Changing Tides: Zusammen erwacht - Annie C. Waye - E-Book

Changing Tides: Zusammen erwacht E-Book

Annie C. Waye

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Beschreibung

***Unerwartete Gefühle auf Gran Canaria***

Seit Projektmanagerin Sina ihren Job verloren hat, weiß sie nichts mehr mit sich anzufangen. Ihr bietet sich die perfekte Ablenkung, als ihr Bruder sie darum bittet, bei der Planung seiner Hochzeit einzuspringen. Im sonnigen August reist sie nach Gran Canaria und soll gemeinsam mit Ale, dem Bruder der Braut, innerhalb von zwei Wochen eine deutsch-kanarische Traumhochzeit auf die Beine stellen. Aber auf der Insel angekommen, hat Ale nicht vor, ihr zu helfen. Ganz im Gegenteil: Die auswärtige Sina scheint ihm ein Dorn im Auge zu sein. Doch je mehr sich die beiden abstoßen, desto stärker wird die Anziehungskraft zwischen ihnen …

Romance für Young und New Adults:

  • Warme Gefühle auf Gran Canaria
  • Tropes: Enemies to lovers, stuck together
  • Mit wenig Drama und viel Gefühl: Perfekt zum Abschalten!
  • Taschenbuch mit wunderschönem Farbschnitt in limitierter Auflage
Alle Bände der "Seasons of Love" sind unabhängig lesbar.

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Changing Tides

Zusammen erwacht

Impressum

Annie Waye

c/o JCG Media

Freiherr-von-Twickel-Str. 11

48329 Havixbeck

© 2024 Annie Waye

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Emily Bähr

Lektorat und Buchsatz: Kaja Raff

Mit Dank an meine Testleserin Bella.

Am Ende dieses Buchs findest du ein Glossar.

Bisher erschienen:

Dancing Snowflakes: Zusammen eingeschneit (Winterroman)

Painting Flowers: Zusammen erblüht (Frühlingsroman)

Craving Sunlight: Zusammen erstrahlt (Sommerroman)

Falling Leaves: Zusammen geträumt (Herbstroman)

Chasing Snowfall: Zusammen verloren (Winterroman)

Faking Butterflies: Zusammen berühmt (Frühlingsroman)

Changing Tides: Zusammen erwacht (Sommerroman)

ANNIE WAYE

Annie Waye ist eine junge Autorin mit einer alten Seele. Sie ist auf der ganzen Welt zu Hause und seit jeher der Magie der Bücher verfallen. Sie schreibt, um fremde und vertraute Welten zu erschaffen, sympathischen und zwiespältigen Charakteren Leben einzuhauchen und Dunkelheit und Stille aus den Herzen der Menschen zu vertreiben. Wenn sie nicht gerade an Romanen arbeitet, veröffentlicht sie Kurzgeschichten und bereist die Welt auf der Suche nach ihrem nächsten Sehnsuchtsort.

Instagram * TikTok * Newsletter * WhatsApp

Für alle, die sich nach einer sanften Sommerbrise sehnen.

1. Una segunda oportunidad

»Und du bist dir wirklich sicher, dass du das übernehmen willst, Sina?«, fragte Dennis am anderen Ende der Leitung.

Meine Hand mit dem Handy fühlte sich zittrig an, mindestens so sehr wie die, mit der ich meinen Koffer hinter mir herzog. Und in etwa genau so wie die Stimme meines Bruders, als er mir zum dritten Mal in einer Woche diese Frage stellte.

»Wir können das sicher auch anders arrangieren. Wir hatten ja noch ein paar andere Firmen für die Hochzeit angefragt, und –«

»Die haben bestimmt keine Kapazitäten mehr«, entgegnete ich und bahnte mir meinen Weg durch den weitläufigen Sicherheitsbereich des Münchener Flughafens. »Niemand sucht sich einen Wedding-Planner für Last-Minute-Hochzeiten. Und außerdem … habe ich ja sowieso frei«, umschrieb ich die harten Fakten galant. »Also kann ich die nächsten Wochen doch genauso gut produktiv verbringen.«

Ein widerstrebendes Schweigen ertönte im Hörer. »Na ja«, murmelte er. »Du wärst auch produktiv, wenn du dir einen neuen Job suchen würdest …«

Seine Worte bohrten sich wie ein Pfeil in meine Brust. Ich setzte das größte Fake-Lächeln auf, das ich draufhatte, und hoffte, dass es irgendwie den Weg in meine Stimme fand. »Ich kann mich doch immer bewerben!«, entgegnete ich. »Du heiratest nur einmal! Hoffentlich.«

Er lachte leise. »Hoffe ich auch.«

Mit einem Mal realisierte ich, dass ich keinen Plan hatte, zu welchem Gate ich überhaupt musste, und mit zwei vollen Händen und Dennis in der Leitung fühlte ich mich plötzlich restlos überfordert. »Gibt es noch irgendwas Wichtiges?«, fragte ich und blieb stehen. »Ich meine, worauf ich achten soll? Irgendwelche Vorzüge oder –«

»Nein. Nein, überhaupt nicht«, wehrte Dennis ab. »Wir sind einfach nur froh, wenn unsere Hochzeit nicht ins Wasser fällt.«

Ich schloss für einen Moment die Augen und wollte mir gar nicht ausmalen, wie Andrea und er sich fühlten. Vor einem Jahr hatten sie diese Firma engagiert, um ihre Trauung auf Gran Canaria zu planen. Vor zwei Monaten war jeglicher Kontakt abgebrochen, und vor einer Woche hatten sie erfahren, dass das Unternehmen insolvent gegangen war – und dass keine der Buchungen für Location, Verpflegung, Musik oder Dekoration jemals vorgenommen worden waren. Unterm Strich standen die beiden mit nichts da. Mit nichts außer hundertfünfzig versendeten Einladungen, die erwartungsvollen Gästen Zeit und Ort vorgaben, woraufhin bereits unzählige Flüge auf die Insel gebucht worden waren.

Kurz gesagt: Wenn das hier nicht funktionierte, wäre es ein Desaster. Als mir Dennis von der Situation erzählt hatte, hatte ich mich sofort bereit erklärt, Abhilfe zu schaffen. Als Projektmanagerin gehörte so etwas schließlich zu meinem Tagesgeschäft. Zumindest wäre das so, hätte ich noch ein Tagesgeschäft gehabt …

»Okay.« Ich schob mir eine dunkelblonde Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte. »Und was das Budget betrifft …«

»Mach dir keinen Kopf, Sina«, sagte er nicht zum ersten Mal. »Es gibt kein Limit. Die Hochzeit steht im Vordergrund. Wir wollen einfach nur, dass es schön wird.« Pause. »Aber stress dich nicht zu sehr, ja? Du bist zwei Wochen auf Gran Canaria, also mach dir auch eine tolle Zeit.«

Mein Magen krampfte sich zusammen. Obwohl seine Worte aufmunternd und positiv klingen sollten, konnte ich nicht anders, als etwas anderes hineinzudichten. Stress dich nicht zu sehr war ein Tipp, den ich ein paar Monate früher gebraucht hätte. Dann wäre es nie so weit gekommen.

»Klar«, sagte ich matt. »Hab ich vor.«

»Super. Ich muss zu einem Meeting. Guten Flug – und schreib mir, wenn du bei Ale bist.«

»Mhm, danke, bye.« Ich fühlte mich wie benommen, als ich auflegte, und war mir im Nachhinein nicht mehr sicher, ob ich mich überhaupt verabschiedet hatte. Ich atmete tief durch und drehte mich im Kreis. Vielleicht hatte Dennis recht und ich sollte das hier eher wie einen Urlaub mit ein paar Verpflichtungen ansehen. Aber das konnte ich nicht, weil ich mir so etwas wie Urlaub alles andere als verdient hatte.

Ich war zwei Stunden zu früh und es war gerade so zwölf Uhr, weshalb ich beschloss, mich in ein Café zu setzen und etwas zu essen. Doch wohin ich auch ging, schienen alle Plätze belegt zu sein – schließlich war es Anfang August und damit die Hauptreisezeit in München gerade erst angebrochen. Am Ende bekam ich noch einen Platz in einem Restaurant, in dem man von einer Bedienung zu seinem Tisch gebracht wurde. Ein Service, der sich auch in den Preisen in der Karte widerspiegelte.

Ich bestellte mir ein Sandwich mit gegrilltem Gemüse und spielte lustlos mit meinem Handy herum, scrollte noch einmal durch die Nachrichten von Dennis‘ Verlobter und versuchte mich auf die kommende Zeit vorzubereiten.

ANDREA SCHUSTER CORREA

Mein Bruder holt dich vom Flughafen ab. Ich hab ihm schon deine Flugdaten geschickt. Falls irgendwas sein sollte, kopiere ich dir unten noch seine Adresse rein.

Ich hab dir auch noch mal die Seiten aus dem Hochzeitsalbum abfotografiert, das die uns geschickt hatten. Wie sie es gemacht hätten, hätten sie denn irgendwas gemacht … Falls du Inspiration brauchst.

Ich wusste nicht, was mich mehr unter Druck setzte. Die Fotos einer wunderschönen Märchen-Strandhochzeit in einem Luxushotel mit Fünf-Sterne-Catering und einer beliebten Hochzeitsband? Oder die Tatsache, dass mich mein Schwippschwager bei der Planung unterstützen würde? Ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte und bei dem ich auch noch wohnen würde.

Ich wollte nicht bei ihm wohnen. Er war irgendwie Familie und trotzdem ein Fremder. Doch Andrea hatte mir das Angebot mit einer solchen kanarischen Inbrunst unterbreitet, dass ich mich nicht getraut hatte, abzulehnen. Aber solange sich Alejandro nicht als Axtmörder herausstellte, würde das Ganze schon schiefgehen.

Um meine Unsicherheit abzubauen, hatte ich ihm vor ein paar Tagen eine Nachricht geschickt – nicht zuletzt, weil ich es komisch fand, dort aufzukreuzen und mich von ihm abholen zu lassen, ohne zuvor auch nur einen Piep von mir gegeben zu haben. Doch als ich jetzt den Chat mit ihm öffnete, wuchs besagte Unsicherheit ins Unermessliche.

SINA

Hi, ich bin Sina (Dennis‘ Schwester). Danke, dass ich nächste Woche bei dir wohnen darf! Ich schicke dir unten noch mal meine Flugdaten für den Fall, dass du sie noch nicht hast. Kann ich dir als Dank irgendetwas aus Deutschland mitbringen? So als Gastgeschenk?

Is German alright for you? We can speak English, too, if that’s better!

Die letzte Nachricht unterstrich nur, wie wenig ich über Ale wusste. Andrea und er hatten einen deutschen Vater und früher in Deutschland gewohnt, aber er war noch ein Kind gewesen, als seine Mutter ihn und seine Schwester zurück nach Gran Canaria geholt hatte. Sie sprach hervorragend Deutsch, arbeitete allerdings auch für eine internationale Unternehmensberatung in München – in derselben wie Dennis. Ale dagegen war sein Leben lang auf der Insel geblieben und ich hatte keine Ahnung, wie gut sein Deutsch war. Ich kannte ihn kein bisschen und hatte gehofft, daran im Vorfeld etwas ändern zu können.

Das war seine Antwort gewesen:

ALEJANDRO CORREA

Claro

Als ich dieses eine Wort anstarrte, hätte ich am liebsten geheult. Ich hatte dem Kerl einen ganzen Roman geschrieben, und das war seine Antwort? Was zur Hölle sollte das bedeuten? Claro, bring mir ein Geschenk mit? Claro, wir können uns auf Deutsch unterhalten? Claro, Englisch ist besser? Claro, ich habe keine Ahnung, was du da faselst, ich spreche nur Spanisch?

Die Zeit verstrich quälend langsam, aber ich hielt es nicht länger im Restaurant aus, in dem ich zwangsläufig nur in meinen eigenen Grübeleien badete. Das Zahlungsgerät der Bedienung lehnte meine Karte ab, und als ich mein Bargeld prüfte, hatte ich genau fünf Euro übrig. Was folgte, war ein Prozess aus entschuldigen, meinen Koffer zurücklassen und zum nächsten Bankautomaten rennen, meine PIN zweimal falsch eingeben, irgendwo doch noch an Bargeld kommen, wieder zurücksprinten, schwitzen und rot werden, noch mals entschuldigen, bezahlen, entschuldigen, Trinkgeld, entschuldigen und schließlich abdampfen. Witzigerweise schaffte es dieser Vorfall nicht einmal in meine Top 10 in der Kategorie Peinliche Versagen von Sina Ludwig der letzten drei Monate.

Mein ganzes Leben war ein einziger, elendig langer Prozess des Scheiterns. Ich verzeichnete weit mehr Niederlagen als Erfolge, angefangen damit, dass ich in der neunten Klasse vom Gymnasium in die Realschule versetzt worden war. Meine Ausbildungsfirma hatte mich nach Ablauf der drei Jahre nicht übernommen, ich war zweimal durch die praktische Führerscheinprüfung gefallen, meine bisherigen zwei Beziehungen hatten keine sechs Monate gehalten – zusammengenommen – und als ich neulich meine Wohnung für zwei Wochen untervermietet hatte, hatte ich sie als einzigen Trümmerhaufen zurückbekommen.

Ach ja, und meine letzte Firma hatte mich gefeuert, weil sie meinetwegen einen Haufen Geld verloren hatten. Einen sechsstelligen, wenn nicht gar schon siebenstelligen Betrag, vom Image-Schaden mal ganz abgesehen.

Vielleicht war ich nicht Dennis‘ beste Option, noch eine Hochzeit auf die Beine zu stellen. Ich konnte froh sein, dass ich seine einzige war. Denn diese Herausforderung war genau das, was ich brauchte. Die eine Sache, die dafür sorgen könnte, dass ich nicht an mir selbst zerbrach. Bisher war ich für meine Familie eine einzige Enttäuschung gewesen. Welchen besseren Weg der Rehabilitation gäbe es, als für meinen perfekten Unternehmensberater-Vorzeigebruder den schönsten Tag seines Lebens zu organisieren?

Meine Schatten der Vergangenheit und der glorreiche Glanz der Zukunft rangen um die Oberhand, als ich mich – immer noch viel zu früh – auf den Weg zu meinem Gate machte. Auch wenn die letzten Wochen nicht besonders gut gelaufen waren, war mein Feuer nicht erloschen. Ja, ich brannte für diese Hochzeit, und ich würde alles dafür geben, um sie perfekt zu machen. Alles würde wie am Schnürchen laufen. Davon war ich fest überzeugt.

Und für den Anfang sah es auch ganz gut aus: Mein Flieger startete pünktlich, ich bekam wie gebucht meinen Fensterplatz und schaffte es trotz der fünf Stunden Flugzeit, kein einziges Mal aufs Klo zu müssen. Wie durch ein Wunder fand sich kein schreiendes Kind im Flieger, meine heruntergeladenen Filme auf meinem Tablet ließen sich auch abspielen und wir erreichten Gran Canaria sogar zehn Minuten zu früh. Gekrönt wurde dieser Tag von der Tatsache, dass mein Koffer wirklich den Weg zurück zu mir fand. Eigentlich hatte ich nur mit Handgepäck fliegen wollen, aber schließlich hatte ich bereits jetzt meine Hochzeitsgarderobe einpacken müssen, und die ließ sich nicht in einen kleinen Koffer quetschen.

Umso anstrengender war es für mich, ein großes und ein kleines Gepäckstück durch den Flughafen von Gran Canaria zu rollen. Es fühlte sich so an, als wollten beide Koffer nonstop in jeweils unterschiedliche Richtungen abdriften, und ich musste sie alle paar Schritte bändigen wie zwei Kampfhunde beim Gassigehen. Irgendwie schaffte ich es aus dem Sicherheitsbereich, und meine Nervosität schoss ins Unermessliche, als ich durch die geöffnete Schiebetür trat. Auf der anderen Seite befanden sich lieblos aufgestellte Pfeiler mit Absperrband, hinter dem ein ganzer Haufen Menschen wartete: Familienmitglieder, Reiseführer, Fahrer, manche sahen sogar aus wie Bodyguards, allesamt bewaffnet mit Schildern, um sich zu erkennen zu geben. Ich hatte keine Ahnung, ob Ale auch eines dabei hatte. Ich hatte ihn bei Social Media hinzugefügt, er meine Anfragen jedoch noch nicht angenommen. Der einzige Hinweis darauf, wie er aussah, waren die winzigen runden Vorschaubilder seiner Profile gewesen, auf denen ich aber nur einen gut gebräunten Körper auf einer Art Segelboot erkannt hatte. Nicht besonders aussagekräftig für jemanden, der auf Gran Canaria wohnte.

Sofort wurde ich langsamer und blickte mich suchend in der Menge um. Weil ich das Gefühl hatte, viel zu ernst dreinzuschauen, rang ich mir wieder ein Lächeln ab – und erntete verwirrte Blicke von mehreren Leuten, die sich fälschlicherweise angesprochen fühlten.

Ruhelos ließ ich meine Aufmerksamkeit durch die Menge wandern. Bisher war alles wunderbar gelaufen. Die einzige Sache, um meine Anreise perfekt zu machen, war Alejandro.

Aber von Alejandro fehlte jede Spur.

2. La isla

Ich bin früher da als angekündigt, rief ich mir ins Gedächtnis, während ich mich unsicher mit winzig kleinen, tapsenden Schritten an der Absperrung entlangbewegte und jedes einzelne Gesicht so intensiv fixierte, dass manche beinahe schon beschämt den Blick abwandten. Niemand von ihnen war Alejandro. Natürlich ist er noch nicht da. Er hatte ja erst später mit mir gerechnet.

Ich ließ einen meiner Koffer los, um mein Handy zu checken. Jetzt, wo ich mein Gepäck abgeholt hatte, war meine geplante Ankunftszeit längst überschritten.

Ich zog die Schultern hoch und fühlte mich plötzlich extrem fehl am Platz. Mühevoll schleppte ich meine Siebensachen in die nächstbeste Ecke, während ich weiterhin jeden Mann in meinem Alter mit dem Blick aufsaugte, ohne die gewünschte Reaktion zu erhalten. Wie wahrscheinlich war es, dass ich ihn nicht erkannte und er mich nicht?

Wieder mit meinem Handy in der Hand checkte ich unseren Chat, aber er hatte sich nicht gemeldet. Ich hatte weder ein Ich bin da noch ein Ich verspäte mich oder auch nur ein Claro bekommen. Hatte er mich etwa vergessen? Der App zufolge war er zuletzt vor einer Stunde online gewesen. Dass ich das sehen konnte, bedeutete immerhin, dass er meine Nummer gespeichert hatte.

Unschlüssig schwebte mein Finger über der Tastatur, aber ich wagte es nicht, ihm zu schreiben. Wahrscheinlich saß er gerade im Auto, und niemand hatte etwas davon, wenn ich ihn jetzt drängte – nur wenige Minuten, nachdem ich hier herausgekommen war. Ich sollte der Sache noch etwas Zeit geben. Ich hatte schließlich ganze zwölf Tage davon.

Ich atmete tief durch und versuchte mich zu entspannen. Fünf Minuten lang. Dann wurde das ungute Gefühl in meiner Magengrube schlimmer. Okay, nur eine kleine Nachricht. Was wäre schon dagegen einzuwenden?

SINA

Hey, ich stehe im Ankunftsbereich. Gelbes Oberteil und Jeans. :)

Erst nachdem ich die Nachricht gesendet hatte, fiel mir auf, dass ich immer noch nicht wusste, ob Ales Deutsch eingerostet war oder nicht. Für einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, etwas Englisches hinterherzuschieben, aber meine Unsicherheit verwandelte sich jäh in Ungeduld. Sollte er einen blöden Übersetzer verwenden, wenn er es nicht verstand. Doch zuerst einmal sollte er hier aufkreuzen.

Geschlagene fünf Minuten starrte ich auf meinen Bildschirm, aber Ale kam nicht online. Wahrscheinlich auch besser so, wenn er tatsächlich gerade hinterm Steuer saß. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis er sich meldete …

Eine halbe Stunde später saß ich mit starrem Blick auf dem Boden zwischen meinen Koffern und stürzte in ein tiefes Loch. Was war nur los? Hätte er nicht längst hier sein müssen? So groß war die Insel doch gar nicht!

Ich hatte schon zweimal versucht, ihn anzurufen, und er war nicht rangegangen. Allmählich wurde ich das Gefühl nicht los, dass er mich nicht einfach vergessen hatte. Sondern dass es einen verdammt guten Grund gab, warum er nicht mal mehr sein Handy checkte. Irgendetwas musste vorgefallen sein. War ihm was passiert? War sein Auto liegen geblieben? Ein Unfall? Vielleicht war gar nicht heute etwas geschehen – was wenn er, keine Ahnung, vor zwei Tagen eine Klippe runtergestürzt war und niemand wusste was davon?

Na ja, abgesehen von den Leuten, denen er bis vor einer Stunde Nachrichten geschrieben haben könnte …

Okay, vielleicht war er nicht vor zwei Tagen eine Klippe runtergestürzt. Aber es sah trotzdem nicht gut aus. Und ich saß hier am Flughafen fest.

Ich versuchte noch ein letztes Mal, ihn anzurufen, und während ich mich von den lauten Tuuut-Geräuschen vorhin unglaublich getriggert gefühlt hatte, drehte sich mir jetzt der Magen um. Ich ließ es fünfzehnmal erklingen, dann legte ich auf und suchte stattdessen kurzerhand Ales Anschrift im Chatverlauf mit seiner Schwester heraus. Mit beiden Koffern bepackt trat ich aus dem Gebäude und wurde jäh von der kanarischen Mittagshitze erschlagen. Bevor ich unter der Sonne schmelzen konnte, hatte ich den Taxistand ausfindig gemacht und ließ mich kurz darauf auf die Rückbank sinken, das Handy immer noch in der Hand, für den Fall, dass sich Ale meldete.

Auf einmal hatte ich ein schlechtes Gewissen, von hier abzuhauen. Er hatte sich bereit erklärt, mich abzuholen, und vielleicht verspätete er sich nur und wäre enttäuscht, wenn er hier ankäme und ich wäre weg …

Ach, verdammt.

SINA

Ich hoffe, es ist alles OK! Ich nehme mir jetzt ein Taxi und hoffe, ich sehe dich gleich.

Mit gleich meinte ich auf der anderen Seite der Insel. Ale lebte in Mogán, einem Ort, bei dem ich nicht so genau wusste, ob es ein Dorf oder ein Inselbezirk war – auf jeden Fall irgendwo in Strandnähe, wenn es nach Andrea ging. Ich war fest davon ausgegangen, dass das Taxi einmal mitten durch Gran Canaria fahren würde, doch als ich den Fahrtverlauf jetzt in meiner Karten-App verfolgte, realisierte ich, dass es dafür schlichtweg nicht die Straßen gab. Stattdessen bewegten wir uns am äußersten Rand um die Insel herum und zogen einen glatten Halbkreis, der uns über eine halbe Stunde kostete.

In dieser halben Stunde wurde ich so unglaublich nervös, dass mir schlecht wurde. Ale meldete sich immer noch nicht. Sollte ich Andrea fragen? Ihr Bescheid geben? Ihr sagen, dass ich mir Sorgen machte? Oder war das übertrieben? Vielleicht war doch alles nur ein einziges großes Missverständnis, und ich wollte mich nicht schon am ersten Tag vor einem Mann blamieren, mit dem ich die nächsten zwei Wochen zusammenwohnen würde.

Weil ich noch dazu maßlos paranoid war, zog ich meinen Handgepäckskoffer an mich heran, den ich auf den anderen Sitz gewuchtet hatte, schnallte ihn auf, wühlte in einem Gewirr aus Bikinis, BHs und meinem Gastgeschenk herum und zog schließlich meine zweite Handtasche heraus. Darin – und nicht in der anderen, die man mir jederzeit entreißen könnte – befand sich das Wertvollste, was ich dabei hatte.

Vorsichtig zog ich die kleine Schatulle daraus hervor und klappte sie ehrfürchtig auf. Zwei Ringe erstrahlten darin in ihrem schönsten goldenen Schein. Die Eheringe. Das Einzige abgesehen von Brautkleid und Anzug, das für die Hochzeit bereits feststand. Und das auch nur, weil Dennis und Andrea schon vor einem Jahr standesamtlich geheiratet hatten. Sie hatten mir die Ringe überlassen, damit ich sie auf der Insel gravieren ließ: Das Datum der Standesamtlichen stand schon auf der Innenseite der Ringe und sollte jetzt auf der gegenüberliegenden Seite um die zweite Datumsangabe ergänzt werden.

Die Trauringe waren wunderschön – und gleichzeitig eine Ermahnung, dass ich das hier auf keinen Fall verbocken durfte. Schnell packte ich sie wieder weg und stopfte sie in Handtasche Nummer zwei zurück in den Koffer, in dem auf einmal kein Platz mehr war. Ich musste mein ganzes Fingerspitzengefühl zusammennehmen, um ihn noch irgendwie zu schließen, und schaffte das von meiner Position aus auch nur bei einem der drei Klappverschlüsse. Egal – ich würde heute hoffentlich keine Weltreise mehr damit machen.

Ich versteifte mich, als mir klar wurde, wie naiv der Gedanke war. Was wusste ich schon, wie es jetzt weitergehen würde? Ich hatte ja nicht mal eine Ahnung, wo mein Hausherr abgeblieben war!

Als meine Karten-App verkündete, dass wir jede Sekunde da wären, warf ich einen panischen Blick aus dem Fenster – und wurde Zeugin dessen, was ich schon die ganze Zeit über hätte sehen können, hätte ich nur Augen für meine Umgebung gehabt.

Mogán war wunderschön, und das auf eine Weise, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Größere und kleinere Häuser reihten sich wie ungleiche Familienmitglieder aneinander, viele davon mit bunten Linien verziert, die sich entweder an ihren Rändern oder durch ihr Zentrum zogen. Rot, gelb, blau, strahlten sie ein maritimes Flair aus. Ergänzt wurden sie vom Grün von Kakteen, Hängepflanzen, und in allen erdenklichen Farben erstrahlenden Sträuchern – und natürlich dem schillernden Meer, das immer wieder zwischen ihnen aufblitzte.

Als das Taxi endlich zum Stehen kam, war ich so baff, dass ich einen Moment brauchte, um zu realisieren, dass ich angekommen war – und ja eigentlich auch in Panik war.

»Es esta casa«, sagte der Taxifahrer, der schon am Flughafen geflissentlich ignoriert hatte, dass ich kein Spanisch sprach, und deutete durch die Windschutzscheibe.

Verzweifelt richtete ich den Blick auf das kleine Häuschen mit den blauen Linien vor uns – dessen Tür sich in diesem Moment öffnete. Mein Herz machte einen Satz, als ein Mann daraus hervortrat. Er war in meinem Alter, mit braunen, leicht gewellten Haaren, einem blauen Tanktop und dunklen Shorts. Er sprang von den zwei Stufen auf die Straße, sein Handy in der Hand – und sah verdutzt auf.

Ich wiederum senkte den Blick auf mein Smartphone. Meine Nachrichten waren gelesen worden.

Das war dann wohl Alejandro.

»Was zur –« Ich verstummte und schnallte mich ab, um die Tür aufzureißen. Erleichterung machte sich in mir breit, gemischt mit einem ziehenden Gefühl, dem ich gerade keinen Namen geben konnte. Ich sprang aus dem Auto und blickte Alejandro entgegen. »Hi.«

»Hola.« Die Stirn leicht gerunzelt, sah Ale zu seinem Handy und wieder zurück zu mir. »Sina?«

Ich seufzte erleichtert und schenkte ihm mein strahlendstes, nicht aufgesetztes Lächeln. »Ja! Ja, ich bin Sina!« Zum Glück. Er war am Leben. »Du hast nicht geantwortet, also dachte ich, ich nehme mir ein Taxi. Es ist ja alles gut, oder?«, sprudelte es aus mir heraus. »Ist irgendetwas vorgefallen?«

Ale blinzelte ein einziges, langsames Mal und machte mir wieder schmerzlich bewusst, dass ich keinen Plan von seinen Sprach-Skills hatte. »Es ist nichts vorgefallen«, sagte er dann mit warmer Stimme und spanischem Akzent. »Ich war …« Er deutete mit einem Daumen hinter sich. »… noch bei einem partido Volleyball.«

Ich verlor die Kontrolle über meine Mimik. Meine Mundwinkel sackten jäh herab. »Was?«

»Ja, drüben am Strand.« Er grinste. »Witzig, ich wollte gerade losfahren. Gut, dass ich deine Nachrichten noch gelesen habe.«

Fassungslos starrte ich ihn an. Gut, dass ich verdammt noch mal schon vor dir stehe! »Mein Flieger«, sagte ich wie betäubt. »Der ist vor über einer Stunde gelandet.«

»Wirklich?« Er checkte erneut sein Handy. »Wow, die Zeit fliegt!« Er sah hinter mich. »Hast du Gepäck?«

Das Ziehen in meinem Hinterkopf wurde stärker und nahm endlich Ausmaße an, die ich benennen konnte: Es war Ärger, ausgelöst durch das grenzenlose Unverständnis, was hier passierte.

Alejandro hatte versprochen, mich abzuholen, und mich ohne ein Lebenszeichen warten lassen, weil er Volleyball gespielt hatte?

Vielleicht hatte ich ihn falsch verstanden oder er sich falsch ausgedrückt. Vielleicht bedeutete Volleyball im Spanischen so was wie Autounfall.

»Hey«, drang die Stimme des bulligen Taxifahrers an meine Ohren. »¡Aún tienes que pagar!«

Abrupt riss ich mich selbst zurück ins Leben. »S-sorry!« Schnell zerrte ich meinen Koffer und meine Handtasche aus dem Wagen und fummelte meinen Geldbeutel aus Letzterer hervor. Weil ich mir blöd vorkam, mich wieder ins Auto zu setzen, riss ich die Beifahrertür auf und hielt ihm blindlings meine Kreditkarte hin …

… woraufhin mich der Mann wie sieben Tage Regenwetter anstarrte. »Cash only.«

Es war, als würde ein Teil von mir absterben. »Oh.« Ich steckte die Karte wieder zurück, riss das Scheinfach meines Geldbeutels auf, zog fünfzig Euro daraus hervor und hielt sie ihm hin.

Der Mann nahm sie – und sah mich weiterhin auffordernd an.

Eine ungute Vorahnung machte sich in mir breit, als ich meinen Kopf ins Auto streckte und die digitale Anzeige sah, auf der rot und deutlich stand: 90,23.

Meine Schultern sackten herab. »Was?« Ich richtete mich so schnell wieder auf, dass mein Hinterkopf gegen den Rahmen der Autotür prallte. »Autsch!« Zischend sog ich die Luft ein, checkte den Geldbeutel – und fand nur noch dreißig Euro. Mehr hatte mein Flughafen-Restaurantbesuch vorhin nicht hergegeben.

Sogar in meinem emotional verwirrten Zustand war es leicht, mir auszurechnen, dass das zu wenig war.

»Brauchst du noch was?« Ehe ich mich versah, war Ale neben mich getreten. Es war mehr Höflichkeit als eine bewusste Reaktion auf den Geldbeutel in seiner Hand, als ich einen Schritt zur Seite machte, sodass er meinen Platz einnehmen konnte. »Hola señor.«

Wie betäubt stand ich da und beobachtete Ale dabei, wie er einen Haufen Geld für mich hinblätterte, das ich eigentlich auch selbst gehabt hätte. Ich wollte sauer auf ihn sein, weil er mich hatte hängen lassen, aber jetzt war mir die ganze Situation einfach nur noch peinlich.

Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, raffte ich mein Gepäck zusammen und wuchtete meinen großen Koffer selbst aus dem Auto.

»So, alles erledigt.« Ale schlug die Tür zu und wandte sich zu mir um, während das Taxi davonbrauste. Sein Blick fiel auf mich – und er zog leicht die Brauen zusammen. »Alles okay, Sina?«

Ich hatte eine vage Vorstellung davon, wie ich dreinblicken musste. Wie jemand, die die Welt nicht mehr verstand. »Ich muss noch mal fragen«, hob ich an und verfluchte mich gleichzeitig selbst dafür. Ich kam bei meinem restlichen Gepäck zum Stehen und ließ meinen Koffer los. »Du wolltest erst jetzt losfahren, weil du … Volleyball spielen wolltest? Ich habe am Flughafen gewartet –« Weil ich eine knappe Handbewegung machte, prallte ich damit gegen meinen Handgepäckskoffer, der wiederum zu Boden krachte – und aufplatzte wie ein gekochtes Ei. Im nächsten Moment lag er weit geöffnet da und präsentierte neben Handtasche Nummer zwei unzählige Dinge, die ich niemals auf der offenen Straße hatte verteilen wollen. Allen voran mein schwarz-roter Spitzen-Rüschen-BH.

Die Zeit schien stillzustehen. Betreten sah Ale vom Gepäck zu mir. Und ich wollte einfach nur sterben.

»Soll ich –«

»Nein!«, schrillte ich wie eine Trillerpfeife und warf mich regelrecht auf den Boden, um meinen Krempel zurück in den Koffer zu packen. Leichter gesagt als getan, denn es fühlte sich einmal mehr so an, als wäre der Platz darin auf magische Weise verschwunden. Auch mit allem Biegen und Brechen bekam ich das Ding einfach nicht zu. Außerdem stieg die Angst in mir auf, mein Gastgeschenk zu zerstören, wenn ich es noch weiter versuchte …

Meine Miene erhellte sich. Das Gastgeschenk! Das musste doch gar nicht drinbleiben.

Schnell klappte ich den Koffer wieder auf und zog behutsam einen in Geschenkpapier eingewickelten, etwa kopfgroßen Gegenstand daraus hervor. Ich hielt ihn Ale hin und war froh, dass ich seine Aufmerksamkeit so vom restlichen Inhalt meines Koffers losreißen konnte. »Das ist für dich.«

Seine Brauen schossen in die Höhe, und er nahm es entgegen. »Oh. Danke. Das wär doch nicht nötig gewesen.«

Ich verdrehte innerlich die Augen. Claro.

Mit einem Knall schloss ich den Koffer und bekam es diesmal sogar hin. »Ich überweise dir gleich das Geld fürs Taxi, okay?«, fragte ich, während ich aufstand.

»Mach dir keine Sorgen«, winkte er ab und nahm mein größeres Gepäckstück in Beschlag. »Du bist mein Gast.«

Als ich mich aufrichtete, stand ich auf einmal so dicht vor Ale, dass mich seine bloße Präsenz aufs Neue umzuwerfen drohte. Ich war so durch den Wind gewesen, dass ich den Augenblick überhaupt nicht hatte wertschätzen können. Da stand er vor mir, mit warmen braunen Augen und einem noch viel wärmeren Lächeln, und der toxische Gefühlscocktail, der sich in mir zusammengebraut hatte, wurde mit einem Mal entgiftet.

Ich hatte es geschafft. Ich war hier. Das war alles, was zählte. Ich sah Ale gerade zum ersten Mal und wollte einen guten Eindruck bei ihm hinterlassen. Auch wenn er mich schon vor dieser ersten Begegnung hängen gelassen hatte …

Ich riss mich am Riemen. »K-können wir noch mal von vorn anfangen?«, fragte ich kleinlaut. »Ich bin Sina.« Zaghaft hielt ich ihm eine Hand hin.

Er lächelte. »Ale.« Als er sie schüttelte, fühlte sich seine eigene warm und rau an, wie eine Insel inmitten der stürmischen See, auf der wie durch ein Wunder immer die Sonne schien.

3. Guapa

11 Tage bis zur Hochzeit

Ale half mir dabei, meine Koffer in seine Wohnung zu bekommen, und ich trat hinter ihm in einen großen Raum mit einer Küchenecke auf der einen, einem Bett auf der anderen Seite. Dazu gab es auch noch ein Sofa und einen so winzig kleinen Fernseher, dass man wahrscheinlich ein Fernglas bräuchte, um darauf etwas erkennen zu können. Zwischen Küche und Wohnzimmer befand sich außerdem …

Ich stutzte. Eine Dusche?

»Du kannst hier gern bleiben«, sagte Ale gerade, während er meinen großen Koffer abstellte. »Es gibt nicht so viele Hotels in der Nähe, und die meisten sind echt teuer. Aber das hier tut es doch auch, oder?«

Ich konnte nicht antworten oder auch nur den Blick von der Dusche reißen. Sie befand sich nicht in einem nebenanliegenden Zimmer, nicht hinter der geschlossenen Tür, hinter der ich ein Bad vermutet hätte, sondern unmittelbar davor, einzig und allein abgeteilt durch durchsichtige Wände, die einen Glaskasten formten.

»Du kannst das Bett nehmen. Ich schlafe so lange auf der Couch. Und die Küche –«

»W-warte.« Ich kam nicht mehr mit. Unbeholfen sah ich mich um und versuchte, mir einen Reim aus dem zu machen, was ich sah. Schaffte es aber nicht. »Ist das … nur ein Zimmer?«, fragte ich und machte mich mit dem Blick auf die Suche nach einer Treppe, Leiter, irgendetwas.

»Ja. Ein-Zimmer-Wohnung. Sagt man doch so, oder?«

Völlig verwirrt starrte ich nach oben. »Aber … das ist doch ein zweistöckiges Haus.«

»Ja, richtig.« Er deutete an die Decke. »Das da ist eine andere Wohnung. Draußen gibt es eine Treppe dorthin.«

Ich ließ endlich von meinem Koffer ab und drehte mich im Kreis. Irgendetwas fehlte. »Wo hast du denn deine Klamotten?«

»Unter dem Bett.« Er zuckte die Achseln. »Du kannst deine aber überall hinlegen. Das ist kein Problem.« Etwas Vorsichtiges mischte sich in seine Gesichtszüge. »Passt es dir nicht?«

Mein Herz machte einen Satz, und sofort fühlte ich mich furchtbar. So ging ich mit seiner Gastfreundschaft um? »Doch, natürlich! Es ist toll.« Ich lächelte. »Danke, dass ich hier sein darf.«

Ale erwiderte mein Lächeln … und musterte mich nachdenklich. »Also, du bist Dennis’ Schwester, richtig?«, fragte er, während er den Raum – und damit die ganze Wohnung – in Richtung Küchenzeile durchquerte.

Unwillkürlich straffte ich die Schultern. »So ist es.«

»Kein Wunder.« Eine Hand am Griff des Kühlschranks, sah er zu mir zurück und nickte bedächtig. »Ihr seht euch ähnlich.«

»W-wirklich?« Ich rümpfte die Nase. »Ist das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung?«

Verwundert fixierte er mich, während er die Kühlschranktür öffnete. »Ein Kompliment. Du bist sehr schön.«

Ich war so verdattert, dass mir der Mund offen stehen blieb. »D-danke«, piepste ich. Ein plumpes Du auch legte sich auf meine Lippen, doch ich biss mir im letzten Moment auf die Zunge.

Mein Gefühlschaos schien Ale nicht aufzufallen. Er zog eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und machte zwei Gläser damit voll. »Hier.« Er brachte mir eines davon und stürzte seines schon herunter, kaum dass ich es in die Hand genommen hatte. »Du willst also die Hochzeit planen, ja?«

Sofort kehrte der Ernst des Lebens zu mir zurück. »Und wie«, seufzte ich, ließ meinen Koffer Koffer sein und schlurfte zum Sofa hinüber. »Und ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass du mich dabei unterstützt!« Ich zuckte die Achseln. »Ich hab mir schon im Vorfeld ein paar Gedanken gemacht, Andrea hat mir ihr Hochzeitsalbum geschickt, und vielleicht können wir ja heute sofort einen –«

Ich erschrak, als ein Klopfen hinter Ale ertönte – und ein Gesicht auf der anderen Seite seines Küchenfensters erschien. Verstört starrte ich der Frau in unserem Alter entgegen, die ihre Augen mit einer Hand abschirmte, um ins Innere des Hauses sehen zu können. »Ale!«, drang ihre Stimme gedämpft durch das Glas.