C.T.O. Counter Terror Operations 6: Verräterhunde - Ben Ryker - E-Book

C.T.O. Counter Terror Operations 6: Verräterhunde E-Book

Ben Ryker

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Beschreibung

In den zurückliegenden Jahren ist es Chester McKay und Don Phillips gelungen, die Counter Terror Operations C.T.O. wieder zu einem erfolgreichen und anerkannten Nachrichtendienst zu formen. Colonel McKay als operativer Leiter und Chief Warrant Officer Phillips als Stabschef von Major General Berkovicz. Die CTO hat viele neue Agents rekrutiert und schickt sie in den weltweiten Kampf gegen Amerikas Gegner. Einer von ihnen ist Mark Thorin. Nach einem anstrengenden Einsatz nimmt er seinen wohlverdienten Urlaub, den er auf seiner Heimatinsel Key West verbringen will. Sein Plan mit langen Angelausflügen auf seiner kleinen Jacht muss er jedoch schnell wieder begraben. Ein brutaler Angriff auf seinen Freund, einem hochrangigen Polizeioffizier beim Key West Police Department, lässt Thorin keine Wahl. Er nimmt gemeinsam mit einer Rangerin die Fährte der Angreifer auf und gerät schnell in den Fokus einer besonders gefährlichen Organisation. Ihr Markenzeichen ist das Tattoo eines Hundekopfes mit glühenden Augen. Aus den anfänglichen Privatermittlungen wird bald ein neuer verdeckter Einsatz als Agent der CTO.

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C.T.O. – COUNTER TERROR OPERATIONS

BAND 6

 

 

Impressum

 

© Copyright Ben Ryker

© Copyright 2024 der E-Book-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Minden

 

www.verlag-peter-hopf.com

 

ISBN 9-783-86305-349-9

 

Korrektorat: Andrea Velten, Factor 7

Cover und Umschlaggestaltung: Jörg Jaroschewitz, etageeins

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

Inhaltsverzeichnis
Impressum
Verräterhunde
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Epilog

 

 

BEN RYKER

Verräterhunde

C.T.O. – Counter Terror Operations Band 6

 

 

Prolog

 

Die ersten Regentropfen zerplatzten auf dem Deck der Jacht. Baron starrte hinaus in den pechschwarzen Himmel über der Marina und überlegte seinen nächsten Schritt. Schließlich schnappte er sich das Mobiltelefon und wählte eine Nummer aus. Nach dem dritten Freizeichen meldete sich eine mürrische Stimme, die sich jedoch sofort veränderte, als sich Baron zu erkennen gab.

»Er muss verschwinden. Jetzt sofort«, befahl er.

Sein Gesprächspartner hinterfragte nicht die Anweisung des Mannes mit den vielen Narben im Gesicht. Baron Cayetano widersprach man nicht.

Er warf das Telefon zurück auf den Kartentisch und hob sein verschwitztes Gesicht an, um einige Regentropfen zu erhaschen. Die Schwüle, die den ganzen Tag wie eine Glocke über Key West gelegen hatte, würde mit dem Regen verschwinden. Nicht nur sie. Barons Lippen verzogen sich zu einem harten Grinsen.

 

Sam wusste, dass er einen unverzeihlichen Fehler gemacht hatte. Ein Baron Cayetano ließ sich nicht dermaßen provozieren, ohne darauf zu reagieren. Er hatte beide Seitenscheiben des betagten Ford Mustang Fastback geöffnet, um wenigstens ein wenig Abkühlung zu erhalten. Als der erste Tropfen auf der von toten Insekten verdreckten Frontscheibe aufschlug, stieß Sam unwillkürlich einen erleichterten Seufzer aus.

»Endlich. Ein Problem weniger«, murmelte er.

Sam schaltete das Radio ein und suchte einen Sender, der gute alte Rock’n’Roll Musik spielte. Der hämmernde Beat des Songs vermischte sich mit dem sonoren Brummen der schweren Maschine unter der Motorhaube des Mustangs. Langsam entspannte Sam sich ein wenig. Als er den Scheibenwischer einschaltete, verschmierten die Blätter den angetrockneten Dreck zu einem undurchsichtigen Film. Fluchend erinnerte Sam sich daran, dass er hätte längst neue Blätter montieren wollen. Jetzt war es zu spät, also drosselte er das Tempo und rollte aus. Sam suchte im Handschuhfach und in der Mittelkonsole nach einem Lappen. Er fand ihn schließlich im Fußraum vor der schmalen Rückbank. Als Sam sich wieder aufrichtete, meinte er in der Dunkelheit eine Art Feuerschweif zu erkennen. Er stieß die Fahrertür auf, stieg aus und wurde im nächsten Augenblick von den Füßen gefegt. Der Mustang wurde von einer unsichtbaren Faust angehoben und über den auf dem Asphalt liegenden Sam geschleudert. Während er langsam in eine gnädige Ohnmacht versank, registrierte er den unwirklichen Tanz des Oldtimers im strömenden Regen. Der Wagen kreiselte durch die Dunkelheit und schlug etwa zehn Yards von Sam entfernt neben der Straße auf.

 

 

Kapitel 1

 

Sein Aufbruch erinnerte mehr an eine Flucht. Mark Thorin erhielt am frühen Morgen den Anruf von Sandra Oldsen, die er zuerst kaum verstehen konnte. Die Frau seines Freundes schluchzte haltlos, und es kostete Mark einige Mühe, den Grund dafür aus ihr herauszukitzeln. Als es ihm gelungen war, fasste er umgehend den Entschluss, sofort nach Key West aufzubrechen. Zum Glück hatte der Special Agent der Counter Terror Operations seinen aktuellen Fall vor zwei Tagen abgeschlossen. Mark bummelte Überstunden ab und musste daher niemanden um Erlaubnis fragen.

»Ich komme heute noch auf die Insel, Sandra«, hatte er ihr versprochen.

Seitdem waren vier Stunden verstrichen, in denen Mark seine Reise arrangiert hatte. Jetzt saß er auf dem Sitz in einer Beechcraft, die regelmäßig Passagiere und Fracht zu den Inseln in der Karibik flog. Mark hatte das Glück gehabt, den letzten verfügbaren Platz zu ergattern. Seine Sitznachbarin hatte ihn sofort in Beschlag genommen, und so erfuhr Mark ihre Lebensgeschichte, bis hin zur zweiten Scheidung. Als Ausgleich für den Stress gönnte die blonde Erica sich drei Wochen Inselhopping in der Karibik.

»Möchten Sie auch?«, fragte sie Mark und streckte ihm eine Flasche Mineralwasser hin.

Da er selbst keine entsprechende Vorsorge hatte mehr treffen können und es in der Maschine keinen Bordservice gab, nahm er die Erfrischung dankend an. Während Mark einige Schlucke trank, glitt sein Blick hinaus auf die Tragfläche der Beechcraft King Air. Der dunkelblaue Anstrich gab der schnittigen Propellermaschine eine elegante Note, die so gar nicht zu dem Piloten passte. Er hatte sich als Walter Gonsalves vorgestellt, als er Mark im North Terminal am Miami International Airport eingesammelt hatte. Der farbige Pilot trug verbeulte Khakihosen mit einem verblichenen Poloshirt darüber. Zunächst hatte Mark Zweifel gespürt, ob er sich in die richtigen Hände für die Reise gegeben hatte. Doch beim Anblick der eleganten Beechcraft verflog alle Skepsis, und er freute sich auf den Flug.

»Sie machen wohl keinen Urlaub in Key West, oder?«, fragte Erica und verdrängte damit die Erinnerungen.

Mark wandte sich um und schüttelte den Kopf.

»Nein, ich besuche einen Freund. Er hatte einen Unfall«, erwiderte er offen, ohne jedoch auf die näheren Umstände einzugehen.

Sam Oldsen und Mark Thorin waren fast vier Jahre lang Partner bei der Miami-Dade Police gewesen. Sie fuhren zusammen Streife und wurden verlässliche Freunde. Während Mark zur Army ging und nach seinem Dienstende zur CTO wechselte, kehrte Sam zurück nach Key West. Genau wie Mark war er hier aufgewachsen. Auf der Insel übernahm der wortkarge Mann den Posten des Captains im Operations Bureau, da er so mehr Zeit für seine Familie hatte. Im Grunde war er ein gut bezahlter Verwaltungsbeamter geworden, während Mark seit nunmehr fast drei Jahren als Agent des CTO gegen das internationale Verbrechen kämpfte. Dennoch musste sein Freund irgendwelchen Gangstern mächtig auf die Füße gestiegen sein, wenn die sich zu einem Anschlag auf den Captain veranlasst fühlten.

»Die Insel ist wirklich wunderschön, nicht wahr?«, rief die aufgeregte Erica.

Sie unterbrach damit erneut die Flut an Erinnerungen, die Mark seit seinem Aufbruch bedrängten.

Er schaute ebenfalls aus dem Fenster und musste eingestehen, dass Key West aus dieser Höhe tatsächlich wie ein Paradies wirkte. Sobald Mark sich aber an den Anlass seiner Rückkehr erinnerte, verflog dieser Eindruck sofort wieder. Auf dem kleinen Flugplatz der Insel verabschiedete Mark sich knapp von der sichtlich enttäuschten Erica und eilte hinüber zum Ausgang. Er winkte ein Taxi heran und ließ sich direkt zum Krankenhaus fahren. Mark war sehr gespannt, was Sam ihm über die Hintergründe des Anschlages würde erzählen können.

 

Auf dem Gang vor Sams Krankenzimmer stieß Mark zunächst auf einen uniformierten Wachposten.

»Ich bin ein alter Freund und Kollege. Special Agent Mark Thorin, CTO«, erklärte er und zeigte seine Marke vor.

Der Officer nickte zufrieden und trug Marks Namen in eine Liste ein. Gerade als der die Klinke packen wollte, öffnete sich die Tür, und ein hochgewachsener Mann in der Uniform eines Chiefs wollte das Zimmer verlassen. Er war in Begleitung einer dunkelhäutigen Frau.

»Wer sind Sie?«, bellte der Chief und fixierte Mark mit gefurchter Stirn.

»Das ist Agent Thorin von der CTO, Sir«, übernahm der Officer die Antwort.

Einige Sekunden lang starrten Mark und der Chief sich an, bis die farbige Frau beide Männer vor sich her bis zu einer Sitzreihe an der Wand schob. Die füllige Figur ließ sie wie die typische Nanny in vielen Fernsehserien aussehen. Ihr energisches Auftreten passte zu dieser Assoziation.

»Lorna Barette, und das ist Chief Theodore Rankin. Wieso interessiert sich die Counter Terror Operations für Captain Oldsen?«, übernahm sie die offizielle Vorstellung und schob umgehend eine Frage hinterher, was Mark zu einem amüsierten Schmunzeln verleitete.

»Irgendetwas lustig daran, Agent Thorin?«, schnappte Chief Rankin und stierte Mark böse an.

Offenbar neigte Sams Vorgesetzter zu cholerischem Verhalten.

»Ich bin als Freund hier und nicht in meiner Funktion als Ermittler der CTO«, erwiderte Mark.

Barette und Rankin tauschten einen verblüfften Blick aus. Bevor dieses Geplänkel in die nächste Runde gehen konnte, ging erneut die Zimmertür auf, und Sandra schaute verärgert in den Gang hinaus. Als sie jedoch Mark erkannte, eilte sie mit einem erleichterten Gesichtsausdruck auf ihn zu und umarmte den Freund.

»Schön, dass du so schnell kommen konntest. Sam wird sich sehr freuen«, sagte sie.

Chief Rankin musterte die beiden und räusperte sich schließlich.

»Vielleicht können Sie es einrichten, später in meinem Büro vorbeizuschauen«, bat er Mark.

Der quittierte es mit einem Nicken. Er hatte sowieso geplant, mit den Kollegen vor Ort über den Anschlag zu sprechen. Während der Chief und seine Begleiterin sich verabschiedeten, zog Sandra ihn mit sich. Als Mark ins Krankenzimmer trat, erfasste er die zur Hälfte geschlossenen Jalousien sowie die Vielzahl an Monitoren. An beiden Armbeugen waren Infusionen angeschlossen, doch Sams Augen leuchteten überraschend munter.

»Hast du ein Flugzeug entführt oder wie bist du so schnell hierhergekommen?«, fragte er und grinste seinen ehemaligen Partner breit an.

In seinen Augen lag eine Bitte, die Mark mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken bestätigte. Er würde in Sandras Beisein nicht über die Hintergründe für den Anschlag sprechen.

»So ähnlich. Ich hatte das ausgesprochene Vergnügen, mit der Airline von Walter Gonsalves zu reisen. Kam einer Entführung aber sehr nahe«, erwiderte Mark.

Er zog sich einen der Stühle ans Bett. Sam lachte heiser auf, um dann von einem Hustenanfall geschüttelt zu werden. Mark schaute ihn betroffen an.

»Ach, ihr Kindsköpfe. Sams Rippen sind angeknackst. Du solltest ihn nicht zum Lachen bringen«, schimpfte Sandra, doch das Leuchten in ihren blauen Augen sagte etwas anderes. Die Anwesenheit von Mark schien ihr eine Last von den Schultern zu nehmen.

»Na, gut. Da ich sehe, dass es dir besser als in einem Hotel geht, bringe ich mein Gepäck auf die >Mermaid‹ und sehe dort nach dem Rechten. Am Nachmittag komme ich wieder und dann unterhalten wir uns in Ruhe. Keine dummen Scherze mehr, Sandra. Versprochen«, erklärte er und erhob sich.

Während Sam sich vom Hustenanfall erholte, begleitete seine Frau Mark zur Tür. Sie zog sie hinter sich ins Schloss und schaute ihm flehend in die Augen.

»Er redet nicht mit mir, Mark. Es macht mich völlig krank, dass ich keine Ahnung habe, was wirklich passiert ist. Ich bin nicht blöd und schlucke den Quatsch mit einem Unfall wie eine süße Beruhigungspille. Sprich mit Sergeant Wilkens und halte mich bitte auf dem Laufenden«, beschwor Sandra ihn.

Mark wollte sich selbst erst ein genaues Bild machen. Später würde er Sandra informieren, soweit Sam es erlaubte.

»Wilkens gehört zur Criminal Investigation Division und ermittelt in dem Fall?«, hakte er nach.

»Genau. Ich muss wissen, was hier los ist«, erwiderte Sandra.

Mark versicherte ihr, später mit ihr und Sam über die Ermittlungen zu sprechen. Es stand nicht gerne zwischen seinen Freunden, doch er wusste aus eigener Erfahrung, dass Cops ihren Familien häufig nicht alle Details verraten konnten. Nach den Gesprächen mit diesem Sergeant der CID und Chief Rankin wusste er hoffentlich mehr. Zuvor wollte er aber zu seiner Jacht fahren, um sein Gepäck loszuwerden. Alles Weitere würde sich dann finden. Vor dem Krankenhaus winkte Mark sich ein Taxi heran und warf einen neugierigen Blick auf einen schwarzen Mercedes der Luxusklasse. Beim Einsteigen erhaschte er einen Blick auf das vernarbte Gesicht des Fahrers, der soeben ausstieg. Das Taxi setzte Mark später im Evergreen Drive ab. Von dort marschierte er zum Anleger, an dem seit Jahren seine Jacht >Mermaid‹ ihren Liegeplatz hatte.

 

 

Kapitel 2

 

Es war ein gleichermaßen vertrautes und fremdes Gefühl, als Mark durch die Eingangshalle des Departments ging. Er hatte seine Marke gut sichtbar am Gürtel befestigt. Hier war sie seine Erlaubniskarte, sich unbeaufsichtigt bewegen zu dürfen. Dennoch registrierte Mark die neugierigen Blicke der Kollegen aus Key West. Schließlich blieb er vor der Übersichtstafel stehen und suchte nach den Räumen der CID. Er musste in den ersten Stock und stieg zu zwei uniformierten Cops in den Fahrstuhl. Auf der oberen Etage wandte Mark sich nach links und stieß die Glastür mit der Aufschrift Criminal Investigation Divison auf, hinter der sich ein Großraumbüro mit fünf Schreibtischen befand. Drei davon waren besetzt. Alle Köpfe hoben sich, als Mark ein wenig ratlos umherschaute.

»Sergeant Wilkens?«, fragte er, ohne jemanden speziell anzusprechen.

Ein rundlich gebauter Detective mit hochgekrempelten Hemdsärmeln und lichten Haaren saß am zweiten Schreibtisch auf der linken Seite. Er musterte Marks Dienstmarke, bevor er sich zu einer Geste herabließ. Mit dem Daumen zeigte er über die Schulter nach hinten zu einer Tür, deren obere Hälfte aus Glas bestand. Mark nickte dankend und ging zum Büro des Leiters des CID. Mark entdeckte die übliche Ansammlung von grauen Aktenschränken, Urkunden und Fotografien an den Wänden sowie unvermeidliche Aktenstapel. Eine Frau und ein Mann standen vor dem Schreibtisch. Sie waren in ein angeregtes Gespräch vertieft, sodass Mark vorsichtshalber anklopfte. Zwei Köpfe fuhren herum und starrten ihn an. Mark stieß die Tür auf.

»Sergeant Wilkens? Ich bin Special Agent Thorin von der CTO. Ein alter Freund von Sam Oldsen«, stellte er sich vor.

Sein Blick ging von dem Mann in seinem Alter zu der gut zehn Jahre jünger aussehenden Frau. Sie entließ ihren Gesprächspartner mit einem Nicken, der daraufhin das Büro verließ. Mark entdeckte nun die Dienstmarke am Gürtel der Frau, die sie als Detective-Sergeant auswies.

»Kommen Sie rein und schließen Sie die Tür, Agent Thorin«, sagte Wilkens.

Er kam der Aufforderung nach und blieb dann fast genau an der Stelle stehen, an der zuvor der Detective gestanden hatte. Wilkens machte keine Anstalten, ihm die Hand zu reichen oder gar einen Sitzplatz anzubieten. Mark musste unwillkürlich über die damit verbundene Botschaft lächeln.

»Ich bin lediglich als Freund der Familie hier, Sergeant. Ich habe nicht vor, mich in Ihre Ermittlungen einzumischen«, sagte er.

Damit wollte Mark mögliche Missverständnisse vermeiden. Das erleichterte Aufblitzen in den braunen Augen von Wilkens bewies Mark, dass es der richtige Ansatz gewesen war. Der Sergeant ging hinter ihren Schreibtisch und setzte sich, während sie gleichzeitig einladend auf einen Besucherstuhl deutete.

»Freut mich. Meine Abteilung benötigt auch keine externe Hilfe. Sam und Sie waren früher Partner, richtig?«, erwiderte sie dann.

»Yeah, wir haben einige Jahre zusammen im Streifenwagen unseren Dienst versehen«, stimmte Mark zu und baute darauf, dass ihm ab jetzt ein wenig kollegiale Zuwendung erwartete.

»Der Anschlag war eine verfluchte Sauerei. Bislang wissen wir nur, dass man dafür offenbar eine Javelin eingesetzt hat. Wenn Sam nicht unmittelbar vor dem Einschlag aus seinem Wagen ausgestiegen wäre, müsste sich jetzt die Rechtsmedizin mit seinem Körper beschäftigen«, erklärte Sergeant Wilkens.

Die Wut in ihrer Stimme war unüberhörbar. Diese Neuigkeit musste Mark erst einmal verdauen. Sie hatten es ganz offenkundig nicht mit den Rachegelüsten eines Kleinganoven zu tun. Solche Gangster verfügten nicht über die erforderlichen Mittel, um eine tragbare Panzerabwehrwaffe wie die Javelin einzusetzen.

»Das engt doch den Kreis möglicher Verdächtiger erheblich ein, oder, Sergeant?«, hakte Mark nach.

Er hoffte, ihr dadurch mehr Informationen zu entlocken. Ein müdes Lächeln huschte über Wilkens’ Gesicht.

»Beth reicht völlig. Leider ist es nicht ganz so einfach, wie es Ihnen vorkommt. Key West mit all seinen kleinen Inseln gehört zu einer immer stärker frequentierten Route von Schmugglern. Da geht es um sehr viel Geld, und wir können nicht ausschließen, dass Sam jemandem in die Quere gekommen ist«, antwortete sie dann.

Für einige Sekunden überlegte Mark, wie weit er die Kollegen auf der Insel über laufende Ermittlungen in Miami informieren durfte. Er wählte einen Kompromiss.

»Sagt Ihnen der Name Ruben Soldano etwas?«, fragte er.

Schlagartig verengten sich die Lider in Beths Gesicht, und sie beugte sich vor. Ein harter Zug erschien um ihren Mund.

»Woher haben Sie den Namen, Agent Thorin?«, wollte sie wissen, ohne auf Marks Frage einzugehen.

»Mark, bitte. Soldano gehört zu den Gangstern, deren Organisation uns seit Monaten beschäftigt. Da er sehr viele Drogen und Menschen über die Karibik nach Florida schleust, könnte er einer der möglichen Kandidaten für den Anschlag sein«, antwortete er.

Beth stieß die angehaltene Luft aus und lehnte sich wieder zurück in ihrem Schreibtischstuhl. Ihr Blick verlor sich einen Augenblick lang in der Ferne, während sie offenbar über etwas sehr gründlich nachdenken musste. Mark spürte ein vertrautes Kribbeln im Nackenbereich. Dann fasste Beth einen Entschluss und griff zum Telefon. Sie fragte bei der Sekretärin des Chiefs nach, ob er Zeit für ein dringendes Gespräch hätte. Beth lauschte auf die Antwort, bedankte sich und stand dann abrupt auf.

»Wir setzen das Gespräch im Büro des Chiefs fort, Mark. Es gibt einige Dinge, die nur er absegnen kann«, erklärte sie.

Beth eilte an ihm vorbei zur Tür. Mark kam schleunigst auf die Beine und schloss zu Beth auf. Die Detectives verfolgten den eiligen Aufbruch mit verwirrten Mienen. Mark erging es kaum anders. Doch sein Instinkt warnte ihn bereits, dass seine Pause vom anstrengenden Dienst kürzer als geplant ausfallen würde. Mit seinem Boot hinausfahren, angeln und Bier zum Sonnenuntergang schlürfen. So hatte er es sich ausgemalt. In zehn Tagen sollte Mark erst offiziell wieder in seinem Büro in Miami aufschlagen. Möglicherweise bedeuteten die aktuellen Ereignisse jedoch eine erhebliche Planänderung, denn Mark wollte unbedingt seinem Freund helfen.

 

Als sie in das Büro des Chiefs eintraten, breitete Rankin gerade einige Dokumente vor sich aus. Er hob den Kopf und nickte den beiden Ermittlern zu. Sergeant Wilkens setzte sich genau wie Mark in einen der Besucherstühle.

»Agent Thorin hat den Namen Ruben Soldano ins Gespräch gebracht, Sir. Ich dachte, darüber sollten Sie informiert sein«, sagte Beth und warf ihrem Vorgesetzten einen fragenden Blick zu. Rankins Verhalten war seltsam.

»Danke, Sergeant. Bevor wir beide weiter über den Stand der Ermittlungen reden, muss ich noch Grüße von Lieutenant Colonel McKay übermitteln«, erwiderte Chief Rankin und schaute dabei zu Mark. »Sie sollen Ihren Urlaub genießen und keine privaten Ermittlungen anstellen. Ihr Vorgesetzter war so freundlich, es mir per Mail zukommen zu lassen«, sagte er.

Beim Sprechen schob er Mark den Ausdruck über den Tisch zu. Während er das Schreiben überflog, spürte Mark ein unangenehmes Ziehen in der Magengrube. Rankin musste den Colonel sofort nach seiner Rückkehr angerufen und für klare Fronten gesorgt haben. Natürlich konnte Mark die Beweggründe nachvollziehen. Kein Ermittler schätzte es sonderlich, wenn ihm ein Kollege mit privaten Nachforschungen in den Fall pfuschte.

»Ich verzichte auf meinen Urlaub und erwäge, die Ermittlungen offiziell zu übernehmen. Die Verbindung zu Soldano erscheint mir ausreichend dafür«, sagte Mark.

Es kostete ihn einige Kraft, nicht die Beherrschung zu verlieren. Sergeant Wilkens schaute ihn wütend von der Seite her an. Chief Rankin seufzte schwer und schaute Thorin dabei treuherzig ins Gesicht. In seinen Augen lag jedoch kein ernsthaftes Bedauern.

»Ihr Sinneswandel kommt leider zu spät, Agent Thorin. Ihr Vorgesetzter ist absolut eindeutig in der Mail. Solange es keine offizielle Übernahmeerklärung der CTO gibt, bleibt es unser Fall«, sagte der Chief.

Es war mehr als eindeutig, dass Rankin den Störenfried so schnell es ging loswerden wollte. Mark Thorin zögerte einige Augenblicke. Mit einem Ruck erhob er sich und verließ grußlos den Raum. Auf dem Gang vor dem Büro zog er bereits sein Mobiltelefon heraus, um seinen Chef anzurufen. Mark schilderte den unwürdigen Ablauf im Büro des Chiefs. Er ging davon aus, dass das Vorgehen neu bewertet und man ihm die Übernahme der Ermittlungen zusichern würde. Die Antwort ließ Mark mitten im Gehen anhalten.

»Wie bitte? Das hat alles seine Berechtigung, und wir sind überhaupt nicht zuständig. Das wollen Sie mir ernsthaft erzählen?«, wiederholte er ungläubig.

Schließlich übermannte Mark eine brodelnde Wut, sodass er das Gespräch lieber beendete und aus dem Gebäude stürmte. Colonel McKay war ein sehr kooperativer Vorgesetzter, doch bei einem Verstoß gegen dienstliche Anweisungen kannte er keine Nachsicht. Die nächste Stunde raste Mark auf seiner Harley Davidson über die Insel und besänftigte so sein aufgewühltes Innenleben. Neben der Jacht war das Motorrad sein übliches Bewegungsmittel auf den Keys. Der Angriff auf seinen Freund warf alles über den Haufen. Mark bewegte sich auf sehr dünnem Eis, wenn er ohne offizielle Genehmigung eigene Ermittlungen anstellte. Zwei Stunden später stellte er sein Motorrad auf dem Krankenhausparkplatz ab. Mark fuhr hinauf zur Station, auf der Sam Oldsen lag. Zwei neue Cops bewachten den Zugang.

»Mark Thorin. Ich war heute schon einmal beim Captain. Wir sind alte Freunde«, erklärte er.

Der jüngere Officer prüfte den Eintrag von vorhin, während sein älterer Kollege einige Schritte zur Seite ging und in sein Funkgerät sprach. Schließlich kam er zurück und streckte Mark das Gerät hin.

»Sergeant Wilkens will mit Ihnen reden«, erklärte der Officer und machte seinem Kollegen ein Zeichen.

»Thorin hier. Ich möchte Sam lediglich einen Freundschaftsbesuch abstatten, Beth. Davon können Sie mich kaum abhalten«, meldete Mark sich.

Aus dem Gerät kam zuerst nur statisches Rauschen.

»Das hatte ich auch nicht vor, Mark. Ich muss Sie aber daran erinnern, dass Sie als Privatmann hier sind. Halten Sie sich aus den Ermittlungen raus. Habe ich Ihr Wort?«, reagierte sie ein wenig verschnupft.

»Keine Angst. Ich bin, wie bereits gesagt, nur als Sams Freund hier«, versicherte Mark. Anschließend reichte er dem Cop das Funkgerät zurück, der gleich darauf den Weg freigab.

Als Mark ins Krankenzimmer eintrat, fand er seinen alten Freund sitzend im Bett vor. Sam hatte seine Lesebrille aufgesetzt und studierte offenbar Handakten. Mark musste unwillkürlich schmunzeln bei diesem Anblick. Er schloss die Tür und zog einen Stuhl ans Bett.

»Was? Ich halte nun einmal nichts von dem ganzen neumodischen Zeug wie Tablet und so«, wehrte Sam sich gegen den unausgesprochenen Vorwurf.

»Ich habe nichts gesagt, alter Brummbär. Wenn du schon wieder deine Nase in die Akten stecken kannst, muss es dir besser gehen«, erwiderte Mark.

Er genoss den vertrauten Schlagabtausch. Sam nahm die Brille ab, massierte die Nasenwurzel und starrte einige Sekunden blicklos an Mark vorbei auf die nackte Wand.

»Ich habe keinen konkreten Verdacht, Mark. Es gibt aber einen Typen hier in Key West, der für so einen brutalen Anschlag in Betracht kommt. Wilkens kann nichts machen, solange es nur eine Vermutung ist. Bist du bereit, deine Marke zu riskieren?«, fragte er schließlich und musterte seinen Freund forschend.

»Darüber müssen wir uns nicht mehr den Kopf zerbrechen, Kumpel. Chief Rankin hat mich zu sich zitiert, um mir eine Anweisung von Colonel McKay zu präsentieren. Die Zuständigkeit liegt nicht bei der CTO«, antwortete Mark.

Nur mit Mühe gelang es ihm, die aufkommende Wut in seiner Stimme unterdrücken zu können. Sam stieß einen halblauten Pfiff aus.

»Tja, dann. Sorry, aber ich darf keinem Zivilisten Einblick in Fallakten gewähren. Auch dann nicht, wenn es sich dabei um meine eigenen Handakten handelt«, sagte er und schaute Mark mit traurigen Augen an.

Zuerst verstand er den versteckten Hinweis nicht. Doch als Sam demonstrativ die Augen schloss und sich zurücklehnte, erkannte Mark dessen Vorhaben. Wortlos zog er die Akten heran und schoss mit der im Mobiltelefon eingebauten Kamera fix einige Aufnahmen. Anschließend ließ Mark sich wieder auf den Besucherstuhl fallen.

»Ich kann schließlich nichts dafür, wenn du meinen Schlaf ausnutzt«, sagte Sam und zwinkerte Mark verschwörerisch zu.

Anschließend sprachen sie bewusst über andere Dinge, sodass Sam jederzeit seine Unschuld beteuern konnte. Nach einer guten Stunde verließ Mark das Krankenhaus und fuhr los. Als er das Schild eines Diners entdeckte, ließ er die Harley auf dem Platz davor ausrollen und stieg ab. Mark musste in Ruhe über einige Dinge nachdenken, und da sein Magen vernehmlich knurrte, wollte er es bei einer guten Mahlzeit tun.

 

 

Kapitel 3

 

Es war kaum mehr als ein minimales Aufblitzen, wodurch Henry aufmerksam wurde. Der Park Ranger drosselte die Geschwindigkeit seines Bootes und suchte die Insel mit dem Fernglas ab. Es war nicht das erste Mal, dass er auf dem Eiland ungewöhnliche Aktivitäten bemerkt hatte. Genau deswegen fuhr Henry regelmäßig auf seinen Touren daran vorbei. Heute wollte er sich vergewissern. Er nahm per Funk Verbindung mit der Station auf.

»Trudy? Ich überprüfe nur noch schnell etwas. Bin etwa eine halbe Stunde später als geplant zurück auf der Station«, gab Henry durch.

Dann änderte er den Kurs. Sein Blick wechselte zwischen dem Display seines Navigationsgerätes und dem Felsenriff vor dem Bug hin und her. Henry verfügte über hervorragende Augen. Er traute sich zu, ohne technische Unterstützung die kleine Lücke zwischen den Felsen mit den rasiermesserscharfen Kanten zu finden. Dennoch riet ihm seine Vorsicht dazu, das Navi nicht völlig außer Acht zu lassen. Schließlich passierte das Boot die Felsen, ohne mit einer der gefährlichen Kanten in Kontakt zu kommen. Henry stieß die angehaltene Luft aus und sprang wenige Augenblicke später ins flache Wasser. Mit dem Anker in der Hand ging er hinauf auf den Strand und suchte nach einer Stelle, um sein Boot zu sichern. Seine Wahl fiel schließlich auf eine kleine Gruppe von Felsen. In einem Spalt verkeilte Henry den Anker so, dass er sich nicht von allein lösen konnte. Dann prüfte er automatisch seine Beretta sowie die Taschenlampe. Anschließend blieb er einige Sekunden lang am Strand stehen, während die Nachmittagssonne auf seinen Nacken schien.

»Die Reflexion kam aus dieser Ecke. Als ob jemand mich mit einem Fernglas beobachtet hätte«, murmelte Henry.

Er ging in Richtung einer Buschgruppe. Die tropische Vegetation ließ kaum eine vernünftige Bestimmung des Ortes zu, an dem sich möglicherweise der Unbefugte aufgehalten hatte. Das Eiland gehörte zu einem Naturreservat, in dem sich nur wenige Menschen bewegen durften. Henry kannte jeden von ihnen und wusste daher mit absoluter Gewissheit, dass keiner auf der Insel sein sollte. Er ging viel mehr davon aus, dass erneut Schmuggler ihr Unwesen hier trieben. Trudy durfte nicht wissen, was Henry vorhatte. Die Gangster waren nicht zimperlich. Dennoch schlug Henry mit der Machete einen Pfad ins Innere. Er wollte bei der Hütte nach dem Rechten sehen.

»Damned!«, stieß er plötzlich hervor und erstarrte mitten in der Bewegung.

Seine Befürchtungen erhielten neue Nahrung, als er die offene Tür bemerkte. Keiner der Biologen, die ihren Studien innerhalb des Naturschutzparks nachgingen, würde so nachlässig sein. Da außer Henry zurzeit auch kein anderer Ranger in der Nähe unterwegs war, blieben nur Schmuggler übrig. Er zog sich ein kleines Stück zurück und holte das schmale Funkgerät aus der Seitentasche. Henry warf einen Blick auf die Skala unterhalb der kurzen Antenne und schüttelte verärgert den Kopf. An dieser Position gab es keinen nennenswerten Ausschlag, sodass eine Verbindung mit der Wache unmöglich wurde. Zwei Männer traten auf die Lichtung. Sie trugen eine wasserdichte Kiste zwischen sich, die sie in die Hütte schleppten. Henry hatte genug gesehen. Er musste umgehend Verstärkung anfordern, damit den Gangstern das Handwerk gelegt wurde. So schnell er konnte, eilte der Ranger zurück an den Strand. Zum Glück hatten die Schmuggler ihr Boot auf der nordöstlichen Seite der Insel angelandet, weshalb sie noch nichts von Henry ahnten. Aufatmend trat er auf den von der Sonne aufgeheizten Sandstrand und genoss einen Augenblick lang die Helligkeit, bis seine Augen damit zurechtkamen. Dann schaltete Henry erneut das Funkgerät ein und schaute erleichtert auf den starken Ausschlag auf der Skala. Als er den Sendeknopf drücken wollte, spürte er auf einmal einen Druckschmerz in Höhe seiner Nieren.

»Langsam, Ranger. Wir wollen doch nicht die Pferde scheu machen, oder?«, fragte eine dunkle Männerstimme.

Der Schmuggler war quasi aus dem Nichts gekommen und bewegte sich lautlos wie eine Raubkatze. Henry brach der Schweiß aus. Seine Lage hatte sich schlagartig verändert und das nicht zum Besseren.

»Fallen lassen«, befahl der Gangster und erhöhte dabei den Druck mit der Mündung seiner Pistole.

Henry kam der Aufforderung nach und überlegte dabei fieberhaft, wie er sich noch aus der gefährlichen Situation befreien konnte. Etwas an der Aussprache des Mannes irritierte ihn. Es musste ein Ausländer sein, aber vermutlich nicht mit spanischen Wurzeln.

»Braver Ranger. Jetzt ziehst du mit der Linken die Knarre und wirfst sie ins Meer. Vorsichtig! Keine Dummheiten«, kam die nächste Anweisung, verbunden mit einer eindeutigen Warnung.

Er war kein Feigling, aber auch nicht auf einen frühen Tod versessen. Also zog Henry die Beretta äußerst vorsichtig aus dem Gürtelholster und schleuderte sie hinaus ins türkisfarbene Wasser. Die Gangster würden sich gut überlegen, ob sie einen Bundesbeamten ermordeten. Dann hätten sie neben der DEA auch noch das FBI am Hals, und das störte ihre Geschäfte erheblich. Ein zufriedenes Knurren kam vom Gangster.

»Bleib so brav und du kannst noch einige Sonnenuntergänge beobachten«, sagte er.

Der Mann trat dann einige Schritte von Henry weg. Erstmals schauten sie sich direkt an. Der Gangster war nicht einmal mittelgroß und hatte eine sehnige Figur. Die Glock 21 in seiner Rechten gab ihm jedoch die erforderliche Überlegenheit. Die Waffe reichte völlig aus, um auch einen kräftigen Mann wie Henry unter Kontrolle zu halten.

»Du wirst jetzt den Anker lösen und dann an Bord deines Bootes klettern. Falls du abzuhauen versuchst, jage ich dir einige Kugeln in den Wamst und verfüttere dich später an die Haie. Kapiert, Amigo?«, fragte der Gangster.

Er nahm das bestätigende Nicken mit einem zufriedenen Knurren auf. Als Henry jedoch den Anker aus dem Spalt lösen wollte, war er zu nervös.

»Er hat sich verkantet. Ich kann den Anker nicht lösen«, rief er.

Der Ranger geriet dabei fast ins Stottern, so sehr verängstigte ihn sein Missgeschick.

Der Gangster ließ einen Stapel Flüche vom Stapel, wobei er fließend zwischen Englisch und einer Henry unvertrauten Sprache wechselte. Schließlich warf er Henry ein Klappmesser zu. Es landete keinen Yard vor den Füßen des Rangers im weichen Sand.

»Schneide das verfluchte Seil durch. Vergiss aber nicht, dass eine Kugel wesentlich schneller als jedes Messer ist«, befahl der Schmuggler.

Er zielte dabei unablässig mit der Glock auf Henry. Der bezwang das Zittern seiner Hände und säbelte das Ankerseil durch. Anschließend ließ er das Klappmesser gut sichtbar zurück in den Sand fallen. Der Gangster machte eine Geste mit der Glock, woraufhin Henry über den Strand und durch das flache Wasser lief, um an Bord seines Bootes zu klettern. Der Gangster folgte mit kleinem Abstand und richtete schließlich die Mündung seiner Pistole auf den Ranger. Die leichte Dünung erschwerte ihm das Zielen.

»Was jetzt?«, fragte Henry mit vor Angst heiserer Stimme.

Der Einschlag der ersten Kugel ließ ihn gegen die Cockpitverkleidung taumeln. Ungläubig schaute Henry auf den Gangster, der soeben zum zweiten Mal den Abzug betätigte.

»Ab hier wird es leicht, mein Freund«, stieß er lachend hervor.

Er schwang sich an Bord, wo Henry in einer schnell wachsenden Blutlache am Boden lag. Der Gangster versicherte sich, dass der Ranger tot war, bevor er den Motor startete. Dann riss er das Navigationsgerät aus der Verankerung und schleuderte es über Bord. Anschließend drehte er den Bug des Bootes so, dass es zwischen den Felsen hinaus aufs offene Meer fahren musste. Er fixierte das Steuerrad und schob den Gashebel leicht nach vorne. Das Boot nahm langsam Fahrt auf, während der Gangster mit einem Hechtsprung ins Wasser sprang. Als sein Kopf wieder an der Oberfläche auftauchte, schrammte das Boot bereits an einer der scharfen Kanten entlang. Trotz dieser leichten Berührung gelangte es aber aufs offene Meer und setzte seine Reise mit der Leiche an Bord fort.

»Bis deine Kollegen dich entdecken, bist du weit weg von der Insel. Niemand wird wissen, wo ich dich erwischt habe«, sagte der Gangster.

Er schwamm dann in langen Zügen zurück an den Strand.

 

 

Kapitel 4

 

Noch vom Diner aus hatte Mark einige Anrufe getätigt. Während er sich als spätes Mittagessen zwei Burger gönnte, überlegte er seine weiteren Schritte. Er musste seine neue Rolle schnell und ohne Einmischung eines Chief Rankin vorbereiten. Es kam für Mark nicht infrage, dass er Sam einfach im Stich ließ. Vermutlich verfügte Sergeant Wilkens noch nicht über sehr viel Erfahrung mit Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen. Daher fasste Mark beim Essen den Entschluss, keine Zeit und Energie mehr darauf zu verschwenden, irgendwie wieder offiziell seine Dienstmarke für diese Ermittlung einsetzen zu können. Der Zug war abgefahren. Gleichzeitig eröffneten sich so aber neue Perspektiven. Zufrieden mit seinen Vorbereitungen, stieg Mark eine Stunde später wieder auf sein Motorrad und fuhr zurück in den Jachthafen, um an Bord seiner >Mermaid‹ zu gehen. Kaum hatte er den ersten Fuß an Deck gesetzt, warnte ihn sein Instinkt. Mark zog die SIG Sauer P229 aus dem Holster und schlich vorsichtig zum Cockpit der Jacht. Ein minimales Quietschen zeigte ihm, dass sein Instinkt ihn nicht getrogen hatte. Aus dem Augenwinkel registrierte Mark eine Bewegung und wirbelte herum, wobei er gleichzeitig die SIG in Anschlag brachte.

»Keine Bewegung oder ich schieße!«, rief er.

Seine Warnung wurde durch den Abschussknall einer Pistole übertönt. Im nächsten Augenblick flogen Mark Splitter aus dem Holz des Oberdecks ins Gesicht. Er ließ sich zur Seite fallen und erwiderte sofort das Feuer. In rasender Folge schlugen Projektile in seiner Nähe ein. Eines davon sirrte mit einem hässlichen Wimmern als Querschläger von der Reling weg. Dann hörte Mark einen starken Motor aufheulen und Türen schlagen. Blitzschnell kam er auf die Beine.

»Ich will wenigstens den Wagen sehen«, murmelte er aufgebracht.

Er kam nur zur Hälfte hoch, bevor ihn eine Druckwelle einfach über Bord schleuderte. Mark tauchte ungewollt tief ins Wasser des Jachthafens. In einem Reflex schloss er Mund und Augen, hielt die SIG fest in der Hand. Schließlich erlangte er die Kontrolle über seinen Körper zurück und drehte sich so, dass er nach wenigen starken Fußstößen die Wasseroberfläche durchbrechen konnte. Während Mark nach Luft schnappte und Wasser trat, erfasste sein Blick die dunkle Rauchsäule über der >Mermaid‹. Er wusste, dass hier jede Hilfe zu spät kommen musste. Irgendwelche Gangster hatten soeben sein Zuhause in die Luft gesprengt und versucht, ihn mit Blei vollzupumpen. Laute Kommandos hallten durch den Hafen, und dann raste das erste Feuerwehrfahrzeug mit heulender Sirene über den Anleger. Mark zerbiss einige Flüche zwischen den Zähnen und brachte sich mit wenigen Schwimmzügen aus der Gefahrenzone. Als er sich am Rand des Anlegers in die Höhe zog, erschütterte eine weitere Explosion den Hafen. Mark rollte sich auf die Seite. Er musste hilflos mit ansehen, wie seine geliebte Jacht im Hafenwasser versank.

»Mark? Was zur Hölle ist passiert?«, fragte eine vertraute Stimme.

Sandra half ihm dabei, aufzustehen. Neben ihr standen zwei prall mit Lebensmitteln gefüllte Papiertüten. Offenbar war sie auf dem Weg zu ihm gewesen und musste so miterleben, wie nach ihrem Ehemann auch noch dessen bester Freund um ein Haar bei einem heimtückischen Anschlag ums Leben gekommen wäre. Mark hustete sich das Wasser aus der Kehle und setzte sich dabei auf seinen Hosenboden.

»Als ich nach einem Burger im Diner hierher zurückkam, bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Jemand war auf der >Mermaid‹. Als ich ihn anrief, schoss der Typ sofort«, schilderte er seine Erlebnisse.

Kaum hatte er Sandra alles erzählt, tauchte auf einmal Sergeant Wilkens mit dem dicken Detective an ihrer Seite auf. Sie musterte Mark, der sich auf einen Poller gesetzt hatte.

»War das etwa Ihre Jacht, die da in die Luft geflogen ist?«, fragte sie.

»Allerdings, Beth. Offenbar haben die gleichen Gangster, die Sam angegriffen haben, auch etwas gegen meine Anwesenheit hier in Key West«, erwiderte Mark.

Seine Stimme war heiser vor Wut. Er schaute sie auffordernd an. Es war offenkundig, dass der Sergeant von der CID mehr wusste, und Mark fand es an der Zeit, ihn einzuweihen. Sie ging jedoch nicht darauf ein.

»Dann begleiten Sie Detective Emerson zum Revier. Dort geben Sie Ihre Aussage zu Protokoll«, befahl Sergeant Wilkens.

Das war zu viel für Mark, der seine Wut kaum noch zügeln konnte. Mit einem Satz war er auf den Beinen und stand so dicht vor dem Sergeant, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Sie wich keinen Millimeter zurück und erwiderte seinen Blick ungerührt.

»Hier machen Gangster Jagd auf Kollegen von Ihnen. Und alles, was Sie interessiert, ist ein dämliches Protokoll? Wissen Sie, was Sie mich können?«, fauchte Mark.

Detective Emerson trat schnell zu ihnen. Doch dann spürte Mark die Hand von Sandra auf seinem Unterarm.

»Sergeant Wilkens macht doch nur Ihren Job, Mark. Beruhige dich bitte. Ich komme mit aufs Revier und nehme dich später mit nach Hause. Einverstanden?«, redete sie besänftigend auf ihn ein.

Sie hatte recht. Falls Mark seine Wut nicht besser in den Griff bekam, drohte ihm womöglich noch eine Übernachtung in einer Zelle. Damit wäre weder ihm noch Sam geholfen. Also schluckte er seine Wut hinunter und nickte.

»Danke, Sandra. So machen wir es. Oder haben Sie Einwände, Sergeant?«, fragte Mark.

Wilkens schüttelte den Kopf und gab Detective Emerson mit einer Geste zu verstehen, dass er vorausfahren sollte. Zwei Minuten später saß Mark auf dem Beifahrersitz des Cadillacs und entschuldigte sich bei Sandra. Nicht nur für seinen Ausbruch, sondern auch für die nasse Kleidung.

»Vermutlich ruiniere ich damit die Polster«, sagte er.

Davon wollte Sandra nichts hören. Viel mehr suchte sie nach einer Verbindung zwischen den beiden Anschlägen. Mark hätte ihr gerne Antworten geliefert, doch vorerst tappte er noch völlig im Dunkeln.

»Morgen erhalte ich mit einem Kurier meine Zulassung als Privatermittler zusammen mit der Genehmigung zum verdeckten Tragen einer Waffe. Dann kann mich auch Rankin nicht mehr so leicht kaltstellen«, erzählte er seiner Freundin.

Sie staunte über die Geschwindigkeit, mit der Mark sich die Lizenzen beschafft hatte.

»Ich habe eine Menge Freunde in Miami, die mir einige Gefallen schulden. Die ersten habe ich heute eingefordert«, erklärte er.

Er war sich aber ziemlich sicher, dass es nicht die letzten sein würden. Mark ahnte, dass er ohne sein Zutun mitten in eine böse Geschichte geraten war. Doch mit dem Angriff auf seinen Freund und der Zerstörung seiner Jacht war es zu einer sehr persönlichen Angelegenheit geworden. Bei seinem ersten Job als Privatermittler war er gleichzeitig auch der Auftraggeber.

 

 

Kapitel 5

 

Fürs Erste würde Mark im Gästezimmer seiner Freunde unterkommen. Doch ihm missfiel dieses Arrangement besonders in Hinsicht auf die damit verbundenen Gefahren. Sandra war bereits gefährdet, und mit Marks Anwesenheit in ihrem Haus erhöhte sich das Risiko zusätzlich. Als er sich beim gemeinsamen Mittagessen darüber den Kopf zerbrach, ahnte die hellsichtige Sandra es offenbar.

»Es beruhigt mich, dich in meiner Nähe zu haben. Die Gangster werden es sich zwei Mal überlegen, ob sie etwas unternehmen. Jedenfalls, solange du bei mir bist«, sagte sie.

Dieser Gedanke war tatsächlich weniger abwegig, als Mark zuerst annahm. Er schluckte seinen Protest hinunter und nickte nur. Gerade als er Sandra darum bitten wollte, sich im Arbeitszimmer von Sam ein wenig umsehen zu dürfen, klopfte es an der Vordertür. Sandra öffnete und kehrte mit einer Frau zurück in die Küche.

»Das ist Mark, ein alter Freund der Familie«, stellte sie ihn vor.

»Hi, ich bin Trudy. Sandra und ich sind seit der Schulzeit befreundet«, sagte sie.

Trudy fuhr sich dabei mit der Hand über den praktischen Pferdeschwanz. Während Sandra ihr ein Glas Eistee einschenkte, musterte Mark ihre Freundin. Mit den braunen Haaren, den dunkelblauen Augen und ihrer schlanken Figur wollte der altmodische Name Trudy in seinen Augen nicht zu ihr passen. Sie wirkte verunsichert, was er auf seine Anwesenheit zurückführte.

»Was ist los, Trudy? Dir bereitet doch irgendetwas Sorgen. Das sehe ich«, wollte Sandra wissen.

Nach kurzem Zögern berichtete Trudy von dem Ausbleiben eines Kollegen. Aus ihrem Bericht erfuhr Mark, dass sie und Henry als Ranger in den Keys tätig waren. Offenbar war der Kollege wegen einer Beobachtung von seinem Heimatkurs zurück zur Station abgewichen und hatte sich seitdem nicht mehr gemeldet. Weder über Funk noch auf seinem Mobiltelefon konnte Trudy ihn erreichen. Sandra krauste alarmiert die Stirn. Sie schaute zu Mark.

»Die Ranger haben viel mit Schmugglern zu kämpfen. Könnte sein, dass Henry in Schwierigkeiten steckt«, sagte sie.

Trudy nickte und hob gleichzeitig ratlos die schmalen Schultern.

»Ich habe versucht, mit Beth darüber zu sprechen. Sie hat aber genug eigene Sachen um die Ohren. Ich kann aber auch nicht einfach rausfahren und die Station ohne Aufsicht lassen. Was, wenn Henry sich meldet und niemand antwortet ihm?«, fragte sie.

Mit einem entschlossenen Ruck erhob Sandra sich.

»Die Wache am Funkgerät kann ich übernehmen. Fahr du los und finde heraus, was mit Henry passiert ist«, sagte sie.

Trudy lächelte erleichtert ihre Freundin an. Als beide Frauen aufgestanden waren, leerte Mark sein Bier und kam ebenfalls auf die Füße.

»Ich war Cop in Miami. Wenn Sie wollen, begleite ich Sie«, bot er sich an.

Trudy warf Sandra einen fragenden Blick zu.

»Das halte ich für eine sehr gute Idee. Mark war bis vor wenigen Tagen noch als Agent der Counter Terror Operations im Einsatz. Er weiß, wie man auch mit gefährlichen Gangstern fertig wird«, erklärte Sams Frau.

Dieses Mal richtete sich das dankbare Lächeln an Mark, der bereits seine Jacke von der Garderobe nahm. Als er die SIG ins Holster schob, entfuhr Trudy ein erleichterter Seufzer.

»Sie müssen wissen, dass ich als Meeresbiologin arbeite und kein Ranger wie Henry bin. Ich kann zwar mit einer Waffe umgehen, aber fühle mich nicht wirklich wohl dabei«, sagte sie.

Ihre Verlegenheit war offensichtlich.

»Ich bin es gewohnt, auch gegen bewaffnete Gangster zu kämpfen. Machen Sie sich also keine Sorgen«, erwiderte Mark mit einem grimmigen Lächeln.

Auf der Fahrt hinaus zur Station der Ranger staunte er über die ungewöhnliche Wendung, die sein Leben in den beiden zurückliegenden Tagen genommen hatte. Mark war davon ausgegangen, auf Key West endlich ruhige Tage mit viel Entspannung genießen zu können. Doch anstatt seine Zeit mit Angeln und Bootstouren zu verbringen, musste er sich gegen Killer zur Wehr setzen und ging mitten in einem Naturschutzgebiet auf die Suche nach einem vermissten Ranger. Das Schicksal hatte offenbar etwas gegen seine Pläne.

 

Er wachte erst gegen zehn Uhr am Vormittag wieder auf. Mark und Trudy waren sechs Stunden unterwegs gewesen, ohne eine Spur von Henrys Boot zu entdecken. Da er sich auch nicht bei Sandra auf der Wache gemeldet hatte, brachen sie die aussichtslose Suche kurz nach Einbruch der Dämmerung ab. Todmüde war Mark schließlich nach einem kargen Abendbrot, bestehend aus zwei Käsesandwiches, in voller Kleidung auf der Liege im Gästezimmer eingeschlafen. Jetzt blinzelte er den Schlaf aus seinen Augen und stieß wohlige Laute aus. Aus der Küche kam ein herrlicher Geruch nach Eiern und Speck sowie dem Aroma von frisch aufgesetztem Kaffee. Nach einer schnellen Dusche tapste Mark mit nackten Füßen und nassen Haaren durchs Haus. Sandra rief ihm zu, dass er hinaus auf die Terrasse kommen sollte.

»Na, wieder fit?«, fragte sie bei der Umarmung.

Mark wiegte den Kopf, während er am heißen Kaffee nippte.

»So halbwegs. Sag mal, geht es hier eigentlich immer so lebendig zu? Ich wollte mich hier ursprünglich von meinen Einsätzen erholen«, fragte er Sams Frau.

Sie lehnte sich im Korbstuhl zurück und schaute ins Leere. Mark schaufelte Rühreier und Speck in sich hinein. Dann senkte Sandra den Kopf und schaute ihm direkt in die Augen.

»Bis vor einem Jahr war es sehr friedlich hier. Sam hatte fast nur Verwaltungsaufgaben zu erledigen. Beth mit ihrem Team konnte die Gangster gut in Schach halten«, lautete die überraschende Antwort.

Mark wischte seinen Teller mit einer Scheibe Brot aus und schob ihn dann mit einem wohligen Seufzer von sich.

»Was ist vor einem Jahr passiert?«, wollte er wissen.

Während er sich einen zweiten Becher mit Kaffee füllte, erfuhr er von einem Gangster namens Baron Cayetano.

»Seitdem er seine Geschäfte auf die Keys ausgedehnt hat, wurde es von Monat zu Monat schlimmer. Sam hat den Chief gewarnt, und auch Beth erkannte die neue Situation. Rankin schielt zu sehr auf seine Wiederwahl. Er unterbindet daher alle Hinweise auf zunehmende Kriminalität«, erklärte Sandra.

Es schwang ein bitterer Unterton in ihrer Stimme mit. In seinen fünfzehn Dienstjahren als Cop und Agent hatte Mark genügend solcher politischen Vorgesetzten erlebt. Er konnte nachvollziehen, wie sehr Rankins Verhalten seinem alten Freund aufgestoßen war. Ganz offensichtlich hatte Sam sich nicht um die Anweisung des Chiefs gekümmert und war diesem Gangster trotzdem auf die Zehen gestiegen.

»Dann steckt deiner Ansicht nach also dieser Cayetano hinter den Anschlägen?«, fragte Mark.

Er wunderte sich nicht über das entschiedene Nicken von Sandra.

»Ja, und bei seinen Nachforschungen ist Sam auch auf Verbindungen zu einem Kartell aus Miami gestoßen. Er sprach von einem Soldano. Sagt dir der Name etwas?«, sprach sie weiter.

»Und ob. Ruben Soldano ist der Kopf eines sehr aggressiven Drogenkartells, das seit einigen Monaten seine Geschäftsfelder ausgebaut hat«, erwiderte Mark.

In ihm stieg auf einmal eine böse Ahnung auf.

»Ich möchte noch einmal mit Trudy sprechen. Finde ich deine Freundin auf der Wache?«, fragte er.

Sandra krauste verwundert die Stirn, verkniff sich aber Nachfragen. Sie bestätigte Mark, dass die Meeresbiologin mit Sicherheit in der Station der Ranger zu finden war. Er dankte ihr für das Frühstück und schnappte sich die Lederjacke sowie den Schutzhelm. Zwei Minuten später knatterte seine Harley Davidson über die Insel hinunter zur Ranger Station. Dort traf Mark eine sehr besorgte Trudy, die sich in einer heftigen Auseinandersetzung mit Sergeant Wilkens befand. Er wollte sich zurückziehen, doch es war bereits zu spät. Die Frauen hatten ihn entdeckt und reagierten völlig gegensätzlich. Während der Sergeant verärgert auf Mark schaute, erhellte ein warmes Lächeln das schmale Gesicht von Trudy.

»Sie? Treiben Sie sich jetzt überall dort herum, wo etwas passiert?«, fragte Sergeant Wilkens bissig.

»Ihr kennt euch?«, staunte die Meeresbiologin.

»Ja, wir hatten bereits das Vergnügen. Hi, Trudy. Haben Sie mittlerweile etwas von Henry gehört?«, erwiderte Mark.

Mit einem wütenden Kopfschütteln wandte Sergeant Wilkens sich ab und schickte sich an, die Station zu verlassen. Verblüfft schaute Trudy sie an.

»Was ist denn nur los mit dir? Sandra und Mark haben mir gestern bei der Suche geholfen. Meine Schwester hatte schließlich keine Zeit dafür«, stieß sie hervor.

Schwester? Erst jetzt ging Mark auf, dass Sandra und Trudy am Abend zuvor mehrfach den Namen Beth hatten fallen lassen. Er hatte dabei nicht an Sergeant Wilkens gedacht. Die schnaubte nur verärgert und eilte aus dem Gebäude. Mark breitete die Arme in einer Geste der Entschuldigung aus.

»Sorry. Ich wollte keinen Zwist sähen«, sagte er.

Zu seiner Erleichterung winkte Trudy lässig ab.

»Das legt sich wieder. Wir sind einfach zu verschieden. Beth meint immer, mich beschützen zu müssen. Dabei bin ich zwei Jahre älter, aber das hat sie noch nie beeindruckt«, erklärte sie.

In Miami hatte Mark von den meisten Kollegen kaum gewusst, ob sie verheiratet oder alleinstehend waren. Er konnte sich nie an Geburtstage erinnern oder wie die Kinder hießen. Damit war Mark immer gut gefahren, denn so behielt man seine Emotionen besser unter Kontrolle. Hier auf Key West bekam er gar nicht erst die Gelegenheit, eine gesunde Distanz aufzubauen. Er wurde einfach mit ins Privatleben der anderen Menschen hineingezogen, bevor er es verhindern konnte. Marks Gedankenstrom wurde von der Reaktion Trudys auf einen Anruf jäh unterbrochen.

»Nein!«, rief sie und wurde wachsbleich.

Mit zwei Schritten war Mark bei ihr und stützte die schockierte Rangerin. Sie beendete das Gespräch und starrte dann blicklos auf die Wand vor sich. Vorsichtig drehte Mark sie zu sich.

»Was ist passiert, Trudy? Ging es um Henry?«, fragte er leise.

Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und lief über Trudys Gesicht. Sie machte keine Anstalten, sie wegzuwischen. Dann war der Bann gebrochen und die Tränen flossen in Strömen.

»Sein Boot. Eine Charterjacht hat es aufgebracht und Henry gefunden. Die Coast Guard war dran. Ich soll den Leichnam identifizieren«, stammelte Trudy unter Schluchzen.

Für Mark stand fest, dass er sie hinüber nach Fleming Key begleiten würde. Auf der kleinen Nachbarinsel, die mit einer Brücke an Key West angeschlossen war, unterhielt die US Navy einen Stützpunkt. Bei Bedarf nutzte auch die Coast Guard deren Einrichtungen, so, wie im vorliegenden Fall. Während Trudy sich wieder beruhigte und die Station abschloss, telefonierte Mark mit Sandra. Er informierte sie über den Anruf der Coast Guard und dass er die Biologin nach Fleming Key begleiten würde.

»Später besuche ich Sam im Krankenhaus«, versicherte er und beendete das Gespräch.

Widerstandslos überließ Trudy ihm die Schlüssel für den Jeep, der zur Station gehörte. Mark sprang hinters Steuer und fuhr los. Er hatte das unschöne Gefühl, dass seine bösen Vorahnungen immer mehr Gestalt annahmen.

 

 

Kapitel 6

 

Sergeant Wilkens stand am Fenster und schaute hinaus. Sam war sich nicht sicher, ob sie wirklich etwas wahrnahm. Möglicherweise konnte sie ihm einfach nicht ins Gesicht sehen.

»Dann habt ihr also nichts? Keinen noch so winzigen Hinweis?«, fragte er.

Mit einem erkennbaren Ruck wandte die Leiterin der CID sich um und zuckte hilflos mit den Schultern.

»Wir bekommen einfach keine Antworten. Weder das FBI noch die von der DEA wollen etwas von der Javelin wissen. Angeblich gibt es keine Verbindung zur Organisation von Baron Cayetano«, antwortete Beth Wilkens.

Mit einem wütenden Schlag auf die Bettdecke drückte Sam seinen Unmut aus.

»Bullshit! Wenn diese Rakete nicht zu Cayetano zurückzuverfolgen ist, sollen die gefälligst bei Soldanos Kartell nachhaken. Himmel, das ist doch wirklich nicht so schwer«, entfuhr es ihm.

Wilkens lehnte sich mit der Hüfte gegen das Fensterbrett und strich sich eine Strähne ihres Haars zurück.

»Wie passt dein alter Kumpel Thorin in das Bild?«, wollte sie wissen.

Jetzt war es an Sam, seine Gedanken zu prüfen, bevor er antwortete. Schließlich zuckte er nur mit den Schultern.