Carmelina, das Fischerkind von Capri - Else Ury - E-Book

Carmelina, das Fischerkind von Capri E-Book

Else Ury

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Beschreibung

Die Italienerin Carmelina, die nach ihrer wunderhübschen Großmutter benannt ist, lebt in der italienischen Stadt Neapel mit ihrem kleinen Bruder Giovanni. Während Carmelina einmal ihren Bruder sucht, trifft sie ein junges Mädchen in einem Rollstuhl, die deutsche Eva. Sie werden sehr gute Freundinnen und Carmelina spricht viel mit ihr, um ihre Deutschkenntnisse zu üben. Eines Tages will Carmelinas Vater zur blauen Grotte, da er dort Geld verdienen kann. Carmelina weiß, wie gefährlich es ist und bittet deswegen Eva um Rat.-

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Else Ury

Carmelina, das Fischerkind von Capri

 

Saga

Carmelina, das Fischerkind von Capri

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1931, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726884647

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Habt ihr schon mal etwas von Capri gehört? Aus tiefblauem Mittelländischen Meer, unweit der süditalienischen Stadt Neapel taucht es wie eine Märcheninsel mit seinen wildzerklüfteten Felsen, mit hohen Palmen und sanft ansteigenden Weinbergen, mit seinen weißen, in Zitronen- und Orangenhaine gebetteten Häusern empor. Dort ist die Heimat der kleinen Carmelina.

Wo sich der Weg steil und steinig aufwärts zu den Ruinen der einstigen Villa des römischen Kaisers Tiberius schlängelt, an der Via Tiberio steht ihr Häuschen. Rebhügel umkränzen es. Bunte Blumen wuchern lustig aus jeder Mauerritze. Ein kleines, weißes Haus ist es, mit flachem Dach und Bogenvorbau wie die meisten italienischen Häuser. Aber Carmelinas Haus hat noch etwas Besonderes. Nicht das schöne, blaue Majolikagesims, das Fenster und Türen einrahmt; das haben hierzulande auch viele andere Häuser; nein, eine Inschrift steht an dem Hause. Sie ist italienisch. Carmelina kann sie lesen. Denn sie ist ja eine kleine Italienerin. » Casa della bella Carmelina« – Haus der schönen Carmelina.

Oft stand Carmelina vor ihrem Häuschen und buchstabierte diese Worte. »Die schöne Carmelina«, das war die Großmutter, die einst wegen ihrer Schönheit und wegen ihrer Tanzkunst berühmt gewesen war. Keiner auf Capri hatte die Tarantella, den italienischen Tamburintanz, so wie sie tanzen können. Die Fremden, die nach der Insel gekommen waren, die Blaue Grotte zu besichtigen, hatten auch die Tarantella der schönen Carmelina bewundert. Den Malern, die oft jahrelang in Capri ihrer Studien wegen lebten, hatte sie zu den Bildern Modell gestanden. Die kleine Carmelina hatte die Großmutter, deren Namen sie trug, nicht mehr gekannt. Aber die Leute von Capri, besonders die alten, sagten, die Kleine sei das Ebenbild der verstorbenen Großmutter. Carmelinas Eltern hörten das nicht gern. Die meinten, die Schönheit und die Tanzlust der Großmutter habe der Familie Unglück gebracht. Von den Soldi, die ihr die Fremden für ihre Tarantella zugeworfen, hatte sie sich Ohrgehänge, Ketten, Tand und Putz gekauft. Eitel und arbeitsscheu war sie geworden. Der bescheidene Wohlstand der Familie war dabei zurückgegangen. Der Weinberg mußte verkauft werden; in dem Häuschen wohnte man jetzt nur noch zur Pacht. Noch weniger aber mochten es Carmelinas Eltern leiden, wenn sich ihr Töchterchen, das Tamburin schlagend, begeistert im Tanz drehte. »Die Tarantella liegt ihr im Blut«, seufzte die Mutter. Trotz des Vaters Verbot, die Tarantella zu tanzen, trotzdem das Tamburin in den Kehricht geworfen wurde, tanzte und drehte sich die Kleine, wo sie ging und stand. Es war, als ob sie aus lauter Lachen, Singen und Tanzen zusammengesetzt sei.

Carmelinas Vater war marinaio – ein Seemann. Er war als bester, zuverlässigster Barkenführer auf der Insel bekannt. Die Fremden, die Capri besuchten, ließen sich gern von dem wettergebräunten, stets sangeslustigen Pietro zu der Blauen, Roten, Weißen oder Grünen Grotte rudern. So schön wie er sang keiner das beliebte neapolitanische Lied »Santa Lucia«. Auch des Nachts war der Vater auf See. Dann fuhr er mit dem Fischerboot weit hinaus auf den Fischfang. Die großen, wertvollen Fische verkaufte er an die Hotels. Die kleinen Tintenfische mußte Carmelina zum Abendessen in Olivenöl braten. Das elfjährige Mädchen hatte für den Haushalt und für das kleine Brüderchen zu sorgen. Denn auch die Mutter half den Lebensunterhalt verdienen. Sie hatte schwere Arbeit. Auf dem Kopf, wie das dortzulande Brauch ist, trug sie das Gepäck, oft große Koffer, der mit dem Dampfer ankommenden Fremden von der Ausbootungsstelle zu der elektrischen Drahtseilbahn. Die Bahn, Funikulare genannt, führt vom Hafen, der Marina grande, hinauf zu der sich in den Bergsattel schmiegenden Ortschaft, zu den großen Hotels.

An einem heißen Oktobertage war's. Die Sonne brannte aus wolkenlosem, tiefblauem Himmel auf die weißen Häuser Capris. Sie reifte die noch grünlichen Orangen und Zitronen, ließ die großen Trauben an den Weinspalieren wie Gold blinken und glühen, übermütiges Lachen, helle Mädchenstimmen, Singen und Jauchzen klangen aus den Vignen. Man war dort fleißig bei der Weinlese.

Carmelina hockte auf der Schwelle ihres Häuschens und sonnte sich. Vor ihr sielten sich Giovanni, das dreijährige Brüderchen, und Gatto, der Kater, auf heißen Steinen. Das kleine Mädchen blinzelte träge in die flirrenden Sonnenstrahlen. Nur ab und zu wandte sie den schwarzlockigen Kopf, wenn Mädchen, den hoch mit Trauben gefüllten Kübel auf dem Kopf, singend aus den Weinbergen vorüberwanderten. Ihre Lippen summten unbewußt die Melodie mit, bis plötzlich ein Seufzer die muntere Weise jäh ablöste. Ach – wenn sie doch auch, wie diese Mädchen, bei der Traubenernte helfen dürfte! Wenn der Weinberg, der sich zu ihrem Häuschen heraufzog, doch noch ihnen gehörte! Der Onkel Giuseppe, der ihn den Eltern abgekauft, hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie sich bei der Weinlese beteiligt hätte. Aber die Eltern mochten es aus einem Gefühl des Stolzes heraus nicht zugeben. Der Onkel würde den Weinberg wohl auch nicht mehr lange halten können, hatte der Vater kürzlich gemeint. Mit den Hanfsohlen, die Onkel Giuseppe für die »Caprischuhe« flocht, welche die Fremden auf dem steinigen Boden der Insel gern trugen, war in diesem Jahr nicht viel zu verdienen. Der Fremdenbesuch war heuer nicht zur Zufriedenheit ausgefallen.

Cousine Annunciata schritt vorüber, singend, auf dem Haupt den schwer gefüllten Kübel. Grüßend blieb sie vor den Kindern stehen.

»Möchtet ihr eine Traube?« fragte sie freundlich.

Der kleine, schwarzäugige Giovanni kam sogleich herbei und angelte gierig zu den verlockenden Früchten empor.

» Prego – prego« – bitte – bitte.« Er klatschte in die schmutzigen Händchen.

»Und du, Carmelina?«

» No, grazie – nein, danke«, sagte die Kleine stolz verneinend, trotzdem sie recht gern eine erquickende Frucht in der Hitze gehabt hätte. Was ihr von Rechts wegen zukam, was eigentlich ihr gehörte, das nahm sie nicht geschenkt.

Die Via Tiberio herauf näherten sich ein Herr und eine Dame, groß und blond. Sie trugen Malgeräte. Carmelina blickte ihnen neugierig entgegen. Aha, Malerleute, sicher tedeschi – Deutsche, dachte sie altklug. Wohl erst angekommen. Sie hatte sie noch nie gesehen. Hier auf der kleinen Insel kannte einer den andern.

Sie blieben vor dem malerischen Häuschen stehen. Annunciata hielt ihnen eine herrliche Traube entgegen.

» Una lira, Signora«, sagte sie bittend.