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Es geht ein weiteres Mal nach Sierra und dieses Mal wird alles, woran ihr bisher geglaubt habt, auf den Kopf gestellt. Langsam kehrt Ruhe in Sierra ein. Auch wenn die junge Generation schon viele ihrer Geschäfte führt, haben Paco und die anderen noch genug zu tun, doch sie genießen auch ihre wiedergewonnene Freiheit. Sie haben gelernt, mit dem, was ihnen in Kolumbien passiert ist, zu leben. Erst als ein Foto auftaucht, gerät alles wieder ins Wanken.
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Seitenzahl: 353
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Folgt mir ein weiteres Mal nach Sierra ...
»Guten Morgen Padre, vielen Dank noch einmal für die Unterkunft, ich habe Sie seit meiner Ankunft leider nicht mehr gesehen, um mich persönlich zu bedanken.«
Der alte Mann sieht von seiner Gartenarbeit hoch in das Gesicht ihres neuesten Klosterzuganges in den Bergen Kolumbiens.
»Dafür brauchst du mir nicht zu danken. Gott hat dich zu uns geschickt und ich hoffe, dass du hier die Ruhe findest, die du brauchst und wieder auf den richtigen Weg findest.«
Der Mann, der neu zu ihnen gefunden hat, versucht sein altes Leben hinter sich zu lassen. Er ist nicht der Erste, der in Trauer oder aus Angst vor seinem Leben zu ihnen geflüchtet ist, einige brauchen nur ein paar Tage Ruhe, andere finden ihren Weg zu einem neuen Leben und zu Gott und bleiben bei ihnen.
»Ich weiß, doch ich möchte mich gerne mit meiner Hilfe bedanken. Morgen fahre ich mit Padre Erikson auf den Markt und helfe ihm auch dabei, die Holzvorräte aufzufüllen. Ich hoffe, ich kann so etwas dazu beitragen und mich für das Bett und die Mahlzeiten bedanken.«
Der alte Mann lächelt nur und nickt.
»Ach so und noch etwas, Padre: Sie wissen ja, dass ich früher einmal als Psychologe gearbeitet habe. Padre Ortiga hat mir von dem Arbeiter erzählt, der seit einigen Jahren bei ihnen lebt und der sein Gedächtnis nach einem Autounfall verloren hat. Ich habe mit ihm zwei Sitzungen gemacht. Padre Ortiga sagt, dass der Mann sich an nichts erinnern kann. Sie haben ihn damals aus dem Krankenhaus geholt, nachdem sie verständigt wurden, dass dort ein Mann liegt, von dem niemand weiß, wohin er gehört. Doch seine Tattoos und alles andere zeigen klar, dass er ein Leben vor dem Unfall gehabt haben muss und nach einigen Stunden der Überredungskunst habe ich es geschafft, ihn in Trance zu versetzen.«
Der alte Mann setzt seine Harke ab und schüttelt den Kopf.
»Wir hatten das schon einige Male besprochen. Ich weiß, dass Padre Ortiga sich oft Gedanken wegen dem Mann macht, doch die Ärzte haben uns gesagt, dass wir ihn in Ruhe lassen sollen. Meistens kommt das Gedächtnis ganz von alleine wieder. Er lag eine Weile im Koma und wenn Gott will, kommen seine Erinnerungen wieder. Er träumt schlecht und wir sind uns sicher, dass er sich eines Tages wieder erinnern wird, doch wir drängen ihn nicht. Die Ärzte haben davor gewarnt, dass das noch mehr Schäden verursachen könnte.«
Der Mann nickt. »Das stimmt, das weiß ich. Meistens kommen die Erinnerungen von alleine wieder, durch Orte, Gerüche, durch einiges Vertraute. Man spricht von einer Blockade im Kopf, die sicherlich durch den schweren Unfall entstanden ist. Doch diese Therapie, die ich mache, ist sehr sanft und ich passe auf. In der ersten Sitzung bin ich nur ganz leicht in sein Bewusstsein getreten und er hat sofort alles blockiert.«
Der alte Mann sieht nach oben zum Hang, wo der Mann, der seit über zwei Jahren bei ihnen lebt und von dem sie nicht einmal seinen richtigen Namen kennen, die Holzbalken von einem zum anderen Haufen trägt.
Er verrichtet hier die schwersten Arbeiten, er trainiert und geht jeden Tag laufen, er ist immer höflich und hilft, wo er kann, doch ansonsten schweigt er. Auch wenn er selbst sich nicht an sein früheres Leben erinnern kann, so zeigt die Traurigkeit in seinen Augen deutlich, dass der Mann vielleicht noch gar nicht bereit dafür ist, wieder Zugang zu seinen Erinnerungen zu bekommen.
»Allerdings habe ich es gestern Abend noch einmal probiert, Padre, und alles, was der Mann gesagt hat, war ein Name. Ich vermute, dass es eine Stadt ist. Er hat immer und immer wieder diesen einen Namen geflüstert: Sierra.«
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
»Sag mal, kann es sein, dass du das alles mit den beiden Familias nicht ernst nimmst?«
Sie steckt ihr Telefon ein. »Wenn du wüsstest, wie oft ich das schon gehört habe«, antwortet sie leise. Er weiß einfach nicht, wie er mit ihr umgehen soll, doch eigentlich schon, nämlich gar nicht, aber das hat sich scheinbar erledigt, als er wie ein Vollidiot hinter ihr hergelaufen ist.
»Paco, das ist doch ...«, beginnt sie, doch dann kommt ihr scheinbar eine Idee. »Weißt du was? Soll ich dir zeigen, was ich glaube oder woran ich glaube?« Er zieht die Augenbrauen hoch; keine gute Idee, noch mehr Zeit mit ihr zu verbringen.
»Komm Paco, ich zeige dir meine Sicht, ich will wissen, was du davon hältst, denn abstreiten kannst du das nicht.« Was bleibt ihm anderes übrig, als Bella zu folgen? Er ist gespannt, wie ihre Sicht ist, vielleicht wird er so schlauer aus dieser Frau. Während sie ihn zum Schulgebäude bringt, mustert er sie von der Seite. »Hast du gar keine Angst, mit mir alleine zu sein? Immerhin bin ich ein Surena.« Sie lacht und führt ihn eine Treppe hoch.
»Du bist nicht ein Surena, du bist der Anführer der Surenas. Glaub mir, Paco, ich weiß, wer du bist!« Bella bleibt eine Stufe vor ihm stehen und wirbelt zu ihm herum, sodass sie auf Augenhöhe sind.
»Sehe ich so aus, als hätte ich Angst?« Durch eine Laterne, die von draußen hereinstahlt, werden ihre Augen angeleuchtet, die unglaublich funkeln. Bevor er etwas sagen kann, wirbelt sie wieder herum und läuft weiter. »Wenn du mir etwas antun wolltest, hättest du schon deine Chance gehabt.«
Er bleibt kurz stehen und schaut ihr hinterher und somit auf ihren runden Po. Erst als sie aus seinem Sichtfeld gerät, geht er schnell hinterher. Die Frau macht ihn fertig. Nachdem sie mehrere Stockwerke hochgegangen sind, bleibt Bella vor einer Tür stehen und dreht sich wieder zu ihm um, sie kaut kurz auf ihrer Unterlippe.
»Das ist mein geheimer Lieblingsort, ich habe noch nie jemanden hergebracht, nicht mal meine beste Freundin weiß, dass ich mich hierher zurückziehe.« Sie zeigt mit dem Zeigefinger auf Paco. »Das bleibt unter uns.« Er muss grinsen. »Versprochen!« Sie lächelt zurück. »Ein Abkommen zwischen einem Surena und einer Trez Punto … wer hätte das gedacht.« Bevor er etwas erwidern kann, öffnet sie die Tür und sie treten auf das Dach der Uni.
Es gibt nichts als eine große Fläche, die mit Kies ausgelegt ist, ein paar Schornsteine ragen leicht heraus. Paco muss leise lachen. »Wow, ich hätte mehr erwartet.« Sie lacht auch. »Weil du das Offensichtliche nicht siehst. Komm mit.« Sie nimmt seinen Unterarm und führt ihn an einen zugemauerten Schornstein, auf dem sie vermutlich öfter sitzt, wenn sie die Mandarinenschalen weggeworfen hat.
Sie stellt ihn vor dem Schornstein ab und stellt sich selbst auf den Schornstein hinter Paco und hält ihm die Augen zu. »Okay, Paco ...« Er muss grinsen, als sie sich an sein Ohr beugt, sie riecht umwerfend süß. »Bist du bereit, meine Sicht zu sehen, was ich über diese Trez Puntos und Les Surenas-Sache denke?« Sie öffnet seine Augen, beugt sich über seine Schulter und zeigt zur östlichen Seite.
»Dort leben die Trez Puntos«, sie zeigt in die Mitte, »neutraler Boden«, und sie zeigt auf das Surenas-Gebiet. Hier an dieser Stelle des Daches hat man über alle Gebiete einen Ausblick, sie hat sich diese Stelle auf dem Dach bewusst gesucht. Bella zeigt auf den Himmel, wo der Vollmond hell leuchtet und tausend Sterne funkeln. »Wir alle leben in der gleichen Stadt, Paco. Sie ist nur durch euch getrennt, aber etwas könnt ihr nicht verhindern. Wir alle sehen in den gleichen Himmel, zum gleichen Mond, auch wenn ihr dagegen kämpft, im Grunde kommen wir alle aus einer Stadt.« Paco schaut auf die tausend Sterne und muss leise lachen.
Paco muss an damals denken, während sie dem Direktor der Uni auf das Dach folgen. Er war ewig nicht mehr hier. Als er Bella damals kennengelernt hat, war sie ständig hier oben, wenn er sie mal nicht gefunden hat, hat er als Erstes immer auf dem Dach der Uni nachgesehen.
»Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich mich an Sie gewandt habe, doch ich dachte, dass es auch für die Familias wichtig ist, was zur Zeit hier passiert.« Juan wendet sich einen Moment zu Paco um, sie haben schon seit einigen Wochen immer mehr mitbekommen, dass es Probleme mit Drogen gibt, vor allem unter den Jugendlichen und den Studenten.
Ihre Familia hält sich aus dem Drogenhandel komplett heraus, sie wissen, wer hier mit Drogen handelt und haben das auch immer im Blick, doch sie haben sich noch nie um diese Geschäfte gekümmert, das haben sie auch weiterhin nicht vor. Vor einigen Wochen gab es die ersten Toten nach einer Party in der Nachbarstadt, und nach und nach sind auch hier immer wieder Menschen gestorben, nachdem sie Drogen zu sich genommen haben. Natürlich passiert so etwas immer mal wieder, doch die Fälle häufen sich hier in der Umgebung und das hat auch sie aufhorchen lassen.
»Unser Hausmeister musste heute auf das Dach, um die Gitter der Abzugshauben neu zu montieren, weil immer wieder Probleme aufgetaucht sind in letzter Zeit und da hat er einiges entdeckt.« Eigentlich würden sich ihre Söhne und Neffen darum kümmern, doch sie sind alle gerade nicht da. Leandro, Damian, Sanchez und Miguel sind mit ihren Freundinnen nach Mexiko geflogen, sie treffen dort Geschäftspartner und machen auch gleich Urlaub. Die anderen sind überall verstreut unterwegs, deswegen sehen sich Paco und Juan die Sache hier mal an, nachdem der Direktor sich heute morgen panisch bei ihnen gemeldet hat.
Paco muss lächeln, als er das Dach nach so langer Zeit wieder betritt und sieht auf die Stadt hinaus, die damals noch in Zonen aufgeteilt war. Diese Zonen gibt es nun nicht mehr. Selbst die Tijuas gehören nun komplett zu ihrer Familia, sie sind noch eine eigene Familia, doch sie alle teilen sich Sierra. Auch sein Schwiegersohn hat ihn schon wegen der Drogenprobleme angesprochen, doch bisher hat er ja selbst noch keine Antwort darauf gefunden.
»Der Hausmeister hat das gefunden.« Er öffnet einen Schacht und deutet auf mehrere Päckchen Tabletten, die in einer Tüte in den Schacht geklebt sind. »Sind die Schächte nicht verschlossen?« Juan sieht auf das Gitter des Schachtes. »Doch, aber mit einem Schraubenzieher kann man die ohne Probleme jederzeit öffnen. Dass wir die Tabletten hier gefunden haben, ist eher Zufall, doch jetzt wissen wir nicht, was wir damit tun sollen. Es gab schon immer Dealer, doch sie haben nie ihre Drogen bei uns versteckt, wieso sollten sie das tun? Die einzige Erklärung, die ich habe, ist, dass vielleicht einer unserer Studenten etwas damit zu tun hat. Und da in den letzten drei Wochen vier Studenten aus unserer Universität an einer Überdosis gestorben sind und keiner dieser Studenten wirklich viele Drogen konsumiert haben soll, habe ich gedacht, ich schalte Ihre Familia gleich ein. Ich weiß, dass Sie mit den Drogen nichts zu tun haben, doch einige der Familia besuchen ja auch unsere Universität, allen voran auch Ihre Tochter, deswegen dachte ich ...«
Paco unterbricht ihn. Er hasst es, wenn jemand über Latizia im Zusammenhang mit etwas Gefährlichem spricht, das wird sich sicher niemals ändern. »Das war auch eine gute Entscheidung, uns ist das alles auch schon aufgefallen, wieso haben Sie die Drogen nicht rausgenommen? Gibt es hier noch mehr?« Der Direktor geht einige Schritte zurück.
»Ich fasse die nicht an. Wenn ich die hier wegnehme, habe ich nachher irgendwelche Leute, die hinter mir her sind. Ich habe ...« Paco sieht zu Juan und schüttelt den Kopf, während er in den Schacht hineingreift und die Tüten abreißt. »Dann sagen Sie, dass ich es war und wer ein Problem damit hat, sich gerne bei uns melden kann. Gibt es noch mehr?« Der Direktor schüttelt den Kopf. »Nein, der Hausmeister hat alles abgesucht.«
Paco sieht sich noch einmal um und schaut auf die Tüte in seiner Hand. »Okay, wir werden mal sehen, was wir rausbekommen, versuchen Sie solange, die Universität so gut es geht in den Griff zu bekommen. Wie Sie schon gesagt haben, einige Mitglieder unserer Familia besuchen auch diese Universität und Sie wissen, wie wichtig es uns ist, dass sie sicher sind.«
Der Direktor nickt und Juan geht schon vor nach unten. Paco folgt seinem Schwager, der sich auf den Treppen zu ihm umwendet. »Ich habe ein komisches Gefühl bei der Sache, irgendetwas stimmt hier nicht.« Paco sieht zu den vielen unterschiedlichen Pillen und atmet tief aus. Auch er ahnt, dass sie vor einem neuen Problem stehen.
Von der Universität fahren Juan und Paco direkt zu den Tijuas. Adán hat das Haus, in dem er nun mit Latizia lebt, gerade erst etwas erweitert, sie bauen noch ein oberes Stockwerk. Latizia möchte unbedingt Kinder, sie will erst ihr Studium beenden, doch dann soll es so weit sein. Paco war eine Weile nicht mehr hier und sieht erstaunt, dass sein Schwiegersohn schon ziemlich weit gekommen ist.
Als sie jetzt halten, kommt Latizia gerade aus dem Haus, in dem Musa und Dilara zusammen leben, und sieht verwundert zu ihnen. Sie gibt ihm und ihrem Onkel einen Kuss und umarmt sie, bevor sie sie ins Haus bittet. »So überraschender Besuch? Ich hoffe, ihr habt mich nur vermisst und es ist nichts passiert. Da ich aber erst vor wenigen Stunden zuhause war, tippe ich auf Letzteres.«
Latizia hat zwei Schüsseln mit Salat im Arm und stellt diese in der Küche ab, während sich Paco auf die Couch und Juan sich ihm gegenüber setzt. »Wir vermissen dich immer, Princesa, doch auch wenn nichts Schlimmes passiert ist, suchen wir eigentlich nach deinem Mann.«
Seine Tochter gießt ihnen Getränke ein und legt Kekse auf einen Teller, dabei ruft sie nach Adán, der offenbar im Garten sein muss. Auch wenn das Haus, in dem seine Tochter nun lebt, nicht mal halb so groß wie das Haus ist, in dem sie aufgewachsen ist, haben die Tijuas hier ein wirklich schönes Gebiet. Hinter dem Haus liegt ein See und auch so ist es sehr schön hier. Überall entdeckt man Latizias Handschrift, besonders als jetzt Senna ins Haus gelaufen kommt und sie freudig begrüßt. Hinter ihr kommt direkt Adán und sieht genauso überrascht wie Latizia zu ihnen.
Er begrüßt sie und setzt sich neben Paco, zwei seiner Männer waren neben ihm, begrüßen sie nun aber nur und verlassen respektvoll das Haus. »Was verschafft mir die Ehre, gleich euch beide hier begrüßen zu dürfen?«
Mittlerweile mag er seinen Schwiegersohn wirklich gerne. Paco sieht und weiß, wie sehr Adán Latizia liebt und er hat über die Zeit auch gemerkt, dass er ein guter Kerl ist. Er führt seine Familia mit einer relativ harten Hand, doch das muss er auch und er weigert sich, Hilfe von ihnen anzunehmen. Er schafft alles aus eigener Kraft. Auch wenn sie nun alle zusammengehören, werden die Tijuas alleine durch Adáns Hand immer erfolgreicher und das respektiert Paco sehr.
Vor allem vertraut er ihm und deswegen ist er auch zuerst zu ihm gekommen und legt nun die Beutel mit den Tabletten auf den Tisch. »Deswegen sind wir hier. Es gibt Probleme in Sierra, doch wir wissen ja, dass du davon schon gehört hast.« Latizias Mann greift nach den Beuteln und nickt. »Allerdings, das ist zwar erst seit einigen Tagen in Sierra so, doch die Probleme haben schon viel früher begonnen.«
Er legt die Drogen zurück auf den Tisch. Latizia fummelt in der Küche herum, doch Paco kennt seine Tochter, er weiß, dass sie genau zuhört. »Wie ihr wisst, haben wir den Markt hier am meisten bedient, doch wir ziehen uns immer mehr aus den Drogengeschäften zurück ...« Adán blickt einen Moment zu Latizia, Paco weiß, dass es ihretwegen ist, dass die Tijuas sich mittlerweile viel mehr auf Autos und andere Sachen konzentrieren, die allerdings auch nicht unbedingt weniger Geld einbringen.
»Es war klar, dass diese Lücken gestopft werden, aber wir dachten, dass die anderen, die sich hier in der Gegend um die Drogen gekümmert haben, diese Lücken auffüllen werden, doch offenbar haben sich auch neue Dealer eingefunden. Diese Drogen stammen nicht von hier, ich habe erst letztens Javier getroffen und er sagt, dass diese Tabletten mit irgendwelchen giftigen Stoffen gestreckt sind, nicht jede Dosis ist tödlich, doch wenn in einer Tablette mal mehr steckt, passieren diese Unfälle, wie sie in den letzten Tagen immer öfter vorgekommen sind. Deswegen sterben die Leute. Keiner weiß, wer hinter diesen Drogen steckt, oder wie sie es schaffen, so viele hier zu verkaufen, ohne dass es jemand mitbekommt, doch glaubt mir, es gibt einige, die das erfahren wollen.«
Paco lehnt sich zurück. Er hatte gehofft, sein Schwiegersohn könnte ihm noch mehr Tipps geben, aber offenbar ist er, genau wie einige andere auch, ziemlich ratlos. »Es kann doch nicht sein, dass all das hinter unseren Rücken passiert. Es muss Zusammenhänge geben, die wir übersehen haben. Wir finden schon raus, wer dahinter steckt und solange müsst ihr aufpassen, besonders in der Universität, Latizia, hört ihr!«
Seine Tochter bringt drei Schüsseln mit selbstgemachtem Eintopf auf einem Tablett und stellt sie ihnen hin. Sie kann sehr gut kochen und sie alle drei nehmen sich gleich die Schüsseln. »Du weißt doch genau, dass keiner von uns ...« Er nickt. »Natürlich, trotzdem, irgendetwas geht gerade in Sierra vor sich und wir müssen genau aufpassen.«
Nach einer Stunde, die sie noch bei Latizia und Adán bleiben, fährt Paco seinen Schwager nach Hause. Sie wollen sich morgen Mittag mit den anderen zusammensetzen und besprechen, was sie tun wollen und so auch herausfinden, was die jüngere Generation alles mitbekommen hat.
Auf dem Weg zu sich hält Paco allerdings noch einmal beim Polizeipräsidium. Er ist selten hier und alle sehen ihn verwundert an, als er mit den Tabletten in der Hand in das Büro des Polizeichefs geht, ohne anzuklopfen. Santiago und er kennen sich schon lange, er hat ihn eingesetzt, da er mit ihm am besten zusammenarbeiten kann.
»Paco … was für ein seltenes Vergnügen. Was hast du da?« Paco setzt sich vor Santiago und legt die Tabletten auf den Tisch. »Sag nicht, du hast nichts davon mitbekommen, dass Sierra gerade von gestreckten Drogen überflutet wird.« Santiago lehnt sich zurück.
»Doch, ich habe einen Mann damit beauftragt, er hat eine kleine Sondereinheit gegründet und sie arbeiten seit Tagen daran, aber noch ist nichts Richtiges dabei herausgekommen.« Paco deutet auf die Drogen.
»Willst du mich verarschen, Santiago? Ihr habt hier nichts weiter zu tun, das Einzige, was wir euch überlassen, ist diese Drogensache und nicht einmal die habt ihr im Griff? Ich habe kein gutes Gefühl, wenn hier Fremde so einen Scheiß verkaufen und niemand weiß, wer da überhaupt dahinter steckt. Sollte euch das nicht beunruhigen?« Santiago atmet tief ein, Paco steht auf. »Mich beunruhigt das und du weißt, wenn mich etwas beunruhigt, tut es das auch euch. Schick mir morgen diesen Mann zu Juan, dort gibt es ein Treffen gegen zwölf. Er soll uns alles erzählen, was er bisher zusammengetragen hat und ihr habt doch hier so tolle Labore ...« Er zieht mehrere Tablettenschachteln heraus und lässt sie auf dem Tisch, den Rest nimmt er wieder mit. »... Überprüft, was hier alles drin ist und was daran so tödlich ist.«
Paco ist schon halb aus der Tür, da steht auch Santiago auf. »Bis morgen Mittag?« Paco wendet sich nicht noch einmal um. »Um zwölf!«
Erst danach fährt er zu sich. Statt in sein Haus, geht er ins wilde Haus, das Haus, in dem einige der Jungs noch leben; so einen richtigen Überblick, wer hier lebt, hat Paco nicht mehr, das wechselt ständig. Sie alle sind immer mal wieder hier und schlafen, wo sie wollen. Er hat sich schon oft gefragt, ob das so gesund ist, mal findet er Sanchez hier vor, dann Sami im Cielo, doch die Jungs stört das gar nicht.
Es wird sich alles erst ändern, wenn die neuen Häuser komplett fertig sind. Damian, Leandro und Miguel leben schon in ihren neuen Häusern, die von Sami und Kasim sind als Nächstes fertig und dann kommen langsam die anderen dran, wobei da noch etwas Zeit ist. Bei den Puntos hat Sanchez gerade sein eigenes Haus bekommen.
Als er ins Haus geht, was früher sein Bruder Ramon mit Jennifer bewohnt hat, schnürt es ihm erneut die Kehle zu. Es sieht mittlerweile komplett anders aus, doch trotzdem vermeidet Paco es, hier hineinzugehen. Er kann mit dem Tod seines ältesten Bruders noch immer nicht umgehen.
Paco geht an herumliegenden Shirts vorbei, alten Pizzakartons, Unmengen an Getränkedosen und schüttelt den Kopf, als er Nesto auf der Couch schlafend vorfindet. Paco öffnet die Terrassentür zum Durchlüften und Nesto grummelt leise vor sich hin, dreht sich aber nur um und schließt die Augen wieder.
In dem Moment kommt Sami aus dem Garten. Er hat Kopfhörer im Ohr und ist komplett verschwitzt, er muss trainiert haben. Sami ist ein richtiger Mann geworden. Er trainiert viel, er arbeitet sehr hart an sich und an seinem Körper, wenn jemand Hilfe braucht, ist er sofort da und man kann sich immer auf ihn verlassen. Auch wenn er genau wie die anderen Jungs viel Spaß hat, ist er doch verantwortungsvoller als sie, manchmal sogar mehr als sein älterer Bruder Miguel.
Als sein Neffe ihm jetzt aus seinen blauen Augen entgegensieht, muss er an den kleinen Jungen denken, den er früher immer durch den halben Pool geworfen hat und der ständig bei ihm im Arm eingeschlafen ist. Er weiß, dass Ramon sehr stolz auf ihn wäre, würde er sehen, was aus seinem Sohn geworden ist.
»Hey, kannst du alle Männer zusammensuchen, die zur Zeit da sind? Also nur die engeren Kreise. Wir haben morgen um zwöf ein Treffen im Punto-Haus.« Sami nickt und bleibt vor ihm stehen. »Was ist los?« Paco muss lächeln, als er ihn ansieht, doch dann nickt er zum Tisch, wo er etwas Gras zum Rauchen entdeckt hat. Er weiß, dass die Jungs das hin und wieder tun, auch er hat das getan und gelegentlich rauchen sie auch jetzt noch, doch momentan müssen sie alle vorsichtiger sein.
»Es geht um die Drogenprobleme in Sierra, also trommle alle zusammen.« Er legt seine Hand auf Samis Schultern und wendet sich dann zum Gehen, doch er deutet noch einmal zu dem Gras. »Und tu mir einen Gefallen, vernichtet erst einmal alle Drogen, die ihr hier habt und sagt den anderen Bescheid, wer auch immer sich gerade hier breitmacht, die Drogen sind mit Gift gestreckt, also nehmt nichts mehr davon.« Sami nickt, Paco weiß, dass er sich auf ihn verlassen kann und verlässt das Haus wieder, um endlich nach Hause zu kommen.
Er ist schon eine ganze Weile unterwegs, eigentlich sollten sie alle etwas zurücktreten, nachdem ihre Söhne viele ihrer Arbeiten übernommen haben, doch es gibt immer noch genug zu tun.
Paco schließt die Haustür und atmet tief ein. Er liebt diesen Geruch hier. Es riecht nach zuhause, nach Bella, nach seinen Kindern, es ist ein unbeschreibliches Gefühl, was sich in seiner Brust ausbreitet, jedes Mal wenn er sein Haus betritt.
Früher war das nicht so, es war irgendwie selbstverständlich für ihn. Doch mit ihrer Gefangenschaft hat sich das geändert. Es ist jetzt etwas mehr als zwei Jahre her, dass sie zurück sind und er nimmt seitdem nichts mehr als selbstverständlich hin, nichts mehr, nicht einen Tag. Wenn es etwas Positives aus dieser Zeit gibt, dann das.
Es ist viel zu ruhig in seinem Haus. Paco hat Bella gar nicht geschrieben wo er hingeht, er will sein Handy gerade herausnehmen, da bemerkt er seine Frau am Küchentisch am Laptop etwas eintippen. Sie sieht hoch und lächelt, als sich ihre Blicke treffen.
Zum zweiten Mal heute muss Paco an ihre Anfangszeit zurückdenken, wie sehr er diese Frau liebt. Wie verrückt er vom ersten Moment an nach ihr war, damals in der Bibliothek konnte er gar nicht genug von ihrem Anblick bekommen, und nachdem er ihr einmal in die Augen gesehen hatte, war nie wieder etwas wie vorher und das wird es auch nie sein. Er braucht Bella an seiner Seite, sie ist zu einem Teil von ihm geworden.
»Hey Cariño, wieso ist es so ruhig? Wo ist Lando?« Bella schließt den Laptop und streicht sich über die Stirn. Sie hat in letzter Zeit viel zu tun mit der Leitung des Kindergartens, doch sie liebt diese Arbeit. »Der ist bei Rodriguez auf der Brust eingeschlafen, nachdem er den ganzen Tag dort gespielt hat. Dein Bruder ist auch gleich eingeschlafen, deswegen habe ich ihn dort gelassen. Ich werde ihn aber gleich einmal ...« Sie kommt zu ihm und gibt ihm einen Kuss, möchte an ihm vorbei, doch Paco hält sie am Arm zurück.
»Warte, warte, warte … Lass ihn noch da. Ich musste heute an etwas denken. Komm mit.« Paco umschließt Bellas Hand mit seiner und nimmt sie die Treppen mit hoch, Bella lacht leise, doch sie folgt ihm. »Was hast du vor und woran musstest du denken?« Paco sieht seiner hübschen Frau in die Augen und bringt sie noch weiter nach oben zu ihrer großen Dachterrasse.
Sie stellen sich so hin, dass sie auf das gesamte Gebiet sehen können, auf das alte und auch das neuerbaute, dabei umarmt Paco Bella von hinten. »Weißt du noch damals, auf der Feier und dem Dach der Uni? Als du mir unsere geteilte Stadt gezeigt hast und mir erzählen wolltest, dass wir alle zusammengehören und all das … nun sieh doch, worauf wir heute blicken, was alles in dieser Zeit passiert ist.«
Bellas Hände gehen an Pacos Arm, der sie umfasst und ihre zarten Finger streichen über seine Haut. »Ja, du hast recht. Es ist unglaublich viel passiert.«
Paco wendet seine Frau sachte zu sich um. Seine Hand legt sich an ihre Wange und Bella lächelt. Paco sieht ihr ernst in die Augen. Es gibt nichts, was er für diese Frau nicht tun würde, gar nichts!
»Und all das hat mit uns beiden angefangen. Wenn wir beide nicht wären, diese starke Liebe zwischen uns nicht entstanden wäre, gäbe es all das so nicht.« Er beugt sich vor und gibt Bella einen langen Kuss auf die Stirn.
»Es gibt keine Worte dafür, wie sehr ich dich liebe.« Seine Frau schließt einen Moment die Augen, bevor sie ihre Lippen vereint und Paco ihren Kuss liebevoll erwidert. Es sind so viele Jahre vergangen, sie haben so viel erlebt, verloren und gewonnen, doch das zwischen ihnen hat niemals an Gefühlen und an Intensität verloren, im Gegenteil.
Bella schmiegt sich Paco entgegen und als sein Handy klingelt, ignoriert er es. Er wird niemals genug von dieser Frau bekommen. Er beendet den Kuss und hebt sie hoch, ihre Arme umschlingen ihn und er trägt sie ohne Probleme in ihr Haus zurück. Sie spürt, wie bereit er für sie ist und lacht leise auf, als seine Hände unter ihr Shirt wandern.
»Weißt du, ich denke, bevor wir irgendwann Oma und Opa werden, sollten wir noch einmal daran arbeiten, dass Lando nicht der letzte Beweis für diese tiefe Liebe bleibt, was denkst du?«
Er findet ihre empfindliche Stelle am Hals und Bella seufzt leise auf. »Du bist unmöglich, Paco … und ich liebe dich über alles.«
»Sag mal, bist du total bescheuert?« Sami lacht laut los, nachdem Nesto losgerannt ist und den Gartenschlauch holt, um das Feuer im Grill zu löschen, was dort entstanden ist. Er ist nur wegen Netos lauten Flüchen aus dem Haus gekommen, PJ und Ciro stehen bei Nesto und kriegen sich nicht mehr ein vor Lachen. Rico tritt auch nach draußen, sie waren gestern Abend feiern und alle haben hier geschlafen.
»Wieso zur Hölle hast du den Grill angemacht, es ist noch nicht mal Mittag?« Rico schüttelt den Kopf und sieht genau wie Sami dabei zu, wie Nesto das Feuer auf dem Grill löscht. Der Grill kann danach direkt entsorgt werden. Nesto zuckt die Schultern. »Wir hatten gestern so ein Video gesehen, wenn man einen Toast auf gewisse Weise belegt und dann auf den Grill legt … hat nicht funktioniert.«
Sami schüttelt den Kopf und sieht zur Uhr. »Kommt jetzt, wir müssen ins Punto-Haus. Er genießt es, wenn Miguel nicht da ist und er das Sagen hier hat. Sie fahren zusammen zum Punto-Haus, dort warten schon alle im Garten auf sie. Auch wenn Damian, Miguel, Leandro und Sanchez nicht da sind, ist der Garten voll. Wenn ihre Väter da sind und sie, die neue Generation, ist kaum Platz und das, obwohl nur die engsten Kreise hier sind. Nun sind auch die Jüngeren wie PJ, Saul und Ciro dabei und neben Paco sitzen auch Adán und Musa. Sie brauchen mehr Platz hier.
Sami murmelt nur eine leise Begrüßung und setzt sich neben Tito, der einen Koffer voller neuer Waffen begutachtet. Sami nimmt sich eine, die Waffen liegen perfekt in der Hand, er sieht sie sich begeistert an, während Paco alle begrüßt. Erst als ein weiterer Mann den Garten betritt und sich unsicher umsieht, wird Sami aufmerksamer.
Der Mann ist Polizist und gehört hier nicht hin, alle werden aufmerksam, als der Mann unsicher zu ihnen kommt und Paco ihm deutet, an den Tisch zu treten. Sein Onkel erklärt, dass sie sich Gedanken machen wegen der vielen Drogentoten in letzter Zeit und dass keiner weiß, wie diese Drogen in Sierra landen. Die Dealer, die normalerweise hier handeln, haben damit nichts zu tun und wissen auch nicht, woher diese Drogen stammen könnten.
Sami sieht wieder zu seiner Waffe. Wenn Paco solch eine Ansprache an alle hält, erinnert er ihn jedes Mal sehr an seinen Vater. Sami atmet tief ein, er vermisst seinen Vater, er kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr er in seinem Leben fehlt. All das fehlt. Sie waren eine ganz normale Familia, Miguel und er haben immer zusammengehalten und sich genauso stark gestritten. Ihre Mutter war immer sanft und liebevoll zu ihnen, ihr Vater hat mit einer strengen Hand über sie gewacht, doch auch er hat sie beide über alles geliebt.
Es war alles ganz normal, sie haben ihr Leben gelebt und Sami hat es geliebt. Er hat das Leben in der Familia geliebt, mit seinen Onkeln und Tanten, mit den Cousins, diesen Zusammenhalt, alles, doch dann sind die Männer und Miguel nach Kolumbien geflogen und seitdem ist nichts wie vorher, nichts. Sein Vater ist tot, seine Mutter lebt in Schweden und er hatte niemals wieder dieses Gefühl wie früher, dieses Gefühl, was jeder kennt, der nach Hause kommt und den Geruch von Familie und Zuhause wahrnimmt, er hatte dieses Gefühl seitdem nie wieder und es fehlt ihm.
Miguel ist hier, doch auch er ist nicht mehr der Gleiche. Am Anfang hat Sami sehr stark den Kontakt zu seinem Bruder gesucht und ihm aus der schweren Zeit herausgeholfen, doch die letzten Monate hat er sich immer mehr von ihm zurückgezogen. Miguel geht es wieder gut und Sami erinnert all das zu sehr daran, was es nicht mehr gibt.
Seine Mutter lebt in Schweden. Er weiß, wie hart sie gegen ihre Trauer kämpft, sie versucht dieses Gefühl, was auch Sami so sehr fehlt, zu verdrängen. Auch wenn sie irgendwann wieder zu lächeln begonnen hat, weiß Sami, dass das nicht echt ist. Er sieht in ihren Augen, dass es niemals wieder gut wird. Dass sie ihren Vater niemals vergessen wird, doch sie versucht es.
Sie hat sich sogar wieder mit einem anderen Mann getroffen, nur um weiterleben zu können, vielleicht mit neuen Gefühlen die alten abstellen zu können, doch Sami bezweifelt, dass ihr das gelingen wird. Er wünscht es ihr, sie soll nicht ewig trauern, doch er hat die tiefe Liebe seiner Eltern erlebt und ist sich sicher, dass das niemals mit etwas Neuem aufzuwiegen sein wird.
Seine Gedanken schweifen mal wieder komplett ab. Tito sieht zu ihm. »Wenn dir die Waffe so gut gefällt, behalte sie.« Sami hat gar nicht darüber nachgedacht, doch so ein Prachtexemplar wird er sich sicher nicht entgehen lassen. Er nickt und steckt sie sich ein, dann erst hört er zu, wie der Polizist ihnen erklärt, was sie alles wegen der Drogenprobleme herausbekommen haben.
Alle Toten aus Sierra und Umgebung haben das gleiche Gift in ihrem Blut gehabt, sie haben die Tabletten untersucht, die Paco gefunden hat und in jeder dieser Tabletten ist dieses Gift enthalten. Offenbar wird es den Drogen beigemischt. Der Polizist erklärt, dass das Gift in kleinen Mengen die Wirkung der Droge verstärkt und nicht tödlich ist, ist aber mal mehr von diesem Gift in einer Tablette, stirbt man daran. Bei dreißig untersuchten Tabletten waren zwei tödlich. Diejenigen, die diese Drogen herstellen oder strecken, arbeiten nicht sehr genau und es ist zu befürchten, dass da noch einiges mehr auf sie zukommt.
Keiner weiß, wer dahintersteckt. Auch die Polizei hat alle Dealer oder Familias, die hier mit Drogen handeln dürfen, überprüft, es ist aber aufgefallen, dass immer wieder alle Wege zurück zur Uni führen, dort scheinen die Drogen am meisten verbreitet zu werden. An beiden Universitäten, hier und in der größeren in Sevilla. Mittlerweile sind viele Bereiche der beiden Unis zusammengelegt worden, Nala und die anderen wechseln mehrmals die Woche zwischen Sevilla und Sierra hin und her.
Adán erklärt, dass am kommenden Wochenende wieder eine dieser berüchtigten geheimen Partys stattfindet. Dort gibt es eine Menge Drogen, früher haben die Tijuas diese Partys immer mit Drogen ausgestattet, nun nicht mehr. Sie werden vielleicht noch einen kleinen Restbestand loswerden, mehr nicht.
Sami sagt sofort zu, dass er sich mit Nesto und Kazim das angucken gehen wird. Paco bittet sie außerdem, sich morgen genauer in den Universitäten umzusehen und herauszufinden, wer dort die Drogen verkauft, was sicher schwierig wird. Sie fallen sofort auf in der Uni, und jemanden zu finden, der freiwillig redet, wird schwer, doch sie sagen zu, sich darum zu kümmern.
Auch Adán will sich weiter umhören und Paco fordert den Polizisten auf, sich bei ihnen zu melden, sobald sie mehr wissen. Als sie alle die nächsten Aufgaben bekommen haben, sieht Paco sich besorgt um. »Wenn diese Drogen wirklich auf dieser geheimen Party verteilt werden, kann das böse Konsequenzen haben, wir müssen versuchen, schon vorher herauszufinden, wer etwas damit zu tun hat.«
Kurz nachdem der Polizist gegangen ist, ist auch der offizielle Teil des Treffens vorbei. Wirklich beunruhigend ist all das eher für ihre Onkel. Sie haben nichts mit den Drogen zu tun und eigentlich auch nicht vor, sich da einzumischen, deswegen macht sich keiner weiter Gedanken darüber, als sie noch im Garten bleiben und Karten spielen.
Juan bleibt neben Sami und fragt ihn, wie es seiner Mutter geht. Sie alle haben mitbekommen, wie schlecht es Jennifer geht. Das letzte Mal war sie für die Hochzeit von Latizia in Puerto Rico, jeder hat gemerkt, wie schwer es ihr fällt, hierher zurückzukommen und mit den Erinnerungen konfrontiert zu werden, denen sie in Schweden so leicht entgehen kann.
Sami antwortet wie immer, genau kann er gar nicht sagen, wie es seiner Mutter geht. Sie ist gut darin geworden, zu verstecken, wie es ihr wirklich geht, nur in ihren Augen erkennt man diese tiefe Trauer.
Sie sitzen bis zum Abend zusammen, in letzter Zeit wird es Sami immer schneller langweilig, er schnappt sich Kasim und PJ. Sie fahren in einen Club und setzen sich in den VIP-Bereich. Es dauert auch nicht lange und sie haben hübsche weibliche Begleitung an ihrer Seite, doch auch das vertreibt Samis Unruhe nicht. Er fühlt sich unausgelastet, satt, es gibt nichts, was ihm noch wirklich den Atem raubt oder ihn überrascht. Vielleicht hätte er mit den anderen mitfliegen sollen, um mal wieder etwas Ablenkung zu haben.
Auch wenn er eine der hübschen Frauen aus dem Club mit nach Hause nimmt und befriedigt einschläft, ist er nicht zufrieden, als er am nächsten Morgen wach wird. Sie sollten zur Universität fahren und haben alle bis zum Vormittag geschlafen. Sami holt Nesto und Kasim aus dem Bett, die auch nicht alleine nach Hause gekommen sind und nachdem sie etwas gegessen haben, fahren sie zur Universität von Sierra.
Es ist schwer zu sagen, nach was genau sie Ausschau halten sollen. Sie betreten das Gebäude, als noch die Vorlesungen laufen. Sie gehen durch die Gänge und Flure, auf die Toiletten und in die freien Räume, holen sich aus der Cafeteria etwas zu trinken und setzen sich auf dem Hof in eine Ecke weiter hinten. »Wir müssen herausfinden, wer hier die Drogen verkauft, jede Schule hat ihre eigenen Dealer. Lasst uns versuchen, unauffällig zu sein.«
Sami setzt sich seine Sonnenbrille auf, Kasim zieht sein Cap tiefer ins Gesicht und Nesto lacht sie aus. Ihm ist klar, dass sie immer auffallen werden, und obwohl sie sich wirklich in eine abgeschiedene Ecke gesetzt haben, werden sie von den meisten, die nach und nach auf den Hof kommen, verwundert angesehen. Sami ignoriert das, er achtet auf die kleinen Gruppen, die sich hier und da bilden, sieht genau, was sich die Leute hier zustecken und wer sich auffällig verhält.
Es dauert gar nicht lange, da wird seine Aufmerksamkeit aber von jemand anderem abgelenkt.
Sami entdeckt die dunkelhaarige Schönheit, die er jetzt schon einige Male getroffen hat: Banu.
Es ist unmöglich, sie nicht zwischen all den Leuten hier zu bemerken, egal wie viele sich mittlerweile auf dem Hof eingefunden haben, auch wenn er sofort erkennt, dass sie nicht mehr so bunt und auffällig wie früher ist, als sie immer sehr gewagte, enge Kleidung getragen hat. Von Anfang an war er beeindruckt von ihrer langen Lockenmähne und ihrem hübschen Gesicht.
Auch jetzt fällt sie Sami sofort auf, auch wenn sie nur eine einfache Jeans und ein bauchfreies schwarzes Top trägt. Sie hat einen hohen Zopf gebunden, der geflochten ist und trägt, soweit Sami es erkennen kann, kein Make-up.
Er kennt Banu kaum, doch selbst ihm fällt diese Veränderung sehr auf. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie er sie zusammen mit Nala die ersten Male getroffen hat. Sie war wunderschön, hat gestrahlt und mit ihm geflirtet. Dann hat er sie das erste Mal bei ihr zuhause aufgesucht, nachdem die Fallaras Banu und Nala abgefangen und bedroht hatten.
Banu lebt am Rand von Sierra auf einem kleinen, alten Bauernhof. Das Haus passt so gar nicht zu der bunten Frau, die er kennengelernt hat. Man hat sofort erkannt, dass die Familie nicht über viel Geld verfügt. Er hat Banu damals mit einem kleinen Jungen im Arm auf dem Hof vorgefunden. Sie hat Wäsche aufgehangen und ist ihm fast an die Gurgel gegangen, weil er plötzlich auf ihrem Hof stand. Doch Sami musste erfahren, was da los war und was die Fallaras von ihr und Nala wollten.
Banu hat lange gezögert bis sie letztlich erklärt hat, dass sie Diddy schon länger kennt. Sie hat ihn ab und zu auf Partys getroffen und auf der letzten seien die Fallaras wohl beklaut worden und Diddy beschuldigt sie. Sie hat ihm erklärt, dass sie damit nichts zu tun hat, doch er glaubt ihr wohl nicht und deswegen hat er Nala und sie abgefangen und zur Rede gestellt. Sie hat gehofft, dass er nun Ruhe gibt und verstanden hat, dass sie damit nichts zu tun hat.
Was danach los war, weiß Sami nicht. Damian ist zu Diddy hineingegangen und hat mit ihm geklärt, dass er sich nicht an Frauen aus ihrer Familie zu vergreifen hat. Sami hat sich nicht weiter darum gekümmert.
Als sie kurze Zeit späte eine Überraschungsparty für Nala geplant haben, hat er einige Tage versucht, Banu zu finden. Doch es war nie jemand zuhause. Als er sie dann doch kurz vor ihrem Haus getroffen hat, war sie komplett verändert. Tiefe Augenringe zeichneten ihr Gesicht, sie war fahrig und unruhig. Er hat gefragt, ob alles in Ordnung sei und ihr von der Party erzählt, doch Banu hat nur gemurmelt, dass sie keine Zeit hat und ist an ihm vorbeigegangen.
Nala hat ihm erzählt, dass sie lange Zeit nicht in der Uni war und keiner weiß, was bei ihr los ist, doch jetzt ist sie offenbar zurück. Sami beobachtet, wie zwei Männer sich zu ihr stellen und Banu lächelt, als sie sich mit ihnen unterhält. Das ist nicht das Lächeln, was sie ihm schon geschenkt hat. Er räuspert sich und zwingt sich, woanders hinzusehen, doch sein Blick schnellt immer wieder zu ihr. Zwei andere Frauen kommen zu ihr und bleiben an ihrer Seite, doch Banu sieht sich genauso auf dem Hof um, wie er es auch tut.
Nesto und Kasim sehen sich ebenfalls weiter um und Sami steht auf, als Banu sich von den anderen Frauen entfernt und sich an die Schlange anstellt, um sich etwas zu essen zu holen. »Bin gleich wieder da.« Er wartet keine Antwort ab, sondern stellt sich hinter Banu in die Reihe.
»Bist du wieder in der Uni?« Banu dreht sich zu ihm um, sie zieht die Augenbrauen zusammen und verschränkt die Arme vor der Brust, als sie ihn ansieht. »Sami … na ja, immerhin gehe ich hier zur Uni, was tust du hier? Nala ist nicht da, soweit ich das mitbekommen habe.«
Sami nimmt seine Sonnenbrille ab, um Banu in die Augen sehen zu können. Sie hat große braune Augen mit langen Wimpern, sie sind ungeschminkt und es liegen tiefe Schatten unter ihren Augen, die Sami vorher noch nie bei ihr gesehen hat. Sie sieht müde aus und Sami fragt sich, was bei ihr los ist. Er kennt sie kaum, es geht ihn nichts an und doch macht es ihn neugierig.
»Ich weiß, doch sie hat mir gesagt, dass du kaum noch in der Uni warst in letzter Zeit. Wir überprüfen hier etwas, deswegen sind wir hier.« Banu sieht an ihm vorbei und bemerkt Kasim und Nesto. »Jetzt bin ich wieder da. Ich hatte einiges zu erledigen, aber es ist nett, dass du dir …. Sorgen gemacht hast.« Banu hebt die Augenbrauen; auch wenn sie noch so müde aussieht, ist sie wirklich wunderschön.
»Das habe ich … nicht gesagt. Nala hatte es nur erwähnt, ich denke, du bist eine Frau, die gut auf sich aufpassen kann.« Bei seinen Worten verzieht Sami selbst leicht das Gesicht. Was redet er da? Seine Worten kamen schneller aus seinem Mund, als sein Verstand es verhindern konnte. Banu lacht leise auf. »Da hast du recht.«
»Komm mal mit uns mit!« Kasim hat den Arm um einen jungen Mann gelegt und führt ihn vom Hof, sie scheinen fündig geworden zu sein. Nesto sieht zu ihm. »Sami, hör auf zu flirten, wir haben zu tun!« Banu lacht. »Offenbar habt ihr gefunden, was ihr gesucht habt.« Sie sieht ihm noch einmal in die Augen und wendet sich um, um ihre Bestellung aufzugeben.