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Caspar David Friedrich, zu Lebzeiten umstritten und nach seinem Tod für ein halbes Jahrhundert vergessen, ist heute der bedeutendste Maler der deutschen Romantik.
In seiner prägnanten Biografie zeigt Boris von Brauchitsch überraschende Zusammenhänge auf, nimmt die Wiederentdeckung und enthusiastische Rezeption des Malers in den Blick und macht anschaulich, warum die Faszination seines Werkes gerade heute eine besondere Wirkung entfaltet.
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Seitenzahl: 313
Boris von Brauchitsch
Caspar David Friedrich
Biografie
Insel Verlag
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eBook Insel Verlag Berlin 2023
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 5023.
© Insel Verlag Anton Kippenberg GmbH & Co. KG, Berlin, 2023
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Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
Umschlagabbildung: Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer, 1809-10, Öl auf Leinwand, Alte Nationalgalerie Berlin (Fassung vor der Restaurierung 2013-2016), Foto: akg-images / Joseph Martin
eISBN 978-3-458-77822-6
www.suhrkamp.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Informationen zum Buch
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Prolog
Blick übers Wasser. Eine Kindheit in Greifswald
Dem Regenbogen entgegen. Studienjahre
Allgemeiner Beifall. Erste Schritte in die Selbstständigkeit
Exkurs: Romantik
Der Weg zur Ölmalerei. Unendlichkeit im Kleinformat
Der Tetschener Altar. Religion als Landschaft – Landschaft als Religion
Familienbande. »Wie sehr ich euch liebe«
Alles und Nichts. Der Mönch
Endzeit. Winter
Exkurs: Gotthilf Heinrich Schubert. Über die Natur als für die Menschheit verfasstes Buch
In den Augen des Freundes. Die leere Leinwand
»Teutsche Männer, Heil Euren Waffen«. Politische Botschaften
Lebendig begraben. Denkmäler und Wolken
Ein hochbeiniger Reiher in der Flut. Friedrichs Erscheinung
Sich selbst im Wege stehen. Die Rückenfigur
Exkurs: Verkehrte Welten:. Carl Gustav Carus über Friedrich
»Das Ich in Wir verwandelt«. Im Zenit
Einbildungskraft und Erwartung. Über dem Nebelmeer
Exkurs: Die Idee des Unendlichen
Gegen die Obrigkeit. Altdeutsche Tracht und demagogische Umtriebe
»Das Ich, das Ihnen gefällt, wird nicht mit Ihnen sein«. Ein neuer Freund
Exkurs: Ein sehr aparter Mensch:. Wilhelm von Kügelgen über Friedrich
Auf dem Weg ins ewige Eis. Langsamer Abstieg
Symbol und Suggestion. Ausgewählte Interpretationen
Abrechnung mit der Kunst/Welt. Das letzte Jahrzehnt
Nachleben. Ein bunter Schmetterling
Anhang
Register der abgebildeten Werke Caspar David Friedrichs
Register der abgebildeten Werke anderer Künstler
Bibliografie
Bildnachweis
Anmerkungen
Informationen zum Buch
Abb.1: Selbstbildnis mit Mütze und Visierklappe, 1802
Als er von seinem Spaziergang in der Morgendämmerung in seine Wohnung am Ufer der Elbe zurückgekehrt war, hatte er noch nichts bemerkt. In Dresden wurde es erst richtig hell, als er bereits in seinem Atelier saß, die Fensterläden halb geschlossen, um nicht nur die Geräusche der Außenwelt zu dämpfen, sondern auch das Licht. Es galt, mit seiner Kunst eine Familie zu ernähren, auch deshalb saß er vor der Staffelei. Doch kaufen wollte kaum noch jemand, und er fühlte seine Kräfte langsam schwinden.
In seiner Jugend hatte er sich nach Schreibmeisterbüchern in Schönschrift geübt und Sätze kopiert, die zugleich moralisch ertüchtigen sollten: »Richte dein Vergnügen nach deinen Mitteln ein«, hatte er in Zierlettern zu Papier gebracht. Doch war das Leben ein Vergnügen? Und wenn ja, was konnte er dafür, wenn die Mittel für dieses Vergnügen immer zu knapp waren? »Richte deine Mittel nach deinem Vergnügen ein«, hätte er schreiben sollen. Wer das Vergnügen hatte, eine Frau, drei Kinder und sich selbst zu ernähren, dem sei geraten, seine Mittel danach zu richten, wenn er es konnte, und er hätte es gekonnt. Doch sein Eigensinn war ihm immer aufs Neue in die Quere gekommen.
Als er an diesem Tag endlich die Fenster öffnete, um die warme Luft hereinzulassen und zwischen den Weiden hindurch über den Fluss zu schauen, verfinsterte sich seine Miene. Die Schiffer hatten die Bäume beschnitten, hatten sie allen Grüns beraubt und zu Krüppeln gemacht, deren bizarre Konturen sich vor dem flirrenden Wasser abhoben.
Warum konnten sie die Natur nicht in Frieden lassen? Mussten die Menschen wirklich alles beschneiden, zurechtstutzen, verstümmeln, wenn es so wachsen wollte, wie es der innere Trieb verlangte?
Caspar David Friedrich wurde bei den Behörden vorstellig. Dass er verschroben war, hatte sich längst herumgesprochen, doch nun schüttelten auch die Letzten lächelnd die Köpfe. Von jenem Betrag, den ihm der Verkauf eines kleinen Bildes eingebracht hatte – Monate lag das zurück –, erwarb er die Bäume am Ufer, um ihnen die Freiheit zu schenken. Man sollte sie in Ruhe lassen, so wie man ihn in Ruhe lassen sollte. Denn in dieser Ruhe lag das wahre Vergnügen, für das kein Preis zu hoch war.
Eine Kindheit in Greifswald
Caspar David Friedrich war nie in Italien, selbstverständlich nicht in Griechenland und auch nicht bei den Franzosen gewesen. Wozu auch? Schließlich wirkte er, dessen Leben sich fast ausschließlich zwischen Greifswald und Dresden abspielte, an einem Brennpunkt der Weltgeschichte. Hier kamen früher oder später alle vorbei. Greifswald war lebendige Universitätsstadt und wechselte während seiner Lebenszeit immerhin die nationale Zugehörigkeit. Dresden erlebte mit der Französischen Revolution und der Teilung Polens beachtliche Fluchtbewegungen und wurde nach dem Sieg Napoleons in der Schlacht bei Jena 1806 von der französischen Armee besetzt; 1809 tauchten kurzzeitig Österreicher unter Karl Friedrich am Ende auf, und 1812 wählte Napoleon Dresden für eine Konferenz zur Vorbereitung seiner Russlandinvasion, zu der er Könige, Herzöge und den Kaiser von Österreich einbestellte. Im Jahr darauf zog er rund um Dresden seine Armeen zusammen, die sich kleinere Gefechte mit Kosaken über die Elbe hinweg lieferten, bevor sie einen der letzten napoleonischen Siege in der Schlacht um Dresden gegen die Koalition aus Österreich, Preußen und Russland errangen.
Zunächst aber war es im Leben Caspar David Friedrichs überraschend ruhig. Als der Sohn eines Seifensieders und Lichtziehers am 5.September 1774 in Greifswald geboren wurde, hatte der 19-jährige Prince Louis-Auguste als Louis XVI. gerade den französischen Thron bestiegen. Gleichzeitig gewann das Kaiserreich Russland nach einem abermaligen siegreichen Krieg gegen das Osmanische Reich als Machtfaktor in Europa weiter an Boden, indem es die Ukraine und die Krim annektierte. Die Mächte in Ost und West waren einstweilen zufriedengestellt und auch die Mitte Europas konnte einigen weitgehend friedlichen Jahren entgegensehen, nicht zuletzt, weil sich die Spannungen in die Neue Welt verlagerten und die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung ihren Anfang nahm.
In Greifswald war von alldem zunächst wenig zu spüren. Caspar David Friedrich wuchs hier als sechstes von zehn Kindern in der Langen Gasse 28 auf. Die Familie stammte ursprünglich aus Neubrandenburg, doch da der Arbeitsmarkt für Seifensieder dort übersättigt war, entschloss sich der noch unverheiratete Adolph Gottlieb Friedrich nach Ende des Siebenjährigen Krieges nach Greifswald überzusiedeln. Hier nun besaß er das Monopol der Seifensiederei, deren Werkstätten er 1765 in einem ersteigerten Haus einrichtete. Die Voraussetzungen für eine Familiengründung waren damit geschaffen. Im selben Jahr heiratete er Sophie Dorothea Bechly, die er bereits in Neubrandenburg kennengelernt hatte.
Die Erinnerungen Caspar David Friedrichs an die Mutter dürften eher schemenhaft gewesen sein, denn nach ihrem frühen Tod am 7.März 1781 übernahm eine Haushälterin, die allgemein Mutter Heiden genannt wurde, die Fürsorge für die Kinder, und Friedrichs älteste Schwester, Catharina Dorothea – die einzige der drei Mädchen, die ein höheres Alter erreichen sollte –, versuchte ebenfalls den Geschwistern die Mutter zu ersetzen. Den Unterricht der Kinder übernahm ein Hauslehrer, so dass die Armut bei den Friedrichs nicht allzu groß gewesen sein dürfte.
Die Kinderschar reduzierte sich früh. Ein älterer Bruder Friedrichs, Johann David, war bereits 1772 als Säugling gestorben, eine Schwester, Barbara Elisabeth Johanna, starb 1782 als Kleinkind an den Windpocken, und seine Schwester Maria Dorothea raffte das Fleckfieber 1791 im Alter von 23 Jahren dahin. Ein Ereignis jedoch lag als besonders schwarzer Schatten über der Familie und speziell über Caspar David Friedrichs Leben.
Wie es genau geschah, darüber gehen die Ansichten auseinander, aber im Kern laufen alle Berichte über den Tod von Johann Christoffer Friedrich auf das Gleiche hinaus: »Den 8.12.1787 ist des Lichtgießers Friedrichs sel. Sohn, alt 12 Jahr, da er seinen ins Wasser gefallenen Bruder retten wollte, ertrunken«, lautet der Eintrag im Kirchenbuch.1 Jener Bruder, den der offenbar ein Jahr Jüngere retten wollte, war Caspar David, wie andere Quellen berichten.
Er war also nicht nur dabei, sondern möglicherweise sogar Ursache für den Tod des Bruders. Auf dieses Kindheitstrauma wurde wiederholt sein schwermütiger Charakter zurückgeführt, der, durch depressive Schübe gekennzeichnet, Halt vor allem in einer verinnerlichten Religiosität und der gewaltigen Natur suchte und fand. Gott, das war die Natur, und die Natur hatte ihm auch seinen Bruder genommen. Das tragische Ereignis war folglich Schicksal, Fügung, Prüfung, gottgegeben. Vor den Gewalten der Natur war der Mensch ein Nichts, und einem Nichts blieb nur, sich demütig in sein Schicksal zu ergeben.
Friedrichs späterer Freund Carl Gustav Carus umschrieb dieses Gefühl und seine therapeutische Wirkung. Der Blick in die Herrlichkeiten der Natur verleihe dem Geplagten Frieden, indem er sich selbst verliere: »Dein ganzes Wesen erfährt eine stille Läuterung und Reinigung, Dein Ich verschwindet, Du bist nichts, Gott ist alles.«2
Als Caspar David Friedrich 1794 sein Elternhaus verließ, lebten noch fünf Geschwister: die Älteste, Catharina Dorothea (1766-1808), in Breesen mit dem Pastor Friedrich Sponholz verheiratet, sowie die Brüder Adolf (1770-1838) und Heinrich (1777-1844), die den Familienbetrieb verwalteten und fortführten, Johann Samuel (1773-1844), der nach Neubrandenburg zurückging und in der Werkstatt des Großvaters Hufschmied wurde, und der Jüngste, Christian (1779-1843), Abenteurer und Kunsttischler, mit dem Friedrich eine besonders innige Beziehung verband. Alle Brüder hatte es wie selbstverständlich in Handwerksberufe gezogen. Nur Caspar David fiel aus der Reihe, war kränklich, blieb das Sorgenkind der Familie, schon in jungen Jahren untauglich für harte körperliche Arbeit.3
1777 wurde im benachbarten Wolgast Philipp Otto Runge geboren. Während Friedrich in Greifswald zur Schule ging, besuchte Runge die Schule in Wolgast, deren Rektor Ludwig Gotthard Kosegarten war. Es mag Zufall sein, dass die beiden bedeutendsten bildenden Künstler der Frühromantik keine 30 Kilometer voneinander entfernt aufwuchsen, doch vielleicht gab es neben dem Ostsee-Ambiente auch noch weitere lokale Faktoren, die Runge und Friedrich prägten und zu dem formten, was sie wurden.
Die unmittelbare Naturerfahrung, die mit der ganzen Wucht des Meeres hereinbrach, war elementar für Friedrichs Werk. Vor allem dem Wasser gab er immer wieder Raum in seinen Bildern, und den Schiffen, die unmissverständlich Ankunft und Abschied versinnbildlichten. Dann der Vater, »ein aufrechter Moralist, wie man sagt: streng und gerecht«,4 dessen fundamentaler Protestantismus jenen Weg bereitete, den Friedrich mit traumwandlerischer Sicherheit und ohne den geringsten Zweifel beschreiten sollte. Und schließlich herrschte auch außerhalb der Familie ein geistiges Klima, das durch einige wenige, dafür aber markante Persönlichkeiten geprägt wurde.
Abb.2: Eule in gotischem Fenster, 1836
Studienjahre
Ab 1790 erhielt Friedrich privaten Zeichenunterricht bei Johann Gottfried Quistorp (1755-1835). Der Architekt war unter anderem an der Universität Greifswald dafür zuständig, Naturwissenschaftlern und Medizinern beizubringen, ihre Präparate akkurat abzuzeichnen. Ferner war er vertraglich verpflichtet, jugendliche Greifswalder in seiner Privatwohnung zu unterrichten.5 Der Unterricht beschränkte sich dabei nicht auf das Kopieren von Vorlagen, sondern fand auch draußen in der Natur statt. Die Impulse, die Friedrich durch Quistorp erhielt, werden gemeinhin als unwesentlich erachtet, es stellt sich aber die Frage, ob nicht gerade das genaue Hinsehen, auf das Quistorp Wert legte, für Friedrichs künstlerische Entwicklung und seinen ästhetischen Anspruch von möglicherweise sogar größerer Bedeutung war als die folgenden Studienjahre an Kunstakademien. Zudem lernte Friedrich bei Quistorp auch das Zeichnen von Architekturrissen, wie sie aus seinem Werk nicht wegzudenken sind. Der Zeichenlehrer war zudem kunsttheoretisch und philosophisch einigermaßen auf der Höhe des Diskurses, weshalb vermutet werden darf, dass er Friedrich auch mit dem nordischen Mythos Ossians sowie den Werken seines Freundes Kosegarten vertraut machte.
Ossian, angeblicher Autor eines wohl ganz oder größtenteils vom schottischen Dichter James Macpherson erfundenen keltischen Epos des 3.Jahrhunderts, das die Zeitgenossen als authentisch betrachteten, verkörperte den Höhepunkt der grassierenden Keltomanie. Zweifel an der Echtheit kamen früh auf, aber das Bedürfnis nach einer nordischen Nationaldichtung und die Sehnsucht nach einem kulturellen Primitivismus waren stärker. Und als man auch nach dem Tod des »Herausgebers« Macpherson 1796 keinerlei Quellen in seinem Nachlass finden konnte, besaß die archaische Dichtung längst Kultstatus. Der Einfluss des fiktionalen gälischen Barden auf Sturm und Drang – und in seinen melancholischen Naturempfindungen auch auf die Romantiker – kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Kosegarten dagegen war umso realer. Zweifellos die zentrale Gestalt im Kulturleben Schwedisch-Pommerns, galt er selbst als Naturgewalt, wirkte als Rektor der Knabenschule in Wolgast, war Doktor der Philosophie und Magister der freien Künste, Doktor der Theologie und von 1808 an Professor für Geschichte an der Universität Greifswald. 1792 begann er für die Fischer legendäre Predigten auf den Klippen Rügens zu halten und schwelgte in seinen Dichtungen in Farben und Stimmungen der Elemente, die die Menschen bis an den Rand des Wahns und darüber hinaus zu treiben vermochten:
Sieh, wie im wechselnden Strahl die Farben wechseln der Meerflut,
Zwischen Rubinglut spielend, und zwischen dunklem Smaragdgrün.
Schau ich lang ihm zu, fürwahr so verwirrt sich der Sinn mir.
Flüssiges Ährengold vermein ich zu sehn, und das Saftgrün
Duftiger Wiesen, durchschwankt von manchem brennenden Mohnhaupt.
Also, las ich, vermeint der heimwehsiechende Seemann,
Welchen der Glutpfeil traf der lothrecht stechenden Sonne,
Plötzlich umwallt sich zu sehn vom Grün der blühenden Heimat.
Süßbethört, umfangen die Seele vom schmeichelnden Wahnsinn,
Nicht zu erdulden vermögend die sinnverwirrende Lockung,
Stürzt er verlangend hinab in das wogende Grün, und der Abgrund
Kühlt ihm auf ewig den Brand des Gehirns, und das Fieber des Herzens.6
Ein weiterer Greifswalder Professor verfehlte seine Wirkung auf Friedrich ebenfalls nicht. Thomas Thorild (1759-1808), schwedischer Libertin, Freund der Revolution, Natureuphoriker, angesiedelt irgendwo zwischen Genie und Größenwahn, war 1793 von der schwedischen Politik nach Greifswald verbannt worden. Manche seiner Äußerungen über Kunst und Wahrnehmung finden sich fast wörtlich bei Friedrich wieder.7 So die Vorstellung, dass das äußere, »leibliche« Auge notwendigerweise seine Ergänzung in einem inneren »geistigen« Auge finden müsse, ohne das keine Kunst entstehen könne. Pointiert formulierte Thorild diesen Gedanken, der auch in Friedrichs Wirken zentral werden sollte: »Wenn ihr das Auge schließt, habt ihr eine ganze Welt sichtbarer Bilder«, während Friedrich empfahl: »Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehst dein Bild.« Entsprechend diesem Primat eines geistigen Auges könne es auch keine allgemeingültigen Regeln des guten Geschmacks geben, keine Normen, nach denen Kunst zu produzieren sei, denn es sei die göttliche Stimme in uns, die bestimmen solle, was entstehen müsse: »Nur was man empfinden kann, das kann man finden«, so Thorild. Und Friedrich: »Ein Bild muß nicht erfunden, sondern empfunden sein.« Zu suchen ist ein Einklang mit der Natur, die Panharmonie, und dazu ist eine intellektuelle Vernunft kaum zu gebrauchen. Die reine Empfindung bleibe die Quelle der Kunst, denn sie »kann nie naturwidrig, immer nur naturgemäß sein«, wie Friedrich anmerkt. Daraus folgt unweigerlich: »Des Künstlers Gefühl ist sein Gesetz.«8
Doch bis Friedrich diese Prinzipien auch verinnerlichte und konsequent umsetzen konnte, war es noch ein weiter Weg. Es bedurfte des akademischen Alltags und dessen stumpfer, alle Kreativität zermürbender Routine, die Friedrich in den kommenden Jahren erfuhr, um seine Überzeugungen reifen zu lassen und schließlich sein intuitives Gespür auch artikulieren zu können.
»Eure Lehren können gut sein, doch für einen jeden passen sie nicht, denn nicht jede Blume gedeiht auf jedem Boden«, richtet er sich an die Akademiker. »Nur Gottes Gesetze gelten für alle und sind in aller Menschen Herzen geschrieben, die heiligen Zehn Gebote.«9 Dass diese Formulierung mehr war als eine rhetorische Floskel, darf vermutet werden. Damit stellte Friedrich die Gültigkeit menschengemachter Regeln prinzipiell infrage und setzte ihnen eine natürliche Gesetzgebung entgegen, ein gottgegebenes Rechts- und Unrechtsbewusstsein, das seiner Vorstellung nach angeboren (»in aller Menschen Herzen geschrieben«) sei. Der Mensch wird somit moralisch integer geboren und nur das Leben führt dazu, dass die guten Anlagen verkümmern oder nicht zutage treten können. Die Zehn Gebote müssen daher auch nicht verinnerlicht werden, denn sie sind eine Selbstverständlichkeit, die leider im Alltag menschlicher Koexistenz immer wieder vergessen wird. Aufgabe des Künstlers ist es daher, diese göttlichen Gesetze zu veräußerlichen, zu thematisieren, sichtbar zu machen.
Abb.3: Schlafender Knabe auf einem Grabhügel, 1801, Holzschnitt Christian Friedrichs nach einer Zeichnung von Caspar David Friedrich
Caspar David Friedrich war ein Spätentwickler. Keine seiner frühen Zeichnungen lässt die Qualität seiner reifen Werke auch nur erahnen. Vier Jahre brachte er in Kopenhagen zu, ohne dass ihn die dortige Akademie in seiner Kunst nachhaltig geprägt hätte. Von den vermutlich zahlreichen Kopien nach Druckgrafiken ist ebenso wenig überliefert, wie von Briefen dieser Jahre, die er sicher in die Heimat geschickt hat. Ab dem 3.Oktober 1796 besuchte er die Gipsklasse, in der dreidimensionale Vorlagen, zumeist Abgüsse antiker Plastik, abzuzeichnen waren, von Januar 1798 an standen für ihn auch lebende Modelle bereit.10 Trotz des auf Figurenstudien fokussierten Studiums tat sich Friedrich mit Darstellungen des menschlichen Körpers schwer, wie seine Skizzenbücher offenbaren und wie er es auch selbst unumwunden eingestand.
Die französisch geprägte Akademie war eine Institution zweier Hierarchien, der des Lehrkörpers und der der Genres. Hier die Autoritäten aus Direktor und Professorenschaft, dort die Gattungen, angeführt von der Historienmalerei.
Das Spätwerk Erik Pauelsens, der gegen den lieblich-mediterranen Trend dramatisch-nordische Landschaften geschaffen hatte, dürfte Friedrich beeindruckt haben; doch Pauelsen war bereits vier Jahre tot, als der Student nach Kopenhagen kam. Bei seinen lebenden Lehrern war das, was sie ihm mitgeben konnten, so unterschiedlich wie bruchstückhaft. Der durch Winckelmann in der Wolle gefärbte Klassizist Johannes Wiedewelt könnte Friedrich zur Beschäftigung mit Denk- und Grabmälern inspiriert haben, der zu Recht als Porträtist gefeierte Jens Juel beeindruckte den Studenten vermutlich mit Mondlicht-Landschaften. Von Nicolai Abildgaard, der Friedrich sowohl in der Gipsklasse als dann auch im Zeichnen nach dem lebenden Modell unterwies, lernte er, dass man sich als Maler nicht scheuen sollte, auch als Möbeldesigner, Architekt oder Raumausstatter tätig zu werden. Ferner könnte ihm der geschliffene und gesellschaftskritische Intellektuelle mit großen Sympathien für die Französische Revolution die Überzeugung mit auf den Weg gegeben haben, dass Kunst kein wirkungsloses Wohlgefallen zu sein braucht: »Aristoteles«, so schrieb Abildgaard, »sagt, dass Malerei ebenso geschickt ist, den Menschen zum Nachdenken und zum Verdruss zu bringen, wie die überzeugendsten und ernsthaftesten Ermahnungen, die die Philosophie gibt.«11
Abb.4 und 5: Nicolai Abildgaard, Klismos, 1790-1800; Entwurf für einen Stuhlschlitten, 29.Juni 1806
Bei Thomas Thorild konnte Friedrich lesen, was er ungeachtet mancher Impulse angesichts des akademischen Lehrbetriebs während der langen Stunden in den Zeichensälen der Akademien empfunden haben dürfte: Es war nichts als Zeitverschwendung, »sich in knechtischer Nachäffung einer früheren, wenngleich schönen Kunstwelt zu gefallen«.12 Es fehlte Friedrich nicht an Geduld, es fehlte ihm an Überzeugung, dass Sujets wie Europa auf dem Stier oder Die Salbung Davids seiner Epoche, in der das Feuer der Französischen Revolution auch im restlichen Europa neue Verhältnisse schaffen würde, noch Impulse geben konnten.
Immerhin hatte er seine merklich an Druckgrafik geschulte Schraffurtechnik perfektioniert und war nun solider Porträtzeichner, wie eine Reihe von Bildnissen belegt, die er 1798 nach Beendigung seiner Kopenhagener Zeit in Greifswald von seiner Familie schuf – quasi als Vorführung seiner erlangten Qualifikationen, bevor er nach Dresden weiterzog.
Abb.6 und 7: Mutter Heiden, 1798; Christian Friedrich, 1798
Unter den rund zehn in Deutschland existierenden Akademien hatte er sich zur Weiterbildung – vermutlich ebenfalls auf Empfehlung Quistorps – für Dresden entschieden. Von der dortigen Kunstschule muss er sich mehr Inspiration und Orientierungshilfe versprochen haben, als ihm Kopenhagen bieten konnte. Dass er Berlin mied, weil es ihm zu groß und zu kalt gewesen sei, mag sein. Schließlich war seine Heimatstadt Greifswald ein Ort mit rund 5000 Einwohnern. Allerdings hatte Kopenhagen um 1800 auch schon die hunderttausender-Marke erreicht, da dürften Friedrich die damals gut hundertsiebzigtausend Einwohner Berlins nicht weiter geschreckt haben. Dresden aber war allemal beschaulicher.
Auf seinem Weg nach Sachsen machte Friedrich dennoch in Berlin Station und hatte Gelegenheit, sich einen Eindruck der dortigen kulturellen Rahmenbedingungen zu verschaffen. Vom Erscheinungsbild einer eleganten Metropole war Berlin noch weit entfernt. Gerade erst war es gelungen, wenigstens die Hauptallee Unter den Linden zu pflastern, ansonsten hüllten die sandigen Straßen die Stadt konstant in eine Staubwolke und verwandelten sich bei Regen in Sumpflandschaften, eine Kanalisation war Utopie und die Spree eine Kloake. Vielleicht waren es daher eher Dreck und Gestank, die Friedrich weitertrieben, oder tatsächlich das frostige Klima, das bereits im ersten Jahr der Regentschaft Friedrich Wilhelms III. spürbar wurde.
Das Hauptanliegen des jungen Monarchen war zunächst löblich: Vermeidung eines Krieges durch Wahrung der Neutralität auf einem rundum brodelnden Kontinent. Schon die enormen Staatsschulden, die ihm sein Vater hinterlassen hatte, ließen es ratsam erscheinen, auf Feldzüge zu verzichten. Die preußische Kunstszene dankte es ihm, wie im Vorwort zur jährlichen Ausstellung der Königlichen Akademie der bildenden Künste und mechanischen Wissenschaften zu lesen, überschwänglich:
Während der Menschenfreund fürchten muß, die Flamme des Krieges wieder auflodern zu sehen, während nicht Europa allein sich rüstet, und innere Zwietracht das Feuer schürt und Waffen schmiedet, sondern auch entfernte Regionen das Panier der Fehde aufstecken, so daß die Länder aller Welttheile der Schauplatz schrecklicher Szenen, und alle Meere mit Blut gefärbt zu werden zittern – erhält dein König dir, o Vaterland, das Glück des Friedens, und führt dich den sicheren Weg zur Wohlfarth, Kraft und Größe.
Und was wäre mehr geeignet als die Kunst, um diesem Willen zur Eintracht Ausdruck zu verleihen? »Nichts ist so sehr im Stande«, heißt es daher weiter, »das frohe Bild des Friedens, und mit ihm das Bewußtsein unseres Glücks zu wecken, als eine Sammlung von Kunstwerken.«13
Friedrich Wilhelm III. ließ keinen Zweifel daran, dass ihm nach den verschwenderischen Ausschweifungen seines Vaters eine geistig-moralische Wende vorschwebte. Die Restauration, die er später politisch vollzog, kündigte sich bereits in seinem Kunstverständnis an, das mit seiner rigiden Sparpolitik Hand in Hand ging. Gebaut wurde fortan, soweit irgend möglich, kostengünstig in Backstein und Terrakotta. Und was künstlerisch gefördert wurde, war bereits Vorgeschmack auf das kommende kulturelle Dreigestirn: Architekt Karl Friedrich Schinkel, Bildhauer Johann Gottfried Schadow und der raffaelitisch-biedere Maler Karl Wilhelm Wach. Auf Jahrzehnte würden sie von den 1810er Jahren an in Berlin den Ton angeben. Der Professor für Landschaftsmalerei an der Berliner Akademie, Peter Ludwig Lütke, ein akribischer Schüler von Jakob Philipp Hackert, dürfte ein weiteres Argument gegen Berlin gewesen sein.
Die jährliche Ausstellung jener Akademie offenbarte auch im Jahr 1798, als Friedrich Berlin besuchte, das Erwartbare. Ein Sammelsurium von Schäferstündchen und Dorfbarbieren, Paris-Urteilen und Viehstücken sowie Werke »nach Raffael«, »nach Poussin«, »nach van Dyck«.14
In der Einleitung zu seiner Äußerung bei Betrachtung einer Sammlung von Gemälden hat Friedrich später den Albtraum solcher Ausstellungen beschrieben: »Es macht einen widrigen Eindruck auf mich, in einem Saal oder Zimmer eine Menge Bilder wie Ware ausgestellt […] zu sehen, wo der Beschauer nicht jedes Gemälde für sich getrennt betrachten kann, ohne zugleich vier halbe andere Bilder mitzusehen.«15
Dresden war in jedem Fall für Friedrich die bessere Wahl. Sein Kopenhagener Studienfreund Johann Ludwig Gebhard Lund, der ebenfalls mit der dortigen Akademie abgeschlossen hatte, kam ihn in Dresden besuchen, wohnte bei derselben Zimmerwirtin, Frau Vetter, bezirzte mit gepflegter Erscheinung und smarten Umgangsformen deren drei Töchter und reiste dann weiter nach Paris, wo ihn im Herbst 1800 ein Brief von Friedrich erreichte:
O, wie oft seufzen die Mademosels: Ach, das waren mir selige Tage wie Herr Lund noch da war; wie oft spatzierte er nicht mit uns und fürte uns aufs Osterforwärk aber sie (das bin ich) thun nichts, gehen selbst dann wenn wir ihnen bitten nicht einmal mit uns auß; wie schön wu[ss]te er uns nicht mit seinen lieblichen Reden zu unterhalten, aber Sie mit Ihren Reden wovon das dritte Wort immer Scheiße ist, erwecken Eckel, von Lunds Küssen glüheten unsre Wangen, aber von ihren Grinsen [?] thut uns der Rücken weh, seine öfteren Geschencke waren die deutlichsten Beweise, seiner Liebe gegen uns; aber was sollen wir von ihnen denken sie fressen alles selber auf.16
Friedrichs launige Zeilen verdeutlichen, dass er kein Salonlöwe war, aber auch keineswegs der Eremit, als der er gelegentlich gezeichnet wird. Nicht nur seine Wanderungen absolvierte er gern in Begleitung, auch sonst war er Gesellschaft nicht abgeneigt, wobei es ihm gelegentlich vielleicht an Umgangsformen, nicht jedoch an Humor fehlte. Dass er seinen pommerschen Dialekt kultivierte, mag ihm in Dresden zusätzlich einen leicht verschrobenen Anstrich gegeben haben. Sein Brief an Lund zeigt exemplarisch, dass ihm auch Selbstironie nicht fremd war und dass er gut damit leben konnte, als der grobgeschnitzte Gegenentwurf zum weltgewandten Charmeur durchs Leben zu gehen.
Wer in Friedrich, so Gotthilf Heinrich von Schubert, »nur den tiefen, schwermüthigen Ernst sah, der kannte ihn nur halb. Ich habe wenig Menschen kennen gelernt, welche im geselligen Umgang mit anderen, wenn diese nämlich ihm zusagten, eine so heitere Gemütlichkeit, eine solche Gabe zum Scherzen hatten, als er. Mit der ernstesten Miene sprach und erzählte er Dinge, welche bei allen Anderen ein unverlöschliches Lachen erregten; überall, wohin er kam, brachte er, wenn ihm der Kreis gefiel, Heiterkeit mit sich und fröhliches Bezeigen.«17
Abb.8: Abraham Hondius, Arktisches Abenteuer, 1677
In Dresden machte Friedrich erste zaghafte Versuche in Öl. Erhalten ist die ihm zugeschriebene Genreszene der Befreiungsversuche eines im Eis festsitzenden Schiffes, wie Friedrich sie in Kopenhagen oder Greifswald hätte beobachten können,18 bei der niederländische Vorbilder anklingen und die er offenbar als Skizze verstand, denn er hat sie datiert (»den 12.Dez. 1798«), wie er sonst nur in seinen Skizzenbüchern zu datieren pflegte.
Abb.9: Schiff im Eis, 1798
Es gelang ihm in seiner Dresdener Zeit außerdem, sich die Sepiatechnik anzueignen, als deren Erfinder der dortige Professor Jakob Crescenz Seydelmann galt, der das konzentrierte Melanin der Sepien-Tinte als monochrome Aquarellfarbe nutzte, vor allem um Kopien alter Meister anzufertigen.
Besonders in Dresden aber pflegte man einen starken, Caspar David Friedrich so fremden Italien-Bezug. Herzstück der Kunstsammlungen waren italienische Meister. Italophile und italienische Architekten und Bildhauer prägten das Bild vom »Elb-Florenz« und Bellotto verewigte die Stadt in seinen berühmten Veduten. Auch Seydelmanns Lehrer, der Venezianer Giovanni Battista Casanova, Bruder Giacomo Casanovas, sowie Anton Raphael Mengs, dem Seydelmann in Rom über die Schulter sehen durfte, hatten die Brücke zwischen Deutschland und Italien nachhaltig geschlagen.
Friedrich sah sich hier bereits früh in der Opposition. Er verteidigte die nordischen Landschaften. Rom und Italien wurden ihm über die Jahre zum Feindbild, wobei es weniger Rom und Italien waren als die deutschen Künstler, die alles Italienische vergötterten und zum Maßstab erhoben, einen Aufenthalt in Rom als künstlerischen Ritterschlag verstanden und entsprechend arrogant nach ihrer Rückkehr in die vermeintliche deutsche Provinz auftraten.
Gegen sie führte Friedrich einen lebenslangen Kampf. Das begann mit den Kunstwettbewerben, bei denen antikische Szenen verlangt wurden, denn den »Herren Kunstrichtern genügen unsere teutsche Sonne, Mond und Sterne, unsere Felsen, Bäume und Kräuter, unsere Ebenen, Seen und Flüsse nicht mehr. Italienisch muß alles sein, um Anspruch auf Größe und Schönheit machen zu können.«19 Sollte sich stattdessen nicht jeder Künstler selbst sein Thema wählen, sich selbst seine Aufgaben stellen, wenn es darum ging, wahre, gute und verinnerlichte Kunst fördern zu wollen?20
Immerhin existierte an der Dresdener Lehranstalt eine gewisse Diversität der Genres und Techniken. Auf heiter-bukolische Landschaftsidyllen mit Staffagefiguren im Stil Claude Lorrains hatte sich der ebenso namhafte wie verschrobene Johann Christian Klengel spezialisiert, der als Resümee seiner Lehrtätigkeit »Etüden« publizierte, nach denen sich Studenten die Prinzipien einer harmonischen und regelkonformen Naturdarstellung aneignen konnten. Der Schweizer Anton Zingg, seit 1764 Dozent für Kupferstich an der damals neu gegründeten Akademie, wurde über die fünf Jahrzehnte, die er dort lehrte, selbst zu einer Institution. Von Dresden aus durchwanderte er unter anderem das Elbsandsteingebirge und schuf großformatige pittoreske Sepiablätter, die auch Friedrich inspirierten, diesbezüglich in seine Fußstapfen zu treten.
Dass Friedrich ein waches Auge für die Kunst anderer hatte, mag exemplarisch an einem Seestück Claude Joseph Vernets deutlich werden, das auch als Stich kursierte und dessen Bildidee Friedrich noch um 1830 zitierte: Männer wärmen sich an einem Feuer vor Segelschiffen im Mondlicht. Friedrich hat den Küstenstreifen von pittoreskem Beiwerk »befreit«, sich dabei mehrerer eigener Skizzen bedient und den Wolkenhimmel geweitet, doch das Vorbild bleibt unverkennbar.
Inspiration durch andere war folglich nicht das Problem, sie war im Gegenteil willkommen. Was Friedrich störte, war stupides Kopieren, wie es als zentrale Lehrmethode an den Akademien gepflegt wurde
Abb.10 und 11: Claude Joseph Vernet, Meereshafen bei Mondlicht, 1771;Abend an der Ostsee, 1830-31
Der einzige Vorteil, den Friedrich in solchen Institutionen erkennen konnte, war die Vielzahl von Lehrern unterschiedlichster Ausrichtung. So konnten Schüler eine große Palette von Stilen und Charakteren studieren und begreifen, dass es nicht die eine seligmachende Wahrheit in der Kunst geben konnte. Erst durch die Widersprüche unter den Professoren entwickelte sich für den Schüler die Möglichkeit, mehr auf sich selbst aufmerksam zu werden und Vertrauen zu den eigenen Sichtweisen zu gewinnen. Das Schlimmste, was einem noch formbaren angehenden Künstler passieren konnte, war folglich, an einen »aufgeblähten dünkelhaften Meister« zu geraten, dem er nicht zu widersprechen wagte.21
Hier mögen die 1796 erschienenen Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders von Wilhelm Heinrich Wackenroder (herausgegeben von dessen Freund Ludwig Tieck) nachklingen, der empfahl, nicht einen, sondern verschiedene Meister zu studieren22 und vor allem »sich nicht an einen Meister zu hängen, sondern selbst die Natur in allem ihren Wesen« zu erforschen, sonst verdiene man höchstens, »ein Enkel, nicht aber ein Sohn der Natur genannt zu werden«.23
Nur vordergründig ging es um den seit der Renaissance gepflegten Disput, ob nun als Lehrmeisterin eher die Natur oder die Kunst (der Antike) tauge. Friedrich plädierte deutlich für die Natur, aber er wäre kein Romantiker gewesen, würde er nicht darüber hinaus als höchste Instanz die innere Stimme jedes Einzelnen zur Kunst Berufenen verstanden haben. »Darum, ihr Lehrer der Kunst, die ihr euch dünket so viel mit eurem Wissen und Können, hütet euch sehr, daß ihr nicht einem jeden tyrannisch aufbürdet eure Lehren und Regeln, denn dadurch könnt ihr leichtlich zerknicken die zarten Blumen, zerstören den Tempel der Eigentümlichkeit, ohne den der Mensch nichts Großes vermag.«24 Und an die Schüler und Künstlerkollegen gerichtet: »Wer selber Geist hat, kopiert nicht andere.«25
Ratschläge Außenstehender, so Friedrich, konnten nur schädlich, bestenfalls wirkungslos sein, wenn ein Werk wirklich empfunden und nicht erfunden wurde. War ein Bild dagegen geistlos, so halfen Belehrungen auch nicht weiter, denn »auf sein geistiges Selbst ist der Mensch, der Maler angewiesen«.26
Konnte Friedrich die Akademie kaum mehr als handwerkliche Bereicherung bieten, so brachten die Wanderungen eine gewisse Konstanz in sein Leben, eine Konstanz, die mindestens drei Aspekte beinhaltete: Inspiration, Erholung und Fluchtbewegung. Friedrichs Märsche führten ihn nach Neubrandenburg, in die Heimat nach Greifswald und zur dortigen Klosterruine Eldena als einem zentralen Motiv seines Lebens sowie nach Breesen unweit Neubrandenburgs, wo er bei Schwester Catharina Dorothea eine familiäre Geborgenheit suchte und zeitweise auch fand.
Bei aller Begeisterung für die Erscheinungsformen der Natur gelangte er offenbar zu der Überzeugung, es könne nicht schaden, sich zu Beginn der Karriere breit aufzustellen. Für Literaturillustrationen, Genreszenen und Porträts existierte ein Markt, den er zu bedienen beabsichtigte. Er skizzierte Bauernszenen und Hofmusikanten, versuchte sich an Porträts und illustrierte 1799 Szenen aus den Räubern des herzoglichen Hofrats und Ehrenbürgers der Französischen Republik Friedrich Schiller, der als Professor in Jena lehrte.
Im selben Jahr nahm er dann erstmals an der Akademischen Kunstausstellung in Dresden teil. Vielleicht dachte er daran, für dieses Forum eine Schlüsselszene der Räuber mit deutlichen stilistischen Anleihen bei seinem Lehrer Abildgaard, vor allem hinsichtlich der für diesen so charakteristischen langgestreckten Körper, als großes Historienbild umzusetzen.27 Dass er nicht Hamlet oder Ossian als Thema wählte, sondern sich mit Schiller befasste, belegt seine Anteilnahme an der politischen Gegenwart. Das »Ossianische« sollten seine Zeitgenossen erst wieder als geistigen Hintergrund in seinen Landschaften entdecken.
Die enge und vertrauensvolle Verbundenheit in der Familie Friedrich trug ebenfalls in kreativer Hinsicht Früchte, denn Caspar David tat sich mit seinem Bruder Christian zusammen, der als gelernter Kunsttischler auch Zeichnungen in Holzschnitte übersetzte. Doch diese Werke gehören ebenso der Phase des Experimentierens an wie seine kurzzeitigen Historienbild-Ambitionen. Wenn Friedrich die Akkuratesse und den Schwung des Bruders lobt, so kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zwischentöne, die für Friedrichs Werk zusehends wichtiger wurden, im Holzschnitt dieser Machart keinen Platz hatten.
Zunächst waren es daher seine Landschaften in Sepiatechnik, mit denen er von 1800 an erste nennenswerte Erfolge verzeichnen und den Versuch unternehmen konnte, seinen Lebensunterhalt als Künstler zu verdienen. Nach ersten eher dramatisch-erhabenen Motiven wie der Klamm im Uttewalder Grund, einem brennenden Kloster sowie einem Schiffbruch vor dem Kap Arkona, wandte er sich dem Meditativ-Melancholischen zu, das sein weiteres Werk bestimmen sollte.28
Abb.12: Felsentor im Uttewalder Grund, 1801
Ein früher Dresden-Besucher aus der alten Heimat war Theodor Schwarz, der, auf Rügen geboren, in jungen Jahren nach Greifswald gezogen war. Im Jahre 1800 stand er nun in Begleitung des Malers Jakob Wilhelm Roux vor Friedrichs Tür.
Roux arbeitete damals als der maßgebliche Illustrator an einem Langzeitprojekt, den Anatomischen Tafeln zur Beförderung der Kenntniß des menschlichen Körpers, die der bedeutendste Anatom seiner Zeit und Goethe-Freund Justus Christian Loderer publizierte. Schwarz dagegen befand sich noch in einer beruflichen Findungsphase, war Teil einer Clique junger Intellektueller in Greifswald, die sich intensiv mit den Ideen der Französischen Revolution auseinandersetzten,29 wurde letztlich Pfarrer in seinem Heimatort Wiek, hatte aber durchaus auch literarische Ambitionen. Seinem Freund Caspar David Friedrich setzte er im Roman Erwin von Steinbach aus dem Jahr 1834 ein Denkmal.
Seit Johann Wolfgang Goethes Essay Von deutscher Baukunst aus dem Jahr 1773 war die Gotik zum Nationalstil avanciert und Erwin von Steinbach zum Prototyp des Genies, Heiligen und Halbgott der Architektur. In diesem Geiste ist auch der Held im Roman des Rügener Pfarrers unterwegs, der in den Fußstapfen des jungen Goethe die Kriterien von Empfindung und Originalität, wie sie der Sturm und Drang entwickelte, im Geist der Romantik fortspann.
Der zum Zeitpunkt des Erscheinens bereits vom Leben gezeichnete Friedrich wird auf diesen Seiten noch einmal zum Jüngling, der als Kaspar an der Seite des legendären mittelalterlichen Baumeisters des Straßburger Münsters in einer von Wikingern, Rittern und Burgfräulein bevölkerten Welt auf Reisen geht.
Manches von dem, was der tiefsinnig-melancholische Kaspar als Romanfigur äußert, entspricht Ansichten, die Friedrich um 1800 wohl noch nicht derart dezidiert vorgetragen hätte und die erst aus der Distanz von dreißig Jahren und in Kenntnis von Friedrichs weiterer Entwicklung die Schärfe annehmen konnten, die sie auszeichnet. Doch überraschen konnte diese Entwicklung letztlich bestenfalls in ihrer Geradlinigkeit, die sich in einer Fokussierung und damit auch Einengung äußerte, die sowohl zu Starrheit und Ressentiments führte als auch zu unbeirrter künstlerischer Radikalität.
Im Roman suchen Erwin und Kaspar gemeinsam nach dem nordischen Geist. Schon als sich der Maler dem Baumeister vorstellt und als Wegbegleiter gen Schweden anbietet, ist die Richtung vorgegeben: »Im hohen Norden, hoffe ich, wird mir manches Geheimnis in meiner Kunst sich offenbaren und ein unbekannter Trieb gestillt werden.«30 Und als sie des Nordischen in Gestalt der Landschaft ansichtig werden, scheint Kaspar geradezu ein Gemälde Friedrichs zu beschreiben: »Siehst Du die Musik der Landschaft«, fragt er seinen Gefährten. »Sie hat hier nur wenig Umfang, keine reiche Gegend steht ihr zu Gebote […]. Und welch ein[en] Reichthum großer Ideen weiß sie aus den einfachen Mitteln zu entfalten! Ist es doch ein göttlicher Geist, der hier musiziert und mit Licht und Schatten, Farben und Formen wundersam spielt!«31
Der Dritte im Bunde der reisenden Freunde ist ein sanguinischer Historienmaler, ein Mann der Gesellschaft, der, dem Grübeln abgeneigt, den Moment zu genießen weiß und Kaspar zu überreden versucht, auch mal feiern zu gehen: »Ich brauche euch Menschenkinder so eigentlich nicht in meinem Kram«, entgegnet ihm Kaspar, »doch will ich es mir heute eben gefallen lassen und in den Kuckkasten des Weltwirrwarrs auch einmal hineinschauen, welchen ihr Historienmaler freilich nicht entbehren könnt.«32 Das klingt ganz nach dem alten Friedrich. Der Weite der Landschaft stellt er den Guckkasten gegenüber, der Stille der erhabenen Natur das zivilisatorische Wirrwarr. Und während das Wirrwarr im engen Guckkasten einigermaßen paradox zum globalen, zum Weltwirrwarr wird, gerinnt die Landschaft wiederum zum Ausdruck volkstümlicher Heimatverbundenheit, die dann durchaus die Menschen einschließt, denn der Mensch, und besonders der Künstler, bedürfe, so Friedrichs Überzeugung, »eines Maßes von Stolz auf sein Volk und sein Vaterland, um etwas Tüchtiges zu leisten, und nicht in der charakterlosen Allheit des Weltbürgertums zu zerfließen«.33
Abb.13: Rügen-Landschaften, Jasmunder Bodden, 16. Juni 1801
Abb.14: Seelandschaft, um 1802
In der Wirklichkeit brauchte Friedrich gar nicht bis Schweden zu reisen, um seinen Trieb nach der nordischen Landschaft befriedigen zu können, denn Rügen liegt praktisch in Sichtweite seiner Heimatstadt. Es ist kaum zu glauben, dass der passionierte Wanderer nicht vor 1801 auf der Insel gewesen sein soll. Musste er wirklich zunächst nach Dresden ziehen, um dann von dort aus die Insel für sich zu entdecken?
Vom 10.April 1801 existieren Architekturstudien aus Neubrandenburg, am 5.Mai wurde 70 Kilometer nördlich die Klosterruine Eldena skizziert, am 17. Mai zeichnete er Kinder im Hof seines Bruders in Greifswald, Mitte Juni tauchen die ersten Rügenlandschaften auf. Das platte Land, wenige Linien, jeder Zaunpfahl, jede Windmühle in der Ferne, jeder Kahn wird zu einem markanten Akzent. Im Kontrast dazu die wilden Kreidefelsen der Stubbenkammer, dann wieder Strand, ein paar Findlinge, Wolken.
In Greifswald besuchte ihn Philipp Otto Runge, mit dem Friedrich inzwischen Studienerfahrungen in Kopenhagen verbanden. Seit 1799 war Runge an der dortigen Akademie eingeschrieben; nun wollte er ebenfalls nach Dresden wechseln. Dann zog Friedrich zu seiner Schwester nach Breesen, wo er die Ruhe fand, seine Skizzenbücher ein erstes Mal auszuwerten.
Abb.15: Wanderer am Meilenstein, 1802
Das Ereignis des Jahres 1801 war die Doppelhochzeit von Friedrichs Brüdern Johann Samuel, der am 30.