Cherish Love - Nalini Singh - E-Book
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Cherish Love E-Book

Nalini Singh

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Beschreibung

Welche Chance hat eine Liebe, für die man seine Träume aufgeben muss?

Sailor Bishop hat nur ein Ziel: ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen! Diesem Traum hat er sein Leben verschrieben, und er investiert seine ganze Energie und Zeit, um ihn wahr werden zu lassen. Ablenkung kann er daher absolut nicht gebrauchen - auch nicht in Form seiner neuen Auftraggeberin. Doch die schöne Ísa Rain macht Sailor unmissverständlich klar, dass sie mehr von ihm will als nur einen unvergesslichen Kuss. Viel zu lange hat sie ausschließlich das getan, was andere von ihr erwarten. Sailor muss sich entscheiden: zwischen der Frau, die sein Herz berührt wie keine andere zuvor, und seinem großen Traum!

"Nalini Singhs Helden möchte man am liebsten mit nach Hause nehmen. Dieser Roman ist warmherzig, romantisch und absolut wundervoll!" BOOK HOWLS

Auftakt der neuen Serie von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Nalini Singh



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Seitenzahl: 467

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Zitat

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Nalini Singh bei LYX

Impressum

NALINI SINGH

CHERISH LOVE

Roman

Ins Deutsche übertragen von Patricia Woitynek

Zu diesem Buch

Sailor Bishop hat ein großes Ziel: Obwohl er erst 23 Jahre alt ist, will er ein eigenes Unternehmen aufbauen und es zum Erfolg führen. Diesen Traum verfolgt er mit eiserner Disziplin und arbeitet von morgens bis abends, um ihn wahr werden zu lassen. Für die Liebe hat er keine Zeit! Bis er Ísa Rain trifft, die sein Herz schneller schlagen lässt. Ihr unerwarteter Kuss bringt ihn um den Verstand, und Sailor versucht alles, um die rothaarige Schönheit zu erobern. Aber Ísa entzieht sich seinen Bemühungen, sie für sich zu gewinnen, immer wieder, denn sie weiß, dass bei ihm die Arbeit und sein hart erkämpfter Erfolg stets an erster Stelle stehen werden. Nicht anders kennt sie es von ihren Eltern, denen ihr Job und die Unternehmen stets wichtiger waren als ihre Tochter. Deshalb hat sie sich geschworen, nur jemanden zu lieben, für den sie die Welt bedeutet. Doch obwohl sie weiß, dass Sailor dieser Mann nicht sein kann, ist es Ísa unmöglich, sich seinem Charme zu entziehen, und mit jedem Kuss und jeder Berührung verliebt sie sich mehr in Sailor. Aber wie kann sie ihm ihr Herz schenken, wenn sie weiß, dass er es eines Tages brechen wird?

Sie geht in Schönheit, gleich der Nacht

In wolkenlosem Sternenlicht;

Des Schattens und des Lichtes Pracht.

Aus »Hebräische Melodien« von Lord Byron

PROLOG

DER ROTSCHOPF UND DER GALGENSTRICK

Sailor wusste selbst nicht, was er auf einer Collegeparty verloren hatte. Eigentlich ging er noch zur Highschool. Na gut, eigentlich stimmte nicht – er war tatsächlich Schüler der Highschool, und zu allem Übel trug er auch noch eine Igelfrisur und ein gewaltiges Veilchen zur Schau. Der einzige Punkt zu seinen Gunsten war, dass er dank des Wachstumsschubs, den er mit fünfzehn gehabt hatte, den Eindruck erweckte, hierherzugehören.

»Er sieht aus, als käme er gerade aus dem Knast.«

Sailor setzte sein charmantestes Lächeln auf und wandte sich zu der spöttisch grinsenden Blondine um, die diese Worte ihrer Freundin zugeraunt hatte, wohl wissend, dass er sie hören würde. Wenn Sailor nicht gerade wie ein Knacki aussah, kam er gut bei Mädchen an und sie bei ihm ebenso.

»Rugby«, erklärte er, indem er auf sein Auge zeigte. »Ein kleines Malheur mit Fassadenfarbe; sie lässt sich nicht auswaschen.« Er tippte an seine Haare, die ihm sein älterer Bruder Gabriel heute im Beisein seiner hysterisch lachenden jüngeren Brüder kurz geschoren hatte. »Den Fehler mache ich nicht noch mal.«

Die beiden Mädchen schienen ihm die Story nicht abzukaufen, aber er war jedenfalls höflich geblieben, so, wie er es von seinem Vater beigebracht bekommen hatte. Da Sailor sich noch nie zu hochnäsigen Zicken hingezogen gefühlt hatte, die ihn auf diese Weise musterten, so von oben herab, als wäre er der Dreck von ihren Schuhsohlen, ließ es ihn kalt, was sie von ihm dachten.

»Manche Mädchen stehen übrigens auf Typen, die frisch aus dem Kittchen kommen«, bemerkte einer seiner Rugbykumpel grinsend. Es war derselbe, der ihm eine Einladung zu dieser Party verschafft hatte, für die er eindeutig zu jung war, was man ihm dank seiner Größe und seines durch den Sport, den sie beide so sehr liebten, muskelgestählten Körpers jedoch nicht anmerkte.

Sailor knuffte Kane für diese Bemerkung in den Bauch, bevor er sich weiter den Weg durch die Menschenmenge in der gigantischen, aus Stahl gefertigten Lagerhalle bahnte, die ein einundzwanzigjähriger Typ namens Cody für diese Party gemietet hatte. Er legte die Kosten für die Halle und die Beschallungsanlage, die den riesigen Raum mit wummernder Rockmusik erfüllte, auf die Gäste um, indem er von jedem zehn Dollar verlangte.

Sailor hatte den Verdacht, dass sein Beitrag zum Fenster hinausgeworfen war. Er war müde und wollte sich ausruhen, weil er im Anschluss an einen langen Schultag auch noch seinen Nebenjob erledigt hatte. Der einzige Grund, warum er überhaupt ausging, waren seine Eltern, die befürchteten, dass er sich übernahm und zu hart arbeitete, mit gelegentlichen Rugbyspielen als einziger Abwechslung, und ihn immer wieder beschworen, sich mehr Freizeit zu gönnen.

Das Gesicht seiner Mutter hatte aufgeleuchtet, als er unbedacht diese Party erwähnt hatte. Selbst als sie hörte, dass es eine Collegeparty war und Alkohol ausgeschenkt würde, hatte sie nicht mit der Wimper gezuckt.

»Ich vertraue dir, Sailor«, hatte sie mit einem Ausdruck tiefer Überzeugung in ihren klaren grauen Augen gesagt. »Geh hin und amüsiere dich. Küsse irgendein hübsches Mädchen. Handle dir ein bisschen Ärger ein.«

Und Sailor hatte es nicht übers Herz gebracht, sie zu enttäuschen.

Also würde er notgedrungen eine Stunde bleiben, sich an der Bar eine Cola kaufen, weil er keinesfalls vorhatte, sich zu betrinken, dann nach Hause gehen und sich wie geplant in die Falle hauen und hoffentlich bis zehn durchschlafen. Obwohl morgen Samstag war, hatte er keine Gartenarbeit angenommen, weil bei Gabriel am Abend ein wichtiges Spiel anstand, und Sailor wusste, dass sein Bruder ihn bei der Vorbereitung würde dabeihaben wollen.

Normalerweise war Gabe nicht nervös. Aber dieses Mal ging es für ihn um eine richtig große Sache. Gerüchten zufolge würde ein Scout anwesend sein, um zu sehen, ob er sich für die Nationalmannschaft eignete. Wenn er also spielte wie in den letzten sechs Monaten, nämlich wie eine Urgewalt, würde er das nächste Mal für sein Land auf dem Rugbyfeld stehen.

Sailor war ganz aus dem Häuschen angesichts der Tatsache, dass sein Bruder im Begriff war, seinen größten Traum wahr zu machen.

Er liebte Rugby ebenfalls, aber sein Ziel war ein anderes.

Nachdem er sich endlich durch das Gedränge gekämpft hatte, um sich seine Cola zu holen, gesellte er sich wieder zu seinen Teamkollegen, die noch immer in der Nähe des Mädchens mit dem schönen Gesicht und dem hässlichen Wesen standen. Gerade lästerte sie über jemand anderen.

»Würg, wie kann Cody bloß das da daten?«

»Versteh ich auch nicht«, antwortete ihre Freundin.

»Aber lange dauert das nicht mehr.« Der Ton der Blondine war selbstgefällig. »Ich hab gehört, dass er sie bald abserviert.«

Sailor wandte den Kopf, um zu sehen, über wen die Giftspritze jetzt lästerte. Fast hätte er losgelacht. Kein Wunder, dass sie stutenbissig war. Das Mädchen mit der Alabasterhaut, dem flammend roten Haar und den Rundungen, bei deren Anblick ihm ganz heiß wurde, stellte sie mühelos in den Schatten. Wäre er der Glückspilz, der dieses Mädchen erobert hatte, er würde ihr auch nicht von der Seite weichen.

Der Rotschopf lächelte.

Sailors Magen zog sich zusammen. »Wer ist das?«, fragte er Kane, der seit einigen Monaten das College besuchte. Sie hatten sich vor ein paar Jahren im Rugby-Trainingslager der Schule kennengelernt und durch die gemeinsame Liebe zu dem Sport eine Verbindung aufgebaut, bei welcher der Altersunterschied nicht ins Gewicht fiel.

»Wen meinst du?«

»Das Mädchen bei Cody.« Sailor kannte den älteren Jungen, weil er ebenfalls Rugby spielte und sie schon mehrmals in ihrer Freizeit zusammen auf dem Platz gestanden hatten, aber sie waren keine besten Kumpels oder so etwas.

»Die Rothaarige? Seine Freundin, schätze ich.« Kane stieß ihn mit seiner muskulösen Schulter an. »Die ist eine Nummer zu groß für dich, Sail. Sie geht aufs College.«

Sailor hielt sich streng an die Regel, niemals einem Kumpel die Freundin auszuspannen – wie verdammt illoyal müsste man da sein? –, aber schon von den wenigen Begegnungen mit Cody wusste er, dass der ein ziemlicher Arsch sein konnte. Darum spielte Sailor mit dem Gedanken, Kane um sofortige Benachrichtigung zu bitten, wenn der Rotschopf das herausfinden und Cody in den Wind schießen sollte.

Anschließend würde Sailor zusehen, dass er öfter zu Collegepartys eingeladen würde, bei denen sie auch anwesend war. Kane würde ihm dabei helfen. Konnte ja sein, dass der Rotschopf auf blaue Augen stand. So sehr, dass sie darüber hinwegsah, dass er jünger war als sie und noch zur Schule ging. Leider waren besagte blaue Augen derzeit blutunterlaufen, und eins davon wurde von einem grünblauen Bluterguss verunziert.

Sailor guckte finster, als das Mädchen ihm einen leicht schüchternen Blick zuwarf, bevor sie die Augen schnell wieder abwandte. Vermutlich hielt sie ihn ebenfalls für einen Kriminellen. Seine Brüder würden wie die Irren loswiehern, wenn er ihnen diese Geschichte erzählte.

Cody wandte sich dem Mädchen zu, wobei er Sailor mit seinem großen Kopf ärgerlicherweise die Sicht verstellte, bevor er einen Schritt zur Seite trat. Was immer er zu ihr sagte, bewirkte, dass sie erbleichte. Sailor las von ihren Lippen die Worte: »Was? Nein, das …«

Den Rest konnte er nicht enträtseln.

Cody erhob im selben Moment die Stimme, als die Musik eine Pause machte. »Verdammt noch mal! Muss ich es buchstabieren? Mir ist letzte Nacht klar geworden, dass ich selbst dann nicht mit einer Specktonne wie dir schlafen wollte, wenn ich in die Firma deiner Mutter einsteigen könnte!«

Noch bevor Cody den Satz beendet hatte, steuerte Sailor auf die beiden zu, aber er kam zu spät. Mit feucht glänzenden Augen und einer so starren Miene, als hätte Cody alles Leben aus ihr herausgepresst, taumelte das Mädchen mit dem prachtvollen Haar einen Schritt nach hinten und stürzte mit wehender Mähne durch die schweigende Menge davon.

Die Musik setzte wieder ein. Die Leute fingen an zu tanzen.

Sailor vergaß seine guten Manieren und drängte sich mit brachialer Gewalt durch den Pulk der Tänzer, indem er sich vorstellte, es wären Gegner auf dem Rugbyfeld. Es funktionierte. Er erreichte die Tür der Lagerhalle wenige Sekunden, nachdem der Rotschopf sie zugeknallt hatte.

Als er auf die stille, spärlich beleuchtete Straße hinaustrat – die Halle befand sich in einem Industriegebiet –, sah er, wie das Mädchen in die Nacht davonrannte. »Hey!«, rief er ihr nach und hatte das Gefühl, als ließe er sich Mondlicht durch die Finger rinnen. »Warte! Du solltest nachts nicht allein unterwegs sein.«

Sie drehte sich um und schaute ihn an – dann lief sie noch schneller.

In diesem Augenblick bog ein Taxi um die Ecke.

Sie winkte es hektisch herbei und sprang hinein. Der Wagen fuhr einen Bogen, und sie war verschwunden.

Am nächsten Tag bekam Kane die frohe Botschaft, dass er für ein Team in Japan ausgewählt worden sei, und Sailor verlor seine einzige Informationsquelle über den Rotschopf. Er stöberte in den sozialen Medien durch zahllose Fotos von der Party, aber sie war so kurz dort gewesen, dass niemand sie abgelichtet beziehungsweise auf einem der Bilder getaggt hatte. Cody hatte sie von seinem Profil gelöscht. Und Sailor würde diesen Drecksack auf keinen Fall nach ihr fragen; sie verdiente mehr, als ihren Namen aus Codys Mund zu hören.

Es war, als hätte sie nur in Sailors Fantasie existiert.

Die geheimnisvolle Rothaarige mit der Alabasterhaut.

Sieben Jahre später …

Und der Himmel küsst die Erd’, Und das Mondenlicht den Fluss –

Was sind all die Küsse wert,

Weigerst du den Kuss?

Aus »Philosophie der Liebe« von Percy Bysshe Shelley

1. KAPITEL

DER GÄRTNER MIT DEM TATTOO AUF DEM SCHENKEL

Ihre Ovarien drohten zu schmelzen. Oder zu explodieren. Oder beides.

Ísalind Magdalena Rain-Stefánsdóttir, von allen, außer ihrem Vater, Ísa Rain genannt, ermahnte sich, vom Fenster wegzutreten. Jetzt sofort. Bevor das Objekt ihrer Begierde sie noch entdeckte und sie so rot würde wie ihre Haare. Aber ihre Füße verweigerten ihr den Gehorsam. Wie ein Junkie gierte sie nach noch ein bisschen mehr. Sie vergrub die Zähne in ihrer Unterlippe, klammerte sich am Fensterbrett fest.

Er war kein Mensch.

Das war die einzige Erklärung.

Niemand konnte so perfekt sein. Wie einer Limonadenwerbung entsprungen. Schon beim ersten Anblick hatte sie ein Prickeln bis in die Zehen gespürt, doch es war ihr gelungen, der Versuchung eine geschlagene Stunde lang zu widerstehen. Dann war sie ihr erlegen und hatte nach draußen gespäht, als er just im selben Moment sein T-Shirt auszog! Das ging einfach gar nicht. Ganz egal, ob ihm heiß war und er durch die schwere Arbeit bei der Pflege des Schulgartens ins Schwitzen geriet. Es war dem weiblichen Geschlecht gegenüber schlichtweg nicht fair, dass er seinen Oberkörper und damit seine straffen, von goldener Haut überzogenen Muskeln entblößte.

Als wäre das nicht schon schlimm genug, trug er zu allem Überfluss auch noch Kakishorts, die so kurz waren, dass sie den Rand des Tattoos sehen ließen, das sich einmal rund um seinen Oberschenkel zog. Am liebsten wäre Ísa nach draußen gestürmt, um ihm zu befehlen, sich Herrgott noch mal etwas anzuziehen. Wie sollte sie sich mit gesenktem Kopf auf ihren Lehrplan konzentrieren, während er da draußen männliche Pheromone verströmte, als wären sie bald Mangelware!

»Was ist denn dort so interessant, Ms Rain?«

Aufgeschreckt von der Stimme der Rektorin fuhr Ísa herum und bemühte sich, nicht allzu schuldbewusst dreinzuschauen. Zum Glück hatte sie das Erröten, das sie in ihrer Jugendzeit gequält hatte, inzwischen unter Kontrolle. Manchmal kam es ihr so vor, als hätte ihre Gesichtsfarbe von ihrem dreizehnten bis zu ihrem siebzehnten Lebensjahr ständig zwischen dunkelorange und tomatenrot gewechselt.

Ihre Mutter war davon in keiner Weise begeistert gewesen.

»Wie willst du jemals einen Multimillionen-Dollar-Deal verhandeln, wenn du kein Pokerface zustande bringst?«, hatte Jacqueline sie gefragt.

Auch wenn Ísa nie den Wunsch gehegt hatte, in der Vorstandsetage mitzumischen. Ihr Verlangen war feinfühligerer und zugleich aufsässigerer Natur. Es beinhaltete Poesie und Literatur und eine Welt der Luftschlösser, für die die mächtige Firmenchefin Jacqueline Rain einfach keinen Blick hatte. Hin und wieder bedauerte Ísa ihre Mutter, weil ihr die Fähigkeit fehlte, die Magie zu erfahren, die Ísas Kosmos so viel Farbe verlieh.

Die restliche Zeit musste sie in der Nähe ihrer Mutter meist dem Drang widerstehen, einen Mord zu begehen.

»Gar nichts«, antwortete sie strahlend. »Ich mache nur eine Pause.«

Die Rektorin, Ms Cafferty, zupfte ihre lange Halskette zurecht und trat ans Fenster. »Nette Aussicht.«

Allen Bemühungen zum Trotz konnte Ísa nicht verhindern, dass ihre Wangen feuerrot wurden. Etwas Unverständliches nuschelnd trat sie zu ihrem Pult und ordnete Papiere um, nur um ihre Hände zu beschäftigen. Sie schämte sich in Grund und Boden, gleichzeitig war sie enttäuscht, weil ihr die »nette Aussicht« jetzt genommen war.

Die Rektorin lachte. »Es ist kein Verbrechen, solch ein Bild von einem Mann zu bewundern, Ms Rain. Wäre ich zwanzig Jahre jünger, würde ich es nicht beim Schmachten belassen.« Sie zwinkerte Ísa zu, die nun selbst lachen musste.

»Vielleicht sollten wir ihn zur Strafe für seine Wahnsinns-Bauchmuskeln nachsitzen lassen«, schlug Ísa vor, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war.

»Aber dann könnte er sich bemüßigt fühlen, sein T-Shirt wieder überzuziehen. Und das wäre ein Verbrechen gegen die Weiblichkeit.« Ms Caffertys Miene war ernst, aber ihre Augen blitzten, als sie auf die andere Seite von Ísas Pult trat und sich mit der Hüfte dagegenlehnte. »Ich bin nur gekommen, um mich zu erkundigen, wie es Ihnen geht. Sind Sie immer noch dazu bereit, den Sommer über den Abendkurs zu unterrichten?«

»Selbstverständlich.« Es waren zwar nur eineinhalb Stunden pro Woche, die sich wegen der Vorbereitungszeit und der Arbeiten der Kursteilnehmer, die es zu korrigieren galt, am Ende jedoch auf fünf summierten. »Erwachsene Schüler, die sich für Lyrik interessieren, werden eine willkommene Abwechslung sein zu fünfzehnjährigen Teenies, die den Literaturunterricht für den dritten Kreis der Hölle halten.«

Violet Cafferty grinste. »Ich hatte mit etwas Widerstand zu kämpfen, als ich Sie einstellte, weil Sie verglichen mit den anderen Lehrkräften noch sehr jung sind, aber die Schüler haben sich deutlich verbessert, seit Sie hier sind. Verraten Sie mir Ihr Geheimnis?«

»Musik«, antwortete Ísa und gewann ihre Selbstsicherheit zurück, als sie auf ihr Lieblingsthema zu sprechen kamen. »Gute Musik, gute Songtexte – auch das ist Poesie. Sobald ich ihnen das begreiflich gemacht habe, lassen sie sich auch auf Shakespeare und moderne Literatur ein.«

»Ich bin froh, Sie im Team zu haben, Ísa.« Die Rektorin richtete sich auf. Sie war eine gertenschlanke Frau in den Vierzigern, mit einer Vorliebe für gut geschnittene Hosen und knallbunte Oberteile. Heute trug sie ein leuchtend rotes, das an Violet Cafferty mondän und elegant wirkte, wohingegen Ísa darin ausgesehen hätte wie ein Feuermelder.

»Sollten Sie irgendetwas brauchen«, fuhr sie fort, »oder Fragen zu den Anmeldungen der Kursteilnehmer haben, können Sie sich an die Notbesetzung im Sekretariat wenden, die an den Tagen, an denen Sie unterrichten, jeweils zwanzig Minuten vor Beginn Ihres Kurses eintreffen und Ihnen eine Dreiviertelstunde lang zur Verfügung stehen wird.«

Auf Ísas Kopfnicken hin fügte sie hinzu: »Zeitgleich mit Ihren Erwachsenenseminaren finden noch zwei weitere statt. Diana Eastin und Jason Jeng werden also an denselben Abenden wie Sie in der Schule sein.«

Ísa wusste das zwar schon, aber sie hörte trotzdem aufmerksam zu. Violet Cafferty ging ihretwegen all dies noch einmal durch, weil sie gerade ihr erstes Jahr an dieser Schule absolviert hatte und außerdem noch immer geradezu absurd jung aussah. Ihr Erscheinungsbild ließ die Menschen gelegentlich vergessen, dass sie keine frischgebackene Lehrerin war, die gerade von der Uni kam.

Möglicherweise wollte die Rektorin nur deshalb besondere Vorsicht walten lassen, weil dies Ísas erster Abendkurs sein würde. Ihre alte Schule hatte so spät am Tag lediglich Sport- und Werkunterricht angeboten. Ísa und ihre beste Freundin hatten an einem Fechtkurs teilgenommen und sich in einer einzigen Stunde dreimal fast gegenseitig erstochen.

Gut, dass die Spitzen der Degen mit einer Kunststoffkappe versehen waren.

»Wir schaffen das schon«, sagte sie, nachdem Violet Cafferty verstummt war. »Genießen Sie Ihren Urlaub, und machen Sie sich um uns keine Sorgen.« Ísa hatte die lähmende Schüchternheit, unter der sie als junges Mädchen gelitten hatte, nachdem sie von einer winzigen Dorfschule in ein anderes Land und an eine riesige Highschool verpflanzt worden war, schon lange überwunden.

Es war nicht weiter überraschend, dass sie wegen ihres Akzents, ihrer roten Haare und ihres Übergewichts sofort zur Zielscheibe geworden war. Ein Anflug des Akzents war ihr trotz all der Jahre geblieben, sie hatte immer noch rote Haare, und sie würde, selbst wenn sie einen Monat lang nur Sellerie äße, nie so dünn sein wie die Rektorin, aber sie hatte schnell eine Überlebensstrategie entwickelt und sich Stärke antrainiert.

Dann war da noch ihre Mutter. Bei diesem Drachen hieß es, kämpfen oder sterben.

»Rarotonga scheint wunderschön zu sein«, sagte sie nun zu der Rektorin, die ihre Karriere beschleunigt hatte, indem sie ihr eine Lehrerstelle an einer der renommiertesten staatlichen Schulen des Landes ermöglicht hatte. »Ist Ihre Freundin aus New York schon auf dem Weg dorthin?«

Violet Cafferty nickte. »Sie brennt voller Ungeduld darauf, das neue Jahr in einem Bikini einzuläuten, statt unter einer dicken Schneeschicht begraben zu sein.« Ein strahlendes Lächeln. »Sonne, Strand und endlose Margaritas, wir kommen!«

Sie informierte Ísa, dass sie noch eine halbe Stunde in ihrem Büro sein werde, bevor sie sich offiziell in die Sommerferien verabschiedete, und verließ kurz darauf das Zimmer. Obwohl es Ísa maßlos reizte, an das Fenster und zu ihrem persönlichen Gärtner-Porno zurückzukehren, beugte sie den Kopf wieder über ihren Lehrplan, um ihn fertigzustellen. Da sie noch nie Erwachsene unterrichtet hatte, würde sie viel Spielraum für Diskussionen und Marschrouten lassen, die ihre Schüler erkunden wollten.

Sie brauchte etwas mehr als eine Stunde.

Beim Zusammenpacken konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick aus dem Fenster zu werfen, aber ihr hinreißender, verschwitzter Gärtner mit den pechschwarzen Haaren, dem freien Oberkörper und dem sexy Tattoo auf seinem muskelbepackten Schenkel war verschwunden. »Verflixt!«

Enttäuscht verstaute sie ihre Sachen in der rosaroten, mit weißen Blumen bedruckten Umhängetasche, die sie sich von ihrem ersten Gehaltsscheck geleistet hatte. Manche behaupteten, Rosa beiße sich mit roten Haaren, aber Ísa war das egal. Die Tasche war hübsch und machte sie glücklich.

Wie ihre jüngere Schwester Catie einmal gesagt hatte: »Das Leben ist zu kurz, um es an langweilige Accessoires zu vergeuden.«

Nach einem letzten Blick, um sich zu vergewissern, dass sie alles hatte und das Zimmer für ihren ersten Erwachsenenkurs nächste Woche vorbereitet war, wollte sie gerade in den leeren Flur treten, als ihr Handy klingelte.

Es zeigte keinen Namen an, sondern nur eine örtliche Nummer.

In der Annahme, dass es sich um die Rückmeldung eines Geschäfts handelte, zu dessen Treueprogramm sie sich kürzlich angemeldet hatte, weil sie die Kleider im Stil der Fünfzigerjahre so sehr liebte, ging sie mit einem fröhlichen »Hallo« ran.

»Ísa?«

Sie erstarrte vor Überraschung. Diese Stimme …

2. KAPITEL

ÍSAS WEG INS VERDERBEN, AUCH BEKANNT ALS DER VORFALL MIT DEM SEXY GÄRTNER

»Hier ist Cody«, sagte die Stimme. »Cody Schumer.« Ein nervöses Lachen des Mannes, von dem sie einst gedacht hatte, dass sie ihn irgendwann heiraten und mit ihm glücklich bis ans Ende ihrer Tage hinter einem weißen Lattenzaun leben würde. Inklusive einem Hund.

Einem schokoladenbraunen Labrador, um genau zu sein.

Zum Glück fühlte Ísa schon lange nicht einmal mehr einen Hauch der Anziehung, die sie Cody »Schleimbolzen« Schumer gegenüber verspürt hatte, als sie eine einundzwanzigjährige Studentin gewesen war, mit ein paar hartnäckigen Flausen im Kopf und einer Sehnsucht nach Liebe, die so tief ging, dass sie ein Loch in ihre Seele riss. In Gegenwart von mindestens fünfzig Leuten grausam auf einer Collegeparty abserviert zu werden hatte sie von allen Illusionen, die sie sich vielleicht über den Kerl gemacht hatte, geheilt.

Doch sie hatte nicht zugelassen, dass diese Erfahrung jeden Hoffnungsschimmer zum Erlöschen gebracht hätte. Ísa glaubte noch immer an die Liebe, an Happy Ends, weiße Lattenzäune und schokoladenbraune Labradore mit dümmlichem Grinsen. Und daran, dass Schleimbolzen nie aufhörten, eine Schleimspur hinter sich herzuziehen.

Es war hauptsächlich morbide Neugier, die sie veranlasste, das Gespräch fortzusetzen. Welchen möglichen Grund konnte es geben, dass Schumer sie anrief? Hatte er die Botschaft nicht verstanden, als sie und Nayna in einer dunklen Nacht voller Schadenfreude sein Auto, seinen ganzen Stolz, mit Eiern und Toilettenpapier verschandelt hatten, nachdem er Ísa den Laufpass gegeben hatte?

Sie hatten rosarotes, mit Prinzessinnen bedrucktes Klopapier gewählt.

Es war das Illegalste, das sie und ihre beste Freundin je im Leben getan hatten – und es war ein Riesentriumph gewesen. Besonders, weil Cody völlig machtlos gewesen war und seine Anschuldigung nicht beweisen konnte. Er hatte gezetert und getobt, ohne das Geringste zu erreichen, während Ísa und Nayna Engelsmienen aufgesetzt und ihre Heiligenscheine poliert hatten.

»Hallo, Cody«, sagte sie mit einem bösen Lächeln, während sie mit dem Rücken an der kalten Wand des Klassenzimmers lehnte und zu dem Fenster hinschaute, von dem aus sie den heißen Gärtner angestarrt hatte. »Lange nichts von dir gehört.« Sie hatte die Zeit damit verbracht, die Erinnerung an dieses Scheusal und den Abend ihrer Schmach zu begraben.

»Ja«, bestätigte Cody mit einer Wärme in der Stimme, die sie früher einmal für echt gehalten hatte. »Ich schätze, du hast meine Nummer aus deinem Handy gelöscht, hm?«

Ísa blinzelte und schüttelte den Kopf. Schleimbolzen waren in Sachen Gehirnzellen eindeutig zu kurz gekommen. Hatte er nach allem, was er gesagt und getan hatte, ernsthaft angenommen, sie werde nicht stinksauer auf ihn sein?

»Kein Job ist es wert, dass ich mich prostituiere«, hatte er gespottet, kurz bevor er seine finale, erniedrigende »Specktonnen«-Bemerkung vom Stapel ließ. »Du hättest mir einen Ferrari kaufen sollen, Fettklops. Dann hätte ich mich möglicherweise dazu überwinden können.«

Ein echter Hauptgewinn.

Von wegen.

Doch das Allerschlimmste sollte erst noch kommen: Einen Tag nachdem er Ísa auf die denkbar brutalste Weise abgeschossen hatte, schleppte Cody die bildhübsche Blondine ab, die es zu ihrer Mission erklärt hatte, Ísa ihre Highschoolzeit zur Hölle zu machen. »Wolltest du etwas Bestimmtes, Cody?« Zum Beispiel einen Tritt in den Hintern?

Ihr knapper, sachlicher Ton schien ihn für einen Moment aus dem Konzept zu bringen.

Dann fasste er sich und sagte: »Suzanne und ich wollten dir die Neuigkeit mitteilen, bevor alle Welt davon erfährt. Immerhin haben wir noch einige gemeinsame Freunde.«

Das zumindest stimmte. Auch wenn es sich bei den meisten eher um gemeinsame Bekannte als um richtige Freunde handelte. Letztere würden Cody nicht mal mit der Kneifzange anfassen.

»Suzanne und ich sind schwanger.«

»Ich wusste gar nicht, dass du einen Uterus hast«, entgegnete Ísa, während ihr die Bedeutung seiner Worte klar wurde und sich ihr der Magen umdrehte.

»Hä?« Dann lachte er. »Oh, das war ein Scherz. Du warst schon immer witzig.«

Ísa verbiss sich weitere ätzende Bemerkungen – War er auch schon so hohl gewesen, als sie ein Paar waren? – und sagte stattdessen: »Ich hoffe, die Schwangerschaft verläuft reibungslos, und das Baby ist gesund.« Das arme Kind konnte schließlich nichts dafür, dass Suzanne und Schleimbolzen Schumer seine Eltern waren.

Dass man sich die nicht aussuchen konnte, wusste Ísa nur zu gut.

»Danke«, antwortete Cody beschwingt. »Wir werden übrigens heiraten. Ich dachte nur … Egal, Suzanne wollte unbedingt, dass du Bescheid weißt.«

»Ich wünsche euch beiden das Leben, das ihr verdient.« Sie legte auf, bevor er noch etwas entgegnen konnte.

Dann stand sie einfach nur da und starrte auf die Wand mit den Fenstern. Sie war von Schülern bemalt worden, die in diesem Raum Kunstunterricht gehabt hatten, bevor sie in einen wesentlich helleren umgezogen waren und hier nun der Literaturunterricht stattfand. Zu welchem die bunten, leuchtenden Farben der zu Interpretationen herausfordernden Spritzmuster hervorragend passten.

Ísa musste nur auf die Wand zeigen, um zu demonstrieren, dass jede Art von Kunst – inklusive Gedichte und Romane – abhängig vom Betrachter auf unterschiedlichste Weise gedeutet werden konnte. Doch in diesem Augenblick, während Codys Worte noch in ihrem Kopf nachhallten, sah sie nur farbige Kleckse. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Puls raste, ihre Knie zitterten.

Allem Anschein nach konnte Sarkasmus einen nur vorübergehend schützen.

Nicht einmal der Gedanke, dass Suzanne sich offenbar verzweifelt an ihren früheren Status als Königin aller Biester festklammerte, war in irgendeiner Form hilfreich.

»Ich liebe ihn nicht, noch nicht einmal ein bisschen.« Es war die Wahrheit.

Das hoffnungsvolle, unschuldige Gefühl, das sie für Cody empfunden hatte, war in jener furchtbaren Nacht, als er sie innerlich in Stücke gerissen und über ihren Schmerz gelacht hatte, für alle Zeiten gestorben. Sie hatte ihm ihr verletztes, angeschlagenes Herz zu Füßen gelegt, und er war darauf herumgetrampelt.

Ísa war nicht so dumm, in einen Mann vernarrt zu sein, der zu einer solchen Grausamkeit imstande war.

Aber eine Ehe und Kinder und ein sicheres Zuhause – nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre wesentlich jüngere Schwester Catie und ihren Bruder Harlow – war immer ihr Traum gewesen. Nur deshalb setzte sie sich der Tücke von Onlinedating aus, und zwar mit einer Umsicht, als ginge es um die wichtigste aller Unternehmensfusionen.

Da ihre Schüler seit Ende letzter Woche Ferien hatten und es für sie keinen zwingenden Grund gab, vor dem Beginn ihrer Abendkurse in der Schule zu erscheinen, sah ihr Tagebuch momentan aus wie das einer unter Koffeinschock stehenden Frau, die rastlos einen Kerl nach dem anderen datete.

Montagmorgen: Kaffee mit Manuel. Dunkle Haare, dunkle Augen. Mag Romane und Gedichte. Jetzt heißt es, Daumen drücken!

Nachtrag: Er mochte nicht nur Romane und Gedichte. Sondern auch die Kellnerin, mit der er ein Rendezvous verabredete, während ich ihm gegenübersaß. Anschließend fragte er mich, ob ich offen dafür sei, »meine Sexualität ohne Grenzen zu erproben«.

Montagnachmittag: Kaffee mit Beau. Eins fünfundsiebzig. Blond. Mechaniker. Kommt mir in unseren Onlineunterhaltungen nicht wie ein Widerling vor.

Nachtrag: War nur Fassade.

Montagabend: Kaffee mit Carl. Reizender Bursche, der auf Computerspiele steht. Das ist okay – falls er der Richtige ist, kann ich ja lesen, während er daddelt.

Nachtrag: Sein aktuelles Spiel war so spannend, dass er sich nicht vom Computer losreißen konnte, um mich zu treffen. Hat mir erst eine Nachricht geschickt, als ich schon zwanzig Minuten gewartet hatte. Kann mich in dem Café nie wieder blicken lassen.

Dienstagmorgen: Kaffee mit Henry. Eins siebzig. Braune Haare. Anwalt. Macht einen sehr vernünftigen, einfühlsamen und netten Eindruck.

Nachtrag: Gott sei Dank lasse ich mich bei einem ersten Date auf nie mehr als auf einen Kaffee ein. Der Mann hat die ganze Zeit geschäftliche Telefonate geführt. Wenn er nicht einmal eine halbe Stunde für eine Verabredung abzwacken kann, ist es wohl eher unwahrscheinlich, dass er sich gegenüber Ehefrau und Kindern zu mehr verpflichtet fühlen würde.

Dienstagabend: Kaffee mit Tana. Eins fünfundachtzig. Ist irgendwie im Finanzwesen tätig. Gibt online nicht viel von sich preis, aber manche Menschen sind nun mal nicht gut bei Onlineunterhaltungen. Macht nicht den Eindruck eines Serienmörders.

Nachtrag: Chemie stimmt nicht. Er hat mir seine Visitenkarte gegeben, für den Fall, dass ich in meine Zukunft investieren möchte.

Mittwochmorgen: Kaffee mit Wyatt. Dreiunddreißig. Hat einen Namen wie ein Cowboy. Will auf einer Farm arbeiten.

Nachtrag: Wyatt hat sich beim Erstellen seines Profils hinsichtlich seines Alters um vierzig Jahre vertan. Und außerdem vergessen zu erwähnen, dass das Foto vor Jahrzehnten aufgenommen wurde. Ich bin nicht altenfeindlich, aber es wäre schön, wenn mein zukünftiger Ehemann noch seine eigenen Zähne hätte.

Mittwochnachmittag: Kaffee mit Gareith – mit i geschrieben. Okay, seine Eltern gaben ihm diesen Namen, darum darf ich ihn nicht danach beurteilen. Leiter eines Supermarkts. Er wirkt sehr normal. Leider.

Nachtrag: Er hat seinen Namen an seinem achtzehnten Geburtstag in Gareith Atlas Schwengel geändert und glaubt, dass der Große Schwengel von ihm verlangt, eine REVOLUTION anzuführen.

Mittwochabend: Überprüfung meiner geistigen Gesundheit mit Nayna. So was schimpft sich beste Freundin. Sie hat Wein aus der Nase geprustet, nachdem ich ihr von Wyatt und Gareith berichtet habe. Danach hat sie mich gezwungen, weitere Verabredungen zu treffen.

Donnerstagmorgen: Tee mit Ken. Kein Kaffee mehr. Braune Haare. Wird eine Rose am Revers tragen, damit ich ihn erkenne. Irgendwie niedlich.

Nachtrag: Stehe unter Schock. Er war attraktiv, redegewandt und höflich. Natürlich sprang der Funke absolut nicht über. Ich sollte mich einem Hormontest unterziehen.

Donnerstagnachmittag: Tee mit Stuart. Trägt Glatze. Sexy. Mag Hunde.

Nachtrag: Hatte ein Hundehalsband um. Wollte, dass ich ihn Gassi führe und Wuffi nenne. Ich bin sicher, eines Tages findet er die richtige Partnerin.

Es war erst Freitag in ihrer ersten Dating-Woche, und Ísa war schon jetzt erschöpft. Darum hatte sie keine weiteren Treffen ausgemacht. Aber das würde sie noch. Weil herumzusitzen und darauf zu warten, dass der Richtige des Weges käme, die beste Garantie dafür war, niemals das Leben zu bekommen, das sie sich erträumte.

Heirat mit dreißig. Ein Kind mit zweiunddreißig. Das alles in ganz viel Liebe verpackt.

Das war Ísas Zeitplan, und daran würde sie sich halten. Ihr blieben zwei Jahre, um den ersten Teil in die Realität umzusetzen. Aber während sie noch immer nach einem Partner suchte, bei dem sie darauf vertrauen konnte, dass er bei ihr blieb – nachdem sie sich ein Leben lang darin geübt hatte, von niemandem abhängig zu sein –, würde Schleimbolzen Schumer bald all diese Dinge haben, und das ausgerechnet mit der Person, von der Ísa jahrelang gequält worden war.

Es erschien ihr einfach zutiefst ungerecht.

Ísa konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, gegen das erstbeste Möbelstück zu treten. Aber vielleicht würde das Schicksal ihr ja einen Knochen hinwerfen, dachte sie hoffnungsvoll, und es an Codys und Suzannes Hochzeit regnen lassen. Mitsamt Hagelkörnern. Und Kröten, die vom Himmel herabfielen. Und einem Laster, der der hochnäsigen Braut Schlamm ins Gesicht spritzte.

Dieses rachsüchtige Bild noch vor ihrem geistigen Auge, schloss sie die Tür ihres Klassenzimmers, als abermals ihr Handy läutete und in dem leeren Flur widerhallte. Als sie den unheilvollen Klingelton identifizierte, hätte Ísa am liebsten den Kopf gegen die Wand geschlagen. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, in ein Flugzeug zu steigen und nach Island zurückzukehren. Dort war sie glücklich gewesen, sie beherrschte die Sprache, und ihre Eltern waren zurzeit beide nicht vor Ort.

Es wäre perfekt. Nur dass es bedeuten würde, Catie und Harlow schutzlos dem Drachen zu überlassen. Und das würde Ísa niemals tun. Welchen Weg auch immer sie im Leben einschlüge, ihre Geschwister kämen mit.

Das Handy läutete weiter.

Jacqueline Rain, Geschäftsführerin von Crafty Corners und zahlreichen anderen Unternehmen, gab nie auf.

»Hallo, Mutter.«

»Ich wollte dich nur an die heutige Vorstandssitzung erinnern.«

Jetzt schlug Ísa tatsächlich mit dem Kopf gegen die Wand. »Es gibt keinen Grund für meine Anwesenheit.«

»Du hältst dreißig Prozent der Anteile.«

Nur weil du sie mir zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag aufgedrängt hast. »Ich bin sicher, du kannst meine Interessen bestens vertreten.«

»Ich habe keine Zeit für diesen Unfug, Ísa. Sorg dafür, dass du da bist.« Jacqueline legte auf.

Ísa biss die Zähne zusammen und besann sich mit aller Kraft auf die Meditationstechnik, die sie in einem buddhistischen Meditations-Retreat erlernt hatte, wo Nayna für sie beide letztes Jahr einen Urlaub gebucht hatte. Allerdings hatte Ísas beste Freundin übersehen, dass es sich dabei um ein Schweigekloster handelte. Das war ihnen erst klar geworden, als man ihnen nach ihrer Ankunft die Regeln erläuterte.

Sie hatten vier Stunden durchgehalten. Lange genug, um sich die Grundlagen anzueignen.

Aber wie Ísa feststellte, konnte man sein Zen nicht finden, während man zornige Worte über Drachen und Schwerter hervorstieß.

Das Schlimmste war, dass Jacqueline nicht einfach nur eine angriffslustige Furie war. Nein, sie wusste genau, was sie tat – dass sie Ísa wegen Catie und Harlow in der Zange hatte.

Als könnte ihre Schwester Gedanken lesen, schickte sie ihr genau in diesem Moment eine Nachricht. Triffst du nicht heute den Drachen? Leg deine feuerfeste Rüstung an.

Ísa musste unfreiwillig lächeln, als sie Catie antwortete. Sie wusste nicht, wie ihre Schwester es anstellte, immer über jeden Klatsch, jede Neuigkeit auf dem Laufenden zu sein, obwohl sie nicht in derselben Stadt lebte wie Ísa oder Jacqueline. Zum Teil lag es an Caties enger Bindung zu Harlow, aber genauso sehr war es ihrer Fähigkeit zuzuschreiben, auf Schritt und Tritt neue Freundschaften zu schließen, sogar in Jacquelines Unternehmen.

Ísa schickte die Nachricht ab, steckte das Handy in ihre Umhängetasche und wanderte den Flur entlang. Ihre Schritte hallten in dem gespenstisch leeren Gebäude wider … und quälend entfaltete sich der Keim gerechten Zorns aufs Neue zu voller Blüte. Nicht nur wegen Jacquelines unverblümter Manipulation, sondern auch, weil Cody und Suzanne ihr Glück gefunden hatten.

Als gemobbte Jugendliche hatte Ísa sich mit dem Gedanken getröstet, dass Suzanne als traurige, einsame Frau ohne Freunde – und ohne Haare – enden würde. Damals hatte Ísa Letzteres als die ultimative Strafe für ein Mädchen betrachtet, das die Angewohnheit hatte, ihre taillenlangen blonden Locken wie in einer Shampoo-Reklame herumzuwerfen.

Voll Bedauern für ihr armes, jugendliches Ich schaltete sie die Alarmanlage ein und sperrte ab. Bevor die Rektorin kurz nach fünf gegangen war, hatte sie Ísa noch daran erinnert, dass sie die letzte Person im Gebäude sein würde. Alle anderen hatten sich längst in die Sommerferien verabschiedet – und auch die Lehrer der Abendkurse würden sich nur zu den entsprechenden Zeiten einfinden. Ísa war bloß deshalb noch hier, weil sie daheim nicht an ihrem Stundenplan arbeiten konnte.

Die Nachbarin über ihr ließ ihr Badezimmer renovieren, was mit lautem Hämmern und Rumsen einherging.

Und es hatte nicht nur mit Nägeln und Holz zu tun.

Hoffentlich waren die Arbeiten inzwischen beendet. Es gab eine Grenze, wie viele orgiastische Lustschreie eine Frau, die sich selbst im Fegefeuer des Onlinedatings befand, aushalten konnte, ohne sich zu einer Gewalttat hinreißen zu lassen.

Ísa ging die Eingangstreppe des imposanten, aus Backstein erbauten Hauptgebäudes der Schule hinunter und wandte sich nach links in Richtung Auto, als sie den beigen Transporter des sexy Gärtners entdeckte. Er hatte ihn gleich neben ihrem schnittigen blauen Kleinwagen geparkt. Bei dem Truck handelte es sich um einen Viertürer mit getönten Scheiben und einer geräumigen Ladefläche, auf der sich Schaufeln und anderes Gartengerät sowie ein riesiger Sack mit Schnittgut befanden.

Sein hellbraunes T-Shirt hing über der Ladeklappe.

Was bedeutete, dass er immer noch mit nacktem Oberkörper irgendwo hier herumspazierte.

»Steig in dein Auto, Ísa«, murmelte sie, wohl wissend, was passieren würde, wenn sie mit diesem männlichen Leckerbissen zusammenträfe. Auch wenn sie ihre Schüchternheit überwunden hatte, kannte sie doch ihre Grenzen.

Diesem spärlich bekleideten Mann gegenüberzustehen, der ihre Ovarien zum Explodieren brachte, ließe sie knallrot werden, die Stimme würde ihr den Dienst versagen, und das wär’s dann. »Oh …«

Hätte er sie nicht um die Hüfte gefasst, sie wäre gegen seine gestählte Brust geprallt.

»Entschuldigung«, sagte er mit einem verdutzten Lächeln, das seine faszinierenden blauen Augen aufleuchten ließ. »Ich hab Sie nicht gesehen.«

»Nein, äh, es war mein Fehler.« Offenbar hatte er in der Hocke einen Reifen oder irgendwas überprüft und sich im selben Moment aufgerichtet, als sie sich umdrehte, um in ihr Auto zu steigen. Gott, seine Haut war so warm und geschmeidig, er selbst so groß, seine Schultern so breit. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Sie würde jede Sekunde anfangen zu stottern.

Über ihr Stottern hatte Suzanne sich in einer Tour lustig gemacht, als sie vierzehn gewesen waren. Bis Ísa komplett verstummt war, außer in Gegenwart der wenigen Freunde, denen sie vertraute. Und jetzt würde diese schreckliche, kaltherzige Person heiraten, ein Kind bekommen und glücklich leben bis ans Ende ihrer Tage. Zu allem Überfluss ließ Ísas Mutter sie tanzen wie eine Marionette, und ihr letztes »Date« hatte darum gebeten, dass sie es Wuffi nannte und mit Hundekeksen belohnte.

In den blauen Augen des Gärtners schimmerte etwas Heißes auf.

Und sie dachte … ich kenne ihn. Aber bevor sie diesen flüchtigen Gedanken weiterverfolgen konnte, lösten Zorn und Schmerz, Frust und Ärger ein weiß glühendes Inferno in Ísa aus.

Sie schnappte über.

Sie nahm das wunderschöne Gesicht des sexy Gärtners zwischen beide Hände und sagte: »Ich will dich küssen.«

Ein spitzbübisches Grinsen. »Nur zu.«

Und Ísa drückte ihre Lippen auf seine.

3. KAPITEL

HALTE STETS DEN RÜCKSITZ SAUBER

Wow.

Die atemlos hervorgestoßenen Worte des unfassbar süßen Rotschopfs mit der hellen Haut und den Kurven an genau den richtigen Stellen, der Sailor an … jemanden erinnerte, waren kein Witz gewesen. Die Frau küsste ihn. Sie beherrschte es nicht gerade meisterlich. Aber wen zur Hölle juckte das, da sie doch so gut schmeckte, so gut duftete, sich so gut anfühlte?

Es schien sie nicht zu stören, dass er selbst nach Gras, Erde und Schweiß roch.

Er fuhr mit der Hand von ihrer wohlgeformten Hüfte zu ihrem Rücken hoch, umfasste ihren Hinterkopf und bog ihren Hals zur Seite, bevor er sie mit den Lippen verschlang. Ein leises Stöhnen entrang sich ihrer Kehle, ein raues Schnurren, das ihm eine heftige Erektion bescherte. Sailor wollte diesen Laut noch einmal hören, er würde herausfinden, wie er ihn ihr entlocken konnte.

Er verlagerte sein Gewicht und drängte sie gegen die Tür des Lieferwagens. Ihr Körper war süß und sinnlich, ihre Brüste weiche Rundungen, die er beißen und liebkosen und nackt sehen wollte. Doch eins nach dem anderen. Er strich mit seiner Zunge über ihre.

Sie drehte den Kopf zur Seite.

Sailor seufzte innerlich, bevor er sich schwer atmend von ihr löste. »Du willst gehen?« Normalerweise stürzte er sich nicht auf Frauen, die er gerade mal zwei Sekunden kannte, aber zu seiner Verteidigung musste gesagt werden, dass nicht er die Initiative ergriffen hatte.

Sailor betrachtete sich gern als anständigen Menschen – aber er war auch immer noch ein Kerl. Und sie war die hinreißendste und erotischste Frau, die er je in den Armen gehalten hatte. Hätte er ihr ihren Wunsch abschlagen sollen?

Die Pupillen ihrer großen graugrünen Augen waren erweitert, als sie seinen Blick festhielt. »Hast du eine Freundin oder eine Ehefrau?«

»Nein.« Sailor wollte sie überall berühren, mit dem Mund über ihre Haut streifen, bis sie von einem lieblichen Rosa überzogen wäre. »Ich bin mit meiner Arbeit verheiratet. Sie ist eine ziemlich anspruchsvolle Partnerin, die andere Frauen nicht auf Dauer neben sich duldet.«

Der Rotschopf warf einen Blick zum Schulgebäude hinüber. »Es ist noch hell. Jemand könnte uns sehen.«

Sailor stockte der Atem. »Wie wäre es mit dem Rücksitz meines Wagens?« Er hatte seit seinem siebzehnten Lebensjahr nicht mehr in einem Auto rumgemacht. Aber bei dieser sexy Frau, die küsste wie eine Unschuld vom Lande und einen Körper hatte, der für die Sünde wie gemacht schien, war er zu allem bereit.

»Was?« Sie riss die Augen auf. »Nein!«

Wieder bemächtigte er sich ihrer vom Küssen geschwollenen Lippen, die ihn zu sehr verlockten, um ihnen zu widerstehen, und die in ihm das Verlangen schürten, mit seiner Zunge an andere, geheimere Orte vorzudringen. Erst als sie um Luft rang und die Fingernägel in seine Brust grub, löste er den Mund von ihrem. »Die Fenster sind getönt, und die Windschutzscheibe geht auf den leeren Parkplatz hinaus. Niemand würde uns sehen.«

Ihre Brust hob und senkte sich, während der Schock und die Verwirrung in ihren Augen seine Erinnerung kitzelten.

»Okay«, sagte sie.

Heilige Scheiße!

Sailor löste sich von ihr. »Lass mich nur schnell den Krempel vom Rücksitz auf die Ladefläche verfrachten.« Er wollte ihr keine Zeit lassen, es sich anders zu überlegen, aber er war nicht darauf vorbereitet gewesen, sich im Fond seines Wagens zu vergnügen. Dort hatte er Teile für eine Sprinkleranlage verstaut.

Er machte so schnell wie möglich und war schon halb fertig, als eine Autotür zufiel. Zwei Sekunden später setzte der blaue Kleinwagen neben seinem Transporter mit quietschenden Reifen zurück, bevor er gleich darauf die Zufahrt hinunterraste und seine Kusspartnerin mit sich nahm.

Sailor stand wie vom Donner gerührt da, er wusste nicht, wie ihm geschah. Ihm drehte sich der Kopf, sein Glied war schmerzhaft steif, und er hatte das Gefühl, soeben von dem entzückenden Rotschopf mit dem entzückenden Akzent und den gleichermaßen entzückenden Kurven, die wie geschaffen waren für seine Hände, benutzt und weggeworfen worden zu sein.

Dann machte es Klick in seinem Hirn.

Feuerrotes Haar. Eine Haut wie Alabaster. Graugrüne Augen.

Sailor hatte sie schon vor sieben Jahren süß gefunden, als Cody sie zu der Party in der Lagerhalle mitgebracht hatte. Er hatte sie nur kurz bewundern können, bevor Cody sich als Arschloch des Jahres entpuppt und sie vor sämtlichen Gästen in die Wüste geschickt hatte. Sailor wusste nicht mehr, was Schumer genau zu ihr gesagt hatte, aber er erinnerte sich noch lebhaft an den Schmerz und den Schock in den Augen des Mädchens.

Und dann hatte sie sich in die Nacht geflüchtet, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Und jetzt war sie wieder weggelaufen.

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Sailor die lange Zufahrt. »Ich bin keine sechzehn mehr, kleiner Rotschopf. Und ich weiß, wo du arbeitest.« Seine Lippen verzogen sich zu einem hochzufriedenen Lächeln.

Das hier war nicht vorbei. Noch lange nicht.

4. KAPITEL

IN WELCHEM DIE TEUFELIN IN ÍSA IHR DEBÜT GIBT

»Oh mein Gott! Oh mein Gott!« Ísa konnte nicht fassen, was sie getan hatte – und fast getan hätte.

Sie hatte auf dem Parkplatz ihrer Schule rumgeknutscht. Einer staatlichen und angesehenen Schule, die für ihre hohen Standards und ihren makellosen Ruf bekannt war. Eine dort tätige Lehrkraft belästigte weder einen braven Gärtner, noch erklärte sie sich einverstanden, mit ihm auf den Rücksitz seines Lieferwagens zu klettern!

Falls jemand sie gesehen hatte …

»Bleib ganz ruhig«, ermahnte sie sich. »Es war schließlich nur ein Kuss.« Ein heißer, erotischer Kuss, der bewirkte, dass ihre Nervenenden flirrten und sie vor sehnsüchtigem Verlangen die Beine zusammenpresste.

Mit ihren Hormonen war eindeutig alles in Ordnung.

Wäre da nicht dieser kurze lichte Moment gewesen, in dem sie erkannte, dass sie drauf und dran war, wegen eines Schleimbolzens namens Schumer, Suzanne, Jacqueline und einem sexy Gärtner, dessen Namen sie nicht einmal kannte, ihre gesamte Karriere zu gefährden, läge sie jetzt auf dem Rücksitz seines Wagens.

Sehr wahrscheinlich ohne Höschen, ihre Lippen mit denen des Gärtners verschmolzen.

Ihre Schenkel zitterten, ihr Schritt fühlte sich heiß und geschwollen an. Bereit.

Die Teufelin in Ísa schmollte. Kehr um, flüsterte sie. Sieh zu, dass du auf diesen Rücksitz kommst.

»Hör auf damit«, schalt sie sich erschrocken. »Es war ein Anfall von Wahnsinn, der sich nicht wiederholen wird.« Ísalind Magdalena Rain-Stefánsdóttir behelligte keine attraktiven, wildfremden Männer auf dem Schulgelände. Am helllichten Tag!

Und erst recht grub sie nicht ihre Fingernägel in deren Oberkörper oder stellte sich vor, an ihnen zu lecken wie an ihrem Lieblingseis.

»Oh Gott!«

Aufgewühlt wie sie war, konnte sie unmöglich bei dieser Vorstandssitzung erscheinen. Zuerst musste sie ihre Fassung wiederfinden. Vielleicht sollte sie sich ein paar starke Drinks genehmigen – und ihren Kopf untersuchen lassen. Gefolgt von einer kalten Dusche – weil ihr Körper sich nicht an dieses Programm halten wollte. Er verzehrte sich nach dem heißen Gärtner, seinen gierigen Küssen und den Berührungen seiner fähigen Hände.

Kein Mann hatte sie je auf diese Weise angefasst, so als wäre sie eine wahr gewordene sexuelle Fantasie.

Kehr um und fahr zu ihm zurück. Die roten Hörner der Teufelin leuchteten. Leb dich ein bisschen aus. Besser noch: nach Strich und Faden. Ich bin hemmungslos. Sei du es auch. Ganz bestimmt verzeiht er dir, dass du getürmt bist, wenn du wiederauftauchst und ganz langsam und sexy dein Kleid abstreifst.

»Halt die Klappe!«, befahl Ísa dem geistesgestörten Teil ihrer Psyche.

Die Teufelin zuckte die Schultern und schlug die Beine übereinander. Zumindest hättest du dann eine furiose, amüsante Anekdote, um sie später einmal deinen Enkeln zu erzählen. Anstelle deiner aktuellen atemberaubenden Lebensgeschichte. Ein herzhaftes Gähnen. Du kommst mir vor wie eine Neunzigjährige, die im Körper einer Achtundzwanzigjährigen gefangen ist. Öööööde.

Ísas Blick erfasste den Namen der Straße vor ihr. Ohne nachzudenken, entschied sie sich, nach links abzubiegen und nicht nach rechts. Sie fuhr die Hauptstraße entlang, die tagsüber von unzähligen Pendlern benutzt wurde, bis sie das belebte Viertel erreichte, wo sich kleine Restaurants und angesagte Cafés aneinanderreihten und vom frühen Morgen bis spät in die Nacht dichter Verkehr herrschte.

Wer waren diese Leute, die immer Zeit dafür hatten, herumzusitzen und Latte macchiato zu trinken?

Die Teufelin in Ísa wusste die Antwort. Menschen, die ein eigenes Leben haben. Harlow ist siebzehn, Catie dreizehn. Bald werden sie dich nicht mehr brauchen. Was willst du dann tun, Großmutter?

»Ich habe einen Plan!«

Wuff! Wuff!

Ísa fragte sich, ob das ein Hinweis darauf war, dass man den Verstand verlor. Streitgespräche mit sich selbst zu führen war sicherlich kein Zeichen geistiger Gesundheit. Aber sie wusste von mehreren Schriftstellern, dass sie Stimmen in ihrem Kopf hörten, darum war sie zumindest kein Einzelfall. Es hängt mit Kreativität zusammen, sagte sie sich. Folglich können meine Gedichte nicht ganz schlecht sein.

Klar doch, Omi.

Die Ampel schaltete um.

Und abermals auf Rot, bevor Ísa es an den Anfang der Schlange schaffte.

Im Obst- und Gemüseladen an der Ecke herrschte Hochbetrieb, gegenüber hatten sich mehrere Passanten an den Tischen vor einem Café niedergelassen, das es schon ewig gab. Wenn Ísa sonst hier vorbeikam und an der roten Ampel warten musste, vertrieb sie sich die Zeit gern damit, den Menschen nachzusehen, vor allem, wenn sämtliche Fußgängerampeln gleichzeitig auf Grün schalteten und die Leute von rechts und links und diagonal die Kreuzung überquerten.

Es schien, als würde unentwegt ein ganzer Mikrokosmos Aucklands durch Mount Eden ziehen, während im Hintergrund der gleichnamige Berg wie ein stummer Wächter aufragte.

Aber heute war kein Tag wie jeder andere.

Immer noch vom Tumult ihrer Gefühle hin und her geworfen, musste Ísa eine weitere Ampelphase abwarten, bevor sie es über die Kreuzung schaffte. Keine zehn Sekunden später hatte sie den Verkehrsstau in Mount Eden hinter sich gelassen und folgte weiter der langen Straße.

Ihr Ziel lag jedoch ein gutes Stück vor deren Ende in einer ruhigen Gegend zwischen dem Restaurantviertel, das sie soeben hinter sich gelassen hatte, und den größeren Geschäften nahe des Zentrums. Sie war schon beinahe an ihrem Ziel angelangt, als sie glücklicherweise einen freien Parkplatz fand.

Sie stieg aus und dachte gerade noch daran, den Wagen zu verriegeln, bevor sie über die Straße auf die weiße Villa zulief, die dem Wirtschaftsprüfungsunternehmen Hillier & Co als Firmensitz diente.

Naynas grüner Mini Cooper war das einzige Fahrzeug auf dem Mitarbeiterparkplatz.

Wie dumm von ihr. Ísa hätte ihr Auto gleich neben dem ihrer besten Freundin abstellen können – aber sie war gedanklich nicht ganz da.

Weil sie noch immer den Duft des Gärtners in der Nase hatte und ihre innere Teufelin sie mit ihren Kommentaren triezte.

Bemüht, ruhig zu atmen, stieg sie die Treppe der Villa hinauf und drehte den Türknauf. Sie schwang auf, und Ísa hätte demjenigen, der vergessen hatte, sie abzuschließen, am liebsten eine geknallt. Die Regel der Firma lautete, wenn nach Büroschluss nur noch eine einzige Person im Gebäude zurückblieb, musste diejenige, die vor ihr als Letzte ging, aus Sicherheitsgründen abschließen.

Ísa tat genau das, bevor sie den mit einem dicken Teppich ausgelegten Flur entlangeilte. Diese noble Gegend galt zwar nicht gerade als eine Brutstätte des Verbrechens, aber die Villa lag an einer Hauptstraße, auf der es Tag und Nacht von Menschen wimmelte. Da durfte sie kein Risiko eingehen, erst recht nicht, wenn sie als einzige Frau ganz allein im Gebäude war.

Wie der leere Parkplatz sie schon hatte vermuten lassen, waren die vorderen Büros verwaist, genau wie der Empfang, der normalerweise mit zwei Sekretärinnen besetzt war, die für die vier Wirtschaftsprüfer von Hillier & Co zuständig waren.

Auf dem Weg zum hinteren Teil der Villa kam sie an einer kleinen Küche und einem Aufenthaltsraum vorbei und betrat gleich darauf Naynas Büro zu ihrer Linken. Als jüngstes Firmenmitglied hatte Nayna sich ihr Büro nicht aussuchen können, aber tatsächlich zog sie es den im vorderen Bereich gelegenen Räumen vor, weil es lichtdurchflutet war.

Hinter einem Stoß Unterlagen versteckt, blickte ihre Freundin überrascht auf. Sie hatte ein bezauberndes, ovales Gesicht, eine Haut von der Farbe dunklen Mahagonis und glatte schwarze Haare, die zu einem adretten Knoten geschlungen waren.

Nayna nahm ihre schmale Lesebrille ab und drückte sich ihre grazile Hand auf das Herz. »Ísa! Hast du mich erschreckt!«

Dann lächelte sie von einem Ohr zum anderen und erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl, an dessen Rückenlehne eine schwarze Jacke hing, die ihr aus einem schwarzen Rock und einer blauen Seidenbluse bestehendes Outfit komplettierte. »Aber dein Timing könnte nicht besser sein. Ich bin am Verhungern, weil ich das Mittagessen habe ausfallen lassen, und habe gerade eine monstergroße Pizza bestellt. Wir können …«

Nayna verstummte mitten im Satz und musterte Ísas regungslose Gestalt von Kopf bis Fuß … und anschließend ein zweites Mal. »Du siehst aus, als hättest du es mit einem irre heißen Typen wild getrieben.«

Obwohl Ísa wusste, dass ihre Freundin nur Spaß machte, ließ sie sich seufzend auf die Ledercouch sinken, die Nayna vorzugsweise für Besprechungen mit Klienten benutzte, um eine weniger förmliche Atmosphäre zu schaffen. »Du wirst nicht glauben, was ich getan habe.« Sie vergrub das Gesicht in den Händen.

»Ach herrje!« Nayna machte große Augen, ließ Arbeit Arbeit sein, und schlüpfte aus ihren halbhohen Pumps, bevor sie sich neben Ísa auf das Sofa setzte. »Erzähl von Anfang an. Und das meine ich wörtlich.«

Ísa wollte gerade dazu ansetzen, ihre Sünden zu beichten, als es an der Haustür schellte.

Nayna schaute auf ihre Uhr. »Oh, das wird die Pizza sein. Rühr dich nicht von der Stelle.«

Sie sauste barfuß aus dem Büro, während Ísa den Kopf gegen die Rückenlehne der Couch lehnte und es wieder mit ihrer Meditationstechnik versuchte. Doch die Teufelin machte ihr einen Strich durch die Rechnung, indem sie sie erneut mit der Erinnerung an die warme, seidenweiche Haut des Gärtners, seinen maskulinen Duft, seine unersättlichen, lustvollen Küsse und Berührungen marterte.

Ihre Zehen kribbelten.

»Was für ein Glück, dass du vorbeigekommen bist«, sagte Nayna, als sie mit einer Pizzaschachtel und zwei Wasserflaschen ins Zimmer zurückkam. »Sonst hätte ich mir dieses Ding allein einverleibt, ich schwör’s dir. Hier.« Sie reichte Ísa eine der Flaschen. »Kommt aus dem Kühlschrank. Du siehst aus, als könntest du eine kleine Abkühlung vertragen.«

Während Ísa einen Schluck trank, stellte Nayna den Karton auf den Couchtisch und holte ein paar Papierservietten aus ihrer geheimen Schublade, in der sie unter den langweiligsten Steuerformularen, die sie finden konnte, ein ganzes Sortiment von Schokolade versteckte.

Anschließend setzte sich Ísas beste Freundin und Komplizin im Schneidersitz neben sie und sah sie mit ihren braunen Augen durchdringend an. »Okay. Jetzt gesteh endlich!«

Ísa knüllte den bauschigen Rock ihres Kleids mit ihrer feuchten Hand zusammen und ließ ihn wieder los. »Es war kein Sex im Spiel«, erklärte sie unverblümt. »Nicht einmal ansatzweise.«

»Wieso siehst du dann aus, als hätte die Polizei dich ohne BH und mit einem geilen Typen zwischen deinen Beinen ertappt? Offenbar wusste der Mann, was er tun musste, um dich in diesen Zustand zu bringen.«

»Das ist nicht witzig.« Ísas finsterer Blick machte null Eindruck auf ihre Freundin.

»Jetzt spuck’s schon aus!«

»Du weißt doch, dass ich in der Schule war, um meine Abendkurse vorzubereiten?«

Nayna, die unterdessen von ihrem Pizzastück abgebissen hatte, nickte wortlos. Sie hatte das kraftvolle Gehämmere in der Wohnung der Nachbarin über Isa hautnah miterlebt, als sie letzte Woche auf dem Rückweg von einer externen Besprechung zum Mittagessen bei ihr vorbeigekommen war.

»Nun ja«, fuhr Ísa fort, »da war dieser extrem heiße Gärtner auf der Außenanlage.«

Nayna entfuhr ein Quieken. »Oh bitte, Ísa«, japste sie, nachdem sie hastig den Bissen in ihrem Mund geschluckt hatte. »Bitte, bitte, bitte sag mir, dass du wenigstens mit ihm geknutscht hast.«

Ísa setzte eine geknickte Miene auf. »Ich bin tatsächlich wie ein wildes Tier über ihn hergefallen.«

Nayna blinzelte mehrmals, bevor sie flüsterte: »Echt jetzt?« Auf Ísas schuldbewusstes Nicken hin stieß sie einen Jubelschrei aus, dann sprang sie auf und vollführte mit dem Pizzastück in der Hand ein Freudentänzchen, inklusive Hinternwackeln und einer Ein-Frau-La-Ola-Welle. »Meine Heldin!«

Ísa rieb sich mit den Händen übers Gesicht. »Nein«, murmelte sie. »Nein, nein, nein. Was, wenn jemand es gesehen hat? Ich bin Lehrerin, Nayna. Ich habe mich ihm nicht nur an den Hals geworfen, sondern es auch noch auf dem Schulgelände getan.«

Nayna setzte sich wieder und verputzte den Rest ihres Pizzastücks, bevor sie sagte: »Zurzeit sind doch Sommerferien, oder? War sonst noch jemand da?«

Ísa schüttelte den Kopf.

»In diesem Fall kannst du es als eine Erfahrung verbuchen und, sagen wir mal, einen Anfall von Gärtnergeilheit. Betrachte es als Wiedergutmachung für unsere Jugendzeit, wo keine von uns beiden irgendetwas Aufregendes in der Schule erlebt hat.«

Ísas Lachen klang leicht hysterisch. »Ich brauche Eis.« Sie hielt die kalte Wasserflasche erst an die eine, dann an die andere Wange.

Ohne erkennbare Wirkung.

»Tonnenweise Eis«, fügte sie hinzu. »Ich muss immerzu an seine Augen denken.« Sie waren von einem solch einprägsamen, leuchtenden Blau, dass ihr Hinterkopf darauf beharrte, sie früher schon einmal gesehen zu haben, aber Ísa hätte dermaßen faszinierende Augen niemals vergessen. Oder einen derart atemberaubenden Mann. »Ich sollte nach Hause fahren und ein Eiswürfelbad nehmen.«

»Egal, wie schockiert du gerade bist …« Nayna grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Eines Tages wirst du zurückblicken und dich als Teufelsweib bejubeln.«

Ísa, die starke Zweifel an der Prognose ihrer Freundin hatte, stieß ein Schnauben aus. »Genug jetzt von meinem Anfall geistiger Umnachtung. Wie geht es mit der Verlobung voran?« Ísa fiel es immer noch schwer zu akzeptieren, dass ihre kluge und hochgebildete Freundin dem Wunsch ihrer Familie nach einer traditionell arrangierten Ehe entsprechen wollte, aber wenn Nayna damit zurechtkam, würde Ísa sie mit Herz und Seele unterstützen.

»Bisher haben alle meine heiratswilligen Verehrer mehr Interesse an der Tatsache gezeigt, dass ich eine frischgebackene Wirtschaftsprüferin bin, als an mir.« Naynas Ton war staubtrocken. »Die meisten arbeiten in derselben Branche und hoffen darauf, mithilfe einer Heirat eine zukünftige Geschäftspartnerin zu akquirieren.« Sie zog eine Grimasse. »Es geht ihnen darum, eine Dynastie zu begründen. Deine Mutter hätte dafür vollstes Verständnis.«

Durch ihre Worte an Jacqueline erinnert, schaute Ísa stirnrunzelnd auf die Uhr. »Verflixt«, grummelte sie. »Ich muss nach Hause und unter die Dusche, um den stressbedingten Schweiß abzuwaschen … und den Schmutz, den ich von seinem Körper abbekommen habe.« Sie hatte eben erst die Flecken auf ihrem dunkelblauen Kleid entdeckt.

Die Teufelin in Ísa wisperte: Da du sowieso schon schmutzig bist, wieso spürst du ihn nicht auf und kletterst auf den Rücksitz seines Lieferwagens?

»Vergiss die Party am Samstag nicht!«, rief Nayna ihr nach, als Ísa zur Haustür eilte. »Zieh dein kürzestes Kleid an. Vielleicht hast du ja Glück und begegnest noch einem sexy Gärtner!«

5. KAPITEL

HÄMMERN UND NAGELN (BEDAUERLICHERWEISE NICHT IM WOLLÜSTIGEN WORTSINN)

Sailor drosch den Nagel mit unnötig viel Kraft ins Holz.

Sein Bruder Gabriel, der die gleichen grauen Augen wie ihre Mutter hatte, hob eine Braue. »Was hat dir diese arme Latte getan?«