Can I kick it? - René Becher - E-Book

Can I kick it? E-Book

René Becher

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Beschreibung

"Can I kick it?" tritt versuchsweise ein in die feuchtfröhliche Welt und Geschichte der Hydrotherapie, von der Sebastian Kneipp als ihr wahrer Erfinder einst sagte: "Das Wasser ist nicht bös." Dieses Begleitbuch für Kneippiers und blutige Anfänger entführt die Leser nicht nur in die schönsten Kneippbäder Deutschlands, sondern beschäftigt sich zudem mithilfe Stephen Kings, des Pumuckls sowie einer künstlichen Intelligenz namens ChatGPT mit der Frage, was das Kneippen heutzutage kneippenswert macht.

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Meinen lieben Eltern gewidmet!

Das Wasser ist nicht bös

Sebastian Kneipp (1821 bis 1897)

Auf dem Grund des Kneippbeckens in Scheidegg winkte mir der unbewaffnete Bounty Hunter Bossk. Er war kerzengerade hinabgetaucht und stand nun ebenso aufrecht, wenn auch durch das gebrochene Licht komisch verkürzt, auf dem gekachelten Boden. Die Spielfigur aus dem Star-Wars-Universum bewegte sich nur sanft im hydrostatischen Druck. Ich hatte dem Bossk vor dem Eintauchen beide Arme nach oben gedreht, es sah aus, als würde er um Hilfe schreien oder gleich wieder auftauchen wollen. Trotz Sonne war das Wasser kalt. Als Kind habe ich nie mehr als eine Runde geschafft, bevor meine Unterschenkel zu stechen begannen. Eigentlich stand ich damals, es dürfte um das Jahr 1984 gewesen sein, mit meiner kompletten Sporthose im Nass. Kneippwasserbecken haben in der Regel eine Tiefe von 60 Zentimetern, ich als Kind aber starrte wie in den Marianengraben. In meiner Erinnerung hat dieses Kneippbad keinen Handlauf aus Edelstahl, auch könnte ich jetzt nicht beschreiben, wie die Eintritts- und Austrittsstelle beschaffen war und welchen Stein die Allgäuer Kneippbadarchitekten verarbeitet haben. Ein Armbecken sowie ein Barfußpfad fehlten gänzlich oder sind für immer aus meinem Gedächtnis gelöscht. Lediglich der Kopfgeldjäger tanzt und winkt noch immer.

„Beim Barfußgehen werden die Füße der frischen Luft ausgesetzt und von ihr umspült“, so zu erfahren in Dr. Albert Schalles Die Kneippkur, „die Füße, welche in ihrem Kerker fast stets blaß und blutleer aussehen, röten sich, der Kopf wird so entlastet, die lästigen Kongestionen verschwinden.“ Das Gehen im Wasser übertreffe diese Wirkung sogar noch. Das alles hatte ich damals Mitte der 80er natürlich noch nicht gewusst. Ich schätze dieses dicke Handbuch von 1932, das der Arzt aus Bad Wörishofen seiner lieben Mutter gewidmet hat. Es enthält neben der Biographie und Lehre Sebastian Kneipps 32 Photographien, darunter die Abbildungen „Ganzwaschung selbst ausgeführt“ und „Ganzwaschung vom Bademeister ausgeführt“. Die Bilder der seriös, aber doch auch humorvoll in Szene gesetzten Strecke tragen Titel wie „Heublumensack um das Knie“, „Spanischer Mantel“, „Augenbad“ oder „Grasgehen im Morgentau“. Der „Blitzguß“ erinnert an eine Szene aus einem Knastfilm. Moderne Kneippbücher hingegen erscheinen mir blutleerer. Ein Vorteil ist, dass sie nicht in altdeutscher Schrift abgefasst sind, wie das beim Schalle der Fall ist. Vielleicht aber schießen diese zeitgenössischen Familienratgeber über das Ziel hinaus, wenn sie die Kneippforschung übermotiviert um Themen wie „Sauna“, „Massagen“, „Zimmergymnastik“ oder auch „Innere Balance“, also „Lebenshilfe“ erweitern. Da, wo der Schalle zu pathetisch und wurzelseppisch formuliert, da sprechen die Motivationstrainerinnen, Homöopathen oder Bestsellerautorinnen (die mit Bestsellerautoren liiert sind) allzu spirituell. Menschen mit strahlend weißen Zähnen schnuppern an Gänseblümchen, schlecken an Sandsteinen und tanzen über Sonnenblumenfelder. Ihr Movens heißt Wellness. Warum die Hintergründe des Kneippens überhaupt neu erzählen, wenn alles schon erzählt ist?

2014 ging ich mit meiner zweijährigen Nichte Finja auf dem Bayreuther Grünen Hügel spazieren. Zugegeben, ich verstand kein einziges Wort, das sie in ihrem Kinderwagen äußerte (und sie äußerte sich ausführlich), dennoch sagte ich immerzu Ja oder fragte sie, ob das, was sie da erzählt, der Wahrheit entspricht, worauf sie mit Ja antwortete und fortfuhr, mich zuzutexten. Es war zu schön. Wir passierten den Park neben dem Richard-Wagner-Festspielhaus. Ich wollte ihr die Kneippanlage an der Bürgerreuth zeigen. Freilich konnte ich sie dort nicht mit ins Wasser nehmen und taufen, also blieb sie von der Kinderwagenhaube verschattet liegen und sah mir dabei zu, wie ich mir die Schuhe und die Socken auszog. „Wa machdu“, fragte sie. Ich sagte nur Ja, stieg ins Becken und stapfte genüsslich durch das Wasser. Finja stützte sich am Wannenrand des Kinderwagens ab und erhob ihren kleinen Körper, um besser beobachten zu können. Dabei lachte sie. So einfach. Ein paar Stunden später hat sie diese Begebenheit übersprudelnd vor Begeisterung ihren Eltern erzählt. Aber ich bin mir sicher, dass sie seither nie wieder ein Kneippbad besucht hat.

Die Kneippanlage an der Bürgerreuth in Bayreuth ist vielleicht die schönste Deutschlands. Auf alle Fälle ist das Areal, das um die Jahrhundertwende errichtet wurde, traditionell gut besucht, besonders dann, wenn die Festspiele stattfinden. Als Kind und Statist habe ich hier im Sommer Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre einen Großteil meiner Ferien verbracht und womöglich Stars wie Quincy Jones oder Evelyn Hamann gar nicht erkannt. Einmal aber, ich schwöre es, ist vor mir der Schauspieler Günter Strack durch das Wasser gestapft. Während seines Parsifal-Engagements hatte Christoph Schlingensief nicht weit von hier sein Wohnmobil stehen. Vielleicht wäre er nicht so früh gestorben, wenn er öfter kneippen gewesen wäre. Den Dirigenten Christian Thielemann habe ich mehrere Male im nahe gelegenen Wald angetroffen, wo er mich ganz finster angesehen hat.

In Bayreuth an der Bürgerreuth beginnt also meine Kneippreise. Hier habe ich nicht zum ersten Mal meine Füße in das kalte Kneippwasser gesteckt, das müsste, wie oben beschrieben, im Allgäu gewesen sein. Aber an der Bürgerreuth habe ich vielleicht zum ersten Mal die Bedeutung des Kneippverfahrens verstanden. Damals waren Kneippbäder noch selbsterklärende Orte. Heute machen Verhaltensregeln darauf aufmerksam, was erlaubt ist, und was nicht – völlig unabhängig von den medizinischen Anwendungen. Einmal fanden wir Statisten eine Spritze im Mülleimer und erschraken, denn von Diabetes wussten wir nichts. Für uns Kinder war es normal, dass wir zunächst unsere Arme in das Armbecken tauchten, um dann sogleich in das Kneippbecken zu steigen (oder vice versa), wo wir ein paar rasche Runden um die Wette stapften, bevor wir uns erfrischt auf einer der Bänke niederließen und die nassen Beine und Arme trockenrieben. Den Barfußweg hatte es noch nicht gegeben. Das nebenan gelegene Freiluftbad, in dem wir uns hätten auslaufen können, war kostenpflichtig. Wir Kinder wollten uns nur kurz erfrischen, gesunden mussten wir erst später. Bücherschränke und Kneippanlagen sind die wohl sinnvollsten Erfindungen dieses Landes. Ich denke, dass ein jeder Ort eine Kneippanlage haben sollte. Für die nahe Zukunft wünsche ich mir neben autofreien Innenstädten ein flächendeckendes, stabiles Kneippnetz.

Kein einziges Mal habe ich es erlebt, dass Kneippanlagen, die ja meist offen zugänglich im öffentlichen Raum vorzufinden sind, ein Treffpunkt für feiernde Menschen gewesen wären. Vielleicht kommen sie nachts, und die Kippen und Bierflaschen werden immer wieder rechtzeitig fortgeschafft. Kneippanlagen sind wie Friedhöfe. Orte der Ruhe. An sich gibt es hier nichts zu sehen. Die Besucher lauschen lediglich dem Plätschern, Saugen und Rülpsen des klaren Wassers. Wenn man Glück hat, ist die Quelle schön in die Natur eingepflegt. Ich bevorzuge aus der Natur geschaffene Kneippbäder, sie dürfen gerne auch ein wenig verschlammt sein. Dass die Kneippsaison in der Regel nur von Mai bis September geht, prangere ich an. Gibt es etwas Schöneres als vom Herbstlaub bedeckte Kneippbecken? Ein gutes Beispiel ist die Anlage im Münchener Westpark. Das Becken ist sehr geräumig, ideal geeignet für eine „Völkerwanderung“, wohingegen die Laufstrecke im klinisch gekachelten Becken in Bad Steben zu kurz geraten ist. Die erst im Jahr 2023 eingeweihte Sandsteinanlage in Stadtsteinach liegt völlig ungeschützt. Keine Bäume weit und breit, nur aufgeheizter Asphalt. Der Boden des Beckens ist aus einer Eisenplatte gefertigt, die Rutschgefahr ist hoch im viel zu warmen Wasser, das immerhin aus der Steinach fließt. Darüber hinaus funktionierte bei meinem letzten Besuch die Pumptechnik für das Armbad nicht – und das keine drei Wochen nach der Eröffnung.

Zurück auf den Grünen Hügel. Eine Stätte der Gegenwart und Achtsamkeit, an denen wie ein Meeresrauschen das Leben ausklingt. Ab 20 Uhr ist die Tür verschlossen. Die Bewegung im Kneippbecken um den schmiedeeisernen Handlauf gleicht einem Pilgermarsch. Ich war nie auf dem Berg Kailash, habe aber immer, wenn es sich ergab, meine Runden in Kneippbädern gedreht, die vielleicht auch eher den Kreisbewegungen eines Sträflings in einem Gefängnishof entsprachen. Der subjektive Kälteschmerz ist dabei immer entscheidend. Oder eben die Lage des Areals. Das Bayreuther Becken liegt von hohen Bäumen und Büschen verdunkelt. Das Wasser kommt aus dem Speicher im Wald, der Zulauf muss daher als künstlich bezeichnet werden, die Temperatur ist für bis zu fünf Runden erträglich. Das Armbad erinnert an ein Taufbecken. Dr. Schalle empfiehlt tägliche Armbäder respektive Armwickel mit Wasser und Essig bei Schreibkrämpfen. Im Volksmund wird diese Anwendung „Kneipp’scher Kaffee“ genannt – fraglich, warum nicht an jeder Autobahnraststätte (oder neben jedem Pult) eine solche Quelle zu finden ist. Deutschland verzeichnet 764 öffentliche Kneippanlagen, Spitzenreiter sind Baden-Württemberg mit 369 und Bayern mit 156 Wassertretanlagen (24 alleine im Kneippkurort Bad Wörishofen), wohingegen Hamburg und Berlin gemeinsam lediglich auf drei kommen. Die Dunkelziffer dürfte beachtlich sein, so fehlt nämlich das Bayreuther Gelände auf Wikipedia gänzlich.