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Jede starke Frau musste meist einen sehr harten Weg gehen, und auch Catalina ist in ein Leben geboren worden, in dem sie keine Wahl hat und das tun muss, was für die Familia am besten ist. Sie fügt sich ihrem Schicksal, doch genau in dieser schweren Zeit entdeckt sie ihre eigene Stärke und dass nicht jeder in diesem neuen Leben, in das sie hineingezwungen wird, ihr Feind ist, auch wenn er dazu geboren wurde.
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Seitenzahl: 338
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Erlebt mit mir
diese ungewöhnliche Geschichte
einer starken Frau
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Selbst in der heutigen Zeit gibt es Sachen, die sich nie ändern.
Es gibt Dinge, die einen tieferen Ursprung haben und egal wie modern alles wird, wie viel Zeit vergangen ist, man kann diese Wurzeln nicht mehr beseitigen. Es gab in jeder Epoche der Zeit Rivalitäten, Verfeindungen, tiefen Hass, Rachegefühle und Kriege, und leider wird sich das auch niemals ändern, da kann sich die Welt noch so schnell drehen, die Häuser können noch so hoch werden und die Menschen sich noch so nahekommen.
Es wird immer gut und böse geben, arm und reich und tiefen Hass, der Menschen entzweit, egal wo auf der Welt es sein mag.
So ist es auch in Lateinamerika, wo sich zwei Familias seit mehreren Generationen bekriegen.
Es ist die Geschichte der Familia Los Rojos, die in Puerto Rico lebt und über ganz Lateinamerika die Macht hat. Über jedes Land, bis auf Kolumbien und Venezuela.
In Kolumbien herrscht die Familia Les Delgardos.
Unterschiedlicher könnten zwei Familias nicht sein. Die Rojos haben viel Geld und mehr Macht als sonst jemand in Lateinamerika. Die Delgardos hingegen sind nicht sehr wohlhabend. Sie leben in einfachen Häusern, betreiben den einfachen Handel, den Familias schon immer betrieben haben. Sie haben nicht die gleichen Möglichkeiten wie die Rojos und doch sind sie die einzige Familia, die den Rojos die Stirn bietet.
Eigentlich könnten sich die Familias aus dem Weg gehen, jeder seine Geschäfte in seinen Ländern betreiben, doch da ist diese jahrelange Feindschaft zwischen ihnen, entstanden vor vielen Generationen bei dem ersten Versuch, Geschäfte miteinander zu machen, der so fehlgeschlagen ist, dass eine halbe Stadt ausgelöscht wurde. Seitdem gibt es immer wieder Krieg, immer wieder greifen sich die Familias an, Attentate werden verübt und beide Seiten erlitten große Verluste.
Besonders schlimm ist es geworden, nachdem die Les Delgardos angefangen haben, doch über ihre Grenzen hinaus in Venezuela zu agieren. Es gab blutige Aufeinandertreffen und es hat lange gedauert, bis sich die Delgardos so stark in Venezuela festgesetzt hatten, dass man sie dort nicht mehr vertreiben konnte.
Nun ist der Krieg so schlimm entfacht wie nie zuvor.
Die Los Rojos müssen Venezuela passieren, um ihren Geschäften mit verschiedenen lateinamerikanischen Ländern nachgehen zu können. Die Les Delgardos haben jedoch nicht vor, dies zuzulassen, gleichzeitig machen sie immense Verluste bei den ewigen Kämpfen und auch die Los Rojos merken, dass nun ein Punkt erreicht ist, an dem man nicht mehr weiterkommt.
Nach vielen Vermittlungsversuchen anderer Geschäftspartner und Familias fand in Kuba das erste Treffen zwischen den Anführern statt:
Alvaro, der die Les Delgardos noch heute leitet, weil er nie einen Sohn bekommen hat und Risa, dem alten Anführer der Los Rojos, der mit seinem ältesten Sohn und jetzigen Anführer Santiago zum Treffen erschienen ist.
Insgesamt hatte jede Familia fünf ihrer engsten Mitglieder dabei und weitere zwanzig neutrale Personen waren anwesend, die alle an einem Waffenstillstand der Familias interessiert sind.
Nach so vielen Jahren des Krieges war es sehr schwer, der anderen Partei überhaupt ins Gesicht zu sehen, doch sie alle wussten, dass es an der Zeit war, die Kampfhandlungen einzustellen, um weitere Verluste auf beiden Seiten zu vermeiden, und so einigte man sich nach fünf Abbrüchen des Treffens und über einer Woche Verhandlungen darauf, dass die Familie der Los Rojos komplett auf Geschäfte in Kolumbien und Venezuela verzichtet und sie den Les Delgardos überlässt.
Die Les Delgardos hingegen belassen es bei den beiden Ländern und die Los Rojos dürfen Venezuela passieren, um weiterzureisen und ihre Waren zu transportieren, mehr nicht. Ansonsten geht man sich aus dem Weg und es herrscht ab sofort ein Waffenstillstand.
Dieses Treffen liegt knapp ein Jahr zurück. Aber auch wenn die Anführer und engsten Vertrauten versuchen, diesen Waffenstillstand einzuhalten, da sie selbst davon profitieren, haben sie so große Familias, dass es trotz allem immer wieder zu Vorfällen kommt und diese die noch nicht völlig erloschene Glut immer wieder neu aufflammen lassen. Weshalb sie sich nun nach einem Jahr wieder treffen, um eine endgültige Lösung zu finden, damit der Waffenstillstand der Familias so fest besiegelt wird, dass niemand sich mehr trauen wird, dagegen zu sprechen und zu handeln. Damit auch jeder weit über die Familias hinaus weiß, dass zwischen ihnen kein böses Blut mehr fließt und jeder seiner Wege geht.
Sie müssen einen Weg dafür finden, dass all die Jahrzehnte des Hasses sich auflösen und man neu beginnen kann, doch dass das nicht so einfach geht und was sie mit solchen Vereinbarungen anrichten …
das ahnt noch niemand von ihnen und genau da ...
beginnt unsere Geschichte ...
»Es gibt nichts, was mir etwas bedeutet, Stefania, wenn du nicht bei mir bist, nichts, verstehst du das? Du bist mein Leben!«
Catalina schließt das Buch und legt sich hin, den Kopf legt sie auf die Schenkel ihre Schwester Natia. Sie sieht in den Himmel und atmet tief aus. »Ich würde alles für einen Mann wie Pablo tun. Stell dir vor, wie stark seine Liebe zu Stefania ist, er wäre für sie gestorben, Natia, kannst du dir das vorstellen?« Catalina wendet ihren Kopf zu Natia um und sieht ihre jüngere Schwester an.
»Milo hat dir doch letztens deine Lieblingsschokolade gebracht, reicht das nicht?« Catalina lacht und sieht wieder in den Himmel, weiße Wolken ziehen sich durch den sonst so blauen Himmel und etwas weiter weg werden sie immer mehr und dunkler.
»Milo ist ein guter Mann, doch denkst du, dass er mich so liebt wie Pablo Stefania?« Natia zuckt mit den Schultern. »Mir würde es reichen, Schokolade zu bekommen.« Catalina atmet tief aus, sie liest ihrer Schwester regelmäßig aus ihrer Lieblingsbuchreihe vor, aber noch immer versteht sie es nicht. »Wie viele Teile musst du noch lesen?«
Vier Männer ihrer Familia kommen an ihnen vorbei, sie nicken ihnen respektvoll zu. »Ihr seid etwas weit weg von unserem Grundstück, passt auf. Soll einer von uns bei euch bleiben?« Catalina schüttelt den Kopf. »Nein, alles in Ordnung. Wir gehen eh bald zurück, aber hier ist sowieso niemand außer uns.« Die Männer sehen sich um, gehen dann aber weiter.
Natia und Catalina sind daran gewöhnt, sie sind die Töchter von Alvaro Delgardo, dem Anführer der Les Delgardos. Sie konnten sich noch nie so wirklich frei bewegen, es ist immer gefährlich, zumindest, wenn sie sich zu weit weg von ihrem Hauptsitz, der Finca Delgardo, wegbewegen.
Catalina und Natia schleichen sich öfter vom Grundstück weg, durchqueren die kleine Stadt, die vor der Finca liegt und gehen zu dem Hügel, auf dem sie auch jetzt sitzen, in den Himmel schauen und das ruhige Leben hier draußen genießen.
Sobald die Männer weg sind, wendet sich Catalina wieder dem Himmel zu. »Das war Band drei, es gibt insgesamt sieben, also habe ich noch einiges vor mir.« Natia beginnt, sich einige von Catalinas Haaren zu nehmen und zu flechten. Natia liebt es, ihr die Haare zu machen und sie ist wirklich gut darin, kunstvolle Frisuren zu zaubern. »Du solltest die Liebe erleben und nicht darüber lesen.« Catalina schließt die Augen und entspannt sich komplett.
»Solch eine Liebe wie in Filmen oder in Büchern gibt es, denke ich nicht, nicht so intensiv zumindest ...« Natia lacht. »Na, du machst mir ja Hoffnungen. Ich denke, du liebst Milo?« Catalina seufzt leise auf. »Ich, ja … klar, natürlich bin ich in ihn verliebt.
Aber wir sind heimlich zusammen, sehen uns selten, können nie frei irgendwo sein, da können sich auch nicht solche starken Gefühle aufbauen wie bei Stefania und Pablo, es ...« Natia deutet ihr, den Kopf zu drehen. »Catalina, Stefania und Pablo gibt es nicht!« Catalina öffnet die Augen wieder, doch sie kommt nicht zum Antworten.
»Catalina! Catalina!« Natia und sie setzen sich sofort auf, als sie die Stimme ihrer Stiefschwester hören und sehen sich verwundert an. Wieso ist Ana hier und wieso sucht sie Catalina? Beide stehen gleichzeitig auf, dass ihre Stiefschwester sie sucht, kommt nie vor. Sie interessiert sich nicht für sie.
»Wieso bist du hier?« Ana ist ganz außer Puste. Sie kommt sehr nach ihrer Mutter und hat schon jetzt ziemlich viele Kurven. Catalina hat sie noch nie rennen gesehen, bis jetzt und sie muss sich zurücknehmen, um nicht über ihr hochrotes Gesicht zu lachen.
»Was mache ich hier? Was macht ihr hier? Wenn Papa erfährt, dass ihr hier seid ...« Catalina bindet sich ihre Haare zu einem hohen Zopf, wobei sich Natias Flechtwerk löst. »Papa ist nicht da und wenn du nicht wie sonst auch immer gleich zu ihm rennst und petzt ...«
Nun hat Ana wieder genug Luft, ihre dunklen Augen funkeln sie wütend an. Ein Anblick, den sie gewöhnt ist. »Er ist vor zehn Minuten angekommen und hat mich geschickt, um dich zu holen. Sofort!« Catalina sieht zu Natia, die genauso wenig versteht was los ist, doch sie folgen Ana, die vorneweg zurück in die Finca stampft.
»Das letzte Mal, als sie sich mit diesen Monstern getroffen haben, waren sie mehrere Tage weg, wieso sind die so schnell wieder zurück und wieso sucht Papa dich? Meinst du, Milo hat endlich mal seinen Mund aufbekommen und gesagt, dass da etwas zwischen euch läuft?«
Daran hat Catalina noch gar nicht gedacht. »Ich hoffe nicht. Ich meine, er muss es ja irgendwann erfahren, doch nicht … ich weiß nicht. Seit wann interessiert es Papa, was eine von uns beiden macht? Wann hat er das letzte Mal mehr als drei Worte mit dir gewechselt?« Natia zuckt die Schultern. Ihr Vater interessiert sich für keine von ihnen besonders. Also was will er jetzt von Catalina?
Sie gehen an den Stühlen der Wachposten vor der Finca vorbei. Hugo hebt seinen Hut und zwinkert ihnen zu. »Ich musste ihr sagen, wo ihr seid. Euer Vater sucht euch überall.« Catalina nickt nur und sieht sich um.
Ihre Finca besteht eigentlich nicht nur aus einem Haus, es sind mehrere Gebäude, die zu einem großen U gebaut wurden. Es gibt das Haus des Anführers, in dem ihr Vater Alvaro mit seiner Freundin Sarita und Catalinas Halbschwestern Ana und Anabel lebt. Ana ist fünfzehn und Anabel zwölf, doch es trennen Catalina, die gerade zwanzig geworden ist und die achtzehnjährige Natia viel mehr von ihren Halbschwestern, als die Jahre, die zwischen ihnen liegen.
Daneben liegt das Haus von Luiz, ihrem Onkel, Alvaros Bruder, der bis heute sein Single-Leben genießt und ständig neue Frauen dort hat. Neben seinem Haus liegt das Haus von Pepe, dem besten und ältesten Freund ihres Vaters. Er lebt dort mit seinen Söhnen Milo und Malik, Milo ist zweiundzwanzig und Malik neunzehn. Beide gehören mit zu den engsten Kreisen und momentan sieht alles danach aus, als würden die beiden später die Familia weiter leiten.
Auf der anderen Seite des Hauses ihres Vaters steht ein kleiner Anbau, in dem ihre Mutter Valentina, Catalina und Natia leben, seit ihr Vater Sarita eines Abends hochschwanger mitgebracht hat. Es ist aber nicht so, dass ihr Vater sie vor die Tür gesetzt hat.
Ihre Mutter ist gegangen, sie wollte nicht eine Sekunde mit dieser Frau zusammenleben, doch sie ist streng katholisch und würde sich nie scheiden lassen, abgesehen davon, dass sie ihren Vater nicht verlassen kann, er würde sie überall finden, deswegen sind sie geblieben, auch wenn ihre Mutter das ihrem Vater nie verziehen hat.
Neben ihrem Anbau gibt es ein großes Haus, in dem die wichtigsten Männer der Familia leben, und dann ist da noch ein Stall mit ihren Pferden und den anderen Tieren. Catalina mag es, hier zu leben, sie kennt nichts anderes. Manchmal sind sie auch auf ihrem neuen Grundstück in Venezuela, doch dort ist es noch immer sehr unruhig wegen der Rojos, deswegen bleiben sie meistens hier in Kolumbien.
Sie sind nicht reich, sie kommen gut über die Runden, doch sehr viel mehr bleibt selten übrig, auch wenn ihr Vater der mächtigste Mann Kolumbiens und Venezuelas ist. Durch die Geschäfte der Los Rojos, die den gesamten lateinamerikanischen Markt und alles darüber hinaus beherrschen, haben sie immer nur so viel verdienen können, dass es gereicht hat, jedoch aber nie zu besonders viel Luxus.
Doch Geld war für ihren Vater noch nie so wichtig wie Macht. So langsam, Stück für Stück, ändert sich das alles allerdings, seit dem Abkommen, das ihr Vater mit den Los Rojos geschlossen hat.
Niemand hat das verstanden. Die Los Rojos sind ihre größten Feinde, sie alle hassen diese Familia. Sie sind der Grund dafür, dass ihre Familia an vielem gescheitert ist. Catalina kannte viele der Männer, die im Kampf gegen die Los Rojos gestorben sind und als ihr Vater den Waffenstillstand ausgehandelt hat, waren einige damit nicht einverstanden, auch Catalina nicht. Lieber verhungert sie, als auf diese Familia Rojos angewiesen zu sein, doch es ist auch nicht so, als würde sie hier jemand nach ihrer Meinung fragen.
Nachdem ihr Vater mit Sarita seine anderen Töchter bekommen hat, waren Natia und Catalina nur zwei weitere Mitglieder der Familia, die durchgefüttert werden müssen.
Ihr Vater interessiert sich eh nicht für seine Töchter, es ist kein Geheimnis, dass er sie alle verflucht, weil er unbedingt Söhne haben wollte, doch er hat bisher nur vier Töchter bekommen und ist darüber nicht sehr erfreut.
Es wird gemunkelt, dass er auf dem neuen Anwesen in Venezuela, dem Land, das nun auch offiziell ihrer Familia gehört, ein junges Mädchen geschwängert hat, das nur fünf Jahre älter als Catalina ist. Er hat die Hoffnung auf einen Sohn wohl noch immer nicht aufgegeben.
Catalina sieht sich nach Milo um. Wieso hat er ihr nicht geschrieben, dass sie wieder da sind? Er hat sich heute noch gar nicht gemeldet. Er war sehr genervt von dem Treffen und dass sie wieder dahin müssen. Er sollte doch glücklich sein, dass es schnell vorbei ist, es sei denn, ihre Schwester hat recht und ihr Vater hat etwas über Milo und sie erfahren.
Sie betreten das Haus, in dem Catalina geboren wurde, in dem sie aber nicht mehr lebt. Nun wird sie es wohl oder übel erfahren.
Ana geht in den großen Wohnraum und Catalina und Natia stocken, als sie in den offenen Bereich treten, in dem eine gemütliche Couch, ein Klavier und zwei Sessel stehen. Was ist hier los? Ihr Vater dreht sich zu ihr um, Pepe und Luiz stehen bei ihm, ihre Mutter, Sarita und Anabel sind auch da.
Auf das Gesicht ihres Vater setzt sich ein zufriedenes Lächeln, er sieht an Catalina hoch und runter. »Da ist sie ja. Natia, schließ die Tür, das hier geht nur die engste Familie etwas an.«
Das ist der Moment, in dem Catalina begreift, dass etwas nicht stimmt, doch sie hätte niemals erahnen können, wie schlimm es wirklich sein wird.
Catalina tritt noch weiter in den Raum und sieht zu ihrer Mutter, die genauso überrascht wie sie zu sein scheint.
»Catalina, meine älteste Tochter, setz dich.« Catalina sieht ihren Vater an, der sich genau vor ihr aufbaut und ihr in die Augen schaut. Es gab eine Zeit, da waren Natia und sie seine Lieblinge. Er hat sie überall mit hingenommen, er ist nach Hause gekommen, hat ihre Mutter glücklich umarmt und geküsst und sie beide danach auf den Arm genommen. Jede auf eine Seite. Doch all das hat sich geändert, als er Sarita mit nach Hause gebracht hat.
Er hat damals erwartet, dass ihre Mutter ihn versteht, doch das hat sie nicht und als sie gegangen ist, hat er sich an ihr gerächt, indem er angefangen hat, seine älteren Töchter, die er so sehr geliebt hat, zu ignorieren. Er hat ihre Mutter damit verletzt, doch das war nur ein kleiner Tropfen auf einem durchnässten Weg.
Catalina weiß, dass es ihren Vater bis heute stört, diese Ablehnung von ihrer Mutter zu erhalten, auch heute noch, nach all den Jahren. Irgendwann hat sich ihr Vater einfach daran gewöhnt, Catalina und Natia kaum mehr zu beachten und auch sie haben sich daran gewöhnt, nicht beachtet zu werden, umso merkwürdiger ist jetzt dieser intensive Augenkontakt.
Sie kann sich nicht daran erinnern, wann ihr Vater sie das letzte Mal so lange angesehen hat. Er hat ihnen beim Vorbeigehen mal einen Kuss auf die Wange gegeben oder ihnen etwas aufgetragen, sie gefragt, wo ihre Mutter ist oder ihnen so etwas gesagt, wie, dass sie keinen Unterricht mehr bekommen, weil sie als Mädchen genug gelernt haben, doch so wirklich beschäftigt hat sich ihr Vater nie mit ihnen.
Ihr Vater ist ein hübscher Mann, um seine dunklen braunen Augen haben sich mit den Jahren einige Falten gebildet, sein Haar schimmert mittlerweile immer mehr grau, obwohl er erst dreiundvierzig Jahre alt ist, doch er sagt immer, dass sie alle ihm seinen letzten Nerv rauben, und solch eine große Familia zu führen, ist auch sehr anstrengend, das hat Catalina selbst oft genug mitbekommen.
Ihr Vater hat eine Narbe an seinem Kinn, damals wollte ihm jemand die Kehle durchschneiden, Catalina weiß es noch ganz genau, denn sie war dabei.
Sie war vielleicht acht Jahre alt, als sie in einem großen Restaurant mit einem riesigen Spielplatz waren, um Anas Geburtstag zu feiern. Sie hat damals nicht mitbekommen, wie der Mann an ihren Vater herangekommen ist, sie weiß nur noch, dass die Männer ihres Vaters ihn weggezogen und aus dem Restaurant getreten haben. Ihr Vater lag am Boden und hat geblutet, der Mann war abgerutscht und es hat ihren Vater nicht schlimm erwischt, doch man sieht bis heute die Narbe.
Er ist fast einen Kopf größer als sie und noch immer ziemlich durchtrainiert, er hat sich frisch rasiert und trägt ein feineres Hemd, was bedeutet, dass er direkt von diesem Treffen gekommen ist. Sie sind aus Kuba direkt zurückgeflogen, und jetzt will er Catalina so dringend sehen, dass er noch nicht einmal Zeit zum Umziehen hatte?
Ihr Vater trägt nie Hemden, nur auf Hochzeiten und um Eindruck zu hinterlassen, aber er wollte unbedingt Eindruck bei seinen reichen Feinden, den Los Rojos, hinterlassen, das weiß sie.
»Ich stehe lieber.« Catalina sieht ihm unbeirrt in die Augen. Sie spürt ihre Mutter und ihre Schwester hinter sich und das stärkt sie. Sarita steht hinter ihrem Vater, ihre Stiefschwestern Ana und Anabel bleiben neben ihrer Mutter. Pepe und Luiz, die sie beide sehr gerne hat, stehen auch bei ihrem Vater, doch wenn Catalina zu ihnen sieht, weichen sie ihrem Blick aus.
»Also gut. Wie du weißt, kommen wir direkt von dem Treffen mit den Los Rojos. Sowohl ihre als auch unsere Familia brauchen den Frieden zwischen unseren Familien. Es ist nicht so, dass wir uns mögen. Ich muss zugeben, dass ich es kaum in einem Raum aushalte mit ihnen, doch als Anführer einer Familia, die größer wird und für die man mehr erreichen will, muss man Entscheidungen treffen und auch mal über seinen Schatten springen.
Das habe ich eingesehen, dein Onkel und auch Pepe und die Anführer der Rojos wissen das. Es gibt nichts Wichtigeres als das! Verstehst du das, Catalina?«
Catalina würde am liebsten mit den Schultern zucken. Diese ganzen Geschäfte und alles andere haben sie noch nie sehr interessiert, doch sie nickt und sieht ihrem Vater in die Augen. »Es ist momentan sehr schwer für die Familias. Wir haben diesen Waffenstillstand ausgehandelt und weiß Gott, das war ein harter Kampf. Doch auch wenn wir … die Anführer und engsten Kreise wissen, dass wir auf diesen Frieden angewiesen sind, um weiterzukommen. Unsere Männer an den Grenzposten, die die Waren verteilen und diejenigen, die auf verschiedene Regionen aufpassen, verstehen dies jedoch noch nicht.
Es passieren ständig noch Dinge, sodass die Glut des Feuers, das jahrzehntelang zwischen den Familias geherrscht hat, nicht erlöschen kann und jeder Funke eine neue Bedrohung darstellt. Hast du eine Vorstellung, was dieser Frieden für uns bedeutet, Catalina?« Ihr Vater beginnt im Raum auf und ab zu laufen und wartet keine Antwort ab.
»Wir brauchen ihn, die ganzen Jahre haben wir gut gelebt, es ist alles in Ordnung, doch wir kamen nicht weiter, weil wir immer wieder Krieg mit den Rojos hatten, immer wieder gab es irgendwo eine Provinz, in der es Kämpfe gab und Tote. Deals sind geplatzt, weil es wieder einen Vorfall gab, wir sind jahrelang nur auf der Stelle getreten.
Die Rojos verfolgen andere Ziele als wir. Sie wollen alles, alle Länder, die ganze Macht, daran haben wir kein Interesse. Wir wollen Kolumbien halten und Venezuela dazu, das war unsere Hauptaufgabe die letzten Jahre. Und jetzt, wo Venezuela unter unserer Kontrolle ist, haben auch wir die Rojos zum ersten Mal in der Hand. Die, die mehr Geld haben als die meisten Scheichs der Welt und auf alle anderen herabsehen, mussten sich mit uns, der einzigen Familia, die ihnen immer die Stirn geboten haben, treffen und verhandeln. Ihnen drohen Millionenverluste, wenn sie die Wege nach Venezuela nicht nutzen können. Also verstehst du, wieso es auf keinen Fall zu einem neuen Entflammen der Glut kommen darf?« Catalina nickt.
Ihr Vater bleibt stehen und lächelt, ein seltener, sehr seltener Anblick. Natia hinter ihr räuspert sich und Catalina ist sich sicher, dass ihre jüngere Schwester so ein Lachen unterdrückt und der mahnende Blick von Pepe zu Natia verrät das auch.
»Deswegen haben wir gestern eine Lösung gesucht, die diese Glut ein für allemal löschen wird, denn niemand ist daran interessiert, dass diese Flammen jemals wieder auflodern. Wir Lateinamerikaner sind da ja ziemlich einfach gestrickt, es gibt nichts Wichtigeres und Heiligeres als eine Hochzeit, die diese beiden Familias zusammenführt, so stark, dass niemand, auch nicht der letzte Trottel in der abgelegensten Provinz noch einmal infrage stellt, dass es keinen Krieg mehr zwischen den Familias gibt.«
Catalina legt den Kopf ein wenig schief, sie versteht immer noch nicht so ganz, was ihr Vater will, doch das Aufkeuchen ihrer Mutter lässt sie aufschrecken. »Niemals!« Ihr Vater ignoriert das.
»Du hast dein Leben und deine Kindheit in unserer Familia verbracht, meine Tochter, du trägst diese feste Liebe wie wir alle in dir und nun ist es an der Zeit, dass du etwas für deine Familia tun kannst. Wir haben beschlossen, dich mit dem Anführer der Rojos zu verheiraten. Es ist die einzige Lösung, die schnell etwas bringt und für immer hält, da waren sich alle einig.«
Catalina erstarrt, sie versteht die Worte ihres Vaters, doch sie weigert sich, sie zu begreifen. Sie weicht zurück und spürt Natia hinter sich, während ihre Mutter auf ihren Vater zustürmt.
»Das wirst du nicht tun, Alvaro. Niemals! Deine älteste Tochter, sie ist die Hübscheste und Klügste deiner Kinder. Sie ist es, die deine Familia einmal leiten kann oder mit einer Heirat innerhalb der Familia alles regelt und du willst sie mit unseren Feinden verheiraten? Mit denen du nicht einmal in einem Raum sein willst? Das meinst du doch nicht ernst!« Ihre Mutter schreit durch den Raum und nun wird auch Catalina wach und begreift, was da gerade passiert. Ihr Vater sieht kalt zu ihrer Mutter.
»Sie ist die Hübscheste meiner Töchter und die Erstgeborene, deswegen wird sie auch nicht irgendjemanden heiraten, sondern den Anführer Santiago Rojo.
Wir tun das für die Familia, aber das hast du noch nie verstanden, Valentina, wir müssen Opfer für die Familia bringen, damit wir vorankommen, das ist ganz normal. Santiago war bei dem Treffen dabei, er sah auch nicht begeistert aus, doch er weiß, dass es sein muss. Er hat nicht einmal nach ihrem Namen gefragt, weil es egal ist. Das ist keine Hochzeit aus Liebe, das ist ein Bündnis zwischen zwei Familias, das niemand infrage stellt.
Santiago wird Catalina gut behandeln, um das Bündnis nicht zu gefährden und deine Tochter lebt in Zukunft in San Juan, in den teuersten Häusern der Welt und wird in Ruhe gelassen. Sie werden sich aus dem Weg gehen und der Zusammenschluss der Familias ist perfekt.«
Sarita klatscht in die Hände. »Eine Hochzeit, wie wunderbar, endlich wieder etwas zu feiern. Wann ist es soweit?« Ihr Vater sieht zufrieden zu seiner Freundin, Ana und Anabel grinsen beide über das ganze Gesicht.
Sie beide haben den ausgeprägten Kiefer ihrer Mutter und sehen ein wenig nach Pferden aus, wie es Natia immer so gerne beschreibt und noch nie hat Catalina solch einen Hass in sich gespürt wie jetzt, wo sie in deren zufriedene Gesichter sieht.
»Die Hochzeit ist in drei Wochen. Sie findet auf neutralem Boden in Kuba statt, genau wie das Treffen. Ihr heiratet und alle gehen wieder ihren Weg, nur dieses Mal mit der Gewissheit des Friedens, nur dass du dann bei einer anderen Familia bist.«
Nun kann sich Catalina nicht mehr zurückhalten und kommt ihrer Mutter zuvor, die ihren Vater wieder anschreien wollte. »Eine andere Familia? Wir hassen die Rojos! Ich habe nicht eine gute Sache von ihnen gehört und sie hassen mich. Möchtest du, dass ich ein Leben lang mit einem Mann lebe, der mich hasst? Dass ich niemals Kinder haben werde, weil wir nur wegen irgendwelcher Verträge verheiratet sind? Willst du das für deine Tochter?«
Ihr Vater lacht und kommt näher zu Catalina. »Mein Kind, du bist unglaublich schön, du hast die Schönheit deiner Mutter geerbt und durch die Liebe, die zwischen uns geherrscht hat, sind deine Schwester und du von Gott mit allem gesegnet worden, was es gibt.
Doch nun bist du erwachsen und musst dich auch so verhalten. Ich lebe auch mit einer Frau zusammen, die mich hasst und sieh mich an: Es könnte schlimmer sein. Komm nicht auf die Idee, Santiago zu nah zu kommen. Sie sind unsere Feinde und werden es immer bleiben. Ich werde niemals ein Enkelkind mit dem Blut dieser Bastarde akzeptieren, geh ihm aus dem Weg und er wird dir aus dem Weg gehen und haltet diesen Waffenstillstand am Laufen, mehr nicht!«
Catalina atmet heftig ein und aus, als sie kapiert, dass ihr Vater das absolut ernst meint. »Catalina, vielleicht solltest du dich erst einmal beruhigen und das alles sacken lassen ...« Pepe will sie hinausbringen, doch ihre Mutter stürzt sich auf ihren Vater und schlägt mit ihren Fäusten auf ihn ein.
»Das verzeihe ich dir nie, bei Gott, du bist ein Monster. Du verkaufst deine eigene Tochter an die schlimmsten Menschen, die es gibt. Töte uns beide lieber, als uns so qualvoll und langsam sterben zu lassen. Ich lasse das nicht zu, niemals wird sie ...« Mit einem heftigen Schlag stößt ihr Vater ihre Mutter von sich. Sie prallt gegen die Steinmauer und stöhnt schmerzvoll auf.
Sarita lacht und Luiz geht zu ihrer Mutter, um ihr aufzuhelfen, auch Natia stürzt zu ihr, erst da sieht Catalina, wie blass ihre junge Schwester ist und dass sie weint. Catalina fasst in ihr Gesicht und spürt, wie nass ihre Wangen sind, auch sie weint, doch sie fühlt nichts mehr, gar nichts. Sie ist wie in einer Schockstarre, während Pepe sie hält und hinauszubringen versucht, doch ihr Vater sieht ihr noch einmal in die Augen und hebt mahnend den Finger.
»Ich warne dich … euch alle drei! Deine Mutter und deine Schwester bleiben bei mir und ich schwöre dir, dass ich sie für jeden falschen Schritt, den du tun wirst, so hart bestrafen werde, dass du dir wünschtest, nie geboren zu sein. Verstehst du das, Catalina? Vielleicht ist die Familia dir egal, doch ich weiß genau, dass es die beiden nicht sind!«
Catalina setzt an, ihrem Vater etwas entgegenzuschreien, doch Pepe bringt sie hinaus. »Versuch, ruhig zu atmen, Catalina, sieh mich an.« Catalina sieht dem langjährigen Freund ihres Vaters in die Augen, doch sie kann sich nicht beruhigen. Sie kann das alles nicht fassen, bis vor einigen Minuten war ihre Welt noch völlig in Ordnung und nun hat sich alles geändert, sie bekommt keine Luft mehr. »Atme, Catalina, ich bringe dich in eure ...«
Sie hält ein. »Wo ist Milo?« Pepe senkt den Blick, er weiß, dass Milo und Catalina Gefühle füreinander haben. »Er ist von der Finca weggeblieben, er hat gesagt, er braucht ein wenig Zeit …« Es ist wahr, all das ist kein böser Scherz, sie bildet sich all das nicht nur ein, es ist wie ein wahr gewordener Alptraum.
Catalina macht sich von Pepe los. »Ich brauche Luft!« Ohne noch auf irgendetwas zu achten, läuft sie nach draußen, direkt zu den Ställen und holt ihre Stute Esperanza. Zwei Männer wollen fragen, wo sie hinmöchte, doch sie sehen ihr ins Gesicht und dann betrübt weg. Sobald Catalina auf dem Rücken ihrer alten Freundin sitzt, galoppieren sie los.
Catalina treibt Esperanza immer weiter an, sie fliegen fast durch die Felder, die warme Sonne brennt und der Luftzug wirbelt Catalinas Kopf frei. Als sie am Ende des Hügels halten, bricht sie auf dem Rücken des Pferdes zusammen und begreift, was ihr Vater ihr da gerade gesagt hat.
Catalina wacht auf und atmet schneller, nein, das muss ein Traum sein, ein böser Alptraum, doch als sie sich umblickt und neben sich Natia auf dem Bett liegen sieht, weiß sie, dass es kein Alptraum ist. Sie schließt die Augen wieder, wie so oft in den letzten zwei Tagen. Sie hat nichts anderes getan, als im Bett zu liegen, zu schlafen, zu weinen und zu hoffen, aus diesem Alptraum aufzuwachen, dass ihr Vater ins Zimmer kommt und sagt, all das war nur ein dummer Scherz, doch sie weiß, dass das nicht passieren wird, egal wie sehr sie es hofft.
Ihre Mutter hat hin und wieder solche Tage, die Ärzte sagen, es sind Depressionen. Sie bleibt tagelang im Bett, isst kaum und will niemanden sehen und dann ist sie wieder da, steht in der Küche und kocht, als wäre nichts gewesen. Catalina hat sie erklärt, dass das wegen ihres Vaters ist. Er hat ihr damals das Herz gebrochen und seitdem kommen sie immer mal wieder, diese Tage, wo sie sich ins Bett legt und nichts mehr hören oder sehen möchte.
Seit sie es erfahren haben, seit ihr Vater ihnen gesagt hat, was er hinter ihrem Rücken für Vereinbarungen getroffen hat, liegt Catalina im Bett und dämmert vor sich hin, auch ihre Mutter hat seitdem ihr Schlafzimmer nicht mehr verlassen. Catalina war dabei, als sie zusammengebrochen ist, sobald sie hier in der Wohnung waren, und statt selbst zusammenzubrechen, musste sie in dem Moment für ihre Mutter stark sein, solange, bis sie selbst nicht mehr konnte, denn all das geht um sie.
Ihr Leben, ihre Zukunft oder die, die sie nun nicht mehr hat, denn sie wird gezwungen, jemanden zu heiraten, dessen Familie und er sie abgrundtief hassen. Sie wird dazu verdammt, ein Leben zwischen Menschen zu verbringen, die sie nicht wollen, die sie nur aufgrund irgendwelcher Verhandlungen dulden, die sie nicht kennt und sicherlich nie richtig kennenlernen wird.
Catalina will sich gar nicht vorstellen, wie ihr Leben in Puerto Rico aussehen wird, wahrscheinlich wird sie in irgendein Zimmer gesperrt und hin und wieder etwas zu essen bekommen.
Es sind so viele Dinge, die Catalina durch den Kopf gehen, ihre Gedanken rasen, doch sie fühlt sich müde und erschöpft, erschlagen von dem Schicksal, das ihr aufgebürdet wird.
Natia wandert immer zwischen ihren Zimmern hin und her, doch sie sagt nichts, sie findet keine Worte für das, was ihnen bevorsteht, was Catalina bevorsteht und was sie für eine Zukunft erwartet.
Es ändert nichts, das wissen sie alle genau. Ihren Vater interessiert es nicht, was sie machen. Es ist nicht so, als würde er sie oder ihre Mutter nicht lieben, zumindest ihre Mutter liebt er über alles, das wissen sie, das wissen alle und genau deswegen ist er so hart zu ihnen. Was für ein kranker Widerspruch, doch genau das ist ihr Vater.
Er liebt sie, doch er liebt die Familia mehr und das hat alles kaputt gemacht.
Eine Sache war so und wird immer so sein:
Wenn ihr Vater etwas sagt, weicht er davon nicht mehr ab. Er ist der sturste Mensch, den Catalina kennt, sie wäre nie so naiv zu glauben, er könnte sich das mit der Hochzeit noch einmal überlegen, niemals! Nicht ihr Vater!
Er hat Natia und ihr damals erzählt, dass er ihre Mutter gesehen und sie vom ersten Moment an geliebt hat. Ihr Vater war, wie jetzt auch, überall bekannt und ihre Mutter die schöne Tochter eines einfachen Bauers, die er damals zufällig bei der Ernte ihrer Felder gesehen hat.
Er hat lange um sie kämpfen müssen, Pepe hat erzählt, dass er fast seinen Verstand verloren hat, weil dieses hübsche Bauernmädchen ihn immer wieder von sich gestoßen hat und alle anderen ihn unbedingt heiraten wollten. Doch ihre Mutter ist ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Sie hat sehr helle Haare, fast schon blond, was in ihrer Familia oft vorkommt, da sie angeblich Vorfahren aus Schweden haben, was sich Catalina allerdings weniger vorstellen kann, doch zumindest existieren diese Gerüchte. Ihre Augen haben einen ungewöhnlichen Ton, es ist eine Mischung aus grün und blau und sie hatte schon immer einen starken Willen.
Ihr Vater aber hat um Valentina gekämpft und am Ende ihr Herz gewonnen. Sie haben geheiratet und glücklich auf der Finca gelebt. Valentina ist das Leben in der Familia nie leicht gefallen, weil alles andere immer hintenan stand, doch sie hat Alvaro geliebt und einiges akzeptiert, um mit ihm an ihrem Glück zu arbeiten.
Ihre Mutter spricht selten über diese Zeit, doch ihr war es immer wichtig, dass Catalina und Natia wissen, dass sie in Liebe entstanden sind. Damals war noch alles in Ordnung.
Ihr Vater war sehr stolz auf seine Töchter, das weiß Catalina auch. Sie kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als alles noch anders war. Als ihr Vater sie ständig um sich herum hatte, so wie er jetzt seine anderen beiden Töchter um sich hat. Er tut das, um ihre Mutter zu verletzen, dabei war er es, der all ihr Glück kaputt gemacht hat.
Nach der Geburt von Natia wurde ihrer Mutter die Gebärmutter entfernt, weil es Komplikationen gab. Wie sehr Alvaro Valentina auch geliebt hat, es ging oder geht immer noch um seine Nachfolge in der Familia, er braucht einen Sohn, der all das übernimmt, doch das ging nun nicht mehr und sobald ihm das klar war, hat er angefangen, Stück für Stück die Frau, die er liebt und alles, was sie sich aufgebaut haben, zu zerstören.
Richtig kaputt gegangen ist es, als er Sarita nach Hause gebracht hat, schwanger mit Ana, nur wusste das zu dem Zeitpunkt noch niemand. Ihr Vater war der festen Überzeugung, endlich einen Nachfolger zu bekommen, während für ihre Mutter der Glaube an ihre Liebe von einer Sekunde zur anderen gestorben war.
Catalina kann sich an diese Zeit noch gut erinnern, es gab viel Streit. Ihr Vater hat nicht verstanden, dass ihre Mutter ihm vorwirft, die Zukunft der Familia zu sichern, er hat Sarita bei ihnen wohnen lassen und ihre Mutter wollte mit Catalina und Natia gehen.
Catalina weiß noch, wie sie in diesen Tagen weggefahren sind und die Männer ihres Vaters sie zurückgeholt haben. Ihre Mutter wollte mit ihnen fliehen. Sie wissen jetzt, dass das unmöglich ist. Nicht hier in Kolumbien, sie kommen hier nicht heraus. Ihr Vater ist Kolumbien.
So ist es gekommen, dass sie in den kleinen Anbau gezogen sind, ihre Mutter und ihr Vater haben nie wieder in einem Haus zusammen geschlafen. Die ersten paar Jahre hat ihre Mutter nicht einmal mehr mit ihrem Vater gesprochen und sie hat gelacht, als er statt zwei Söhnen wieder zwei Mädchen bekommen hat.
Catalina war dabei, als ihr Vater ihre Mutter immer wieder versucht hat milder zu stimmen, er hat sie sogar um Verzeihung gebeten, doch ihre Mutter hat ihm gesagt, dass das nicht zu verzeihen ist, und irgendwann ist ihr Vater nur noch wütender und wütender geworden und hat ihr gesagt, dass am Ende ihre Töchter unter dem sturen Verhalten ihrer Mutter leiden werden und von dem Tag an hat er sie kaum noch beachtet.
Er straft so ihre Mutter, denn tief in seinem Herzen verletzt es ihn bis heute, ihre Ablehnung zu spüren. Selbst Sarita weiß, dass sie nur ein billiger Ersatz für ihre Mutter ist … und nicht mal ein besonders hübscher, deswegen freuen sie und ihre Töchter sich über alles, was Valentina, Catalina und Natia widerfährt und sie kann sich bildlich vorstellen, wie sehr sie sich freuen, nun endlich eine von ihnen loszuwerden.
Catalina atmet tief aus und setzt sich auf. Es wird Zeit, etwas zu tun, irgendetwas. Sie weiß, dass sie ihren Vater nicht umstimmen kann, sie dieser Vereinbarung nicht entkommen wird, nicht ohne das Leben ihrer Schwester und ihrer Mutter zu gefährden. Sie traut ihrem Vater alles zu, er liebt sie, doch sie hat jahrelang gespürt, zu was er alles fähig ist, wenn man sich ihm widersetzt. Natia liegt zusammengerollt neben ihr und Catalina streicht ihre langen schwarzen Haare zur Seite. Ihre jüngere Schwester kommt mehr nach ihrem Vater, sie hat wunderschöne lange, schwarze Haare, die ihr dicht in großen Wellen auf die Schulter fallen. Catalina sieht auf ihr hübsches Gesicht.
Sie haben beide die herzförmigen Lippen ihrer Mutter und die feine Nase, Natia hat die Grübchen ihres Vaters auf den Wangen und die etwas dunklere Haut aus seiner Familie. Catalina und Natia sind sehr eng zusammen aufgewachsen. Sie schlafen schon immer in einem Zimmer und sind jeden Tag zusammen, Catalina möchte gar nicht daran denken, dass das jetzt vorbei ist.
Sie geht ins Bad und in die Dusche, als sie das Wasser aufdreht, keucht sie auf. Es ist nur lauwarm, es muss jemand die Wasserboiler aufgebraucht haben. Garantiert haben Ana oder Anabel wieder gebadet. Deswegen duscht sich Catalina nur kurz, trocknet sich ab und zieht sich ein dunkelblaues Top und eine Leggins an, die ihr bis über die Knie gehen. Sie schlüpft in ihre Flipflops und sieht in den Spiegel.
»Sie ist die Hübscheste meiner Töchter und die Erstgeborene, deswegen wird sie auch nicht irgendjemanden heiraten, sondern den Anführer Santiago Rojo. Wir tun das für die Familia, aber das hast du noch nie verstanden, Valentina, wir müssen Opfer für die Familia bringen ...« Das sind die Worte ihres Vaters, die Catalina wohl nie wieder vergessen wird.
Sie sieht in den Spiegel und schüttelt den Kopf, sie weiß noch, als sie kleiner war und ihr Vater sie immer stolz auf seinen Schultern getragen hat, alle haben ihm immer wieder gesagt, was für eine hübsche Tochter er doch hat und er hat ihr immer wieder gesagt, dass sie Besonderes und für etwas ganz Großes bestimmt ist. Catalina hätte nicht gedacht, dass es so endet, indem er sie an seinen Feind zum Austausch für Frieden verkaufen wird.
Catalina sieht sich genau im Spiegel an. Sie hat hellbraune Haare, es ist ein karamellartiger Ton und genau wie auch Natia hat sie dichte, wellige Haare, die ihr bis zu den Rippen gehen. Sie weiß noch, wie Ana immer versucht hat, sie sich so zu färben, doch es ist ihr nie gelungen. Sie hat die helle Haut ihrer Mutter, egal wie viel Catalina in die Sonne geht, sie ist immer heller als alle anderen und sie hat genau wie ihre Mutter und ihre Schwester diese großen mandelförmigen Augen mit den langen Wimpern. Ihre Mutter hat blaugrüne Augen, ihre Schwester die dunklen Augen ihres Vaters und genau wie bei den Haaren ist Catalina eine Mischung, sie hat braune Augen, doch nicht so dunkel wie die ihrer Schwester und ihres Vaters, auch sie haben eher einen Karamellton.
Natia und sie haben beide die feinen Gesichtszüge ihrer Mutter. Catalina ist keine Frau, die sich viele Gedanken über ihr Aussehen macht, doch da sie immer im ständigen Vergleich mit Ana und Anabel gelebt haben und die beiden die volle Aufmerksamkeit ihres Vaters genießen durften, war Catalina immer stolz darauf, dass das eine Sache ist, die sie ihren Stiefschwestern voraus hat, die beide sehr nach der kräftigen, dunklen Mutter kommen und genau wie sie einen kräftigen Kiefer haben. Natia und sie haben sie immer Pferdegesichter genannt, bis ihr Vater das gehört hat und sie beide richtig schlimmen Ärger bekommen haben.
Was würde sie jetzt dafür geben, nicht aus allen Schwestern herauszustechen, warum kann seine Wahl nicht auf Ana fallen? Ihr Vater kann doch nicht nur nach dem Aussehen entschieden haben, der Anführer der Rojos wird sie sicher niemals eines Blickes würdigen, wieso ist das so wichtig? Ihrem Vater muss doch klar sein, wie sehr der Mann, den sie heiraten soll, Catalina hassen wird.
Allein wegen der Familia, aus der sie kommt. Sie wird nicht einen glücklichen Tag an seiner Seite haben, das wird niemals eine Ehe sein, doch wahrscheinlich schreckt dieser Gedanke ihren Vater nicht ab. Seit fünfzehn Jahren spricht seine Frau kaum mehr mit ihm. Catalina hat noch viele Fragen, was hat sie schon zu verlieren? Es wird Zeit, dass sie diese Fragen stellt und Antworten bekommt.