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»Halleluja, verdammt nochmal!« flucht Kommissar Merana. Auch das noch! Das ganze Land erwartet mit Spannung das neue TV-Ereignis, die spektakuläre Weihnachtsshow »The Golden Christmas Tree«. Die Show gelingt prächtig, Publikum und Beteiligte stimmen weihnachtlichen Jubel an. Doch es gibt nicht nur 100.000 Euro als Hauptpreis, es gibt auch einen Toten. Caspar Drollmann. Jurymitglied, gefeierter Schauspieler, Publikumsliebling. Schnell wird klar, es handelt sich um Mord. Deshalb kann Merana keinen ruhigen Adventabend genießen, sondern muss sich in eine kuriose Mordermittlung stürzen …
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Seitenzahl: 243
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Manfred Baumann
Christbaum, Mord und Engelshaar
Kriminelle Weihnachten
Stille Nacht und Mörderjagd Eine spektakuläre Weihnachtsshow, »The Golden Christmas Tree«. Es geht um 100.000 Euro. Doch am Ende gibt es nicht nur ein strahlendes Siegerlächeln, sondern auch einen Toten. Millionen vor den TV-Bildschirmen schauen live dabei zu, wie eines der Jurymitglieder bei der After-Show-Party zusammenbricht. Caspar Drollmann, gefeierter Schauspieler und Publikumsliebling. Schnell stellt sich heraus: Es geht dabei nicht um Herzversagen. Es geht um Mord. Und allen an der Show Beteiligten wird klar, der Täter oder die Täterin befindet sich mitten unter ihnen. Aber wer ist es? Das herauszufinden, liegt nun bei Kommissar Martin Merana, der den wohlverdienten, ruhigen Adventsonntag gegen eine kuriose Tätersuche eintauschen muss. Halleluja. Dabei taucht er auch in die oft intrigant anmutende Welt von TV-Stars und TV-Programmverantwortlichen ein.
Manfred Baumann, geboren 1956 in Hallein/Salzburg, war 35 Jahre lang Autor, Redakteur und Abteilungsleiter beim Österreichischen Rundfunk. Heute lebt er als freier Schriftsteller, Kabarettist, Regisseur und Moderator in der Nähe von Salzburg. Auf der Vorlage der Kommissar-Merana-Romane gab es bisher drei TV-Verfilmungen (ORF/ZDF).
Manfred Baumann ist auch bei Facebook.
Mehr Informationen zum Autor unter: www.m-baumann.at
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © eyetronic / stock.adobe.com
ISBN 978-3-7349-3124-6
Sonntag, 21. Dezember, kurz vor 22 Uhr
»Das darf doch nicht wahr sein!«, entfuhr es Merana. Jetzt fehlte nur noch Leise rieselt der Schnee. Er rief es laut, obwohl er ganz allein auf dem Balkon stand. Der Einzige, der ihm zuhören konnte, war er selbst. Er blickte auf die Uhr. Sie zeigte ein paar Minuten vor 22 Uhr. Vielleicht sollte er sich die exakte Zeit notieren. 21.54 Uhr. Die ersten Flocken fielen. Genau wie es der lokale Wetterguru im Radio vorausgesagt hatte. Als Merana kurz nach 16 Uhr die Bundespolizeidirektion verlassen hatte, wollte er sich auf der Heimfahrt ein wenig unterhalten lassen. Was hatte der regionale Sender am späten Sonntagnachmittag seinem Publikum zu bieten? Er fand sonst kaum Zeit zum Radiohören. Wie er bald mitbekam, lauschte er einer Live-Sendung mit Musik und Gesprächen. Zu Gast im Studio war auch ein Mann aus dem Tennengau. Er hieß Laurentius Tagmeister, besser bekannt als »der Lammertal Lenz«, wie die Radiomoderatorin mehrmals erwähnte. Dieser Lenz kannte sich gut mit Volksmusik aus, wusste launige Anekdoten aus dem Salzburger Land zu erzählen und war auch bewandert in Eigenarten, die das regionale Wetter betrafen. »Ich weiß es, liebe Leute, die ihr mir da draußen im Land aufmerksam zuhört. Die auch von mir sehr geschätzten Experten der meteorologischen Zentralanstalt haben gesagt, es wird erst morgen früh zu schneien beginnen. Aber ich, euer Lenz, sage euch: Die ersten Schneeflocken werden noch heute vom Himmel heruntertanzen und die Landschaft unserer schönen Heimat in beschauliches Weiß hüllen.«
»Ich bin natürlich völlig überzeugt, dass es so sein wird, wenn du das sagst«, hatte die Moderatorin den Faden aufgenommen. »Unsere Zuhörerinnen und Zuhörer dürfen gespannt abwarten, ob der Lenz wieder einmal recht behält.«
»Darauf könnt ihr euch verlassen«, hatte ihr Gesprächspartner bestätigt. Der Mann verfügte über eine dunkle, wohlklingende Bassstimme. »Mein Gespür sagt mir auch, es wird erst spätabends zu schneien beginnen. Aber es wird noch vor Mitternacht geschehen, noch ehe dieser vierte Adventssonntag zu Ende geht. Wenn ich auf mein Gespür vertraue, dann wird es wohl so um 22 Uhr herum passieren, dass die ersten Flocken fallen.« Ein anerkennendes Lächeln huschte über Meranas Gesicht, als er sich die Voraussage ins Gedächtnis rief. Der Wetterguru aus dem Lammertal hatte zweifellos recht behalten. Merana streckte beide Arme aus, ließ zarte Flocken auf seine Handrücken fallen. Das Licht aus dem Wohnzimmer erreichte fast den gesamten Balkon, erhellte auch einen schmalen Bereich außerhalb der Brüstung. Die Flocken auf Meranas Händen glänzten silbrig auf, ehe sie schmolzen.
»Ich freue mich natürlich, Martin, wenn du es tatsächlich schaffst, den Heiligen Abend mit mir zu verbringen.« Vor zwei Stunden hatte er mit der Großmutter telefoniert. Sich für die Weihnachtstage in den Oberpinzgau zu begeben, hatte er fest vor. Das war jedes Jahr seine Absicht. Leider hatte er es in den letzten Jahren wegen dienstlicher Verpflichtungen nicht immer geschafft. Mit seiner Großmutter verband ihn eine ganz innige Beziehung. Meranas Mutter war bei einem Sturz vom Berg zu Tode gekommen. Merana war damals noch ein Kind gewesen, hatte als Neunjähriger durch den tragischen Tod der Mutter einen schweren Schock erlitten. Von dem Tag an hatte sich vor allem ein Mensch ganz besonders um ihn gekümmert, für ihn gesorgt, ihn mit besonderer Achtsamkeit und großer Liebe auf seinem weiteren Lebensweg begleitet: die Großmutter. »Es wäre schön, wenn du bis zum Stefanitag bleiben könntest«, hatte die alte Frau beim Telefonat noch hinzugefügt. »Ich habe den Willi heute im Dorf getroffen. ›Du wirst begeistert sein, Kristina‹, hat er gesagt, und dabei verschmitzt gelacht. ›Dieses Mal kommt das Lamperl vom Regnerbauern. Ich bringe es dir am Heiligen Abend noch am Vormittag.‹« Merana hatte gut verstanden, worauf die Großmutter hier ansprach. Der Willi, damit war der seit mehr als zehn Jahren pensionierte Wilhelm Krautner gemeint. Der hatte schon, als er noch als Postamtsleiter aktiv war, die Großmutter über Jahre hinweg zu Weihnachten mit allerbestem Lammfleisch versorgt. Als Postamtsleiter hatte er zu allen Bauern einen guten Draht. Schon in Meranas Kindheit war es familiäre Gepflogenheit gewesen, dass die Großmutter am Stefanitag geschmorte Lammschulter zubereitete. Mit Kartoffeln und Fenchel. Seit fast 20 Jahren lud sie zu diesem Festtagsessen auch ihre Nachbarin Anni samt Familie ein. So würde es auch heuer geschehen. »Den passenden Rotwein musst du wie immer selbst mitbringen, Martin.«
Und dann hatte die Großmutter noch erwähnt, dass sie seit zwei Tagen im Rücken und am linken Kniegelenk ein vertrautes Ziehen verspüre. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es bald Schnee geben werde, hatte sie hinzugefügt. Erneut musste Merana lächeln. Seine Großmutter und der Lammertal-Lenz. Zwei Menschen mit einer ganz besonderen Sinneswahrnehmung für Schnee. Wer weiß, überlegte Merana, vielleicht bieten sich uns heuer sogar weiße Weihnachten. Die hatte es schon seit vielen Jahren nicht mehr gegeben. Merana konnte sich gar nicht erinnern, wann es zuletzt im Flachland zu Weihnachten geschneit hatte. Gut möglich, dass es heuer passte. Merana legte die Hände auf die Balkonbrüstung, beugte sich weit nach außen. Wohltuende Stille umgab ihn. Die Schneeflocken landeten nun auch auf seinen Haaren. Beruhigende Dunkelheit ringsum. Das Anwesen der am nächsten gelegenen Nachbarn war weit weg. Selbst bei sternklarer Nacht waren von dort nur schwer Lichter auszumachen. Das Haus, dessen oberes Stockwerk er bewohnte, gehörte einer verwitweten Zahnärztin. Bis Ende Jänner würde sie bei ihrer Tochter und den Enkelkindern in Frankreich bleiben. Allerdings hatte Frau Doktor Doktor Tilda Tschepek knapp vor ihrer Abreise noch einen Christbaum im Garten aufgestellt. So wie jedes Jahr. Eine kleine Tanne mit Lichterketten. Pünktlich um 18 Uhr schaltete der Timer jeden Tag den Strom ein. Heller weihnachtlicher Glanz erfüllte dann einen Teil des Gartens und die Terrasse. Der Zauber dauerte bis Mitternacht. Dann schaltete der Timer wieder aus. Hinter sich vernahm Merana ein Klingeln. Sein Handy lag auf dem Wohnzimmertisch. War das nochmals die Großmutter? Er löste sich von der Balkonbrüstung, begab sich nach innen. »Otmar« zeigte das Display. Abteilungsinspektor Otmar Braunberger gehörte zu Meranas Team, war einer seiner engsten Vertrauten. Er wischte über das Display.
»Hallo, Otmar. Willst du mir sagen, dass Schneeflöckchen, Weißröckchen bereits jetzt herniedersegeln und die amtliche Wetterdienststelle es mit der Vorhersage von ›morgen früh‹ nicht ganz getroffen hat?«
Dem Abteilungsinspektor war nicht nach Scherzen zumute. Merana hörte es sofort am Klang von Otmars Stimme. Sein Mitarbeiter saß offenbar im Auto. »Ich nehme an, Martin, du hast dir die Fernsehshow nicht angeschaut?«
Welche Fernsehshow? »Es gibt einen Toten. Den Umständen nach könnte es Mord sein, sagt Beate. Sie hat mich vorhin angerufen. Es war für alle Zuschauer im Fernsehen direkt zu sehen. Ich bin schon auf dem Weg zum Festspielhaus.«
Mord? Fernsehshow? Bei diesem Christmas-Spektakel? Merana war schon an der Wohnungstür. »Ich fahre sofort los, Otmar.«
Es war Sonntagabend. Von seiner Wohnung bis in die Innenstadt war es nicht weit. Bei mäßigem Verkehr könnte er es in 20 Minuten schaffen.
»Halleluja«, quetschte er zwischen den Zähnen hervor, als er mit dem Wagen die Hauptstraße erreichte. »Mord am Adventssonntagabend. Das hat mir gerade noch gefehlt.«
*
Sonntag, 21. Dezember, 16 Uhr
»Sie können sich heute Abend gerne frei nehmen, Kollege Kritzer.« Inspektor Thomas Kritzer war 21 Jahre alt. Er hatte sich vor zwei Jahren bei der Polizei beworben, sein Praktikum in der Polizeiinspektion Sankt Johann im Pongau mit Bravour absolviert, wie Merana mitbekommen hatte. Jetzt machte er zur Vorbereitung für die Ausbildung zum Dienstführenden Beamten, Verwendungsgruppe 2a, ein Praktikum bei der Salzburger Kriminalpolizei. Merana hatte dem Praktikumsansuchen zugestimmt. »Machen Sie sich einen schönen Abend. Das ist Ihre erste Woche bei uns. Sie haben in den vergangenen Tagen viel weitergebracht. Sie haben sich nicht lange mit Herumgerede aufgehalten, sondern sofort mit angepackt. Ich bin mit Ihrer Leistung sehr zufrieden.«
Der junge Mann lief rot an. Den Leiter der Kriminalpolizei hatten ihm die Kollegen von außerhalb als äußerst streng beschrieben. Thomas empfand das nicht so. Meranas Lob freute ihn.
»Wenn Sie erlauben, Herr Kommissar, würde ich gerne bleiben. Ich habe mich schon die ganze Woche auf meinen ersten Nachtdienst gefreut. Bei den ›Kriminesern‹, wie man in Sankt Johann die Kollegen der Kriminalpolizei gerne bezeichnet.« Unversehens tappte er sich mit der Hand an den Mund. Das hätte er wohl nicht sagen sollen. »Äh … das mit den ›Kriminesern‹ hatten die Kollegen in Sankt Johann natürlich nur scherzhaft gemeint, Herr Kommissar«, fügte er rasch hinzu. Merana lächelte. »Na gut, Inspektor Kritzer. Wenn es Ihnen derart Freude bereitet, dann bleiben Sie da. Ich hoffe, es wird für die ›Krimineser‹ eher eine ruhige Nacht werden.«
Er zumindest erwartete sich einen angenehmen Abend zu Hause. Er würde sich das Forellenfilet zubereiten. In Weißwein-Rahm-Soße. Darauf freute er sich. Später würde er wohl noch mit der Großmutter telefonieren. Er war schon fast aus dem Raum, als er die Stimme des jungen Mannes hinter sich hörte. »Wenn heute Abend tatsächlich wenig los ist, wie Sie vermuten, Herr Kommissar, kann ich mir dann die Sendung anschauen? Selbstverständlich nur nebenbei. Meine volle Konzentration gilt in jedem Fall dem dienstlichen Geschehen.«
Merana blieb in der geöffneten Tür stehen. »Welche Sendung?« Im Gesicht des jungen Polizisten erschien ein Ausdruck von Verwunderung.
»Ich meine natürlich die Sendung, der wir alle schon entgegenfiebern. Das Finale der großen Weihnachts-Show The Golden Christmas Tree wird heute live im Fernsehen übertragen.«
Ach, das meinte der junge Kollege. Dass wegen dieser Show das halbe Land verrücktspielte, hatte Merana schon mitbekommen. Ihn ließ das eher kalt. Er interessierte sich generell nicht für Fernseh-Shows. Selbst dann nicht, wenn sie direkt aus Salzburg gesendet wurden. Das Einzige, was er im Zusammenhang mit der TV-Produktion zu tun hatte, war, seine Unterschrift auf eine Dienstanweisung zu setzen. Jemand von der Polizei sollte bei der Show anwesend sein, darum hatten die Fernsehverantwortlichen ersucht. So wie bei jeder Live-Show mit Publikumsbeteiligung. Merana hatte eingewilligt, dass Kontrollinspektorin Beate Trapp diese Aufgabe übernahm.
»Was ist an dieser Sendung so besonders, Herr Inspektor Thomas Kritzer?«
Dem aufgeweckten, jungen Beamten fiel gar nicht auf, dass ihn der Kommissar mit vollem Namen und Dienstgrad ansprach.
»Herr Kommissar, drei Leute treten im Finale an. Sie kommen aus den drei beteiligten Ländern. Die österreichische Finalistin ist eine Frau. Sie kommt aus Salzburg. Und zwar aus meiner Heimatgemeinde, aus Mühlbach am Hochkönig im Pongau.« Seine aufgeregte Stimme überschlug sich fast. »Von Heidemarie Schattauer haben schon vorher einige Leute Erfreuliches gehört. Immerhin ist sie eine gefragte, viel beschäftigte Landschaftsgärtnerin. Aber seit sie in der Sendung zum Wettbewerb antrat, kennen sie Millionen Menschen in ganz Europa. Wenn unsere Heidemarie am Schluss gar als große Siegerin hervorgeht, dann steht nicht nur ganz Mühlbach Kopf. Dann jubelt das ganze Land. Nicht nur wegen der 100.000 Euro, die man gewinnen kann. Sollte unserer Kandidatin der Sieg gelingen, wäre das eine Ehre für ganz Österreich.« Den letzten Satz hatte er mit Stolz in der Stimme fast herausgeschmettert. Inspektor Kritzer hatte sich dazu sogar erhoben. Merana bemühte sich, das aufkommende Schmunzeln zu unterdrücken. Dieser junge Mann zeigte wohl in allen Bereichen auffälligen Eifer. Nicht nur bei der Polizeiarbeit.
»Unsere Heidemarie hat schon in den Vorrunden bewiesen, dass sie wirklich alles über Weihnachten weiß. Sie kennt jedes Detail dazu.«
»Na, dann will ich schon alleine für Sie und ganz Mühlbach hoffen, dass die gute Frau auch tatsächlich gewinnt.«
Er war schon an der Tür, hielt inne. Er wandte sich nochmals um.
»Haben Sie heute Namenstag?«
Der junge Mann blickte ihn leicht verwirrt an. »Äh, das weiß ich gar nicht.« Unschlüssig hob er die Hände, ließ sie wieder sinken. »In unserer Familie wird auf Namenstage kaum Wert gelegt. Ich glaube, meine Mutter sagte einmal, Thomas stünde im Namenskalender irgendwann im Jänner …« Merana hob ein wenig theatralisch die Arme, schlug einen professoralen Ton an. »Das bezöge sich dann auf den heiligen Thomas von Aquin. Er war ein bedeutender Kirchenlehrer. Zeigte sich aber eher als einflussreicher Theoretiker, dem es genügte, ungemein viele Schriften zu verfassen.« Er ließ die Arme sinken, lächelte seinem Gegenüber direkt ins Gesicht. »Sie, Inspektor Thomas Kritzer, haben sich uns eher als Praktiker gezeigt, der sich nicht mit Theorien abgibt, sondern bestrebt ist, sich mit Eifer und Neugierde selbst ein Bild von den Zusammenhängen zu machen. Deshalb denke ich, dass Sie heute Namenstag haben.«
Die Verwunderung stand immer noch groß im Gesicht des jungen Mannes. »Äh, ich wusste gar nicht, dass heute auch Thomas im Kalender steht.«
Merana kam ein paar Schritte näher. »Ja, heute ist Thomas. Es gibt den Thomastag und die Thomasnacht. Noch nie davon gehört?« Verunsichert schüttelte der junge Inspektor den Kopf. Na, da hätte die Weihnachtsexpertin Heidemarie Schattauer aus Mühlbach am Hochkönig an diesem Mitbürger ihrer Heimatgemeinde wohl so manches aufzuholen, lächelte Merana in sich hinein. 21. Dezember, Wintersonnenwende. Die Thomasnacht ist die längste Nacht des Jahres. Erst danach wird das Licht wieder stärker. In manchen Gegenden gilt die Thomasnacht auch als die erste Raunacht.
»Der 21. Dezember bezieht sich nicht auf Thomas von Aquin, sondern auf Thomas, den Apostel«, führte Merana aus. »Der Apostel Thomas zeigte sich, so würden wir Krimineser das gewiss sehen, als strebsamer Ermittler. Die Aussagen von Zeugen allein genügten ihm nicht. Der gewissenhafte Ermittler Thomas verlangte Beweise, um ganz sicherzugehen.«
»Äh, ich kann mich leider kaum an den Religionsunterricht in der Schule erinnern. Aber eines weiß ich schon: Es gab zwölf Apostel.«
»Ganz richtig«, lobte Merana und lächelte anerkennend. »Gemäß Johannesevangelium erschien Jesus nach seiner Auferstehung den versammelten Aposteln. Thomas war nicht dabei. Als ihm die anderen davon berichteten, betonte Thomas, er glaube erst, dass die von den anderen wahrgenommene Erscheinung tatsächlich der Herr war, wenn er die Male der Nägel des Gekreuzigten sehen und mit dem Finger die von der Lanze verursachte Wunde berühren könne. Acht Tage später erschien Jesus erneut. Und der Ermittler Thomas erhielt seine Beweise.«
»Was Sie alles wissen, Herr Kommissar«, staunte der Inspektor. Merana winkte ab.
»Es gibt eine ganze Menge, von dem ich nicht die geringste Ahnung habe. Aber ich bin davon überzeugt, dass Sie dem neugierigen Apostel Thomas weitaus näherstehen als dem theoriegeschulten Kirchenlehrer. Deshalb, Inspektor Kritzer, sage ich: alles Gute zum heutigen Namenstag. Das mit Fernsehsendung sehen müssen Sie mit Abteilungsinspektor Braunberger besprechen. Der kommt in einer Stunde.«
*
Sonntag, 21. Dezember, 20 Uhr
»Achtung, die Drei. Schwenk, über die Jury. Langsam. Und zwar. Jetzt.« Die Anweisungen der Regisseurin kamen präzise. Mit ruhiger, aber fester Stimme, so wie es das Team von Jordanka Kostic gewohnt war. »Ella, vorbereiten, Spiegelhalder in der Großen. Achtung, Damian …« Diese Anweisung richtete sich an den Bildmeister. »Davor Publikum, Halbtotale von der Vier. Jetzt …« Alle Beteiligten im mobilen Regieraum der Übertragungseinheit richteten die Augen auf die Kontrollmonitore. Einige Personen aus den ersten zwei Publikumsreihen im Saal waren halb schräg von der Seite auszumachen. Unter ihnen war auch der Landeshauptmann zu erkennen.
»Der Herr Landeshauptmann lässt euch beste Grüße ausrichten.« Mit diesen Worten hatte die Senderchefin ihr Fernsehteam vor knapp einer Stunde begrüßt. Virginia Muhr war kurz im hochmodernen, erst vor zwei Monaten angeschafften großen Übertragungswagen aufgetaucht. »Er sei fest davon überzeugt, fügte der Herr Landeshauptmann noch extra hinzu, dass uns eine perfekte Übertragung gelingen werde. Millionen von Zusehern da draußen in Europa, setzte er noch extra hinzu, würden dann mit äußerster Begeisterung feststellen, dass Salzburg wahrlich Großes zu leisten imstande ist.«
»Ich hoffe«, hatte der Bildmeister spöttisch erwidert, »Sie haben dann wenigstens den Versuch unternommen, dem Herrn Landeshauptmann klarzumachen, dass ihm die angesprochenen vielen Millionen gar nichts nützen werden. Denn die können bei der nächsten Landtagswahl nicht ihre Stimme für ihn abgeben, weil sie gar nicht in Salzburg zu Hause sind, sondern eben weit entfernt da draußen in Europa.«
Einige im Team hatten gelacht. Auch die Senderchefin hatte die Bemerkung amüsiert. »Nein, geschätzter Herr Bildmeister, ihn darauf hinzuweisen, habe ich doch glatt vergessen.«
»Na ja«, hatte daraufhin die Regisseurin den spöttischen Tonfall aufgegriffen, »auch Senderchefinnen sind nicht perfekt.« Darauf hatte sie in die Runde gewiesen. »Es genügt, wenn wir es sind. Also, Leute, reißt euch am Riemen!«, hatte sie geklatscht. »Perfekte Teamarbeit ist gefragt.«
»Weil der Herr Landeshauptmann das erwartet?«, hatte Oberthal gespielt neugierig gefragt.
»Weil die Frau Senderchefin es vielleicht will?«, hatte die Kollegin an den Tonreglern bewusst unschuldig hinzugefügt.
»Nein!«, hatte Jordanka sich pathetisch in Szene gesetzt. »Weil ich es so will. Ich, eure Regisseurin! Also dann: napred!«
Einige aus dem Team hatten spaßeshalber salutiert. »Sehr wohl, Frau Generalin.« »Napred« bedeutete »vorwärts«. Diese Aufmunterung streute die aus Serbien stammende Regisseurin gelegentlich bei ihren Anweisungen ein.
Virginia Muhr hatte darauf beschwichtigend die Arme gehoben. »Dann zieht sich eure Senderchefin jetzt zurück. In jedem Fall: toi, toi, toi!«
»Wird schon schiefgehen«, hatte der Bildmeister gebrummt. Die Regisseurin war der Chefin noch schnell nach draußen gefolgt. »Virginia, ich gehe davon aus, du hast es ihm noch nicht gesagt.« Die Senderchefin hatte sich erstaunt umgewandt. »Natürlich nicht, Jordanka. Wo denkst du hin? Das wäre äußerst unprofessionell.«
»Wann sagst du es ihm? Erst nach Weihnachten?«
»Nein, so lange will ich nicht warten. Ich bestelle ihn für morgen zu mir ins Büro. Wie war er bei der Probe?«
»Schlecht. So wie in letzter Zeit meistens. Mit seinem aufdringlichen Ich-bin-der-Star-Getue versucht er, Peinlichkeiten zu überspielen.«
»Hast du Bedenken, dass er womöglich die Sendung schmeißt?« Die Senderchefin hatte besorgt geklungen.
»Nein, Virginia, mach dir darüber keine Gedanken. Ich habe ihn schon im Griff. Wir haben bei den Proben alles bis ins Kleinste exakt festgelegt. Jede Geste, jeden Schritt, jeden Satz. Das wird funktionieren.«
»Gut, Jordanka, wollen wir es hoffen. Ich muss jetzt schnell hinüber in den Saal. Ich habe vor der Show mit ein paar Wichtigtuern zu reden.«
»Ich kann mir vorstellen, wie Alex reagieren wird, wenn du es ihm sagst, Virginia. ›Na gut‹, wird er sich aufplustern, ›dann gehe ich eben zu einem anderen Sender und sorge dort für beste Einschaltquoten.‹«
»Da wird er sich täuschen, der gute Alex«, hatte Virginia Muhr ihr entgegnet. »Kein anderer Sender wird ihn nehmen. Dafür werde ich schon sorgen.«
Kostic war daraufhin noch kurz draußen geblieben, hatte nachgedacht. Dann war sie in den Regieraum der Übertragungseinheit zurückgekehrt. Das war eine Stunde vor Beginn der Sendung gewesen. Jetzt waren sie schon mittendrin.
»Achtung, die Große von Kamera drei. Jetzt.«
Auf dem mittleren Kontrollmonitor erschien in Großaufnahme das Gesicht des Kandidaten aus Deutschland. Sebastian Spiegelhalders Stirn glänzte. Das war trotz der aufgetragenen Schminke deutlich auszumachen. Der deutsche Finalist verschwendete sicherlich keinen Gedanken daran, dass er groß im Bild war. Immerhin warteten Millionen Fernsehzuschauer gespannt darauf, für welchen der drei Weihnachtsbäume er sich entscheiden würde.
»Ich nehme den roten«, wisperte er. Dann räusperte er sich, wiederholte laut: »Den roten bitte.« Jetzt kamen die anderen beiden Finalisten ins Bild. Die österreichische Kandidatin entschied sich für den weißen. Für Noah Vättis aus der Schweiz blieb somit der blaue. Vättis hatte im aktuellen Zwischenstand die wenigsten Punkte. Sebastian Spiegelhalder als derzeit Führender hatte als Erster Weihnachtsbaum und Farbe wählen dürfen.
»Die Kandidaten haben sich entschieden. Wohl denn, hoffen wir, dass die himmlische Schar der Weihnachtsengel für jeden der drei die Daumen ganz fest drückt.« Die Stimme des Moderators bekam einen schmelzenden Tonfall, erinnerte ein wenig an dickflüssiges, ausrinnendes Öl. »Hier kommen die Kuverts mit den Fragen.« Eine weiß gekleidete Assistentin mit flauschigen Engelsflügeln stöckelte langsam mit einem Silbertablett auf ihn zu. Drei Umschläge waren darauf zu erkennen. Ein roter, ein weißer, ein blauer.
Gestartet war die weihnachtliche Show vor zwei Wochen mit der ersten Sendung aus der Schweiz. Neun Kandidaten waren angetreten, drei aus jedem Land, fünf Frauen und vier Männer. Am Schluss der ersten Sendung waren drei ausgeschieden, sechs kamen weiter. Die zweite Show fand in Nürnberg statt, in der Stadt mit dem wohl weltweit bekanntesten Weihnachtsmarkt. Der Christkindlesmarkt von Nürnberg ist eine Attraktion für jährlich zweieinhalb Millionen Besucher aus der ganzen Welt. Einige der Fragen bezogen sich auch direkt darauf. Nach der zweiten Sendung blieben dann jene drei Kandidaten über, die nun im großen Finale um den Sieg wetteiferten. Für die Schweiz ging Noah Vättis ins Rennen, ein Pensionist aus Luzern. Fast 30 Jahre lang war er für ein namhaftes Elektrounternehmen als Abteilungsleiter tätig gewesen. Heidemarie Schattauer, eine stattliche dunkelhaarige Frau Mitte 40, trat für Österreich an. Und für Deutschland hatte sich Sebastian Spiegelhalder aus dem Schwarzwald bis ins Finale gekämpft. Er hatte sich als Computerexperte bei der Bundesbahn und leidenschaftlicher Marathonläufer vorgestellt. Alle drei kamen aus unterschiedlichen Berufen. Aber sie hatten eines gemeinsam: Sie interessierten sich in ihrer Freizeit intensiv für alles, was mit Weihnachten zu tun hatte. Das reichte von weihnachtlichem Essen über aktuelle Weihnachtslieder-Hitparaden bis zu Bräuchen rund um Weihnachten auf der ganzen Welt. Der Titel der Show bezog sich auf den Hauptpreis. Die begehrte Skulptur durfte der Sieger oder die Siegerin am Schluss der Show in Händen halten. The Golden Christmas Tree diente nur als Symbol. Die Skulptur blieb im Besitz des Hauptsponsors. Wer bei The Golden Christmas Tree den Sieg davontrug, bekam dann 100.000 Euro in bar. Gesponsert wurde die Show von einer internationalen Handelskette mit Niederlassungen in über 30 Ländern. The Golden Christmas Tree fungierte in diesem Jahr als das Promotionssymbol des Unternehmens. Von Anfang an ging es bei der Show darum, dem Publikum Weihnachtliches in einer internationalen Gesamtschau näherzubringen. Von Weihnachtsmärkten bis Weihnachtsliedern. Von Orten, die gerade zu Weihnachten eine besondere Rolle spielten, bis zu Weihnachtsbräuchen. Von weihnachtlichen Ritualen in den Familien bis zum Hauptanliegen des Sponsors: Weihnachtsgeschenke erwerben und damit Freude bereiten. Dass die finale Sendung in Österreich stattfinden würde, war von Beginn an festgestanden. Als Schauplatz wurde Salzburg gewählt. Immerhin kam das weltweit bedeutendste Weihnachtslied, Stille Nacht, direkt aus Salzburg. Erstmals war das Lied am Heiligen Abend 1818 in Oberndorf zu hören, einem kleinen Ort im Salzburger Land. Veranstaltungen wie das Salzburger Adventssingen, lokale Weihnachts- und Christkindlmärkte in Salzburg waren weit über die Grenzen hinaus bekannt. Und mit dem großen Festspielhaus verfügte Salzburg zudem über eine prominente Spielstätte. Dass das Finale der Show direkt aus diesem bedeutenden, weltweit bekannten Kulturtempel übertragen wurde, war von Anfang an ausdrücklicher Wunsch des Sponsors gewesen. Begonnen hatte die heutige Finalsendung auch mit kurzen Ausschnitten aus verschiedenen Salzburger Adventsveranstaltungen. Dazu waren Hirtenkinder live auf der Bühne des Großen Festspielhauses erschienen. Sie hatten eine kleine Szene vorgeführt. Dabei wurde auch gesungen. Begleitet wurden die Hirtenkinder von einem Bläserensemble, gekleidet in Salzburger Tracht. Bald gesellten sich zwei bekannte Musicalsängerinnen dazu. Die beiden hatten beliebte Weihnachtsschlager angestimmt. Sie sangen in deutscher und englischer Sprache. Die Stimmung war poppig, mit Anklängen aus Rock und Jazz. Auch das war dem Sponsor und den Sendungsverantwortlichen von Anfang an wichtig gewesen. Die Show The Golden Christmas Tree sollte beides ausstrahlen: internationales Flair und modernes Zeitgefühl genauso wie familiäres Miteinander bei weihnachtlichen Bräuchen und weihnachtlichen Besonderheiten in den verschiedenen Regionen.
Genau von diesem Stimmungsmix waren auch die Fragen und Spiele geprägt, die die Kandidaten im Finale zu bestehen hatten.
»Achtung, die Fünf. Linker Christbaum. Halbtotale. Schwenk zur Bühnenmitte auf Alex,« kommandierte Jordanka Kostic in der Regie. Die Kamera erfasste den Moderator.
»Meine sehr geehrten Damen und Herren hier im Publikum«, begann der Sendungsmoderator. Plötzlich eilte Alex Bramm zum vorderen Rand der Bühne. Die Kamera verlor ihn für einen Moment aus dem Bild.
»Verdammt, was macht er jetzt?«, blaffte die Regisseurin. Die Kamera hatte den Moderator schon wieder im Bild. »Und ich will an dieser Stelle hinzufügen«, Alex Bramm breitete weit die Arme aus, »ein herzliches Grüß Gott an euch, liebe Kinder, hier im Saal.«
»Der Teufel soll ihn holen«, fluchte Kostic, »das war so nicht ausgemacht.« Sie wirbelte herum. »Kamera drei und vier. Schnell. Kinder im Saal zeigen.«
Kamerafrau Ella Kunert brauchte nur ein paar Sekunden, um Kinder in der fünften Reihe zu erspähen.
»Danke, Ella, perfekt«, lobte die Regisseurin. Auch der Bildmeister reagierte schnell. Schon erschienen mehrere Ausschnitte mit neugierig blickenden Kindergesichtern auf dem zentralen Monitor in der Regie und auf den TV-Bildschirmen in Millionen Haushalten europaweit.
»Auch ihr, liebe Kinder, werdet erstaunt sein, wer jetzt gleich zu uns auf die Bühne kommt.« Schwungvoll ließ Bramm den Arm nach hinten schnellen.
»Wir freuen uns auf unsere prominente Jury. Als Erste erwarten wir eine ganz junge Dame aus der Schweiz, aus dem Engadin. Wir begrüßen herzlich die Juniorenweltmeisterin in der nordischen Disziplin Skispringen, Tilda Flesch!«
Das Publikum begann frenetisch zu applaudieren. Die Sportlerin kam im leichten Laufschritt auf die Bühne. Bramm deutete eine Verbeugung an. Die Juniorenweltmeisterin im hellen Hosenanzug nahm am Jurytisch Platz.
»Jurymitglied Nummer zwei kommt aus Hamburg«, setzte Moderator Bramm fort. »Wir kennen sie alle von der Bühne, vom Film, aus dem Fernsehen. Ganz besonders lieben wir sie in ihrer Rolle als gewitzte Detektivin Clarissa Marder. Ich ersuche um gebührenden Applaus für Henny Rubler!«
Erneut wurde heftiges Klatschen laut, verbunden mit jubelnden Zurufen aus den hinteren Publikumsreihen.
»Also mir gefiel der dunkle Hosenanzug besser, den sie bei der ersten Probe trug«, ätzte Bildmeister Damian Oberthal im Regieraum.
»Ich finde, dieses lässige blaue Kleid mit den seitlichen Taschen steht ihr auch gut«, konterte die Regisseurin.
»Bleibt noch als Dritter im Bunde ein Mann, den wir alle schon seit vielen, vielen Jahren schätzen«, flötete der Moderator weiter. »Unsere liebe Henny Rubler schätzt ihn auch als Ehemann. Er ist gebürtiger Salzburger. Auf ihn trifft die Bezeichnung zu, als wäre sie extra für ihn geschaffen worden. Gefeierter Publikumsliebling! Caspar Drollmann! Herzlich willkommen hier im Großen Festspielhaus, in deiner Heimatstadt!« Der Schauspieler kam herein im eleganten schwarzen Anzug.
»Was ist los, Leute?«, ließ sich Bildmeister Damian Oberthal im Regieraum vernehmen. »Da war ja bei der jungen Skisprungweltmeisterin mehr Zunder im Applaus.«
Die Regisseurin lachte. »Vielleicht ist hier im Finale nicht das richtige Publikum für den Publikumsliebling.«
»Liebe Henny«, flötete der Moderator auf der Bühne in Richtung der Schauspielerin, »du bist, wie wir alle wissen, mit deiner Rolle nominiert für den Kritiker-Fernsehpreis, die Große Diamantenklappe. Was denkst du, wie stehen deine Chancen?«
Rubler beugte sich vor, steckte die Hände in die seitlichen Taschen ihres Kleides. Offenbar machte sie auf kumpelhaft vertraulich. Dabei schaute sie augenzwinkernd ins Publikum.
»Was würde Clarissa wohl jetzt dazu sagen?«
»Abwarten, Likör trinken«, rief ein junger Mann aus den vorderen Reihen. Einige im Publikum lachten, applaudierten. »Abwarten, Likör trinken«, war eine der vielen beliebten Bemerkungen der Fernseh-Detektivin. Darauf warteten die Zuseher in jeder Folge. Clarissa Marder schenkte sich dann auch jedes Mal ihren geliebten Mandarinenlikör ein, begann, gemächlich daran zu nippen. Dabei versank sie in eine nachdenkliche Pose und wartete auf die entscheidende Eingebung. Die sich auch immer verlässlich einstellte. Worauf die Detektivin austrank und den Fall löste.
»Exakt, junger Mann.« Henny Rubler schickte dem Rufer eine Kusshand. »Und was würde Clarissa noch anmerken?«
»Verzwickter Fall. Aber am Schluss werde ich erfolgreich sein.« Diesen Standardsatz aus der Serie riefen gleich mehrere aus dem Publikum im Chor.
»Wunderbar«, übernahm wieder der Moderator. »Ich bin sicher, das Publikum ist so wie ich fest davon überzeugt. Du wirst bei der Verleihung der Großen Diamantenklappe erfolgreich sein.«
»Dann trägt sie hoffentlich ein glanzvolleres Outfit«, kommentierte der Bildmeister. »Also ich finde, dieser blaue Fetzen steht ihr gar nicht.«
Der Moderator auf der Bühne erklärte nun die Rolle der Experten. Auch die waren von Anfang an dabei. Regula Rossi aus dem Tessin war mehrfache Buchautorin zum Themenbereich »Internationale Feste und Bräuche«. Neben ihr saß ein Herr in grauem Anzug. Die dunkle Professorenbrille unterstrich die würdevolle Erscheinung. Das war Fridolin Hankberg von der Universität Göttingen, Professor für europäische Ethnologie. Als Dritter im Bunde präsentierte sich ein etwa 50-jähriger bärtiger Mann im Trachtenjanker. Vinzenz Breitfelder aus Salzburg war ausgewiesener Fachmann für alpenländische Bräuche. Mit der Präsentation des Silbertabletts, das jetzt im Bild war, stieg die Spannung. Jedem im Saal und auch den meisten an den Fernsehgeräten war klar: Jetzt strebte die Show ihrem Höhepunkt zu.
»Kamera eins. Nimm die Kuverts groß ins Bild«, ordnete Jordanka Kostic an. »Dann aufziehen. Achtung Kamera zwei, gleich im Gegenschuss alle drei Kandidaten in der Totalen. Jetzt.«