Christoph Werner - Martin Seiwert - E-Book

Christoph Werner E-Book

Martin Seiwert

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Beschreibung

"Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein." (dm) - Der vierte Band der beliebten WiWo-Reihe "Mein Leben, meine Firma, meine Strategie" Die Buchreihe "Mein Leben, meine Firma, meine Strategie" porträtiert herausragende Unternehmerinnen und Unternehmer, die in ihren Branchen einen bedeutenden Beitrag geleistet haben – von den Patriarchen etablierter Familienunternehmen bis hin zu aufstrebenden Köpfen der Gründerszene. Die Autoren der WirtschaftsWoche schreiben nicht über sie, vielmehr lassen sie die Unternehmer selbst zu Wort kommen. Jeder Band ist einer Persönlichkeit gewidmet, die sich in mehreren Gesprächen den Fragen der Autoren stellt. Die Interviews über Erfolge, Krisen, Verantwortung, Führung und unternehmerischen Mut zeichnen ein authentisches Bild der Unternehmer. Sie zeigen auch den Menschen hinter dem Firmenlenker: seinen Blick auf sich selbst, seine Familie und die Gesellschaft. Der vierte Band der Reihe widmet sich Christoph Werner, dem Chef der Drogeriemarktkette dm. Der größte Drogeriehändler Europas ist für die kluge, nachhaltige und mitarbeiterzentrierte Unternehmensführung weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Begründer dieses Erfolgs war Christoph Werners Vater, Götz Werner, der als Management-Genie gefeiert wurde. Christoph Werner erzählt von seiner Kindheit zwischen Drogeriemarktregalen, Erfolge inmitten von Wirtschaftskrisen und sein wichtigstes Erfolgsgeheimnis: Tiefer Respekt für seine über 71.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 

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Hauke Reimer (Hg.), Martin Seiwert

Christoph Werner

Mein Leben, meine Firma, meine Strategie

Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft. Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Ein Hinweis zu gendergerechter Sprache: Die Entscheidung, in welcher Form alle Geschlechter angesprochen werden, obliegt den jeweiligen Verfassenden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-96739-157-2

ISBN epub: 978-3-96740-310-7

Umschlaggestaltung: Martin Zech, Bremen | www.martinzech.de

Coverillustration: Nigel Buchanan

Beratung Coverillustration: Patrick Zeh, Düsseldorf

Bildredaktion: Patrich Schuch, Düsseldorf

Satz und Layout: Lohse Design, Heppenheim | www.lohse-design.de

© 2023 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2023 erschienenen Buchtitel “Mein Leben, meine Firma, meine Strategie” von Christoph Werner ©2023 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

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Inhalt

Vorwort

ERSTES KAPITELDie Ursprünge

Am Anfang stand der Vater

Väter und Söhne

Familienleben in den 70er- und 80er-Jahren

Umbrüche: Filialen an die Macht

ZWEITES KAPITELDer Mensch Christoph Werner

Auf der Waldorfschule

Zwischen dm-Regalen

Auf dem Weg in die Nachfolge

Mit Kritik umgehen

Kindheit in einem Multimillionärshaushalt

Step by step – die beruflichen Stationen

Vom Geschäftsführer zum Vorsitzenden der Geschäftsführung

Eigene große Weichenstellungen

Bruch mit Alnatura: aus Zitronen Limonade machen

DRITTES KAPITELDas Unternehmen

50 Jahre dm: mit neuem Schwung an die Kulturarbeit

Mit drogistischer Kompetenz: die Regale füllen

Zukunftsmarkt Gesundheit

Produktauswahl: zwischen Kundenbedürfnissen, Kommerz und Verantwortung

Markenpolitik und Preispolitik

Außendarstellung und Werbung

Online-Handel und stationärer Handel

Neue Märkte

Ein typischer Christoph-Werner-Tag

Für die Menschen da sein

VIERTES KAPITELGesellschaftliche Herausforderungen

Das bedingungslose Grundeinkommen: für die Würde des Menschen

Klimaschutz: durch technische Lösungen

Russlands Angriff auf die Ukraine

Hier bin ich Mensch …

Zeittafel: 4000 Filialen in 50 Jahren

Über die Autoren

Bildnachweis

Vorwort

»Wie gründe ich erfolgreich – und wie schaffe ich es, dann nicht wieder abzusteigen?« Allgemeingültig beantworten lässt die Frage sich nicht, dazu sind die Bausteine des Erfolgs zu verschieden. Und doch funktionieren Gründung und Expansion nach Gesetzen, die sich in vielen Aufsteigergeschichten wiederholen. Diesen Regeln des richtigen Handelns will die WirtschaftsWoche mit der Buchreihe Mein Leben, meine Firma, meine Strategie nachspüren. Prominente Unternehmerpersönlichkeiten, die Außergewöhnliches geschaffen haben, berichten über Höhen und Tiefen, ihre Stärken und Schwächen, ihre Tops und Flops. So kommen Nahaufnahmen von Menschen zustande, die sich sonst nur einem engen Kreis Vertrauter öffnen – und der Familie, die sehr oft den Geist eines Unternehmens prägt. Der Familie, die antreiben und motivieren kann, aber auch bremsen oder gar ruinieren. Das Muster ist bekannt, seit Thomas Mann und seinen Buddenbrooks: Die erste Generation gründet, die zweite treibt die Firma in neue Dimensionen, die dritte erledigt sie, verschleudert das Vermögen. In der Drogerie-Dynastie der Werners von dm, deren Mitglieder schon immer ihren eigenen Weg gingen, sah und sieht das ganz anders aus: Die erste Generation stagnierte geschäftlich, die zweite gründete neu und machte die Firma groß, die dritte führt sie in neue Dimensionen. So lassen sich die Rollen umreißen, die Christoph Werners Großvater, der Vater Götz Werner und er selbst für das Unternehmen spielen. Ein derart unverkrampfter Umgang mit dem firmenprägenden Patriarchen und Vater, so wie Christoph Werner ihn hier offenbart, ist in Familienunternehmen eher die Ausnahme. Möglich nur, wenn die Rolle im Unternehmen nicht auf dem Status Sohn beruht, sondern auf eigener Leistung. Werner hat in internationalen Konzernen Karriere gemacht, ehe er sich der Firma des Vaters annäherte und dann mit gesundem Selbstbewusstsein an die Arbeit ging. In diesem Interviewband wird deutlich, wie er dm fortentwickelt und prägt, das Unternehmen internationalisiert und ins digitale Zeitalter führt. Er skizziert Erkenntnisse und Lösungen, die vielen in der Wirtschaft weiterhelfen dürften, nicht nur im hart umkämpften Handel. WirtschaftsWoche-Redakteur Martin Seiwert hat mit Christoph Werner dazu mehrmals lange Gespräche geführt, in denen dieser so manches Geheimnis der noch lange nicht letzten dm-Generation enthüllte.

Hauke Reimer

Das Unternehmen dm – das sind 4000 Drogeriemärkte in 14 Ländern. Ein Branchenführer, überhäuft mit Preisen, etwa für vorbildliches Management, größte Beliebtheit als Arbeitgeber oder höchstes Kundenvertrauen. Und das ist Götz Werner, der 2022 verstorbene Gründer. Er war Spross einer erfolgreichen Drogistenfamilie und doch musste er nach einem Zerwürfnis mit dem Vater bei null anfangen. Was mit seinem ersten Markt in Karlsruhe und einer Handvoll Mitarbeiter begann, ist 50 Jahre später Europas größte Drogeriekette mit 72.000 Mitarbeitern.

Werner startete als Querkopf, der mit dem Discounter-Prinzip die Branche umkrempelte, machte weiter als Querdenker, der wie kaum ein anderer das Unternehmertum neu dachte, und war zuletzt ein gefragter Vordenker in gesellschaftlichen Fragen. Das sagt sein Sohn, Christoph Werner, voller Respekt, nicht aber in blinder Verehrung. Der Sohn wurde 2011 Mitglied der dm-Geschäftsführung, 2019 Vorsitzender der Geschäftsführung. Er geht in den Fußstapfen seines Vaters, wo es sinnvoll ist, sucht aber neue Wege, wo es nötig ist. Getreu dem Credo von Götz Werner: »Koninuität und Kreativität«.

ERSTES KAPITEL

Die Ursprünge

Am Anfang stand der Vater

Herr Werner, für einen Gesprächsbeginn ist es ein ungewöhnliches Thema. Trotzdem möchte ich mit dem Tod beginnen, dem Tod Ihres Vaters Götz W. Werner, der im Februar 2022 gestorben ist. Er fehlt als der Gründer und Inspirator von dm, als Gesicht des Unternehmens und natürlich als Mensch. Wie geht es Ihnen heute damit?

► Der Tod meines Vaters ist ein Einschnitt für mich. Ich denke, jeder, der bereits einen Elternteil verloren hat, kennt dieses Gefühl. Es fällt auch mir nicht leicht, damit umzugehen, weil ich mit der Tatsache vertraut werden muss, dass sein Leben nun abgeschlossen und nicht mehr veränderlich ist. Solange er noch lebte, konnten Dinge besprochen werden, konnten besser verstanden werden, gemeinsame Fragestellungen konnten bewegt werden. Jetzt ist das Buch des Lebens zugeschlagen, es kann nicht mehr weitergeschrieben werden. Es bleibt mir nur noch die Interpretation dieses Buches. Das fühlt sich alles plötzlich sehr anders an für mich. Das habe ich bei meiner bereits verstorbenen Mutter so empfunden, bei verstorbenen Freunden und nun eben auch bei meinem Vater.

Wie hat der Tod das Unternehmen verändert?

► Mein Vater hat das Unternehmen sehr stark geprägt, vor allem durch die Führungsprinzipien und die Strategien, die er entwickelt und dann auch mithilfe der Menschen in der Arbeitsgemeinschaft sehr kraftvoll umgesetzt hat.

»Ich finde es großartig, sich aus kleinen Anfängen heraus immer größere Wirkfelder zu erschließen.«

Götz (links) und Christoph Werner 2017 auf der Beautymesse »Glow«

Sie sprechen von »Arbeitsgemeinschaft«, meinen damit die Belegschaft. Auch das ist ein Erbe Ihres Vaters: neue Begriffe, die eine andere Haltung zeigen.

► Ja, so hat er dm unnachahmlich geprägt. Auch wenn mein Vater in den letzten Jahren bei Entscheidungen im Unternehmen meistens gar nicht mehr dabei war, so war er doch für uns immer präsent. Was wir gemacht haben, haben wir immer noch unter zumindest gedanklicher Einbeziehung meines Vaters gemacht. Er war eine Autorität im Hintergrund …

…die nun nicht mehr da ist.

► Es fühlt sich an, als hätten wir die bisherigen Führungsschienen hinter uns gelassen. Jetzt müssen wir die Entscheidungen einzig und allein aus uns selbst heraus fällen.

Wird das Unternehmen nun ein anderes, als es unter Götz Werner war?

► Mein Vater ist 2008 aus der operativen Geschäftsführung ausgeschieden. Das Unternehmen hat sich schon seit diesem Zeitpunkt extrem verändert. Den Ansatz des Omni-Channel-Retailings, also den Verkauf über diverse Absatzkanäle, gab es damals noch kaum. Vor allem das Online-Geschäft hat sich erst seither entwickelt. Wir hatten damals zwar eine Website, aber wir haben dort keinerlei E-Commerce betrieben, es war nur ein Kommunikationskanal. Wir waren auch noch wesentlich kleiner. Und Schlecker – inzwischen vom Markt verschwunden – war damals noch ein einflussreicher, großer Marktteilnehmer. Wir hatten weniger Märkte, viel weniger Umsatz und waren in weniger Ländern präsent. Dadurch war die Komplexität der Organisation deutlich geringer. Also: Wir waren ein anderes Unternehmen. Trotzdem aber gelten die Grundsätze, die mein Vater geprägt hat, größtenteils bis heute. Sie sind lebendig, finden teilweise aber vor dem Hintergrund der Anforderungen der Zeit neue Ausdrucksweisen.

Wäre Ihr Vater stolz, dass viele seiner Regeln noch nicht über den Haufen geworfen wurden? Oder würde er kritisieren, dass dm heute nicht innovativ genug sei?

► Mein Vater hat Grundsätze geprägt, damit sie möglichst lange Orientierung geben. Aber er wollte auch, dass sie ständig überprüft und, wenn nötig, verändert werden. Ich denke, das tun wir.

»Kontinuität und Kreativität« nannte er das Prinzip.

► Ja, das war einer dieser Grundsätze. Kontinuität war ihm wichtig. Zum Beispiel, dass das Unternehmen immer auch von den Kunden als dm erkannt und als verlässlich erlebt wird. Oder Kontinuität bei den Prozessen, damit sie dann auch funktionieren. Wichtig war ihm aber eben auch die Kreativität. Dass man also immer nach Wegen sucht, Dinge besser zu machen. Deswegen hat er mitunter Schritte unternommen, die so groß waren, dass sie andere Menschen irritiert oder sogar verstört haben.

Ich war bei der Gedenkfeier für Ihren Vater. Da haben Sie gesagt, er habe sich vom Querkopf über den Querdenker zum Vordenker entwickelt.

► Diese Entwicklung war wirklich etwas, das ihn ausgezeichnet hat. Dem Querkopf Götz Werner ging es darum, die Dinge anders zu machen als bislang üblich. Er spürte, dass es auch anders gehen würde, und er hat sich deshalb gegen Etabliertes aufgelehnt. Als Querdenker (im ursprünglichen Sinne!) ist es ihm dann gelungen, Impulse für Perspektivenwechsel zu geben, um andere Lösungen als die bisher bekannten denken zu können. Und schließlich übernahm er die Rolle des Vordenkers, der nicht nur das Bestehende umdenkt, sondern aus der Zukunft, vom Ende her denkt und neue Wege weist.

Aus diesen Worten spricht Bewunderung.

► Ich finde es großartig, wenn es im Leben gelingt, aus kleinen Anfängen heraus sich immer größere Wirkfelder zu erschließen. Und das ohne Verbissenheit. Mein Vater hat das alles nicht erzwungen. Es ist auf ihn zugekommen. Zum Beispiel hat er im letzten Drittel seines Lebens unglaublich viele Vorträge gehalten. Es kamen einfach so viele Menschen auf ihn zu mit dem Wunsch, dass er einen Vortrag halte.

»Auszeichnungen werden schnell zu einem süßen Gift.«

Posthume Aufnahme von Götz Werner in die »Hall of Fame der Familienunternehmer« mit

Handelsblatt

-Chefredakteur Sebastian Matthes (links) und Christoph Werner

Warum dieses Interesse an ihm? Wie erklären Sie sich das?

► Ich glaube, er hat Menschen auf eine Art und Weise angesprochen, die Hoffnung und Zuversicht auslöst hat. Es gibt ja zweifellos auch viele Schattenseiten in der Wirtschaft. Die Wirtschaft wird deshalb oft als bedrohlich erlebt, als ein menschenfeindliches System. Mein Vater hat dm transformiert von einem Aldi für Drogeriewaren hin zu einem Unternehmen, das aus meiner Sicht sehr zu Recht den Slogan hat: »Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein.« Diese starke Leistung der Arbeitsgemeinschaft dm und dieses zugewandte Wesen meines Vaters, das hat die Menschen in ihrer Zuversicht bestärkt. Ich würde sogar sagen: Es hat sie berührt.

Was war das für ein Mensch, der hinter dieser Leistung und auch hinter dieser Botschaft steckte?

► Er war ein Mensch, der das faustische Prinzip für sich realisiert hat. Er hat es wirklich gelebt.

Also das rastlose Streben nach neuer Erkenntnis, die ständige Suche als Ziel.

► Es war gar nicht so, dass er diesem Prinzip unbedingt gerecht werden wollte. Es war einfach in ihm veranlagt. Er hat nie aufgehört, Dinge infrage zu stellen, nach dem Besseren zu suchen. Das kam vielleicht auch durch seine Kindheit, seinen Werdegang.

Inwiefern?

► Mein Vater wurde in eine Ehe geboren, die zerbrochen ist, als er noch ein Kind war. Dies zu einer Zeit, als eine Scheidung noch ein Makel war. Als Kind hatte er es somit nicht leicht. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, wenn Sie in Widerstände hineingeboren werden: Entweder Sie verlässt der Mut oder Sie entwickeln Willenskräfte, um damit klarzukommen. Mein Vater bezog seine Kraft aus der festen Überzeugung, dass es immer Wege gibt und dass die Suche danach nie aufhören darf.

Ihr Großvater war Drogist. Hat der kleine Götz davon geträumt, Drogist zu werden? Oder doch eher Feuerwehrmann?

► Ursprünglich wollte er Kapitän auf dem Neckar werden, denn die Schiffe, die durch Heidelberg fuhren, haben ihn fasziniert. Später aber hatte er dann tatsächlich den Berufswunsch Drogist. Er hat als Kind in der elterlichen Drogerie schon viel mitgearbeitet. Er hat sich dort ein zusätzliches Taschengeld verdient, mit dem er seine elektrische Eisenbahn weiter ausbauen konnte. Und so ging er dann also, in Abstimmung mit seinem Vater, ganz bewusst den Weg in Richtung Drogist. Er hat kein Abitur gemacht, sondern ging auf die Handelsschule und hat dann eine Drogistenausbildung bei einer befreundeten Drogerie in Konstanz gemacht.

Wenn jemand stirbt, dann befasst man sich oft noch einmal mit seinem Leben, geht vielleicht alte Briefe oder Fotos durch. Sie haben das auch getan, auch für die Vorbereitung der Gedenkfeier. Was haben Sie dabei über Ihren Vater gelernt?

► Es gab unglaublich viel Kondolenzpost. Auch von langjährigen Weggefährten meines Vaters. Sie haben in den Briefen geschildert, wie sie ihn erlebt haben, was ihn ausgezeichnet hat.

Und – was haben sie geschrieben?

► Sie haben einen Menschen beschrieben, der sehr klar und stringent sein konnte in seinen Überzeugungen, bis hin zur Kompromisslosigkeit. Der aber auch ganz anders, einfühlsam, voller Rücksicht, sein konnte. Mir kommt eine Geschichte in den Sinn, die ihn ganz gut charakterisiert. Mein Vater wirkte einst an der Organisation eines Kongresses mit und verpflichtete einen Redner, der bei den Zuhörern überhaupt nicht gut ankam. Mein Vater war danach echt sauer. Auf dem Rückweg traf er am Bahnhof den Geschäftsführer eines Unternehmens, bei welchem er damals Mehrheitsgesellschafter war. Mein Vater sah also den Geschäftsführer und setzte sich mit ihm in dasselbe Zugabteil und holte gleich die Bilanz des Unternehmens aus der Aktentasche. So übel gelaunt, wie er war, nahm er den Geschäftsführer wegen jeder einzelnen Position in die Zange. Es saßen auch ein paar Nonnen mit im Abteil, die den armen Geschäftsführer voller Mitleid ansahen. Nach dieser quälenden Zugfahrt stiegen die beiden in Karlsruhe aus, und meinem Vater muss gedämmert haben, wie er dem Mann zugesetzt hatte. Er legte ihm den Arm um die Schultern und sagte: »Tja, das Leben ist auch nicht immer leicht.« Daraufhin entschwand er gut gelaunt zum Ausgang. Das war typisch für meinen Vater: Er hatte verschiedene Seiten und hat Menschen immer wieder überrascht.

In der Öffentlichkeit wirkte es immer so, als wäre es die reinste Freude gewesen, für ihn zu arbeiten.

► Die Menschen, die ihn als humorvollen und zugewandten Menschen kennengelernt hatten, mussten erleben, dass er auch ein wirklich harter Geschäftsmann sein konnte. Die waren dann teilweise richtig schockiert. Wobei eine gewisse eiserne Konsequenz manchmal auch am Platze ist. In seinem späteren Leben wurde diese freundliche und zugewandte Art dominanter. Das lag sicherlich auch daran, dass er später operativ weniger in der Verantwortung war. Denn man darf nicht vergessen: Wenn Sie in der Gesamtverantwortung sind, dann haben Sie permanent Sorgen. Dann müssen Sie sich ständig mit Dingen befassen, die nicht funktionieren. Und es funktioniert ja vieles nicht, wenn man mal ehrlich ist.

Sie scherzen! Bei dm?

►(Lacht.) Ja, schon. Es funktioniert bei uns mehr, als nicht funktioniert, sonst würden wir uns kaum behaupten können. Trotzdem ist der Druck hoch für viele Verantwortliche und gerade für den Gesamtverantwortlichen. Das kann zu einer gewissen Härte führen. Mein Vater hat es trotzdem verstanden, die Dinge meist leicht zu nehmen. Oder zumindest schaffte er es, dass es nach außen so wirkte. In ihm sah es manchmal anders aus.

Väter und Söhne

Wie haben Sie das als Kind erlebt? Hat er den Stress mit in die Familie hineingenommen?

► Das können Sie von der Familie nicht komplett fernhalten, das geht gar nicht. Das Unternehmen ist automatisch immer Thema in der Familie. Ich habe den Druck schon gespürt, gerade auch wenn ich mit ihm in dm-Märkten unterwegs war. Ich bin als Kind und Jugendlicher oft mitgefahren zu seinen Filialbesuchen. Wenn wir nach der Zeit in einem dm-Markt wieder im Auto saßen, war die Anspannung immer noch da. Es lief meistens kein Radio, es war einfach still im Auto, und mein Vater dachte über das nach, was er gerade erlebt hatte und welche Schlüsse er daraus ziehen würde.

Sicher kein Vergnügen für ein Kind, so durch die Gegend zu fahren.

► Es war nicht immer amüsant. Aber ich bin trotzdem sehr gern mitgefahren, denn das hat mich alles sehr interessiert.

Ihr Vater stand also oft unter Strom.

► Ja, schon. Er hatte auch zeitlebens einen zu hohen Blutdruck. Das kommt nicht von ungefähr. Er hat deshalb ganz bewusst den Ausgleich gesucht. Er hat in späteren Jahren wieder mit dem Rudern begonnen und hat mit Mitte 30 gelernt, Querflöte zu spielen. Letztlich hatte auch seine Hinwendung zur Anthroposophie damit zu tun. Das war ja nicht, weil er irgendwann ein weltfremder Träumer geworden wäre. Er hat gemerkt, dass die Anforderungen ihn auf eine Art und Weise veränderten, die ihm nicht gefiel. Es reicht aber nicht, rein kognitiv zu reagieren, einfach zu sagen: Ich werde das nun anders machen. Man muss sich anderen Dingen aussetzen, sich mit anderen Dingen beschäftigen, um sich zu verändern.

»Er war eine Autorität im Hintergrund.«

Christoph Werner 2023 in seinem Büro in der Karlsruher Firmenzentrale »dialogicum«

Viele Familienunternehmer verspüren einen großen Druck, weil sie sich der Familie verpflichtet fühlen. Scheitern sie, dann nehmen sie ihren Kindern und Enkeln sozusagen das Unternehmen weg. War das bei Ihrem Vater auch so?

»Am Wochenende war er da. Ich saß dann oft auf seinen Schultern.«

Vater Götz Werner mit Sohn Christoph auf der Terrasse der Großeltern in Heidelberg

► Auch diesen Druck kannte er gut. Mein Vater war Teil der vierten Generation einer Drogistenfamilie. Es war damals immer die Rede davon, was wernersche Familientradition ist und wie man sie am besten bewahrt. Dieses ständige Betonen der Familientradition war ein Grund, warum mein Vater mit seinem Vater in der beruflichen Zusammenarbeit überhaupt nicht klargekommen ist. Er machte sich davon dann später ganz bewusst frei, ging seinen eigenen Weg und versuchte dann permanent, Dinge im Unternehmen zu hinterfragen, besser zu machen. Dieses bewusste Sichfreischwimmen von der Tradition hat letztlich das ganze Unternehmen dm geprägt. Dinge zu machen, weil man sie immer schon so gemacht hat, das ist bei uns sicher keine Maxime. Mein Vater hat irgendwann erkannt, dass das Geschäftsmodell meines Großvaters keine Zukunft mehr hatte. Schauen Sie mal, das ist eine Streichholzschachtel mit den beiden Werbeslogans meines Großvaters. (Zeigt auf dem Bildschirm des Computers ein Foto.)