Cherish Hope - Nalini Singh - E-Book

Cherish Hope E-Book

Nalini Singh

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Er steht für alles, was sie nicht will - und doch verfällt sie ihm hoffnungslos

Nayna Sharma liebt ihre Familie über alles. Daher hat sie deren Drängen nachgegeben und zugestimmt zu heiraten - einen Mann, den ihre Eltern für sie auswählen. Doch schnell bereut sie ihre Entscheidung, denn jeder Kandidat ist schrecklicher als der zuvor. Und so beschließt sie, ein letztes Mal auszubrechen - und findet sich in den Armen eines Fremden wieder, der mit seinen Küssen und Berührungen Gefühle in ihr auslöst, die sie nie zuvor gespürt hat. Doch als sie ihm gesteht, dass sie nur eine Nacht will, beendet der geheimnisvolle Unbekannte ihr Abenteuer abrupt. Nayna ist verwirrt - und staunt nicht schlecht, als ihr ihre Eltern den nächsten Heiratskandidaten präsentieren. Es ist ausgerechnet der begnadete Küsser, der sie eiskalt abserviert hat ...

"Der beste Liebesroman, den ich dieses Jahr gelesen habe. Einfach nur schön, berührend, gefühlvoll und sexy!" GOODREADS

Band 2 der romantischen und sexy CHERISH-Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Nalini Singh

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 501

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

Danksagung

Leseprobe

Die Autorin

Nalini Singh bei LYX

Impressum

NALINI SINGH

CHERISH HOPE

Roman

Ins Deutsche übertragen von Patricia Woitynek

Zu diesem Buch

Nayna Sharma würde alles dafür tun, um ihre zerstrittene Familie wieder zu vereinen – auch ihre Träume aufgeben. Und so hat sie ihre Wünsche und Ziele stets an die zweite Stelle gesetzt und alles getan, um ihren Eltern keinen Grund zur Sorge zu geben. Sie hat sogar zähneknirschend eingewilligt, einen Mann zu heiraten, den diese für sie aussuchen. Doch als ihr ein möglicher Kandidat nach dem anderen – davon einer schrecklicher als der nächste! – präsentiert wird, kommen ihr große Zweifel, ob das die richtige Entscheidung war. Und so bricht sie aus und findet sich in den Armen eines Fremden wieder, der Gefühle in ihr auslöst, die sie nie zuvor gespürt hat. Nur eine Nacht will sie sich frei fühlen und seine heißen Küsse und verführerischen Berührungen genießen. Aber als sie ihm genau dies sagt, beendet der geheimnisvolle Mann ihr Abenteuer abrupt und lässt Nayna einfach stehen. Diese ist verwirrt und verletzt und kann doch den Unbekannten nicht vergessen, der sie geküsst hat wie noch keiner zuvor. Sie staunt daher nicht schlecht, als ihr ihre Eltern den nächsten Heiratskandidaten präsentieren und es ausgerechnet der Mann ist, der sie eiskalt abserviert hat …

Dieses Buch ist für Kay.

Schokoladenbrownies, furchterregende Abseilmanöver in unterirdischen Höhlen, Lachen, bis der Arzt kommt – unsere Freundschaft zählt zu den großen Freuden meines Lebens.

1. KAPITEL

IN WELCHEM UNSERE HELDIN NAYNA SHARMA IN DEN INDISCHEN HEIRATSMARKT EINSTEIGT (UND AUF EIN TIER DER SPEZIES ESEL TRIFFT)

Die Hochzeitsvermittlung ließ sich wenig verheißungsvoll an.

Der potenzielle Bräutigam und seine Eltern kamen zu spät, weil ihr Jaguar einen Platten gehabt hatte. Nayna wusste, dass sie diese Marke fuhren, weil sie es allein in den ersten zehn Minuten ihres Besuches mindestens fünfmal erwähnten. Die restliche Zeit prahlten sie damit, welch Ausnahmetalent ihr einziges Kind, ihr »ek lota beta«, in seinem Beruf als Anwalt sei und dass er in spätestens zwei bis drei Jahren »ganz gewiss« Partner der Kanzlei werden würde.

»Denken Sie an meine Worte«, sagte Mrs Kapoor und wedelte mit ihrer verschwenderisch juwelengeschmückten Hand. »Mein Dilip wird sämtliche Fälle seiner Kanzlei gewinnen. Er ist klüger als die Partner, doch die Bestimmungen sehen nun einmal vor, dass er eine bestimmte Zeit als angestellter Anwalt absolviert.«

Während Naynas Eltern versuchten, endlich auch einmal zu Wort zu kommen, riskierte Nayna einen Blick auf Dilip Kapoor, in der Erwartung, den wohlbekannten, peinlich berührten Ausdruck in seinem Gesicht zu finden. Treffen indischer Familien gingen in der Regel immer mit elterlicher Großsprecherei einher. Die Kinder zogen dann Grimassen und erduldeten es, während sie einander zugrinsten und die Schultern bedauernd zu einem »Ich kann nichts dafür«-Achselzucken hoben. Aber wenn es sich bei einer solchen Zusammenkunft um die Anbahnung einer arrangierten Ehe handelte, stand noch viel mehr auf dem Spiel.

Doch der Mann, dem es – dank einiger Worte, die eine hilfsbereite Tante Naynas Eltern ins Ohr geflüstert hatte – gelungen war, Nayna als erster Kandidat vorgestellt zu werden, lächelte mit einer schmierigen Selbstverliebtheit, wie Nayna sie in jüngster Zeit nur in den Gesichtern von Schurken in Bollywood-Filmen gesehen hatte.

Er war nicht nur keineswegs verlegen, sondern drängte sich sogar selbst in das Gespräch. »Die Seniorpartner suchen meinen Rat. Alle wissen das, aber …« Er tippte sich an den Nasenflügel und stieß ein Lachen aus, das klang, als würden Fingernägel über eine Schiefertafel kratzen.

Nayna ließ sich in die Kissen des Sofas zurückfallen. So tief wie irgend möglich. Noch ein Stück weiter und sie wäre in der Küche gelandet.

Neben ihr flüsterte ihre Großmutter so leise, dass es kaum zu hören war: »Nayna, bitia, solltest du diesen Esel akzeptieren, muss ich dich leider enterben.«

Nayna unterdrückte nur mit Mühe ein Kichern. Sie durfte ihre Aji nicht ansehen, sonst war es um ihre Beherrschung geschehen. Sie beherrschte sich mit aller Kraft und schenkte Mrs Kapoor Chai nach, als diese ihr gebieterisch ihre Tasse hinhielt.

»Eigentlich hatten wir uns ja eine hellhäutigere Braut für Dilip vorgestellt«, bemerkte Mrs Kapoor in gönnerhaftem Ton, »doch wir fanden, wir sollten Ihrer Tochter, die immerhin Wirtschaftsprüferin ist, eine Chance geben.«

Jede andere Frau wäre wohl schwer beleidigt gewesen, Nayna hingegen war überglücklich. Ihr Vater, ein College-Professor, betete seine dunkelhäutige Ehefrau an und würde eine derartige Respektlosigkeit nicht tolerieren. Was bedeutete, dass sie sich keine Gründe einfallen lassen musste, um diesen Kandidaten abzulehnen, für den verheerenden Fall, dass ihre Eltern ihm gewogen waren. Oder verzweifelt genug, die erstbeste sich bietende Gelegenheit beim Schopf zu packen.

Die Tatsache, dass Nayna schon achtundzwanzig und noch unverheiratet war, war für ihre Eltern ein steter Quell der Sorge.

»Ich hatte Sie für aufgeklärte Menschen gehalten«, entgegnete ihr Vater und ließ wie immer, wenn er sich über jemanden ärgerte, einen barschen Ton in seiner Stimme mitklingen. »Aber dass Sie an den veralteten Schönheitsstandards festhalten, die der Kolonialismus unserer Kultur eingepflanzt hat, zeigt mir, dass ich mich geirrt habe. Da ich keinen Wert auf schwachköpfige Enkelkinder lege, schlage ich vor, wir beenden dieses Treffen.«

Mrs Kapoor starrte ihn an, ihre Tasse halb an ihre Lippen gehoben. Mr Kapoor blinzelte, den Blick starr nach vorn gerichtet. Das Gefühl sagte Nayna, dass er generell nicht viel sprach.

Sein Hemd war bereits voller Brösel von den ersten zwei Samosas, als Dilip Kapoor sich eine dritte nahm und verspeiste und dabei ein weiteres Mal wieherte wie ein Esel. »Der war gut, Mr Sharma.«

»Sie sollten so rasch wie möglich einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt aufsuchen, junger Mann. Das klingt gar nicht gesund.«

Nayna musste die Luft anhalten, sonst wäre sie in Lachtränen ausgebrochen.

Es stellte sich heraus, dass Mr und Mrs Kapoor nicht so begriffsstutzig waren wie ihr Wunderknabe. »Komm jetzt, Dilip!«, schnaubte Mrs Kapoor pikiert und erhob sich. Mr Kapoor tat es ihr nach, mit einem zaghaften Lächeln, das niemandem im Besonderen galt. »Wir müssen heute Abend sowieso noch zu einer anderen Verabredung. Bei Ihnen sind wir nur auf Babitas Bitte hin vorbeigekommen.«

Naynas Aji wartete, bis Gaurav die Tür hinter den Kapoors geschlossen hatte. »Es tut mir aufrichtig leid für dich, Nayna«, meinte sie. »Du musst furchtbar enttäuscht sein, dass hier künftig keine kleinen Eselchen herumspringen werden.«

Da konnte Nayna nicht mehr an sich halten.

2. KAPITEL

EIN KLEID AUS BANDAGEN UND EIN BRAVES MÄDCHEN, DAS DEN AUFSTAND PROBT

Drei Wochen nach dem Esel-Vorfall, wie der Abend mit den Sharmas seither offiziell genannt wurde, war Nayna das Lachen vergangen, da die nächsten vier Heiratskandidaten ihr den Ernst ihrer Situation bewusst gemacht hatten.

Auf Trottel Nummer eins waren Trottel zwei bis fünf gefolgt, trotzdem gaben ihre Eltern die Jagd nicht auf. Nayna hatte sich selbst die Daumen gedrückt und auf ihre Kapitulation gehofft, nur zählten Gaurav und Shilpa Sharma nicht zu den Menschen, die einfach die Flinte ins Korn warfen. Abgesehen davon hatten sie etwas zu beweisen. Ihre älteste Tochter mochte mit einem Kommilitonen durchgebrannt sein und Schande über die Familie gebracht haben. Zum Ausgleich würde ihre jüngere bei Gott alles richtig machen.

Studium. Lukrativer Job. Heirat. Enkel. Vorhang.

Reisen? Pah.Nutz dazu deine Flitterwochen.

Abenteuer? Papperlapapp. Davon bekommst du genug, sobald dein erstes Kind geboren ist.

Liebe? Hoho! Ihr jungen Leute und euer ewiges Geschwätz über die Liebe. Sie wird sich einstellen, nachdem ihr mit eurem Auserwählten in den Hafen der Ehe eingelaufen seid.

Atme, ermahnte Nayna sich, noch haben sich die Käfigtüren nicht ganz geschlossen. Sie strich mit den Händen ihr Kleid glatt, das sie in einem von Madhuri herbeigeführten Anfall geistiger Umnachtung erstanden hatte. Ihre skandalumwitterte, frisch geschiedene und atemberaubend glamouröse ältere Schwester war vergangenen Sonntag hereingeschneit, während Nayna gerade für ihre Eltern und ihre Großmutter ein traditionelles Mittagessen zubereitete.

Naynas Outfit hatte aus einer ausgeleierten Jogginghose und einem alten T-Shirt bestanden, auf dem aufgrund eines kleinen Malheurs mit einem Füllfederhalter ein hübsches Muster aus aquamarinblauen Tintenspritzern zurückgeblieben war.

Sie war verschwitzt gewesen von der Hitze des Herdes, und aus dem lockeren Knoten, zu dem sie ihr ärgerlich glattes Haar zusammengefasst hatte, lösten sich einzelne Strähnen.

Madhuri war sozusagen ihr lockenköpfiges, nach Parfum duftendes, quirliges Pendant.

Sie hatte Nayna umarmt und ihr eingeschärft, mehr auf ihr Äußeres zu achten, weil sie andernfalls niemals einen Ehemann an Land ziehen werde. »Meinst du, ich wache morgens so auf?« Sie wies mit einer perfekt manikürten Hand auf ihren mit rasanten Kurven ausgestatteten Körper, den das grüne Kleid aus zarter Spitze wie eine zweite Haut umgab. »Das erfordert Arbeit, Ninu. Ich bin schon um acht aufgestanden, um mein Gesicht zu pflegen und mich zu frisieren.« Sie war auf einen Barschemel gehüpft und hatte ihren Lippenstift nachgezogen, während sie Nayna bat, ihr einen Kaffee zu machen.

Nayna liebte ihre Schwester und war überglücklich, dass sie nicht mehr mit der Familie zerstritten war, trotzdem musste sie sich manchmal beherrschen, ihr nicht den Hals umzudrehen. Der Richter würde es doch sicherlich als Totschlag aus Notwehr werten? Oder könnte sie alternativ auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren?

Apropos …

»Du musst den Verstand verloren haben«, murmelte sie und strich abermals über ihr Kleid.

Es sah aus, als hätte sie sich mit einer breiten, matt schimmernden schwarzen Bandage umwickelt und entschieden, dass das genug sei. Dort, wo die Bahnen einander kreuzten, blitzte sogar Haut hervor. Nicht dass dieses sogenannte Kleid viel von ihr verhüllt hätte. Es reichte nicht ganz bis zur Mitte ihrer Schenkel und zeigte wesentlich mehr Bein, als Nayna je zuvor in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt hatte.

Nervös fuhr sie mit den Händen über ihre nicht gerade kurvigen Hüften – die in dem Kleid dennoch sexy wirkten – und ertastete die Außennähte ihres Slips. Ihres BHs hatte sie sich bereits entledigt, weil keine Möglichkeit bestand, ihn zu verstecken oder nicht den Anschein zu erwecken, sie präsentiere ihn absichtlich. Ihr kam zugute, dass sie kleine Brüste hatte und das Kleid eng geschnitten war. Nein, wackeln würde da nichts, was eigentlich jammerschade war.

Nayna drehte sich halb um und inspizierte ihren Hintern im Spiegel. »Mist.« Der Slip zeichnete sich unter dem Kleid ab und ruinierte die Silhouette.

Obwohl sie sie eigenhändig abgeschlossen hatte, vergewisserte sie sich mit einem Blick zur Tür, dass sie auch wirklich zu war, bevor sie vorsichtig das sündteure Stofffetzchen auszog, das sie extra gekauft hatte, weil es unter der Kleidung angeblich »unsichtbar« sein sollte. »Ich will mein Geld zurück«, grummelte sie, als sie den Slip von ihren Füßen streifte.

Um nicht doch noch den Mut zu verlieren, warf sie ihn zu den schmutzigen Sachen in ihrem Wäschekorb; morgen würde sie den ganzen Kram in die Maschine tun.

Anschließend nahm sie wieder ihre Kehrseite in Augenschein.

Das Kleid schmiegte sich an ihren Körper wie die Hand eines Geliebten – nicht, dass Nayna diesbezüglich Erfahrung gehabt hätte. Die Highschool war, was das betraf, ein Reinfall gewesen; flachbrüstige Streberinnen fanden nur wenig Beachtung. Und die Zeit an der Uni hatte sie als … stressig in Erinnerung, weil ihre Eltern jedes Mal, wenn sie sich zum Unterricht aufgemacht hatte, ganz nervös geworden waren, aus Sorge, sie könnte mit irgendeinem Typen davonlaufen.

Nayna war so wild entschlossen gewesen, ihre entzweite Familie wieder zu vereinen, dass sie ihre gesamte Energie in dieses Vorhaben gesteckt hatte. Im zweiten Studienjahr war es ihr gelungen, Madhuri zurück in den Schoß der Familie zu holen, danach hatte sie sich ganz darauf konzentriert, jedes weitere Zerwürfnis zu verhindern, indem sie geschriebene wie ungeschriebene Regeln befolgte und niemals etwas tat, das ihren Eltern Kummer bereiten konnte.

Lange Zeit war das genug gewesen. Nayna hatte sich unglaublich darüber gefreut, ihre ganze Familie an Geburtstagen, an Diwali sowie zu den großen und kleinen Ereignissen, die ein wichtiger Bestandteil des Lebens waren, um den Tisch versammelt zu sehen. Sie hatte nicht gezögert, ihre eigenen Träume aufzugeben, um ihre Liebsten von Neuem zusammenzuschweißen, und sich sogar einverstanden erklärt, einen Mann zu heiraten, den ihre Angehörigen für sie aussuchen würden.

Madhuri war die Skandalöse, der kokette Kurvenstar, Nayna nicht mehr als ihr langweiliger Schatten. Das gute Mädchen, das die Sünden des bösen wettmachte.

»Aber heute Abend nicht«, gelobte sie ihrem Spiegelbild. »Heute Abend wirst du das böse Mädchen sein. Und du wirst gegen sämtliche Regeln verstoßen.« Naynas Plan sah vor, einen tollen Mann aufzureißen und all die Dinge zu tun, die sie sich bisher versagt hatte, weil sie vollauf damit beschäftigt gewesen war, besagte Regeln einzuhalten, um ihre Familie nicht wieder auseinanderbrechen zu sehen. Denn die Risse waren noch immer da.

Aber selbst Gefangene bekamen bei guter Führung Freigang.

Und Nayna hatte sich diesen Abend redlich verdient.

Mit diesem stillen Vorsatz wandte sie sich von dem Spiegel ab und stieg in die bequemen, halbhohen Schuhe, die sie täglich bei ihrer Arbeit trug. Anschließend zog sie einen Mantel über, der ihr Kleid verbarg, knöpfte ihn bis zum Kragen zu und kontrollierte, ob er unten nicht zu weit auseinanderklaffte und ihre nackten Schenkel freigab.

Sie warf noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel, ehe sie nach ihrer kleinen Abendhandtasche griff – dieses Detail würde nicht weiter auffallen – und ihre Zimmertür öffnete. Die Geräusche des Fernsehers drifteten an ihr Ohr, als sie in den Flur des Hauses trat, in dem sie aufgewachsen war. Ihre Eltern sahen ihre bevorzugte indische Seifenoper. Naynas Erinnerung nach versuchte die boshafte Schwägerin gerade, Held und Heldin auseinanderzubringen, wobei die Heldin selbstverständlich ein Ausbund an Liebreiz, Freundlichkeit und Bescheidenheit war.

Ihre Mutter sorgte stets dafür, dass Nayna über die Handlung auf dem Laufenden blieb.

Sie trat in den Durchgang zum Wohnzimmer und wartete bis zu einer dramatischen Äußerung, die sämtliche Figuren auf der Mattscheibe sichtlich schockierte – jetzt hatte sie mindestens eine halbe Minute Zeit, während die einzelnen Reaktionen eingeblendet wurden.

»Ich bin weg«, verkündete sie auf Hindi. »Es wird heute spät werden.« Sie kreuzte die Zehen in ihren Schuhen. »Ísa und ich wollen uns eine Mitternachtsvorstellung im Kino ansehen.«

Ihr Vater schaute sie durch seine Brillengläser hindurch missbilligend an. »Musst du morgen nicht ins Büro?«

»Nein.« Sogar Nayna konnte sich beherrschen, auch noch sonntags zu arbeiten.

Grunzend sank Gaurav wieder in seinen geliebten Fernsehsessel zurück, in den sich nach zehn Jahren Dauerbenutzung der Abdruck seiner langen, schlaksigen Gestalt eingegraben hatte. Wie gewohnt lag ein aufgeschlagenes Buch auf seinen Schenkeln. Naynas früheste Erinnerung an ihren Vater war, dass sie auf seinem Schoß saß und er ihr vorlas.

»Vergiss nicht, Ísa von uns zu grüßen«, meinte ihre Mutter lächelnd und erhob sich, um Nayna auf die Wange zu küssen. »Viel Vergnügen.«

»Wo ist eigentlich Aji?« Normalerweise saß ihre Großmutter um diese Uhrzeit lesend oder strickend in einem Sessel neben dem altmodischen Kamin auf der anderen Seite des Wohnzimmers und gab bissige Kommentare zu der Fernsehsendung ab. Einmal hatte sie sogar prophezeit, dass die liebe, sanftmütige Heldin die böse Schwägerin in ihrer Hinterhältigkeit am Ende noch übertrumpfen werde.

Nayna hatte den Verdacht, dass sie geradezu auf eine solche Wendung hoffte.

»Sie macht sich eine Tasse Tee.« Shilpa senkte die Stimme. »Ich wünschte, sie ließe mich das tun.«

»Du weißt doch, dass sie ihn lieber auf ihre Art zubereitet.« Mit heißer Milch und jeder Menge Kardamom und Zucker. »Ich verabschiede mich nur noch schnell von ihr.«

»Shilpa!«

Der auffordernde Ton in Gauravs Stimme veranlasste ihre Mutter, eilends auf ihren Platz zurückzukehren. Die Nahaufnahmen der Gesichter waren erschienen, das Drama ging weiter. In Momenten wie diesem wurde Nayna die Brust eng. Ihre Eltern waren so völlig gegensätzlich – ihr Vater schroff, intellektuell und daran gewöhnt, sich durchzusetzen, ihre Mutter sanft, freundlich und ein bisschen verträumt –, aber wann immer Nayna erlebte, dass sie diese Serie zusammen verfolgten oder sich mit großem Ernst darüber unterhielten, verstand sie etwas besser, wieso ihre Ehe funktionierte.

Shilpa Sharmas feste Überzeugung, dass der Mann das Familienoberhaupt war, trug vermutlich ein Übriges dazu bei. Noch nie hatte Nayna erlebt, dass ihre Mutter sich Gaurav bei etwas Wichtigem widersetzt hätte. Stets fügte sie sich seinem Willen. Nayna war erst vierzehn gewesen, als die damals neunzehnjährige Madhuri mit ihrem heutigen Exmann durchgebrannt war, trotzdem konnte sie sich nicht entsinnen, dass ihre Mutter sich je mit Gaurav angelegt hätte, um ihre ältere Tochter sehen zu können.

Und deshalb hatte Nayna auch nicht vor, Shilpa in ihre rebellische Aktion heute Abend einzuweihen.

Mit einem Seufzer der Erleichterung, weil sie ihr die Kinogeschichte abgekauft hatten, zog sie sich aus der Tür zurück und ging den Flur entlang in Richtung Küche. Ihr allerliebster Mensch auf der Welt stand am Herd und ließ einen Topf Chai aufkochen. Daneben stand eine kleine Pfanne, in der halbkreisförmige Taro-Scheiben vor sich hinbrutzelten, von denen jede etwa einen halben Zentimeter dick war.

»Nayna, beta.« Die liebevolle Anrede wurde von einem strahlenden Lächeln begleitet.

»Aji.« Nayna ging zu ihr und schloss den weichen Körper in die Arme. Über viele Jahre hatte ihre Großmutter nie etwas anderes als einen weißen Sari getragen. Nicht nur als Zeichen ihrer Witwenschaft, sondern auch als Ausdruck dafür, wie sehr sie ihren Mann geliebt hatte, wie schmerzlich sie ihn vermisste. Doch in der letzten Zeit hatten sich Veränderungen bei ihr bemerkbar gemacht.

»Dieser Trainingsanzug gefällt mir«, bemerkte Nayna. Er war knallpink, mit weißen Streifen an den Seiten und aus schimmerndem Velours. »Du siehst aus, als wolltest du zum Breakdance.«

Ihre Großmutter wiegte sich in den Hüften. »Ich kann ebenso gut wie diese Bollywood-Heldinnen im Regen tanzen. Aber ohne transparenten Sari. Wer will sich schon eine Lungenentzündung holen?«

Lachend drückte Nayna sie noch einmal an sich, bevor sie einen frisch gerösteten Taro-Chip aus der Schüssel stibitzte. »Mmm, Kohlenhydrate.« Außen knusprig, innen weich. Nayna mochte gesalzene Taro-Chips sogar noch lieber als Pommes frites. »Leider darf ich mir nicht mehr davon gönnen – mein Kleid würde jedes überflüssige Gramm offenbaren.«

Aji tätschelte ihr mit ihrer weichen Hand, die in Naynas Kindheit so oft ihre Wehwehchen gelindert hatte, den Arm. »Amüsier dich gut auf der Party«, flüsterte ihre bereitwillige Mitverschwörerin. »Ich bleibe zu Hause und passe auf deine Eltern auf. Du weißt ja, wie sehr diese Serie sie aufregt.«

Nayna verkniff sich ein Grinsen. »Das werde ich.«

Der Schalk in Ajis Augen machte einem ernsten Ausdruck Platz. »Bist du dir wirklich ganz sicher, beta, dass wir einen Partner für dich finden sollen? Falls du schon jemanden hast, musst du es mir nur sagen. Dann kläre ich das.«

»Nein, es gibt niemanden.« Das war Teil des Problems. Sie hatte sich auf den Heiratsvermittlungsirrsinn auch deshalb eingelassen, weil sie es auf eigene Faust ebenfalls nicht hinbekam. Die ständigen Zurückweisungen an der Highschool in Kombination mit ihren nicht vorhandenen Erfahrungen an der Uni sorgten dafür, dass die moderne Partnersuche für sie ein Buch mit sieben Siegeln war.

Nayna wusste nicht, wie man mit einem Mann flirtete.

Es sei denn, Gespräche über Tabellenkalkulation und Finanzprognosen törnten ihn an.

Als Folge dessen hatte sie, leidenschaftliche Leserin historischer Liebesromane, sich eingeredet, mit einer arrangierten Ehe klarzukommen. Manchmal war sie wirklich bescheuert, aber sie hatte ein Versprechen gegeben und würde es einlösen. Sie musste es tun. Für ihre Familie, die noch immer so zerbrechlich war, weil die Vergangenheit wie eine Wolke aus Schmerz und Zorn über ihnen hing, die sich nie ganz verzogen hatte.

»Trotzdem finde ich«, fügte sie hinzu, »dass man ein paar Geheimnisse mit in die Ehe nehmen darf, denkst du nicht?«

Ihre Großmutter quittierte ihre Worte mit einem warmen, herzlichen Lachen. »Und ob ich das denke.« Sie legte den Finger auf die Lippen. »Jetzt ab mit dir. Und pass auf, dass deine Eltern nichts davon erfahren. Ich liebe meinen Sohn, aber er kam schon als fünfzigjähriger Griesgram zur Welt.«

Nayna, die ihr in allen Punkten recht geben musste, stahl sich aus dem Haus, setzte sich in ihren Wagen und fuhr ein Stück die Straße hinunter, bevor sie sich ihres Mantels und der vernünftigen Schuhe entledigte. Die Stilettos, gegen die sie sie tauschte, waren wesentlich graziler und aufregender, der Mantel würde im Auto bleiben.

Sie seufzte schwer und legte die Hände um das Lenkrad. »Jetzt gibt es kein Zurück mehr, Nayna. Heute Nacht wirst du ein böses Mädchen sein, auch wenn es dich Überwindung kostet.« Mit achtundzwanzig noch Jungfrau zu sein, war eine Sache – zugegeben, so etwas hatte Seltenheitswert, doch im Gegensatz zu dem, was die Medien die Leute glauben machten, war sie kein Einzelfall. Das wusste sie, weil sie es eines Nachts in einem Anfall von Verzweiflung im Internet recherchiert hatte.

Einer Studie zufolge blieb jeder achte Vertreter ihrer Generation bis mindestens zu seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr unberührt. Religion und Kultur waren zwei der Gründe, allerdings spielte bei vielen außerdem die Schüchternheit eine Rolle. So auch in Naynas Fall. Und genau wie ihre anonymen Leidensgenossen weltweit hielt sie den Mund, wenn andere sich über die Unwahrscheinlichkeit, dass man mit Ende zwanzig noch Jungfrau sein konnte, ausließen. Als Konsequenz davon glaubte der Großteil der Bevölkerung nicht, dass ihre Art überhaupt existierte.

Ja doch, sie konnte damit leben, ihre Unschuld noch nicht verloren zu haben.

Aber eine Jungfrau zu sein, die überhaupt noch nichts angestellt hatte, war das Allerletzte.

Sie war als Schülerin und Studentin eine solche Streberin gewesen, dass die Jungs in ihr nie mehr gesehen hatten als eine Garantin für gute Noten. Mit ihrem Abschluss hatte sie sich berufliches Selbstvertrauen erworben. Sie kam gut mit männlichen Klienten zurecht, doch leider erstreckte sich ihr Selbstbewusstsein nicht auf die zwischengeschlechtliche Ebene.

»Das wird sich heute ändern.« Sie verstärkte den Griff um das Lenkrad. »Heute bist du eine Femme fatale, ohne Schlüpfer und mit dem Vorsatz, unartig zu sein.«

3. KAPITEL

WARNUNG: KOLLISION STEHT UNMITTELBAR BEVOR

Raj erschien zusammen mit seinem Freund Sailor auf der Party. »Danke, dass du mitgekommen bist, Sail.« Er mochte das Gastgeberpaar und wollte sich zumindest kurz heute sehen lassen, allerdings rechnete er nicht damit, seine Clique dort anzutreffen, darum hatte er Sailor gebeten, ihn zu begleiten.

»Kein Problem.« Sailor schaute düster drein. »Ich hatte schließlich nichts Besseres vor.«

»Bläst du immer noch Trübsal wegen dieses Mädchens, das weggelaufen ist, nachdem es dich geküsst hatte?«

Interessanterweise war dies das Einzige, das Sailor über die Frau, die schuld an seiner aktuellen Gemütslage war, erzählt hatte, aber sie musste für ihn etwas Besonderes gewesen sein. Weil sein vier Jahre jüngerer Freund, den er durch eine Freizeit-Rugbymannschaft kennengelernt hatte, genau wie Raj selbst ganz auf seine berufliche Karriere konzentriert war.

Diese Rugbyspiele sowie Familienzusammenkünfte waren die einzigen Anlässe, für die die beiden sich Zeit nahmen.

»Raj!« Die Gastgeber gesellten sich zu ihnen.

»Hallo Tara, hi Geoff.« Der Mann begrüßte ihn per Handschlag, seine graziöse, brünette Frau mit einem Kuss auf die Wange. »Wie geht es euch hier in eurem Haus?« Raj hatte drei Jahre zuvor an dessen Bau mitgewirkt.

»Es ist ein Traum! Wir lieben es!« Tara breitete die Arme aus. »Du und dein Team habt fabelhafte Arbeit geleistet. Ich habe euch erst letztens Freunden von uns empfohlen, darum mach dich auf einen Anruf von den Fabers gefasst.«

Ein leises Lächeln huschte über Rajs Gesicht. Das Lob freute ihn, nachdem er sich den ganzen Tag lang mit einem Blödmann herumgeärgert hatte, der seinen Leuten die doppelte Arbeit zum halben Lohn aufhalsen wollte. Raj hatte sich vehement gegen dieses Ansinnen verwehrt, trotzdem hatte es seinen ganzen Zeitplan durcheinandergebracht, diesen Kerl auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Eigentlich hätte er es sich anschließend lieber mit einem Bier vor dem Fernseher gemütlich gemacht, aber Tara und Geoff zu versetzen, kam nicht infrage.

»Das ist übrigens Sailor«, sagte er. »Tatsächlich hat er im Zuge seiner Ausbildung bei der Gestaltung eures Gartens mitgeholfen.« Sein Freund war mit einem grünen Daumen geboren, nur hatte er erst berufliche Erfahrung sammeln müssen, um selbst Kunden an Land zu ziehen. »Er ist ein großartiger Landschaftsgärtner und hat mittlerweile seine eigene Firma, nur für den Fall, dass ihr irgendwann ein paar Veränderungen vornehmen wollt. Sailor hat schon etliche Gärten für uns angelegt.«

»Gut zu wissen. Wir hatten uns tatsächlich überlegt, nächsten Sommer ein paar Verschönerungsmaßnahmen durchzuführen.« Geoff schüttelte Sailor die Hand. »Aber jetzt genug zum Thema Arbeit. Lasst uns feiern!«

»Eine Sekunde noch.« Raj zeigte den beiden ein Foto auf seinem Handy. »Ich habe eine Nachbildung des kleinen Beistelltischs angefertigt, auf den ihr ein Auge geworfen hattet. Ich werde ihn euch morgen vorbeibringen.« Dies war nicht nur eine Weihnachtsfeier, sondern gleichzeitig auch eine Hochzeitstagsparty, darum hielt er ein Geschenk für angemessen.

»Oh mein Gott, wie reizend!«, jubelte Tara und hüllte ihn in eine opulente Duftwolke ein, als sie ihm noch einen Kuss auf die Wange drückte, bevor sie und ihr Mann Raj und Sailor mit sich zogen, um sie mit den anderen Gästen bekanntzumachen.

Wie Raj erwartet hatte, setzten sie sich aus reichen Menschen in Führungspositionen zusammen. Er und Sailor hoben sich gegen diese exklusive Schar ab wie Stahl von Platin, trotzdem gelang es beiden, ein paar lohnenswerte Geschäftskontakte zu knüpfen. Dummerweise erregten sie außerdem auch die Aufmerksamkeit einiger Frauen, die in dieser Nacht Lust auf einen »waschechten Kerl« zu haben schienen.

Raj musste sich anstrengen, höflich zu bleiben, während sie ihn mit den Augen verschlangen wie bei einer Fleischbeschau.

»Eine Stunde«, raunte er seinem Freund zu, nachdem beide sich ein Bier genommen hatten.

Sailor stieß mit seiner Flasche gegen Rajs und durchbohrte ihn mit einem Blick aus seinen blauen Augen. »Hier scheinen jede Menge Frauen auf der Jagd zu sein. Vielleicht findest du ja eine, die dich das mit der arrangierten Ehe noch einmal überdenken lässt.«

»Das glaube ich nicht.« Diese Frauen hier sahen in ihm nichts weiter als ein Sexobjekt.

Aber Raj suchte etwas ganz anderes. Er war als Vierjähriger von seiner biologischen Mutter verlassen und erst zwei lange Jahre später adoptiert worden, darum bedeutete ihm Familie alles. Er fühlte sich seiner Kultur und ihren Traditionen verbunden, sie gaben ihm Halt. Während andere dagegen rebellierten, machte er sie sich zu eigen. Und es war ja nicht so, als wählte seine Familie vollkommen ungeeignete Heiratskandidatinnen für ihn aus.

Alle Mädchen, die er bislang getroffen hatte, waren nett und klug gewesen. Trotzdem hatte er jede abgelehnt. Er wollte mehr als nur eine Ehepartnerin, eine, für die er einfach nur eine annehmbare Wahl war. Raj träumte von wahrer Liebe, von einer Frau, die bis auf den Grund seiner Seele sah, die sich auf das Innigste mit ihm verband, mit der er eine Familie gründen konnte, der sie sich fürsorglich und voller Hingabe widmen würde.

Seine jüngere Schwester nannte ihn einen Steinzeitmenschen, aber Raj stand zu seinem Wunsch nach einer traditionellen Rollenverteilung, er wollte, dass seine Kinder ihre Mutter um sich hatten, wenn sie von der Schule nach Hause kamen. Seine eigene Mutter war früher die rechte Hand seines Vaters gewesen, aber da sie ihren Familienbetrieb während Rajs gesamter Kindheit von zu Hause geführt hatten, war sie immer für ihn da gewesen.

Als ein Kind, das während der ersten, prägenden sechs Lebensjahre unerwünscht gewesen war, war es ihm wichtig, umarmt zu werden, wenn er durch die Haustür trat. Diese Art von Geborgenheit wünschte er sich auch für seine Kinder. Aus diesem Grund suchten seine Eltern nach einer intelligenten, traditionsbewussten Frau für ihn; das Letzte, was er wollte, war eine Partnerin, die seine Sehnsucht nach einem konventionellen Heim als rückständig und eine Zumutung betrachtete. Er würde sie unglücklich machen und sie ihn ebenso.

Eines war elterliche Heiratsvermittlung auf jeden Fall, nämlich ehrlich. Es wurden keine grundverschiedenen Menschen zusammengeführt, im Vertrauen darauf, dass Gegensätze sich anzogen. So was passierte nur in Filmen und Büchern. Im echten Leben war es ratsam, alle Karten auf den Tisch zu legen.

Und Rajs Blatt symbolisierte Tradition, Familie, Häuslichkeit.

Mochten andere feuriger Leidenschaft und wilden Abenteuern nachjagen. Für Raj zählten Beständigkeit und Loyalität.

4. KAPITEL

NAYNA & RAJ & CHAMPAGNER

Sie waren da.

Nayna öffnete die Fahrertür und warf einen Seitenblick auf Ísa, die sie auf dem Weg zu der Party aufgelesen hatte. Ihre Freundin schluckte sichtbar, dann nickte sie. Sie sah atemberaubend aus mit ihren sexy Kurven und dem roten Haar, das einen leuchtenden Kontrast zu ihrem Porzellanteint bildete. Genau diese optischen Vorzüge hatten ihr als Teenager das Leben schwer gemacht. Die Königin aller Biester an ihrer Highschool hatte es als ihre Mission angesehen, Ísa zu schikanieren und auch Nayna den einen oder anderen Seitenhieb zu verpassen.

Als »tittenlose Streberin« hatte Suzanne Nayna wenig liebevoll tituliert. Nayna wusste, wie sehr es Ísa aufregte, dass ihre Peinigerin Nummer eins und das widerliche Ekel, von dem sie am College auf grausamste Weise abserviert worden war, ein gemeinsames Happy End erlebten. Allerdings sah Nayna für keinen der beiden eine glückliche Zukunft voraus. Cody war ein wehleidiger Schleimbolzen, für den Loyalität ein Fremdwort war, und Suzanne hatte ein durch und durch böses schwarzes Herz.

Nayna wünschte den beiden eine ewig währende Hölle auf Erden.

Unterdessen würden sie und Ísa die Puppen tanzen lassen.

Die milde Abendluft umfing sie, als sie ausstiegen. In Auckland läutete der Dezember den Hochsommer ein, im Februar lag die Stadt unter einer Hitzeglocke. Gelegentlich konnte es nachts zu dieser Jahreszeit noch kühl sein, doch im Moment herrschte ein Klima fast wie im Januar.

Kichernd stöckelten sie auf ihren dünnen Absätzen, an die sie beide nicht gewöhnt waren, über den Gehweg. Nayna ertappte Ísa dabei, wie sie den Saum ihres trägerlosen blauen Paillettenkleids nach unten zu zerren versuchte, und ahmte die Geste nach.

Ísa bebten vor Lachen die Schultern, als sie sich bei Nayna unterhakte. »Wir sind heute Abend Teufelinnen«, verkündete sie.

»Wilde, übermütige Teufelinnen«, bekräftigte Nayna. »Ganz bestimmt keine braven Mädchen, die tun, was ihre Eltern verlangen.« Sie spürte unbändige Verzweiflung in sich und wusste, dass sie mit dem Feuer spielte, doch das war ihr egal. Gut möglich, dass dies ihre letzte Nacht in Freiheit war. Ihre Eltern hatten die Intervalle zwischen den arrangierten Vorstellungsgesprächen verkürzt, damit ihre jüngere Tochter schnellstmöglich unter die Haube kam.

Über kurz oder lang würde ein heiratswürdiger Kandidat auf der Bildfläche erscheinen, der alle relevanten Kriterien erfüllte und ihre Angehörigen nicht vor den Kopf stieß. Dann saß Nayna in der Falle.

»Ich fordere dich auf, heute Abend irgendeinen wildfremden Typen zu küssen«, flüsterte Ísa spitzbübisch. »Einen muskelbepackten Adonis, an den du dich sonst nie heranwagen würdest.«

»Herausforderung angenommen«, antwortete Nayna ohne Zögern, dabei hatte sie sich noch nie an einen Mann herangemacht, erst recht nicht an einen muskelbepackten Adonis.

Das Gebot der Stunde hieß wohl, sich Mut anzutrinken. Vielleicht würde sie sich ja, sobald sie erst genügend Tequila getrunken hätte, in eine betörende Sirene verwandeln, die die Männer in Scharen anlockte. Wenngleich es wahrscheinlicher war, dass sie vor dem Prachtburschen, den sie zu küssen versuchte, in Ohnmacht fallen würde. Neuer Plan: Sie würde einfach so tun, als sei sie jemand anders, und Hemmungslosigkeit vortäuschen.

»Da wir uns danach nie wiedersehen werden«, sagte sie zu Ísa und nahm Bezug auf den armen Muskelprotz, den sie zu belästigen gedachte, »ist es egal, ob er mich für eine wild gewordene Irre hält.«

Ísa runzelte leicht die Brauen, als dämmerte ihr plötzlich, welches Maß an Tollheit ihrer Freundin vorschwebte. »Sag mir aber Bescheid, falls du mit jemandem verschwindest, damit ich mir keine Sorgen mache.«

»Du ebenfalls.« Nayna blieb vor der offenen Eingangstür stehen und holte tief Luft. »Los, lass uns ungezogene Dinge tun.«

Ísa hatte durch ihr Geknutsche mit einem blauäugigen Gärtner zumindest schon einmal einen Anfang gemacht. Nayna konnte noch immer nicht fassen, dass ihre zugeknöpfte, eher gehemmte Freundin sich mit einem Mann vergnügt hatte, dessen Namen sie nicht einmal kannte, aber sie würde sie sich zum Vorbild nehmen. Wenn Ísa imstande war, sich auf einem Schulparkplatz einem tollen Typen an den Hals zu werfen, würde Nayna das auf einer Party doch sicher erst recht gelingen!

Das Partyvolk war in ausgelassener Stimmung, als sie eintraten. Naynas Blick durchstreifte den großräumigen Wohnraum, hinter dem sich eine große Terrasse bis an den Rand eines kristallklar schimmernden, beleuchteten Pools erstreckte. Mehrere Leute plantschten vergnügt darin herum und bespritzten sich gegenseitig, während in einer von schillernden Diskokugeln beleuchteten Ecke des Raumes andere Gäste tanzten.

Jeder Einzelne schien – unabhängig von seiner Ethnie, Körpergröße oder Haarfarbe – einem Katalog mit dem Titel »Schöne Menschen mit schönen Körpern« entsprungen zu sein.

Der ganze Salon war mit bildhübschen Leuten bevölkert.

Nayna wünschte, sie trüge ihre Brille; zwar brauchte sie sie normalerweise nur zum Lesen, aber sie hätte sich mit ihr besser vor Blicken geschützt gefühlt. So empfand sie ihr Gesicht als nackt, zu sehr dem Urteil anderer ausgeliefert. Sie bezwang das Bedürfnis, wieder am Saum ihres Kleids zu zupfen. Ihr Outfit war sexy und sie eine moderne Frau, schärfte sie sich ein.

Wenn auch ohne nennenswerte Oberweite, hielt eine Stimme in ihrem Kopf verdrießlich dagegen.

»Nayna!« Tara kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Die hochgewachsene Frau mit den brünetten Haaren war ein ehemaliges Topmodel, das für ausgewählte Modedesigner noch immer über den Catwalk lief. Darüber hinaus trat sie regelmäßig bei internationalen Fashion Shows in Erscheinung – oftmals als Jurorin –, und sie zählte zu Naynas Lieblingsklienten. Als Juniorpartnerin in ihrer Kanzlei hatte Nayna zu Beginn Taras und Geoffs Buchführung mitbetreut und war im Lauf der Zeit zu deren Hauptansprechpartnerin geworden.

Nayna erwiderte Taras Umarmung, dann überreichte sie ihr den Wellness-Gutschein, den sie als Geschenk besorgt hatte, und erntete ein entzücktes Lächeln. Ungeachtet ihres Reichtums war Tara ein fröhlicher, bodenständiger Mensch geblieben, sie war weder falsch noch übersättigt. Was nicht zuletzt daran liegen mochte, dass sie und Geoff seit nunmehr fünfzehn Jahren zusammen waren und ihre Liebe keinerlei Verschleißspuren aufwies. Erst vorige Woche hatte jemand sie dabei fotografiert, wie sie in aller Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauschten.

Nayna betrachtete die kluge, glücklich verliebte Tara und sah die Frau vor sich, zu der sie werden wollte. »Ich möchte dir meine Freundin Ísa vorstellen«, sagte sie. Sie wusste, wie unwahrscheinlich es war, dass ihr künftiger Ehemann öffentlichen Liebesbekundungen gegenüber aufgeschlossen sein würde. Nayna war, was derlei Dinge betraf, zwar nicht so selbstbewusst wie Tara, trotzdem musste es ein schönes Gefühl sein, wenn der Partner auch vor anderen keinen Hehl aus seiner Zuneigung machte.

Tara schloss auch Ísa in die Arme. »Ich hoffe, ihr zwei habt Badekleidung mitgebracht«, raunte sie ihnen in verschwörerischem Ton zu. »Obwohl …« Sie zwinkerte mit einem ihrer kunstvoll geschminkten Augen. »Wie es scheint, legt nicht jeder hier Wert darauf, sich zu verhüllen.«

Bevor sie Gelegenheit hatten zu antworten, wurde Tara von einer anderen Frau fortgezogen. Ísa und Nayna wechselten grinsend einen Blick, bevor sie schnurstracks den Pool ansteuerten. Naynas Herz vollführte einen Satz bei der Vorstellung, nackt baden zu gehen, aber sie war noch nicht bereit zu so viel Zügellosigkeit. Dafür brauchte sie mehr Zeit.

Bestimmt hatte Madhuri so etwas schon öfter gemacht. Andererseits schätzte ihre Schwester es gar nicht, wenn ihre Frisur oder ihr Make-up ruiniert wurden. Somit könnte Nayna die erste Tochter der Sharmas sein, die hüllenlos in einen Pool sprang. Wie wohl eine Frau in einer arrangierten Ehe mit diesem Thema umging? Ihrer bisherigen Erfahrung nach neigten Männer, die eine Partnervermittlung in Anspruch nahmen, dazu, ultrakonservativ zu sein. So jemand würde sich niemals daran beteiligen, die Fesseln abzustreifen und die Regeln zu brechen.

Solche Männer suchten eine Frau, die ein Ausbund an Tugend und Traditionsverbundenheit war.

Trottel Nummer vier hatte sich tatsächlich erdreistet, die von ihr zubereiteten Snacks auf einer Skala von eins bis zehn zu bewerten. Er hatte ihr eine Fünf Komma fünf gegeben. »Da ist noch eine Menge Luft nach oben.«

Woraufhin ihre Großmutter ihr »Reizende-alte-Dame«-Gesicht aufgesetzt und ihm eine faustdicke Lüge aufgetischt hatte, indem sie behauptete, sie selbst habe sämtliche Speisen zubereitet, da Nayna in der Kanzlei aufgehalten worden sei. Der Möchtegern-Bräutigam war mit vollem Mund zur Salzsäule erstarrt. Entsetzt über seinen Fauxpas, hatten seine Eltern schleunigst mit ihm das Weite gesucht.

Fünf Komma fünf. Ha! Sie würde gern erleben, wie er frische Pakoras zubereitete, die es mit ihren aufnehmen konnten. Völlerei war vermutlich die einzige Disziplin, in der er die volle Punktzahl erreichen würde. Nayna würde sich niemals über das Gewicht eines Menschen auslassen, über den ausladenden Bierbauch eines Dreißigjährigen hingegen durchaus. Besonders nachdem der Typ sich ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen ein Urteil über sie angemaßt hatte.

Nein, sie war nicht zu dünn, vielen Dank auch. Sie war …

Oh.

Ihr innerer Monolog wurde jäh unterbrochen, als ihre Augen einen Mann erfassten, der der Inbegriff von markant und gestählt und außerdem eine komplett andere Kragenweite als sie war. Er überragte sie um etliche Zentimeter, seine golden getönte Haut strahlte Gesundheit aus, sein Körperbau war derart perfekt, dass er fast unecht wirkte. Nicht zu massig, nicht zu schmächtig. Sondern genau richtig.

Seine schwarzen Haare waren leicht zerzaust, ein dunkler Bartschatten lag auf seinen Wangen.

Seine Jeans saßen bequem und nicht lächerlich stramm, wohingegen sein T-Shirt eng anlag und seinen Waschbrettbauch nachformte. Dieser Mann war die reinste Augenweide.

»Oh mein Gott«, brachte Nayna mit Mühe heraus. »Ist der aus Fleisch und Blut?« Ihr wurde der Mund trocken. Sie wünschte, sie hätte den Mut, zu ihm hinüberzugehen und ihm einen Kuss zu stehlen. Was für eine Anekdote wäre das später einmal in den Memoiren einer verhutzelten alten Dame.

»Nichts wie ran«, flüsterte Ísa ihr zu. »Er ist dein Angriffsziel heute Abend.«

Nayna starrte sie an, als hätte ihre Freundin den Verstand verloren.

»Ungezogene Teufelinnen, weißt du noch?« Es klang energisch.

»Aber von Demütigung war keine Rede.« Madhuri war diejenige, die sämtliche Männerverführungsgene in der Familie geerbt hatte. »Hast du die Frau gesehen, mit der er sich gerade unterhält?«, zischte sie, als Ísa ihr einen aufmunternden Stups gab.

Erst da merkte sie, dass sie den Hottie immer noch mit Blicken taxierte.

Errötend bei dem Gedanken, er könnte sie dabei ertappen, wie sie ihn anschmachtete, schaute sie weg und zupfte an ihrem Kleid. Sie wusste, dass es ihren Hintern bedeckte – sie hatte es im Spiegel überprüft, bevor sie aus dem Haus gegangen war –, nur hatte sie noch nie ein so kurzes Kleid getragen. Sie spürte immer wieder einen kühlen Luftzug an Stellen, wo normalerweise keiner hingelangte.

Auweia, hoffentlich hatte sie sich nicht versehentlich einen Po-Blitzer erlaubt. Bei ihrem Glück hätte bestimmt gerade einer ihrer Klienten hergesehen.

»Falls er nicht mit dieser Frau liiert ist – und mein Instinkt sagt mir, er ist es nicht«, meinte Ísa unverdrossen, »denke ich, dass du gute Chancen hast.« Ihr Ton war warm und ermutigend, aber Ísa hatte ihr schon immer den Rücken gestärkt. »Er hat dich gerade angestarrt.«

Nayna wollte im Erdboden versinken. »Wahrscheinlich fragt er sich, was eine schräge Type wie ich inmitten all dieser unfassbar gut aussehenden Menschen zu suchen hat.« Sie ergriff Ísas Arm. »Komm, lass uns wenigstens ein bisschen beim Nacktbaden zuschauen.«

Zu ihrem Bedauern mussten sie feststellen, dass Tara voreilige Schlüsse gezogen hatte. Alle trugen noch immer Schwimmkleidung. »Wir werden es trotzdem tun«, verkündete Nayna wild entschlossen und drückte die Hand auf ihre Magengegend, um die Schmetterlinge zu beruhigen, die in ihrem Bauch herumflatterten. Dieser hinreißende Mann war nicht für sie bestimmt, und ihre albernen Fantasien würden ihr nur Kummer bereiten. »Sobald die Lichter aus und die anderen Gäste heimgegangen sind.«

Ísas herzliches Lachen brachte ihre großen, graugrünen Augen zum Leuchten. »Bin dabei.«

Ein Kellner mit einem schwarzen Spitzbart trat vor sie hin, sein Blick lud sie ein, sich ein Glas Champagner von seinem Tablett zu nehmen.

Nayna fand, dass sie sich eine Prickelbrause verdient hatte, selbst wenn sie sich vor der Herausforderung drücken sollte, und nahm sich ein Glas. »Möchtest du auch eins?«, fragte sie Ísa, und da diese nickte, gab sie es an sie weiter. Sie wollte gerade eins für sich selbst nehmen, als ihre Finger mit einer großen, warmen Hand kollidierten. »Oh, Entschuldi–«

Nayna wurde stocksteif.

Er war es.

Die Augenweide. Der Traumtyp mit dem unrasierten Kinn und der Jeans, die am Schenkel einen Riss aufwies. Keinen artifiziellen von der Sorte, die besagte: »Diese Denims kosten fünfhundert Dollar.« Nein, die Hose wirkte im Ganzen abgetragen, aber intakt, nur diese eine Stelle war so fadenscheinig, dass sie gerissen war.

Wieso fand sie das so sexy?

»Bitteschön.« Er reichte ihr die Champagnerflöte, dabei sah er ihr so tief in die Augen, dass die Schmetterlinge in ihr vollends in Verzückung gerieten. »Ich bin Raj.«

Sie warf Ísa einen verzweifelten Blick zu, aber ihre treulose beste Freundin nickte ihr nur kurz lächelnd zu, bevor sie in der Menge untertauchte. Und Nayna war unversehens allein mit Mister Hot & Sexy. Fast wünschte sie sich, der Kellner würde bleiben, doch er entfernte sich bereits, als jemand hinter ihr vorbeiging und sie dabei versehentlich anstieß.

Ehe sie wusste, wie ihr geschah, legte Raj den Arm um sie und drehte sie so herum, dass sie mit dem Rücken zur Wand stand. »Hier bist du vor Rempeleien geschützt.«

Er ließ die Hand sinken und wahrte ausreichend Abstand zu ihr, damit sie sich nicht eingeengt fühlte. Allerdings richtete er seinen Körper dabei so aus, dass seine breiten Schultern sie nicht nur vor einer weiteren Kollision schützten, sondern auch davor, dass jemand so einfach in ihre Nähe gelangen konnte.

Wie ein Löwe, der seine Beute von der Herde absonderte.

5. KAPITEL

HERRLICH SCHLECHTE ENTSCHEIDUNGEN IM MONDSCHEIN

Nayna presste die Schenkel zusammen.

Sie hätte einen Slip anziehen sollen. Unbedingt. Diese Sache könnte peinlich ausgehen, wenn Raj weiterhin so mit ihr redete und dabei diese männlichen Pheromone aussendete, die ihren sehnsüchtigen Körper ganz verrückt machten. Bloß würde er das bestimmt nicht tun. Was immer sein Interesse an ihr geweckt hatte, bald würde er feststellen, dass sie keine mondäne, erfahrene Partymaus war – mochte ihr Kleid noch so sehr diesen Anschein erwecken.

»Wie heißt du?« Seine Stimme strömte wie dunkles Wasser über ihre Haut und liebkoste sie an den unmöglichsten Stellen.

»Nayna«, brachte sie mit staubtrockener Kehle heraus. »Ich bin Wirtschaftsprüferin.« Großer Gott, Nayna!, rief der Teil von ihr, der Raj umschlingen und sich an seinem phänomenalen Körper reiben wollte. Sie krümmte sich innerlich. Ebenso gut hätte sie sich »Niete« ins Gesicht stempeln können.

Exakt dieses Wort hatte ihre Erzfeindin Suzanne ihr während eines Schulausflugs mit wasserfestem Filzstift auf die Stirn gekritzelt, während Nayna und Ísa beide tief und fest geschlafen hatten, völlig erschöpft von der obligatorischen Wanderung, gefolgt von einem Hindernislauf, an dessen Ende sie eine Seilkonstruktion überwinden mussten. Als wären alle Teenager Superhelden, die sich zum Frühstück Stahlnägel einverleibten.

Doch anstatt sich irritiert oder gelangweilt von ihr abzuwenden, nickte Raj. »Dann hast du den Test bestanden, um bei der Wirtschaftsprüferkammer deine Bestallung zu beantragen? So heißt das doch, oder?«

Nayna blinzelte, seine Frage klang viel zu ernsthaft für ein lockeres Partygespräch, aber wenigstens ergriff er nicht die Flucht. »Ja.« Es klang mehr gehaucht als gesprochen. »Die Tinte auf meinem Diplom ist noch nicht ganz trocken, so neu ist es.« Ihr Blick lag auf seinen Lippen, deren obere etwas voller als die untere war, daher sah sie, wie es um seine Mundwinkel zuckte.

Nur ganz leicht. Als wäre er es nicht gewohnt, viel zu lächeln. Es weckte in ihr den Wunsch, ihn aus der Reserve zu locken, bis er über das ganze Gesicht grinste. Dann sähe er nicht mehr nur anziehend, sondern absolut unwiderstehlich aus. Womöglich geizte er absichtlich mit seinem Lächeln. Es musste schwer für ihn sein, sich ständig weiblicher Avancen zu erwehren.

Als er sie beim Schmachten ertappte, senkte sie errötend den Blick … er landete auf seinen Bauchmuskeln, die sich unter seinem T-Shirt abzeichneten. »Und was ist mit dir? Was ist dein Tätigkeitsgebiet?«

»Das Bauwesen«, antwortete er knapp, rührte sich aber noch immer nicht von der Stelle.

Nayna schluckte und beschwor jede ihr bekannte romantische Komödie und Bollywood-Liebesgeschichte in ihrem Geist herauf. Was würden deren Heldinnen jetzt tun? Eines wohl eher nicht, nämlich hervorstammeln: »Du baust Dinge?« Clever, Nayna, echt clever. Du baust Dinge?! MIST!

»Genau.« Sein frischer Duft strich an ihr vorbei, als er sich bewegte.

Er musste vor der Party geduscht haben.

Wahrscheinlich war er von der Arbeit auf einer Baustelle ganz staubig und verschwitzt gewesen. Sie hätte definitiv einen Slip anziehen sollen.

In der gespannten Stille war sie sich mit allen Sinnen der Hitze, die von ihm ausging, bewusst.

Raj öffnete die Lippen, wollte etwas sagen, als lautes Gelächter den Zauber brach.

Mit grimmiger Miene blickte er kurz hinter sich und wandte sich wieder ihr zu. »Wollen wir nach draußen in den Garten gehen?« Fast schroff klang es, nichts an ihm war glatt, gefällig oder anbiedernd. »Da ist es etwas ruhiger.«

Er forderte sie auf, die schützende Partygesellschaft zu verlassen und mit ihm hinaus in die Nacht zu gehen. Nayna tat so etwas nicht. Genauso wenig, wie sie auf Partys Männer aufriss oder sich ohne Unterwäsche aus dem Haus wagte.

Sie leerte ihren Champagner in einem Zug. »Gern«, sagte sie, als sie im selben Moment ein Pling vernahm.

Nayna fischte ihr Telefon aus ihrem Handtäschchen, das sie sich um die Schulter gehängt hatte. »Eine Nachricht von meiner Freundin Ísa.« Sie las sie und erfuhr, dass Ísa mit einem blauäugigen Mann zu verschwinden gedachte.

Obwohl es sie verwunderte, wie schnell ihre Freundin den heißen Gärtner durch jemand anderen ersetzt hatte – sie hätte schwören können, dass Ísa sich ernsthaft für ihn interessierte –, wünschte sie ihr Glück und fügte hinzu, dass sie mit dem Adonis zusammen sei und ihn tun lassen würde, was immer er wollte. »So, fertig«, verkündete sie und steckte das Handy wieder ein.

Anstatt genervt zu reagieren, fragte er mit einer hochgezogenen Braue: »Das Buddy-Prinzip?«

»Du bist immerhin ein Fremder.«

Ihre lachhaft prüde Antwort amüsierte ihn nicht, seine Miene war wieder vollkommen ernst. Nayna überlegte, wie viel Selbstbeherrschung ihn das wohl kostete … und was passieren würde, wenn er die Zügel lockerte.

Raj verschränkte den Blick seiner braunen Augen, deren schwarze Pupillen von einem mattgoldenen Strahlenkranz umschlossen waren, mit ihren. »Möchtest du diesen Fremden hinaus in die Dunkelheit begleiten?«

Nayna nickte wortlos, das Feuer in seinen Augen verwandelte ihre Knochen in Pudding, das dunkle Timbre seiner Stimme bewirkte, dass ihre Brustspitzen sich aufrichteten.

Raj stellte ihre Gläser weg, schloss seine große, raue Hand um ihre und bahnte sich mit ihr einen Weg durch die Menge. Es war, als würde sich das Rote Meer für diesen großen, heißen, muskulösen Mann teilen. Nayna blieb dicht bei ihm, sie nahm kaum noch etwas von der Party wahr, so laut rauschte ihr das Blut in den Ohren. Anstatt sie zur Terrassentür zu lotsen, führte Raj sie durch einen schmalen Seitengang zu einer Tür, die sonst niemand zu benutzen schien.

»Ich habe beim Bau dieses Hauses mitgewirkt«, erklärte er, als er ins Freie trat. »Diese Tür habe ich höchstpersönlich montiert.« Er tätschelte das polierte Holz.

Ein Gefühl von Ehrfurcht stieg in Nayna auf. »Es muss dich mit großem Stolz erfüllen, etwas zu sehen, das du mit deinen eigenen Händen erschaffen hast.«

Er zog sie nach draußen und schloss die Tür. »Ja, das stimmt«, bestätigte er mit einer Ruhe, die sie unweigerlich anzog. »Ich erinnere mich noch an jedes Haus, an dem ich gearbeitet habe, seit ich seinerzeit als Lehrling bei meinem Vater anfing.«

Sie verließen den Spazierweg … und Naynas Absätze sanken im Boden ein. »Oje.« Sie kippte taumelnd nach vorn.

Raj fing sie auf, indem er sie um die Taille fasste. »Alles okay?«

»Ja, es lag nur an den Schuhen.«

Ohne groß zu überlegen, stützte sie sich mit der Hand an seiner Brust ab und hob einen Fuß. »Ich werde sie ausziehen, damit ich im Gras laufen kann.« Seine Hitze versengte sie schier, während er ihr mit angespannten Muskeln half, das Gleichgewicht zu halten.

Wieder kreisten ihre Gedanken um Unterwäsche, als sie ihre Stilettos abstreifte und an den Riemchen um ihr Handgelenk hängte. »Danke.«

Raj ergriff ihre andere Hand und führte sie über den Rasen. »Von hier aus hat man einen guten Ausblick über die Bäume hinweg aufs Meer.«

Nayna blieb stehen und folgte mit den Augen der Richtung, in die sein ausgestreckter Arm wies. Sie sah, wie sich der Mond im Wasser spiegelte, der Anblick war so ungeheuer romantisch, dass ihr fast das Herz zersprang. Schon seit Teenagerzeiten verschlang sie Liebesromane, trotzdem hätte sie nie zu träumen gewagt, eines Tages von einem solch attraktiven, mysteriösen und faszinierenden Mann im Mondschein geküsst zu werden.

Noch während ihr dieser Gedanke durch den Kopf schwirrte, wandte Raj sich zu ihr um, ließ sie los und umfing ihr Gesicht mit beiden Händen. Ihr stockte der Atem, ihr Puls hämmerte. Dann teilten sich ihre Lippen. Raj, dem dieses verräterische Zeichen nicht entging, senkte den Kopf und drückte den Mund fest auf ihren. Bei ihm gab es kein Zögern, kein behutsames Herantasten.

Der Mann wusste, was er wollte – nämlich sie.

Nayna ließ ihre Schuhe ins Gras fallen, legte die Hände auf seine Brust und stellte sich auf die Zehenspitzen. Er küsste sie fordernder, seine Hand fuhr zu ihrer Taille, bevor sie auf ihrer Hüfte zu liegen kam, wo das Kleid einen Streifen blanker Haut freiließ. Als sie erschauerte, strich er mit der Zunge über ihre Lippen.

Sie öffnete sie weiter, der Kuss wurde feuchter und leidenschaftlicher.

Rau rieben seine Bartstoppeln an ihrer Haut. Er zeichnet mich, dachte sie, aber es fühlte sich so gut an, dass sie es geschehen ließ.

Nayna vernahm ein Stöhnen und begriff erst, dass es von ihr kam, als Raj sie mit einem Knurren anspornte, das seine Brust unter ihren Fingern vibrieren ließ. Bereit zu mehr, zu allem, schmiegte sie sich fester an ihn. Raj drängte sie zurück, und es beschlich sie die Sorge, dass sie es vermasselt hatte – immerhin war sie nicht gerade eine Expertin auf diesem Gebiet.

Doch dann biss er sie sacht in die Unterlippe, dabei schob er sie weiter rückwärts, bis sie mit dem Rücken an eine Wand stieß. Er kam ihr wieder ganz nah, und es fühlte sich himmlisch an, seinen großen, warmen Körper an ihrem zu spüren. Was seinen Mund betraf, wusste dieser ernste, eindrucksvolle Mann genau, wie er ihn einsetzen musste, um wildes Verlangen in ihr zu wecken.

Nayna protestierte nicht, als seine Hand höher glitt, wie um ihre Brust zu umfangen.

Unerwartet hielt er inne und streichelte ihr stattdessen übers Haar. »Willst du das auch wirklich, Nayna?«

Endorphine überschwemmten sie, als sie ihn ihren Namen sagen hörte. Sie befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen und nickte. »Ja. Hör bitte nicht auf.«

Seine dunklen Augen blitzten, als er sich ein weiteres Mal über ihren Mund hermachte. Wieder kratzten seine Bartstoppeln ihre Haut und lösten prickelnde Empfindungen in ihr aus. Selbstsicher strichen seine heißen Hände über ihren Leib, wobei sich die von körperlicher Arbeit rauen Innenflächen mehrfach am Stoff ihres Kleids verfingen. Jedes Mal stellte Nayna sich dann unwillkürlich vor, wie seine tüchtigen, geschickten Finger sich auf ihrer nackten Haut anfühlen würden.

Sie streichelte seine Brust, seine Arme, es gab nichts an Rajs Körper, das ihr nicht gefiel, er schien nur aus geschmeidiger Haut und straffen Muskeln zu bestehen. Und dann sein Duft … Nayna wollte das Gesicht an seinem Hals bergen, sich mit den Lippen daran weiden und seinen Geruch in sich aufnehmen.

Heiße Atemzüge, hämmernde Herzen, eng umschlungene Körper.

Raj zog ihr den elastischen Stoff ihres Kleids von den Schultern. Ihre Brüste schlüpften heraus. Nayna bekam keine Gelegenheit, sich ihrer spärlichen Oberweite zu schämen, weil Rajs Hand ihre linke Brust umschloss, während sein Mund sich zu ihrer rechten senkte. Sowie er sie berührte, entrang sich ihr ein Stöhnen, bevor Raj sich zu ihrer großen Enttäuschung plötzlich zurückzog.

»Ohne deine Pumps bist du ganz schön klein«, murmelte er und hob sie auf seine Hüfte, als wäre sie leicht wie eine Feder.

Naynas Schoß zog sich zusammen, während sie sich an seinen Schultern festklammerte. Nie im Leben hätte sie sich träumen lassen, einmal mit einem derart starken Mann auf Tuchfühlung zu gehen.

Instinktiv schlang sie ihre zitternden Schenkel um seinen straffen Leib, als Raj sie in einer dunklen Ecke des mondbeschienenen Gartens an die Wand presste. Ihr Kleid rutschte durch die Stellung noch ein frivoles Stück höher, bis nur mehr wenige Zentimeter Nayna von der totalen Entblößung trennten.

Eine plötzliche Scheu drohte ihr die Luft abzuschnüren.

»Schon viel besser«, befand Raj in heiserem Ton, bevor sie sich ihrer Unsicherheit ergeben konnte, und zog sie, die Hand auf ihrem unteren Rücken, näher zu sich heran. Dann strich er einmal kurz mit der Zunge über ihre Brustspitze.

Leise stöhnend vergrub sie die Finger in seinem Haar.

Er gab ihr, was sie brauchte, indem er den Nippel und einen Teil der Brust in seinen Mund saugte. Als er mit den Zähnen über ihre Haut fuhr, ließ Nayna schwer atmend den Kopf nach hinten sinken. Sie hatte sich in ihrer Fantasie ausgemalt, wie es sein würde, aber das hier … »Raj.«

Er ließ von ihrer Brust ab und wandte sich ihrem Mund zu. Eine Hand weiterhin auf ihrem Rücken, schlang er die andere fest um ihr langes, glattes Haar. Ihre Nippel rieben über den Stoff seines T-Shirts, als er sie an sich drückte und tief und gierig küsste. Dass er vollständig angezogen war, während sich ihr Kleid um ihre Taille bauschte, ließ ihre Erregung nur weiter ansteigen.

Nayna erwiderte den Kuss, zwar ohne Finesse, dafür voll Begierde.

Seine Hand glitt von ihrem Rücken zu ihrem Oberschenkel und streichelte ihn, während er sie küsste, wie sie es sich schon immer erträumt hatte.

»Du schmeckst so gut«, stieß sie hervor, als sie kurz Atem schöpften, und ließ damit zu ihrer eigenen Beschämung ihre Unerfahrenheit erkennen.

Doch wie um sie für ihre Freimütigkeit zu belohnen, küsste Raj sie wieder. Seine Bartstoppeln kratzten über ihre Haut, der Griff seiner Finger um ihr Haar verstärkte sich. Er zog sacht daran, was Schockwellen der Lust in ihre hochsensible Klitoris leitete, die sich nach seiner Berührung verzehrte.

Gleichzeitig war Nayna sich nicht sicher, ob sie das würde aushalten können.

Raj löste erneut die Lippen von ihren und sah ihr tief in die Augen, während er ihre Brust umfing, sie knetete und liebkoste. »Ich mag es, dass sie so fest und knackig sind«, murmelte er. »Wie gerade reif gewordene Pfirsiche.«

Leichte Röte überzog ihre Wangen, ihre Kehle war wie ausgedörrt.

»Was möchtest du, dass ich tue?«, fragte er heiser und fuhr mit der Daumenkuppe über ihren erigierten Nippel.

Ihr stockte der Atem, ihre Zehen kribbelten. »Zieh dein T-Shirt aus.«

Wieder strich sein Daumen über ihre Brustspitze und sandte einen weiteren Wonneschauer über ihren Leib. Unter schweren Lidern sah er sich dabei zu, wie er sie liebkoste, zu sehr abgelenkt von dem erotischen Anblick, um ihrem Wunsch zu entsprechen.

Bis Nayna ihrem Wunsch Nachdruck verlieh und an seinem Shirt zerrte.

Er verstand den Wink und raubte ihr noch einen letzten Kuss, bevor er sich das T-Shirt über den Kopf zog und ins Gras fallen ließ, wobei er Nayna mit seinem Körper so hielt, dass sich ihre Haut berührte. Ein Grollen drang aus seiner Brust, als er ihren Hals mit Küssen übersäte und sie entschied, dass er derjenige sein sollte.

Der Mann, dem sie ihre Jungfräulichkeit schenken würde.

Sie hätte nie und nimmer gedacht, dass sie einmal einen finden würde, bei dem sie ihre Hemmungen über Bord werfen und einfach nur Spaß haben konnte. Und doch war sie jetzt hier, halb nackt und ohne Höschen und bereit, den Dingen ihren Lauf zu lassen, solange Raj sie berührte.

Es kam ihr vor, als wäre er die Quelle, die den Durst stillte, den sie seit Jahren litt.

Seine Lippen fuhren über ihren Hals, bevor er ihren Kopf an den Haaren zu sich heranzog und einen weiteren Kuss einforderte. Nayna leistete keinen Widerstand, Raj hatte leichtes Spiel mit ihr. Als er sanft an ihrer Unterlippe knabberte, öffnete sie die Augen, und er nahm sie mit seinem Blick gefangen.

Ihr stockte der Atem.

6. KAPITEL

HAUPTARGUMENT, WIESO JEDE NAYNA IN EIN PAAR LAUFSCHUHE INVESTIEREN SOLLTE

Eine Hand an der Wand neben ihrem Kopf aufgestützt streichelte Raj Naynas Brust, als hätte er jedes Recht dazu.

Nayna erbebte, konnte den Blick nicht von seinen betörenden dunklen Augen abwenden. Am Ende war er derjenige, der wegsah … auf die Hand, die auf ihrer Brust lag. Sie biss sich auf die Unterlippe und spannte die Schenkel um seinen Leib an, als sie seiner Blickrichtung folgte. Seine Finger waren von Schrammen und Narben gezeichnet, die Nägel kurz geschnitten, sein Handrücken und Unterarm von Adern durchzogen. Diese Hand auf ihrer Brust war das Erotischste, das sie je gesehen hatte. Atemlos beobachtete sie, wie er die Daumenkuppe um ihren jetzt hochsensiblen Nippel kreisen ließ.

Sie krallte die Fingernägel in seine Schulter.

Seine Wimpern hoben sich, als er sich näher zu ihr vorbeugte. »Kletterst du gern?«

Nayna war so benommen vor Erregung, dass sie jedes seiner heiseren Worte einzeln entschlüsseln musste. »Ich habe es nie ausprobiert.« Es war surreal, dieses Gespräch zu führen, während er ihre Brust knetete und sie seine Schultern streichelte, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt. »Du kannst das bestimmt gut. Stark wie du bist.«

»Beim Klettern kommt es nicht allein auf die Körperkraft an, sondern auch auf die Technik«, erklärte er sachlich, bevor er ihren Hals mit Küssen bedeckte und neckend mit den Zähnen über ihre Haut fuhr. »Genau wie hierbei«, fuhr er fort, nachdem er sich den Weg zurück zu ihrem Mund gebahnt hatte. »Um dir echte Lust zu bereiten, muss ich erst herausfinden, was dir gefällt. Man würde ja auch kein Haus auf einem instabilen Fundament errichten.«

Der intelligente Blick seiner Augen schlug Nayna in Bann. Sie hatte gleich gewusst, dass er kein geistloser Schönling war, sondern ein vielschichtiger, unvergleichlich faszinierender Mensch, der sich mit einer harten Schale umgab. Er war niemand, den man in einer einzigen Nacht oder auch in einem ganzen Jahr kennenlernte.

Raj war ein Mysterium, das eine Frau nur dann ergründen würde, wenn er es ihr erlaubte.

Nayna erhoffte sich, dass ihr dieses Privileg zuteil würde.

Noch während ihr dieser Gedanke durch den Kopf flackerte, verscheuchte sie ihn bereits in wilder Panik. Falls Raj nicht nur attraktiv und sexy, sondern daneben auch noch klug war, würde sie ihn vielleicht nicht mehr loslassen können. Aber das musste sie. Ihre Eltern suchten nach einem »geeigneten« Partner für sie. Bis jetzt waren die Bewerber zwei Steuerberater, ein Anwalt, ein Highschool-Lehrer und ein Finanzberater gewesen. Ausnahmslos adrette Aktenhengste und Anzugträger.

Ein Bauarbeiter brauchte da gar nicht erst vorstellig zu werden.

Durch jedes seiner Worte nur noch mehr von ihm fasziniert, küsste sie ihn, um ihm den Mund zu verschließen.

Erfüllt von dem sehnsüchtigen Verlangen, dem Wunsch, für diese eine Nacht ihm zu gehören.

Aber Raj war wie eine Naturgewalt. Gierig erwiderte er den Kuss und streichelte dabei die Unterseite ihres Schenkels. »Magst du Ägypten?«, fragte er unerwartet.

»Was?« Nayna konnte keinen klaren Gedanken fassen, mit seiner Hand so dicht vor ihrem unverhüllten Schritt – nur noch wenige Zentimeter, und er würde merken, dass sie keinen Slip anhatte. »Wieso fragst du?«

Streichelnd tastete er sich mit einem Finger näher an die Stelle zwischen ihren Beinen heran. Mit angehaltenem Atem wartete Nayna darauf, dass er entdeckte, dass sie bereit war. Doch seine Hand hielt inne. Sie schlug die Lider auf und ertrank ein weiteres Mal im tiefen Dunkelbraun seiner Augen.

»In der Galerie findet zurzeit eine Ausstellung zum Thema ägyptische Kunst statt.« Seine geröteten Wangen und die heftig pulsierende Halsschlagader straften seinen nüchternen Tonfall Lügen.

Naynas Finger wühlten sich in sein Haar. »Küss mich«, verlangte sie, um zu verhindern, dass sich dieser Traum verflüchtigte.

Er stieß sich mit beiden aufgestützten Händen von der Wand ab. »Erst möchte ich eine Antwort.« In seiner Stimme schwang keine Bitte mit, sie war fest und unnachgiebig.

Nayna liebte alles an Ägypten, von den Hieroglyphen bis hin zur Architektur. Sie wollte irgendwann einmal die Pyramiden besuchen und hatte an der Uni extra Geschichte als Nebenfach belegt, um Ägyptologie studieren zu können. Aber nichts von alledem änderte etwas daran, dass ihre Zukunft vorbestimmt war – und Raj darin nicht vorkam.