Cassiopeiapress Western Roman Trio #2: Drei Western in einem Band - Alfred Bekker - E-Book
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Cassiopeiapress Western Roman Trio #2: Drei Western in einem Band E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Der Umfang dieses Buches entspricht 348 Taschenbuchseiten.

Dieses Buch enthält folgende drei Romane:

Alfred Bekker: Nelsons Rache

Pete Hackett: Die Rache des Jonathan Randall

Pete Hackett: Der Outlaw

Es war entsetzlich, was in jener schicksalhaften Stunde alles über Jesse Nelson hereinbrach. Es waren Bilder und Eindrücke, die ihn bis ans Ende seiner Tage nicht mehr loslassen würden: wie das Blei seiner Gegner in seinen Körper schlug. Wie er Alices Hilfeschrei hörte – und wie er sich durch beißenden Rauch und mörderische Flammen kämpfte, um vielleicht doch noch wenigstens einen der Menschen retten zu können, die er mehr liebte als alles andere auf der Welt. In dieser Stunde begann Jesse Nelsons unerbittlicher Rachetrail …

 

Cover: Steve Mayer

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Alfred Bekker, Pete Hackett

Cassiopeiapress Western Roman Trio #2: Drei Western in einem Band

Sammelband

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Western Roman Trio Band 2

von Alfred Bekker und Pete Hackett

 

Ein CassiopeiaPress Buch

© by Authors

© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

[email protected]

 

Der Umfang dieses Buches entspricht 348 Taschenbuchseiten.

 

Dieses Buch enthält folgende drei Romane:

Alfred Bekker: Nelsons Rache

Pete Hackett: Die Rache des Jonathan Randall

Pete Hackett: Der Outlaw

 

 

Nelsons Rache

von Alfred Bekker

 

Es war entsetzlich, was in jener schicksalhaften Stunde alles über Jesse Nelson hereinbrach. Es waren Bilder und Eindrücke, die ihn bis ans Ende seiner Tage nicht mehr loslassen würden: wie das Blei seiner Gegner in seinen Körper schlug. Wie er Alices Hilfeschrei hörte – und wie er sich durch beißenden Rauch und mörderische Flammen kämpfte, um vielleicht doch noch wenigstens einen der Menschen retten zu können, die er mehr liebte als alles andere auf der Welt. In dieser Stunde begann Jesse Nelsons unerbittlicher Rachetrail …

 

 

1

Dan McLeish war jetzt zu allem entschlossen und hatte die zwei Dutzend Cowboys mitgebracht, die bei ihm in Lohn und Brot standen. Es konnte nicht länger angehen, dass ein dahergelaufener Schafhirte ihm ungestraft auf der Nase herumtanzen durfte!

McLeish hatte bisher noch jeden vertrieben, der versucht hatte, in dieser Gegend Schafe zu züchten oder Landparzellen abzustecken. Jeder, der das versuchte, musste wissen, dass das nur über McLeishs Leiche ging.

Er blickte den Hügel hinab auf das Farmhaus und die Schafe, diese verdammten Schafe, die das Gras bis zur Wurzel abfraßen und für die Rinder nichts übrig ließen.

Seine hellblauen Augen blitzten gefährlich.

„Wir haben Nelson weiß Gott oft genug gewarnt!“, sagte McLeish, in dessen sonnenverbranntem Gesicht ein grausamer Zug stand.

Er nahm den Hut ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn, wobei sein hellblondes, fast weißes und bereits ein wenig schütteres Haar zum Vorschein kam.

Er wandte sich an seine Leute: „Ihr wisst, was ihr zu tun habt!“

2

Lynn Nelson war eine kleine, kräftige Frau mit langen roten Haaren, die sie mit einer einfachen Schleife zusammengefasst hatte. Sie trug eine Hose aus blauem Drillich und ein weißes Hemd, beides von Jesse, ihrem Mann – und beides viel zu groß. Aber bei der Arbeit mit den Schafen waren diese Sachen einfach praktischer als ein Kleid.

Als sie die Reitschar auf dem nahe gelegenen Hügel bemerkte, wusste sie, dass das nichts Gutes bedeuten konnte.

Zu dumm, dass Jesse ausgerechnet heute in die Stadt reiten musste, um Besorgungen zu machen!, dachte sie, während das Entsetzen für einige Momente von ihr Besitz ergriff und sie lähmte.

Sie erkannte McLeish, den Rancher, unter den Reitern und wusste sofort, was das bedeutete.

McLeish hatte schon einiges versucht, um sie und Jesse aus der Gegend zu vertreiben, aber es war ihm bisher nicht gelungen. Sie hatten die Zähne zusammengebissen und den Schikanen des Rinderzüchters, so gut es ging, standgehalten.

Aber jetzt war es so weit, jetzt wollte McLeish offensichtlich ein für allemal reinen Tisch machen.

Lynn sah, wie ihre kleine Tochter Alice unbekümmert hinter einem der Lämmer herrannte und es an den Ohren zu ziehen versuchte. Sie ahnte nichts von der Gefahr, die ihnen drohte.

„Alice!“, rief Lynn Nelson. „Alice! Komm ins Haus!“

„Warum denn?“

„Frag nicht, sondern tu, was ich dir sage!“

Jetzt bemerkte auch Alice die Reiter auf dem Hügel. Sie lief zu ihrer Mutter, die sie zum Haus führte.

„Ma, was wollen diese Männer von uns?“

Lynn antwortete nicht, sondern schob ihre Tochter durch die Tür. Dann war sie mit zwei schnellen Schritten dort, wo die Winchester an der Wand hing. Sie nahm die Waffe an sich und suchte anschließend nach Munition.

Als sie sie gefunden hatte, sah sie Alice am offenen Fenster stehen und nach draußen blicken.

„Geh vom Fenster weg, hörst du! Leg dich in die Ecke hinter dem Schrank! Flach auf den Boden!“ Sie wechselten einen kurzen Blick miteinander. Die Tochter spürte wohl, dass jetzt nicht die Zeit war, um Widerspruch zu üben. Sie gehorchte wortlos und mit vor Schreck geöffnetem Mund.

Das Geräusch von zwei Dutzend galoppierenden Pferden war dann zu hören und ließ Lynn mit der unterdessen geladenen Winchester am Fenster Stellung beziehen, nachdem sie zuvor hastig die Tür verriegelt hatte.

„Ma, sind das die Männer, die nicht wollen, dass wir Schafe haben?“, rief die kleine Alice aus ihrer Deckung heraus.

„Ja“, antwortete Lynn knapp.

Aber ihre Gedanken beschäftigten sich mit ganz anderen Dingen.

Die Holzwände sind nicht sehr dick!, überlegte sie. Jesse und sie hatten das Haus gegen Regen, Wind und Kälte gebaut, aber nicht als eine Festung, die geeignet war, schießwütigen Cowboys standzuhalten!

Wenn geschossen wird, dann werden die Bleikugeln das dünne Holz durchschlagen, als wäre es Papier!, dachte sie.

Sie sah die Reiter herankommen, sah ihre grimmig entschlossenen Gesichter und erschauderte.

Aber Lynn Nelson war mindestens ebenso entschlossen wie ihre Gegner. Zu dumm, dass ihr Mann ihr in diesem Augenblick nicht beistehen konnte, aber auch ohne ihn würde sie sich zu wehren wissen!

Jesse hatte ihr den Umgang mit Waffen beigebracht. Sie war keine Frau, die sich widerstandslos in ihr Schicksal fügte.

Sie werden es zunächst auf die Schafe abgesehen haben!, überlegte sie.

Die Schafe stoben auseinander, als die Reiter herankamen.

In einiger Entfernung vom Farmhaus zügelte Dan McLeish sein Pferd, und die Männer folgten seinem Beispiel.

„Nelson!“, rief McLeish in barschem, befehlsgewohntem Ton.

Lynn antwortete nicht.

Wenn sie wissen, dass Jesse nicht da ist, ist mein Stand noch schwerer!, dachte sie. So blieb ihnen ein Rest von Ungewissheit.

„Nelson, wo sind Sie? Wo verkriechen Sie sich?“

Lynn packte ihre Waffe fester. „Nelson, ich weiß, dass Sie hier irgendwo stecken! Schauen Sie sich gut an, was jetzt geschieht! Ich habe Sie gewarnt, Sie wollten nicht hören!

Was jetzt geschieht, haben Sie sich selbst zuzuschreiben!“

Er wandte sich an seine Cowboys. „Los, Männer, fangt an!“

Sie zogen ihre Revolver aus den Holstern und ballerten wie wild auf die Schafe, die in heller Panik durcheinander liefen. Jemand zündete die Scheune an, ein anderer steckte den Pferdewagen in Brand.

Lynn Nelson legte kurz an und schoss. Einer von McLeishs Männern sank tödlich getroffen aus dem Sattel, einen weiteren erwischte sie am Waffenarm, so dass er laut aufschrie und seinen Revolver fallen ließ.

„Da hinten!“, rief er mit vor Schmerz und Wut verzerrtem Gesicht. „Am Fenster!“

Lynn duckte sich rasch, aber der Geschosshagel, den McLeishs Männer in ihre Richtung abgaben, durchschlug die dünne Bretterwand, als wäre sie nichts. Sie konnten Lynn nicht sehen, sondern schossen einfach blind drauflos.

Zwei Kugeln fuhren ihr in den Bauch. Wie gelähmt sah sie, wie sich das weiße Hemd rot färbte. Ein weiterer Schuss traf sie an der Schulter und riss sie herum. Zunächst war da der Schmerz, der dann aber zurücktrat. Sie spürte, wie ihr die Sinne zu schwinden begannen.

Nein!, schrie es in ihr. Es durfte noch nicht zu Ende sein! Es durfte einfach nicht!

Sie spürte, wie ihr das Gewehr aus der Hand glitt und sie an der Bretterwand zu Boden rutschte.

Sie sah Alice in ihrer Ecke hocken, den Mund vor Entsetzen weit aufgerissen. Schon um des Kindes willen durfte sie jetzt nicht sterben! Sie durfte nicht …

„Ma!“, hörte sie die Kleine rufen.

Es war das letzte, was sie hörte.

Alles verstummte. Es wurde dunkel vor ihren Augen.

3

Es war Jesse Nelson unter den gegenwärtigen Umständen nie ganz wohl dabei, seine Familie allein auf der Farm lassen zu müssen – und wenn es nur für wenige Stunden war.

McLeish war unberechenbar.

Es war unmöglich vorherzusagen, welche Gemeinheit ihm als nächste einfallen würde, um sie zu schikanieren.

Diesem Mann war, so schien es, jedes Mittel recht, um sie aus der Gegend zu vertreiben.

Zunächst hatte er es mit Geld versucht, aber Jesse Nelson war nicht käuflich. Dann hatte der Rancher härtere Bandagen benutzt.

Einige von McLeishs Cowboys hatten ihm aufgelauert und ihn verprügelt; man hatte ihm seine Schafe auseinander getrieben, so dass er sie sich weit verstreut in der Umgebung wieder hatte zusammensuchen müssen, und vor etwa einer Woche hatte Nelson einen Mann überrascht, der versuchte, seiner Familie das Dach über dem Kopf anzuzünden.

Nelson hatte sich an den Sheriff gewandt, dessen Aufgabe es gewesen wäre, hier für Recht und Ordnung zu sorgen, aber der stand auf Seiten von McLeish und hatte wenig Neigung, sich mit dem mächtigen Rancher anzulegen.

Sheriff Duggan machte einfach die Augen zu und nahm nicht zur Kenntnis, was McLeish da für ein hässliches Spiel inszenierte.

Von anderen Leuten in der Gegend hatte Nelson erfahren, dass Duggan in früheren Fällen ähnlich verfahren war. Er hatte nie etwas dagegen unternommen, dass McLeish bisher alle Siedler und Schafzüchter davongejagt hatte, obwohl er kein Recht dazu besaß.

Aber Nelson war zäh und wild entschlossen, sich nicht vertreiben zu lassen, denn abgesehen von McLeishs Anwesenheit gefiel ihm dieses Land.

Er trieb sein Pferd voran, mit der Linken führte er die Zügel eines Packtieres, dessen Rücken mit allerlei Gerätschaften beladen war, die er in New Kildare eingekauft hatte. Jetzt befand er sich auf dem Rückweg und war voller Unruhe.

Er dachte an Lynn, seine Frau – und an die kleine Alice.

Verdammt, wenn dieser McLeish oder einer seiner Schergen sich an ihnen vergriffen haben sollte, kann ich für nichts mehr garantieren!, dachte er grimmig.

Aber dann scheuchte er seine Befürchtungen mit dem Gedanken davon, dass er Lynn den Gebrauch der Winchester beigebracht hatte und sie sich zu wehren wissen würde.

Sie war eine gute Schützin.

4

Als Jesse Nelson die Schüsse in der Ferne hörte, schnürte es ihm fast die Kehle zu. Eine schwarze Rauchsäule stieg am Horizont auf.

Nelson ließ die Zügel des Packtieres fahren und gab seinem Pferd die Sporen. Dort, wo die Rauchsäule aufstieg, war seine Farm. Etwas Furchtbares musste dort gerade im Gange sein …

Wut und Verzweiflung begannen sich in ihm auszubreiten.

Als er die Farm erreichte, bot sich ihm ein Bild des Grauens: Der Boden war übersät mit den Kadavern dahingemetzelter Schafe. Die Scheune war niedergebrannt, und das Wohnhaus stand in hellen Flammen.

Mein Gott!, durchfuhr es Nelson. Wo waren Lynn und Alice?

Sein Blick fiel auf McLeish und seine Männer, die ihr Werk der Zerstörung wohl gerade beendet hatten und sich nun davonzumachen gedachten.

McLeishs Gesicht hatte eben noch einen selbstzufriedenen Eindruck gemacht, aber als er Nelson bemerkte, erschrak er für einen Moment.

Aber dann gewann der Rancher seine Fassung zurück, griff zum Holster an seiner Seite und riss den Revolver heraus.

Nelson reagierte zu spät.

Er schaffte es gerade noch, mit der Rechten den Griff seines Revolvers zu berühren, da spürte er, wie ihm eine Kugel in die Seite fuhr.

Eine weitere schoss ihm in die rechte Schulter und riss ihn herum. Benommen rutschte er aus dem Sattel und fiel in das stachelige, trockene Präriegras.

Nelson biss die Zähne zusammen.

Er versuchte, den Revolver aus dem Holster zu holen, aber es war zwecklos. Sein rechter Arm gehorchte ihm nicht mehr.

Er keuchte und sah, dass sich an seiner Seite das Hemd bereits mit Blut getränkt hatte. Mit der Linken versuchte er, die Blutung aufzuhalten, aber natürlich hatte das nicht viel Sinn.

„Ich glaube, der hat genug, Boss!“, sagte jemand. „Der wird Ihnen kaum noch einmal in die Quere kommen!“

Nelson hörte Schritte auf sich zukommen. Er sah ein paar schmutzige Stiefel und blickte hoch. McLeishs kalte blaue Augen blickten auf ihn herab.

„Ich habe ihn schwer erwischt“, erklärte er.

„Wahrscheinlich wird er sterben.“

5

Vor Nelsons Augen drehte sich alles.

Nur ganz am Rande nahm er wahr, wie Dan McLeish und seine Männer sich davonmachten.

Beißender Qualm stieg ihm in die Nase und ließ ihn husten.

Er hörte das Knistern von brennendem Holz und dann eine helle, dünne Stimme, deren Klang ihm wohlvertraut war.

„Hilfe! Hilfe!“

Das war Alice!

Sie musste noch im Haus sein, an dessen Wänden die Flammen hoch emporzüngelten. Die ersten Balken krachten hernieder. Nicht mehr lange, und das ganze Gebäude würde wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.

„Hilfe!“, rief es wieder. „Hilfe!“

Mit einem Mal traten Schmerz und Benommenheit in den Hintergrund. Eder Klang dieser Stimme gab Nelson neue Kraft, eine Kraft, die aus Verzweiflung geboren war.

Er nahm die Linke von der Wunde an seiner Seite und versuchte sich aufzustützen.

Er stöhnte und keuchte, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn und rann ihm das Gesicht hinunter.

Erst jetzt wurde ihm klar, wie schwach er wirklich war.

Nachdem es ihm tatsächlich gelungen war, auf die Beine zu kommen, stolperte er in Richtung des Hauses, strauchelte nach ein paar Metern und befand sich gleich darauf wieder auf der Erde.

Es waren jetzt nur noch ein paar Schritte.

Er spürte die Hitze. Der Qualm raubte ihm mittlerweile fast den Atem.

Aber da war diese helle, dünne Stimme voller Todesangst, die seiner Tochter gehörte, die jetzt irgendwo dort drinnen in den Flammen war und um ihr Leben schrie.

Diese Stimme trieb ihn dazu, alles zu versuchen und das Letzte aus sich herauszuholen.

Mit der Kraft der Verzweiflung kroch Nelson voran.

Erst als er die Haustür erreicht hatte, unternahm er einen erneuten Versuch, sich aufzurichten.

Dann versuchte er, die Tür mit dem Fuß aufzustoßen, aber sie war von innen verriegelt. Nelson fluchte. Die Flammen züngelten bereits an ihrem Holz empor, aber er konnte unmöglich warten, bis der Riegel verbrannt war, der die Tür geschlossen hielt.

Augen zu!, dachte Nelson. Augen zu und durch!

Er nahm alle Kraft zusammen, die ihm noch geblieben war, und warf sich mit vollem Gewicht gegen die brennende Tür.

Es war heiß, verdammt heiß …

Nelson schrie laut auf, aber die Tür gab nicht nach.

Kraftlos rutschte er an ihr zu Boden und rollte sich dann zur Seite. Hastig schüttelte er den Hut ab, der Feuer gefangen hatte.

Er sah das offene Fenster, und für einen Augenblick erwog er die Möglichkeit, von dort ins Hausinnere zu klettern.

Er verwarf diesen Gedanken allerdings rasch wieder.

Unter normalen Umständen wäre das eine Kleinigkeit gewesen und nicht der Rede wert, aber in seiner jetzigen Verfassung war er einfach zu schwach.

Es hatte keinen Zweck.

Er musste es noch einmal probieren, sich noch einmal gegen die brennende Tür werfen.

Er presste die Lippen aufeinander und raffte sich auf.

Wenig später stand er wieder auf wackeligen Beinen vor der Tür und warf sich mit aller Kraft dagegen.

Diesmal gab sie nach.

Er hörte, wie der Riegel, der sie von innen versperrte, splitterte. Dann stürzte er zusammen mit der Tür nach Innen.

Ein brennender Balken krachte hinunter und traf ihn schmerzhaft am Rücken. Nelson schüttelte ihn ab. Dann sah er Lynn, deren unnatürlich geweitete Augen ihn starr anblickten. Das Feuer begann bereits, ihre Kleidung und ihr Haar zu erfassen, aber die blutenden Wunden, die man ihr beigebracht hatte, ließen keinen Zweifel daran, dass es nicht die Flammen gewesen waren, die sie getötet hatten.

Sie war erschossen worden!

Nelson spürte einen Kloß im Hals. Er konnte kaum schlucken.

Sein Mund öffnete sich halb, als ob er etwas sagen wollte. Er war unfähig, sich zu rühren oder irgendetwas zu tun, er war sogar unfähig, einen Fluch über die Lippen zu bringen. Abgrundtiefe Verzweiflung und Schmerz standen in seinen Zügen. Er schüttelte stumm den Kopf, so als wollte er es einfach nicht wahrhaben …

Nein, dachte er. Nein, das konnte doch nicht wahr sein!

Dann dachte er an die Kinderstimme, die ihn hier hergebracht und ihm Kraft eingeflößt hatte. Es wurde ihm plötzlich klar, dass sie verstummt war.

„Alice!“

Es war halb Keuchen, halb Husten. Seine Stimme klang für ihn selbst entsetzlich schwach, aber es war alles, wozu er im Moment imstande war.

Doch es kam keine Antwort.

„Alice!“

Er schleppte sich weiter und hatte seine Tochter wenig später gefunden. Sie lebte nicht mehr. Einer der herunterbrechenden Dachbalken hatte sie erschlagen.

6

Nelson kroch aus den brennenden Trümmern seines Hauses und blieb schließlich im trockenen Gras keuchend liegen. Er sah nicht mehr, wie alles in sich zusammenstürzte.

Nelson hatte die Augen geschlossen, während Tränen über seine Wangen rannen. Alles, was sein Leben ausgemacht, wofür er gearbeitet und gekämpft hatte, existierte nicht mehr. Seine Familie war ermordet, die Schafe massakriert, die Farm niedergebrannt …

Ich hätte mir vorher ausrechnen können, dass ich gegen McLeish nicht ankomme!, durchzuckte es ihn bitter. Der Rancher hatte gesiegt, aber wen konnte das schon wirklich wundern?

Und was jetzt?, fragte Nelson sich. Einfach liegen bleiben und sterben …?

Er spürte, wie Kraft und Mut ihn verließen. Er fühlte sich müde und schwach. Die Schmerzen, die seine Schussverletzungen verursachten, kamen ihm von neuem und umso stärker ins Bewusstsein.

Es war nicht mehr viel Leben in ihm, das war ihm klar.

Lethargie breitete sich in ihm aus und begann ihn zu lähmen.

Nelson dachte an den Tod.

Er spürte, dass er nahe an ihm dran war, so nahe wie vielleicht niemals zuvor.

Schwärze, Vergessen …

Das Ende aller Qualen, vielleicht eine Art Erlösung …

Aber da war noch etwas anderes in ihm, eine Pflanze, deren Same erst heute gelegt worden war: der Hass.

Der Gedanke, dass McLeish in dieser Sache das letzte Wort haben würde, wenn er jetzt starb, erschien ihm auf einmal geradezu unerträglich zu sein.

Alles in ihm lehnte sich dagegen auf, und das gab ihm neue Kraft, Kraft, die er schon verloren geglaubt hatte.

Der Tag wird kommen!, dachte er grimmig. Der Tag wird kommen, an dem abgerechnet wird!

Nelson hörte sein eigenes Keuchen, seinen eigenen schwachen Atem, der ihm zuvor wie ein Todesröcheln erschienen war.

Jetzt klang dieser Atem wie Musik, wie eine ständige Erinnerung daran, dass er noch lebte und nicht aufgeben durfte.

Seine Muskeln spannten sich, ächzend kam er hoch, bis er auf den Knien war. Dann sah er sich nach seinem Pferd um.

7

Es hatte Nelson unsägliche Mühen gekostet, in den Sattel zu kommen, und jetzt hatte er ziemliche Schwierigkeiten, sich dort auch zu halten.

Der Schmerz riss an seiner Schulter und fraß sich den ganzen rechten Arm entlang. An seiner verwundeten Seite bohrte er sich unbarmherzig in seinen Körper, so dass er glaubte, die Zähne fest aufeinander beißen zu müssen, um nicht laut loszuschreien.

Wahrscheinlich wäre jedoch kaum mehr als ein schwaches Stöhnen über seine Lippen gekommen, so entkräftet war er.

Wohin reiten?, fragte er sich.

Zunächst einmal musste er aus der Gegend verschwinden, zumindest für eine Weile.

Aber er würde wiederkommen, das stand fest! Mochte die Sache für McLeish auch erledigt sein, für Nelson war sie es noch lange nicht!

Er lenkte sein Pferd nach Nordosten, weil er wusste, dass dort irgendwann die County-Grenze kam.

Mit der Linken krallte er sich am Sattelknauf fest, während sein Pferd vorwärts trottete. Jede Erschütterung spürte er schmerzhaft, aber er musste durchhalten.

Zeitweise überfiel ihn gnädige Benommenheit, die ihn den Schmerz besser ertragen ließ.

Wenn er dann wieder ins volle Bewusstsein zurückkehrte, war es dafür umso schlimmer.

Vor seinem geistigen Auge tauchte das Gesicht von Lynn auf, mit ihrer langen roten Mähne, die er so mochte.

Sie war die Frau seines Lebens gewesen. Er hatte sie von ganzer Seele geliebt, ihr Temperament und ihren eigensinnigen Dickkopf, den sie von ihrem irischen Vater geerbt hatte, wie auch die Sanftheit und Zärtlichkeit, zu der sie genauso fähig war.

Sie war die Mutter seines Kindes gewesen; eine gute Mutter.

Dann dachte er an Alice, hörte noch einmal ihr Rufen um Hilfe, und es krampfte sich dabei alles in ihm zusammen.

McLeish!, schrie es in ihm. Verdammt, so wahr ich noch lebe! Das hast du nicht ungestraft getan!

Sein Gesicht verzog sich gequält. Dann senkte sich gnädige Dunkelheit über ihn.

8

Der Junge hatte strubbeliges dunkles Haar und eine Menge Dreck an den Fingern und im Gesicht.

Er war vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt.

„Hast du deine Arbeit schon erledigt?“, fragte seine Mutter, eine Frau von Anfang Dreißig, deren Gesichtszüge für ihr Alter um einiges zu hart waren.

Sie musste eine Menge durchgemacht haben, sonst wären diese Spuren in ihrem Gesicht kaum erklärlich gewesen.

Der Junge nickte ihr zu.

„Ja“, erklärte er im Brustton der Überzeugung. „Ich habe alles gemacht!“

Für einen kurzen Augenblick entspannten sich die Züge der Frau etwas; ihr Mund bildete fast so etwas wie ein Lächeln.

„Dann willst du jetzt sicher mit dem Pony herumreiten?“, vermutete die Frau, und der Junge lachte.

„Ja“, sagte er.

„Tu das, Tom. Aber komm nicht zu spät zurück, hörst du? Man weiß nie, was für Gesindel sich in der Gegend herumtreibt!“

Der Junge machte eine wegwerfende Geste.

„Ach, ich bin doch schon groß genug, um auf mich selbst aufzupassen, Ma!“

„Trotzdem tust du, was ich dir sage, verstanden?“

„Ja.“

Die Frau seufzte, als der Junge gegangen war.

Ihr Gesicht wurde wieder sorgenvoll und ein wenig hart.

Sie wischte sich die schweißverklebten Haare aus dem Gesicht.

Soll der Junge nur mit dem Pony herumspielen!, dachte sie. Wer weiß, wie lange wir es noch haben!

Die kleine Farm konnte sie und den Jungen kaum ernähren.

Der Boden war trocken und steinig. Letztes Jahr hatte die Dürre die Ernte vernichtet, und wenn es dieses Jahr genauso sein würde, dann müssten sie nicht nur das Pony verkaufen.

Sie würden hungern.

9

Der Junge besaß weder Zaumzeug noch Sattel für das Pony.

Er schwang sich geschickt auf den Rücken des Tieres und klammerte sich mit den Händen an der Nackenmähne fest.

Das Tier hörte auf ihn.

Es reagierte auf den Druck, den er mit seinen schmächtigen Schenkeln ausübte. Er brauchte keine Zügel.

„Heya!“, rief der Junge und trieb das Pony vorwärts.

Aber das Tier schien etwas müde zu sein.

Schließlich hatte es tagsüber den Pflug ziehen müssen, vor den eigentlich ein größeres Pferd gehörte.

Aber sie hatten nur noch das Pony. Die anderen Pferde hatten sie nach und nach verkaufen müssen.

Das Pony ließ ein störrisches Wiehern hören. Der Junge wusste nun, dass es zwecklos war, das Tier weiter antreiben zu wollen. Es würde also nur gemütlich vorangehen.

Der Junge ließ die kleine Farm hinter sich.

Das Haus wurde kleiner und kleiner, bis es hinter einigen Hügeln verschwand. Es war später Nachmittag, und in wenigen Stunden würde die Dämmerung über das Land hereinbrechen.

Der Junge überlegte, wohin er reiten sollte.

Die nächste Siedlung war einen halben Tagesritt entfernt. Es lohnte sich nicht mehr, dorthin aufzubrechen.

Er spürte, wie ihm die Sonne auf den Nacken brannte.

Es war noch immer sehr heiß, die Luft flimmerte sogar etwas.

Der Junge nahm die Hand wie einen Schirm vor die Augen und blickte in die Ferne.

Dann sah er irgendwo in der Nähe des Horizonts ein Pferd, das sich allerdings kaum von der Stelle bewegte. Es schien fast, als sei das Pferd reiterlos.

Der Junge strengte seine Augen bis auf das äußerste an, aber er konnte beim besten Willen nicht zweifelsfrei erkennen, ob es sich um einen Reiter handelte, der in tief gebeugter Haltung im Sattel hing, oder ob es ein herrenloses Packpferd war.

Einen Moment lang zögerte er, das Pony vorwärts zu treiben.

Seine Mutter hatte ihn vor Gesindel gewarnt, das sich in der Gegend herumtrieb.

Möglicherweise war dieses punktgroße Gebilde am Horizont nichts anderes als ein Strauchdieb, der nur darauf wartete, ihm das Pony abnehmen zu können, um es bei nächster Gelegenheit zu verkaufen.

Aber die Neugier war stärker.

Es kam schließlich nicht allzu häufig vor, dass in der Umgegend irgendetwas geschah, das über den alltäglichen Trott hinausging.

Als sich der Junge dem fremden Pferd weiter näherte, sah er, dass tatsächlich ein Reiter im Sattel hing!

Man hatte ihm offenbar übel mitgespielt. Er schien verwundet oder war vielleicht sogar schon tot.

Jedenfalls rührte er sich nicht und machte auch keinerlei Anstalten, die Richtung, in die sein Pferd lief, irgendwie zu beeinflussen.

Gegenwärtig kaute das Tier etwas von dem trockenen Präriegras.

Es hat Hunger!, dachte der Junge. Zweifellos war es schon geraume Zeit her, seit es seine letzte Futterration bekommen hatte.

Der Junge zügelte das Pony.

Er war in diesem Land aufgewachsen, und das hatte ihn gelehrt, dass man immer und überall wachsam sein musste, wenn man überleben wollte.

Wochenlang konnte es scheinen, als würde die Zeit still stehen, als würde gar nichts passieren … Und dann war man von einem Augenblick zum anderen in tödlicher Gefahr! Ein wildes Tier, eine Schlange, ein Strauchdieb … Früher hatte es auch Indianerüberfälle gegeben, aber das war lange her, fast so lange, wie er lebte.

Der Junge runzelte misstrauisch die Stirn.

Es war eine Masche mancher Gauner, sich verletzt an den Wegesrand zu legen, zu warten, bis jemand vorbeikam, der ihm zu helfen versuchte, und diesen dann auszurauben.

Manchmal, wenn der Junge mit seiner Mutter in die weit entfernte Stadt kam, um zum Beispiel Saatgut einzukaufen, dann besorgte die Mutter hin und wieder eine Zeitung. Da standen solche Dinge drin, er wusste also Bescheid.

Vorsichtig umrundete der Junge den Fremden.

Der Mann hatte seine Augen geschlossen, als ob er schlief. An seiner rechten Schulter hatte er eine böse Wunde, wahrscheinlich eine Schussverletzung. Wenig später sah der Junge dann die Wunde an der Seite des Fremden, die noch hässlicher aussah.

Vielleicht lebt er gar nicht mehr!, dachte der Junge. In diesem Fall würde er seiner Mutter vorschlagen, das Pferd an sich zu nehmen. Dann brauchte das Pony nicht mehr den schweren Pflug zu ziehen.

10

Die Frau war gerade dabei, Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, als sie ihren Sohn zurückkehren sah.

Doch er war nicht allein.

Er führte ein Pferd mit sich, in dessen Sattel ein regloser Mann hing.

„Ma, schau mal!“, rief der Junge, während die Frau die Stirn runzelte und einen zunehmend ärgerlichen Eindruck machte.

„Was soll das, Tom!“

„Er ist schwer verletzt, Ma! Ich glaube, man hat ihn angeschossen! Er ist bewusstlos und braucht Hilfe!“

„Tom, du weißt, dass wir kaum genug für uns selbst haben!“ Sie stellte den schweren Holzeimer auf den Boden und schüttelte energisch den Kopf. „Es geht nicht. Du hättest ihn dort lassen sollen, wo du ihn gefunden hast!“

„Ich glaube, dann würde er bald sterben, Ma. Aber er lebt noch; ich habe seinen Puls gefühlt!“

„Jeder muss für sich selbst sorgen, Tom, das weißt du doch! Es geht uns selbst nicht gut, wie sollen wir da noch für diesen Mann sorgen können?“

„Vielleicht stirbt er ja“, erwiderte der Junge kühl. „Und dann können wir uns sein Pferd nehmen.“

Die Frau sagte nichts.

Sie trat nun an das Pferd des Fremden heran und musterte ihn. Jemand hatte diesem Mann sehr übel mitgespielt. Wer mochte das getan haben? Banditen?

Indianer?

Vielleicht stirbt er, dachte die Frau, dann haben wir das Pferd. Aber vielleicht wird er auch wieder gesund …

Ein Mann auf der Farm wäre nicht schlecht!, kam es ihr in den Sinn.

Sie atmete tief durch. Es blieb eine Menge an Arbeit liegen. Sie konnte nicht alles schaffen. Der Junge half zwar, wo er konnte, aber er war eben noch ein Kind.

„Was ist nun?“, fragte der Junge.

„Fass mit an, Tom! Wir bringen ihn ins Haus!“

11

Langsam begann sich der Nebel aus dumpfer Bewusstlosigkeit aufzulösen, der sich über ihn gelegt hatte.

Das Erste, was Jesse Nelson wahrnahm, war das Tageslicht. Es drang durch seine Augenlider und färbte sich dabei rot. Dann, noch bevor er die Augen geöffnet hatte, kamen die Erinnerungen – und mit ihnen die Schmerzen. Er bemerkte, dass seine Wunden mit notdürftigen Verbänden versorgt waren. Nelson musterte den Raum, in dem er sich befand. Es war eine einfache, enge Wohnstube. Der Ofen schien fast unverhältnismäßig groß zu sein, so dass es fast den Eindruck machte, als habe man das Haus um ihn herum gebaut.

Nelson sah den Rücken einer Frau. Die ungepflegten, schweißverklebten Haare fielen ihr unfrisiert über den Rücken. Ihre Kleidung bestand aus vor Dreck starrenden Röcken und einer mehrfach geflickten Bluse.

Sie drehte sich und schaute zu ihm herüber. Ihr Gesicht war hart. Es war das Gesicht einer Frau, die es nicht leicht gehabt hatte.

Als sie sah, dass Nelson erwacht war, zog sie die Augenbrauen in die Höhe.

Misstrauen stand deutlich in ihren Zügen, selbst jetzt, da er fast hilflos dalag. Sie kam ein paar Schritte näher, zunächst zögernd, dann entschlossener.

Nelson hob den rechten Arm und blickte auf den Verband seiner Schulter. Aber dann verzog er das Gesicht vor Schmerz und ließ den Arm schleunigst wieder sinken. Es tat höllisch weh. Es war eine gewohnheitsmäßige Bewegung gewesen, er hatte zunächst gar nicht darüber nachgedacht.

„Wie geht es Ihnen?“, fragte die Frau. Nelson erwiderte ihren Blick, der jetzt nicht mehr ganz so hart und unnahbar war wie zu Anfang. Sein Mund verzog sich erneut etwas; es war eine Regung, die halb vom Schmerz diktiert, halb Lächeln war.

„Ich …“, hauchte er.

Nelson erschrak, als er den schwächlichen Klang seiner eigenen Stimme vernahm. Da war nicht mehr viel Kraft und Leben drin …

Er atmete tief durch und setzte ein zweites Mal an, jetzt etwas besser hörbar. „Ich bin froh, dass ich noch lebe!“, erklärte er. Er spürte die Schweißperlen auf seiner Stirn. Ihm war schwindelig und kalt.

„Sie hatten etwas Geld bei sich“, erzählte die Frau.

„Davon habe ich den Arzt bezahlt.“

„Welchen Arzt?“

„Sie erinnern sich nicht?“ Sie winkte ab. „Er hat Ihnen eine ganze Menge Laudanum gegeben, vielleicht liegt es daran.“

„Und die Kugeln?“

„Die sind raus. Was von Ihrem Geld übrig geblieben ist, liegt bei Ihren Sachen. Wir sind arm, aber ehrlich. Wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann …“

„Ich glaube Ihnen!“, schnitt er ihren Redefluss ab.

„Ihre Wunden haben sich entzündet“, erklärte sie sachlich. „Sie haben Fieber!“

„Ja …“, erwiderte Nelson schwach. „Das glaube ich auch.“

„Sie haben eine Menge fantasiert!“

Nelson nickte.

Vor seinem inneren Auge erschein das Gesicht von Dan McLeish. Er sah die hellblauen, blitzenden Augen und den zynisch verzogenen Mund und spürte, wie sich sein Puls augenblicklich beschleunigte. Er ballte die Linke zur Faust.

„McLeish …!“

„Sie haben diesen Namen einige Male im Fieberwahn erwähnt“, stellte die Frau fest.

Sie kam an sein Lager heran und legte ihm einen feuchten Lappen auf die Stirn. Dabei blieb sie keine Sekunde länger als unbedingt notwendig in seiner Nähe. Sie war vorsichtig, aber wer konnte ihr das verdenken?

„Hat es irgendetwas auf sich mit diesem Namen?“, fragte die Frau dann.

Sie lässt nicht locker!, dachte Nelson. Sie bohrt, bis sie erfahren hat, was sie wissen will!

„Ich werde McLeish töten, wenn ich ihn das nächste Mal treffe!“, brummte Nelson finster. Die Frau erschrak über den abgrundtiefen Hass, der in seiner Stimme mit einem Mal mitschwang. Er sagte das in demselben Tonfall, in dem ein Richter vielleicht ein Todesurteil aussprechen mochte.

Absolute Gewissheit lag in diesen Worten. McLeishs Schicksal schien in diesem Augenblick so gut wie besiegelt.

„Dieser McLeish …“, begann die Frau vorsichtig von neuem. „Hat er auf Sie geschossen?“

„Ja.“

„Aber warum?“

„Nicht jetzt!“, keuchte Nelson.

„Vielleicht später.“

12

Nelson fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Als er erwachte, war es tiefe Nacht und stockdunkel. Nelson wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber es mussten wohl etliche Stunden gewesen sein.

Er fühlte sich deutlich besser.

Der kalte Schweiß auf seiner Stirn war getrocknet, und obwohl die Nacht viel kühler war als der Tag, fror er nicht mehr so schrecklich.

McLeish!, dachte er.

Wieder und wieder tauchte dieser Name in seinem Bewusstsein auf.

Der Tag wird kommen!, durchfuhr es ihn heiß. Der Tag der Abrechnung!

Mit diesen Gedanken des Hasses und der Rache schlief er wieder ein, aber nicht traumlos und dumpf wie zuvor.

Wieder und wieder warf er sich auf seinem Lager hin und her. Hass vergiftete seinen Schlaf und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

13

Als er durch die Strahlen der Sonne erwachte, die durch die Fenster einfielen, war der Tag schon eine geraume Weile angebrochen.

Von draußen hörte er Stimmen, konnte aber nicht genau verstehen, was sie sagten.

Einen Augenblick lang verfluchte er sich dafür, wieder aufgewacht zu sein, denn nun drangen wieder die zermürbenden Schmerzen auf ihn ein, die er in den kurzen Stunden des Schlafs fast vergessen hatte.

Und doch: Seine Kräfte waren – im Vergleich zum Vortag gesehen – beträchtlich gewachsen.

Er hob vorsichtig den Kopf und stützte sich mit dem Ellbogen auf.

Zunächst blieb er eine Weile allein. Dann kam die Frau durch die knarrende Holztür herein. Sie hatte ein paar Wurzeln in der Hand und ging geradewegs auf den Ofen zu, an dem sie sich dann zu schaffen machte.

Anscheinend wollte sie aus dem, was sie mitgebracht hatte, etwas Essbares zaubern.

Nelson setzte sich nun vollends auf. Mit dem Geräusch, das er dabei verursachte, machte er die Frau auf sich aufmerksam, die bisher zu beschäftigt gewesen war, um Notiz von ihm zu nehmen.

Sie wischte sich die verklebten Haare aus dem Gesicht.

Und musterte ihn halb vorsichtig, halb misstrauisch mit ihren dunklen Augen.

„Ich sehe, es geht Ihnen bereits etwas besser!“, stellte sie fest. Nelson nickte flüchtig.

„Ja. Aber es könnte besser sein …“

„Seien Sie nicht zu ungeduldig! An Ihrer Stelle wäre ich vollauf zufrieden damit, überhaupt noch unter den Lebenden zu weilen. Auch der Doc hat Ihnen keine großen Chancen gegeben. Freuen Sie sich, dass Sie wieder ohne fremde Hilfe auf Ihren vier Buchstaben sitzen und sich dort halten können! Ist das etwa nichts?“

Nelson lächelte schwach.

„Von der Seite habe ich die Sache noch nicht betrachtet“, meinte er. Und dann setzte er noch nachdenklich hinzu: „Aber vielleicht sollte ich es mir angewöhnen, die Dinge so zu sehen … Sie mögen Recht haben!“

„Natürlich habe ich Recht!“

Ihre Züge hatten sich jetzt etwas entspannt, sie schienen irgendwie weniger hart, weniger verschlossen.

„Wo bin ich eigentlich hier?“, fragte Nelson.

Die Frau machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Am Ende der Welt“, meinte sie. Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht recht, was ich Ihnen dazu sagen soll. Die nächste Stadt heißt Stockton und ist einen halben Tagesritt entfernt. Man muss sich allerdings ranhalten, sonst schafft man es nicht.“

„Stockton …“, murmelte Nelson nachdenklich und rieb sich dabei mit der Linken das Kinn. „Ich kenne Stockton dem Namen nach, war aber noch nie dort.“ Er schüttelte den Kopf. „Erstaunlich, wie weit ich noch gekommen bin …“

„Woher kommen Sie denn, Mister … äh …“

„Oh, entschuldigen Sie, Ma'am, dass ich mich bisher noch nicht vorgestellt habe! Ich heiße Nelson. Jesse Nelson.

Und ich komme aus der Gegend um New Kildare.“

Die Frau pfiff durch die Zähne wie ein Cowboy, was Nelson für den Bruchteil eines Augenblicks ein Grinsen entlockte. Aber die Macht dessen, was er erlebt hatte, war zu gewaltig, zu erdrückend, als dass dieser Anflug von Heiterkeit sich länger bei ihm halten konnte. Seine Züge veränderten sich schnell wieder, viel schneller, als sie es unter gewöhnlichen Umständen getan hätten.

„So, New Kildare, sagen Sie“, echote sie. „Das ist ńe ganze Ecke von hier entfernt, wenn ich mich recht entsinne!“

Dann schwieg sie eine ganze Weile und kümmerte sich um die Zubereitung des Essens. Nelson empfand das als angenehm, denn die Unterhaltung strengte ihn doch mehr an, als er es je für möglich gehalten hatte.

Er sah sie von hinten. Geschäftig hantierte sie am Ofen herum. Sie arbeitete sehr flink, jeder Handgriff besaß Routine.

Er sah ihre langen, dunklen und ziemlich verklebten Haare und ihre schlanke, hoch gewachsene Gestalt.

Aber dann war ihm mit einem Mal, als sähe er eine Mähne roter Haare, dazu eine Gestalt, die klein, aber kräftig war …

„Lynn …“, sagte er plötzlich laut und erschrak über seine eigene Stimme. Er presste die Lippen fest aufeinander, so als wollte er verhindern, dass noch etwas nach außen drang.

„Ich heiße Jody“, sagte die Frau, ohne sich umzublicken.

„Jody Lawton. Habe ich Ihnen das eigentlich schon gesagt, Mr. Nelson?“

14

Die Frau hatte aus den Wurzeln eine dünne Suppe gekocht, deren Geruch bald die kleine Wohnstube erfüllte.

Nachdem sie den Tisch gedeckt hatte, ging sie zur Tür und rief den Jungen, der wenig später hereinkam.

„Das ist Tom“, sagte die Frau. „Mein Sohn. Er hat Sie gefunden, Mr. Nelson.“

„Oh, dann muss ich mich wohl bei dir bedanken, Tom“, erwiderte Nelson, wobei er den Jungen freundlich anlächelte.

Der Junge lächelte zurück.

Nelson sah, dass die Frau drei Teller auf den Tisch gestellt hatte, woraus er schloss, dass sie wahrscheinlich mit dem Jungen allein auf der Farm lebte. Aber er wollte sie nicht danach fragen.

Nelson schlug die Decke zur Seite, die bislang über seinen Beinen gelegen hatte, und versuchte aufzustehen. Die Wunde an seiner Seite schmerzte dabei höllisch, während es mit der Schulter nicht so schlimm war. Er presste die Lippen angestrengt aufeinander und spürte seine Schwäche umso deutlicher, als er auf seinen wackligen Beinen stand. Mit zwei unsicheren Schritten hatte er den Tisch mit den Stühlen erreicht, wo er sich abstützen konnte. Als er sich niedersetzte, zitterten ihm ein wenig die Knie. Er atmete heftig.

Verdammt!, dachte er. Es wird wohl eine Weile dauern, bis ich wieder richtig auf die Beine komme!

Als er mit der Rechten gewohnheitsmäßig den Löffel ergreifen wollte, spürte er einen reißenden Schmerz. Er ließ den Löffel fallen und fluchte leise. Dann aß er mit der Linken.

„Der Doc hat gesagt, dass Ihr Arm wieder wird, wenn Sie ihn trainieren“, sagte die Frau. „Die Kugel in der Schulter hat Sie wohl ziemlich ungünstig getroffen.“

Nelson nickte stumm.

Es war im Moment völlig unmöglich, mit seiner Rechten einen Revolver abzudrücken. Er würde das Schießen wohl völlig neu lernen müssen. Sein Plan, mit Dan McLeish abzurechnen, würde sich verzögern, aber er dachte nicht daran, aufzugeben.

Er würde so lange üben, bis er schnell und treffsicher genug war, um dem Rancher zu begegnen. Er würde trainieren bis zum Umfallen …

Gierig schlürfte er die Suppe in sich hinein, und auf einmal wurde ihm bewusst, wie leer sein Magen war. Die Suppe schmeckte fade, aber in diesem Moment war sie für Jesse Nelson eine Köstlichkeit! Er schlang Löffel um Löffel in sich hinein. Nein, eine Mahlzeit, die unter die Rippen geht, wie die Cowboys sagten, war dies nicht. Aber es war allemal besser als nichts. Er fühlte, wie sich sein Magen füllte und neue Kraft in ihm wuchs.

„Sie werden sicher schon besser gegessen haben, Mr.

Nelson“, sagte die Frau mit einem entschuldigenden Unterton. Sie zuckte ihre schmalen Schultern. Dann setzte sie noch hinzu: „Sie werden sicher bemerkt haben, in welchen Verhältnissen wir hier leben, mein Sohn und ich!“

„Ma'am, ich weiß deshalb Ihre Hilfe umso mehr zu schätzen. Und ich will Ihnen keineswegs länger zur Last fallen, als unbedingt nötig. Morgen reite ich.“

Die Frau winkte ab.

„Das ist völlig unmöglich, Mr. Nelson. Sie können noch nicht reiten, und das wissen Sie!“

15

Am nächsten Morgen erhob Nelson sich in aller Frühe von seinem Lager. Die Sonne war zwar längst aufgegangen, aber die Morgenkühle hatte sich noch nicht unter ihren wärmenden Strahlen aufgelöst.

Den Rest des vergangenen Tages hatte er verschlafen, war dann gegen Abend noch einmal kurz aufgewacht, um die Nacht durchzuschlafen. Nelson fühlte sich jetzt ausgeruht, wenngleich immer noch etwas schwach. Aber das würde sich in nächster Zeit geben, davon war er überzeugt.

Er sah seine Sachen auf einer altertümlichen Kommode liegen: seinen Revolvergurt, seine Winchester, die Satteltaschen, seinen Hut und seine Jacke.

Nelson nahm den Revolvergurt und schnallte ihn sich um die Hüften. Er verzog das Gesicht, als sein rechter Arm wieder zu schmerzen anfing. Aber es war bei weitem nicht so schlimm wie an den vergangenen Tagen.

Vorsichtig betastete er seine Seite. Der Verband saß noch einigermaßen, aber als er sein Hemd etwas öffnete, sah er, dass er rot durchtränkt war. Das Blut war getrocknet.

Ich werde die Frau fragen, ob sie mir dabei hilft, den Verband zu wechseln!, überlegte er. Dann knöpfte er das Hemd wieder zu. Fürs erste würde es so gehen.

Neben der Wohnstube befand sich noch ein anderer Raum. Die Tür, die dorthin führte, stand offen. Nelson trat ein paar Schritte vor und blickte auf zwei Betten. In dem einen lag der Junge, das andere war leer.

Der Junge schlief noch tief und fest. Sein Gesicht strahlte Frieden aus. Nelson sah das strubbelige Haar, die ebenmäßigen Züge und die schmuddeligen Hände, die er sich natürlich nicht gewaschen hatte. Er hörte das gleichmäßige Atmen des Jungen und sah plötzlich Alice vor sich.

Sie war jünger gewesen, aber in diesem Moment schien es ihm, als habe sie beim Schlafen ähnlich ausgesehen.

Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht, wusste aber gleichzeitig, dass er diese Bilder aus der Erinnerung nicht verscheuchen konnte. sie würden ihn immer wieder heimsuchen.

Er wandte sich ab, öffnete die Außentür und trat nach draußen. Am Brunnen sah er die Frau. Sie hatte Wasser geschöpft und schickte sich nun an, den gefüllten Holzeimer ins Haus zu bringen.

„Guten Morgen, Ma'am.“

„Guten Morgen!“

Trotz der Kühle war sie offenbar ins Schwitzen geraten und wischte sich mit dem halblangen Ärmel ihrer Bluse über die Stirn.

„Man muss früh aufstehen, hat viel Arbeit und am Ende doch kaum genug zum Leben auf so einer Farm!“, meinte sie und atmete dabei deutlich hörbar aus.

„Ich hatte auch eine Farm“, murmelte Nelson. „Man hat sie mir niedergebrannt!“

Die Frau runzelte die Stirn. „McLeish?“, fragte sie.

Nelson nickte und fuhr sich mit der Linken durch das Haar.

„Ja“, brummte er. „Meine Frau, meine Tochter …“ Er schluckte und wandte den Blick zur Seite. Seine Augen waren rot geworden, die Mundwinkel zusammengekniffen.

„Ich … ich kann verstehen, wie Sie sich fühlen“, erklärte sie. Nelson blickte sie grimmig an.

„So, können Sie das? Können Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn man die Menschen verliert, die einem am wichtigsten sind? Was wissen Sie schon …!“ Die Worte waren kaum über seine Lippen gekommen, da bereute er sie bereits. Nein, dachte er, das hätte ich nicht sagen sollen!