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Lassen Sie sich von Emily Walton in Brüssel abseits der Pfade zu verborgenen Jugendstiljuwelen, vorbei an riesengroßen Comic-Wänden, in skurrile Antiquitätengeschäfte und in ein jahrhundertealtes Pfandhaus führen. Von versteckten Dachterrassen blickt sie über die Stadt der Gegenwart, in unterirdischen Gängen spürt sie ihre Geschichte. Im EU-Viertel, das allzu oft als grau und trist abgetan wird, besucht sie Brüssels ältestes Irish Pub und kauft kulinarische Köstlichkeiten in den vielen europäischen Geschäften. Nur wenige Minuten vom Stadtzentrum entfernt streichelt sie Schafe und macht ein Nickerchen in einem der vielen versteckten Parks, die oft nur den Einheimischen bekannt sind.
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Seitenzahl: 159
EMILY WALTON
ABSEITS DER PFADE
Eine etwas andere Reisedurch die europäische Hauptstadt
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie – detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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1. Auflage 2016
© 2016 by Braumüller GmbH
Servitengasse 5, A-1090 Wien
www.braumueller.at
Seite 143: What’s Cooking in Belgium. Recipes and Stories from a Food-Loving Nation. N. Evans, A. Jenkinson. Luster Verlag 2013Coverfoto & Fotos: Emily Walton
Karten Seite: 20, 42, 60, 84, 106, 126, 146, 164:
openstreetmap.org | © OpenStreetMap-Mitwirkende (CC BY-SA 2.0)
Satz: Alexandra Schepelmann | schepelmann.at
ISBN der Printausgabe: 978-3-99100-179-9
ISBN E-Book: 978-3-99100-180-5
Erste Annäherung
Zum Lust bekommen
Was gibt es zu sehen? – Wie entdecke ich die Stadt? – Was gibt es zu essen? – Was gibt es zu trinken? – Wie verständige ich mich?
Die Innenstadt: Versteckte Magritte-Kunst, Dachgärten und Insektenpanzer im Königspalast
Die historische Einkaufspassage der Stadt ist von oben am schönsten
Von kleinen Falken, die Brüssels Kathedrale bewohnen
Von Glockenschlägern und Weltköchen
Brüssels Dachterrasse für Belesene
Les Marolles: Trödel, Hipster und Bio-Häppchen
Pieter Bruegel der Ältere und die Ordensschwestern
400 Jahre alte Pfandhäuser nehmen keine Fernseher
Biobutter und Straßengraffiti
Ein Brüsseler Bierpfad: Bierkunde für Groß und Klein – von früh bis spät
Cantillon, eine der letzten Brüsseler Brauereien
Rund um die Gare du Midi: buntes Bahnhofsviertel
Begegnungen an jeder Ecke: von Madame Chapeau bis Jacques Brel
Auch Bierkenner treffen sich in der touristischen Innenstadt
EU-Viertel: Tapas, Bausünden und grüne Lunge
Square Ambiorix: Knotenpunkt zwischen EU-Bezirk und Schaerbeek
Schuman: Kommission statt Kloster, Glaspalast statt Wiese
Parc du Cinquantenaire: Wo die Europäer ihre Mittagspause verbringen
Eine Moschee, Ford T-Modelle und versteckte Statuen: ein Park voller Überraschungen
Als Comics den Jugendstil retteten
Wenn Kinder Kaninchen den Fischstäbchen vorziehen
Schaerbeek: Unterschätzter Stadtteil mit vielen Schmuckstücken
Günstige Wohnungen in verfallenen Jugendstilbauten
École Fondamentale Communale n° 1: die schönste Schule der Stadt
Eine Zeitreise ins Bierparadies
Verborgene Schätze auf der Chaussée de Haecht
Kunst und Kleinbusse in Saint-Josse-ten-Noode
Rezept: Astrids und Patricias Pekannusstarte
Uccle: Von Schafen, Promigräbern und einem Schreibtisch mit Haifischunterlage
Van Buuren Museum: Art-decó-Juwel am Stadtrand
Marktstimmung und Dorfgespräche am Parvis
Ein Park und ein Friedhof für Comicliebhaber
Saint-Job: Wo es nach Schafen und Pommesfett riecht
Maschinengewehre: das Beste, was Brüsseler Pommesbuden zu bieten haben
Rezept: Belgische Pommes frites für Zuhause
Ixelles und Bois de la Cambre: Ein Waldspaziergang mitten in der Großstadt
Place Flagey: Marktstimmung rund um das Radiofunkhaus
Picknickplätze im Kloster und eine Disco im Wald: der Spaziergang ins Grüne
Art déco und Brüssels schönster Privatswimmingpool
Relaxen zwischen Obstbäumen im Parc Tournay-Solvay
Belgische Comics: Von besserwisserischen Katzen, Hotelpagen und braven Pfadfindern
Der Comiclesesaal: 3000 Bände und Sitzsäcke im ehemaligen Textilgeschäft
Trocken bleiben, wenn es regnet: Brüssels versteckte Galerien und unterirdische Passagen
Tintin-Vater Hergé hat in Louvain-la-Neuve ein Denkmal
Wer zum ersten Mal in Brüssel ist, wird die Stadt vermutlich mit einer von zwei Farben in Verbindung bringen: mit Gold oder Grau.
Die einen empfinden die belgische Hauptstadt als goldfarben und denken dabei an die prunkvoll verzierten Zunfthäuser auf dem Grand Place, der längst zum UNESCOWeltkulturerbe zählt, und an das satt-goldene Bier, das in den Brasserien in rauen Mengen fließt. Den anderen bleibt eher ein grauer Eindruck – vielleicht, weil man nur für einen kurzen Business-Trip im Brüsseler EU-Viertel war, bloß die langen Gänge des Flughafens und die gläsernen Bürogebäude gesehen hat und Brüssel sich zudem noch von seiner schlechteren, nämlich der verregneten Seite zeigte.
Ich machte zunächst letztere Erfahrung. Eine Studienreise führte mich zum ersten Mal nach Brüssel: Zwei Tage volles Programm, wir klapperten die EU-Institutionen ab und sahen von Brüssel gerade einmal die Umgebung des Rond-Point Robert Schuman. Hier reiht sich ein Bürogebäude an das nächste: kastenförmige Bauten mit Security-Personal vor der Tür. Brüssel war für mich grau und wenig ansprechend. (Selbst in einer freien Stunde konnte ich die Schönheit der Stadt nicht erkennen: Ich drängte mich mit zahlreichen Touristen um den Manneken Pis und war enttäuscht, dass dieses Maskottchen nur 60 Zentimeter groß ist.) Trotzdem entschied ich mich im Jahr 2012, meinen Mann hierhin zu begleiten, als sich für ihn eine berufliche Chance auftat. Wieder landete ich in einem grauen Brüssel – der Mai wollte sich damals nicht als Wonnemonat präsentieren. Doch schon bald lichteten sich die Wolken, ich tauschte Knirps gegen Sonnenbrille und schnell stellte ich fest: Brüssel ist – bei genauerem Hinsehen – eine der farbenfrohsten Städte Europas. Das liegt vor allem daran, dass diese Metropole, die in ihrer gesamten Region nur etwas mehr als eine Million Einwohner zählt, sich extrem weltoffen und multikulturell zeigt. Mit einem Migrantenanteil von fast dreißig Prozent ist Brüssel ein wahrer „Melting Pot“. Belgier (Brüsseler, frankofone Wallonen und Niederländisch sprechende Flamen) leben hier mit den Nachkommen von ehemaligen Gastarbeitern aus Südeuropa und Nordafrika, mit Menschen, die aus früheren belgischen und französischen Kolonien stammen, und mit Tausenden Expats – jenen Personen, die hier für internationale Firmen und die Europäische Union arbeiten. Das sorgt natürlich für ein liebenswertes Chaos und extreme Vielfalt.
In Brüssel hat jede Straße ihren eigenen Flair, der stark von den Bewohnern geprägt wird: In der Chaussée de Haecht etwa in der Commune (Gemeinde) Schaerbeek spielt sich das Leben auf den Straßen ab, es riecht nach türkischem Kaffee und man findet hier die saftigsten Wassermelonen. Rund um die Weiher Étangs d’Ixelles im Stadtteil Ixelles hingegen flanieren die Expat-Mütter mit den gerade angesagtesten Kinderwagenmodellen und tauschen sich über den letzten Fauxpas ihrer Nanny aus.
Allzu grobe Einteilungen – hier: Luxusbezirk, dort: Armenviertel –, wie sie vielleicht in anderen Städten möglich sind, kann man in Brüssel nicht vornehmen. Denn das Besondere an Brüssel ist, dass kein Bezirk homogen ist. Biegt man einmal um die Ecke, kann man sich plötzlich in einer ganz anderen Welt wiederfinden. War man gerade noch in einer liebreizenden Gasse gesäumt von schmucken Jugendstil-Gebäuden, steht man hundert Meter weiter plötzlich zwischen Wettbüros und Handyshops. Hielt man sich soeben noch mitten im betonlastigen EU-Viertel auf, befindet man sich wenige Minuten später im grünen Parc du Cinquantenaire.
Anfangs ist es schwer zu glauben, aber Brüssel hat eine sehr, sehr große grüne Lunge. Egal wo man sich gerade aufhält – ob mitten im Zentrum oder in einem der Randbezirke –, zum nächsten Park ist es nie weit. (Der beste Beweis dafür, wie grün Brüssel tatsächlich ist, liefert Google Earth. Wer die Fotos von oben von Brüssel betrachtet, wird über die vielen grünen Flecken staunen.)
Während sich die Einheimischen in anderen Großstädten an warmen Tagen Decke an Decke im Park zusammendrängen müssen, herrscht in Brüssel nie das Gefühl von Platznot. An sonnigen Tagen ist die größte und einzige Herausforderung, sich strategisch nicht zu weit weg vom nächsten Waffelwagen zu platzieren.
Mit den Überraschungen, die Brüssel an jeder Ecke bereithält, zählt die Stadt für mich zu den spannendsten in Europa. Gerade wenn man meint, die Stadt kennengelernt und erfasst zu haben, steht man wieder sprachlos vor einer neuen Entdeckung.
Den Grand Place fotografieren; die Gemälde im Musée Magritte bestaunen; das Atomium besuchen und dabei über die ganze Stadt blicken. Danach noch ein paar Bruegels in den Königlichen Museen der Schönen Künste betrachten; Pralinen kaufen und eine große Portion Pommes mit einem starken Bier hinunterspülen. Ja, diese Aktivitäten sollten fürwahr beim ersten Brüsselbesuch auf der Tagesordnung stehen.
Wer allerdings das Glück hat, öfter nach Brüssel zu kommen – oder sich gar für einen längeren Zeitraum hier aufhalten zu dürfen –, wird schnell merken, dass das wahre Brüssel andernorts zu finden ist: in den kleinen, verwinkelten Gassen abseits der touristischen Wege, in unterirdischen Gängen und auf versteckten Dachterrassen. In den Wohnvierteln, in den Hinterhöfen vergessener Palais und hinter verfallenen Jugendstil-Fassaden.
Wer den Blick vom Manneken Pis und den Goldfassaden des Grand Place löst und ihn schweifen lässt, wird erkennen, dass Brüssel eine Stadt der verborgenen Schätze ist. Im Stadtteil Schaerbeek etwa, in das sich die wenigsten Touristen verirren, gibt es Jugendstil-Gebäude, die zu den schönsten der Stadt zählen. Wer genug von den Schnörkeln und Blumen hat, wird wiederum die beeindruckende Art-déco-Architektur der Villa Empain oder des Museum Van Buuren genießen. Wie verlockend ist es da, sich danach mit einem Architekturführer (oder auch mit diesem Reiseführer) unter die Apfelbäume des Parc Tournay-Solvay in der Gemeinde Boitsfort zu legen.
Belgische Spezialität Gueuze im Scheerbaeker Biermuseum
Durch belgische Parks sollte man immer mit wachsamen Augen streifen, denn hier versteckt sich so manches Kunstwerk: Wem der mexikanische Olmekenkopf im Parc Tournay-Solvay zu exotisch ist, der wird vielleicht an dem „Schnitter“, der Figur eines fleißigen Arbeiters von Bildhauer Constantin Meunier, im Parc du Cinquantenaire mehr Gefallen finden.
Brüssel, die Stadt, die so oft mit den sperrigen EU-Gebäuden in Verbindung gebracht wird, schafft es wie kaum eine andere, ihren Bewohnern im Alltag Natur, Architektur und Kunst zu bieten. Dabei sind die kleinsten Museen oft die feinsten: In den Ausstellungsräumen der Brauerei Cantillon lernt man etwa – in sehr familiärer Atmosphäre – die belgischen Spezialitäten Gueuze und Lambic kennen, während das kleine Musée Marc Sleen, das gleich gegenüber dem großen, bekannten Comic-Zentrum liegt, einen intimen Einblick in das Leben eines berühmten flämischen Comickünstlers bietet. Es zahlt sich aus, sich genau einzulesen – und dabei nicht ähnlich klingende Namen zu verwechseln: Denn das René-Magritte-Museum, das einstige Wohnhaus des Surrealisten im Stadtteil Jette, ist nicht gleichzusetzen mit dem großen, oftmals überlaufenen Musée Magritte in der Innenstadt. Und das Schaerbeeker Biermuseum hat viel mehr Charme als das Biermuseum auf dem Grand Place im Zentrum.
Aufgrund seiner Einwohnerstruktur (siehe oben) ist Brüssel eine Stadt, die ständig im Wandel ist. (An wenigen anderen Orten gibt es eine so hohe Baukran-Dichte wie im Brüsseler EU-Viertel.) An Wochenenden verwandeln sich einzelne Straßen in belebte Festmeilen: Ob mit einem Flohmarkt, Straßenfest oder Bauernmarkt – die Stadt erwacht zum Leben. Kaum sind die Temperaturen im Plusbereich und die Tische vor den Bistros trocken, spielt sich das Leben vor den Bars und Cafés und in den Parks ab. Dabei trotzen die Brüsseler jeder Regenwolke: Denn mit ihrer offenen, entspannten Art bringen sie gute Laune in jeden noch so grauen Tag.
Am besten in Turnschuhen. Nicht nur, dass ein Großteil der historischen Altstadt mit Kopfsteinpflaster belegt ist – man muss in Brüssel auch immer wieder mit dem einen oder anderen Schlagloch oder einer abgebrochenen Gehsteigkante rechnen. Der Laissez-faire-Stil, der den Alltag in Brüssel zu etwas Besonderem macht, weil er entspannt und locker ist, hat eben auch Kehrseiten. So steht man in Brüssel vor dem Dilemma: Nach unten auf den Boden schauen, um nicht zu stolpern; oder lieber nach oben blicken, um nicht die vielen architektonischen Schmuckstücke – z. B. die geschwungenen Eisen- und Glasverzierungen der Jugendstil-Bauten – zu versäumen. Mein Tipp: Wenn man sich ein wenig an die holprigen Gehsteige gewöhnt hat, dann schafft man es, nach oben zu blicken – auch ohne zu stolpern.
Die Brüsseler Innenstadt entdeckt man am besten zu Fuß. Seit 2015 ist das Zentrum rund um den Boulevard Anspach sogar eine auto- und busfreie Zone. Wer Zeit und ein wenig Energie hat, kann von der Innenstadt sogar bis in die Stadtteile Ixelles und Etterbeek (wo auch die EU-Institutionen liegen) schlendern. So bekommt man ein gutes Gefühl für die Stadt. Wer einen Tag lang zu Fuß unterwegs ist, wird rasch merken, dass Brüssel keineswegs eine so flache Stadt ist, wie man zunächst vermuten würde. Fahrradfahrer brauchen demnach unbedingt ein Rad mit Gangschaltung – und einen guten Helm. Denn Brüssel ist keine Stadt für Fahrradfahrer. Radwege, die neben und nicht auf der normalen Fahrbahn angelegt sind, sind selten. Der Fahrstil der belgischen Autofahrer passt sich an den hiesigen Lebensstil an: Man möchte sich nicht zu sehr von Regeln einschränken lassen. Wer also mit zwei Rädern unterwegs ist, lebt in gewisser Weise risikoreich.
Natürlich gibt es Tage, an denen die Füße schmerzen – vielleicht weil man über ein Schlagloch gestolpert ist – oder an denen man eine Destination erreichen möchte, die weiter entfernt liegt. Brüssel hat ein kleines, feines Metro-Netz (mit vier Linien), das recht zuverlässig ist. Mehr Geduld braucht man in Belgien als Busfahrender: Auf den Fahrplan kann man sich nur bedingt verlassen. Es gehört quasi zum Brüsseler Straßenbild, dass plötzlich – nach langer Wartezeit – drei Busse derselben Linie hintereinander an der Bushaltestelle auftauchen. Auch sollte man sich darauf einstellen, dass man nicht immer am eigentlichen Ziel ankommt. Deviation ist wohl eines der häufigsten Wörter, die man auf den Straßenschildern liest. Wenn irgendwo eine Straße aufgegraben wird, dann ändert der Bus seine Route – im Bus wird die neue Strecke aber meist nicht erwähnt. (Lieber also zur Sicherheit den Busfahrer fragen, ob er heute auch tatsächlich Ihre Station anfährt!) Dieses Chaos mag zunächst abschreckend klingen. Hat man sich aber nach einem kurzen Aufenthalt in der Stadt daran gewöhnt, nimmt man es mit Humor und sieht es positiv: Man macht unverhofft neue Entdeckungen, und beim gemeinsamen Warten und Rätseln an der Bushaltestelle kommen die Leute schnell ins Gespräch.
Pommes frites, Waffeln und Schokolade – diese Lebensmittel werden in den meisten Reiseführern angepriesen. Und ja, sie sind in Brüssel an jeder Ecke zu finden. Selbst in den kleinen Vororten werden Sie ein Fritkot (eine Frittenbude) und die Filiale eines Chocolatiers finden. Aber selbstverständlich ist es auch möglich, sich in Brüssel ausgewogen zu ernähren. Man könnte sagen, dass sich die belgische Küche an das hiesige Klima anlehnt. Leichte Sommersalate sind seltener als wärmende Suppen und Eintöpfe. „Comfort Food“ wie Stoemp (Kartoffelpüree meist mit einem Gemüse verfeinert, zum Beispiel mit Karotten, Brokkoli oder Lauch) hebt auch an grauen Tagen die Laune. Leichtere Speisen gibt es wiederum bei den vielen modernen Ketten – etwa Exki oder Foodmaker –, die vegetarische und vollwertige Gerichte anbieten. Die Brüsseler versuchen die Fast-Food-Ketten im Zaum zu halten. Lieber stellen sie sich bei der Pommesbude an.
Als Hauptstadt Europas sind in Brüssel alle Küchen vorhanden. Es gibt natürlich – wie in jeder Großstadt – zahlreiche italienische, griechische, englische, polnische und spanische Restaurants. Am besten beraten ist man, einen Expat aus dem jeweiligen Land zu fragen, wo sein Lieblingslokal ist. Dann wird man die authentischsten Restaurants entdecken. Selbstverständlich findet man in dieser Millionenstadt nicht nur die europäische Küche vor – im Gegenteil: Brüssel ist ein Schmelztiegel, der kulinarische Weltenbummler glücklich stimmen wird. Wer es exotisch mag, sollte unbedingt einen Spaziergang durch das Viertel Matongé (im Stadtteil Ixelles) unternehmen. Hier wohnen zahlreiche Afrikaner, viele von ihnen kamen nach der Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Kongo in den 1960er-Jahren nach Brüssel. Der Name Matongé leitet sich dabei von einem gleichnamigen Stadtteil in der Hauptstadt Kinshasa ab. In den kleinen Geschäften entlang der Chaussée de Wavre kann man die exotischsten Obst- und Gemüsesorten entdecken. Die Lebensmittelgeschäfte wechseln sich ab mit Friseuren, Perückenmachern und Stoffgeschäften, die bunt gemusterte afrikanische Stoffe verkaufen. Als Lokaltipp empfiehlt sich das Restaurant L’Horloge du Sud, das genau zwischen Matongé und dem EU-Viertel liegt. Hier kann man authentisch essen und zugleich ein sehr bunt zusammengewürfeltes Publikum erleben.
Brüssel ist keine Stadt, um auf Diät zu gehen. Scherzhaft spricht man unter den Zugereisten sogar von den „Brüssel-Kilos“: Man fragt nicht, wie viele Monate oder Jahre jemand schon in der Stadt lebt – sondern wie viele Kilos. Wer sich eine Zeit lang hier aufhält, kehrt meist mit etwas Wohlstandsspeck in die Heimat zurück. Lange kann man dem Croissant-Duft aus der nächsten Bäckerei nicht widerstehen, und selbst wer zunächst schimpft, dass die Belgier zwischendurch Waffeln statt Obst essen, wird sich bald vor dem nächsten Waffelwagen wiederfinden. Obwohl Belgien nicht als Sonnendestination gilt, spielt sich das (kulinarische) Leben oft im Freien ab. Die Food Truck-Welle hat Brüssel schon vor einigen Jahren überrollt. Es liegt in der Brüsseler Kultur, sich einen Happen auf dem nächsten Platz zu gönnen: Täglich kann man in den jeweiligen Stadtvierteln Freiluftmärkte besuchen – und dort auch vorzüglich essen.
Richtig geraten: Bier. Zu fast jeder Tageszeit wird Bier serviert – sei es, um am späten Vormittag eine sonnige Stunde zu feiern oder um am Abend ein deftiges Essen hinunterzuspülen. Bier ist jedoch in Brüssel nicht gleich Bier: Natürlich gibt es das herkömmliche Pils von der Zapfanlage (z. B. Jupiler), es lohnt sich jedoch, sich durchzuprobieren, denn belgisches Bier gehört zu den sortenreichsten der Welt. Viele der Biere sind deutlich stärker, als man es in deutschsprachigen Ländern gewohnt ist. Das ist mitunter auf das sogenannte Vandervelde-Gesetz zurückzuführen, das 1919 den Verkauf von Hochprozentigem in Bars verbot. Dies führte dazu, dass die Nachfrage nach Bier mit höherem Alkoholgehalt stieg.
Der Großteil der Biere wird in Flaschen verkauft. Während andernorts die Flaschenbiere nur wenige Monate gelagert werden können, reifen belgische Biere geradezu in ihren Flaschen nach – und haben eine Lagerzeit von einigen Jahren. Biertrinken in Belgien weist Parallelen zum Weintrinken in anderen Ländern auf: Getrunken werden kleine Einheiten – die Flaschen sind meist 0,25l oder 0,3l – aus ansprechenden Gläsern. Jedes Bier hat ein individuelles Glas, meist kelchförmig und mit dem Logo und Namen der Biersorte bedruckt. Am besten ist es, in einem Bierlokal den Kellner als Starthilfe um eine Empfehlung zu bitten und sich dann einfach mal durchzukosten. Jeder wird seine eigenen Erkenntnisse ziehen: Es gibt leidenschaftliche Pils- und Lager-Trinker, die den belgischen Sorten wenig abgewinnen können. Und dann wiederum strikte Nicht-Biertrinker, die den eigentlichen Biergeschmack ablehnen, sich aber in samtige, fruchtige belgische Biere mit Gewürz- oder Lakritznoten verlieben. Für alle, die einen süßen Gaumen haben, ist Kriek, ein natürlich gegärtes Kirschbier, zu empfehlen.
In Belgien wird aber auch Wein getrunken – allerdings eher in den Restaurants als in den Brasserien ums Eck. Wasser erhält man auf den Tischen nur in Flaschen. Die Karaffe Wasser, wie man sie aus französischen Bistros kennt, existiert in Brüssel nicht. Es wird erwartet, dass man Wasser kauft und nicht gratis verlangt. Wer es trotzdem versuchen möchte, muss mit einer launischen Antwort des Kellners rechnen: „Leitungswasser? Wir sind hier in Belgien, nicht bei den Franzosen!“
Flämisch (der belgische Dialekt des Niederländischen), Französisch wie auch Deutsch sind Amtssprachen in Belgien. Allerdings sollte man nicht glauben, dass man in Brüssel einfach so auf Deutsch losplaudern kann. Deutsch wird lediglich in einem kleinen Gebiet in Ostbelgien gesprochen. Belgien ist in vier Sprachgebiete unterteilt: Flämisch, Französisch, Deutsch und das zweisprachige Brüssel. In der Hauptstadt ist fast alles auf Französisch und Flämisch angeführt: Das fällt schon bei einem Blick in die nächste Speisekarte oder auf das nächste Straßenschild auf. (Der Einfachheit halber werden in diesem Buch stets die französischen Namen angeführt.) Grundsätzlich hört man in Brüssel häufiger Französisch, denn der Großteil der Bevölkerung ist frankofon. Allerdings werden Besucher, die Französisch sprechen, schnell merken, dass die belgische Ausprägung vom Schulfranzösisch abweichen kann. So machen es sich die Belgier zum Beispiel mit den Zahlen leicht. Anstatt wie die Franzosen umständlich die Zahl 90 als Quatre-Vingt-Dix