Celestes Tränen - Ari Tur - E-Book

Celestes Tränen E-Book

Ari Tur

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Beschreibung

Der Student Dario besucht in seiner Heimatstadt Saarbrücken eine geheimnisvolle Grotte, in der zur Römerzeit der persische Lichtgott Mithras verehrt wurde. Auf wundersame Weise findet er sich plötzlich in der antiken Stadt Sergiopolis, in der altrömischen Provinz Syria, wieder. Eine junge Frau namens Celeste nimmt sich seiner an und führt ihn zu einem mystischen Ort, den ein Greis hütet, den alle den "Schlüsselmeister" nennen. Der eröffnet Dario, dass er der Auserwählte sei, auf den man schon seit einhundert Jahren warte. Sieben Prüfungen werden Dario auferlegt - nur wenn er diese besteht, kann er in sein altes Leben zurückkehren. Doch will das Dario überhaupt? Celeste geht ihm nicht mehr aus dem Sinn. Doch die rätselhafte Schönheit hütet ein Geheimnis, das sie mit niemandem zu teilen wagt - auch nicht mit Dario ...

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Über das Buch:

Der Student Dario besucht in seiner Heimatstadt Saarbrücken eine Grotte, in der zur Römerzeit der persische Lichtgott Mithras verehrt wurde. Auf wundersame Weise findet er sich plötzlich in der antiken Stadt Sergiopolis, in der spätrömischen Provinz Syria, wieder. Eine junge Frau namens Celeste nimmt sich seiner an und führt ihn zu einem mystischen Ort, an dem ihm ein Greis eröffnet, dass er der Auserwählte sei, auf den man schon seit einhundert Jahren warte. Sieben Prüfungen werden Dario auferlegt – nur wenn er diese besteht, kann er in sein altes Leben zurückkehren. Doch will Dario das überhaupt? Celeste geht ihm nicht mehr aus dem Sinn. Die rätselhafte Schönheit hütet ein Geheimnis, das sie mit niemandem zu teilen wagt - auch nicht mit Dario ...

Über die Autoren:

Elvira Kujovic, eine zweisprachige Dichterin. Sie wurde in Serbien geboren, lebt seit 1992 in Deutschland und schreibt Poesie. Sie hat bislang drei Gedichtbände veröffentlicht: »Ein Gedicht schreit auf aus meiner Brust« erschien 2016 in Berlin, »Ljubav i strah« publizierte sie im Jahr 2017 in Belgrad im Verlag Alma. Das Buch wurde im Jahr 2018 auch ins Italienische übersetzt und erschien unter dem Titel »L’Amore e la paura«. Ihr dritter Gedichtband trägt den Titel »The Last Coffee«. Dieses Buch wurde 2018 in den USA und Taiwan veröffentlicht. Für ihr Werk »Syrien weint« erhielt Elvira Kujovic im Jahr 2017 in Italien die internationale literarische Auszeichnung »OMAGGIO MEDITERRANEO«.

Ari TUR arbeitete viele Jahre lang als Altertumsforscher in Syrien und hat mit seinem mehrbändigen archäologischen Roman »König der vier Weltgegenden« von sich reden gemacht.

Beide wagen mit dem Roman »Celestes Tränen« den Versuch, Poesie und Prosa aus unterschiedlichen Federn in einem gemeinsamen Werk zu vereinen. Jüngste wissenschaftliche Forschungsergebnisse über den Mithras-Kult wurden dabei berücksichtigt, auch wenn dieser Roman weit davon entfernt ist, wissenschaftliche Ansprüche zu erheben, so bleibt er dennoch den neuesten Erkenntnissen über den mystischen Kult verpflichtet.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Zauber des Waldes

Die Grotte des Mithras

Licht des Blutes

Der Schlüsselmeister

Die Himmlische

Die sieben Stufen

Das Tor des Corax

Das Tor des Nymphus

Das Tor des Miles

Das Tor des Leo

Das Tor des Perses

Das Tor des Heliodromus

Die Braut des Windes

Das Tor des Paters

Die singenden Schwäne

Celestes Tränen

Die Lichtbringer

Epilog der Liebe

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Weitere Werke der Autoren

Vorwort

Poesie fristet im weiten Feld literarischer Erzeugnisse eher ein Nischendasein. Die Lyrikerin Elvira Kujovic und der Schriftsteller Ari TUR kamen auf die Idee, der Poesie einen anderen Rahmen zu bieten, indem man sie in einen Roman einbettet, in dem Gedichte eine wichtige Rolle einnehmen. Der Roman sollte an der mysteriösen Mithras-Grotte in Saarbrücken, einem Kultplatz aus heidnischer Zeit, seinen Anfang nehmen. Ari TUR legte die ersten beiden Kapitel so an, dass an deren Ende ein Gedicht – verfasst von Elvira Kujovic – stehen musste. Die Lyrikerin nahm Bezug auf die Textvorgabe, der Romanschreiber im Anschluss wieder auf die poetischen Verse. Beide warfen sich also während des Schreibens literarische Bälle zu, auf die der jeweilige Schreibpartner individuell reagieren musste.

Entstanden ist ein mystisches Märchen voller Poesie, das uns in eine geheimnisvolle Welt voll Zauber und Magie entführt.

Die Autoren danken Barbara Ninnemann, Ulrike Naumann-Schlauch und Lothar Schwarz für die akribische Durchsicht des Manuskripts. Für etwaige Fehler sind die beiden Autoren alleine verantwortlich. Wichtige Anregungen erhielten sie in lebhaften Diskursen mit der Autorengruppe »Die Schreiberberger« in Saarbrücken.

Sehr zu Dank verpflichtet sind sie beide Autoren Isabell Valentin für die fantasievolle Gestaltung des Covers und Vlad Hnatovskiy für das Artwork im Textteil.

1 – Zauber des Waldes

Wie ein letzter Atemzug klingt es, wenn der Linienbus anhält und die überflüssige Druckluft aus den Ventilen bläst. Die Türen öffnen sich wie von Geisterhand und die Menschenmassen wälzen sich ins Freie. Dario lässt den Mitreisenden beim Aussteigen den Vortritt, denn er hat es – im Gegensatz zu ihnen – heute nicht eilig! Schließlich sind Semesterferien und er hat sich vorgenommen, das ›Mithrasheiligtum‹ auf dem Saarbrücker Halberg zu besichtigen, über das sein Professor im Fach Religionsgeschichte während der Vorlesung ins Schwärmen geraten war. Eine geheimnisvolle Grotte, mitten im Wald mit einem heidnischen Opferplatz. Dario war sofort Feuer und Flamme: Diesen Ort muss er mit eigenen Augen sehen! Mit ihm im Bus sitzen ausschließlich Angestellte des Saarländischen Rundfunks, die nun schnellen Schrittes zur Arbeit eilen. Der Busfahrer nickt ihm noch einmal freundlich zu, bevor er die Rückfahrt zur City antritt.

Dario steht plötzlich alleine an der Haltestelle. Kein Mensch mehr weit und breit. Er zieht eine Informationsbroschüre des Saarländischen Rundfunks aus der Tasche und klappt den Folder auseinander.

Abb. 1: Historischer Rundweg auf dem Saarbrücker Halberg

In der Mitte eine Karte mit den einzelnen Stationen des Rundwegs ›Historischer Halberg‹. Rechts von ihm liegt Schloss Halberg, doch sein Ziel, die Mithras-Grotte, liegt in entgegengesetzter Richtung. Dario genügt ein kurzer Blick auf die Karte, um sich alles einzuprägen. Ihm wurde eine außergewöhnliche Gabe in die Wiege gelegt: Er verfügt über ein fotografisches Gedächtnis! Karten aller Art, Bilder und sogar ganze Texte kann er sich für kurze Zeit einprägen und wenn notwendig, wie auf Knopfdruck, abrufen. Seine Kommilitonen beneiden ihn um dieses besondere Talent, verschafft es ihm doch bei Klausuren erhebliche Vorteile. Doch Dario spricht nicht so gerne über diese Fähigkeit, denn er möchte nicht als Sonderling gelten! Niemand konnte Dario bislang erklären, woher diese Veranlagung rührt. Auch seine aus Persien stammende Mutter hatte keine Erklärung. Niemand sonst in der Familie besaß diese Fähigkeit. Darios Vater neckt ihn immer augenzwinkernd, dass er diese Eigenschaft von dem persischen Großkönig Dareios geerbt haben müsse, nach dem man ihn benannt habe.

»Ein Großkönig braucht ein großes Hirn!«, frotzelt sein Papa bei jeder Gelegenheit, die sich ihm bietet. Dario mag es nicht, wenn er als etwas Besonderes herausgestellt wird. Deshalb meidet er es, mit anderen über sein fotografisches Gedächtnis zu sprechen.

Dario läuft los, überquert einen Parkplatz und steht vor einer hohen Hinweistafel, auf der die einzelnen Stationen des Rundweges »Historischer Halberg« markiert sind. Station 4 ist das Mithrasheiligtum. Das muss diese geheimnisvolle Höhle sein, in der römische Legionäre den Lichtgott Mithras verehrt haben sollen. Gar nicht weit von hier!

Zunächst geht es einen Waldweg bergab. Die Maisonne begleitet ihn mit ihren wohlig wärmenden Strahlen. Die Natur ist hier fast unberührt. Die Kronen der Baumriesen ragen in den Himmel und scheinen ihre überlangen Äste zur Begrüßung nach ihm auszustrecken. Das junge Laub spannt seinen grünen Blätterschirm über Dario, durch den die Sonnenstrahlen immer wieder einen Weg finden, um das Leben am Waldboden wachzuküssen. Eine schmale Ameisenstraße kreuzt seinen Weg, ein Eichhörnchen bringt in Windeseile eine Nuss zu einem Versteck, Vögel zwitschern im Geäst und scheinen auf den Zweigen zu tanzen. Dario lässt sich treiben, hinein in die wundervolle Natur, den Verkehrslärm, die Hektik hinter sich lassend. Schon bald ist er weit entfernt von dem Getöse der Großstadt. Er entspannt sich. Zum ersten Mal ergreift ihn eine tiefe innere Ruhe, wie er sie schon seit langer Zeit nicht mehr verspürt hat. Der Zauber des Waldes nimmt ihn gefangen. Dario folgt einer inneren Stimme, die ihn auffordert, immer tiefer in den Forst einzudringen. An einer Wegbiegung glänzt ein nagelneues Schild: ›Mithrasheiligtum‹. Soll er weitergehen oder doch zurück? Ein beklemmendes Gefühl macht sich in ihm breit. Zurück ins Leben, zurück in die Stadt? Oder doch dem geheimnisvollen Pfad folgen, der ihn immer weiter in die Vergangenheit führt, hinab in die alte Geschichte des Halbergs, der schon immer ein mystischer Ort gewesen sei, wie sein Uni-Lehrer behauptete.

Dario kann nicht anders: Er geht weiter! Hinein in den Zauberwald.

2 – Die Grotte des Mithras

Dario kann nicht zurück! Beim Anblick des blauen Hinweisschildes mit der Aufschrift ›Mithrasheiligtum‹ steigen in ihm die Erinnerungen an seine Schulzeit auf. Sein Geschichtslehrer hatte ihnen von einem römischen Kastell am Ufer des Flusses Saar berichtet, und von Legionären, die dort die römische Staatsgrenze zu sichern hatten. Einen neuen Gott hätten diese Legionäre verehrt, den sie aus dem Orient mitgebracht hätten: Mithras. Das alles hat Dario bis heute im Gedächtnis behalten. Er ist sich sogar sicher, dass der lebendig gestaltete Unterricht seines Lehrers ihn dazu bewegt hat, Religionsgeschichte und Orientalistik zu studieren.

Und nun soll es hier ein Heiligtum dieses Gottes geben? Mitten im Wald? Wieso hatte er noch nie davon gehört? Wie von einem unsichtbaren Geist gelenkt, folgt Dario dem engen Pfad, der sich an einem steil abfallenden Felsen entlangschlängelt. Ein Handlauf aus Metall sichert den Wanderer vor einem Sturz in die Tiefe. Vorsichtig tastet sich Dario weiter über knorrige Wurzeln hinweg, die ihm das Gehen erschweren. Vom heftigen Frühjahrssturm herabgerissene Äste blockieren hier und da den Weg. Eine aus rötlichem Sandstein bestehende Stufe markiert das letzte Hindernis, bevor sich vor ihm ein etwa zwanzig Meter breites Areal eröffnet. Zwischen konischen Metallpollern hängen schwere Eisenketten, die jeden Eindringling bedrohlich den Weg vorzugeben scheinen, auf dem er zu wandeln hat. Die Bäume stehen hier noch dichter, so, als ob sie ihre Äste zu einem grünen Baldachin verwoben hätten. Dario lässt sich nicht davon abhalten, weiterzugehen, auch wenn ihn ein befremdliches Gefühl beschleicht. Er weiß nicht, was ihn stört, doch plötzlich wird es ihm klar: Das Singen der Vögel ist verstummt! Kein Laut ist mehr zu hören. Kein Lebewesen weit und breit! Dario bleibt stehen und lauscht in die Stille. Nichts, außer das leise Rauschen der Blätter über ihm, die keinem Sonnenstrahl Durchlass gewähren. Es ist kalt und zugig. Dario fröstelt. Langsam bewegt er sich vorwärts. Weit vor ihm fällt ein einziger Streifen Licht durch das dunkle Gezweig. Er hält darauf zu.

Das Lichtbündel fällt auf eine Felswand, die sich zu seiner Rechten haushoch erhebt. Seltsame Rechtecke sind in den Felsen geschlagen, denen Dario in diesem Moment keine Beachtung schenkt, denn vor ihm öffnet sich eine Lichtung. Ein mindestens zwei Meter hoher Metallzaun umsäumt im Halbrund eine dunkle Stelle, die sich in die Felswand schiebt. Zaghaft geht er auf die Absperrung zu. Schon von Weitem erkennt er auf dem Hinweisschild die Aufschrift ›Mithrasheiligtum‹. Seine Augen schweifen nach rechts. Eine Grotte bohrt sich in das Innere des Felsens, der seinerseits diese finstere Nische mit steinernen Armen zu umschlingen scheint. Dario überfliegt den Text auf der Hinweistafel: Mithrasgrotte, auch Heidenkapelle genannt. Eine der ältesten historischen Orte im Umkreis von Saarbrücken. Bewohner der römischen Siedlung legten in der natürlichen Höhle ein Heiligtum an, in dem sie Mithras, einen römischen Gott persischen Ursprungs verehrten. Dario muss lachen:

Persischen Ursprungs bin auch ich, dank meiner Mutter!

Gebannt schaut er durch die Eisenstäbe des Gitters in das Innere der Höhle. Sechs dorische Säulen wurden in der Neuzeit nachträglich zur Markierung des Altarraums aufgestellt. Die Nachbildung eines Reliefs zeigt einen Mann mit einer phrygischen Mütze, einer orientalischen Kopfbedeckung mit einem längeren runden Zipfel, der in Richtung der Stirne fällt. Der Held dieser Szene ist der persische Gott Mithras. Er kniet auf einem Stier und rammt diesem einen Dolch in den Hals.

Sein Geschichtslehrer hatte ihnen von dem Kult dieser mystischen Religion berichtet. Das Blut der Opfertiere floss in ein Becken, dessen Vertiefung auch heute noch zwischen den Säulen zu sehen ist.

Abb. 2: Mithras tötet Stier

Ob es hier auch Menschenopfer gab? Dario läuft bei diesem Gedanken ein Schauer über den Rücken. Erst jetzt sieht er, dass es rechts von ihm eine Tür gibt: Der Eingang durch das Absperrgitter hinein in die Grotte! Dario packt die Neugier. Er rüttelt zunächst vorsichtig an der Tür, dann heftiger. Verschlossen! Noch einmal packt er die Gitterstäbe der Pforte und reißt sie mit aller Kraft nach hinten. Mit einem Schlag dreht sich die eingerostete Tür laut quietschend in ihren Angeln und gibt den Weg ins Innere der Höhle frei.

Dario bleibt im ersten Augenblick wie gelähmt stehen. Er schaut sich nach allen Seiten um. Er ist allein. Kein Mensch zu sehen! Er fasst sich ein Herz und betritt den inneren Kreis des Heiligtums. Seine Augen wandern über die vor ihm liegende Felswand. Links eine steinerne Treppe. Sie führt fünf Stufen hinauf und endet an der von Menschenhand geglätteten Felswand. Eine Treppe ins Nichts – seltsam! Noch einmal wendet er sich um. Grelles Licht fällt ihm mitten ins Gesicht, weshalb er seine Aufmerksamkeit wieder der mysteriösen Grotte zuwendet. Einen Atemzug lang erstrahlt die Opferstelle wie im künstlichen Licht einer Halogenlampe. Schon im nächsten Moment besprüht die Sonne die Höhlenwände mit goldgelben Farben, um danach das Relief des Mithras leuchten zu lassen.

Dario kann seinen Blick nicht mehr abwenden. Im Bild regt sich etwas. Nein, es muss das Flimmern der Sonnenstrahlen sein! Aber doch – es bewegt sich! Er traut seinen Augen kaum! Der Mann mit der Phryger-Mütze und dem Dolch in der Hand bewegt sich! Ein Tagtraum? Dario spürt, dass ihn von hinten kräftige Hände an den Schultern packen. Finger bohren sich in seinen Hals. Das ist keineswegs ein Traum! Noch ehe er sich versieht, wird er auf die Knie gezwungen, mitten auf der Opferstelle. Ist er verrückt geworden? Bildet er sich das nur ein? Doch Dario blickt in die entschlossenen Gesichter zweier römischer Legionäre. Beide in voller Rüstung mit Helmen auf den Köpfen, wie man sie aus Geschichtsbüchern kennt. Der Mann aus dem Relief schwebt auf ihn zu – in gleißendem Licht, den blutigen Dolch in der Rechten, einen Becher in seiner Linken haltend.

»Bibe!«, grollt eine dunkle Männerstimme aus dem Lichtkranz heraus, »bibe sanguinem sanctum!«

Seit seiner Schulzeit hat Dario kein Latein-Buch mehr in der Hand gehalten, doch so viel versteht er noch: Das unheimliche Wesen befiehlt ihm, das heilige Blut zu trinken. Er bäumt sich auf, wehrt sich mit aller Kraft, doch die beiden Schergen halten ihn mit eisernem Griff gepackt. Der Mann mit der Phryger-Mütze presst ihm den Becher an die Lippen, während die beiden Legionäre brutal seinen Kopf festhalten. Dario versucht, die Zähne zusammenzupressen. Vergeblich! Noch warm läuft das Stierblut über seine Zunge. Mund und Nase werden ihm zugehalten. Der Lebenssaft des Opfertieres rinnt in seine Kehle, brennt wie heißes Metall in seinem Hals! Ihm schwinden die Sinne.

3 – Licht des Blutes

Nur langsam kommt Dario wieder zu sich. Um ihn herum scheint alles verschwommen. Dunkelheit umfängt ihn. Er richtet sich auf, blickt um sich. Seine Augen benötigen eine Weile, um sich an die Finsternis zu gewöhnen. Hoch über ihm fällt durch eine halbrunde Öffnung ein wenig Licht. Von dort dringen dumpfe Stimmen, verkümmerte Laute, dahinfliegende Wortfetzen zu ihm herunter. Dicht neben ihm vernimmt er das Plätschern von Wasser. Nicht so laut wie bei einem dahinströmenden Fluss, sondern eher wie das Geräusch eines Wellenschlags am Gestade eines ruhenden Sees. Dario greift sich an den Kopf, schüttelt sich, reibt sich die Augen. Nein, es ist kein Traum! Wo ist er hier gelandet? Seine letzte Erinnerung ist die mysteriöse Grotte auf dem Saarbrücker Halberg, die beiden römischen Legionäre, der lichtdurchflutete Geist mit der Phryger-Mütze, der ihn zwang, Blut zu trinken. Jetzt sitzt er hier auf einem harten Steinboden. Dario erhebt sich. Es ist eiskalt. Ihn fröstelt. Kein Wunder, denn er ist nur spärlich bekleidet. Als er an sich herunterschaut, erkennt er, dass er ein fremdartiges Kleidungsstück trägt. Wo ist seine Jeans, sein T-Shirt abgeblieben? Er betastet den groben Wollstoff seines Gewandes, das ihm bis zu den Knien reicht. Es fühlt sich an wie ein Rock, der seine Beine frei lässt. Seine Füße stecken in Sandalen – das fühlt er deutlich an seinen nackten Zehen. Seine Uhr ... sie ist weg! Wie gewohnt greift er an seine Oberschenkel. Sein Gewand hat keine Taschen! Vergeblich sucht er nach seinem Handy. Dario bückt sich und tastet den Boden ab. Nichts, rein gar nichts aus seinem alten Leben!

Nun endlich haben sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Er erkennt, dass er in einer riesigen Halle steht. Über ihm ein mächtiges Gewölbe, das sich wie ein steinerner Himmel über ihm spannt. Er selbst steht auf einem erhöhten Absatz, der Teil einer gigantischen Umfassungsmauer ist, die ein Bassin umschließt. Nur einen halben Meter unter ihm erstreckt sich eine Wasserfläche. Sein Auge schweift durch den Kuppelbau – überall Wasser! Jedes Geräusch seiner Bewegungen hallt wie ein Echo von den Wänden.

Abb. 3: Das Gewölbe

»Ist hier jemand?«, fragt er in die Finsternis der Kuppelhalle, die ihm seine Worte unbeantwortet in hunderten von Echos zurückwirft.

Dario ist allein. Er fühlt sich einsam und verlassen. Winzig wie ein Käfer kommt er sich vor, in diesem mit Wasser gefüllten Saal, den Riesen erbaut haben müssen. Seine Hand berührt die Wand hinter ihm. Glatt und feucht sind die aufeinandersitzenden Steinquader, die keine Fugen zu haben scheinen. Ein Gefängnis aus Stein, mit schroffen Wänden, gefüllt mit eiskaltem Wasser. Dario fühlt sich wie benommen. Er taucht seine Hände ins Wasser und benetzt sich das Gesicht. Auf seinen Lippen liegt noch immer der metallische Geschmack von getrocknetem Blut. Seine Kehle ist wie ausgetrocknet. Dario wirft alle Bedenken über Bord und schöpft eine Handvoll Wasser aus dem Bassin. Zu seiner Überraschung schmeckt es köstlich! Nicht nach Chlor, nicht nach Zusatzstoffen – einfaches frisches Wasser, wie aus einem Bergquell! Gierig beginnt er zu trinken. Das kühle Nass weckt seine Lebensgeister! Ist er in einem Albtraum gefangen oder ist es doch Realität? Doch alles um ihn herum ist so echt. Das ist kein Traum! Aber es muss einen Ausweg geben! Dario rafft sich auf. Er nimmt noch einen letzten Schluck Wasser, um sich den Mund auszuspülen.

Nun aber raus hier! Dario tastet sich an der Wand entlang. Vorsichtig, aber doch voller Zuversicht. Hier in der Dunkelheit verrecken will er nicht! Er muss nach oben – dorthin, wo das Licht durch den schmalen Schlitz fällt. Es dauert eine Ewigkeit bis er mit den Füßen an etwas stößt. Mit seinen Händen tastet er sich nach vorne: Vor ihm liegen Stufen. Es muss eine steinerne Treppe sein. Zunächst kriecht er auf allen vieren weiter nach oben. Doch schon bald bemerkt er, dass diese Stiege aus exakt behauenen Steinen besteht. Aufrecht gehend steigt er, Stufe für Stufe, nach oben, dem Tageslicht entgegen. In einer Ecke der Halle macht die Treppe eine Wendung um neunzig Grad und führt das letzte Stück hinauf zu einem halbkreisförmigen Oberlicht, das viel größer ist, als es von unten den Anschein hatte. Trotzdem fällt nur ein spärlicher Schimmer durch die Öffnung. Dario geht in die Hocke und schaut hinaus auf einen ausgedehnten Platz, über dessen Steinpflasterung Hunderte von Menschen hin- und herlaufen. Dichtes Gedränge an Marktständen, vollbeladene Eselskarren queren eine breite Straße, die sich zwischen monumentalen Gebäuden verliert. Das Rufen und Schreien der Händler fliegt über die Köpfe der Vorbeieilenden, die seltsame Kleidung tragen. Wie Dario selbst, sind fast alle Männer mit rockartigen Gewändern bekleidet, deren Säume über den Knien enden. Frauen sind dagegen in elegant geschwungene Stolen gehüllt, die bis zu ihren Knöcheln herabhängen. Sie haben bunte Tücher zum Schutz vor der gleißenden Sonne um ihr Haar geschlungen. Die Männer tragen turbanartige Kopfbedeckungen. Die Hitze strömt wie der Luftzug eines heißen Haarföhns durch den Spalt in das Innere des Gewölberaums, in dem sich Dario noch immer verborgen hält. Er wagt es nicht, sich den fremden Menschen zu zeigen. Abwartend beobachtet aus seinem sicheren Versteck heraus die Straßenszene.