Bruchhausen - Andreas Neumann - E-Book

Bruchhausen E-Book

Andreas Neumann

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Beschreibung

Während seines Kurzurlaubes im Sauerland gewinnt jemand unglaubliche Eindrücke, was Tourismusentwicklung und Naturvermarktung betrifft. So reift in ihm der militante Plan, durch eine gewagte Aktion allem Treiben ein Ende zu setzen. Und solange der Reisende eine zu allem entschlossene Mitstreiterin zu finden scheint, vermischen sich Ideen und Planungen mit bittersüßer Realität.

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INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

1.

Willkommen

2.

Kahler Asten

3.

Biggesee, Atta-Höhle, Burg Altena und Bruchhausen

4.

Bruchhauser Steine

5.

Cross und krass

6.

As(s)tenturm 1000

7.

Fluid Rocks – der Hauch der Ewigkeit

8.

Rückbau

9.

Abschied

Nachwort

Vorwort

„Rückbau!“ – ein Ausruf der Enttäuschung.

„Rückbau!“ – ein Aufruf an die Vernunft.

„Rückbau!“ – das Ziel, Reales durch Ideales zu ersetzen.

1. Willkommen

Man muss nicht in die Niederlande fahren, um in Deutschland zu sein – zumindest in Westdeutschland.

Das konnte ich feststellen, als ich sommers in das beschauliche Sauerland fuhr. Im Gepäck: große Hoffnung auf allgemeine Entschleunigung, Abstand von Job sowie Alltagsverpflichtungen.

So ging es vom Süden der Republik immer jene Autobahnen, Bundes- und Landstraßen hinauf gen Norden, vorbei an Städtischem, Ländlichem sowie bisweilen ländlich Romantischem, vorbei an links und rechts und hier und dort, vorbei an Fuchs und Has´, letzte Kilometer, durch verlegene Örtchen, bis schließlich direkt vor die Haustür Winterbergs.

Aber, Winterberg! Was ist Dir geschehen?

Bereits auf ersten Blick – und mit folgenden unweigerlich mehr – wollte mein ungläubiges Staunen gar kein Ende nehmen: Als hätten sämtliche kommunale Entscheidungsträger*innen so gar nichts ausgelassen, um mit dem Schalk im Nacken über Entwicklungsziele hinauszuschießen:

Winterberg, ´Das St. Moritz des Sauerlandes´, ´Das Himalaya Westfalens´ und ´Das Freizeitressort Westdeutschlands´! Superlative zweifelhafter Qualität.

Sicher, auf Fotos der Kaiserzeit oder jenen farbintensiven Postkartenmotiven der 1960er sieht die Wirklichkeit stets beschaulicher aus, nicht minder in meinen letzten Kindheitserinnerungen der frühen 1980er – doch 2022 …?

In exakt diesem Jahr trieb es mich Anfang August mit der unbändigen Lust auf Ruhe, Natur und Abgeschiedenheit in allen Abtönungen in eben diese Gegend zurück nach all den Jahren.

Doch auf den entweder von Sturm ´Kyrill´, den folgenden Borkenkäferjahren oder nachträglich von Menschenhand dahingerafften Waldhängen wimmelte es: Hier Schneekanonen, Schneelanzen, Glider-Slider-Bob-Seilbahn-Konstruktionen. Dort klebten wie Schwalbennester Après-Ski-Restaurationsbetriebe mit ebenso breit gefächerten Getränkekarten (inklusive oben erwähnter St. Moritz-Preise). Hier und da unterhöhlten geschäftige Bagger Wiesen für Rohrleitungen, um all jene künstlich angelegten Wasserspeicher zu vernetzen, die für die winterliche Kunstschneeproduktion so unerlässlich sind, bissen sich in Feld und ausgetrocknete Krume.

Auch innerorts eine Schneise des Brachialen, flankiert von bereits abgerissenen Hotels, heruntergewirtschafteten Hotels, im Aufbau befindlichen Hotels, neueren, neuesten sowie projektierten Hotels, flankiert von Bäckereien, Cafés nebst Sportgeschäften, um den Freizeitkreislauf von Bedürfnisweckung und Nachfrage am Laufen zu halten.

Oh, Winterberg, mein Winterberg, welche Aussicht!

Und unter den Gästen im prallgefüllten, quellenden Ort gefühlt 100% niederländischer Provenienz zuzüglich 50% deutscher: Vollauslastung, wohin man blickte.

Konnte das sein? Musste das sein? Durfte das sein?

Jemand huschte schattenhaft auf mich zu – es klirrte kurz.

„Aber – was ist, wo sind wir denn … hier?!“, fragte es irritiert aus mir heraus.

„Hallo, Ihr Kaffee, bitte …“

Da fand ich mich also wieder, war wieder in meinem Kopf, hörte, sah und saß, saß an einem dieser Tische, auf einer Bank, saß vor einer, meiner Tasse. Am Nachbartisch ein sehr altes Ehepaar: Er mit Rollator und Hörgerät, zur Linken seine Frau, die ihm erklärte, was Smoothies seien …

Auch zogen Bummelnde auf dem vorgelagerten Bürgersteig vorbei, Menschen wie du und ich, in ihrem Tun, ihrem Erscheinungsbild derart erwartbar, dass kein Gedanke auch nur eine Sekunde an ihnen hätte haften bleiben können.

Umso mehr musste das gelegentliche Erscheinen der Bedienung auffallen, die in unregelmäßigen Abständen hinaustrat zu den Gästen und somit allem Ereignisfluss, dem beidseitigen Vorbeistreifen von Alltagsschatten eine unbeabsichtigte Unterbrechung, einen gewissen Rhythmus gab: Ihre Handsprache, die dunkelblonden, nach hinten gebundenen Haare – zu meiner Enttäuschung verschwand sie dann aber für längere Weile im Geschäft und eine Kollegin übernahm den Außenbereich.

Angekommen war ich dort, da, hier also ganz und gar, und eine Woche Urlaub lag vor mir: unvorhersehbar, ungeplant, unbeschrieben.

Der weitere Nachmittag mitsamt Anreiseabend, sie verliefen ereignisfrei: Abgesehen vom offiziellen Einchecken, groben Auspacken von Koffer und Reisetasche, der einen oder anderen Routine – kurz des Einlebens – konnte auch nicht mehr viel geschehen, weshalb ich, müde von der Fahrt, recht zeitig schlafen ging.

2. Kahler Asten

Der Kahle Asten – Symbol schlechthin, bedeutungsvoller Name, Ortskrönung, Hot Spot, höchster Berg Nordrhein-Westfalens! Nicht auf ihm gewesen zu sein, ihm nicht eines Aufwartung gemacht zu haben, ist in etwa so, als habe man nach langjähriger Wiederkehr in den Kreis liebster Bekannter dem Gastgeber nicht die Hand geschüttelt – das wollte ich mir auf keinen Fall nachsagen lassen!

Da diesjährigen Sommer eine Hitzewelle mit ausgeprägter Trockenheit prägte, verwunderten die hohen Temperaturen zwar nicht weiter, doch bereits nach dem Frühstück bei 25 Grad im anfänglichen Waldschatten, weiterwärts jedoch bei gefühlten 35 Grad den Weg am Wiesen-Nordhang hinaufzustraucheln, welcher erwartungsfrohe Wandersmänn*innen schließlich zum Aussichtsturm führt, fühlte sich unwirklich an und strapazierte zudem unnötig.

Psychisch erschwert wurde der schweißtreibende Fußmarsch durch die Tatsache, dass sich der Baumbestand extrem lichtete, es den Eindruck erweckte, man befände sich erheblich höher, in alpinen Regionen, als die krautige Hochebene erreicht war, ja.

Da bewegte ich mich also schnaufend durch das Jetzt und Hier: Keine Wolke am Himmel, die Grillen zirpten, warmes Holz knackte.

Immer voran, immer voraus: der Gipfel, Gipfelturm – Gipfelsturm!

Auch hier oben war niederländische Präsenz zu verzeichnen, heraufgekarrt in Reisebussen. Doch umsonst!

Denn die Ruhetag ausweisende Infotafel an der Restauranttür ließ sowohl WC als auch Aussichtsturm für die Reisegruppe ausfallen, und ich, wegen Atemlosigkeit unter lediglich gezischten Verwünschungen mich abwendend, schaute keuchend in die weite Runde: Man, man, Menschen, wohin das Auge schweifte! Wandernde, Radfahrende sowie Kinderwageneltern irrten von allen in alle Himmelsrichtungen, hielten in ihren Bewegungen inne, machten Selfies, diskutierten Wegverläufe auf ihren Routen-Apps, holperten und stolperten über Vorplatz, Weg, und Wurzeln, sprachen bisweilen auch mit ihren Smartphones. Manche waren dabei sehr laut, andere überhaupt nicht leise.

Als sei alledem kein Glaube schenken zu dürfen, nahm ich meine Sonnenbrille ab, kniff die Augen energisch zusammen, atmete tief aus, wischte mir mit dem Handrücken schnell über die Stirn und versuchte mit der gemurmelten fünf-Worte-Deutung „Das macht so keinen Sinn“ die Szenerie für mich aufzulösen, während ein Kind in meine Richtung winkte. Hallo.

Also nicht länger verweilen, flugs weitergegangen, die Beine in die Hand genommen, zur zweiten Attraktion inmitten Heidekraut und Blaubeersträuchern, zur Lennequelle, der höchstgelegenen Quelle Nordwestdeutschlands …