Cannabiskonsum und psychische Erkrankungen - Michael Büge - E-Book

Cannabiskonsum und psychische Erkrankungen E-Book

Michael Buge

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Beschreibung

Nach dem Gesetz kommt die Prävention: Was muss ich wissen? Die erfolgreiche Einführung, nun umfassend aktualisiert: Cannabiskonsum ist längst Teil der Lebenswelten von Jugendlichen. Das neue Cannabisgesetz passt sich den gesellschaftlichen Realitäten an, gleichzeitig entstehen neue Unsicherheiten – auch für psychiatrisch Tätige. Der Fokus des Buchs liegt auf den Einflüssen, die der Konsum von Cannabis in seinen verschiedenen Produkten und Wirkstoffen auf die menschliche Psyche hat. Erkrankungen wie Psychosen können einerseits stark mit diesem zusammenhängen, während mittlerweile auch medizinische oder therapeutische Anwendungsbereiche der Kulturpflanze Hanf Eingang in die Gesellschaft finden. In klaren und verständlichen Worten schafft der Autor einen idealen Überblick über den Stand der Forschung und die Risiken, aber auch den Nutzen, den der Cannabiskonsum mit sich bringt. Das differenzierte Bild, das nach der Lektüre entstanden ist, hilft im Alltag mit Jugendlichen sicher und informiert Entscheidungen zu treffen.

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PraxisWissen stellt in konzentrierter Form zentrale Aufgaben der psychiatrischen Versorgung dar. Fachlich bewährte therapeutische Grundsätze werden vermittelt und immer auch in ihrer praktischen Umsetzung gezeigt. So können psychiatrisch Tätige den Klientinnen und Klienten das geben, was sie für die Bewältigung psychischer Krisen brauchen.

Seite 23 Bei psychisch erkrankten Personen ist der schädigende Einfluss des Cannabis oft höher als beim Alkoholkonsum.

Seite 24 Auch lebenslange Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungen können aufgrund eines starken Cannabiskonsums während der Jugendzeit nicht ausgeschlossen werden.

Seite 33 Es ist vor allem das Belohnungssystem des Gehirns, das uns Menschen zum wiederholenden Drogenkonsum verleitet; im präfrontalen Kortex können wir aber durchaus rational dagegenhalten.

Seite 51 Eine deutliche Wechselwirkung zwischen Cannabiskonsum und Depressionen gilt als nachgewiesen. Eine eindeutige Kausalität, dass das eine das andere auslöst, besteht allerdings nicht. Auf längere Sicht verstärken sich Depression und Cannabiskonsum jedoch oft wechselseitig.

Seite 52 Bei Borderlinestörungen kann der appellative Charakter des Cannabiskonsums eine große Bedeutung haben.

Seite 55 Auch die Wechselwirkung zwischen Cannabiskonsum und Angsterkrankung kann aus beiden Richtungen resultieren.

Seite 77 Ein Einblick in die Entstehung und Symptomatik von Psychosen ist für das Verständnis von Wechselwirkungen zwischen psychotischen Symptomen und Cannabis unerlässlich.

Seite 78 Cannabiskonsum erhöht das Risiko, an einer Psychose zu erkranken.

Seite 88 Es gibt einen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Psychose. Dieser lässt sich sowohl statistisch als auch neurobiologisch darstellen. Ebenso zeigt die Betrachtung der individuellen Krankheitsverläufe einen entsprechenden Zusammenhang.

Seite 95 Mit den »jungen Wilden« sollte erarbeitet werden, dass ein risikoärmeres Leben nicht gleichbedeutend ist mit einem langweiligen Leben.

Seite 98 Cannabis senkt die Wirkung von Antidepressiva ebenso wie von Antipsychotika.

MICHAEL BÜGE ist Psychologischer Psychotherapeut, Gesprächspsychotherapeut, Familientherapeut, Supervisor und seit 1993 als Psychotherapeut tätig, zuerst im Bereich Kinder- und Jugendpsychotherapie, dann in der Suchthilfe.

PraxisWissen

Michael Büge

Cannabiskonsum und psychische Erkrankungen

Die Reihe PraxisWissen wird herausgegeben von:

Michaela Amering, Andreas Bechdolf, Karsten Giertz, Caroline Gurtner, Klaus Obert, Tobias Teismann und Maike Wagenaar

Michael Büge

Cannabiskonsum und psychische Erkrankungen

PraxisWissen 17

1. Auflage 2024

ISBN-Print: 978-3-96605-261-0

ISBN epub: 978-3-96605-294-8

ISBN-PDF: 978-3-96605-295-5

Weitere Bücher zu psychiatrischen Störungen finden Sie im Internet: www.psychiatrie-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Psychiatrie Verlag GmbH, Köln 2024

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne Zustimmung des Verlages vervielfältigt, digitalisiert oder verbreitet werden.

Lektorat: Uwe Britten, Eisenach

Umschlagkonzeption und -gestaltung: studio goe, Düsseldorf, unter Verwendung eines Motivs von gettyimages.de/Anna Efetova

Typografiekonzeption: Iga Bielejec, Nierstein

Typografie und Satz: Barbara Hoffmann

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

Cannabiskonsum und psychische Erkrankungen

Zwischen Normalisierung und Problembewusstsein – Vorwort

Grundinformationen zum Cannabiskonsum

Begriffsbestimmung

Wirkweise

Fragen aus dem Alltag mit Cannabisklienten

Ist Kiffen ungesund?

Kann mir etwas schaden, was als Medikament verwendet wird?

Ist Cannabis gefährlicher als Alkohol?

Macht Kiffen »dumm«?

Macht Cannabis abhängig?

Ist Cannabis eine Einstiegsdroge hin zu härteren Drogen?

Sollte Cannabis legalisiert werden?

Cannabis statt Psychopharmaka?

Entwicklung einer Sucht

Was geschieht im Gehirn?

Besonderheiten junger Klienten

Umgang mit Ambivalenz

Wechselwirkungen mit psychischen Erkrankungen

Cannabis und Depression

Cannabis und Persönlichkeitsstörungen

Cannabis und Angsterkrankungen

Cannabis und ADHS

Psychosen: Symptome, Neurologie und Pharmakotherapie

Psychotische Symptomatiken

Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis

Dopaminhaushalt

Wechselwirkungen zwischen Cannabis und Psychose

Modelle des Zusammenhangs zwischen Psychose und Cannabiskonsum

Die »jungen Wilden«

Die wichtige Rolle der Ambivalenz

Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Cannabis

Die Rolle der Helferinnen und Helfer

Ambivalenz aushalten lernen

Compliance ist keine Einbahnstraße

Abstinenz in psychiatrischen Einrichtungen

Die Einbeziehung von Angehörigen

Vorschläge für konkretes Handeln im Umgang mit den Klientinnen und Klienten

Motivierende Gesprächsführung als unterstützende Haltung

Psychoedukative Elemente

Kooperation

Was bedeutet die geplante Regulierung des Cannabiskonsums für unsere Arbeit?

Veränderungen im beruflichen Alltag Helfender

Cannabis als Medikament

Entwicklungsschritte initiieren und begleiten – Schlussbemerkung

Ausgewählte Literatur

Weiterführende Informationen im Internet

Cannabiskonsum und psychische Erkrankungen

Zwischen Normalisierung und Problembewusstsein – Vorwort

Cannabis ist die am weitesten verbreitete illegale Droge weltweit und ebenso im deutschsprachigen Raum. Der Konsum erstreckt sich über alle gesellschaftlichen Schichten und ist mit Ausnahme der sehr jungen und der sehr alten Menschen in allen Altersgruppen zu finden. Cannabis ist zu einer Alltagsdroge geworden.

Es kann also nicht verwundern, dass auch Menschen mit psychischen Problemen Cannabis konsumieren. Dies muss an sich noch kein Problem sein. Wie in der Gesamtbevölkerung, so gibt es auch bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung viele, die Cannabis nur gelegentlich und damit gesundheitlich eher unbedenklich konsumieren. Ein vermehrter Konsum von Cannabis kann allerdings bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung besondere und auch schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. So tritt häufig die Frage auf, ob der Cannabiskonsum für Menschen mit einer psychischen Erkrankung nicht viel gefährlicher ist als für andere, ob er häufiger oder auch heftiger zu Problemen führt und in welcher Wechselwirkung er mit der psychischen Erkrankung steht.

Seit einiger Zeit wird in diesem Zusammenhang viel über die »jungen Wilden« gesprochen. Dies sind Menschen, die in relativ jungem Alter in psychiatrischen Einrichtungen auftauchen, häufig Drogen konsumieren und mit ihrem Verhalten, das deutlich von dem anderer Klienten und Klientinnen abweicht, die Mitarbeitenden vor Probleme stellen. Nicht nur, aber auch durch diese »jungen Wilden« wird vermehrt neben dem Alkoholkonsum auch der Cannabiskonsum in der Behandlung und Betreuung zur Herausforderung.

Hieraus resultiert außerdem, dass zwei Hilfesysteme aufeinandertreffen, die in der Vergangenheit nur wenig Schnittstellen hatten: die psychiatrische Versorgung und die Drogenhilfe. In Fortbildungen zum Thema »Doppeldiagnose« wird mir immer wieder deutlich, dass es beim Zusammengehen dieser beiden Systeme noch viele Defizite gibt.

In erster Linie sind von diesen Schwierigkeiten natürlich jene Helferinnen und Helfer betroffen, die die direkte Arbeit mit den Klienten leisten, also alle, die in einem direkten Kontakt mit den Betroffenen stehen: Sozialpädagoginnen, Sozialarbeiter, Psychologinnen, Erzieher, Ärztinnen, Krankenpfleger, Ergotherapeutinnen und viele andere. Und zwar sowohl psychiatrisch Tätige als auch Mitarbeitende aus dem Suchthilfebereich.

Ein Problem ist sicher, so berichten Menschen, die in anderen psychiatrischen Einrichtungen als Suchtstationen u. Ä. arbeiten, dass sie sich die Arbeit mit Suchtkranken nicht ausgesucht hätten, sondern dass erst die Entwicklung der letzten zehn Jahre mit der deutlichen Zunahme dieser Klientel von ihnen eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik nötig gemacht habe. Hier herrscht dann in der Regel ein großer Nachholbedarf, einhergehend mit der Verunsicherung, wie denn beide Bereiche unter einen Hut zu bekommen seien.

Aber auf der Seite der Suchthilfe ist die Veränderung ebenso zu spüren, denn immer mehr Menschen kommen in die Beratungsstellen und Therapieeinrichtungen, die neben einer Suchterkrankung eine weitere schwere psychische Erkrankung aufweisen. Auch wenn das Vorliegen einer Doppeldiagnose und hier insbesondere die Diagnose »Psychose und Sucht« immer noch häufig ein Ausschlusskriterium für eine Therapie ist, darf und wird das auch nicht so bleiben, nicht so bleiben können.

Entlang dieser Schnittpunkte bewegt sich das vorliegende Buch. Mein Wunsch ist, das Wissen um Cannabis zu erweitern und das Verständnis für die Konsumenten zu erhöhen sowie gleichzeitig die Zusammenhänge mit anderen psychischen Erkrankungen aufzuzeigen und einzuordnen.

In Diskussionen zu diesem Thema werden häufig extrem gegensätzliche Haltungen eingenommen. Das kann so klingen: »Drogenkonsum und Cannabiskonsum im Besonderen lösen Psychosen aus.« Und: »Es besteht kein Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Psychose.«

Häufig liegen diesen Haltungen eher persönliche und emotional gefärbte Meinungen zugrunde und weniger gesichertes Wissen. Drogenkonsum insgesamt wird auf der einen Seite als gefährlich angesehen, ohne Unterscheidung von Konsummustern und Substanzen. Auf der anderen Seite verstellt der ja wirklich oft gesundheitlich unproblematische Cannabiskonsum den Blick auf die trotzdem vorhandenen Gefahren. Wie so häufig liegt die Wahrheit dazwischen.

Bei der Lektüre wird deutlich werden, dass die Frage, ob und, falls ja, in welcher Form Cannabiskonsum und psychische Erkrankung in Wechselbeziehung stehen, von vielen Faktoren abhängt und nie allgemeingültig beantwortet werden kann. Diesseits der fachpolitischen Auseinandersetzung geht es im direkten Kontakt mit den Klientinnen und Klienten immer um ein individuelles Verstehen der jeweiligen Dynamik.

Auch wenn ich den Wunsch danach verstehen kann und ihm auch gerne nachkommen würde, so kann ein solches Buch keine generellen Anleitungen geben, die sich mit jedem Klienten umsetzen lassen. Obwohl uns dies im Grundsatz eigentlich klar ist, müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, dass wir es in unserer Arbeit mit Menschen zu tun haben und wirklich jeder Fall anders ist. Dies ist natürlich im Umgang mit Cannabiskonsumentinnen nicht anders, denn auch er ist von der Perspektive abhängig, von der Form der Beziehung, dem Konsummuster, der komorbiden Störung und vieles mehr.

Trotzdem ist es wichtig, die möglichen Zusammenhänge zu kennen, um dieses Wissen für unsere alltägliche Arbeit nutzbar zu machen. Entscheidend ist dabei immer, die Betroffenen zu begleiten und das erworbene Wissen und die angeeigneten Interventionen an die aktuelle Situation anzupassen. Ich hoffe, hierbei Anregungen geben zu können.

Um unseren Klienten und Klientinnen bei ihrer persönlichen Entwicklung helfen zu können, müssen wir mit ihnen in einen Dialog treten. Wir müssen möglichst viel über ihre Lebensgeschichte, ihre Wünsche, Ziele, aber auch über ihre Ängste und Befürchtungen erfahren.

An dieser Stelle möchte ich mich bei Eva und Karlotta Lehnert bedanken, bei meinen Söhnen und nicht zuletzt bei Andreas Gantner für seine Unterstützung und die Möglichkeit der Teilhabe an seinem profunden Wissen bezüglich Suchterkrankungen.

Michael Büge, im Sommer 2024

Grundinformationen zum Cannabiskonsum

Begriffsbestimmung

»Spliff«, »Weed«, »Bong«, »Buffen«, »Stein« … was sich anhört wie eine Kampfszene aus einem Asterix-Comic sind Szenebegriffe rund um den Cannabiskonsum. Im Kontakt mit Cannabiskonsumenten werden wir immer wieder mit Begriffen konfrontiert, die wir nicht kennen oder von denen wir zwar schon einmal gehört haben mögen, sie aber nicht einordnen konnten. Deshalb schon hier einige Worte zur Beruhigung: Das »Drogen-Glossar« bei Wikipedia weist annähernd vierhundert Begriffe aus, viele davon sind Szenebegriffe (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Begriffen_des_Drogenkonsums).

Selbst für Menschen, die sich professionell mit diesem Thema befassen, ist es schwer, die Bedeutung aller dieser Begriffe zu kennen, vor allem weil fast täglich neue hinzukommen. Vor einer Nachfrage beim Klienten braucht man sich daher nicht zu scheuen, diese könnte sogar einen guten Einstieg in ein Gespräch über das Thema bedeuten.

Darüber hinaus gibt es aber natürlich die Möglichkeit, sich über die Bedeutung dieser Begriffe zu informieren, insbesondere wenn Helfende das Gefühl haben, ihre Klientinnen und Klienten würden sie »austesten«, indem sie absichtlich in einer unverständlichen Sprache sprechen. Eine sehr gute und neutrale Informationsquelle bietet hier das Drogenlexikon auf drugcom.de (https://drugcom.de/drogenlexikon).

Es bedarf jedoch insgesamt einer guten Abwägung, inwieweit man im Gespräch mit den Klienten überhaupt (möglicherweise zur Herstellung eines guten Kontaktes) Szenebegriffe benutzt oder aber auf die Fachbegriffe zurückgreift. Die Benutzung von Fachbegriffen kann zum Beispiel hilfreich sein, um die eigene Haltung deutlich zu machen oder auch einer Bagatellisierung eines Problems entgegenzuwirken. Für den Umgang mit einem Klienten ist es jedoch in jedem Fall wichtig, einen grundsätzlichen Überblick über die Fachbegriffe zu haben und diese auch den unterschiedlichen Ebenen zuordnen zu können.

»Cannabis« ist der Oberbegriff für die Substanz. Diese wird aus den weiblichen Pflanzen des Indischen Hanfs (Cannabis sativa) gewonnen. Die Pflanzenteile, die zum Konsum von Cannabis benutzt werden, sind: Marihuana, das aus den getrockneten Blüten und Blättern gewonnen wird, sowie Haschisch, für welches das Harz der Blütenstände verwendet wird. Die für unseren Zusammenhang wichtigsten psychoreaktiven Wirkstoffe im Cannabis sind das Tetrahydrocannabinol (THC) und das Cannabidiol (CBD).

Cannabis kann geraucht, aber auch im Tee getrunken oder als Haschkeks gegessen werden. Beim Rauchen sind die meistverbreiteten Konsumformen der »Joint« und die »Bong« (eine Art Wasserpfeife).

Wirkweise

In Gesprächen mit den Klienten und Klientinnen wird immer wieder deutlich, dass sich die Wirkung von Cannabis mit der Zeit deutlich verändert. Am Anfang hat es häufig eine euphorisierende, aber auch entspannende bzw. beruhigende Wirkung. Meist wird der Konsum in dieser Phase innerhalb einer Gruppe erlebt. Lustige Assoziationen oder auch angeregte Unterhaltungen, die oft als besonders kreativ empfunden werden, machen einen großen Anteil an den als sehr angenehm erlebten Situationen aus. Alltagsprobleme können vollständig ausgeblendet werden, das Erlebte wird häufig als sehr amüsant wahrgenommen (Lachflash).

Nach längerem Konsum sind solche Erlebnisse kaum noch vorhanden. In der Regel wird dann immer öfter allein gekifft, und der Konsum führt in der Folge nicht zu mehr, sondern sogar zu weniger bis gar keinen Sozialkontakten. Aus den Erzählungen unserer Klientinnen und Klienten wissen wir, dass sie sich in der Regel kontinuierlich weiter zurückziehen und dann überwiegend allein konsumieren. Immer weniger steht das anfängliche Erleben im Mittelpunkt, sondern eher das »Abschalten« von Problemen und die Befriedigung der Sucht. Weder wird dann noch die Wirkung des Cannabis als lustig oder gar euphorisierend beschrieben noch kommt es zu sonderlich kreativen, von erweitertem Bewusstsein geprägten Gedanken. Das Kiffen ist schließlich »normal« geworden, man tut es einfach, nicht zuletzt deshalb, weil es einem deutlich schlechter geht, wenn man es nicht tut.

Trotzdem durchsetzt die frühere Wirkung (auch wenn sie inzwischen in dieser Form gar nicht mehr eintritt) die Gedanken der Klienten, die als erwartete Wirkung nicht aufgegeben werden kann. Es ist diese Wirkung, die sich die Betreffenden wünschen und nach der sie sich zurücksehnen, wenn sich nach erreichter Abstinenz Suchtdruck einstellt.

Da Cannabis auf vielen verschiedenen Ebenen wirkt, kann sich die Unterscheidung zwischen erwünschter und erlebter Wirkung auch auf all diesen Ebenen zeigen (Abbildung 1).

Generell sind die Substanzwirkungen (»psychoaktive Wirkungsweise«) abhängig von folgenden Aspekten:

• vom neurobiologischen Potenzial der Substanz,

• von Dosis und Frequenz des Konsums,

• von persönlicher (Vor-)Erfahrung und der damit verbundenen Wirkungserwartung sowie

• vom sozialen Setting, in dem der Konsum stattfindet. Zelle andocken. Wichtig hierbei ist, dass, wie bei einem Schlüssel und einem Schloss, die Rezeptoren immer nur einen spezifischen Neurotransmitter aufnehmen können.

GEHIRN

Alle Drogen wirken dadurch, dass sie in das Verarbeitungssystem des Gehirns eingreifen. Dies geschieht an jenen Stellen, an denen die Nervenzellen miteinander kommunizieren (dem synaptischen Spalt). Um Informationen weiterzuleiten, werden Neurotransmitter (die bekanntesten sind Dopamin, Serotonin und Noradrenalin) von der einen Nervenzelle ausgeschüttet, die dann an sogenannten Rezeptoren der nächsten

ABBILDUNG 1

Erlebtes Wirkungsspektrum beim Cannabiskonsum

(Quelle: Therapieladen e.V.)

Die Wirkung von Cannabis kann sich in verschiedenen Bereichen sehr unterschiedlich bemerkbar machen. Sie kann mehr oder weniger intensiv sein und eher in eine angenehme oder in eine unangenehme Richtung gehen. Dabei kann es sein, dass eine Person etwas als angenehm empfindet, eine andere es aber eher als unangenehm erlebt.

Eher angenehme, erwünschte Wirkungen

 

Eher unangenehme, unerwünschte Wirkungen

übliche Denkmuster verblassen, neuartige Ideen und Einsichten, »hinter« die Oberfläche schauen, noch nie Gedachtes denken, kreativ sein

Denken

sich in fixe Ideen reinsteigern, von Gedanken besessen sein, geistige Selbstüberschätzung / »Größenwahn«

witzige Assoziationen und starke Gedankensprünge

Konzentration

Konzentrationsschwäche und uferloses Durcheinander im Kopf, »Peilung« verlieren, keinen klaren Gedanken fassen und verfolgen können

sich amüsieren, weil man sich nicht an die vorletzten fünf Minuten bzw. am Ende eines Satzes nicht an seinen Anfang erinnern kann

Gedächtnis

eingeschränkte Merkfähigkeit, Erinnerungslücken, Filmrisse

die gewohnte Ordnung beim Sehen, Hören, Riechen etc. verändert sich; sonst Nebensächliches wird nun deutlicher wahrgenommen, etwa Lichtreize, Farbspiele; Intensivierung von Musikhören, Berührung (Sex), Schmecken; das Zeitgefühl verändert sich

Wahrnehmung/ Empfindung

wenig von der Umwelt mitbekommen, im eigenen »Film« gefangen sein, sich in Einzelheiten hineinsteigern, Überempfindlichkeit, Überreaktionen bis hin zu Halluzinationen und »Horrortrip«

Eher angenehme, erwünschte Wirkungen

 

Eher unangenehme, unerwünschte Wirkungen

Eindruck, als ob man die Gedanken der anderen kennt und teilt, gemeinsame Albernheit, Gemeinschaftserleben

Kommunikation/ Beziehungen

Kontakt verlieren, »abdrehen«, sich nicht mehr mitteilen können, sich ausgegrenzt erleben, nur noch »abhängen«

Euphorie, high sein, gleichzeitig: Gefühle sind gedämpft, emotionaler Abstand zu allem, Gelassenheit

Fühlen

Ängste, Panik, Verfolgungsideen, »Paranoia«, Gefühle von Fremdheit, Ich-Auflösung, Verwirrung, Verlassenheit

wohlige Entspannung, »Wattegefühl«, Leichtigkeit, Pulsfrequenz steigt, trotzdem Verlangsamung der Bewegung, geringe Schmerzempfindlichkeit

Körper/ Körpererleben

»breit«, »fett«, träge, lahm sein oder Überdrehtheit, Übelkeit, Schwindel, Herzrasen bis zum Kreislaufkollaps

In Bezug auf Cannabis lässt sich sagen, dass sich keine einheitliche Wirkungsweise beschreiben lässt, da es eine hohe Zahl unterschiedlicher Cannabinoide gibt, die sehr verschieden wirken können. Spricht man von der Wirkung von Cannabis, so wird damit in der Regel die Wirkungsweise von THC gemeint, die sich zum Beispiel deutlich von der des Cannabidiols unterscheidet.

ANANDAMID

Die unterschiedlichen Neurotransmitter docken an jeweils spezifischen Rezeptoren an. Da das THC eine eigene Wirkung entwickelt, müssen spezifische Rezeptoren für Cannabinoide existieren. Man hat aber nicht nur die entsprechenden Rezeptoren gefunden, sondern sogar ein komplexes Endocannabinoidsystem samt einem körpereigenen Cannabinoid, dem Anandamid.

> Endocannabinoidsystem, Seiten 81 f.

Das Anandamid wird immer nur in sehr kleinen Mengen und lediglich in spezifischen Hirnregionen ausgeschüttet. Dies unterscheidet sich fundamental davon, was beim Kiffen geschieht. Hier wird das Gehirn als Ganzes mit dem THC geradezu überschwemmt. Alle Cannabinoidrezeptoren werden gleichzeitig bis zum Maximum aktiviert. Es kommt zu einem erheblichen Dopaminausstoß in allen betroffenen Regionen, welcher die erlebten Rauschwirkungen auslöst.

Die persönlichen (Vor-)Erfahrungen und die damit verbundenen Wirkungserwartungen sind es, die die Konsumenten in Bezug auf die erwünschte Wirkung beeinflussen. Wollen sie zum Beispiel nur einen »chilligen« Abend mit Freunden genießen oder sich richtig »abschießen«? Auch die Frage, ob schon ein stabiles Konsummuster entwickelt wurde, spielt eine Rolle. So kann ein Gelegenheitskonsument in bestimmten Situationen kontrolliert kiffen und den Konsum darauf beschränken, während Menschen mit einem abhängigen Konsummuster diese Kontrolle verloren haben. Schließlich spielt eine große Rolle, ob man durch den Konsum gezielt Einfluss auf Gemütszustände oder Krankheitssymptome nehmen will.

Unterschieden werden grundsätzlich drei Wirkrichtungen: stimulierend (aufputschend), dämpfend (abschirmend, entspannend, angstlösend) und halluzinogen (bewusstseinsverändernd). Die Wirkung von Cannabis ist individuell sehr unterschiedlich und kann tatsächlich in alle diese Richtungen empfunden werden. Hierin unterscheidet sich Cannabis von allen anderen Drogen. Nur beim Alkohol lässt sich eine ähnliche Streuung erleben, jedoch eher verteilt auf die Wirkungen »stimulierend« und »dämpfend«. Wer einen Cannabiskonsumenten fragt, wie die Substanz bei ihm wirke, wird hierauf die unterschiedlichsten Antworten bekommen. Während der eine vorrangig die beruhigende Wirkung sieht und seine Zeit eher entspannt auf dem Sofa verbringt, fühlt sich ein anderer durch den Cannabiskonsum angeregt und aktiver als zuvor. Wieder ein anderer sieht eher den Genuss veränderter Wahrnehmung von Gesprächen, Musik, Farben oder Filmen im Vordergrund.

Durch die Unterschiedlichkeit der Wirkungsweise ist es auch objektiv schwierig, dem Konsum eine klare Hauptwirkrichtung zuzuordnen. Wer sich entsprechende Abbildungen in Büchern ansieht, wird das Cannabis teilweise zwischen dämpfend und halluzinogen angeordnet finden, teilweise aber der halluzinogenen Hauptwirkung zugerechnet. In der professionellen Arbeit sollte man natürlich beide Aspekte berücksichtigen. Was jedoch die Hauptwirkung betrifft, so gibt es gute Gründe dafür, Cannabis unter Halluzinogene einzuordnen.

Schaut man sich die Beschreibungen der Konsumenten genauer an, so kann man sehen, dass sie alle eine halluzinogene Wirkung angeben. Diese ist allerdings sicher nicht zu vergleichen mit Halluzinationen wie beim LSD-Rausch. Ebenfalls sind sie nicht vergleichbar mit Halluzinationen wie in einer akuten Psychose. »Halluzinogen« ist hier eher in seiner Bedeutung als bewusstseinsverändernd zu verstehen. Jeder Konsument jedoch hat erlebt, dass sich der Konsum auf eine oder mehrere Sinneseindrücke verändernd auswirken kann: »Ich sah die Farben ganz anders«, »Ich hörte die Musik ganz anders«, »Ich sah den Film ganz anders« etc.

Diese Zuordnung ist nicht nur von wissenschaftlicher Bedeutung, sondern hat einen klaren Bezug zur praktischen Arbeit; es sind nämlich gerade die Substanzen mit halluzinogener Wirkung, die eine besonders starke Wechselwirkung mit einer Psychose haben können.

Einen Überblick über die Hauptwirkrichtungen der am weitesten verbreiteten Substanzen sind in Abbildung 2 zusammengefasst.

Synthetische Cannabinoide

Auch wenn das Thema der synthetischen Drogen durch aktuelle Entwicklungen zurzeit stark diskutiert wird, sind diese nicht neu – schon bei Amphetaminen, Ecstasy oder Crystal Meth handelt es sich um synthetische, also künstlich hergestellte Drogen. Vergleichsweise neu hingegen sind die sogenannten neuen psychoaktiven Stoffe (NPG). Dies sind Substanzen, die bekannten Drogen ähneln, jedoch in ihrer chemischen Struktur leicht verändert sind. Früher waren diese unter dem Begriff »Legal Hights« bekannt. Diesen Namen hatten die Substanzen, da sie bis 2016 durch die leichten Veränderungen für jeweils kurze Zeit nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fielen und somit legal waren. Durch das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) von 2016 wurden jedoch ganze Stoffgruppen verboten. Durch die Regulierung von Stoffgruppen ist es nicht mehr möglich, Verbote durch kleine chemische Veränderungen zu umgehen.

ABBILDUNG 2

Hauptwirkungen von Drogen

Diese NPGs kommen unter anderem unter der Bezeichnung »Badesalz« oder »Kräutermischung« in den (nun illegalen) Handel, haben aber natürlich weder mit dem einen noch mit dem anderen etwas zu tun. Bei den »Kräutermischungen« handelt es sich in der Regel um synthetische Cannabinoide.

Neben allen Beeinträchtigungen, die sich die NPGs mit dem klassischen Cannabis teilen, zeigen sie jedoch zwei zusätzliche Probleme: Zum einen wissen die Konsumenten bei ihnen eher noch weniger, was wirklich in dem gekauften Produkt enthalten ist und wie es wirkt. Zum anderen ergeben Laboruntersuchungen hohe Schwankungen im Wirkstoffgehalt einzelner Tütchen. Dies führt immer wieder zu ungewollten Überdosierungen und damit verbundenen, teils schwerwiegenden Symptomen.

»Häufigste Symptome sind Herzrasen, Ruhelosigkeit sowie Übelkeit und Erbrechen. In Einzelfällen kann es zu schweren klinischen Symptomen wie Infarkt, Nierenversagen, epileptischer Grand-Mal-Anfall und akuten Psychosen kommen. Daten aus der Notfallmedizin und von Drogenbehörden zeigen, dass der Konsum mit einem erhöhten Risiko für notärztliche Behandlungen verbunden ist. International wurden bislang 32 Todesfälle in Zusammenhang mit künstlichen Cannabinioiden registriert. Die Dunkelziffer ist hoch« (Hoch u. a. 2018).

Eines der ersten und in vielerlei Weise typischen synthetischen Cannabinoiden ist das »Spice«. Dieses kam 2008 als »Raumerfrischer« auf den Markt. Hätte man sich am Anfang noch fragen können, wer wohl auf die Idee gekommen ist, einen Raumerfrischer zu rauchen, und dabei feststellte, dass dieser eine THC-ähnliche Rauschwirkung auslöste, stellte sich nach eingehenden Untersuchungen heraus, dass »Spice« nie als Raumerfrischer gedacht war. In chemischen Analysen fand man nämlich zwei künstlich den Kräutern zugesetzte synthetische Cannabinoide.

Unter den damals von uns betreuten Cannabisabhängigen löste die Existenz von »Spice« eine große Unruhe aus, denn es war legal und zum damaligen Zeitpunkt im Urin nicht nachweisbar. Auch wenn die Klienten und Klientinnen zum größten Teil abstinent leben wollen, so zeigen natürlich auch sie eine gewisse Ambivalenz. Eine Substanz, die nicht nachweisbar ist, in der Therapie also nicht unbedingt angesprochen werden muss und bei der ja noch nicht hundertprozentig sicher ist, dass man sie auch kontrollieren kann, verstärkt natürlich jene Seite der Ambivalenz, die gegen die Abstinenz spricht. Viel größer ist dieser Aspekt jedoch bei Menschen, die noch gar nicht entschieden haben, abstinent zu leben bzw. nur mehr oder weniger gezwungen auf das Cannabis verzichten.