffentlichungsjahr: 2025
Triggerwarnung
Liebe*r Leser*in,
dieser Roman enthält Themen, die potenziell emotional belasten oder triggern können. Hinten befindet sich ein Hinweis zu den Themen.
ACHTUNG: Dieser enthält Spoiler für die gesamte Handlung.
Als Ravensburger E-Book erschienen 2025
Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg Deutsche Erstausgabe © 2025 Ravensburger Verlag GmbH Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2024 unter dem Titel »Saga of the Unfated 1: A Fate Inked in Blood« Copyright © 2024 by Danielle L. Jensen All rights reserved.
Published in the United States by Del Rey, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC, New York. Del Rey and the Circle colophon are registered trademarks of Penguin Random House LLC.
Published in Germany by Arrangement with DANIELLE L JENSEN CREATIVE WORKS LTD. »Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Covergestaltung: Jacket design: Ella Laytham unter Verwendung einer Illustration von Eleonor Piteira Übersetzung: Andreas Decker Lektorat: Svenja Kopfmann Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-473-51267-6
ravensburger.com/service
Für Tamar – ohne dich wäre ich verloren!
MeineMutterbrachtemirvieleFertigkeitenbei,damitichmeinem Ehemann eine gute Frau sein würde. Wie man kocht und sauber macht. Wie man webt und näht. Wo man jagt und sammelt. Dabei hätte sie mir besser zeigen sollen, wie man sich beherrscht, um besagten Ehemann kein Messer in den Bauch zu rammen, wenn er sich als begriffsstutziger Trunkenbold mit böser Zunge entpuppt …
Denn an diesem Tag wurde mein Temperament einer harten Prüfung unterzogen.
»Was machst du da?«, wollte Vragi wissen. Sein Atem stank nach Met, als er sich über meine Schulter beugte.
»Genau das, wonach es aussieht.« Ich zog die Messerspitze über den Fischbauch, und die Eingeweide quollen hervor. »Ich mache den Fang sauber.«
VragistießeinengenervtenSeufzerausundrissmirdasMesser aus den Fingern. Beinahe hätte er mir die Hand aufgeschlitzt. Er schnappte sich einen Fisch, schnitt den Bauch auf und kratzte die Innereien zu einem blutigen Häufchen heraus, bevor er die Messerspitze in den Holzblock rammte.
Er hatte es genauso gemacht wie ich.
»Hast du es verstanden?«
»Ich weiß, wie man einen Fisch ausnehmen muss«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen, während alles in mir sich nichts sehnlicher wünschte, ihn ausweiden zu können. »Ich habe schon Tausende Fische ausgenommen.«
»Mir gefällt nicht, wie du es machst.« Er verzog den Mund. »So, wie du es machst, machst du es falsch. Einige haben sich bereits beschwert.«
Das stimmte, allerdings waren es keine Beschwerden über Fischinnereien.
Mein lieber Ehemann war ein Kind der Götter, dem bei seiner Zeugung ein Tropfen von Njords Blut gewährt worden war, was ihm Macht verlieh, Macht in Form von Magie über die Geschöpfe des Meeres. Aber statt seine Kräfte zum Wohle unseres Volkes zu verwenden, verhinderte er damit, dass andere Fischer etwas fingen, selbst wenn er seine Netze gefüllt hatte. Dann verlangte er von den Menschen, deren Netze er blockierte, das Doppelte von dem, was der Fisch wert war.
Jeder wusste das. Aber niemand wagte es, auch nur ein Wort gegen ihn zu sagen. Er war Vragi der Retter, der Mann, der Selvegr vor der Hungersnot bewahrt hatte, als vor zehn Jahren die Ernte verdorben gewesen war. Er hatte Fische aus dem Nordmeer geholt, um alle Bäuche zu füllen, hatte dafür gesorgt, dass niemand Hunger litt.
Alle hatten ihn als Helden bezeichnet. Und vielleicht war er das sogar gewesen, aber Ruhm und Gier hatten die Großzügigkeit verdrängt, die ihm den Ehrentitel eingebracht hatte, und jetzt spuckten die Leute auf seinen Namen, obwohl sie ihn jedes Jahr mit einem Festtag ehrten. Dass ihm noch niemand ein Messer in den Rücken gejagt hatte, lag hauptsächlich am Schutz des Jarls, den er genoss.
Aber nicht nur daran.
»Keiner von uns sollte vergessen, dass wir seine Magie vielleicht noch einmal brauchen, Freya«, hatte meine Mutter einmal zu mir gesagt, als ich mich beklagt hatte. »Und du solltest nie vergessen, dass er euch reich macht.«
Reichtum.
Das war der Grund, aus dem mein Vater Vragis Brautwerbung angenommen hatte – trotz meiner energischen Proteste. Aber statt seine Fehler mit eigenen Augen zu sehen, war mein Vater in meiner Hochzeitsnacht gestorben, was alle etwas von schlechten Omen und schlechten Beziehungen murmeln ließ. Wäre es tatsächlich eine Botschaft der Götter gewesen, hätten sie sich das sparen können: Ich wusste von dem Moment an, in dem Vragi mir vor der versammelten Gästeschar seine stinkende Zunge in den Mund gerammt hatte, dass diese Ehe ein Fluch sein würde.
Das vergangene Jahr hatte mir das jeden Tag bewiesen.
Allerdings fiel es mir schwer, mich mit bitteren Worten über ihn zu beschweren, denn er erwies sich meiner Mutter gegenüber als großzügig und bezahlte alles, was sie brauchte, während mein Bruder sich seinen Platz in der Kriegshorde des Jarls verdient hatte.
Ich tue das für meine Familie, betete ich stumm, so wie ich es in meiner Hochzeitsnacht getan hatte. Für meine Familie werde ich ihn ertragen.
Lautsagteich:»Ichwerdemichbessern.«Undweilernichtzufrieden aussah, fügte ich hinzu: »Ich mache es auf deine Weise, Vragi.«
»Zeige es mir.« Sein herablassender Tonfall ließ mich die Zähne so fest aufeinanderbeißen, dass sie beinahe zerbrachen, aber ich gehorchte und nahm schnell den nächsten Fisch aus.
Vragi schnaubte, dann spuckte er neben mir auf den Boden. »Meine Mutter hatte recht – ich hätte eine hässliche Frau heiraten sollen, die ihren Wert durch häusliche Fertigkeiten unter Beweis stellen kann. Keine hübsche, deren Aussehen das einzig Wertvolle an ihr ist. Hübsches Aussehen nimmt keine Fische aus. Hübsches Aussehen kocht nicht. Hübsches Aussehen macht keine Kinder.«
Was das Letzte anging, würde mein Aussehen niemals dafür sorgen.
Ich gab fast das ganze Geld, das er mir gab, für Zitronensaft und Schwämme von den Händlern aus, die aus dem Südmeer zu uns kamen, und falls sich Vragi jemals gefragt hatte, warum sein Schwanz nach unserem Sex nach Zitronen roch, hatte er die Frage zumindest nie laut gestellt.
Hoffentlich hielt seine Ahnungslosigkeit so lange wie möglich an.
»Ein Jahr, Weib. Ein ganzes Jahr verheiratet, und immer noch kein Sohn.«
Ich beugte mich über die Planke und nahm den nächsten Fisch aus,umdiewütendenTränenzuverbergen,diehochzukommendrohten. Diesem Mann würde ich niemals ein Kind schenken. Niemals!
»Ich werde ein Opfer bringen.«
Was keine Lüge war – zu Beginn eines jeden Zyklus brachte ich der Göttin, nach der ich benannt worden war, eine Opfergabe und flehte sie an, meinen Schoß leer zu lassen. Bis jetzt hatte sie ein Einsehen gehabt.
Entweder das, oder ich hatte einfach nur Glück gehabt.
Als hätte Vragi meine Gedanken gelesen, packte er meinen Zopf und riss mich auf die Füße. »Ich will keine Opfergaben, Freya«, knurrte er. »Ich will, dass du dich mehr bemühst. Ich will, dass du die Dinge richtig machst. Ich will, dass du mir gibst, was ich verlange.«
MeineKopfhautschmerzte,nurdieFestigkeitmeinesZopfesverhinderte, dass er mir eine Hand voll Haare ausriss. Ich verlor die Beherrschung. »Vielleicht bist du ja derjenige, der es falsch macht, Ehemann. Zumindest fühlt es sich so an.«
Stille ließ die Luft erstarren.
Eine kluge Frau hätte diese Worte bedauert, aber ich war offensichtlich eine Närrin erster Güte, denn ich verspürte nur boshaften Triumph, als er langsam begriff, was ich da gesagt hatte. Das Gesicht unter dem dichten Bart lief rot an, eine Ader an seiner Schläfe pochte wie ein purpurner Wurm. Dann lag die Messerklinge fest an meiner Wange.
»Vielleicht liegt der Schlüssel ja darin, dich weniger hübsch zu machen, Freya«, flüsterte er mit seinem stinkenden Atem. »Dann wirst du andere Fertigkeiten lernen müssen.«
DerStahlwarkaltundgrausam.ErwischtemeinenTriumphhinweg und ersetzte ihn durch Angst.
Und doch … Ich konnte nicht nachgeben. Konnte mir nicht erlauben, nachzugeben, in Tränen auszubrechen oder zu flehen, denn das genoss er: mich zu demütigen.
Stattdessen begegnete ich seinem Blick. »Tu es. Tu es, Vragi, und danngehinsDorfundsiehzu,obsieimmernochdeinFestmahl ausrichtenunddicheinenHeldennennen,wennsieerfahren,dass du deiner Frau das Gesicht zerschnitten hast, um ihre Schönheit zu zerstören.«
Ein verächtliches Grinsen trat auf seine Lippen. »Sie brauchen mich.«
»Das heißt aber nicht, dass sie dich ehren müssen.« Und ein Narzisst wie er brauchte diese Ehre.
Ichkonnteförmlichsehen,wiesichinseinemVerstanddieRädchendrehten;zweifellosüberlegteer,wiesehrermichverletzen konnte, ohne dass es Konsequenzen hatte. Aber trotz des kalten Schweißes auf meinen Handflächen weigerte ich mich, den Blick zu senken. Die Klinge drückte fester gegen meine Wange und schmerzte, und ich holte scharf Luft, um meine aufsteigende Panik zu kontrollieren.
Und das hörte er.
Vragi grinste, mein kleines Zeichen der Schwäche befriedigte ihn. Er ließ meinen Zopf los und senkte das Messer. »Zurück an die Arbeit, Weib. Wenn du damit fertig bist, bringst du deiner Mutter zwei Fische. Vielleicht wird sie dich ja an deine Pflichten erinnern. Schließlich ist es ihre Schuld und die deines Vaters«, stieß er hervor, »dass du sie nicht kennst.«
»Sprich nicht schlecht über meinen Vater!« Ich schnappte mir mein Messer, aber dafür hatte er nur ein hämisches Grinsen übrig.
»Das ist der Beweis«, sagte er. »Er vergaß, dass du eine Tochter bist, und hat dich wie deinen Bruder unterrichtet. Statt einem Eheweib habe ich jetzt eine erwachsene Frau, die wie ein kleines Kind Kriegerin spielt, mit ihrem Stock herumfuchtelt und sich vorstellt, dass jeder Baum ihr Feind ist.«
Hitze stieg in meiner Brust auf und entfachte ein loderndes Inferno in meinen Wangen. Denn er hatte nicht unrecht.
»Vielleicht trifft mich eine gewisse Mitschuld«, fuhr er fort. »Ich habe dir zu viel Müßiggang erlaubt, und die Götter wissen, dass das jeden guten Charakter ruiniert.«
Der einzige Müßiggang, den er mir zubilligte, waren die Stunden, in denen ich schlief, aber ich schwieg.
Vragi wandte sich von mir ab und ging auf direktem Weg zum Wasser; der Fjord glitzerte im Sonnenschein. Er hob die Hand und beschwor Njords Namen.
Einen langen Augenblick tat sich nichts, und ich betete stumm, dass der Gott des Meeres endlich erkannt hatte, was für ein Stück Scheiße sein Kind doch war und ihm seine Magie wegnahm.
Doch mit diesem Gebet hatte ich lediglich meinen Atem verschwendet, denn einen Herzschlag später erzitterte die Wasseroberfläche, und Fische sprangen in die Höhe. Zuerst nur wenige, aber dann warfen sich Dutzende und Aberdutzende aus dem Wasser an den Strand, bis ich kaum noch die Steine unter der zuckenden Masse aus Flossen und Schuppen erkennen konnte.
»Das sollte dich beschäftigt halten.« Vragi grinste höhnisch. »Bestell deiner Mutter einen Gruß von mir.«
Die blutverschmierte Klinge in meiner Hand zitterte, so sehr versuchte ich, die in mir aufwallende Wut zu beherrschen, als er sich umdrehte und ging. Kurz blickte ich ihm nach, dann starrte ich die Fische an, die am Strand zappelten und verzweifelt versuchten, zurück ins Wasser zu kommen. Was für eine Verschwendung, denn es waren viel mehr, als wir jemals verkaufen konnten, bevor sie zu faulen anfingen.
Und es war nicht das erste Mal, dass er so etwas getan hatte. Einmal war ich Zeugin gewesen, wie er einen Wal an den Strand geholt hatte, aber statt das Leben des Tieres sofort zu beenden, hatte er zugelassen, dass es sich den Weg zurück ins Wasser erkämpfte, nur um es mit seiner Magie wieder zurückzuholen. So war er immer wieder verfahren, während das ganze Dorf zugesehen hatte; in seinen Augen hatte nichts als Faszination gelegen, während er das Tier allein aus dem Grund folterte, dass er es konnte.
Es hatte erst geendet, als sich mein Bruder einen Weg durch die Menge gebahnt und eine Axt im Gehirn des Wals versenkt hatte, um ihn von seinem Elend zu erlösen. Erst dann hatte er dem Rest von uns erlaubt, mit dem Zerlegen zu beginnen. Es hätte ein großer Feiertag sein sollen, aber niemand verspürte danach auch nur die geringste Lust dazu.
Einem derartigen Kummer würde ich mich nicht noch einmal freiwillig aussetzen. Ich hob meinen Rock und rannte zu den zappelnden Fischen, ergriff einen und warf ihn ins Wasser. Dann den nächsten und übernächsten, von denen einige so schwer waren, dass ich meine ganze Kraft brauchte, um sie wieder ins Wasser befördern zukönnen.IcharbeitetemichdieWasserlinieentlangundgabVragis Fang der See zurück, und mir drehte es jedes Mal den Magen um, wenn ich auf einen Fisch stieß, der verendet war; jeder Tod demonstrierte mein persönliches Scheitern.
Aber es waren so viele.
Ein Fisch hatte sich in einen Strauch katapultiert und lebte noch, und ich nahm ihn und warf ihn über die Schulter ins Wasser.
Doch statt des Plätscherns drang ein lauter Fluch an mein Ohr. Ich fuhr herum und entdeckte einen Mann, der bis zur Taille im Fjord stand und sich die Wange rieb. Die ich offensichtlich mit dem Fisch getroffen hatte.
»Ist dem Fisch etwas passiert?«, verlangte ich zu wissen und hielt nach einem Zeichen des Geschöpfes Ausschau, denn ich sorgte mich, dass ich ihn bei meinem Rettungsversuch getötet hatte. »Ist er weggeschwommen?«
Der Mann hörte auf, sich das Gesicht zu reiben, und starrte mich ungläubig an. »Und was ist mit mir?«
Ich stellte die Suche nach dem Fisch ein und widmete ihm einen genauerenBlick.AugenblicklichstiegeinegewisseWärmeinmirauf. Selbst mit der von dem schuppigen Wurfgeschoss geröteten Wange war er alarmierend attraktiv. Hochgewachsen und mit breiten Schultern erschien er bestenfalls eine Hand voll Sommer älter als ich mit meinen zwanzig Jahren. Sein schwarzes Haar war an den Seiten rasiert, der Rest war fest hinter seinem tätowierten Schädel zu einem kurzen Pferdeschwanz zurückgebunden. Sein Antlitz bestand nur aus hohen Wangenknochen und wie gemeißelt aussehenden Zügen; wo die meisten Männer Bärte trugen, waren ihm nur die Stoppeln weniger Tage ohne Rasierklinge gewachsen. Er trug kein Hemd, und Wasser tropfte von dem nackten, muskelbepackten Oberkörper. Die von der Sonne dunkel gebräunte Haut wies Dutzende schwarze Tätowierungen auf. Zweifellos ein Krieger, und selbst ohne Waffe ging ich davon aus, dass er eine ernsthafte Bedrohung darstellte.
Mir wurde bewusst, dass ich nicht geantwortet hatte, und verschränkte die Arme. »Welcher Narr schwimmt denn im Fjord, dessen Eis gerade erst gebrochen ist? Willst du erfrieren?« Um mein Argument zu verdeutlichen, deutete ich mit dem Kinn auf ein dickes Stück Eis, das an ihm vorbeitrieb.
»Das ist keine gute Entschuldigung.« Er ignorierte das Eis und setzte sich in Richtung Strand in Bewegung. »Außerdem muss ich mich wohl mehr vor fliegenden Fischen in Acht nehmen als davor, im Wasser zu erfrieren.«
Misstrauisch trat ich einen Schritt zurück, denn ich hatte einen leichten Akzent bemerkt. Nordeland brach nur selten so früh im Jahr zu seinen Raubzügen auf, aber das war auch nicht unmöglich, und ich ließ die Blicke auf der Suche nach Drachenschiffen und Kriegern über den Fjord schweifen.
Aber das Wasser war leer.
Ich richtete den Blick zur anderen Seite des Fjords und musterte den dichten Wald, der sich an die Bergseite schmiegte.
Da.
Mein Auge entdeckte eine Bewegung, und ich erstarrte, suchte nach dem Ursprung. Aber was auch immer es gewesen war, es war bereits wieder verschwunden, vermutlich Kleinwild.
»IchbinkeinPlünderer,fallsdudirdeswegenSorgenmachst.« Er blieb im knietiefen Wasser stehen, grinste amüsiert und entblößte somit seine Zähne. »Nur ein Mann, der ein Bad gebraucht hat.«
»Das behauptest du«, erwiderte ich und verfluchte mich dafür, dassichmeinMesseraufderPlankezurückgelassenhatte.»Dukönntest mich anlügen. Könntest mich ablenken, während deine Kameraden auf mein Dorf zu rücken, um zu morden und zu plündern.«
Er zuckte zusammen. »Schön, du hast mich erwischt.«
Ich spannte mich an, bereit, einen Schrei auszustoßen und alle in Hörweite zu warnen.
DochimselbenMomentspracherweiter.»MeineClansleutehaben zu mir gesagt: Du bist kein guter Krieger, aber du siehst sehr gut aus, also ist es deine Aufgabe, durch den Fjord zu schwimmen und die schöne Frau um den Finger zu wickeln, die mit Fischen um sich wirft. Wenn sie abgelenkt ist, können wir ungehindert angreifen.« Er seufzte. »Das war meine einzige Aufgabe, und ich habe bereits schrecklich versagt.«
Meine Wangen röteten sich, aber da ich mit einem älteren Bruder aufgewachsen war, konnte ich genauso gut austeilen wie einstecken. »Natürlich hast du versagt. Du hast genauso wenig Talent im Umgang mit Frauen wie im Kämpfen.«
Er warf den Kopf zurück und lachte. Es kam aus tiefstem Herzen, und trotz meiner Entschlossenheit, misstrauisch und auf der Hut zu bleiben, drängte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Bei den Göttern, wie attraktiv er war – als wäre Baldur den Ketten der Hel in der Unterwelt entkommen und würde vor mir stehen.
»Du zielst genauso gut mit Worten wie mit Fischen, Frau«, antworteteer.SeineSchulternzucktennochimmervorBelustigung, als er aus dem Wasser watete. Die nasse Hose zeichnete die harten Muskeln seiner Beine und den Hintern nach. »Ich bin tief getroffen und muss nun für alle Zeiten auf dieser Seite des Fjords bleiben, weil mich meine Gefährten niemals wieder in ihre Reihen aufnehmen werden.«
Aus dieser Nähe konnte ich erst richtig schätzen, wie groß er war. Sein Kopf überragte mich, und seine Schultern waren doppelt so breitwiemeine,SeewassertropfenrolltenseinemakelloseHautherunter.Ichhätteihmsagensollenzuverschwinden,dennichwareine verheiratete Frau, und das war das Land meines Ehemanns, stattdessen musterte ich ihn von oben bis unten. »Wie kommst du auf die Idee, ich würde dich behalten wollen? Du kannst nicht kämpfen. Du kannst nicht mit Frauen anbandeln. Du kannst nicht einmal einen Fisch fangen, wenn man ihn dir zuwirft.«
Er drückte eine Hand auf das Muskelbündel seines Bauches und tat so, als würde er sich krümmen. »Der Todesstoß«, keuchte er. Er fiel vor mir auf die Knie und schaute mit einem Grinsen zu mir hoch. Die Sonne beleuchtete Augen von einem Grün wie die ersten Frühlingsblätter. »Bevor du mich erledigst, lass mich dir beweisen, dass ich sehr wohl etwas kann.«
Ich würde schwer büßen müssen, falls uns jemand beobachtete und es Vragi erzählte. Und vielleicht hätte ich es auch verdient, immerhin war ich eine verheiratete Frau. Verheiratet mit einem Mann, denichmitjederFasermeinesWesensverabscheute,abervon dem ich niemals frei sein würde, ganz egal, wie sehr ich es mir auch wünschte. Also sagte ich: »Was kannst du mir schon zeigen, das mich interessiert?«
Das Funkeln in seinen Augen wurde heißer, und ich krümmte die Zehen in meinen Stiefeln. »Am besten zeige ich es dir. Du wirst bestimmt nicht enttäuscht sein.«
Mein Herz hämmerte wild. Das war falsch, so schrecklich falsch, aber einer selbstsüchtigen Ader in mir war das egal. Ich wollte einfach nur diesen charmanten, attraktiven Fremden küssen.
Das Problem war nur, dass dies nicht zu mir passte.
Ich schluckte schwer und schob das quälende, bedürftige Verlangen weit von mir, das mich aufforderte, damit weiterzumachen, und streckte stattdessen die Hand aus, um ihn auf die Füße zu ziehen. Seine Finger waren schwielig und die Handrücken auf eine Weise vernarbt, die seine Behauptung, kein Krieger zu sein, Lügen strafte. »Wo auch immer du herkommst, müssen die Frauen entweder verzweifelt oder dumm sein, um auf so einen Unsinn hereinzufallen. Verschwinde.«
Ich kämpfte darum, nicht den Atem anzuhalten, während ich darauf wartete, wie er auf meine Zurückweisung reagieren würde, aber er legte nur den Kopf schief. »Anscheinend bist du weder verzweifelt nochdumm,undeinigewürdensagen,dassdasmeinVerlustist.« Er nahm meine Hand, anscheinend ohne sich an dem Fischgestank zu stören, und drückte einen Kuss auf meine Knöchel. »Ich sage, das bedeutet lediglich, dass ich mich mehr anstrengen muss, denn du bist in der Tat eine erstaunliche Frau.«
Die Berührung seiner Lippen auf meiner Haut schickte Schauer durch meinen Körper, mein Verstand verlor sich in den Tiefen dieser grünen Augen.
Er ließ meine Hand los und berührte mein Gesicht, der Daumen strich über den Kratzer, den Vragis Messer auf meiner Wange hinterlassen hatte. »Wo ist dein Ehemann?«
»Wie kommst du auf die Idee, dass ich verheiratet bin?«, wollte ich wissen, aber er wandte sich ab und ging den Hang hinauf zu einem Pferd, von dem ich nicht einmal bemerkt hatte, dass es an einem Baum festgezurrt war.
Er zog ein Hemd über, bevor er wieder einen Blick in meine Richtung warf. »Dein Ring. Also, wo finde ich ihn?«
Instinktiv schob ich meine Hand mit dem schlichten silbernen Ring in die Falten meines Rocks. »Warum willst du wissen, wo er ist?«
»Weil ich ihn töten werde. Ich mache dich zu einer freien Frau, damit du dir keine Sorgen mehr wegen des Anstands machen musst und mit mir ins Bett gehen kannst«, antwortete er und zog das Zaumzeug fester, bevor er sich auf den Rücken des hohen Tieres schwang. »Was könnte es sonst für einen Grund geben?«
Mein Magen verkrampfte sich. »Das kannst du nicht tun!«
»Nun, ich bin davon überzeugt, dass ich es sehr wohl kann.« Er ließdasPferdummichherumgehen.»Duhattestvölligrecht,als du gesagt hast, ich wäre so talentiert im Umgang mit Frauen wie im Kämpfen,meineSchöne.Ichwerdeesschnellmachen,umdemarmen Bastard Qualen zu ersparen, dann bist du frei und kannst dir jeden Wunsch erfüllen.«
»Das wirst du nicht!«, stieß ich hervor, obwohl Vragis vorzeitiger Tod einer meiner häufigsten Tagträume war. »Ich verbiete es!«
»Aha.« Er umkreiste mich erneut, der hässliche Rotschimmel schnaubte laut. »In dem Fall warte ich darauf, dass er einem fliegenden Fisch zum Opfer fällt. Darin wird eine gewisse Gerechtigkeit liegen.« Er schenkte mir ein Lächeln, in dem alle möglichen Versprechungen lagen, und ritt los.
»Wo willst du hin?«, rief ich ihm hinterher. Noch immer war ich mir nicht sicher, ob er mich nur neckte oder ob es ihm ernst war; die reelle Möglichkeit, dass er tatsächlich ein Plünderer war, stieg in meinen Gedanken auf. »Willst du ihn töten?«
Er sah über die Schulter und grinste breit. »Hast du deine Meinung über seine Lebensspanne geändert?«
Ja. Ich ballte die Fäuste. »Natürlich nicht.«
»Wie schade.«
Das war keine Antwort, und ich hob den Rock und rannte dem Pferd hinterher. »Wohin reitest du? Was willst du im Dorf?«
»Ich nichts«, rief er. »Aber Jarl Snorri schon, und er wird sich fragen, wo ich abgeblieben bin.«
Stolpernd kam ich zum Stehen und wollte im Boden versinken, denn mein Bruder war ein Krieger des Jarls. Wenn er erfuhr, dass ich mich diesem Mann beinahe an den Hals geworfen hatte … »Du reitest mit dem Jarl?«
Er blinzelte mir zu. »Etwas in der Art.« Dann stieß er dem Pferd die Fersen in die Flanken und galoppierte den Strand entlang. Und ich konnte ihm nur hinterherstarren.
Ich war so durcheinander, dass ich fast bis zum Mittag brauchte, um den Fang fertig zu bearbeiten. Dann belud ich den Wagen für Vragi und wählte zwei gute Fische für meine Mutter aus. Zu diesem Zeitpunkt war der Nervenkitzel meiner Begegnung mit dem Krieger bereits verblasst und wurde durch die düstere Erinnerung ersetzt, dass Vragi lebte, ich seine Frau war und ihn verärgert hatte.
Der Wind pfiff von den Bergen und trug den Geruch von schmelzendem Schnee mit sich. Ich atmete tief ein, froh, den Gestank von Fisch und Eingeweiden und meiner eigenen Schande hinter mir lassen zu können, auch wenn von allen dreien noch ein wenig an meiner Kleidung klebte. Kiefernnadeln knirschten unter meinen Stiefeln, erfüllten meine Nase mit ihrem scharfen Duft und lösten die Anspannung in meinen Schultern.
Es war in Ordnung. Es würde alles gut werden. Es war nicht das erste Mal, dass ich mit Vragi stritt, und es würde auch nicht das letzte Mal sein. Ich hatte bereits ein Jahr mit ihm überlebt, und ich würde noch ein weiteres überleben. Und noch eins.
Aber ich wollte mehr, als nur zu überleben. Meine Tage sollten mehr sein als Zeit, die ich ertragen musste. Ich wollte sie leben, sie genießen. Ich wollte in ihnen Leidenschaft und Aufregung finden, so wie ich sie in diesem flüchtigen Moment am Strand mit einem Fremden erlebt hatte.
Es war das Verlangen, das mir das Leben so schwer machte. Hätte ich nur aufhören können zu wollen, hätte ich vielleicht etwas Glück in dem finden können, was ich hatte. In dem Moment, in dem mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, zuckte ich auch schon zusammen, denn genau das würde meine Mutter sagen.
Hör auf, mehr zu wollen, Freya, dann wirst du auch mit dem zufrieden sein, was du hast.
Ich klemmte mir den eingewickelten Fisch unter den linken Arm, bückte mich und schnappte mir einen Stock. Ich drehte mich, schlug mitihmgegeneinenBaumunddanngegeneinenanderen,ging den Weg entlang, als wäre der Wald um mich herum eine Horde von Plünderern, ohne mich darum zu scheren, dass ich mich wie ein Kind und keineswegs wie eine erwachsene Frau verhielt. Ich hob mein Fischpaket wie einen Schild und wehrte imaginäre Angriffe ab, mein Atem wurde zu einem schnellen Keuchen, Schweiß benetzte die Haare, die mir an den Schläfen klebten.
Ich genoss das Kribbeln in meinen Muskeln, wenn ich angriff und verteidigte, genoss jeden Atemzug, freute mich über das Brennen in der Handfläche, wenn mein Stock gegen einen Baum schlug. Davon träumteich –nichtdavon,amFjordFischauszunehmen,umihnjeden Tag an dieselben Dorfbewohner zu verkaufen, sondern vom Kämpfen. Mich der Kriegshorde des Jarls anzuschließen, um gegen unsere Rivalen im Osten und Westen zu kämpfen. Bei der Verteidigung unseres Landes gegen die Stoßtrupps der Nordelander unbeugsam zu sein und mit der Kraft meines Schwertarms Reichtum zu erlangen. Den Winter mit meiner Familie zu verbringen, mit ihnen zu feiern, zu trinken und zu lachen, bis die Beutezüge wieder begannen.
Mein älterer Bruder Geir verfolgte denselben Traum, und er war auf dem besten Weg, ihn zu verwirklichen. Als ich vierzehn und er sechzehn war, hatte unser Vater Geir zum Althing mitgenommen, und Jarl Snorri hatte Geir einen Armreifen geschenkt und ihn eingeladen, an den Beutezügen teilzunehmen. Jetzt, mit zweiundzwanzig, war mein Bruder ein angesehener Krieger.
Doch als ich meinen Wunsch geäußert hatte, in die Fußstapfen meines Bruders zu treten, waren meine Worte mit Gelächter quittiert worden, bis meine Familie gemerkt hatte, dass es mein Ernst war. Dann hatte sich ihre Belustigung in stummes Entsetzen verwandelt.
»Das kannst du nicht, Freya«, hatte mein Vater schließlich gesagt. »Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sie herausfinden, was du bist, und dann würdest du nie wieder eine freie Entscheidung treffen.«
Was ich war. Mein Geheimnis.
Mein Fluch.
»Wenn du erst einmal ein Kind hast, Freya, wirst du diese törichten Wünsche aufgeben, immer das tun zu können, was dein Bruder tut«, hatte meine Mutter gesagt. »Du wirst zufrieden sein.«
»Ich bin nicht zufrieden!«, schrie ich bei der Erinnerung und schleuderte meinen Stock zwischen die Bäume. Dabei rutschte einer der Fische aus seiner Verpackung und fiel auf den Waldboden.
»Mist.« Ich kniete mich hin, hob ihn auf und tat, was ich konnte, umdieNadelnunddenDreck,deranihmklebte,wegzuwischen,wobei ich mich im Stillen dafür verfluchte, dass ich solche Gedanken hatte. Dass ich von Dingen träumte, die ich nicht haben konnte.
»Ich hoffe, der war nicht für mich bestimmt.«
Ichsprangaufundwirbelteherum.MeinBruderstandhinter mir.
»Geir!« Lachend verringerte ich den Abstand und warf die Arme um seinen Hals. »Was machst du denn hier?«
»Mein Mittagessen retten, wie es scheint.« Er schob mich von sich und musterte mich kritisch, und ich tat es ihm gleich. Wie ich hatte mein Bruder blasse Haut, fast weißblondes Haar und bernsteinfarbene Augen, die wie verfinsterte Sonnen leuchteten. Seit er zu dem Jarl nach Halsar gezogen war, hatte er noch mehr Muskeln bekommen, und er war nicht mehr so schlank wie ich, sondern stämmig und stark.
»Du solltest mehr essen – du bist dürr«, sagte Geir und fügte dann hinzu: »Jarl Snorri ist im Dorf und spricht mit deinem Mann.«
UnbehagenließmeineHautkribbeln,dennwährendVragioft zu Gesprächen mit unserem Herrn gerufen wurde, hatte der Jarl noch nie Anlass gehabt, zu ihm zu kommen. »In welcher Angelegenheit?«
Geir zuckte mit den Schultern, dann nahm er einen der Fische und ließ seine Kiemen mit den Daumen flattern. »Fisch, nehme ich an. Welchen anderen Grund gibt es, mit Vragi zu sprechen?«
»Wahrere Worte wurden nie gesprochen«, murmelte ich, riss ihm den Fisch aus der Hand und machte mich auf den Weg zu unserem Haus.
»Wie schnell doch der Glanz einer neuen Ehe verblasst.« Geir ging neben mir, seine Waffen klirrten. Die Axt und der Sax, das Messer, waren mir vertraut, aber das Schwert war neu. Ebenso das Kettenhemd, das er unter dem Umhang trug. Entweder stammte es von einem Beutezug oder war von seinem Anteil daran bezahlt worden. Ein Anflug von Neid stieg mir säuerlich auf. Ich verdrängte das Gefühl und warf ihm einen Seitenblick zu.
»Welcher Glanz? Es hat nie geglänzt.«
»Auch wieder wahr.« Mein Bruder trat einen Stein den Weg entlang. Er hatte sich im letzten Jahr einen Bart wachsen lassen, der mit Silberringen geschmückt war. Dadurch sah er älter und wilder aus, was wahrscheinlich die Absicht war.
Ich zupfte daran. »Was hält Ingrid davon?«
Mit seinem guten Aussehen und seinem Charme konnte Geir sich jede Frau aussuchen, aber ich wusste, dass er nur Augen für meine Freundin Ingrid hatte, die er liebte, seit wir Kinder gewesen waren. Wusste, dass er hoffte, bei den Beutefahrten in dieser Saison genug zu verdienen, um ein Haus zu bauen und ihren Vater um ihre Hand zu bitten.
»Es gefällt ihr. Vor allem, wie es kitzelt, wenn …«
Ich verpasste ihm einen Stoß, hart genug, ihm ihn stolpern zu lassen. »Du bist ein Schwein.«
Geir grinste mich an. »Schuldig. Aber du wechselst das Thema, Freya. Wir alle wissen, dass Vragi ein gieriges Arschloch ist, aber er ist dein Ehemann. Da Vater nicht mehr da ist, ist es meine Pflicht …«
Ich hakte den Fuß um seinen Knöchel, riss ihn zu mir und grinste, alsmeinBruderaufdemRückenlandete.IchsetzteihmdenFuß auf die Brust. »Ich liebe dich, Bruder. Aber wenn du anfängst, mich über meine Pflichten als Ehefrau zu belehren, wird meine Zuneigung schwinden.« Ich lehnte mein Gewicht auf ihn. »So lange ist es noch nicht her, dass ich dir eine blutige Nase verpasst habe, und ich habe noch nicht vergessen, wie das geht.«
Ich wartete darauf, dass er lachen würde. Dass er sich über Vragi lustig machte und ihn einen Landfisch nannte. Dass es ihm leidtäte, dass man mich gegen meinen Willen zu dieser Ehe gezwungen hatte. Dass er mir sagte, ich hätte etwas Besseres verdient.
Aber stattdessen sagte er: »Wir sind keine Kinder mehr.« Dann packte er meinen Knöchel und zog fest. Der Aufprall meines Hinterns auf dem Boden schickte einen Ruck durch meine Wirbelsäule, und ich hätte mir fast die Zunge abgebissen, aber Geir ignorierte, dassichBlutspuckte,alsersichaufrichtete.»Vragiistreichund hat Einfluss bei Jarl Snorri. Ich mag meinen Armreifen bekommen haben, weil Vater ein gutes Verhältnis zum Jarl hatte, aber der Jarl bezahlt mich wegen Vragi dafür, dass ich das ganze Jahr über für ihn kämpfe. Wenn du deinen Mann so sehr verärgerst, dass er dich verstößt, könnte Snorri mich ebenfalls rausschmeißen. Und wenn ich meinen Platz verliere, wie soll ich dann den Reichtum erlangen, den ich brauche, um Ingrid zu heiraten?«
Als könnte ich das je vergessen.
»Und wenn dir Ingrid und ich egal sind, denk an Mutter.« Geir stützte die Ellbogen auf die Knie. »Vragi sorgt dafür, dass sie versorgt ist. Er bezahlt die Männer, die sich um den Hof kümmern und das Viehfüttern.Undwenndunichtansiedenkenwillst,danndenklogischerweise an deine eigene Position. Du hast ein Haus, das andere begehren, und den Reichtum, um dauernd Schmuck zu kaufen.« Er strich über einen der Silberreifen, die meinen langen Zopf zusammenhielten. »Was würdest du ohne Vragi tun?«
»Kämpfen. Auf Beutefahrt gehen. Mir meinen eigenen Reichtum verdienen«, antwortete ich. »Ich brauche Vragi nicht.«
Geir stieß die Luft aus und stand dann auf. »Lass uns nicht streiten. Es ist Monate her, dass ich dich gesehen habe.«
Ich starrte auf die Hand, die er mir hinhielt, und ein Teil von mir wollte weiter streiten. Aber wir wussten beide, dass ich nie eine Entscheidungtreffenwürde,diemeinerFamilieschadenkönnte,unddas machte alle meine Argumente überflüssig. Also nahm ich die Hand meines Bruders und ließ mich von ihm auf die Beine ziehen. »Wo will Jarl Snorri diesen Sommer auf Beutefahrt gehen?«
Doch bevor Geir antworten konnte, ertönte der Lärm von Hufen in unseren Ohren. Eine Gruppe berittener Krieger tauchte auf, und mein Magen verkrampfte sich, als ich meinen Mann an ihrer Spitze erblickte. Er sah sehr zufrieden aus.
»Herr!« Geir nickte dem großen Mann zu, der an Vragis Seite ritt und Jarl Snorri sein musste.
Ich hatte ihn noch nie gesehen, da ich nie weiter als ein paar Stunden von Selvegr und nie zu seiner Festung in Halsar gereist war. Er war groß und stämmig, hatte dunkelbraunes Haar und einen grauen Bart, seine Augen waren von tiefen Falten umrahmt, und sein Mund hatte einen mürrischen Zug. Die meisten hätten ihn als attraktiv bezeichnet, aber die Art, wie er mich anstarrte, ließ mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen.
Als wäre ich etwas, das man besitzen musste.
»Geir«, erwiderte Snorri, aber sein Blick blieb auf mich gerichtet.
Diesen Blick zu erwidern war so ziemlich das Letzte, was ich wollte, also sah ich mir den Rest der Gruppe an. Außer Vragi waren da drei Männer in Kettenhemden. Sie trugen Saxe, Äxte und Schwerter, und die Waffen sprachen Bände über ihren Ruhm im Kampf. Die einzige Frau, die bei ihnen war, trug keine anderen Waffen als einen Sax mit kurzer Klinge, der am Gürtel hing.
Das Oberteil ihres Kleides war tief genug ausgeschnitten, um unter den Bändern ihres Umhangs ein auffälliges Dekolleté zu enthüllen. Doch mein Blick glitt an ihnen allen vorbei und kam auf dem zu ruhen, der am Ende der Gruppe ritt.
Bei allen Göttern.
Obwohl seine Anwesenheit völlig natürlich war, durchfuhr mich beim Anblick des Kriegers vom Strand dennoch ein Schock. Ein Schock, der sich in seinen grünen Augen widerspiegelte, als er von mir zu Geir und wieder zurück blickte.
»Das ist die Schwester, von der du immer sprichst, Geir?«, ergriff der Jarl das Wort. Ohne eine Antwort meines Bruders abzuwarten, wandte sich der Jarl an Vragi. »Sie ist deine Gemahlin, richtig?«
»Ja, Herr. Das ist meine Freya.«
Nicht deine, wollte ich zischen. Niemals deine. Aber ich biss mir auf die Zunge, denn hier ging etwas vor, das meine Eingeweide zu Eis erstarren ließ, und Vragis Gesichtsausdruck machte es noch tausendmal schlimmer.
Er grinste wie eine Katze, die eine Schüssel Sahne bekommt.
Worüber war er so glücklich? Warum waren Snorri und seine Krieger hier? Was wollten sie?
»Duhastmirnieerzählt,dassdeineSchwesteraucheineKriegerin ist, Geir«, sagte Snorri. »Vragi hat mir berichtet, dass sie diesen Sommer an der Beutefahrt teilnehmen möchte. Stimmt das?«
»Nein«, platzte mein Bruder heraus und versuchte dann, den Ausbruch mit einem Lachen zu überspielen. »Freya weiß nur, wie manFischeausnimmtunddenHaushaltführt.SieistkeineKriegerin.«
Ich ärgerte mich über seine Worte, dann biss ich mir in die Innenseite meiner Wange, als Snorri mich amüsiert anlächelte. »Du bist anderer Meinung, Freya? Du glaubst, dass du kämpfen kannst?«
»Ich …«Ichschluckteschwer,SchweißrannmirdenRückenhinunter, weil mich alle anstarrten. Es war das Beste, die Wahrheit zu sagen, zumal meine Fertigkeiten bekannt waren. »Mein Vater hat mir das Kämpfen beigebracht, als ich noch ein Mädchen war. Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Dein Vater ist Erik.«
»War«, korrigierte ich. »Er ist vor einem Jahr gestorben.«
»Bei einem Kampf, richtig?«
Meine Wange schmerzte, weil ich so fest hineinbiss, unsicher, ob mein Bruder gelogen hatte oder der Jarl sich einfach nicht an die Einzelheiten erinnerte. »Nein, Herr. Er ist am Abend meiner Hochzeit tot umgefallen. Die Kräuterfrau sagte, es sei sein Herz gewesen.«
SnorririebsichdasKinn.»EineSchande.ErikwarinseinerBlütezeit ein harter Krieger. Wir haben in vielen Schildwällen Seite an Seite gekämpft. Wenn er dich unterrichtet hat, dann hast du viel gelernt. Und mehr Krieger kann ich immer gebrauchen.«
»SieisteineverheirateteFrau«,sagteGeir,bevorichetwaserwidern konnte. »Bei allem Respekt, Freya sollte sich auf die Familie konzentrieren, nicht auf den Kampf.«
»Stimmt«, erwiderte Snorri. »Aber Vragi hat mir erzählt, dass das nicht der Fall ist. Freya denkt mehr an das Kämpfen als an Kinder.«
Oh, ihr Götter.
Ich begriff zur gleichen Zeit wie Geir, was vor sich ging, denn sein GesichtverlorjedeFarbe.VragiwollteunsereEhebeendenundhatte den Jarl gebeten, dies zu bezeugen. Mir kam die Galle hoch, denn so sehr ich mir auch wünschte, ihn loszuwerden, so genau kannte ich doch die Folgen. Ich wusste, dass meine Familie darunter leiden würde, weil ich meine verfluchte Klappe nicht halten konnte.
»Wollen wir doch mal sehen, ob Freya eine bessere Kriegerin als Ehefrau ist«, fuhr Snorri fort. »Gib ihr eine Waffe, Geir.«
Mein Bruder rührte sich nicht.
Die Augen des Jarls verhärteten sich. »Du willst dich mir widersetzen?«
»Ich möchte nicht, dass meiner Schwester ein Leid geschieht.«
Geir würde mich aus purem Stolz beschützen. Das wusste ich, und ich wollte das nicht, wenn ich nur die Demütigung hinnehmen musste. Vielleicht würde das reichen, um Vragi zu besänftigen, und er würde es sich anders überlegen. »Gib mir dein Schwert, Geir.«
Mein Bruder fuhr zu mir herum, seine bernsteinfarbenen Augen funkelten. »Freya, nein!«
Ich streckte die Hand aus.
Erstarrtemichan,undichbeschwörteihnimStillen,dasserbegriff, wie das Ganze ablaufen würde. Er sollte verstehen, dass ich lediglich ein paar blaue Flecken und einen schweren Schlag gegen meinen Stolz erleiden würde. Ein Schlag, den ich ihm und unserer Mutter zuliebe hinnehmen wollte.
Augenblicke vergingen, die Spannung auf der Lichtung stieg. Dann zog Geir zögernd seine Waffe und reichte sie mir mit dem mit Leder umwundenen Griff voran. Ich schloss die Finger darum, fühlte das Gewicht des Schwertes. Wie richtig es sich anfühlte. Hinter dem JarlbeganneinerderKriegerabzusteigen,aberSnorrischüttelte den Kopf und blickte zu dem dunkelhaarigen Krieger, auf den ich am Strand gestoßen war. »Bjorn, du wirst Freyas Geschicklichkeit auf die Probe stellen.«
Bjorn.
Als sein Name ertönte, zerbrach mein Selbstvertrauen; die Erkenntnis, wer er war, traf mich wie ein Rammbock in die Magengrube.ErwarderSohnundErbevonJarlSnorri.Daswäreschonschlimmgenuggewesen,abererwaraucheinesvonTyrsKindern,dennderGotthatteihmbeiseinerZeugungeinenTropfenBlutunddiedamitverbundeneMagieverliehen.MeinBruderhattemiroftvondenFähigkeitendiesesMannesaufdemSchlachtfelderzählt –einKriegerohnegleichen,dernurToteundSterbendehintersichzurückließ.UndgegenihnwollteSnorrimichkämpfenlassen?
Ich hätte mich beinahe übergeben, aber Bjorn fing an zu lachen. ErschlugmitderHandaufdenSattelundbogsichnachhinten,während er laut lachte. Das ging einige Augenblicke so weiter, bevor er sich die Augen trocken wischte und einen Finger auf Snorri richtete. »Alle, die behaupten, du hättest keinen Sinn für Humor, sind Lügner, Vater.«
»Ich habe nicht gescherzt.« Snorris Stimme war kühl, und unter seinem Bart spannte sich sein Kiefer mit offensichtlicher Verärgerung an.
Zumindest war es für mich offensichtlich. Bjorn stieß erneut ein Lachen aus. »Du willst, dass ich gegen dieses … Mädchen kämpfe? Gegen die Frau eines Fischhändlers, die kaum die Kraft hat, das Schwert in ihrer Hand zu heben?«
Ich musste mich zusammenreißen, nicht die Stirn zu runzeln, denn die Waffe war zwar schwer, aber keinesfalls schwerer als ein Eimer Fische, und die trug ich ständig.
»Ja, Bjorn. Genau das will ich.« Snorri legte den Kopf schief. »Es sei denn, du willst mir durch deine Weigerung Anlass geben, an deiner Loyalität zu zweifeln?«
Vater und Sohn starrten einander an, die Spannung war so greifbar,dassdieanderenKriegerdasGewichtaufihrenSättelnverlagerten. Das hier war eine Prüfung, so viel war klar, und es war mein Pech, dass ich mitten drin steckte.
Bjorn gab nach und entschärfte die Situation mit einem Schulterzucken. »Wie du willst.«
Er stieg vom Pferd und schritt mit raubtierhafter Anmut auf mich zu; das kokette Lächeln war längst verschwunden. Schnell wurde ich daran erinnert, wie viel größer er als ich war, und wie muskulös. Aber nicht das erfüllte mich mit Angst. Nein, die Angst, die durch meine Adern floss und mich die Flucht ergreifen lassen wollte, die wollte, dass ich mich zusammenkauerte, stieg erst in mir auf, als seine Lippen den Namen Tyr formten und eine aus Feuer geformte Axt in seiner Hand erschien.
Ich konnte die Hitze spüren. Die Waffe brannte viel heißer als eine natürliche Flamme, das rote, orange und blaue Flackern war so hell, dass es mir in die Augen stach. Die Flamme eines Gottes. Die Flamme des Krieges.
»Was willst du erreichen?«, fragte er Snorri. »Willst du einen Beweis, dass sie nicht kämpfen kann? Hier …«
Er schlug mit der Axt in meine Richtung.
IchstolpertemiteinemAufschreizurück,bliebaneinerWurzelhängenundfielaufdenHintern,wobeiichmeineWaffeverlor.
»Hier ist dein Beweis. Schick sie zurück zu ihrem Mann und den Fischen.«
»Das ist nicht der Beweis, den ich suche«, antwortete Snorri, und mir drehte sich der Magen um, weil ich befürchtete, dass mich das weit mehr als meinen Stolz kosten würde.
Schnell kam ich wieder auf die Beine und sah, dass die anderen Krieger meinen Bruder an den Armen festhielten. Vragi kicherte.
»Also bis zum ersten Blut?«, fragte Bjorn. In seiner Stimme lag Wut, und das Gefühl ließ die Flammen seiner Axt auflodern. Er wolltediesenKampfnicht,aberdashießnicht,dasserihnnichtführen würde, um seine Loyalität zu beweisen. Alles andere hätte schlimme Folgen gehabt, und ich bezweifelte, dass er bereit war, für eine unbekannte Frau Nachteile in Kauf zu nehmen.
»Nein.«SnorristiegabundübergabdieZügelseinesPferdes an einen anderen Krieger, bevor er die Arme verschränkte. »Bis zum Tod.«
Mein Magen verkrampfte sich, die Welt um mich herum war plötzlich zu hell. Bis zum Tod?
»DasistWahnsinn«,knurrteBjorn.»Duwillst,dassichdieseFrau töte? Warum? Weil diese Platzverschwendung« – er deutete auf Vragi – »eine neue Frau will?«
»Vragi ist eines von Njords Kindern. Er ist ein wertvoller Mann, und er hat seine Loyalität bewiesen.«
Ich war mir nicht mehr sicher, ob es hier um mich ging. Oder um Bjorn. Oder um etwas ganz anderes. Ich wusste lediglich eines mit Sicherheit. Die Angst erdrückte mich und raubte mir die Stimme.
»Ichetwanicht?«BjornhobdieFlammenaxt,undderJarlwar so klug, einen vorsichtigen Schritt zurückzutreten. »Ich habe alles getan, was du je von mir verlangt hast.«
»Was bedeutet dann schon eine Sache mehr?« Snorri legte den Kopf schief. »Du wirst es tun, oder du gibst deinen Armreifen zurück und gehst ins Exil, bist nicht länger mein Sohn im Namen oder im Geiste. Und damit du nicht glaubst, dein Opfer würde die Frau verschonen, sollst du wissen, dass das nicht der Fall sein wird. Dann kämpft eben ein anderer an deiner Stelle.«
Die Muskeln in Bjorns Kiefer traten deutlich hervor, und seine grünen Augen waren schmal vor Wut, aber er nickte knapp. »Also gut.«
»Freya!«, rief mein Bruder. »Lauf!«
Ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Mir fiel nichts ein, was ich tun konnte, damit Geir und ich aus dieser Situation lebend herauskamen. Der einzige Weg, den ich sah, war der Kampf.
Und zu gewinnen.
»Und wenn ich ihn töte?«
Ich erwartete eigentlich, dass Snorri lachen würde, aber er hob nur eine Schulter. »Wenn du Bjorn tötest, Freya, werde ich seiner Leiche den Armreifen abnehmen und dir anlegen. Du kannst seinen Platz in meinem Drachenschiff einnehmen, wenn wir im Sommer auf Beutefahrt gehen, und bekommst seinen Anteil an den Reichtümern, die damit verbunden sind.«
Ich hob das Kinn und hasste es, dass ein Teil von mir für die Verlockung eines solchen Preises empfänglich war. »Und die Scheidung von Vragi.«
Das entlockte Snorri ein leises Kichern, und er warf Vragi einen Blick zu. »Du bist mit dem Ende dieser Ehe einverstanden?«
Mein Mann grinste. »Mit Vergnügen.«
DieChancen,dassicheinenberühmtenKriegerwieBjornbesiegen würde, standen gering. Und dass er über Tyrs Gabe verfügte, machte sie noch geringer. Aber Kämpfe waren unberechenbar, und ich war nicht ungeschickt. »Gut.«
Snorri nickte und blickte zu der schönen Frau, die von ihrem Pferd aus zusah. »Wir werden ein Lied darüber hören, Steinunn. Wie es auch ausgeht.«
»Wie du befiehlst, Herr«, antwortete die Frau, und in ihren Augen funkelte Neugier, als sie meinen finsteren Blick erwiderte. Was auch immer hier vor sich ging, sie wusste eindeutig nicht mehr als ich.
Ich rollte mit den Schultern, um die Anspannung zu lösen, und wandte mich dann einem der noch im Sattel sitzenden Krieger zu. »Kann ich deinen Schild haben?«
Er zuckte mit den Schultern, dann hakte er ihn vom Sattel. »Das wird dich nicht retten. Aber jeder, der gegen Bjorn kämpfen will, hat sich seinen Platz in Walhalla verdient.«
Seine Worte gaben mir Kraft, als ich den Schild nahm und den Griff hinter dem dicken Stahlbuckel packte, aber ich zeigte nichts von meiner Zuversicht, als ich Bjorn umkreiste. Die Hitze seiner Flammenaxt trieb mir den Schweiß auf die Stirn, aber ihn schien sie nicht zu berühren. Das musste auch so sein, schließlich hielt er loderndes Feuer in der bloßen Hand.
»Estutmirleid,Freya«,sagteer.»MögeOdinselbstdichmiteinem vollen Becher begrüßen.«
»Das wird er bestimmt.« Ich lächelte süß. »Denn du wirst ihn bei deiner Ankunft vorwarnen, dass er sich für mich bereithalten soll. Und das wirst du schneller tun, als du glaubst.«
Ein breites Grinsen hellte sein Gesicht auf, und einen Herzschlag lang sah ich wieder den Mann, der am Strand mit mir geschäkert hatte. Sollte ich ihn töten, würde ich das nicht genießen, aber das bedeutete nicht, dass ich mit dem Todesstoß zögern würde. Bjorn warf Vragi einen Blick über die Schulter zu. »Du bist ein Narr, wenn …«
Ich griff an.
Mein Schwert schnellte auf seinen Bauch zu, aber ein sechster Sinn musste ihn gewarnt haben, denn er wich im letzten Moment aus, und die Spitze meiner Klinge streifte nur den Stoff seines Hemdes. Er drehte sich mit mir im Kreis und musterte mich. »So habe ich mir das nicht vorgestellt.«
»Das Schicksal schert sich wenig um deine Meinung, wie die Dinge laufen sollten.« Das Blut kochte in meinen Adern, mein Blick glitt zu der Flammenaxt, obwohl ich genau wusste, dass ich meine Aufmerksamkeitnichtdaraufrichtendurfte.Wusste,dassAugenund Körper die Taktik verraten und nicht die Waffe. »Alles, was ist und was sein wird, ist bereits von den Nornen gewoben.«
Ich schlug erneut zu, unsere Waffen trafen aufeinander, und seine Kraft ließ mich taumeln.
»Wenn du schon missionieren willst, solltest du es richtig machen.« Er parierte einen weiteren Hieb der Klinge, griff selbst aber nicht an. »Mein Schicksal gehört mir, ich webe es selbst.«
Weil er göttliches Blut in seinen Adern hatte. Das wusste ich. Ich wusste es sogar genau, denn Vragi prahlte oft mit dieser Macht, obwohl sie unmöglich zu beweisen war.
»Dann wird es ein Schicksal sein, das dein Vater bestimmt, denn anscheinend tust du, was er dir sagt.«
Zorn flammte in Bjorns Blick auf, und ich griff erneut an, führte einen harten Hieb gegen seine Rippen. Er tänzelte aus dem Weg, viel schneller, als ich bei einem Mann seiner Größe vermutet hätte. Halbherzig schlug er nach meinem Schwert, und als die beiden Waffen zusammenprallten, zuckte ich zusammen. Flammen züngelten meine Klinge entlang, und ich riss sie weg, um den nächsten Axthieb mit dem Schild abzuwehren.
Die Schneide grub sich in das Holz unter dem Schildbuckel, und ichmusstedieFersenindenBodenstemmen,alsersiemiteinemgewaltigen Ruck wieder heraus hebelte. Die damit verbundene Kraft riss mir beinahe den Schild aus der Hand. Aber es kam noch schlimmer: Der Geruch von schwelendem Holz drang mir in die Nase. Der Schild hatte sich an einigen Stellen entzündet, und Rauch stieg auf.
Dennoch wagte ich nicht, ihn fallen zu lassen.
Angstdurchströmtemich,ichwarschweißgebadetundalleserschien zu hell. Ich musste jetzt angreifen, bevor das Feuer mich zwang, den Schild wegzuwerfen. Bevor meine Kräfte mich verließen.
Ich warf mich mit einer Reihe von Angriffen auf ihn, und Panik stieg in mir auf, als er einen nach dem anderen mit ausdruckslosem Gesicht abwehrte, während er in der Defensive blieb.
Warum sollte er angreifen, wenn die Flammen, die meinen Schild verzehrten, die Arbeit für ihn erledigen würden?
»Zeig, was du kannst, Bjorn«, knurrte Snorri. »Zeig ihr, wie man richtig kämpft!«
Mein Atem kam in schnellen Zügen, als ich immer wieder zuschlug, denn ich wusste, dass meine einzige Chance in einem Sieg bestand. Ich musste ihn töten, auch wenn ich das wirklich nicht wollte.
»Warum tust du das?«, verlangte ich von Snorri zwischen keuchenden Atemzügen zu wissen. »Welchen Gewinn bringt dir mein Tod?«
»Ich gewinne nichts durch deinen Tod«, antwortete er. »Also kämpfe!«
Das alles ergab keinen Sinn.
Bjorn schien dem zuzustimmen. »Dieser Kampf hat nichts mit einem Kräftemessen zu tun. Dieser wieselschwänzige Fischhändler will nur, dass bessere Männer seine Frau für sein Versagen unter den Pelzen bestrafen.«
»Ich habe sie jede Nacht gepflügt«, rief Vragi. »Es ist ihre Schuld!«
»Vielleicht hast du das falsche Feld gepflügt!« Bjorn lachte und sprang meinem Hieb aus dem Weg, dabei schlug er mit der Axt gegen meinen Schild, als würde er eine Fliege verscheuchen.
Mein Temperament flammte auf, weniger wegen der krassen Andeutung als vielmehr der Tatsache, dass er mir nicht einmal die Ehre zugestand, richtig zu kämpfen. »Zitronensaft hat jeden seiner Samen, den er zu säen hatte, sofort vernichtet.«
Vermutlich war es nicht klug, mein Geheimnis zu verraten, aber da mein Tod unmittelbar bevorzustehen schien, war es das wert, um den Ausdruck fassungsloser Empörung auf Vragis Gesicht zu sehen.
Bjorn prustete los, hielt sich den Bauch vor Lachen und stolperte zurück,parierteaberflinkmeinenAngriff,alsichversuchte,ihn zu durchbohren. »Bei den Göttern, Vragi«, lachte er. »Die Welt ist ohne deine Nachkommenschaft wirklich besser dran, wenn du dich nicht einmal darüber wunderst, warum deine Frau nach Zitronen schmeckt.«
Sie schmecken? Wie vom Blitz getroffen hielt ich inne und starrte Bjorn an, der mir ein genüssliches Lächeln schenkte. »Scheint so, als hätte er es ganz sicher falsch gemacht.«
»Bjorn, halt verdammt noch mal die Klappe!« Snorri umkreiste uns. »Töte sie jetzt, oder ich schneide dir die Zunge heraus, um dich zum Schweigen zu bringen!«
Die Belustigung verschwand aus Bjorns Augen. »Ich wünschte, das Schicksal wäre gütiger zu dir gewesen, Freya.«
Ohne Vorwarnung griff er an.
Vorbei waren die halbherzigen Schläge und mühelosen Paraden. An ihre Stelle traten kräftige Hiebe, die mich taumeln ließen.
Ich hatte geglaubt, kämpfen können. Zu wissen, wie ein echter Kampf sein würde. Nichts hätte mich auf die Erkenntnis vorbereiten können, dass, egal wie kräftig ich Hiebe austeilte oder wie schnell ich parierte, mein Ende nahte.
Der Schild brannte, Rauch und Hitze stachen mir in die Augen, aber ich wagte nicht, ihn fallen zu lassen. Bjorn griff wieder an. Ich wollte mich verteidigen, aber seine Axt griff nach meiner Klinge, riss sie mir aus der Hand und schleuderte sie in den Wald.
Das war es also.
Das war der Moment.
Doch Bjorn zögerte, trat zurück, statt zuzuschlagen. Ein Krieger, der tötete, das ja. Aber kein Mörder.
»Bringeshinterdich!«,riefSnorri.»Duhastdaslangegenughinausgezögert. Töte sie!«
Ich hatte Angst. So große Angst, dass ich zwar verzweifelt Luft holte, aber das Gefühl hatte, das nichts davon meine Lunge erreichte. Als würde mich das eigene Entsetzen erdrosseln. Dennoch gelang es mir, den brennenden Schild zu heben, bereit, bis zum Ende zu kämpfen. Bereit, ehrenvoll zu sterben. Bereit, mir meine Aufnahme in Walhalla zu verdienen.
Die Flammenaxt sauste auf mich zu und traf den Schild. Plötzlich klaffte ein Spalt im Holz, während ich rückwärts stolperte und mich kaum auf den Beinen halten konnte. Mein Arm schmerzte von der Wucht des Treffers, und ein Schluchzen entrang sich meinen Lippen.
Er schlug erneut zu.
Ich sah den Hieb, als wäre die Zeit stehen geblieben. Ich wusste, dass die dahinterliegende Kraft den Schild zerschmettern und mir den Arm abtrennen würde. Dass ich mein verbranntes Fleisch riechen würde. Mein verbranntes Blut.
Mein Mut schwankte, dann verließ er mich.
»Hlin«, keuchte ich den Namen, der mir mein ganzes Leben lang verboten gewesen war. »Beschütze mich!«
Ein Donnerschlag ließ meine Ohren dröhnen, als Bjorns Flammenaxt den Schild traf, der nicht länger aus Holz, sondern aus silbernem Licht bestand. Der Aufprall schleuderte ihn durch die Luft, und sein Körper prallte mit solcher Wucht gegen einen Baum, dass der Stamm zerbrach.
Benommen fiel er zu Boden, seine Axt landete in einem Haufen Kiefernadeln und setzte sie sofort in Brand.
Doch niemand unternahm etwas, um die Flammen zu ersticken. Keiner bewegte sich. Keiner sprach auch nur ein Wort.
Langsam richtete sich Bjorn auf und schüttelte den Kopf, um die Benommenheit zu verscheuchen, während sein Blick auf mich gerichtet war. Seine Stimme zitterte, als er sagte: »Sie ist die Schildmaid.«
Ein Schauer durchlief mich, und ich ließ meine Magie erlöschen. Aber es war zu spät. Alle hatten es gesehen.
Alle wussten es.
»Siehst du, Herr«, sagte Vragi mit lauter, knirschender Stimme. »Wie ich gesagt habe: Freya ist ein Kind der Göttin Hlin und hat ihre Magie verborgen gehalten.«
Obwohl es keine Rolle spielte, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss: Woher wusste er das?
Vragi kicherte, als er die Frage in meinen Augen sah. »Jedes Mal, wenndudichweggeschlichenhast,dachteich,duwürdestesmiteinem anderen Mann treiben. Also bin ich dir gefolgt. Und ich habe dich erwischt, auch wenn es nichts mit einem anderen Schwanz zu tun hatte.«
Mein Magen verkrampfte sich.
Wie hatte ich nur so verdammt dumm sein können? Warum hatte ich nicht besser aufgepasst?
»Steinunn«, sagte Snorri. »Das wird das Lied einer ganzen Generation sein, und deine Magie wird es komponieren.«
Die Frau antwortete nicht, sondern starrte mich nur mit einer solchen Intensität an, dass ich den Blick abwenden musste.
Bjorn löschte das Feuer, das seine Axt verursacht hatte, obwohl die Waffe noch immer in seiner Hand loderte, als er näher kam. »Ich nehme an, du willst gar nicht, dass ich sie töte.«
Snorri schnaubte. »Ich bin mir nicht mal sicher, dass du es könntest, selbst wenn du es versuchen würdest. Es wurde prophezeit, dass ihr Name im Feuer eines Gottes geboren werden würde. Es war nie ihr Schicksal, durch deine Hand zu sterben.«
»Sie hat kein Schicksal«, erwiderte Bjorn. »Niemand konnte vorhersagen, ob ich sie töten würde, nicht einmal die Götter.«
Snorri stieß ein belustigtes Schnauben aus. »Denkst du, ich kenne meinen eigenen Sohn nicht? Ich wusste, dass du einen tödlichen Schlag lange genug zurückhalten würdest, damit der Schrecken sie zu diesem Zug zwingt.«
Snorri hatte uns gegeneinander ausgespielt.
Die Leere in meiner Brust begann sich mit der schwelenden Hitze der Wut zu füllen. Diese Hitze verwandelte sich in ein Inferno, als Snorri einen Geldbeutel aus seinem Umhang zog und Vragi zuwarf. »Als Entschädigung für deinen verlorenen Brautpreis. Und für deine Loyalität.«
»Du hinterhältiges Arschloch!«, knurrte ich. »Kennt deine Habgier denn keine Grenzen?«
Vragi zog eine goldene Halskette aus dem Beutel und bewunderte sie. »Es ist keine Habgier, Freya. Ich ehre die Götter nur, indem ich dich deiner wahren Bestimmung zuführe. Du solltest mir wirklich dankbar sein.«
»Dir danken?«
»Ja.« Er grinste. »Du wirst bald die zweite Frau des Jarls sein, also wirst du in seiner Großen Halle leben und grenzenlosen Reichtum haben. Und er wird dich auf Beutefahrt mitnehmen, was du ja auch wolltest.«
Die zweite Frau. Ich starrte Snorri entsetzt an, und obwohl ich Verärgerung in seinem Blick sah, nickte er. »Vor fast zwei Jahrzehnten erhielt ich von einer Seherin die Prophezeiung über eine Schildmaid, die in der Nacht eines roten Mondes zur Welt gekommen war. Sie sagte mir, der Name dieser Frau werde im Feuer der Götter geboren, und sie werde das Volk von Skaland unter der Herrschaft desjenigen vereinen, der ihr Schicksal kontrolliert.«
»Das Schicksal wird von den Nornen gewebt.« Meine Zunge fühltesichdickan,undichschlucktemühsam.»Siekontrollierenes.«
»Alles ist vom Schicksal bestimmt, nur nicht das Leben der Kinder der Götter«, korrigierte Snorri mich. »Dein Weg ist unbekannt, und während du ihn gehst, ordnest du die Fäden all derer um dich herum neu.«
Ein dumpfes Wimmern erfüllte meine Ohren, und die Sonne wurde unvorstellbar hell. Ich war ein Niemand, und Hlin … Sie war die unbedeutendste aller Göttinnen, kaum beachtet und nie erwähnt. Sicherlich nicht mächtig genug, um die Clans unter einem Mann zu vereinen.
»Du wirst eine Königsmacherin sein, Freya«, sagte Snorri und nahm mich bei den Armen. »Und als dein Ehemann, der über dein Schicksal bestimmt, werde ich dieser König sein.«
Genau aus diesem Grund hatte mein Vater von mir verlangt, meine Magie geheim zu halten, darum war er so davon überzeugt gewesen, dass man mich gegen meinen Willen benutzen würde, wenn ich meine Magie offenbarte. Er hatte als Krieger für Snorri gekämpft, was bedeutete, dass er von der Prophezeiung gehört haben musste. Er hätte Snorris Absichten gekannt und dieses Leben nicht für mich gewollt.
Ich wollte dieses Leben garantiert nicht. »Nein!«
»Es ist nicht deine Entscheidung«, antwortete er. »Da dein Vater tot ist, ist es Geirs Entscheidung.«
Die Krieger, die meinen Bruder festhielten, zerrten ihn vorwärts, und er spuckte vor dem Jarl Blut auf den Boden. »Wenn Freya Nein sagt,heißtesNein.IchwerdemeineSchwesternichtentehren,indem ich sie in eine weitere Ehe zwinge, die sie nicht will.«
»Das solltest du dir noch einmal überlegen.« Snorri trat über den Speichel hinweg und baute sich vor meinen Bruder auf. »Ich verlange Loyalität von meinen Kriegern, vor allem von denen, die auf meinem Drachenboot fahren. Das hier ist keine Loyalität, Junge.«
Geir biss die Zähne zusammen, und ich sah zu, wie seine Träume in Rauch aufgingen.
Mein Herz brach, als Geir den Eisenreifen an seinem Arm berührte, aber dann sagte Vragi laut: »Ich habe gehört, dass Ingrids Vater eine gute Partie für sie sucht.« Er hob den Geldbeutel, den er dafür bekommen hatte, mich zu verraten. »Ich denke, das wäre ein angemessener Brautpreis.«
Geirwurdeaschfahl,währendsichmeinMagenverkrampfte.Wir wussten beide, dass Ingrids Vater das Gold nehmen würde, egal, wie sehr Ingrid protestierte. Das konnte ich nicht zulassen. Ich konnte nicht zulassen, dass das Leben meines Bruders und meiner besten Freundin meinetwegen ruiniert wurde. Vor allem nicht, wo uns mein Leichtsinn überhaupt erst in diese Situation gebracht hatte.
»Also gut.« Meine Stimme klang erstickt und seltsam. »Ich heirate dich. Unter einer Bedingung. Mein Bruder behält seinen Armreifen und seinen Platz in der Kriegshorde.«
Snorri kratzte sich nachdenklich an seinem Bart, dann nickte er. »Einverstanden.«
Er blickte zu Geir, der angespannt nickte und nur mich ansah. »Einverstanden.«
Der Jarl wandte sich an die Gruppe. »Seid ihr alle Zeugen? Freya hat zugestimmt, meine Braut zu werden. Bestreitet jemand mein Recht, sie zu nehmen?«
Alle murmelten ihr Einverständnis. Das heißt, alle außer Bjorn. Die Axt loderte noch immer in seiner Hand, sein Blick war fest auf mich gerichtet, als er die Waffe hob und kurz davor zu sein schien, etwaszuunternehmen.UndausGründen,dieichnichtgenaubenennen konnte, veranlasste mich der Instinkt dazu, einen Schritt zurückzutreten. Mein Herz pochte laut und schnell.
Aber er ließ die Waffe wieder sinken und schüttelte andeutungsweise den Kopf.
»Dann ist es vollbracht.« Snorri gab seinen Kriegern ein Zeichen, Geir auf die Füße zu ziehen. »Du wirst deinen Armreifen und deinen Platz behalten, Geir, aber wir müssen über deine Loyalität reden. Du hast gewusst, dass ich eine von Hlins Töchtern suche, hast mir aber nichts von deiner Schwester erzählt, obwohl du wusstest, dass das Blut der Göttin in ihren Adern fließt. Dafür musst du bestraft werden.« Er hob die Axt in seiner Hand.