Dancing Snowflakes: Zusammen eingeschneit - Annie C. Waye - E-Book

Dancing Snowflakes: Zusammen eingeschneit E-Book

Annie C. Waye

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Beschreibung

***Verbringe romantische Weihnachten in Norwegen***

Das Auslandssemester der neunzehnjährigen Jenny droht in einer Katastrophe zu enden: Als ihr Rückflug nach Frankfurt aufgrund eines Schneesturms gestrichen wird, sitzt sie plötzlich im hoffnungslos eingeschneiten Oslo fest. An ihrer Seite ausgerechnet der arrogante Norweger Louis, mit dem sie sich zu allem Übel eine Notunterkunft teilen muss. Weihnachten im schneeweißen Norwegen – da gibt es Schlimmeres, oder? Doch während das Weihnachtsfest immer näher rückt, erwarten sie im Norden nichts als Pleiten, Pech und Pannen – und seltsame, warme Gefühle für Louis, die selbst das kälteste Eis zum Schmelzen bringen können.

Winter Hearts: Beide Bände sind unabhängig voneinander lesbar.

***
Ich atmete zischend ein, als sich die Kälte des Schnees, der mir unter die Jacke gerutscht war, an meinem Nacken ausbreitete. „Okay, Spiel vorbei!“, presste ich gequält hervor, aber Louis grinste nur auf mich herab.
„Das Spiel hat doch gerade erst angefangen.“ Der kühle Schnee in meinem Rücken bildete einen starken Gegensatz zu seiner allgegenwärtigen Wärme über mir, vor allem, als er sich noch dichter über mich beugte. „Hey, weißt du, was man auf einer exotischen Insel nicht machen kann?“ Er gab mir keine Gelegenheit, zu antworten. Stattdessen begann er auf einmal, meine Arme an meinen Handgelenken über den Boden zu bewegen, auf und ab. „Einen Schneeengel!“
Ich kicherte und versuchte, mich aus seinem Griff zu winden. „Du hast sie doch nicht mehr alle!“ Ich stemmte mich spielerisch gegen seine Kraft, aber er war zu stark, nutzte seine Dominanz mir gegenüber in vollen Zügen aus – bis er plötzlich innehielt und eines meiner Handgelenke losließ. Er nahm die Hand jedoch nicht weg, sondern ließ sie mit der Handfläche nach unten über meiner schweben. Als mein Blick auf seinen traf, hatten seine Augen einen forschen Ausdruck angenommen.
Meine Lippen teilten sich leicht, und mein Herz, das sowieso schon raste, beschleunigte sich gleich noch mehr, angetrieben von einem Schub aus feuriger Energie, die durch meinen Körper zuckte. Ich versuchte nicht mehr, mich zu befreien. Stattdessen lag ich einfach nur da – und öffnete langsam meine Hand. Beobachtete am Rande meines Blickfelds, wie er seine fast schon zögerlich sinken ließ. Und konnte doch nichts anderes tun, als ihm tief in die Augen zu sehen, als sich unsere Finger miteinander verschränkten.

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Dancing Snowflakes

Zusammen eingeschneit

Impressum

Annie Waye

c/o JCG Media

Freiherr-von-Twickel-Str. 11

48329 Havixbeck

© 2024 Annie Waye

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Emily Bähr

Lektorat: Larissa Schira (Lektorat Tintenglanz)

Korrektorat: Monika Schulze

Buchsatz: Kaja Raff

Dieser Buchsatz wurde mit Ressourcen von Freepik.com erstellt.

Am Ende dieses Buchs findest du ein Glossar

Winter Hearts:

Dancing Snowflakes: Zusammen eingeschneit

Chasing Snowfall: Zusammen verloren

ANNIE WAYE

Annie Waye ist eine junge Autorin mit einer alten Seele. Sie ist auf der ganzen Welt zu Hause und seit jeher der Magie der Bücher verfallen. Sie schreibt, um fremde und vertraute Welten zu erschaffen, sympathischen und zwiespältigen Charakteren Leben einzuhauchen und Dunkelheit und Stille aus den Herzen der Menschen zu vertreiben. Wenn sie nicht gerade an Romanen arbeitet, veröffentlicht sie Kurzgeschichten und bereist die Welt auf der Suche nach ihrem nächsten Sehnsuchtsort.

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Für alle, die sich nach Ruhe, Geborgenheit und Harmonie sehnen. Vielleicht kann dir dieses Buch ein paar Momente davon bescheren.

1. Flyturen

Wenige Stunden bis zum Abflug

Kein Gefühl war so schön, wie nach Hause zu kommen. Und nach einem Auslandssemester in Island war es nun endlich an der Zeit für mich. Es war der fünfzehnte Dezember, Weihnachten stand vor der Tür, und ich, Jenny, hatte vor ein paar Stunden meine Reise angetreten. Ich hatte einen günstigen Flug gebucht, den ich mit meinen zwei übergewichtigen Koffern auch nötig hatte: Es ging von Reykjavik nach Frankfurt mit einem Zwischenstopp in Oslo. Letzterer war alles, was mich noch davon trennte, von meiner Familie in Empfang genommen zu werden.

Schon als mein Flieger lange vor dem Landeanflug über der norwegischen Hauptstadt an Höhe verlor, konnte ich nicht anders, als das pure Winterwunder in mich aufzusaugen. Drüben in Deutschland gab es mal wieder keinen Schnee – dafür wurde Skandinavien von einem der kältesten Winter heimgesucht, die man in den letzten Jahrzehnten gesehen hatte. Sogar von so hoch oben konnte ich mühelos erkennen, dass hier locker so viel Schnee lag wie in Island. Oder eher: Ich wusste es, weil ich rein gar nichts erkannte. Selbst wenn es nicht schon stockfinster gewesen wäre, obwohl es noch Nachmittag war, hätte ich wahrscheinlich durch die tiefhängenden, schwarzen Wolken kaum etwas gesehen – mit Ausnahme der wie wild durch die Luft tanzenden Schneeflocken, die unaufhörlich durcheinanderstoben auf der Suche nach einem Ort, an dem sie endlich Frieden finden konnten. Damit waren sie in gewisser Hinsicht ein Symbol für die stille Zeit.

Weihnachten. Man feierte das Leben, die Familie, die Liebe, sich selbst. Blickte voller Stolz auf das Vergangene zurück und freute sich gemeinsam auf die Zukunft.

Weihnachten brachte Licht in die dunkelste Jahreszeit. Licht auf den Straßen, Licht in den Häusern, Licht auf unzähligen Kerzen und Kränzen und nicht zuletzt Licht in unseren Herzen.

Doch vor allem war Weihnachten die Zeit, in der man nach all den Strapazen des Jahres endlich Ruhe finden konnte.

Ich freute mich so sehr darauf, nach Hause zu kommen. Ja, ich würde meinen Studienort Bifröst schmerzlich vermissen. Und meine neuen Freunde, von denen so gut wie keiner ursprünglich aus Island war. Die von allen Ecken und Enden der Welt dorthin gereist waren und sich jetzt genauso schnell wieder in alle Winde zerstreuten. Die Freundlichkeit der Isländer. Das pure Vertrauen, das man jedem einzelnen Menschen entgegenbrachte, ohne jemals etwas dafür zu verlangen. Die unglaubliche Sicherheit, die ich mit jeder Sekunde verspürt hatte. Und die Ruhe und Gelassenheit, die ich dort erlernt hatte und die ich auch zurück in Deutschland zumindest ein kleines bisschen für mich bewahren wollte.

All das würde mir wirklich fehlen. Ich hatte sogar schon angefangen, Heimweh nach Island zu bekommen, als ich noch mit beiden Beinen auf dessen Boden gestanden hatte. Denn die letzten Tage vor dem Abschied hatten sich angefühlt, als wäre ein Teil von mir bereits zu Hause. Ich war nicht mehr ganz da gewesen, aber auch nicht ganz in Frankfurt – und vielleicht würde ich das auch nie mehr sein.

Zu Hause – ich konnte kaum glauben, dass ich wieder nach Deutschland zurückkehren sollte. Um zu bleiben. Mein Lebensabschnitt im ERASMUS-Programm war vorbei. Ich musste ein neues Kapitel aufschlagen und blickte diesem mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen.

Andererseits konnte ich es gar nicht mehr erwarten. Denn seit ich heute Morgen aus dem Bett gesprungen war, war mein Leben die pure Hölle gewesen. Angefangen mit dem Taxi, das nicht gekommen war. Ich hatte per Anhalter zum Flughafen fahren müssen, was in Island zwar gang und gäbe war, aber deutlich länger gedauert hatte als geplant. Ich hatte im Eilverfahren mein Gepäck aufgeben wollen, doch die überfreundliche Dame an der Rezeption hatte mir einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem sie mir jede Ziffer der Gebühr, die für Übergepäck anfiel, einzeln hatte erklären wollen. Dann hatte ich mich auf dem Weg zum Gate dreimal verlaufen, was bei so einem kleinen Flughafen überhaupt nicht möglich sein sollte, und schließlich war ich irgendwie im Flugzeug gelandet, aber inzwischen felsenfest davon überzeugt, dass die Sache zu einfach gewesen war, um wahr zu sein. Entweder hatte ich mich versehentlich in eine Maschine gesetzt, die nach Südostasien flog, oder meine Koffer waren falsch abgebogen. Eine andere Möglichkeit gab mein Alltagspech schlichtweg nicht her.

Ich atmete tief durch und zog meinen blonden Pferdeschwanz zurecht. Ich hatte eine halbe Stunde, um dieses Flugzeug nach der Landung zu verlassen, mich am Flughafen von Oslo zurechtzufinden und in die zweite Maschine zu hüpfen. Weil die beiden Airlines, mit denen ich reiste, zur selben Vereinigung gehörten, musste ich nicht einmal mein Gepäck abholen und wieder aufgeben. Es war Flugreise light. Ich musste lediglich das bloße Minimum leisten, um es nach Hause zu schaffen. Dann könnte ich mich entspannen, bis mein freiwilliges Praktikum bei einer NGO im Januar startete, mit dem ich die Zeit bis zu den regulären Semesterferien im März überbrücken würde (keine Ahnung, warum ich mir das antat).

Ich spürte, wie ich hibbelig wurde, und senkte die Lider. Wenn man am vielleicht winterlichsten Ort der Welt studiert hatte, war es gar nicht so schwer, sich selbst in Weihnachtsstimmung zu bringen – in genau das Mindset, das ich an so einem stressigen Tag brauchte.

Die Macht, die Weihnachten auf die Menschen hatte, war unglaublich. Es war der leichteste Weg, um von hundert auf null zu kommen. Die Zeit schien stillzustehen, weil man genau wusste, dass es da draußen niemanden gab, der dringend auf einen Rückruf, eine E-Mail oder eine Nachricht wartete. So still und leise wie Schnee vom Himmel rieselte, plätscherte das Leben zur Weihnachtszeit vor sich hin. Und nach einem so aufregenden Jahr wie diesem konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen.

Ein seltsames Knurren ertönte neben mir, und ich konnte nicht genau sagen, ob es vom Magen oder Darm meines Sitznachbarn stammte. Es ruinierte die Stimmung nur ein ganz kleines bisschen und ließ mich in die Gegenwart zurückkehren. Die Nervosität, die ich beim Einsteigen in diesen Flieger zumindest kurzzeitig abgeschüttelt hatte, kehrte mit einem Mal zu mir zurück. Nervös zog ich mein Handy aus meiner Handtasche – natürlich im Flugmodus –, und checkte die Uhrzeit. Laut Bordkarte würden wir in einer Viertelstunde ankommen. Ich konnte schon spüren, wie wir immer mehr an Höhe verloren. Wir waren pünktlich. Vielleicht würden wir sogar ein paar Minuten früher ankommen. Minuten, die ich nutzen konnte, um mich zu orientieren, eine Toilette zu suchen, einen Snack aufzutreiben, mir womöglich noch ein norwegisches Souvenir unter den Nagel zu reißen …

Nein, das sollte ich nicht tun. Ich hatte schon zwei verdammte Koffer dabei! Und das, obwohl ich einen Großteil meines Hausstands in Island zurückgelassen hatte. Einer meiner Reisekoffer war voller Klamotten, der andere beinahe restlos mit Erinnerungen, Souvenirs und Geschenken für meine Familie gefüllt. Meine Eltern und meine kleine Schwester hatten betont, dass ich ihnen in all dem Reisestress nicht auch noch Weihnachtsgeschenke kaufen musste, also hatte ich zwei meiner Baustellen kombiniert und einen halben Souvenir-Shop für sie leergekauft. Bei der Hälfte der Sachen wusste ich selbst nicht so genau, was sie darstellen sollten oder wozu sie gut waren.

Bis auf einen kurzen Besuch von meinen Eltern und meiner Schwester vor ein paar Wochen hatte ich absolut keinen Draht mehr zu Deutschland gehabt. Und so wundervoll die Weihnachtsfeiertage in Island auch hätten sein können, war es für mich immer noch ein Familienfest – und das wollte ich um jeden Preis mit meiner Familie verbringen.

Genau das war doch das Schöne am Jahresende: Ganz gleich, wo man sich die letzten zwölf Monate über auf der Erdkugel herumgetrieben hatte. Egal, wo man gewesen, mit wem man sich abgegeben und was man getan hatte. Nichts davon spielte im Dezember eine Rolle: Denn spätestens am Vierundzwanzigsten fand ein jeder von uns immer seinen Weg zurück nach Hause.

Ich versuchte, mich etwas zu entspannen. Dass sich dieser Flug verspätete und einen Dominoeffekt der Extraklasse auslöste, war meine größte Befürchtung gewesen. Jetzt, wo das hier geschafft war, konnte es keinen Weltuntergang mehr geben.

Der Gedanke wurde abrupt in zwei Teile gerissen. Einer davon rutschte über den Rand meines Bewusstseins und stürzte in eine bodenlose Tiefe, wo ich nicht einmal den Aufprall hören konnte. Genauso wenig wie die Durchsage des Piloten, die in diesem Moment endete.

Ich riss die Augen auf und starrte nach oben, als würde mir das in irgendeiner Weise dabei helfen, zu rekonstruieren, was gerade passiert war. Was hatte er da gesagt? Ich fragte meinen Sitznachbarn, aber der zuckte nur unbeholfen die Achseln.

Dabei ergab sich die Antwort auf meine Frage wie von selbst, als ich einen Blick aus dem Fenster warf.

Die Welt um uns herum war schwarz und weiß. Die Schwärze der Nacht, die keine war, mischte sich zu dem wütenden Weiß der Schneeflocken, deren Tanz etwas Tödliches angenommen hatte. Das hier waren nicht mehr die ersten weihnachtlichen Vorboten. Es war ein Sturm. Das realisierte ich spätestens in dem Moment, in dem ein Beben durch das Flugzeug ging. Mehrere Leute atmeten scharf ein, als hätten sie bisher nie auch nur den Hauch einer Turbulenz mitgemacht. Ich machte mir keine Sorgen, dass wir jetzt noch abstürzen würden. Schließlich kreisten wir schon irgendwo über Oslo. Es war nur noch die Landung dran.

Wobei … Waren Start und Landung nicht die riskantesten Teile einer Flugreise?

Ich schluckte, doch mein Leben war nicht mal die Sache, wegen der ich mir am meisten Sorgen machte. Sondern mein Anschlussflug. Mein Anschlussflug, der bestimmt genauso wenig auf mich warten würde wie jeder ICE zu Hause, den ich haarscharf am Bahnsteig verpasst hatte, weil meine Zubringerverbindung dreißig Minuten und er selbst nur fünfzehn Minuten verspätet gewesen war.

Die Anschnallzeichen leuchteten schon seit einer Weile auf, aber als sich der Pilot zu einer zweiten Durchsage hinreißen ließ, bekam dieses Leuchten, gemischt mit dem Wind, der am Flugzeug rüttelte, plötzlich einen ganz anderen Beigeschmack. Der Mann nuschelte gekonnter als Til Schweiger, weshalb ich nicht mal die Hälfte von dem verstand, was er uns mitteilen wollte. Aber die Wortfetzen, die zu mir durchdrangen, reichten aus:

Sturm. Wind. Landeanflug. Erschwert. Drehen noch eine Schleife und versuchen es nochmal.

Eine Eiseskälte breitete sich so unverhofft in mir aus, als hätte jemand das Fenster zu meiner Linken eingeschlagen. Die Härchen in meinem Nacken stellten sich auf, und auf einmal wagte ich es nicht mehr, auf meine Handyuhr zu sehen. Denn ich wusste ganz genau, dass das, was ich auf dem Screen erblicken würde, das pure Grauen in mir auslösen würde.

Ruhe und Gelassenheit, Jenny.

Ich atmete mindestens so bebend durch, wie sich das Flugzeug in der Luft hielt, und auf einmal fühlte ich mich mindestens so schwerelos. Als könnte mich der leichteste Windhauch mit sich reißen und mutterseelenallein über der Arktis abwerfen.

Das ist nur eine kleine Verspätung. Zwischen deinen Flügen ist mehr als genug Puffer. Das schaffst du mit links!

Und doch konnte ich nicht verhindern, dass mein Herz anfing, immer schneller zu schlagen. Dass das Blut so laut in meinen Ohren rauschte, dass ich nichts anderes um mich herum mehr wahrnahm. Dass meine Fingerspitzen, dann meine Hände und schließlich meine Arme wie wild zu kribbeln begannen. Dass die Nervosität meine Brust verengte und mir die Kehle zuschnürte. Ganz egal, wie gechillt ich in meinem Auslandssemester gewesen war, Island hatte zumindest eine Sache nicht an mir ändern können: Dass ich es verdammt nochmal hasste, wenn Dinge nicht nach Plan liefen.

Eine ziehende Panik drohte mein Seelenleben auf den Kopf zu stellen. Daher flüchtete ich mich in die einzige Vorstellung, die mich jetzt noch beruhigen konnte: Das, was mich zu Hause erwarten würde. Mein Dad und ich, die unterschiedlicher nicht sein könnten und deshalb nicht viele gemeinsame Interessen hatten, kamen wieder ins Gespräch. Meine Schwester und ich, die unzertrennlich waren und doch die letzten Monate ohneeinander hatten verbringen müssen, bekamen die Möglichkeit, unsere Kalender anzugleichen und die verpasste Zeit miteinander nachzuholen. Und meine Mutter konnte endlich, endlich wieder all ihre Liebsten an einem Ort versammelt sehen.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis das Flugzeug mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden landete (aber in einem Stück). Bis es nach einer gefühlten Spazierfahrt über den Flughafen zum Stehen kam. Bis sie den Tunnel draußen befestigt hatten, über den wir zum Gate gelangten.

Und weil ich blöde Kuh am Fenster saß, hatte ich in der Zwischenzeit genug Gelegenheit dazu gehabt, zu beobachten, wie alle Gangsitzer aufsprangen, um wie von der Tarantel gestochen mit ihrem Gepäck zu hantieren und trotzdem immer noch nicht fertig zu sein, jetzt, da sich die Tür öffnete. Die Business-Class stürzte in derselben Sekunde nach draußen, als hinge ihr Leben davon ab – und ich? Ich saß auf meinem Platz fest, weil meine Gangsitznachbarin nach wie vor versuchte, ihren pinken Handgepäckkoffer von der Ablage zu ziehen, und mein Mittelsitznachbar keine Anstalten machte, auch nur aufzustehen. Glaubte er, dass er wieder in Island landen würde, wenn er nur lange genug sitzenblieb?

Contenance, Jenny. Das wird schon. Es muss einfach werden.

Überraschenderweise sorgte das Adrenalin nicht dafür, dass ich wie ein todesängstliches Kaninchen über die Sitzreihen hinwegsprang. Stattdessen zog ich meine Handgepäcktasche unter meinem Sitz hervor und hängte sie mir über die eine, meine Handtasche über die andere Schulter. Vollbepackt quetschte ich mich mit Entschuldigungen in drei verschiedenen Sprachen am Mittelsmann und der Gangfrau vorbei, watschelte mit grenzenloser Geduld hinter einem alten Ehepaar hinterher, das gemächlich in Richtung Tür spazierte ...

Und dann rannte ich. Ich rannte, so schnell ich nur konnte. Bis mein Herz, das ohnehin schon Haken geschlagen hatte, wie wild gegen meine Brust prallte, immer und immer wieder. Ich sprintete durch die Röhre und den angrenzenden Gang. Als ich mich zwischen einer Rampe und einer Rolltreppe entscheiden musste, wählte ich Letztere und sprang sie herunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, bis ich meinem schweren Handgepäck sei Dank auf halber Strecke das Gleichgewicht verlor und den restlichen Weg um ein Haar mit dem Gesicht nach unten fortgesetzt hätte.

Mein Körper war in Unruhe – dafür verzog sich mein Geist an einen besseren Ort. An einen Ort weg vom vorweihnachtlichen Stress, wie es ihn nur in Shoppingcentern und Flughäfen geben konnte. Einen Ort, an dem ich über den Dingen stand. Über den Menschenmassen, die sich mir förmlich in den Weg warfen, wann immer ich um eine Ecke bog. Über den digitalen Anzeigen, die über das Terminal hinweg in regelmäßigen Abständen mit der aktuellen Uhrzeit drohten. Über der Flughafendurchsage, die ich noch schlechter verstand als die im Flugzeug, die ich aber dennoch deutlich Jennifer Weber sagen zu hören glaubte. Denn Jennifer Weber war mit absoluter Sicherheit die Einzige, die im Flieger nach Frankfurt am Main fehlte. Und vielleicht auch die Einzige, die ihn verpassen würde.

Nein. Ich stand über alldem. Ich malte mir aus, wie meine Schwester und ich vor dem Kaminfeuer hockten und die knisternden Flammen beobachteten, je eine Hand im Fell unseres Golden Retrievers vergraben, und einfach nur die Gesellschaft der anderen genossen. Genau dieses Bild, das sich vor meinem inneren Auge so real anfühlte, dass es mein Herz erwärmte, trieb mich an. Ich würde es schaffen.

Ich quetschte mich zwischen einem überdimensionalen Weihnachtsbaum und einem Café hindurch. Das Gewicht meiner Taschen lastete so schwer auf meinen Schultern, dass sich das Brennen darin schon bald zu dem in meiner Lunge mischte. Daran konnte auch die betörende Weihnachtsmusik nichts ändern, die aus schier jeder Richtung an meine Ohren dröhnte.

Ich konnte den Weihnachtsbraten schon riechen, dessen kräftige Noten aus der Küche in meine Nase steigen würden. Konnte die Schokolade aus dem Adventskalender, der darauf wartete, dass ich all seine Türchen auf einmal aufriss, auf meiner Zungenspitze schmecken. Süße, süße Schokolade …

Ich flitzte an einem Juwelier und einem Duty-Free-Shop vorbei und – geradewegs in die Arme eines blonden Mannes, der aus dem Nichts vor mir aufgetaucht war. »Pass på!«, fauchte er mich an, als ich mit voller Wucht gegen ihn prallte.

»S-sorry!«, war alles, was ich auf die Schnelle herausbekam, und dann war er auch schon wieder aus meinem Leben verschwunden. Er machte weiter wie bisher – und ich blieb völlig verdattert stehen, weil ich nicht mehr wusste, wo ich war, wo ich hatte hingehen wollen und wie mein Name lautete.

Hilfesuchend ließ ich den Blick schweifen – und erstarrte am ganzen Leib. Das nächste Gate, das ausgeschildert war, trug die Nummer 14. Aber ich musste zur 12. Wo zur Hölle war die 12?

Ein weiterer Schub aus Adrenalin ging durch meinen Körper. In einer fließenden Bewegung wirbelte ich herum, erspähte die 12 in gefühlt zwei Schritten Entfernung – und realisierte in diesem Moment, dass ich von hier aus das Ende des Terminals sehen konnte. Und in der anderen Richtung das andere Ende. Weil das hier verdammt nochmal Oslo und nicht Frankfurt am Main war. Dieser Schuppen war winzig! Ich konnte mich hier gar nicht verlaufen. Und ich war endlich am Ziel.

Am Einlassschalter von Gate 12 standen zwei Flughafen-Mitarbeiterinnen und ein Mann, der seine Bordkarte scannte …

… und den ich eben volle Kanne angerempelt hatte.

Mein Magen schrumpelte zu einer winzigen Kugel zusammen. Weil ich auf einmal nicht mehr wusste, ob es mir wichtiger war, dem Kerl nicht unter die Augen zu kommen oder meinen Flug zu erwischen, bewegte ich mich in einer seltsamen Mischung aus Gehen und Laufen auf den Schalter zu. Bis ich ihn erreicht hatte, war der Mann zum Glück schon im Tunnel verschwunden.

Wie sehr ich keuchte, bemerkte ich selbst erst, als ich vor den Mitarbeiterinnen zum Stehen kam und drei geschlagene Versuche brauchte, bis ich genug Luft zusammenbekommen hatte, um auch nur meinen Namen zu sagen: »Jenny Weber! I’m here!«

2. Kjære

 

0 Stunden bis zum Abflug

 

Als ich in den Flieger stolperte, war ich zum Glück noch nicht annähernd so sehr verspätet, wie mich die Flughafendurchsage hatte glauben lassen. Nachdem ich den Business-Class-Bereich passiert hatte, tauchte ich geradewegs in eine Menge aus Menschen ein, die einfach nicht damit fertig wurden, ihr Gepäck zu verräumen, und dabei hoffnungslos im Weg standen. Teilweise bildete ich mir ein, dass es dieselben waren, die mich im letzten Flugzeug aufgehalten hatten.

Die Bordkarte in meiner Hand und begleitet von monotonen Durchsagen, wer welches Gepäck wie zu verstauen hatte, bewegte ich mich Reihe für Reihe durch das Flugzeug in Richtung von Nummer 14. Ich hatte mir wieder einen Fensterplatz geschnappt, und jetzt, wo es keine Umstiege mehr gab, könnte ich mich voll und ganz auf die Aussicht konzentrieren. In gut zwei Stunden wäre ich endlich zu Hause.

Ich war die Letzte, die meine Reihe erreichte. Der Gang- und Mittelplatz waren bereits mit einer älteren Frau und einem nicht so alten Mann besetzt, und das Fenster –

Das Fenster war auch belegt.

Irritiert blieb ich vor der Reihe stehen, zwei verwunderte Blicke auf mir, und starrte abwechselnd die Kennzeichnung und mein Bordticket an. 14F.

14F.

Ich öffnete den Mund, als ich den Mann schlagartig wiedererkannte, der es sich da auf meinem Platz bequem gemacht hatte: Es war der Typ, den ich eben über den Haufen gerannt hatte.

Verdammt. Warum ausgerechnet er?

Weil er sich wahrscheinlich auch erst vor einer Minute hingesetzt hatte, war er noch mit seinem Handgepäck beschäftigt, und ich nutzte den Augenblick, um zu zögern und dann zu realisieren, dass ich gar keine andere Wahl hatte, als ihn anzuquatschen. Was wollte ich sonst machen? Auf dem Boden sitzen?

Also holte ich Luft. »Excuse me«, sagte ich laut und deutlich, damit er mich auch über seine Sitznachbarn – meine Sitznachbarn – hinweg hören konnte. »I think that’s my seat.«

Der Kerl zuckte nicht mit der Wimper, sah mich sogar nur von der Seite an. »Jeg tviler på det.«

Ich blinzelte. Was hatte er da gerade gesagt? »What?« Ich riss mich am Riemen. Er war in meinem Alter und so tiefenentspannt, dass ich es ihm sicher begreiflich machen könnte, dass er einen Fehler gemacht hatte. »Look!« Ich hielt ihm meine Bordkarte unter die Nase. »This is seat 14F. Just like on my ticket.«

Der Mann stöhnte. Die Farbe seiner blonden, nicht ganz kurzen Haare war fast schon zu hell, um echt zu sein, und obwohl seine Augen von einem hellen Blau waren, konnte ich förmlich sehen, wie darin ein Funke entzündet wurde. »Hør på meg, kjære«, sagte er schroff. »Dette er min plass. Hvis du har et problem –«

»O mein Gott!«, brach es aus mir heraus. Verstand der Kerl kein Englisch? Oder wollte er sich nur nicht auf mein Niveau herabbegeben, weil das hier immer noch Norwegen und damit sein Revier war?

Meine Hand verkrampfte sich um die Bordkarte. Konnte er so was von knicken. Das hier war eine deutsche Airline! »Wenn du glaubst, du kannst mich damit beeindrucken, hast du dich geschnitten!«, zischte ich. »Das hier ist ein verdammtes Flugzeug und kein Kino! Den Platz hab ich reserviert. Also such dir gefälligst deinen eigenen!«

Auf einmal wirkte mein Gegenüber tiefenentspannt. »Habe ich«, antwortete er plötzlich in perfektem, akzentfreiem Deutsch.

Verdattert starrte ich ihn an.

»Und auch wenn das hier kein Kino ist«, fuhr er spitz fort, »gibt es keinen Grund, hier so rumzuschreien.«

Mein Mund klappte geräuschvoll zu. »Ich höre auf, herumzuschreien«, erwiderte ich in gemäßigterem Ton, »wenn du meinen Platz freimachst.«

Während der Mann zwischen uns krampfhaft versuchte, seine Nase in der Bordzeitschrift verschwinden zu lassen, machte die Dame keinen Hehl daraus, dass sie uns zuhörte. Kaum, dass ich geendet hatte, drehte sie den Kopf in Richtung meines Gegenübers.

Der Typ antwortete allerdings nicht. Stattdessen öffnete er eine kleine, runde Box mit kabellosen In-Ear-Kopfhörern darin. Er wandte den Blick nicht von mir, als er demonstrativ erst einen, dann den anderen herausnahm.

Ein Zucken ging durch ein Augenlid. »Ist das dein verdammter Ernst?«

»Hva?«, fragte er betont laut, während er sich beide in die Ohren steckte. »Jeg forstår deg ikke.«

Fassungslos starrte ich ihn an. »Das gibt’s nicht«, murmelte ich, auch wenn ich mir inzwischen wirklich nicht mehr sicher sein konnte, ob er mich noch hörte. »Das gibt’s einfach nicht.« Kurzentschlossen drehte ich den Kopf und stellte mich auf die Zehenspitzen, um zwischen den unzähligen Menschen, die ihr Gepäck in den Fächern über uns verstauten, vorbei in Richtung des Einstiegs blicken zu können. Dort waren sie damit beschäftigt, den Zugang zum Flugzeug zu versperren. »Entschuldigung!«, rief ich, doch während der Typ wahrscheinlich die ganze Maschine auf uns aufmerksam gemacht hatte, drang meine Stimme nicht bis zum Personal durch. »Ich bräuchte hier –« Ich geriet ins Stocken. Niemand sah sich auch nur nach mir um, und ich gab es auf.

Ich schenkte dem Blonden noch einen kurzen, wütenden Blick. Beweg dich ja nicht vom Fleck!, hätte ich ihm beinahe gesagt, bis mir im letzten Moment auffiel, dass das im Grunde das Beste war, was mir passieren könnte.

Mit gestrafften Schultern und hoch erhobenen Hauptes wandte ich mich von ihm ab. Gleichzeitig brach der kalte Angstschweiß in mir aus. Sogar ein Blinder hätte längst mitbekommen, wie proppenvoll dieser Flieger war. Man konnte es nicht nur sehen und hören: Man schmeckte es förmlich in der Luft, die bereits jetzt so verbraucht war, dass ich es kaum erwarten konnte, endlich den vertrauten Smog des Frankfurter Flughafens in mich aufzusaugen.

Der Flieger war ausgebucht. Und vielleicht, ganz vielleicht war er sogar überbucht. Womöglich war das der Grund, warum der Kerl auf meinem Platz saß. Weil er tatsächlich ein Ticket dafür hatte. Genau wie ich. Bestimmt hatten wir beide denselben Sitz zugewiesen bekommen, weil irgendein bescheuerter Airline-Algorithmus errechnet hatte, dass einer von uns abspringen oder seinen Flieger verpassen würde.

O mein Gott. War das der Grund? War der Computer fest davon ausgegangen, dass sich mein Flugzeug aus Island so sehr verspäten würde, dass ich es sowieso nicht hinbekäme, meinen Sitz in Anspruch zu nehmen?

Tja, sieh einer an. Da war ich. Und ich würde mir verdammt nochmal nicht meinen wohlverdienten Fensterplatz wegnehmen lassen!

Doch als ich mir meinen Weg zwischen den anderen Passagieren hindurchbahnte, wurde mein mulmiges Gefühl stärker. Ein Gefühl, das mir sagte, dass das hier keine Frage von Fenster- oder Gangplatz mehr war. Oder Mittelplatz – igitt!

Nein. Die Maschine platzte aus allen Nähten. Wenn einer von uns beiden einer zu viel wäre, wäre das eher die Angelegenheit eines Notsitzes irgendwo bei den Stewardessen oder den Klos. Oder womöglich würde das sogar den Rausschmiss bedeuten.

Und wen würde man im Zweifel aus dem Flieger werfen? Denjenigen, der es sich schon auf seinem Platz bequem gemacht hatte und dessen Arschbacken so fest mit seinem Sitz verwachsen waren wie seine verdammten EarPods mit seinen Ohren? Oder die verzweifelte, schmächtige Frau, die gerade sowieso stand und sich damit viel leichter in den mobilen Tunnel zurückschubsen lassen würde?

Mir wurde siedend heiß, was vielleicht auch daran lag, dass ich nach wie vor meine dicke Island-Winterjacke trug, die ich längst hatte ausziehen wollen. Das konnten die doch unmöglich tun, oder? Schließlich war ich schon in der Maschine! Und die Tür war zu! Und es war Weihnachten! Die konnten mich nicht wieder rauswerfen. Mich von meiner Familie fernhalten. Von den Feiertagen, wie ich sie mir nach diesem Tag so was von verdient hatte.

Die Ruhe und Gelassenheit, die mir Island in monatelanger Arbeit beschert hatte, war binnen Sekundenbruchteilen wie weggeblasen. Ganz große Klasse.

Der Flieger war so voll, dass ich nie mehr als einen Schritt auf einmal machen konnte. In jeder Reihe stand irgendjemand im Weg, wuchtete sein Handgepäck nach oben oder blockierte einfach nur den Durchgang, während er genüsslich in seiner Tasche wühlte, als könnte er sein eingepacktes, zerquetschtes Sandwich im Sitzen niemals finden. Oder überprüfte die Transportbox seines Meerschweinchens –

Augenblick. Was machte das Meerschweinchen hier?

Ich hatte die größte Mühe, meine Handtasche und mein Handgepäck zwischen den Gangplätzen hindurchzubekommen, dass ich es bereute, sie nicht einfach in Reihe 14 zurückgelassen zu haben. Hätte ich damit nicht auch besser mein Revier markieren können? Wenn ich jetzt mit Sack und Pack abdampfte, wäre das doch ein Eingeständnis meiner Niederlage, oder?

Ich brauchte so lange, dass es mich überraschte, dass wir in der Zwischenzeit nicht schon abgehoben hatten. Aber als ich gerade vorne angekommen war, verschwand die einzige Stewardess in Sichtweite plötzlich hinter einer schweren Tür, welche ganz bestimmt nicht für Passagiere gedacht war, die nicht innerhalb von fünf Minuten von der Flughafenpolizei abtransportiert werden wollten.

Stöhnend blieb ich stehen wie bestellt und nicht abgeholt, und beobachtete die Business- und Economy-Class dabei, wie sie sich endlich zu Ende einrichteten und auf ihren Plätzen niederließen. Wohin ich auch sah, konnte ich keinen einzigen freien Sitz erkennen – außer einen in der zweiten Reihe, auf dem ich Augenblicke später dann aber doch ein kleines Kind entdeckte.

Mir wurde kotzübel. Es gab keinen Platz für mich. Eindeutig. Und zwar nicht auf die gute Weise, denn so voll, wie die Business-Class war, wäre nicht mal ein kostenloses Upgrade für mich drin.

Was wollte dieser blöde Norweger auch in Deutschland? Konnte der nicht wann anders Urlaub machen? Musste es ausgerechnet über Weihnachten sein? Sollten Menschen mit deutschem Pass kein Vorrecht darauf haben, wieder nach Hause zu kommen?

Wobei, vielleicht hatte der Kerl auch einen deutschen Pass. Womöglich war die Sprache, mit der er mich hatte beeindrucken wollen, gar nicht Norwegisch gewesen, sondern Klingonisch, Valyrisch, oder sonst eine der hunderten von Sprachen, die ich niemals verstehen würde.

Ich zuckte zusammen, als eine andere Stewardess mit Weihnachtsmütze wie eine Pistolenkugel durch einen Durchgang geschossen kam. Ich erschrak so sehr, dass ich mir im ersten Moment nicht sicher war, in welcher Sprache ich sie ansprechen sollte, sodass nur ein unverständlicher Mix aus Deutsch, Englisch, Norwegisch, Klingonisch und Valyrisch meine Lippen verließ. »Entschuldigung!«, würgte ich auf ihren verwirrten Blick hin hervor. »Ich glaube, es gibt ein Problem mit meinem –«

Irritiert brach ich ab, als die Stewardess einfach weiterging. Sie sah mich zwar immer noch an, mit einem verrenkten Kopf wie eine Schleiereule, machte aber keine Anstalten, auch nur langsamer zu werden. Stattdessen bahnte sie sich zielstrebig einen Weg zwischen den beiden Sitzreihen hindurch und machte sich nicht einmal die Mühe, die Handgepäckfächer zu schließen.

Verwirrt stolperte ich hinter ihr her. Wusste sie etwa schon Bescheid? Hatte mein dahergestammelter Satzanfang mehr als tausend Worte gesagt? »Mit meinem Sitzplatz!«, nahm ich meine Beschwerde wieder auf, als wir Reihe 5 passierten. »Da sitzt jemand drauf, und ich glaube, vielleicht ist da bei der Buchung irgendein Fehler aufgetreten oder der nette Herr auf meinem Platz irrt sich –«

»Ich verstehe«, antwortete sie über die Schulter hinweg, aber in einem Tonfall, als hätte sie wirklich keine Zeit für meine First-World-Problems. »Ich werde mich gleich darum kümmern. Geben Sie mir nur einen –« Was sie danach noch sagte, verstand ich nicht mehr richtig, weil ich in Reihe 14 stehenblieb und sie einfach weiterstapfte, als hätte sie etwas im hinteren Teil des Flugzeugs zu erledigen, das eindeutig wichtiger war als die Tatsache, dass ich mich nicht würde anschnallen können, wenn die dazugehörigen Symbole aufleuchteten.

Ich spürte einen eisblauen Blick auf mir.

Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ein Anflug des Ärgers entzündete sich in meiner Brust, als ich mich mit gerecktem Kinn dem Norweger zuwandte, der mich seinerseits desinteressiert taxierte. »Keine Sorge! Wir klären das gleich«, sagte ich so laut, dass er es auch über die geschmacklose Musik hinweg hören musste, mit der er sich wahrscheinlich gerade zudröhnte. Obwohl – mit seinen gegelten blonden Haaren war es wohl eher ein Podcast über brandheiße Börsentipps, die ihn ganz bestimmt morgen zum Millionär machen würden.

Seine Brauen zuckten für einen Moment in die Höhe, als hätte er mich nicht gehört. Oder als wollte er mich einfach nur nicht hören. Er glaubte wirklich, er hatte schon gewonnen.

Kurzentschlossen beugte ich mich nach vorne, sodass mein Gesicht gefährlich nahe an denen seiner Sitznachbarn schwebte, und wiederholte deutlich: »Wir klären das gleich!«