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Mitte des 23. Jahrhunderts werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner. In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf... Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen - zuletzt den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht. www.AlfredBekker.de
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Seitenzahl: 1007
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Chronik der Sternenkrieger
Band 1 bis 8– Großband 1
von Alfred Bekker
Ein CassiopeiaPress E-Book
Die abweichenden Original-Printausgaben erschienen in der Romanreihe „Sternenfaust“
© 2005,2008,2012 by Alfred Bekker
© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich (Westf.)
www.AlfredBekker.de
1. digitale Auflage 2014 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956172120
Cover
Titel
Impressum
Band 1 Captain auf der Brücke
Band 2 Sieben Monde
Band 3 Prototyp
Band 4 Heiliges Imperium
Band 5 Der Wega-Krieg
Band 6 Zwischen allen Fronten
Band 7 Höllenplanet
Band 8 Wahre Marsianer
Lesen Sie außerdem:
Übersicht über die Serie "Chronik der STERNENKRIEGER"
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Mitte des 23. Jahrhunderts werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.
In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps, unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf…
Alfred Bekker schrieb die fesselnden Space Operas der Serie CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Im November 2012 erschien mit DER SOHN DER HALBLINGE sein nächster großer Fantasy-Epos bei Blanvalet.
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Etwa dreißig Raumschiffe hatten sich am Rand des Tridor-Systems versammelt und eine Kampfformation eingenommen, wie sie bei den Einheiten des Space Army Corps üblich war. Die Leichten Kreuzer und Zerstörer bildeten die Flanken, während sich die größeren und stärker bewaffneten Schweren Kreuzer im Innenbereich der Formation befanden. Im Zentrum richteten zwei Schlachtschiffe der Dreadnought-Klasse ihre Raumgeschütze aus. Die Flotte erwartete ihren weit überlegenen Feind, einen Verband von über vierzig Kriegsschiffen der vogelartigen Qriid. Ein Durchbruch dieser Raum-Armada wäre für die Menschheit einer Katastrophe gleichgekommen. Wenn die kriegerischen Aliens hier siegten, konnten sie tief in den Kernbereich des Verbundes der Humanen Welten eindringen.
Aber mit Verstärkung konnten die Verteidiger nicht rechnen… Die Qriid-Schiffe näherten sich und gingen sofort zum Angriff über. Schon trafen den ersten Zerstörer mehrere Traser-Strahlen in die Triebwerkssektion. Das Raumschiff wurde für Sekunden zu einem Glutball, der schließlich verlosch und nur einige wenige strahlenverseuchte Trümmerteile zurückließ…
*
Commander Rena Sunfrost schluckte. Die Anspannung war der 32-Jährigen deutlich anzusehen. Das fein geschnittene, von kurzem schwarzem Haar umrahmte Gesicht verriet volle Konzentration. Ihr Blick war auf den großen Panorama-Sichtschirm gerichtet, dessen Drei-D-Effekte ein verblüffend naturgetreues Bild der räumlichen Verhältnisse bot.
Das Licht des roten Riesen schimmerte matt. Ein Schatten malte sich am Rand der glutfarbenen Scheibe ab und wanderte langsam den Sonnenäquator entlang. Es handelte sich um einen Gasriesen mit fünffacher Jupitermasse, der sein Zentralgestirn in einer extrem engen Umlaufbahn umkreiste.
Im Vordergrund tobte das Raumgefecht zwischen der überlegenen Qriid-Flotte und den Einheiten des Space Army Corps des Humanen Weltenbundes.
Die Raumer der Vogelartigen bremsten ab. Das Aufflammen der Gegenschubdüsen war deutlich zu erkennen und erleichterte die optische Ortung. Auf Grund ihrer hohen Geschwindigkeit beim Erreichen des Tridor-Systems wären die Qriid-Schiffe ansonsten mit beinahe fünfzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit auf ihre Gegner zugerast. Die Wahrscheinlichkeit von Kollisionen war dabei verschwindend gering. Sie wären vermutlich einfach an den Space Army Corps-Schiffen vorbei oder sogar durch ihren Verband hindurchgerast. Das entsprach allerdings eher der auf der Bewaffnung basierenden Taktik des Space Army Corps, und die Vogelähnlichen wären eine leichte Beute für die Geschütze der Verteidiger geworden.
Aber die Qriid wussten sehr wohl, wie man eine Raumschlacht führte. Sie waren gewiefte Taktiker und nach allem, was man über die Geschichte der Vogelartigen wusste, verfügten sie über eine Kampferfahrung im Raumkrieg wie sonst kaum eine andere Spezies im bekannten Universum. So etwas wie einen dauerhaften Frieden schienen sie nicht zu kennen.
Im Jahr 2236 waren Raumschiffe der Menschheit zum ersten Mal auf die Qriid gestoßen und sofort angegriffen worden.
Ein grausam geführter Krieg hatte in den nächsten drei Jahren getobt und auf beiden Seiten ungezählte Opfer gefordert.
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet das Tridor-System zum Ort der Entscheidung wird, ging es Commander Rena Sunfrost durch den Kopf, während sie verfolgte, wie die Qriid den Schiffen des Space Army Corps konzentriertes Traser-Feuer entgegenschleuderten. Diese Strahlenwaffe ermöglichte vor allem einen zielgenauen Beschuss aus der Distanz. Die Schiffe des Space Army Corps hingegen verfügten mit ihren Gauss-Kanonen über eine ungleich größere Feuerkraft, hatten aber deutliche Nachteile bei der Treffsicherheit. Die Taktik der Qriid lag daher auf der Hand. Sie hielten einen größtmöglichen Abstand zum Gegner und zueinander, der es ihnen ermöglichte, dem Dauerfeuer der Space Army Corps Raumer zu entgehen.
Der Kampf war in vollem Gang.
Die kugelförmigen Schiffe der Qriid setzten ihre Traser mit erschreckender Zielsicherheit ein. Ein weiterer Zerstörer und ein leichter Kreuzer gingen verloren, während eines der beiden Dreadnoughts immerhin den Plasma-Schirm einbüßte, als er unter konzentriertes Traser-Dauerfeuer geriet.
Die Lage ist hoffnungslos, dachte Rena. Wie man es auch dreht und wendet, wir haben letztlich keine Chance.
Daran änderten auch vereinzelte Erfolge der Space Army Corps-Schiffe nichts, denen es gelang, einen Qriid-Raumer mit Dauerfeuer zu belegen.
Tausende von auf halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigte Geschosse durchschlugen dann jede nur denkbare Panzerung.
Sauerstoff trat in gefrierenden Fontänen aus, der Druckabfall war je nach Trefferzahl rapide und wenn Triebwerke oder Energiesysteme getroffen wurden, kam es zur Explosion.
Die Schiffe des Space Army Corps wehrten sich tapfer. In breiter Kampfformation kamen sie den Qriid-Schiffen entgegen, die auf einen Ausweichkurs einschwenkten. Ihre Kommandanten wussten genau, dass es ihr Tod war, wenn sie dem Dauerfeuer ihrer Gegner zu nahe kamen…
Ein Summton ertönte.
Rena betätigte wie beiläufig einen Schalter und aktivierte damit eine Interkom-Verbindung.
Auf einem Nebenbildschirm erschien das Gesicht von Admiral Norman Fabri, seines Zeichens Chef der Personalverwaltung des Space Army Corps. »Ich würde Sie gern umgehend sprechen, Commander.«
Rena nahm unwillkürlich Haltung an. »Ja, Sir. Kommen Sie herein.«
»Sie werden Ihre Simulation unterbrechen müssen, Commander Sunfrost.«
»Das macht nichts, Sir.«
»Wie Sie meinen.«
Im nächsten Moment glitt die Schiebetür ihres Quartiers zur Seite, und Admiral Fabri betrat den Raum. Er war ein großer, breitschultriger Mann mit grauen, kurz geschorenen Haaren, durch die die Kopfhaut hindurchschimmerte.
Rena salutierte.
»Stehen Sie bequem, Commander«, sagte der Admiral und ließ den Blick schweifen.
Das Schlachtgeschehen auf dem großen Panoramaschirm war wie gefroren. Ein Qriid-Schiff detonierte gerade.
Der Admiral deutete auf die dunkle Scheibe des Gasriesen, der sich deutlich sichtbar als dunkler, kreisrunder Fleck vor dem roten Hintergrund seines Zentralgestirns abhob.
»Die Schlacht um das Tridor-System am 11. September des Jahres 2239«, erkannte Fabri sofort. »Fast genau elf Jahre ist es jetzt her, dass unsere Flotte dort den entscheidenden Sieg gegen eine zahlenmäßig weit überlegene Armada von Qriid-Schiffen errang und den Geierköpfen so starke Verluste zufügte, dass sie sich zurückzogen und sogar zu einem Waffenstillstand bereit waren.«
»Einem unerklärten Waffenstillstand, Sir«, ergänzte Rena Sunfrost.
Das war ein Punkt, der ihr wesentlicher schien. Die Qriid hatten niemals erklärt, dass sie Frieden oder auch nur Koexistenz mit der Menschheit oder irgendeiner anderen raumfahrenden Spezies für möglich oder wünschenswert hielten.
Tatsache war nur, dass sie sich nach der Schlacht im Tridor-System zurückgezogen und ihre Expansion bislang nicht weiter fortgesetzt hatten.
Die Ursachen dafür waren letztlich nicht bekannt, auch wenn es zu diesem Punkt zahllose Spekulationen gab.
Der Admiral hing einige Augenblicke lang an der Schlachtsimulation, die auf dem großen Panoramaschirm dargestellt wurde, überflog anschließend kurz die Anzeigen auf den verschiedenen Displays und Kontrollbildschirmen, ehe er sich schließlich wieder Rena zuwandte.
»Was interessiert Sie so sehr an der Tridor-Schlacht?«, fragte er.
»Sie war ein Wendepunkt im Krieg gegen die Qriid«, erklärte Rena. »Einem Konflikt, bei dem wir damit rechnen müssen, dass er jederzeit wieder aufflammen kann.«
Fabri nickte. »Dieser Analyse stimme ich zu, auch wenn im Rat derzeit Debatten darüber geführt werden, ob man die Mittel des Space Army Corps nicht besser kürzen und in andere Bereiche stecken sollte– nun, da die Qriid schon seit über einem Jahrzehnt nicht mehr angegriffen haben.«
»Ich bin nicht dieser Ansicht, Sir«, bekannte Rena.
Fabri lächelte. »Das ist wahrscheinlich kaum jemand, der im Corps dient.« Er deutete erneut auf das erstarrte Bild in der Simulation. »Sie haben den Simulator der Flottenakademie recht häufig aufgesucht und dabei immer wieder die Schlacht um das Tridor-System mit geringen Variationen ablaufen lassen. Ich wiederhole meine Frage: Was ist der Grund für diese Hartnäckigkeit, Sunfrost?«
»Die Tatsache, dass wir die Schlacht damals nicht hätten gewinnen dürfen, Sir.«
Fabri runzelte die Stirn. »Wie soll ich das verstehen? Wir haben die Schlacht doch schließlich gewonnen und die verdammten Geierköpfe zurück in ihr Territorium gejagt.«
»Sir, ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich unsere Flotte war, die den Gegner zum Rückzug veranlasste. Die Qriid hätten leicht Verstärkung herbeiholen können. Mindestens fünfzig Raumschiffe wurden laut Logbuch der KAVANAUGH beim Übergang in den Unterlichtflug geortet. Sie hätten ihren Einheiten zu Hilfe eilen können, aber sie haben sich stattdessen ebenso zurückgezogen wie alle anderen Qriid-Schiffe.«
»Eine interessante Überlegung mit militärhistorischen Implikationen erster Güte«, gestand der Admiral zu. »Ich weiß, dass Sie an der Akademie im Fach Taktik und Militärhistorie Bestnoten hatten, aber vielleicht ist Ihnen doch etwas entgangen, Commander Sunfrost.«
Rena hob die Augenbrauen. »Ich weiß nicht wovon Sie sprechen, Sir.«
»Ich spiele auf die gewaltigen Verluste an, die in einer bestimmten Phase der Schlacht unter den Qriid-Schiffen auftraten.«
»Das war nur eine vorübergehende Phase, Sir. Ich habe alle relevanten Parameter der Schlacht in das Simulationsprogramm eingegeben und es immer wieder ablaufen lassen. Und zwar im Gegensatz zu den Ereignissen, die wir aus den Geschichtsbüchern kennen, bis zum Ende. Das Ergebnis war immer das dasselbe. Die Schiffe des Space Army Corps konnten den Qriid-Einheiten auf die Dauer nicht standhalten. Selbst wenn man das ohnehin schon brillante taktische Verhalten unserer damaligen Flotte noch nachträglich optimiert oder…«
»…oder das Programm unter der Voraussetzung ablaufen lässt, dass wir damals schon unsere heutigen Plasma-Schirme gehabt hätten, mit denen die Wirkung der Traser zumindest… abgemildert wird«, ergänzte Admiral Fabri, während sein Blick an einem der Displays haften blieb. »Eine interessante Variation, die Sie da eingegeben haben, das muss ich zugeben.« Er drehte sich herum und sah Rena offen in die Augen. »Leider bin ich aus dienstlichen Gründen hier und nicht, um mit Ihnen über Schlachten der Vergangenheit zu sprechen. So sehr ich dieses Gespräch auch genieße. Waren Sie damals überhaupt schon im aktiven Dienst, Commander?«
»Ja, ich war gerade Fähnrich auf der Dreadnought NEW CALIFORNIA geworden und diente im taktischen Stab von Admiral Müller, dessen Flottenverband die Einheiten im Tridor-System unterstützen sollte. Allerdings kamen wir dort erst an, als schon alles vorbei war.«
»Und das nagt bis heute an Ihnen, nicht wahr?«
»Sie wollten etwas mit mir besprechen, Sir«, wich Rena einer Stellungnahme aus.
Der Admiral nickte. »Ihre Beförderung zum Commander ist ja inzwischen durch. Commodore Jackson dürfte Ihnen Ihre Urkunde bereits überreicht haben.«
»Ja, Sir.«
»Jetzt geht es um die Einführung in Ihr neues Kommando.«
»Die STERNENKRIEGER liegt doch noch im Orbitalen Dock«, gab Rena zu bedenken.
»Das ist richtig. Aber traditionellerweise wird die Übergabe eines Kommandos immer an Bord durchgeführt und nicht in irgendeinem Amtszimmer. Davon abzuweichen hieße, den geballten Aberglauben der Flotte gegen sich zu haben, denn das soll angeblich Unglück bringen. Morgen früh um neun wird Sie ein Gleiter von Ihrem Appartement abholen und zum Raumhafen von New L. A. bringen. Ich werde auch dort sein. Ein Shuttle bringt uns zum Dock 13, wo die STERNENKRIEGER derzeit liegt. Ein Teil der Mannschaft– darunter auf jeden Fall alle Offiziere– wird zu diesem Zeitpunkt bereits dort sein und Sie erwarten.«
»Ich verstehe.«
»Wenn Sie wollen, packen Sie gleich Ihre persönlichen Sachen ein und beziehen Ihre Kabine«, schlug der Admiral vor. »Sie haben zwar derzeit keine eigentliche Aufgabe an Bord, aber die Crewmitglieder, die derzeit schon Dienst tun, um die Systeme einzurichten, lernen Sie dann umso früher kennen. Ich denke, das kann nicht schaden.«
»Das sehe ich genauso, Sir.«
»Ich soll Ihnen offiziell noch nichts davon sagen, aber ich tue es trotzdem. Wir werden morgen einen außerordentlich prominenten Gast an Bord der STERNENKRIEGER haben.«
Sunfrost hob etwas irritiert die Augenbrauen. »Ein Gast? Wer sollte das sein?«
»Admiral Gregor Raimondo.«
Rena konnte ihre Verblüffung kaum verbergen. Raimondo war zwar noch immer Mitglied des Space Army Corps, hatte inzwischen aber eine politische Karriere als Mitglied des Humanen Rates gemacht, wo er Anführer jener in letzter Zeit arg in die Defensive geratenen Gruppierung war, die sich vehement gegen eine Kürzung des Flottenetats wehrte und nicht müde wurde, vor der im Hintergrund lauernden Qriid-Gefahr zu warnen.
»Das ist wirklich eine Überraschung«, gab Rena unumwunden zu.
»Ich habe keine Ahnung, weshalb Admiral Raimondo darauf bestanden hat, an der Zeremonie teilzunehmen. An Ihrer Stelle würde ich es einfach als Ehre betrachten.«
*
Orbital-Shuttle 213-A verließ die Stratosphäre und erreichte den erdnahen Weltraum.
Neben dem zweiköpfigen Pilotenteam, das sich in der Steuerkabine befand, waren insgesamt nur drei Passagiere an Bord. Außer Admiral Norman Fabri und Commander Rena Sunfrost saß noch Commodore Tim Bray Jackson im Aufenthaltsraum des Shuttle.
Jackson war, was die Laufbahnverwaltung betraf, Renas direkter Vorgesetzter. Sein Kopf war vollkommen kahl, obwohl er noch keine vierzig war. Sie wusste, dass dies keine modische Extravaganz war, sondern Folge einer Strahlenverseuchung, die er bei der Havarie der NEW CALIFORNIA während der Schlacht im Tridor-System erlitten hatte– damals noch im Rang eines Lieutenants.
Nach verheerenden Traser-Treffern durch die angreifenden Qriid-Schiffe waren Teile der Triebwerkssektion explodiert und es war zu einer Verstrahlung ganzer Decks gekommen.
Jackson hatte zu jenen gehört, die durch ihren Einsatz im verseuchten Bereich die Explosion des gesamten Schiffs hatten verhindern können. Manövrierunfähig war die NEW CALIFORNIA bis zum Ende der Schlacht auf den Gasriesen Tridor I zugetrieben, bis es endlich anderen Einheiten der Flotte gelungen war, die Überlebenden an Bord zu nehmen.
Rena kannte auf Grund ihrer intensiven Beschäftigung mit dem Hergang der Tridor-Schlacht jedes in den Akten verzeichnete Detail dieser Geschichte.
Schon deshalb genoss Commodore Tim Bray Jackson in ihren Augen höchsten Respekt. Ein Respekt, der so hoch war, dass sie sich in seiner Gegenwart immer etwas befangen fühlte. Er hatte in einer sehr kritischen Situation Verantwortung übernommen– und zwar ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben oder seine Gesundheit.
Beim Dienst im Space Army Corps waren viele vergleichbare Situationen denkbar, und seit sie von Jacksons Rolle in der Schlacht um das Tridor-System wusste, fragte sie sich, ob sie selbst dazu im entscheidenden Moment in der Lage wäre.
Commodore Jackson hatte in einem der Schalensitze im Passagierbereich Platz genommen, die Beine übereinander geschlagen und las per Handreader ein eBook, während Admiral Fabri einen Syntho-Drink genoss.
»Admiral Raimondo kommt mit seinem eigenen Orbitalshuttle zur STERNENKRIEGER«, erklärte Fabri. »Rang hat eben seine Privilegien.«
Jackson blickte auf. »Raimondo hat eine erstaunliche politische Karriere hinter sich«, meinte der Commodore.
»Ich beneide ihn dennoch keineswegs«, sagte Fabri. »Er hat einen schweren Stand im Rat. Je länger der Frieden mit den Qriid andauert, desto schwieriger wird es vor allem für die Vertreter der Kolonien, ihren Wählern gegenüber plausibel zu machen, weshalb die Menschheit das Space Army Corps nach wie vor in der gegenwärtigen Flottenstärke benötigt.«
»Natürlich! Das Space Army Corps verschlingt Unsummen, die beim dringend notwendigen Aufbau weiterer Kolonien im All fehlen.« Jackson nickte. »Aber ich fürchte, dass wir eine bewaffnete Raumflotte noch dringend brauchen werden, wenn die Qriid ihre Expansionsbestrebungen wieder aufnehmen.«
»Sie rechnen damit?«
»Offen gestanden wundert es mich, dass die Waffenruhe schon so lange hält«, bestätigte der Commodore.
»In dem Punkt teile ich Ihren Pessimismus.«
»Und wenn ich daran denke, dass wir den Qriid in Zukunft vielleicht mit einer stark reduzierten Flotte entgegentreten müssen…« Jackson schüttelte energisch den Kopf. Es war ihm deutlich anzusehen, wie sehr ihm allein diese Vorstellung missfiel. »Was ist Ihre Meinung dazu, Commander?«, fragte er nach einer kurzen Pause an Rena gerichtet.
Fabri nippte zwischenzeitlich an seinem Syntho-Drink und wandte sich Sunfrost zu, die an einem der Sichtfenster stand und hinaus ins All blickte. Der Anblick der blauen Erdscheibe war jedes Mal aufs Neue etwas Besonderes. Es machte einem deutlich wie klein und unbedeutend die Menschheit in Anbetracht des Universums war. Eine Lebensform, die ihre Existenz bis vor kurzem auf einem kosmischen Staubkorn gefristet hatte und es inzwischen geschafft hatte, sich auch auf ein paar weiteren Staubkörnern festzuklammern.
Rena wandte den Kopf. »Wie bitte?«
Jacksons Frage hatte sie aus ihren Gedanken gerissen, mit denen sie im Augenblick Lichtjahre weit vom Gesprächsthema der beiden Männer entfernt gewesen war.
»Sie sollten Commander Sunfrost nicht mit unserem Gerede belästigen, Commodore«, fand Admiral Fabri. »Ich vermute, dass ihr jetzt völlig andere Gedanken durch den Kopf gehen.
Schließlich ist es ihr erstes Kommando…«
Jackson runzelte die Stirn. Er kannte Renas Laufbahn natürlich sehr viel genauer als der Admiral und daher fiel ihm sofort auf, dass dessen Aussage nicht ganz zutraf. »Sir, mit Verlaub, aber Sie kommandierte bereits ein Schiff der…«
»Ich meinte natürlich ihr erstes Überlichtkommando. Ein Raumschiff mit Sandström-Aggregat«, unterbrach der Admiral seinen Gesprächspartner. Er zuckte die Achseln. »Alles andere ist doch gar keine richtige Raumfahrt… Oder sind Sie anderer Meinung, Commander Sunfrost?«
Ein mildes, leicht verlegenes Lächeln glitt über Renas etwas angespannt wirkenden Gesichtszüge. »Nein, Sir.«
»Hängen Sie ruhig Ihren Gedanken nach«, fügte der Admiral noch hinzu. »Heute haben Sie meine offizielle Erlaubnis zur Sentimentalität. Sobald die STERNENKRIEGER erst Spacedock 13 verlassen hat, werden Sie dazu ohnehin keine Gelegenheit mehr haben…«
Jackson und Fabri nahmen nach einer kurzen Pause ihre Diskussion über die aktuelle Debatte im Hohen Rat der Humanen Welten wieder auf und ereiferten sich abwechselnd über die Kurzsichtigkeit vieler Ratsvertreter.
Insbesondere galt dies ihrer Ansicht nach für Julian Lang. Der Vorsitzende des Rates betrachtete Politik eher unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
Über Sicherheitsfragen machte er sich weniger Sorgen, als es den beiden Flottenoffizieren lieb gewesen wäre.
Rena hörte ihrem Gespräch nur ganz am Rande zu und trat zu dem an Bord befindlichen Getränkeautomaten. Über einen Touchscreen gelangte sie in dessen Menue und versuchte darin, den Befehl zum Einschenken eines Bechers mit Kaffee zu finden. Dieses Getränk war in den vergangen Jahrhunderten aus der Mode gekommen, aber Rena gehörte zu der Minderheit, die ihm nach wie vor die Treue hielten, auch wenn die belebende Wirkung mancher Syntho-Drinks nachgewiesenermaßen viel höher war. Rena hatte den Kaffee kennen gelernt, als sie zu einem Kurzaufenthalt in der irdischen Subregion Österreich geweilt hatte. Dort waren bis heute mehr als ein Dutzend, verschiedene Zubereitungsarten üblich. Von dem Getränkeautomaten eines Orbital-Shuttle konnte sie natürlich nicht erwarten, dass er Spezialitäten wie einen »großen Braunen« in seinem Programm hatte, sondern musste froh sein, wenn sie ihren Kaffeedurst überhaupt stillen konnte.
Das, was sie erhielt, war immerhin nicht zu dünn. Vielleicht hatte man den Kaffee mit künstlichen Geschmacksverstärkern aufgepeppt, aber das kümmerte Rena im Augenblick nicht weiter. Sie nahm ihren Becher, nippte kurz daran und ging zurück zum Sichtfenster. Der Anblick des Alls beruhigte.
Nichts hätte sie in diesem Moment in einem der Schalensitze gehalten, die für die Shuttle-Passagiere zur Verfügung standen.
Die Sichtscheibe spiegelte leicht. Sie sah die Umrisse ihres eigenen, fein geschnittenen Gesichts. Die in Blau und Anthrazit gehaltene Space Army Corps-Uniform lang eng an ihrer sportlich wirkenden Figur an und saß perfekt.
Bis auf eine Kleinigkeit.
Etwa eine Handbreit unterhalb des Kehlkopfes befand sich eine kleine Verdickung.
Rena berührte sie unwillkürlich mit der Linken, als sie die Ausbeulung in ihrem Spiegelbild bemerkte. Ein versonnenes, leicht melancholisches Lächeln glitt über ihr Gesicht.
Unter dem Stoff der Uniform hob sich etwas Hartes, unregelmäßig Geformtes ab. Ein verbogenes Projektil, das sie an einer Kette um den Hals trug und ihr als Glücksbringer und Talisman diente.
Bedenke, dass du sterblich bist!
Das war Renas Wahlspruch geworden, und dieses eigenartig verformte Stück Metall auf ihrer Brust erinnerte sie ständig daran. Erinnerte sie an ihre eigene Verletzlichkeit und die Begrenztheit menschlichen Lebens und menschlicher Erkenntnisfähigkeit– seit man es ihr knapp über dem Herzen aus der Schulter geschnitten hatte.
Sie hatte als Erster Offizier der SURVIVOR die echsenartigen Einheimischen der abgelegenen Dschungelwelt Dambanor II nicht ernst genug genommen und einen Schuss mit einer altertümlichen Steinschlosspistole abbekommen.
Acht Monate Rehabilitation, eine Narbe und die Erkenntnis, dass sie alles andere als unsterblich war, waren die Folge gewesen. Das Projektil trug sie seitdem immer bei sich.
Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit durch ein Objekt abgelenkt, das draußen im All hinter der Erdscheibe auftauchte.
Es musste sich um Spacedock 13 handeln. Eine Vielzahl kleinerer und größerer Transportfähren schwirrte um diese gewaltige Werftstation herum. Außerdem hatten zwei Zerstörer angedockt. Darüber hinaus gingen die Pendelflüge zu Mond, Mars und Venus von hier aus ab.
Ein Rumoren ließ den Boden im Passagierraum leicht erzittern. Der Pilot des Orbital-Shuttles hatte offenbar den Gegenschub bereits eingeleitet, damit das für den Einsatz im inneren Bereich des Sol-Systems konzipierte Raumfahrzeug nicht mit ungeheurer Geschwindigkeit auf die Außenhülle der Werft prallte, sondern sanft andockte.
Die Geschwindigkeit wurde rapide verlangsamt, doch davon merkte man an Bord nichts, wenn man nicht aus dem Fenster schaute.
Immer weitere Einzelheiten von Spacedock 13 wurden erkennbar. Der Pilot leitete ein letztes Manöver zur Kurskorrektur ein und lenkte den Shuttle auf die bis dahin abgewandte Seite der Station.
Dort befand sich der Liegeplatz der STERNENKRIEGER.
Das lang gezogene, 110 Meter lange Oval schimmerte im Licht der Sonne. Von der äußeren Form her ähnelte es antiken U-Booten aus Prä-Weltraum-Ära der Erde. An der dicksten Stelle betrug der Durchmesser des Rumpfes gute 35 Meter.
Das ist es also– dein zukünftiges Reich, ging es Rena durch den Kopf. Nicht gerade die imposanteste Einheit der Flotte, aber es ist und bleibt ein eigenständiges Überlichtkommando.
Und das ist es doch, worauf es ankommt…
Sunfrost wusste, dass die STERNENKRIEGER im Spacedock 13 einer umfassenden technischen Überholung und Modernisierung unterzogen wurde. Am Ende ihrer Liegezeit würde sie zweifellos auf dem modernsten Stand der menschlichen Technik des Jahres 2250 sein. 107 Mann Besatzung zählte die Crew. Dazu kamen noch zwanzig Marines für eventuelle Kampfeinsätze am Boden oder besondere Sicherungsaufgaben.
Jetzt, zur Einführung des neuen Captain, würden lediglich die Offiziere an Bord sein. Jene Männer und Frauen also, auf deren Zusammenarbeit Rena besonders angewiesen war. Sie hatte sich die Personalakte eines jeden Einzelnen von ihnen genau angesehen und sich akribisch vorbereitet.
Mit dem Zeigefinger der linken Hand strich sie noch einmal über die kleine Ausbuchtung, die das verbogene Projektil der Steinschlosspistole verursachte. Ja, ich bin sterblich… Aber Angst machen lasse ich mir auch nicht! Von niemandem!
Eine Stimme riss sie aus ihren Gedanken heraus.
»Hier spricht Captain Devittko, der Pilot von Orbital-Shuttle 213-A. In wenigen Minuten werden wir Spacedock 13 erreichen. Bitte halten Sie Ihre ID-Cards bereit, wenn Sie das Schiff verlassen. Passagiere, die ihre Reise mit den Zielen Erdmond, Venus oder Mars fortsetzen wollen, folgen bitte den Hinweisschildern.«
*
Die Einführungszeremonie des neuen Captains der STERNENKRIEGER ging kühl, sachlich und vor allem recht schnell über die Bühne.
Admiral Raimondo traf in allerletzter Minute mit seinem Sondershuttle ein. Er war dunkelhaarig und mit seinen 44 Jahren recht jung für die hohe Position, die er bekleidete. Rena Sunfrost begegnete ihm zum ersten Mal und fand, dass er im persönlichen Umgang genauso beeindruckend wirkte, wie er ihr oft in den Medien als Wortführer im Hohen Rat der Humanen Welten erschienen war.
Es war an Commodore Jackson, die offizielle Dienstorder vorzulesen, nach der Commander Rena Sunfrost zum neuen Captain des leichten Kreuzers STERNENKRIEGER bestimmt wurde. Ein militärischer Gruß, ein Händedruck und die Sache war perfekt.
Anschließend war es die Aufgabe des Ersten Offiziers, Rena zu begrüßen.
Er nahm Haltung an.
»Lieutenant Commander Wong«, stellte er sich vor. »Als Erster Offizier heiße ich den neuen Captain an Bord der STERNENKRIEGER willkommen. Glückliche Fahrt, Ma'am.«
»Danke, I.O. Ich erwarte eine gute Zusammenarbeit.«
Aus den Akten wusste Rena, dass Raphael Wong, dem man die chinesischen Vorfahren deutlich ansehen konnte, einen kometenhaften Aufstieg im Space Army Corps hinter sich hatte. Auf keiner Sprosse dieser Leiter hatte der 29jährige länger als zwei Jahre verbracht und seine Beurteilungen strotzten nur so vor Superlativen. Zweifellos hatte Wong ebenfalls darauf spekuliert, nach dem plötzlichen Tod des vorhergehenden Captain– Commander Reilly– dessen Position zu bekommen. Wong wäre zwar der jüngste Kommandant eines Überlichtraumers der Flotte geworden, aber der Jüngste und trotzdem der Beste zu sein, war in seiner Karriere nichts Neues.
Diesmal aber hat man ihm jemanden mit mehr Erfahrung vorgezogen, überlegte Rena, während der Erste Offizier ihr pflichtgemäß die Hand schüttelte.
Sein Gesicht war vollkommen unbewegt.
Er lässt sich nichts anmerken, erkannte Rena, war aber sensibel genug, um die Anspannung bei ihrem Gegenüber zu spüren. Drei Jahre ist er jünger als ich.
Jemandem drei Jahre an Lebenserfahrung voraus zu haben, bedeutete nicht unbedingt sehr viel. Aber drei Jahre länger im Space Army Corps gedient zu haben, konnte genau den Unterschied an Erfahrung ausmachen, der in diesem Fall wohl den Ausschlag gegeben hatte.
»Mit Ihrer Erlaubnis stelle ich Ihnen die Offiziere der STERNENKRIEGER vor«, kündigte Wong an.
Die innere Reserve, die der Erste Offizier gegenüber seiner neuen Kommandantin empfand, war nicht zu übersehen, auch wenn er sich mit Sicherheit keinen emotionalen Ausrutscher erlauben würde.
Die anderen Offiziere hatten ebenfalls Haltung angenommen.
Wong ging gemeinsam mit dem neuen Captain ihre Reihe ab und stellte sie einen nach dem anderen vor.
Lieutenant John Taranos war der leitende Ruder-Offizier.
Ebenso wie Rena war er erst vor kurzem befördert worden. Er galt aber als einer der begabtesten Piloten der Flotte, dem überall eine glänzende Karriere prophezeit wurde. Mit seinen 24 Jahren war er ausgesprochen jung für seinen Rang.
Waffenoffizier war Lieutenant Robert Ukasi, ein hoch gewachsener Mann mit fast schwarzer Haut.
Anschließend war die leitende Ingenieurin Catherine White an der Reihe. Die mollige 43-Jährige wirkte Sunfrost gegenüber ähnlich reserviert wie Wong. Die Ursache dafür war der Kommandantin jedoch nicht ganz klar. Die Nichtbefriedigung des eigenen Ehrgeizes konnte es in diesem Fall wohl nicht sein.
Dr. Simone Nikolaidev war die Schiffsärztin, eine rotblonde, recht zierliche Person, von der Rena gleich den Eindruck hatte, dass sie ihr offen und ehrlich gegenübertrat.
»Lieutenant David Kronstein«, stellte Wong schließlich den Ortungsoffizier der STERNENKRIEGER vor.
Blaue Augen sahen sie an.
Die Mundwinkel wirkten entspannt. Das blonde Haar war für den militärisch adretten Stil des Space Army Corps eigentlich eine Spur zu lang und setzte auf dem Kragen der Uniform auf.
»Auf gute Zusammenarbeit, Lieutenant Kronstein«, sagte Rena eine deutliche Sekunde zu spät.
»Gleichfalls, Ma'am«, war seine knappe Erwiderung.
Der sonore Klang seiner Stimme löste etwas in ihr aus, das sie zutiefst beunruhigte. Ein angenehmes Kribbeln machte sich in ihrer Bauchgegend bemerkbar. Ein Kribbeln, das sie lange vermisst hatte. Seitdem sich Rena vor Jahren von ihrem Mann, dem auf Wega IV lebenden Genetiker Tony Morton, in gegenseitigem Einvernehmen getrennt hatte, sah es in ihrem Liebesleben ziemlich trist aus. Das musste sie sich ehrlich eingestehen.
Es funktioniert als noch, meldete sich ein ironischer Kommentator in ihrem Hinterkopf, der sich manchmal nur sehr schwer zum Schweigen bringen ließ. Du siehst einen Mann, von dem du vom ersten Moment an hin und weg bist! Wann ist dir das zuletzt passiert, Rena? Als Teenager?
Rena schluckte unwillkürlich.
Ihr Blick verschmolz für einen kurzen Moment mit dem leuchtenden Blau von Kronsteins Augen.
Zwei volle Sekunden gestattete es sich Rena Sunfrost, sich diesem plötzlich aufkeimenden Gefühl hinzugeben…
Dann hatte sie sich wieder absolut unter Kontrolle. Sie wusste genau, dass sie allein den Gedanken daran, mit jemandem wie Kronstein etwas anzufangen, aus ihrem Hirn verbannen musste. Es war gegen die Vorschriften, »intime Beziehungen mit Mitgliedern derselben Befehlskette zu pflegen«. Auf die Einhaltung dieses Befehls wurde im Space Army Corps großen Wert gelegt.
Nachdem Wong seinem Captain noch Sergeant Oliver Rolfson, den Chef des zur Besatzung gehörenden Zuges von Marines vorgestellt hatte, folgte zum Schluss noch ein Mann, bei dem schon an der Kleidung anzusehen war, dass er außerhalb der militärischen Flottenhierarchie stand. Er trug eine graue Kutte. Braunes Haar umrahmte ein Gesicht mit aufmerksamen, sehr wach wirkenden braunen Augen.
»Bruder Guillermo vom Orden der Olvanorer«, stellte Lieutenant Wong den Kuttenträger vor. »Er ist als Berater an Bord und bekleidet keinen Rang in der Flotte.«
Bei den Olvanorern handelte es sich um einen religiösen Orden, dessen Mitglieder sich erstaunlich gut in die Mentalität und Kultur fremder Sternenvölker hineinzuversetzen versuchten. Sie waren häufig als reisende Forscher unterwegs und gründeten hier und da auch kleinere Kolonien auf zumeist abgelegenen Planeten. Der Rat eines Olvanorers war bei jedem gefragt, der überlichtschnelle Raumfahrt betrieb und damit in die Situation kommen konnte, auf Angehörige fremder intelligenter Spezies zu treffen.
»Es freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte Bruder Guillermo.
Er blickte nur kurz auf und starrte dann wieder auf seine Füße. Seine Unsicherheit war ihm deutlich anzumerken.
Hoffentlich traut er sich wenigstens, mich zu beraten, dachte Rena. »Sind Sie zufällig ein Experte für die Qriid-Kultur, Bruder Guillermo?«
Der Olvanorer schaute scheu hoch. »Ich habe mich so intensiv mit ihrer Kultur beschäftigt, wie dies zurzeit überhaupt nur möglich ist«, erklärte er zögernd. »Außerdem habe ich ein Jahr lang in der Olvanorer-Kolonie auf Bannister V gelebt, wo wir mit den Qriid ja quasi auf Tuchfühlung waren. Einen wirklichen Experten werden Sie allerdings wohl in der gesamten Menschheit derzeit nicht finden. Was wir wissen, sind nur Bruchstücke, die sich nur sehr mühsam zu einem stimmigen Bild zusammensetzen lassen.« Er schaute sie verlegen an.
Rena lächelte und hoffte, ihm so seine Scheu zu nehmen.
»Ich sehe schon, wir müssen uns bei Gelegenheit mal intensiver unterhalten, Bruder Guillermo.« In gedämpftem Tonfall fügte sie nach einer Pause hinzu: »Mein Interesse an den Qriid ist mindestens so groß wie das Ihre, Bruder Guillermo.«
»Nur ein toter Geierkopf ist guter Geierkopf– läuft es darauf hinaus?«, fragte der Olvanorer.
Bei jedem anderen hätte dies wie eine boshafte Spitze geklungen.
Bruder Guillermo brachte das Kunststück fertig, diese Bemerkung schüchtern und verhalten klingen zu lassen, sodass Rena sich nicht im Mindesten angegriffen fühlte.
Dieser junge Mann hat es faustdick hinter den Ohren!, ging es ihr durch den Kopf. Oder er ist wirklich so naiv. Wenn er seinem Orden nicht beigetreten wäre, hätte er vielleicht im diplomatischen Dienst Karriere machen können. Und das Beste ist– es scheint ihm nicht einmal bewusst zu sein, was er tut!
»Ich persönlich habe nichts gegen die Qriid«, beteuerte sie– und es war die Wahrheit. »Aber ich fürchte, dass die brüchige Waffenruhe zwischen unseren Völkern nicht ewig halten wird.«
»Mag sein, Captain.«
»Haben Sie sich je mit der Schlacht um das Tridor-System beschäftigt, Bruder Guillermo?«
»Ich bin kein Militärhistoriker, Ma'am«, wehrte er ab.
Er starrte wieder zu Boden…
*
Im Anschluss an die Zeremonie gab es einen kleinen Sektempfang. Wong wich dabei kaum von Renas Seite. Er schien es als eine Verpflichtung anzusehen, ihr für Fragen zur Verfügung zu stehen oder sie mit den anderen Anwesenden ins Gespräch zu bringen.
Die innere Distanziertheit war für Rena allerdings nach wie vor deutlich spürbar.
Für ihn bin ich ein störender Fremdkörper an Bord, ging es ihr durch den Kopf. Jedes Mal, wenn er von mir einen Befehl entgegenzunehmen hat, wird es ihn daran erinnern, dass er an meiner Stelle sein könnte.
Die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit waren vielleicht nicht gerade die besten, aber Rena war fest entschlossen, dass es an ihr nicht scheitern sollte.
Möglicherweise war es sogar am besten, das unsichtbar zwischen ihnen schwebende Problem in nächster Zeit einmal offensiv anzusprechen.
»Werden Sie gleich an Bord bleiben, Captain?«, fragte Wong schließlich. »Ein Teil der Mannschaft tut hier bereits während der Reparaturphase Dienst und richtet beispielsweise die neuen Rechnersysteme ein, kalibriert die Sandström-Aggregate und dergleichen mehr…«
»Ja, ich werde bleiben«, sagte Rena. »Lassen Sie bitte mein Gepäck aus dem Shuttle in mein Quartier bringen. Wie groß ist der Anteil der Besatzung, der sich zurzeit schon an Bord befindet?«
»38 Crewmitglieder.«
»Das ist viel, eigentlich ist es doch nur üblich, dass der Captain und ein paar Offiziere aus dem technischen Bereich in dieser Phase bereits ihren Dienst an Bord verrichten.«
Raphael Wong hob die Augenbrauen. »Die STERNENKRIEGER genießt Priorität im Dock. Es scheint so, als hätte jemand Interesse daran, dass wir möglichst schnell startklar sind, Ma'am.«
»Kennen Sie den Grund?«, fragte Rena.
»Nein, Ma'am. Ich weiß nur, dass die STERNENKRIEGER für eine Sondermission vorgesehen war, weshalb auch die technische Aufrüstung und Optimierung erfolgte.«
»Wissen Sie etwas über das Ziel dieser Sondermission, I.O.?«
»Nein, Captain. Das war nur Ihrem Vorgänger Commander Reilly bekannt.«
Rena atmete tief ein.
Commander Willard J. Reilly, ihr Vorgänger im Amt des Captains auf der STERNENKRIEGER, war ein Kapitel für sich.
Rena war natürlich bekannt, auf welch tragische Weise Commander Reilly ums Leben gekommen war. Er hatte offenbar persönlich die Reparaturarbeiten und Neujustierungen an den Sandström-Aggregaten überwacht. Dabei war es zu einer kleineren Explosion gekommen, bei der Reilly ums Leben gekommen war.
Ein Unfall, dem ich letztlich wohl meinen Karrieresprung verdanke, ging es Rena Sunfrost durch den Kopf.
»Na, dann warte ich einfach ab, bis man mich endlich einweiht«, antwortete sie ihrem Ersten Offizier.
Plötzlich hatte Rena Sunfrost das Gefühl, angestarrt zu werde.
Sie wandte sich zur Seite und bemerkte aus den Augenwinkeln heraus, dass Admiral Raimondo sie beobachtete. Fabri und Jackson standen in seiner Nähe…
*
Später führte Raphael Wong den neuen Captain zu ihrer Kabine.
Der Platz an Bord eines Leichten Kreuzers war begrenzt. Die Kabinen des Captains und der Offiziere waren exakt sechzehn Quadratmeter groß. Unteroffiziere bewohnten derartige Räume zu zweit, Mannschaften zu viert.
Es befand sich ein Relief in der Wand, das die Form eines Wikinger-Schiffs aus der irdischen Prä-Weltraum-Ära hatte.
Unwillkürlich hob Rena die Hand, um damit über die metallische Innenverkleidung der Wand zu fahren und den Linien und Erhebungen des etwa ein Meter langen Reliefs nachzuspüren.
Nach zwei Sekunden zuckte sie förmlich zurück.
Zum ersten Mal bemerkte sie, wie sich Wongs Gesicht etwas entspannte. Ein leicht amüsierter Zug spielte um seine Mundwinkel.
Ich habe in seiner Gegenwart die Kontrolle verloren, dachte Rena. Wenn auch nur für wenige Sekunden– es war kaum zu übersehen.
»Sie brauchen sich nicht zu genieren, Ma'am«, versicherte er. »Erstens zwingt einen dieses Relief quasi dazu, die Wand zu berühren, und zweitens ist es jetzt Ihre Kabine.«
Rena hatte ihre Fassung wieder gewonnen. »Stammt das von meinem Vorgänger?«
»Ja, Ma'am. Er hatte eine offizielle Erlaubnis der Admiralität zur Anbringung dieses etwas exzentrischen Wandschmucks. Die Entfernung ist technisch gesehen etwas aufwändig, und ich bin zugegebenermaßen bislang nicht dazu gekommen, das zu veranlassen, da ich hier in letzter Zeit alle Hände voll zu tun haben.«
»Lassen Sie es einstweilen da.«
»Wie Sie wünschen, Ma'am.« Wong nickte bestätigend.
»Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«
»Im Moment nicht, I.O.«
»Dann möchte ich mich jetzt gerne zurückziehen, Captain. Ich habe noch zu tun.«
»Tun Sie das.«
*
Während der nächsten Wachperiode durchstreifte Rena auf eigene Faust das Schiff. Sie hatte keine Lust, sich dabei von dem zwar äußerst korrekten, aber nichtsdestotrotz ausgesprochen distanzierten Ersten Offizier begleiten zu lassen.
Außerdem hatten alle an Bord im Moment offenbar ihre Aufgaben.
Allein der neue Captain schien dabei eine Ausnahme zu sein.
Auf der Brücke traf sie David Kronstein, den Offizier für Ortung und Kommunikation. Er war gerade damit beschäftigt, das interne Datennetz des Schiffs neu zu konfigurieren.
Als er Commander Sunfrost bemerkte, erhob er sich und nahm Haltung an.
»Machen Sie weiter, Lieutenant Kronstein«, forderte sie ihn auf.
»Ja, Ma'am.«
Wieder begegnete sie dem wachen Blick seiner dunklen Augen.
Hättest du diesen Mann nicht unter anderen Umständen treffen können?, ging es ihr dabei durch den Kopf.
Aber wahrscheinlich war das ein Grund dafür, dass sie nach ihrer Trennung von Tony Morton eine so lange Zeit des Single-Daseins hinter sich hatte. Als Offizier der Raumflotte war es einfach ziemlich schwierig, jemanden kennen zu lernen, der nicht derselben Befehlshierarchie angehörte wie man selbst. Und je höher man im Rang emporstieg, desto schwerwiegender wurde dieses Problem.
Immerhin haben wir noch kein offizielles Zölibat im Space Army Corps, wie es die Ordensritter des Mittelalters kannten!, ging es ihr durch den Kopf. Ein ironischer Seitenhieb schwirrte ihr noch durch die Gedanken: Damals wussten diejenigen, die einem Ritterorden beitraten zumindest, was für Opfer in dieser Hinsicht von ihnen erwartet wurden. Den Absolventen der Space Army Corps-Akademie sagt das kein Mensch…
Rena spürte ein deutliches Unbehagen in ihrer Magengegend. Unbewusst berührte sie die Verdickung an ihrer Uniform, wo sich das Projektil von Dambanor II hervorhob.
Bedenke, dass du sterblich bist und nur ein Leben hast, Rena, durchzuckte es sie. Und dass sich die Zahl der Männer, die dich vom ersten Augenblick an derart stark beeindruckt haben, an einer halben Hand abzählen lassen!
»Ich hoffe, Sie kommen gut voran, Lieutenant«, sagte Rena gleichzeitig fast automatenhaft, während in ihren Gedanken und Gefühlen ein einziges Chaos herrschte. Ein Zustand, den sie eigentlich hasste und normalerweise auch umgehend zu beseitigen wusste. Aber nicht in diesem Fall. Wenn du ganz ehrlich bist, dann genießt du es. Zumindest ein Teil von dir…
»Wir haben hier leider ein paar schwerwiegende Probleme mit dem Bordrechner«, erläuterte David Kronstein.
Rena ertappte sich dabei, dass ihr der Klang seiner tiefen, männlichen Stimme im Moment viel wichtiger war als das, was er zu sagen hatte. Reiß dich zusammen! Wenn man es dir ansieht, was mit dir los ist, kannst du dich gleich um ein anderes Kommando bemühen, weil du dann nie die nötige Autorität an Bord gewinnen wirst!
»Was sind das für Probleme?«, fragte sie.
»Es hängt alles mit dem Unfall von Commander Reilly zusammen. Ich weiß nicht, wie viel Sie darüber wissen, Ma'am…«
»Es gab eine Explosion bei den Sandström-Aggregaten.«
Kronstein nickte. »Exakt. Und zwar an einer sehr sensiblen Stelle. Es kam zu einem kompletten Systemausfall. Normalerweise ist der Bordrechner dagegen mit mehreren redundanten Systemen gesichert, aber in diesem Fall kam zum Verhängnis auch noch das Pech. Die Sicherungssysteme versagten, und jetzt kann ich zusehen, wie ich aus dem Datensalat wieder etwas mache, das man ein Daten- und Kommunikationssystem nennen kann!«
»Sie sind um Ihre Aufgabe nicht zu beneiden.«
»Keine Sorge, Ma'am, das bekomme ich schon wieder hin«, versicherte Kronstein.
»Ich habe Ihre Akte gelesen, Lieutenant, und deswegen habe ich keinerlei Zweifel daran.«
»Danke, Ma'am.«
Als sich ihrer beider Blicke abermals trafen, wandte Commander Sunfrost schon nach einem kurzen Moment den Kopf zur Seite. Sie glaubte zu spüren, dass von ihrem Gegenüber zumindest Sympathie herüberkam.
Schlag es dir einfach aus dem Kopf, Rena!, erteilte sie sich selbst einen überaus energischen Befehl. Es ist schlicht und ergreifend sinnlos!
Ein Pfeifton ertönte.
David Kronstein löste seinen Kommunikator aus der Magnethalterung am Gürtel. »Eine Folge des Computercrashs ist auch der zeitweilige Ausfall des Schiffs-Interkoms«, sagte Kronstein an Rena gewandt. »Jeder von uns ist zurzeit nur über den persönlichen Kommunikator erreichbar. Etwas ärgerlich, aber…«
»Sie tun sicher Ihr Bestes, Lieutenant.«
Er lächelte. »Natürlich, Ma'am.«
Jetzt erst schaltete er den Kommunikator frei. Sunfrost stand nahe genug, um zu sehen, dass auf dem Minibildschirm des Kommunikators das Gesicht des Ersten Offiziers erschien.
»Ich brauche Computerkapazitäten zur Berechnung eines Winston-Feldes«, verlangte Raphael Wong.
»Sir, das ist im Moment äußerst ungünstig.«
»Ich kann mir Ihre Schwierigkeiten lebhaft vorstellen, Lieutenant. Aber ich würde Sie nicht darum bitten, wenn es nicht notwendig wäre.«
»Die Neukonfiguration des Kommunikationssystems würde sich um mindestens 40 Stunden verzögern, Sir!«
»Das nehmen wir in Kauf.«
»Ich weiß nicht, Sir…«
»Was wissen Sie nicht?«
Kronstein blickte in Sunfrosts Richtung.
Die Kommandantin streckte die Hand aus. »Geben Sie mir das Ding!«
Bislang hatte sie geglaubt, dass Wong in der Lage war, seinen Frust über die nicht erfolgte Beförderung herunterzuschlucken und die neue Situation zu akzeptieren. Aber das war offensichtlich nicht der Fall!
Was erlaubt sich der Kerl?, durchfuhr es Rena ärgerlich.
Macht einfach hinter meinem Rücken, was er will!
Zwar war es die Aufgabe des Ersten Offiziers, für den reibungslosen Ablauf des Tagesgeschäfts an Bord eines Raumschiffs zu sorgen. Aber wenn sich die Rekonfiguration des Kommunikationssystems der STERNENKRIEGER um zwei Standard-Erdtage verzögerte, dann war das etwas, worüber Sunfrost gerne Bescheid wusste.
»Wong?«
»Ja, Ma'am?« Dem Lieutenant Commander war nicht anzumerken, was er von ihrem Eingreifen hielt.
»Sie hätten mich konsultieren sollen.«
»Mag sein, Ma'am, aber…«
»Kommen Sie umgehend in meinen Raum. Dort werden wir uns unterhalten.«
Kronstein mischte sich ein. »Captain, das ist leider nicht möglich. Ihr Raum dient zurzeit als Lagerraum für Ersatzteile der Brückenelektronik. Tut mir Leid, aber…«
»Dann komme ich zu Ihnen, Lieutenant Commander«, sagte Sunfrost eisig.
*
»Seien Sie vorsichtig, Mister Wong«, sagte eine weibliche Stimme. »Mit diesem Eisbiest von Captain ist nicht gut Kirschen essen.«
Eisbiest– das war bereits Renas Spitzname an der Akademie gewesen, und er bezog sich natürlich auf ihren Nachnamen– Sunfrost…
Was lag da näher als ein paar Wortspiele, in denen Eis und Kälte eine Rolle spielten.
Sunfrost bog um die Korridorecke und erblickte ihren Ersten Offizier. Neben ihm stand eine mollige, von der Figur her sehr weiblich wirkende Frau, die Sunfrost bereits als einer der Offiziere ihres Schiffs vorgestellt worden war: Lieutenant Catherine White, die Chefingenieurin der STERNENKRIEGER.
Rena näherte sich den beiden.
»Ich weiß, dass man mich hinter meinem Rücken als Eisbiest bezeichnet, Lieutenant White«, eröffnete Sunfrost. »Dieser Name hat mich während meiner gesamten Space Army Corps-Karriere begleitet und wird es wahrscheinlich so lange tun, wie ich nun einmal meinen Namen trage. Ich bitte Sie nur um einen Gefallen.«
»Ma'am, ich…«
»Benutzen Sie diesen Namen niemals wieder in meiner Gegenwart. Haben wir uns verstanden, Lieutenant White?«
»Ja, Ma'am«, sagte die Ingenieurin kleinlaut.
»Und jetzt lassen Sie mich bitte mit Lieutenant Commander Wong unter vier Augen reden.«
Catherine White atmete tief durch. Ihr Gesicht war hochrot angelaufen. Sie konnte es gar nicht erwarten, den Ort ihrer Blamage schnellstmöglich zu verlassen.
»I.O., ich weiß, dass Sie berechtigte Ambitionen hatten, selbst das Kommando auf der STERNENKRIEGER zu übernehmen«, begann Rena. »Die Qualifikation dafür hätten Sie in jedem Fall. Es ist Ihr Pech, dass man in diesem Fall die Erfahrung dem Genie vorgezogen hat. Tut mir Leid für Sie, aber ich kann es nicht ändern! Was ich Ihnen voraus habe, sind drei Dienstjahre und der Rang des Commanders. In drei Jahren kann viel geschehen. Wenn Sie so alt sind wie ich jetzt, werden Sie wahrscheinlich auf der Erfolgsleiter an mir vorbeigezogen sein, so mustergültig wie Ihre bisherige Bilanz ist! Aber solange das noch nicht der Fall ist und Sie meinem Kommando unterstehen, erwarte ich Loyalität.«
»Das ist selbstverständlich, Ma'am«, erwiderte Wong. Eine tiefe Furche war mitten auf seiner Stirn entstanden.
Entweder ich habe genau ins Schwarze getroffen oder liege so vollkommen daneben, dass er gerade meinen Verstand anzweifelt, dachte Sunfrost.
Aber da sie sich auf ihren Instinkt für Zwischenmenschliches im Allgemeinen gut verlassen konnte, zog sie die zweite Möglichkeit gar nicht ernsthaft in Betracht.
Er weiß genau, wovon ich spreche, dachte Sunfrost. Und ich werde ihm nicht gestatten, sich irgendwie herauszureden. Die Fronten müssen jetzt ein für alle Mal geklärt werden.
»Wenn Sie eine Entscheidung treffen, die eine Verzögerung bei der Rekonfiguration des Kommunikationssystems um 48 Stunden bedeutet«, kam Rena auf den Punkt, »dann erwarte ich, dass ich darüber zumindest informiert werde und Sie nicht einfach tun, was Ihnen gefällt!«
»Es war nicht meine Absicht, Ihre Autorität in Frage zu stellen, Captain.«
»Gut, das zu wissen. Denn ansonsten hätten wir ein Problem.« Rena atmete tief durch.
Ihren Start an Bord der STERNENKRIEGER hatte sie sich wahrlich anders vorgestellt. Irgendwie schien ihr Kommandoantritt unter keinem guten Stern zu stehen. Aber sie sah keinerlei Grund dafür, sich selbst Vorwürfe zu machen. Für die Rahmenbedingungen war sie schließlich nicht verantwortlich– und schon gar nicht dafür, dass einem Mustersoldaten, der die Rangstufenleiter bisher auf der Überholspur genommen hatte, zugemutet wurde, mal eine Stufe im Normaltempo zu nehmen.
Ihr Mitleid hielt sich in diesem Punkt in sehr engen Grenzen.
Einige Augenblicke des Schweigens folgten. Die kühle, distanzierte Art, mit der ihr Erster Offizier sie musterte, ließ Sunfrost innerlich kochen. Aber sie gab sich alle Mühe, nichts davon nach außen dringen zu lassen. Sie musste die Kontrolle behalten– und zwar zunächst und zuallererst über sich selbst.
Nur wer sich selbst beherrscht, vermag, über andere zu herrschen, drang ihr ein Zitat des chinesischen Philosophen Li Tang in die Erinnerung. Eine Weisheit, die sie sich zu Herzen genommen hatte.
Sie sah Wong direkt in die Augen.
»Was wollen Sie mit einem Winston-Feld an Bord der STERNENKRIEGER?«, fragte Rena Sunfrost geradeheraus.
Winston-Felder dienten der Sicherung kleinster organischer Partikel und fand üblicherweise bei archäologischen Grabungen und der Aufklärung von Straftaten Anwendung.
Raphael Wong verschränkte die Arme.
Er machte ein paar Schritte und vollführte dann eine ausholende Geste. »Sehen Sie das Sicherheitsschott dort? Das ist der einzige Zugang zum Sandström-Aggregat B. Dort starb Commander Willard J. Reilly, Ihr Vorgänger im Amt des Captains.«
Sunfrost runzelte die Stirn. »Ein Unfall, wie ich gehört habe.«
»Wirklich? Ich habe meine Zweifel, Captain.«
»Sie gehen davon aus, dass Captain Reilly einem Verbrechen zum Opfer fiel?«
»Sagen wir so…« Wong sammelte seine Gedanken. »Die Umstände seines Todes sind in meinen Augen noch lange nicht geklärt. Mit dem, was in dem vorläufigen Abschlussbericht der Untersuchungskommission steht, werde ich mich jedenfalls nicht zufrieden geben. Das bin ich Captain Reilly schuldig.«
Eine Pause entstand.
Wongs Tonfall hatte sich verändert. Sunfrost spürte, wie nahe ihm der Tod Captain Reillys offenbar ging. Offenbar hatte er ihm auch persönlich recht nahe gestanden.
Noch ein Grund für ihn, um den neuen Captain nicht zu mögen, überlegte sie.
»Berichten Sie mir, was Sie herausgefunden haben«, forderte sie den Ersten Offizier der STERNENKRIEGER auf.
Wong wirkte überrascht. Er hatte wohl nicht mit Verständnis gerechnet. »Captain Reilly ließ sich kurz vor seinem Tod– oder seiner Ermordung, wie ich eher glaube– mit einem Shuttle hierher bringen und ging an Bord, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Reparaturarbeiten in einem Stadium waren, in dem der Captain hier nun wirklich nichts zu suchen hatte. In einem Großteil der Sektion war zu diesem Zeitpunkt das Lebenserhaltungssystem ausgeschaltet. Außer Wartungsrobotern und ein paar Spezialisten des Spacedock-Personals, hätte sich niemand an Bord befinden dürfen.«
»Haben Sie eine Ahnung, was Reilly an Bord wollte?«
»Nein, Captain.« Wong schüttelte den Kopf. »Dann wäre ich in meinen Ermittlungen ein ganzes Stück weiter. Allerdings weiß ich, dass ein weiteres Shuttle andockte, kurz nachdem Reilly hier eintraf. Es dockte wohlgemerkt direkt an der Außenschleuse der STERNENKRIEGER an– nicht an Spacedock 13. Leider scheinen sämtliche Computeraufzeichnungen und Datenprotokolle darüber unwiederbringlich verloren, da wir durch die Explosion an einem der Sandström-Aggregate einen Computer-Crash hatten.«
»Gibt es keine Aufzeichnung des Zentralrechners von Spacedock 13?«, hakte Sunfrost nach.
»Eigenartigerweise nicht. Für mich sieht es aus, als wären sie gelöscht worden. Leider gestattet mir niemand einen Zugriff auf die Datenbanken von Spacedock 13, der weitreichend genug wäre, um das aufklären zu können.« Er deutete auf den Boden. »Genau hier wurde Captain Reilly von der Explosion getötet. Er wurde regelrecht zerrissen. Es blieb nichts von ihm übrig, außer den paar Gramm DNA, die für eine Identifizierung ausreichten.«
»Und jetzt glauben Sie, dass hier im Kontrollraum auch der Täter seine Visitenkarte in Form seines Gen-Codes hinterlassen hat«, schloss Sunfrost.
»Richtig«, bestätigte Wong. »Ein Schweißtropfen oder paar Hautzellen, die er an einer scharfen Kante verlor, ohne es zu merken, würde schon ausreichen. In einem Winston-Feld lassen sich auch winzige oder bruchstückhafte DNA-Sequenzen sichtbar machen, sodass eine Chance besteht, sie näher unter die Lupe zu nehmen.«
Er hob den Kopf und sah Sunfrost mit einem abschätzigen Blick an.
Der Kommandantin war durchaus klar, dass jetzt alles an ihrer Reaktion abhing.
In gedämpftem Tonfall fuhr Wong fort: »Ich glaube, dass Captain Reilly hier mit seinem Mörder zusammentraf.«
Sunfrost überlegte einige Augenblicke. Was Wong ihr vortrug warf tatsächlich einige Fragen auf. »Die offizielle Untersuchung ist bereits abgeschlossen?«
»Ja, Captain. Aber die konzentrierte sich auf die technischen Gegebenheiten des explodierten Sandström-Aggregats.«
»Sie wissen, dass Sie mit Ihren Ermittlungen Ihre Zuständigkeit überschreiten. Wenn Sie Verdachtsmomente haben, sollten Sie diese an die zuständigen Stellen weiterleiten.«
»Das habe ich längst getan, Ma'am. Leider ohne Erfolg. Und ich werde nicht abwarten, bis sich keine Spuren mehr finden lassen.«
Rena Sunfrost zögerte einen Moment. Wenn sie Raphael Wong weiter ermitteln ließ, dann war das ein Verfahrensfehler.
Nichts, was ihre Karriere beenden würde, aber doch ein grauer Fleck in ihrer Personalakte, der es ihr vermutlich erschwerte, später ein größeres Kommando oder einen Stabsoffiziersposten in der Admiralität zu erhalten. Andererseits interessierte jetzt auch sie, was mit ihrem Vorgänger wirklich geschehen war.
Ihre Entscheidung entsprang schließlich einem spontanen Bauchgefühl. »Machen Sie weiter, I.O.«
Wong nahm Haltung an. »Danke, Ma'am.«
»Und halten Sie mich über Ihre Ermittlungsergebnisse auf dem Laufenden.«
»Aye, Ma'am.«
*
Sie hat Charakter, dachte Raphael Wong, nachdem Commander Sunfrost gegangen war.
Was auch immer sonst zwischen ihnen stehen mochte, so musste er dies einfach anerkennen. Immerhin riskierte das Eisbiest– wie Lieutenant White sie genannt hatte– einen Verweis in ihrer Personalakte, wenn herauskam, dass sie in dieser Sache nicht den offiziell vorgeschriebenen Weg gegangen war.
Wong aktivierte den Kommunikator, den er an einem Armband trug. »Lieutenant White, ich brauche Sie jetzt«, erklärte er.
»Bin schon da, Sir«, kam die Antwort aus dem Gerät.
Wenige Augenblicke später tauchte Catherine White auf. Sie hatte in einem Nebenraum abgewartet, bis das Gewitter in Gestalt des Captains sich verzogen hatte.
White blickte Wong fragend an. »Ich schätze, unsere Ermittlungen sind jetzt beendet, oder?«
»Kalibrieren Sie die Feldprojektoren, Lieutenant. Wir machen weiter. Sobald wir das Okay von Kronstein wegen der Rechnerkapazitäten haben, können wir beginnen. Der Captain hat mich angewiesen, die Ermittlungen fortzusetzen.«
White stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben.
»Komisch… sie wirkte auf mich so beherrscht und steif.«
»Lag vielleicht an der Zeremonie.«
»Jedenfalls machte sie auf mich nicht den Eindruck, als würde sie leichtfertig Vorschriften missachten.«
»Leichtfertig bestimmt nicht.«
White zuckte die Achseln. »Sie hätten es trotzdem verdient gehabt, wenn man Ihnen das Kommando übertragen hätte, Sir.«
Es war Wong unangenehm, von White auf dieses Thema angesprochen zu werden. Er hatte das Gefühl, dass da jemand– ohne es zu wollen– in einer offenen Wunde herumstocherte.
»Das Kapitel ist für mich abgeschlossen«, erklärte der Erste Offizier der STERNENKRIEGER.
Aber er selbst wusste am besten, dass seine Worte bestenfalls eine Absichtserklärung waren…
*
Sunfrost befand sich in ihrem Quartier, als Wong sie aufsuchte. Ihr eigentliches Büro, das sich neben der Brücke befand, musste schließlich erst noch hergerichtet werden.
Sie blickte von dem etwa handgroßen Lesemodul auf, mit dessen Hilfe sie sich in die Logbücher der STERNENKRIEGER vertieft hatte.
»Meine Nachforschungen sind leider bisher ohne Ergebnis geblieben«, berichtete Wong. »Selbst die Untersuchung des Tatorts mit dem Winston-Feld blieb ergebnislos. Es gab keinerlei Spuren, die bei der offiziellen Untersuchung übersehen wurden. Ich habe außerdem zusammen mit Lieutenant White das interne Rechnermodul der Außenschleuse unter die Lupe genommen.«
»Und?«
»Nichts. Alle Daten des Moduls sind gelöscht worden.«
»Hängt das mit dem Computercrash zusammen?«, fragte Sunfrost.
»Nein, das Modul der Außenschleuse hat einen autonomen Bereich, der mit dem Hauptcomputer keine Verbindung hat. Schließlich muss es im Notfall möglich sein, die Mannschaft aus einem havarierten Schiff zu bergen, dessen Bordrechner nicht mehr arbeitet.«
»Sie müssen schon entschuldigen, I.O. Ich bin weder Techniker noch Computerspezialist.«
Wong zeigte auf diese Bemerkung keinerlei Reaktion, sondern fuhr mit seinem Bericht fort. »Ich habe die Andockhalterungen auf chemische Rückstände untersucht. Die Substanz, die ich dabei isolieren konnte, trägt die Kennung KLM-321 und entspricht seit 2233 nicht mehr der technischen Norm für die Außenbeschichtung von Orbital-Shuttles. Daraus schließe ich, dass ein Shuttle an der STERNENKRIEGER angedockt hat, das vor 2233 hergestellt wurde. Des Weiteren muss es sich um ein privates Raumschiff handeln, denn die offiziellen Orbital-Shuttles werden nach spätestens zwanzig Jahren wegen Materialermüdung außer Dienst gestellt. Im Moment versuche ich herauszubekommen, welches Schiff, auf das diese Merkmale zutreffen, zu einem in Frage kommenden Zeitpunkt auf der Erde gestartet ist.«
»Es könnte auch von anderswo gekommen sein«, stellte Sunfrost fest.
Schließlich gab es auch auf den anderen Planeten des Sol-Systems Siedlungen und Raumhäfen. Das Hauptsiedlungsgebiet war dabei der Mars, auf dem über drei Milliarden Menschen lebten– mehr als auf der Erde des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Dagegen waren die Kolonien auf dem Erdmond und der Venus auf Grund der extremeren Bedingungen natürlich verschwindend klein, zumal in einem von der Menschheit beherrschten Radius von etwa 50 Lichtjahren um das Sol-System herum eine ganze Reihe vergleichsweise paradiesischer erdähnlicher Welten zur Verfügung stand.
»Ich weiß, dass das eine Sisyphus-Arbeit ist, Ma'am«, stimmte Wong zu. »Aber ich habe das Gefühl, sie Captain Reilly schuldig zu sein.«
»Ich verstehe. Ist dieses unbekannte Shuttle denn vom Stationsrechner von Spacedock 13 nicht registriert worden?«
»Der Auskunft nach, die ich erhielt– nein.«
»Seltsam…«, sagte Rena.
»Ein halbwegs geschickter Hacker kann die Daten löschen, Ma'am.«
»Wie wäre es, wenn sich Lieutenant Kronstein nach der Rekonfiguration des Kommunikationssystems den gesamten gespeicherten Datenverkehr vor der Explosion vornimmt und in Hinblick auf verdächtige Merkmale untersucht. Schließlich muss es einen Grund gegeben haben, dass Reilly an Bord kam, und vielleicht gab es vorher einen Funkspruch, eine Datentransmission– irgendetwas!«
»Den Vorschlag halte ich für gut«, sagte Wong. »Ich würde es allerdings bevorzugen, wenn Sie Lieutenant Kronstein darum bitten würden.«
»Weshalb?«
Wong hob die Schultern. »Er hält meinen Verdacht, dass Captain Reilly ermordet wurde, für unbegründet.«
*
Sunfrost suchte die Brücke auf und trug Kronstein ihr Anliegen vor.
Er lächelte.
»Hat Lieutenant Commander Wong Sie also mit seiner Mordtheorie eingewickelt«, sagte er. »Mir persönlich stand Captain Reilly auch sehr nahe, aber jeder, der im Space Army Corps tätig ist, weiß, dass damit gewisse Risiken verbunden sind. Und die liegen nicht in einer möglichen Feindberührung oder Verwicklungen in Kampfhandlungen. Das Versagen technischer Systeme führt immer wieder zu Unfällen und kostet Menschenleben. Commander Reilly hatte Pech. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Der offizielle Bericht bestätigt dies.«
»Ich möchte Ihnen in dieser Sache keinen Befehl erteilen, Lieutenant Kronstein«, sagte Sunfrost, die genau wusste, auf welch schmalem Grad aus Paragraphen der Dienstvorschrift sie sich bewegte. »Ich bitte sie einfach um einen Gefallen. Sehen Sie, ich möchte einfach etwas genauer über das Bescheid wissen, was mit meinem Vorgänger im Amt des Captains geschehen ist.«
»Dafür habe ich Verständnis«, sagte Kronstein. Seine dunklen Augen musterten sie einen Augenblick lang.
Sie erwiderte den Blick. »Ich könnte natürlich eine zweite Untersuchung verlangen, aber dazu reichen Wongs Indizien wohl tatsächlich noch nicht aus.«
»Ich werde mir den gespeicherten Verkehr vornehmen, Captain. Ab morgen laufen hier alle Systeme wieder einwandfrei.«
»Ich danke Ihnen.«
Sunfrosts Armbandkommunikator piepte. Sie betätigte den Annahmeknopf des Gerätes.
Auf dem Minibildschirm erschien das Gesicht von Commodore Tim Bray Jackson. »Ein Shuttle ist unterwegs zum Spacedock 13 und wird Sie in einer halben Stunde zur Orbitalbasis Delta bringen. Admiral Raimondo wünscht Sie dort zu einem informellen Gespräch zu treffen.«
Sunfrost war verwundert. Es war schon ungewöhnlich gewesen, dass Raimondo ihr die Ehre hatte zuteil werden lassen, an ihrer Einführungszeremonie teilzunehmen. »Hat der Admiral gesagt, was der Grund für dieses Treffen ist?«
»Nein, Commander. Ich wünsche Ihnen einen guten Flug.«
Commodore Jackson unterbrach die Verbindung.
Er weiß mehr, als er sagt, dachte Rena.
*
Orbitalstation Delta war ein ziviles Weltraumhabitat, das in einer geostationären Umlaufbahn die Erde umkreiste. Etwa hunderttausend Menschen lebten hier. Eine regelrechte Orbitalstadt. Die Wohnungspreise waren entsprechend hoch.
Der Flug mit dem Shuttle dauerte für Rena Sunfrost keine halbe Stunde. Nachdem es angedockt hatte, wartete ein Mann in der Uniform eines Space Army Corps-Angehörigen auf sie. An den Rangabzeichen sah sie gleich, dass er ihr übergeordnet war.
»Commander Sunfrost?«, sprach er sie an.
»Ja, Sir?«
»Commodore Ponlo Hart«, stellte er sich vor. »Ich bin der persönliche Adjutant von Admiral Raimondo und habe den Auftrag, Sie zu seiner Wohnung zu bringen«
»Seiner Wohnung?«, echote Rena etwas erstaunt.
»Ja, Commander. Der Admiral hat eine Wohnung hier auf Delta. Das hat vor allem Sicherheitsgründe. Seit er eine herausragende politische Rolle im Hohen Rat spielt, ist er ein potentielles Ziel von Attentaten.«
Wenig später empfing Raimondo sie in einem weiträumigen, ganz in blau gehaltenen Raum. Große Panoramafenster vermittelten einen fantastischen Blick.
»Ich danke Ihnen, Commodore«, wandte sich der Admiral an seinen Adjutanten, nachdem er Sunfrost begrüßt hatte, und schwieg, bis Hart den Raum verlassen hatte. »Dies ist ein inoffizielles Vier-Augen-Gespräch, Commander Sunfrost. Setzen Sie sich.«
Er deutete auf eine Sitzgruppe aus Schalensesseln, die um einen Glaskubus herum gruppiert waren, der als Tisch diente.
Rena setzte sich.
»Möchten Sie etwas trinken, Commander?«
»Nein, danke, Sir.«
»Dann kommen wir zur Sache.« Der Admiral setzte sich ebenfalls, lehnte sich zurück und schlug dabei die Beine übereinander. Er unterzog Rena anschließend einer intensiven Musterung, ehe er schließlich sagte: »Sie werden sich über die Umstände dieses Treffens vielleicht etwas wundern.«
»Das ist wahr, Sir.«
»Nun, ich bin als Vertreter des Space Army Corps im Hohen Rat zwar offiziell noch im Dienst, aber nicht mehr Teil der eigentlichen Befehlskette. Stattdessen beteilige ich mich auf politischer Ebene an der Entscheidungsfindung. Die Debatte um eine eventuelle Kürzung des Space Army Corps-Etats werden Sie vermutlich verfolgt haben.«
»Ja, Sir.«
»Ich hoffe, dass ich am Ende das Schlimmste verhindern kann. Aber das ist so mühsam wie das Bohren dicker Bretter, und ich bin mir keineswegs sicher, ob es am Ende reichen wird. Wissen Sie, was die Anhänger unseres Vorsitzenden Ling vorgeschlagen haben? Eine Reduzierung des Etats um ein Drittel. Das sind doch alles Bürohengste, die von Raumfahrt so viel Ahnung haben wie ein Toter vom Beißen. Kein Mensch hat sich Gedanken darüber gemacht, wie wir den Betrieb der Flotte auf einem auch nur halbwegs zu vertretenden Niveau mit einer derart drastischen Kürzung aufrecht erhalten sollen. Dutzende von Dreadnoughts würden in Depots verschwinden und eingemottet werden. Das Corps käme nicht umhin, qualifiziertes Personal zu entlassen, das wir mühsam jahrelang ausgebildet haben. Es ist nicht zu fassen!«
Raimondo atmete tief durch.
Die gegenwärtige Debatte im Rat schien ihm einfach nicht aus dem Kopf zu gehen. Rena hatte die Entwicklung am Rande verfolgt und die Vorschläge von Julian Lang und seinen Anhängern wie ein heraufziehendes Gewitter betrachtet.
»Trauen Sie dem Frieden mit den Qriid?«, fragte Raimondo schließlich nach einer Pause. Er wartete Renas Antwort gar nicht erst ab. »Meiner Ansicht nach kann aus dem kalten Krieg, der zwischen uns und den Qriid herrscht, jederzeit wieder eine heiße Auseinandersetzung werden. Im Moment scheinen sie vor allem mit sich selbst beschäftigt zu sein. Möglicherweise gibt es sogar interne Machtkämpfe. Aber irgendwann werden sie ihre Expansionsbestrebungen fortsetzen. Und all diejenigen, die glauben, dass unsere Siege im Qriid-Krieg dazu geführt hätten, dass die andere Seite jetzt Respekt vor der Menschheit hat und an einem ernsthaften Frieden interessiert ist, halte ich für Träumer.«
»Ich bin Ihrer Meinung, Sir«, sagte Sunfrost.
»Tatsache ist, wir wissen nicht, weshalb ihr Expansionsdrang nach der Schlacht im Tridor-System plötzlich verebbte. Sie hätten mit Sicherheit über ausreichend Ressourcen verfügt, den Kampf fortzusetzen, und ich frage mich, ob sie nicht lediglich auf einen günstigeren Zeitpunkt warten. Ich nehme an, Sie wissen über das Bannister-System Bescheid, Commander.«
»Natürlich, Sir.«
»Ein weiterer Punkt, der mir Sorgen macht«, bekannte Raimondo. »Ich sage Ihnen, da braut sich was zusammen, was uns allen noch um die Ohren fliegen wird!«
Das Bannister-System war 56 Lichtjahre von der Erde entfernt und lag damit deutlich außerhalb des 50 Lichtjahre-Radius, den die Menschheit zurzeit als ihr Siedlungsgebiet beanspruchte. 15 Planeten umkreisten eine Sonne von doppelter Sol-Masse. Es war eine Kolonie, die mitten im Niemandsland zwischen dem Einflussbereich der Humanen Welten und dem Qriid-Imperium lag.
In letzter Zeit hatte die Gründung eines so genannten Bannister-Freistaates in den Medien Schlagzeilen gemacht. Eine Gruppe von Siedlern akzeptierte die Autorität der Humanen Welten nicht mehr, weil man sich durch den Space Army Corps nicht ausreichend geschützt fühlte. Auslöser waren bis dato geheim gehaltene Pläne aus dem Umkreis des Ratsvorsitzenden Ling gewesen, die im Zusammenhang mit den Kürzungen des Space Army Corps-Etats zu sehen waren. Danach sollte das Bannister-System evakuiert und den Qriid im Tausch gegen einen sichereren Frieden angeboten werden.
Natürlich hatte Julian Lang dies seinen Pressesprecher umgehend dementieren lassen, aber für die erzürnten Siedler war es der berühmte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.
»Ling und seine Leute hatten tatsächlich vor, das Bannister-System den Qriid zu überlassen«, erklärte Raimondo. »Auch wenn er das jetzt in der Öffentlichkeit dementieren lässt. Diese Pläne liegen in der Schublade. Bei passender Gelegenheit wird Julian Lang sie wieder hervorholen, davon bin ich überzeugt.«